gb-1841-08-09-01
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Loburg, 9. August 1841
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-4 Brieftext.
Friedrich Eduard Ludwig Liebe.
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C): Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz (Hin- und Gegenbriefe) Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C) ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence (FMB-C) Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Ew. Wohlgeboren erlaube ich mir mit einer Bitte zu nahen, von deren Erfüllung vielleicht mein ganzes Lebensglück abhängt.
ich bin Lehrer in Loburg, einem kleinen Städtchen bei
, lebe aber mit der größten Leidenschaft für die Musik, so daß ich immer den innigsten Wunsch gehegt habe und noch hege, mich ausschließlich der Musik zu widmen. Jedoch fehlt mir hier inMagdeburg
Loburgganz und gar die Gelegenheit dazu und in einer großen Stadt bei einem Meister Musik zu studiren, dazu mangeln mir die nöthigen Mittel. So oft ich auch meinen Plan, mich in der Musik weiter auszubilden, verworfen habe, so oft hat ihn doch meine unendliche und nie untergehende Liebe zur Musik in Anregung gebracht. Mein Herz hebt sich zur größten Begeisterung, wenn ich einmal in
eine gute Oper oder ein ausgezeichnetesMagdeburg
Oratoriumoder sonst eine treffliche Musik höre, selbst das einfachste Lied macht auf mich Eindruck, so dass ich immer und immer fühlen muß, dass mit meinem geistigen Leben untrennbar die Musik verknüpft ist.
hört, wie ich hier in Loburg. Man sagt freilich, richtiges Gefühl bildet den Componisten und das todte Regelwerk ergiebt sich dann von selbst. Aber kann das Gefühl sich nicht selbst irre leiten, wenn ihm kein zurechtweisender Lehrer zur Seite steht? – Und dieses bemerke ich bei mir. Bei meinen kleinen Versuchen in der Composition wird meine Phantasie immer durch eine Ungewissheit gehemmt, die nur durch einen leitenden Meister fortgeschafft werden kann. – ich werde in solchen Verhältnissen, wie ich jetzt stehe, mit meiner großen Liebe zur Musik im Herzen doch ewig ein Stümper bleiben!
Und ob ich wohl ein Recht dazu habe, mir auf eine gute Wirksamkeit in der Musik für die Zukunft Hoffnung zu machen? – das mögen Sie Selbst, von mir Hochverehrter Herr Musik-Director, aus einer beigelegten Arbeit beurtheilen, so viel sich daraus ersehen lässt. Sie werden dieselbe mit Nachsicht ansehen, zumal, wenn ich Ihnen sage, dass ich diese Cantate ohne alle Anleitung gearbeitet habe und dass dieses das erste Werk war, welches ich für Orchester schrieb. Wie gewagt das für mich, Unkundigen, war, sehe ich wohl ein, und die Fehlgriffe, die ich gethan, werden Sie am deutlichsten bemerken. Zur größten Freude aber sollte es mir gereichen, wenn Sie aus dieser geringen und Ihrer Größe so unwürdigen Arbeit doch ersähen, dass ich Anlage zur Musik habe und dass mein Sinn nicht der des größten musikalischen Publikums ist.
mich in Ihren Dienst zu nehmen, sei es als Notenschreiber, oder als Sekretair, oder welchen Namen sonst das Amt haben mag.
Wie viel könnte ich in einem Amte bei Ew. Wohlgeboren für mich in musikalischer Hinsicht gewinnen, schon dadurch, wenn ich die Manuscripte eines so hohen Meisters ins Reine schriebe oder vielleicht gar die Ehre hätte, Ew. Wohlgeboren auf Reisen zu begleiten! Der Gedanke daran schon macht mich glücklich!
Meine Ansprüche an die Welt sind gering. – ich habe hier ein Gehalt von 200 rlh., womit ich freilich in einer so kleinen Stadt besser auskommen kann, als mit bedeutend mehr in einer großen Stadt. Und hätte ich nicht außer mir noch einen kleinen Stiefbruder zu versorgen, so möchte ich im Genusse der Musik gern mancher Befriedigung irdischer Bedürfnisse entbehren, woran ich auch früh schon gewöhnt bin, da mir das Schicksal beide Eltern raubte und ich nun unbemittelt und ganz allein in der Welt stehe. – Auch glaube ich, dass ich in den Jahren noch nicht zu weit vorgerückt bin, um nicht noch einige Hoffnung zu erwecken, denn ich bin 20 Jahr alt. –
Und nun, hochgeschätzter Herr Musik-Director, nachdem ich offen und ohne Rückhalt Ihnen meine unbegrenzte Liebe zur Musik und meine sonstigen Lebensverhältnisse geschildert habe, urtheilen Sie Selbst: soll ich darum mein Herz den Eingebungen einer so herrlichen verschließen, weil mich der Glücksgott nicht mit den Gütern ausstattete, die in der Welt nöthig sind, um ein Ziel zu erlangen? – soll ich darum der Musik entsagen? Mann! der mit so vielen irdischen und geistigen Gaben von Gott beschenkt ist, großer, angebeteter Mann! fühlen
Und warum belästige ich Sie gerade mit meiner Bitte? Zu Ihnen allein habe ich große Liebe, hohe Achtung und unbegrenztes Vertraun! ich habe Ihren „
Sollten Ew. Wohlgeboren nun vor einem Entschlusse erst befehlen, mich persönlich Ihnen vorzustellen, so werde ich, das Ehrende dieses Befehls erkennend, Ihnen in 8 Wochen, wo unsere Schulferien eintreten, meine Aufwartung machen.
Sollten aber Ew. Wohlgeboren auf meine ergebenste Bitte nicht eingehen können; so soll mir dieses, so schwerlich es mir auch sein wird, ein Fingerzeig Gottes sein, dass ich nicht auserkoren bin, dieser göttlichen Muse zu huldigen. Dann sollen sich meine Finger nie wieder erkühnen, irgend einen musikalischen Gedanken nieder zu schreiben; denn ich ehre diese Kunst zu hoch, als dass ich sie fernerhin als ungeweihter Laie entweihen könnte.
Louis Liebe.
Loburg, den
ten
August
Wohlgeborener Herr! Hochzuverehrender Herr Musikdirector! Ew. Wohlgeboren erlaube ich mir mit einer Bitte zu nahen, von deren Erfüllung vielleicht mein ganzes Lebensglück abhängt. ich bin Lehrer in Loburg, einem kleinen Städtchen bei Magdeburg, lebe aber mit der größten Leidenschaft für die Musik, so daß ich immer den innigsten Wunsch gehegt habe und noch hege, mich ausschließlich der Musik zu widmen. Jedoch fehlt mir hier in Loburg ganz und gar die Gelegenheit dazu und in einer großen Stadt bei einem Meister Musik zu studiren, dazu mangeln mir die nöthigen Mittel. So oft ich auch meinen Plan, mich in der Musik weiter auszubilden, verworfen habe, so oft hat ihn doch meine unendliche und nie untergehende Liebe zur Musik in Anregung gebracht. Mein Herz hebt sich zur größten Begeisterung, wenn ich einmal in Magdeburg eine gute Oper oder ein ausgezeichnetes Oratorium oder sonst eine treffliche Musik höre, selbst das einfachste Lied macht auf mich Eindruck, so dass ich immer und immer fühlen muß, dass mit meinem geistigen Leben untrennbar die Musik verknüpft ist. Von früher Kindheit an von einem trefflichen und gründlichen Lehrer im Klavierspiel und hauptsächlich in der Theorie der Musik unterrichtet, erwachte bald in mir diese Neigung zur Musik, die sich mit den Jahren unauslöschbar meinem Character einprägte, zumal als ich wahrnahm, dass sich mein musikalischer Geist auch productiv zeigte. So bildete ich mich später durch Selbststudium weiter fort, aber ich bemerkte bald, daß man durch Bücherstudium kein wahrer Musiker wird, wenn man so wenig gute Musik hört, wie ich hier in Loburg. Man sagt freilich, richtiges Gefühl bildet den Componisten und das todte Regelwerk ergiebt sich dann von selbst. Aber kann das Gefühl sich nicht selbst irre leiten, wenn ihm kein zurechtweisender Lehrer zur Seite steht? – Und dieses bemerke ich bei mir. Bei meinen kleinen Versuchen in der Composition wird meine Phantasie immer durch eine Ungewissheit gehemmt, die nur durch einen leitenden Meister fortgeschafft werden kann. – ich werde in solchen Verhältnissen, wie ich jetzt stehe, mit meiner großen Liebe zur Musik im Herzen doch ewig ein Stümper bleiben! Und ob ich wohl ein Recht dazu habe, mir auf eine gute Wirksamkeit in der Musik für die Zukunft Hoffnung zu machen? – das mögen Sie Selbst, von mir Hochverehrter Herr Musik-Director, aus einer beigelegten Arbeit beurtheilen, so viel sich daraus ersehen lässt. Sie werden dieselbe mit Nachsicht ansehen, zumal, wenn ich Ihnen sage, dass ich diese Cantate ohne alle Anleitung gearbeitet habe und dass dieses das erste Werk war, welches ich für Orchester schrieb. Wie gewagt das für mich, Unkundigen, war, sehe ich wohl ein, und die Fehlgriffe, die ich gethan, werden Sie am deutlichsten bemerken. Zur größten Freude aber sollte es mir gereichen, wenn Sie aus dieser geringen und Ihrer Größe so unwürdigen Arbeit doch ersähen, dass ich Anlage zur Musik habe und dass mein Sinn nicht der des größten musikalischen Publikums ist. Dieser mein Wunsch nun, in einem musikalischen Wirkungs-Kreise zu leben, giebt mir den Muth, die kühne Bitte an Ew. Wohlgeboren zu wagen: mich in Ihren Dienst zu nehmen, sei es als Notenschreiber, oder als Sekretair, oder welchen Namen sonst das Amt haben mag. Wie viel könnte ich in einem Amte bei Ew. Wohlgeboren für mich in musikalischer Hinsicht gewinnen, schon dadurch, wenn ich die Manuscripte eines so hohen Meisters ins Reine schriebe oder vielleicht gar die Ehre hätte, Ew. Wohlgeboren auf Reisen zu begleiten! Der Gedanke daran schon macht mich glücklich! Meine Ansprüche an die Welt sind gering. – ich habe hier ein Gehalt von 200 rlh., womit ich freilich in einer so kleinen Stadt besser auskommen kann, als mit bedeutend mehr in einer großen Stadt. Und hätte ich nicht außer mir noch einen kleinen Stiefbruder zu versorgen, so möchte ich im Genusse der Musik gern mancher Befriedigung irdischer Bedürfnisse entbehren, woran ich auch früh schon gewöhnt bin, da mir das Schicksal beide Eltern raubte und ich nun unbemittelt und ganz allein in der Welt stehe. – Auch glaube ich, dass ich in den Jahren noch nicht zu weit vorgerückt bin, um nicht noch einige Hoffnung zu erwecken, denn ich bin 20 Jahr alt. – Und nun, hochgeschätzter Herr Musik-Director, nachdem ich offen und ohne Rückhalt Ihnen meine unbegrenzte Liebe zur Musik und meine sonstigen Lebensverhältnisse geschildert habe, urtheilen Sie Selbst: soll ich darum mein Herz den Eingebungen einer so herrlichen verschließen, weil mich der Glücksgott nicht mit den Gütern ausstattete, die in der Welt nöthig sind, um ein Ziel zu erlangen? – soll ich darum der Musik entsagen? Mann! der mit so vielen irdischen und geistigen Gaben von Gott beschenkt ist, großer, angebeteter Mann! fühlen Sie ganz meinen Kummer darüber? – Und doch möchten Sie wohl glauben, ich erheuchelte diese Gefühle oder ich täuschte mich selbst. Aber – bei Gott! – so wie überhaupt meinem Character das Heucheln fremd ist, so ist es ihm am meisten in dem, was Musik betrifft. Und nach so langer Überlegung und Prüfung meiner selbst kann ich mich auch nicht mehr täuschen. Und warum belästige ich Sie gerade mit meiner Bitte? Zu Ihnen allein habe ich große Liebe, hohe Achtung und unbegrenztes Vertraun! ich habe Ihren „Paulus“ gehört – ich habe Ihr Bildniss gesehen! – wie könnte da meine Seele ohne Bewunderung für einen Mann sein, dessen Name jetzt durch alle Lande schallt! Sollten Ew. Wohlgeboren nun vor einem Entschlusse erst befehlen, mich persönlich Ihnen vorzustellen, so werde ich, das Ehrende dieses Befehls erkennend, Ihnen in 8 Wochen, wo unsere Schulferien eintreten, meine Aufwartung machen. Sollten aber Ew. Wohlgeboren auf meine ergebenste Bitte nicht eingehen können; so soll mir dieses, so schwerlich es mir auch sein wird, ein Fingerzeig Gottes sein, dass ich nicht auserkoren bin, dieser göttlichen Muse zu huldigen. Dann sollen sich meine Finger nie wieder erkühnen, irgend einen musikalischen Gedanken nieder zu schreiben; denn ich ehre diese Kunst zu hoch, als dass ich sie fernerhin als ungeweihter Laie entweihen könnte. Ew. Wohlgeboren gütigst baldige – und Gott gebe! auch günstige Antwort entgegensehend, bitte ich inständigst um Entschuldigung meiner Dreistigkeit. In wahrer Ehrerbietung und begeisterter Liebe Ew. Wohlgeboren ergebenster Louis Liebe. Loburg, den 9ten August, 1841.
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Bei meinen kleinen Versuchen in der Composition wird meine Phantasie immer durch eine Ungewissheit gehemmt, die nur durch einen leitenden Meister fortgeschafft werden kann. – ich werde in solchen Verhältnissen, wie ich jetzt stehe, mit meiner großen Liebe zur Musik im Herzen doch ewig ein Stümper bleiben! </p> <p>Und ob ich wohl ein Recht dazu habe, mir auf eine gute Wirksamkeit in der Musik für die Zukunft Hoffnung zu machen? – das mögen Sie Selbst, von mir Hochverehrter Herr Musik-Director, aus einer beigelegten Arbeit beurtheilen, so viel sich daraus ersehen lässt. 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Der Gedanke daran schon macht mich glücklich!</p> <p>Meine Ansprüche an die Welt sind gering. – ich habe hier ein Gehalt von 200 rlh., womit ich freilich in einer so kleinen Stadt besser auskommen kann, als mit bedeutend mehr in einer großen Stadt. Und hätte ich nicht außer mir noch einen kleinen Stiefbruder zu versorgen, so möchte ich im Genusse der Musik gern mancher Befriedigung irdischer Bedürfnisse entbehren, woran ich auch früh schon gewöhnt bin, da mir das Schicksal beide Eltern raubte und ich nun unbemittelt und ganz allein in der Welt stehe. – Auch glaube ich, dass ich in den Jahren noch nicht zu weit vorgerückt bin, um nicht noch einige Hoffnung zu erwecken, denn ich bin 20 Jahr alt. –</p> <p>Und nun, hochgeschätzter Herr Musik-Director, nachdem ich offen und ohne Rückhalt Ihnen meine unbegrenzte Liebe zur Musik und meine sonstigen Lebensverhältnisse geschildert habe, urtheilen Sie Selbst: soll ich darum mein Herz den Eingebungen einer so herrlichen verschließen, weil mich der Glücksgott nicht mit den Gütern ausstattete, die in der Welt nöthig sind, um ein Ziel zu erlangen? – soll ich darum der Musik entsagen? 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