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gb-1840-06-08-01

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Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig <lb></lb>Neapel, 8. Juni 1840 Auf dem Balcon des hotel de Rome, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von Sorrent etwas mehr rechts Capri, das Castell dell’ Uovo schließt Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) unbekanntRebecka Lejeune Dirichlet, Lea Mendelssohn Bartholdy und Felix Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel in Genua; Berlin, 13. Juli 1840 Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 37/185. Autograph Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig; Neapel, 8. Juni 1840 Auf dem Balcon des hotel de Rome, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von Sorrent etwas mehr rechts Capri, das Castell dell’ Uovo schließt

1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse, 3 Poststempel [AGDP?], [NAP.1840 / 9 GIU], [St. Post / 23 JUN / II.9-12], Siegel.

Fanny Hensel

Green Books

Weissweiler, Italienisches Tagebuch, S. 134-137 (Teildruck mit Textabweichungen).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

8. Juni 1840 Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)counter-resetHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) Neapel Italien Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Leipzig Deutschland deutsch
Germania. Monsieur Félix Mendelssohn Bartholdy à Leipzig. affranchie.
Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) Neapel 8ten Juni

Auf dem Balcon des hotel de RomeVilla di Roma (Hotel)NeapelItalien, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von SorrentSorrentItalien etwas mehr rechts CapriCapriItalien, das Castell dell’ UovoCastel dell’OvoNeapelItalien schließt rechts die Aussicht, viele englische Kriegsschiffe liegen im Angesicht, hunderte von Booten fahren hin und wieder. Dies ist die Aussicht, die wir nebst einem prächtigen Salon für nichts haben, denn der liebenswürdigste Engländer, den ich noch auf der ganzen Reise nicht kennen gelernt, Lord CavendishCavendish, William George Spencer 6th Duke of Devonshire (1790-1858), hat dies neben unsern Zimmern gelegene Local, während eines Badeaufenthalts in CastellamareCastellammare di StabiaItalien behalten, und der eben so liebenswürdige Cameriere schließt es uns jeden Morgen auf und wir bringen unsre Nachmittage daselbst zu. Seyd also von hier aus gegrüßt liebste Geschwister, und glaubt, daß wir unser Glück doppelt genießen würden, wenn mir es mit Euch theilen könnten. Morgen sinds 8 Tage, daß wir RomRomItalien verließen, und ich versichere Dich, lieber Felix, das war ein schwer Stück Arbeit! Wenn man selbst mehr als gern bliebe, und nun von allen Seiten noch gedrängt und gequält wird, zu thun, was man wünscht, wenn jeder Tag, den man zugiebt, mit Jubel und Dank aufgenommen wird, wenn das schönste, behaglichste und interessanteste, reichste Leben in vollem Gange ist, dann mag man es wol schwer nennen, mitten drin abzubrechen, aus reiner Vernunft und Pflichtgefühl. Unter den letzten 14 Tagen waren noch zwei, die in meinem Gedächtniß mit dicken rothen Strichen angemerkt bleiben werden, der 20ste Mai, den wir mit einigen angenehmen Bekannten vom Morgen bis in die Nacht in der Villa WolkonskyVilla WolkonskyRomItalien zubrachten, und der 31ste, der letzte für uns in RomRomItalien, wo wir eben so, von Kaffee bis Mitternacht in der französischen AcademieAcadémie française (Académie de France à Rome)RomItalien, diesmal als IngresIngres, Jean-Auguste-Dominique (1780-1867) Gäste waren. Ich habe Beide MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) genau beschrieben,Ich habe Beide Mutter genau beschrieben – Fanny berichtete ihrer Mutter im Briefteil vom 3. Juni 1840 über die Tage in Rom; siehe Fanny Hensel am 3. und 4. Juni 1840 an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Albano, 3. und 4. Juni 1840 (D-B, Musikabteilung, MA Depos. Berlin 500,18,162. Druck: Klein, Briefe aus Rom, S. 107-110, hier S. 107 f.). und in der Ungewißheit, ob sie Dir nicht die Briefe mitgetheilt, mag ich keine Wiederholung wagen. Diesen Brief richte ich direct nach Leipzig, da Du zum Buchdruckerfest400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst 1840LeipzigDeutschland dort seyn mußt,da Du zum Buchdruckerfest dort seyn mußt – Vom 24. bis 26. Juni 1840 fand in Leipzig die 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst (»Gutenbergfest«) statt. Zu diesem Anlass komponierte Felix Mendelssohn Bartholdy sowohl den Festgesang (»Gutenberg-Kantate«) MWV D 4 als auch die Sinfonie-Kantate Lobgesang op. 52 (MWV A 18). Beide wurden bei der Feier uraufgeführt: am 24. Juni 1840 der Festgesang MWV D 4 und am 25. Juni der Lobgesang op. 52; siehe Brief fmb-1840-06-22-01 (Brief Nr. 2746) Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 22. Juni 1840, Z. 31-38. und er Dich, wie ich denke, um diese Zeit dort abfangen soll. Ende Juli, und im Lauf des August, laß nur in FfurtJeanrenaud, Familie von → Elisabeth Wilhelmine J. immer genau Deinen Aufenthalt bekannt werden, damit wir bei unsrer Durchreise erfahren, was wir von einem Zusammentreffen zu hoffen, und wo wird Dich, möglichen Falls, zu suchen hätten. Ich habe hier zwei Briefe von Mutter gefunden,zwei Briefe von Mutter gefunden – Vermutlich sind folgende Briefe gemeint: Lea Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel in Neapel, Berlin 6. Mai 1840 und Lea Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel in Neapel, Berlin 19. Mai 1840 (D-B, Musikabteilung, MA Depos. 3,3,64 und 65). alle voll des Glücks, das Ihr ihnen durch Euren BesuchEuren Besuch – Felix Mendelssohn Bartholdy traf mit seiner Familie am 11. April 1840, dem Geburtstag von Rebecka Lejeune Dirichlet, in Berlin ein; siehe Brief fmb-1840-04-08-01 (Brief Nr. 2702) Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 8. April 1840. Am 19. Mai 1840 waren sie zurück in Leipzig; siehe Brief fmb-1840-05-21-01 (Brief Nr. 2727) Cécile Mendelssohn Bartholdy und Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 21. Mai 1840, Z. 3. bereitet habt. Wenn mir etwas leid thut bei dieser Reise, so ist es, diesen Euren Aufenthalt versäumt zu haben, sonst aber muß ich sie für ein Glück halten, das ich Gott nicht genug danken kann. Diese letzte Zeit in RomRomItalien, lieber Felix, das war eine ununterbrochene Reihe seliger Tage, voll der edelsten, höchsten Genüsse, die Menschen zu Theil werden können, und vollkommen ungetrübt. Ich kann wol mit dankbaren Herzen sagen, daß wir in fast drei Monaten in RomRomItalien kaum eine unangenehme Viertelstunde gehabt haben. Freilich war die vorhergehende Zeit desto schlimmer,vorhergehende Zeit desto schlimmer – Wilhelm Hensel war während des Romaufenthalts der Familie Hensel etwa sechs Wochen schwer erkrankt gewesen; siehe Brief gb-1840-03-07-01 Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, Rom, 7. März 1840. sie hat es aber wieder eingebracht.

|2| So schwer war es uns, uns von RomRomItalien zu trennen, daß wir nicht zwei Tage für das AlbanergebirgAlbaner GebirgeItalien erübrigen konnten, und dies schöne Stückchen Gotteswelt jetzt auf der Herreise erst gesehn haben. Einer unsrer jungen französischen Bekannten BousquetBousquet, Georges (1818-1854), Pensionair der Academie,Pensionair der Academie – Bousquet war sowohl Mitglied der Accademia Filarmonica Romana als auch der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. begleitete uns dahin, und ist 2 Tage mit uns in AlbanoAlbano LazialeItalien geblieben, die wir dazu verwendet haben, die Hauptpunkte des Gebirges zu besuchen. Am 2ten Tage waren wir fast 10 Stunden zu Esel. Bewundre Deine SchwesterHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) und Deinen NeffenHensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)! und ich habe denselben Abend noch einen herrlichen Mondscheinspaziergang mit den HerrenBousquet, Georges (1818-1854)Hensel, Wilhelm (1794-1861) gemacht. Wir hatten auch KaselowskyKaselowsky, August Theodor (1810-1891) und einige Andre aufgefordert, die Partie nach AlbanoAlbano LazialeItalien mitzumachen, sie konnten es aber ihrer Beschäftigungen wegen nicht annehmen. Den dritten Tag um Mittag fuhren wir weiter, übernachteten in TerracinaTerracinaItalien, machten am Freitag in GaetaGaetaItalien Mittag, wo es schon göttlich schön ist, und wo wir uns einige Stunden, aufhielten, in der Absicht, die Nacht in CapuaCapuaItalien zuzubringen, indessen es ging uns, wie vor RomRomItalien, der Abend war wunderschön, die Ungeduld ergriff uns, und wir fuhren noch nach NeapelNeapelItalien hinein, und in die schönste Wohnung, die wir noch auf der ganzen Reise gehabt. Der erste Tag hier war durchaus neblig, die Sonne ließ sich den ganzen Tag nicht einen Augenblick sehn. Nachmittags fuhren wir nach dem Pausilipp, und umgingen den ganzen Berg zu Fuß. Gestern war herrliches Wetter, wir schifften uns morgens ein, und fuhren, um auch von der andern Seite eine Uebersicht zu bekommen, nach der Granatiella. Bei der Rückfahrt erhob sich ziemlich starker Wind, die Wellen schlugen in den Kahn, und durchnäßten uns gänzlich, SebastianHensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898) bekam Katzenjammer und sah aus, wie ein Wischlappen, doch hielt er sich noch ohne Explosion. Heut, Pfingstmontag, war das Fest der Madonna del Arco, wovon Robert sein Bild<name key="PSN0114234" style="hidden" type="author">Robert, Louis Léopold (1794-1835)</name><name key="CRT0110533" style="hidden" type="art">La fête de la Madone de l’arc, près de Naples</name> gemalt hat. Wir waren draußen, 7 MiglienMiglien – Pl. von ital. miglio; italienisches Längenmaß. von der Stadt, nach der Seite des Vesuvs, und sahen seine Composition in tausend und abertausend Varianten, und hörten das berühmte neapolitanische Geschrei in seiner Blüthe. Von Allem was ich noch Schönes hier gesehn, ist mir unser Balcon der Liebste. Ohne Staub, mit frischer Meerluft, der Lärm nur in der Ferne, nicht störend, die herrlichste Aussicht vor Augen, so leben wir hier die ruhigsten, schönsten Nachmittage, kennen keinen Menschen, haben noch keinen Brief abgegeben, und verlangen nicht nach neuen Bekanntschaften. All diese Schönheit hält uns aber nicht ab, unsre Gedanken mit Sehnsucht nach RomRomItalien zu richten, ich versichere Dich, wenn ich unsre hiesige fürstliche Wohnung mit der unvergleichlichen Aussicht wieder mit unseren kleinen Zimmerchen in der engen via del Tritone vertauschen könnte, und dann Abends auf der Pincio gehn, und die Glühwürmer, und die ernsthafte Stadt mit den Lichtern sehn, und einen Sonnenuntergang auf San Pietro in MontorioSan Pietro in MontorioRomItalien, wie den Abend vor unsrer Abreise, ich würde mich sehr glücklich schätzen. Ach, lieben Kinder, wenn wir uns doch auf der Rückreise träfen!wenn wir uns doch auf der Rückreise träfen – Auf der Rückreise aus Italien besuchte die Familie Hensel Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Familie in Leipzig. Sie trafen sich am 6. September 1840 im Haus der Mendelssohns und verbrachten die Tage bis zum 11. September 1840 gemeinsam. Am 11. September 1840 brach Mendelssohn nach England auf und die Hensels fuhren nach Berlin; siehe Hensel, Tagebücher, S. 196. Das Herz ist mir so voll ItalienItalienItalien, daß ich mich gar zu gern mit ausplaudern möchte, ehe wir in den Hafen einlaufen.

|3| MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) schreibt mir, lieber Felix, daß das Musikfest2. Norddeutsches Musikfest (1840)SchwerinDeutschland in StrelitzStrelitz (Neustrelitz)Deutschland am 6ten Julidas Musikfest in Strelitz am 6ten Juli – Fanny Hensel irrt sich in der Ortsbezeichnung. Das 2. Norddeutsche Musikfest fand vom 6. bis 10. Juli 1840 unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy in Schwerin statt. Bei dem Fest wurde Mendelssohns Oratoriums Paulus op. 36 (MWV A 14) am 8. Juli 1840 unter seiner Leitung im Schweriner Dom aufgeführt. seyn wird. Das ist meines MannesHensel, Wilhelm (1794-1861) Geburtstag, vergiß uns nicht; wenn Du gehen wirst, und denke uns etwa in der Umgegend von NeapelNeapelItalien, aber der Abreise nah. Ich glaube nicht, daß wir uns hier länger aufhalten werden, als nöthig, um uns umzusehn, das Herz wird uns hier wol nicht so fest wachsen, als in RomRomItalien. – Es wird dem Könige von NeapelSizilien und Neapel, Ferdinand II. (1810-1859) schon weniger angenehm seyn, als uns, daß die englische Flotte hier vor Anker liegt, es ist ein prächtiger Anblick. Gestern fuhren wir mitten hindurch, um das Admiralschiff her, es war Musik auf allen Verdecken, den ganzen Tag fahren die saubern, eleganten Schaluppen mit den weiß gekleideten, reinlichen Matrosen hin und her, was ein lebendiger Contrast gegen die nackten und halbnackten Neapolitaner war. In der Villa RealeVilla RealeNeapelItalien ward gestern die Aufforderung zum Tanz gespielt. Das ist zum Trost, wenn man in unsern Bier- und Tabaksgärten lauter Bellini<name key="PSN0109794" style="hidden" type="author">Bellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801-1835)</name><name key="CRT0113045" style="hidden" type="music">Kompositionen</name> zu hören bekommt. Halte das für keine Blaspehemie, es war gestern unausstehlich in der Villa RealeVilla RealeNeapelItalien, Gedränge, Staub, dicke Luft, Cigarren und Bier, wie man es nur im ThiergartenGroßer TiergartenBerlinDeutschland verlangen kann. Man mußte sich von Zeit zu Zeit durch einen Blick auf das Meer orientiren. Hier auf unserm Balcon, da ists schön, und ich wünsche von Herzen, daß dem Lord CavendishCavendish, William George Spencer 6th Duke of Devonshire (1790-1858) das Bad in CastellamareCastellammare di StabiaItalien so vortrefflich bekommen möge, daß er vor der Hand nicht an wiederkehr denkt. Dieser Ort soll übrigens durch Engländer und elegante Welt vollkommen ungenießbar geworden seyn; und LandsbergLandsberg, Ludwig (1807-1858) pflegt auch seine petite maladie petite maladie – frz., kleine Krankheit. da. Dio mio!Dio mio – ital., mein Gott. Wir wollten uns eigentliche einige Zeit dort aufhalten, die Lust ist uns aber bei so bewandten Umständen wieder vergangen. Wir finden zu viel gute Bekannte aus RomRomItalien dort, die nicht die besten sind. Adieu, geliebten Geschwister. Lebt wohl, und grüßt und küßt die süßen KinderMendelssohn Bartholdy, Carl (seit ca. 1859: Karl) Wolfgang Paul (1838-1897)Mendelssohn Bartholdy, Marie Pauline Helene (1839-1897). Von CarlMendelssohn Bartholdy, Carl (seit ca. 1859: Karl) Wolfgang Paul (1838-1897) schreibt Mutter die allerschönsten Geschichten. Ich bitte Euch, schickt bald einen Brief an uns nach BerlinBerlinDeutschland, MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) weiß immer, wohin sie gehn sollen. Wie freue ich mich aufs Wiedersehn. Herzliche Grüße von WilhelmHensel, Wilhelm (1794-1861) und SebastianHensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898), den Ihr wol vorteilhaft verändert finden würdet, wenn ihm nur nicht grade mehrere Vorderzähne fehlten. Lebt wol

Eure Fanny
            Neapel 8ten Juni Auf dem Balcon des hotel de Rome, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von Sorrent etwas mehr rechts Capri, das Castell dell’ Uovo schließt rechts die Aussicht, viele englische Kriegsschiffe liegen im Angesicht, hunderte von Booten fahren hin und wieder. Dies ist die Aussicht, die wir nebst einem prächtigen Salon für nichts haben, denn der liebenswürdigste Engländer, den ich noch auf der ganzen Reise nicht kennen gelernt, Lord Cavendish, hat dies neben unsern Zimmern gelegene Local, während eines Badeaufenthalts in Castellamare behalten, und der eben so liebenswürdige Cameriere schließt es uns jeden Morgen auf und wir bringen unsre Nachmittage daselbst zu. Seyd also von hier aus gegrüßt liebste Geschwister, und glaubt, daß wir unser Glück doppelt genießen würden, wenn mir es mit Euch theilen könnten. Morgen sinds 8 Tage, daß wir Rom verließen, und ich versichere Dich, lieber Felix, das war ein schwer Stück Arbeit! Wenn man selbst mehr als gern bliebe, und nun von allen Seiten noch gedrängt und gequält wird, zu thun, was man wünscht, wenn jeder Tag, den man zugiebt, mit Jubel und Dank aufgenommen wird, wenn das schönste, behaglichste und interessanteste, reichste Leben in vollem Gange ist, dann mag man es wol schwer nennen, mitten drin abzubrechen, aus reiner Vernunft und Pflichtgefühl. Unter den letzten 14 Tagen waren noch zwei, die in meinem Gedächtniß mit dicken rothen Strichen angemerkt bleiben werden, der 20ste Mai, den wir mit einigen angenehmen Bekannten vom Morgen bis in die Nacht in der Villa Wolkonsky zubrachten, und der 31ste, der letzte für uns in Rom, wo wir eben so, von Kaffee bis Mitternacht in der französischen Academie, diesmal als Ingres Gäste waren. Ich habe Beide Mutter genau beschrieben, und in der Ungewißheit, ob sie Dir nicht die Briefe mitgetheilt, mag ich keine Wiederholung wagen. Diesen Brief richte ich direct nach Leipzig, da Du zum Buchdruckerfest dort seyn mußt, und er Dich, wie ich denke, um diese Zeit dort abfangen soll. Ende Juli, und im Lauf des August, laß nur in Ffurt immer genau Deinen Aufenthalt bekannt werden, damit wir bei unsrer Durchreise erfahren, was wir von einem Zusammentreffen zu hoffen, und wo wird Dich, möglichen Falls, zu suchen hätten. Ich habe hier zwei Briefe von Mutter gefunden, alle voll des Glücks, das Ihr ihnen durch Euren Besuch bereitet habt. Wenn mir etwas leid thut bei dieser Reise, so ist es, diesen Euren Aufenthalt versäumt zu haben, sonst aber muß ich sie für ein Glück halten, das ich Gott nicht genug danken kann. Diese letzte Zeit in Rom, lieber Felix, das war eine ununterbrochene Reihe seliger Tage, voll der edelsten, höchsten Genüsse, die Menschen zu Theil werden können, und vollkommen ungetrübt. Ich kann wol mit dankbaren Herzen sagen, daß wir in fast drei Monaten in Rom kaum eine unangenehme Viertelstunde gehabt haben. Freilich war die vorhergehende Zeit desto schlimmer, sie hat es aber wieder eingebracht.
 So schwer war es uns, uns von Rom zu trennen, daß wir nicht zwei Tage für das Albanergebirg erübrigen konnten, und dies schöne Stückchen Gotteswelt jetzt auf der Herreise erst gesehn haben. Einer unsrer jungen französischen Bekannten Bousquet, Pensionair der Academie, begleitete uns dahin, und ist 2 Tage mit uns in Albano geblieben, die wir dazu verwendet haben, die Hauptpunkte des Gebirges zu besuchen. Am 2ten Tage waren wir fast 10 Stunden zu Esel. Bewundre Deine Schwester und Deinen Neffen! und ich habe denselben Abend noch einen herrlichen Mondscheinspaziergang mit den Herren gemacht. Wir hatten auch Kaselowsky und einige Andre aufgefordert, die Partie nach Albano mitzumachen, sie konnten es aber ihrer Beschäftigungen wegen nicht annehmen. Den dritten Tag um Mittag fuhren wir weiter, übernachteten in Terracina, machten am Freitag in Gaeta Mittag, wo es schon göttlich schön ist, und wo wir uns einige Stunden, aufhielten, in der Absicht, die Nacht in Capua zuzubringen, indessen es ging uns, wie vor Rom, der Abend war wunderschön, die Ungeduld ergriff uns, und wir fuhren noch nach Neapel hinein, und in die schönste Wohnung, die wir noch auf der ganzen Reise gehabt. Der erste Tag hier war durchaus neblig, die Sonne ließ sich den ganzen Tag nicht einen Augenblick sehn. Nachmittags fuhren wir nach dem Pausilipp, und umgingen den ganzen Berg zu Fuß. Gestern war herrliches Wetter, wir schifften uns morgens ein, und fuhren, um auch von der andern Seite eine Uebersicht zu bekommen, nach der Granatiella. Bei der Rückfahrt erhob sich ziemlich starker Wind, die Wellen schlugen in den Kahn, und durchnäßten uns gänzlich, Sebastian bekam Katzenjammer und sah aus, wie ein Wischlappen, doch hielt er sich noch ohne Explosion. Heut, Pfingstmontag, war das Fest der Madonna del Arco, wovon Robert sein Bild gemalt hat. Wir waren draußen, 7 Miglien von der Stadt, nach der Seite des Vesuvs, und sahen seine Composition in tausend und abertausend Varianten, und hörten das berühmte neapolitanische Geschrei in seiner Blüthe. Von Allem was ich noch Schönes hier gesehn, ist mir unser Balcon der Liebste. Ohne Staub, mit frischer Meerluft, der Lärm nur in der Ferne, nicht störend, die herrlichste Aussicht vor Augen, so leben wir hier die ruhigsten, schönsten Nachmittage, kennen keinen Menschen, haben noch keinen Brief abgegeben, und verlangen nicht nach neuen Bekanntschaften. All diese Schönheit hält uns aber nicht ab, unsre Gedanken mit Sehnsucht nach Rom zu richten, ich versichere Dich, wenn ich unsre hiesige fürstliche Wohnung mit der unvergleichlichen Aussicht wieder mit unseren kleinen Zimmerchen in der engen via del Tritone vertauschen könnte, und dann Abends auf der Pincio gehn, und die Glühwürmer, und die ernsthafte Stadt mit den Lichtern sehn, und einen Sonnenuntergang auf San Pietro in Montorio, wie den Abend vor unsrer Abreise, ich würde mich sehr glücklich schätzen. Ach, lieben Kinder, wenn wir uns doch auf der Rückreise träfen! Das Herz ist mir so voll Italien, daß ich mich gar zu gern mit ausplaudern möchte, ehe wir in den Hafen einlaufen.
 Mutter schreibt mir, lieber Felix, daß das Musikfest in Strelitz am 6ten Juli seyn wird. Das ist meines Mannes Geburtstag, vergiß uns nicht; wenn Du gehen wirst, und denke uns etwa in der Umgegend von Neapel, aber der Abreise nah. Ich glaube nicht, daß wir uns hier länger aufhalten werden, als nöthig, um uns umzusehn, das Herz wird uns hier wol nicht so fest wachsen, als in Rom. – Es wird dem Könige von Neapel schon weniger angenehm seyn, als uns, daß die englische Flotte hier vor Anker liegt, es ist ein prächtiger Anblick. Gestern fuhren wir mitten hindurch, um das Admiralschiff her, es war Musik auf allen Verdecken, den ganzen Tag fahren die saubern, eleganten Schaluppen mit den weiß gekleideten, reinlichen Matrosen hin und her, was ein lebendiger Contrast gegen die nackten und halbnackten Neapolitaner war. In der Villa Reale ward gestern die Aufforderung zum Tanz gespielt. Das ist zum Trost, wenn man in unsern Bier- und Tabaksgärten lauter Bellini zu hören bekommt. Halte das für keine Blaspehemie, es war gestern unausstehlich in der Villa Reale, Gedränge, Staub, dicke Luft, Cigarren und Bier, wie man es nur im Thiergarten verlangen kann. Man mußte sich von Zeit zu Zeit durch einen Blick auf das Meer orientiren. Hier auf unserm Balcon, da ists schön, und ich wünsche von Herzen, daß dem Lord Cavendish das Bad in Castellamare so vortrefflich bekommen möge, daß er vor der Hand nicht an wiederkehr denkt. Dieser Ort soll übrigens durch Engländer und elegante Welt vollkommen ungenießbar geworden seyn; und Landsberg pflegt auch seine petite maladie da. Dio mio! Wir wollten uns eigentliche einige Zeit dort aufhalten, die Lust ist uns aber bei so bewandten Umständen wieder vergangen. Wir finden zu viel gute Bekannte aus Rom dort, die nicht die besten sind. Adieu, geliebten Geschwister. Lebt wohl, und grüßt und küßt die süßen Kinder. Von Carl schreibt Mutter die allerschönsten Geschichten. Ich bitte Euch, schickt bald einen Brief an uns nach Berlin, Mutter weiß immer, wohin sie gehn sollen. Wie freue ich mich aufs Wiedersehn. Herzliche Grüße von Wilhelm und Sebastian, den Ihr wol vorteilhaft verändert finden würdet, wenn ihm nur nicht grade mehrere Vorderzähne fehlten. Lebt wol
Eure Fanny          
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Juni 1840</title> <incipit>Auf dem Balcon des hotel de Rome, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von Sorrent etwas mehr rechts Capri, das Castell dell’ Uovo schließt</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc> <p>1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse, 3 Poststempel [AGDP?], [NAP.1840 / 9 GIU], [St. Post / 23 JUN / II.9-12], Siegel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Fanny Hensel</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl> </accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Weissweiler, Italienisches Tagebuch, S. 134-137 (Teildruck mit Textabweichungen).</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1840-06-08">8. Juni 1840</date> </creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0111893" resp="author">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0111893" resp="writer">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</persName> <placeName type="writing_place"> <settlement key="STM0100178">Neapel</settlement> <country>Italien</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place"> <settlement key="STM0100116">Leipzig</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"></revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address"> <head> <address> <addrLine> <hi n="1" rend="underline"><hi rend="latintype">Germania</hi>.</hi> </addrLine> <addrLine> <hi rend="latintype">Monsieur Félix Mendelssohn Bartholdy</hi> </addrLine> <addrLine> <unclear reason="covering" resp="FMBC"> <hi rend="latintype">à</hi> </unclear> </addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">Leipzig</hi>.</addrLine> <addrLine><hi rend="latintype"><hi n="1" rend="underline">affranchie</hi></hi>.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing"> <docAuthor key="PSN0111893" resp="author" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0111893" resp="writer" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</docAuthor> <dateline rend="right">Neapel <date cert="high" when="1840-06-08">8ten Juni</date></dateline> <p style="paragraph_without_indent">Auf dem Balcon des <placeName xml:id="placeName_dc688541-34ea-42f7-9f69-2c21de856af6"><hi rend="latintype">hotel de Rome</hi><name key="NST0105190" style="hidden" subtype="" type="institution">Villa di Roma (Hotel)</name><settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, der vom Meer bespült wird. Links der Vesuv, aus dem ein leichtes Wölkchen aufsteigt, gegenüber die Küste von <placeName xml:id="placeName_41c84d80-50ed-4bb7-88db-00554f2a3433">Sorrent<settlement key="STM0105192" style="hidden" type="locality">Sorrent</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> etwas mehr rechts <placeName xml:id="placeName_28582b72-e2db-44cc-9229-a02587600932">Capri<settlement key="STM0105189" style="hidden" type="region">Capri</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, das <placeName xml:id="placeName_9402782f-8af4-48e1-840f-0fb9599ce839">Castell <hi rend="latintype">dell’ Uovo</hi><name key="SGH0105191" style="hidden" subtype="" type="sight">Castel dell’Ovo</name><settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> schließt rechts die Aussicht, viele englische Kriegsschiffe liegen im Angesicht, hunderte von Booten fahren hin und wieder. Dies ist die Aussicht, die wir nebst einem prächtigen Salon für nichts haben, denn der liebenswürdigste Engländer, den ich noch auf der ganzen Reise <hi n="1" rend="underline">nicht</hi> kennen gelernt, <persName xml:id="persName_65e079fc-cad9-440c-91b8-4dcce2483b5a"><hi rend="latintype">Lord Cavendish</hi><name key="PSN0110331" style="hidden" type="person">Cavendish, William George Spencer 6th Duke of Devonshire (1790-1858)</name></persName>, hat dies neben unsern Zimmern gelegene <hi rend="latintype">Local</hi>, während eines Badeaufenthalts in <placeName xml:id="placeName_40c47e17-6b90-4239-983d-f283b3f3a226"><hi rend="latintype">Castellamare</hi><settlement key="STM0104738" style="hidden" type="locality">Castellammare di Stabia</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> behalten, und der eben so liebenswürdige <hi rend="latintype">Cameriere</hi> schließt es uns jeden Morgen auf und wir bringen unsre Nachmittage daselbst zu. Seyd also von hier aus gegrüßt liebste Geschwister, und glaubt, daß wir unser Glück doppelt genießen würden, wenn mir es mit Euch theilen könnten. <date cert="high" when="1840-06-09">Morgen</date> sinds 8 Tage, daß wir <placeName xml:id="placeName_f15901cc-4ecf-46ac-b47b-e3e9dbd7461f">Rom<settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> verließen, und ich versichere Dich, lieber Felix, das war ein schwer Stück Arbeit! Wenn man selbst mehr als gern bliebe, und nun von allen Seiten noch gedrängt und gequält wird, zu thun, was man wünscht, wenn jeder Tag, den man zugiebt, mit Jubel und Dank aufgenommen wird, wenn das schönste, behaglichste und interessanteste, reichste Leben in vollem Gange ist, dann mag man es wol schwer nennen, mitten drin abzubrechen, aus reiner Vernunft und Pflichtgefühl. Unter den <date cert="high" from="1840-05-19" to="1840-06-02">letzten 14 Tagen</date> waren noch zwei, die in meinem Gedächtniß mit dicken rothen Strichen angemerkt bleiben werden, der <date cert="high" when="1840-05-20">20ste Mai</date>, den wir mit einigen angenehmen Bekannten vom Morgen bis in die Nacht in der <placeName xml:id="placeName_b3c6dca8-f3b9-48e0-8fb5-489d9382d0c5"><hi rend="latintype">Villa Wolkonsky</hi><name key="SGH0105188" style="hidden" subtype="" type="sight">Villa Wolkonsky</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> zubrachten, und der <date cert="high" when="1840-05-31">31ste</date>, der <gap quantity="1" reason="deletion" unit="words"></gap> <unclear reason="covering" resp="FMBC">letzte</unclear> für uns in <placeName xml:id="placeName_8dd84783-ee40-498c-b261-31559d25e40e"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, wo wir eben so, von Kaffee bis Mitternacht in der <placeName xml:id="placeName_53312ad5-aea8-4578-9c02-e8988990cd1d">französischen Academie<name key="NST0100284" style="hidden" subtype="" type="institution">Académie française (Académie de France à Rome)</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, diesmal als <persName xml:id="persName_b6f73432-7263-41a9-a20b-a00aa96d2547"><hi rend="latintype">Ingres</hi><name key="PSN0117133" style="hidden" type="person">Ingres, Jean-Auguste-Dominique (1780-1867)</name></persName> Gäste waren. Ich habe Beide <persName xml:id="persName_fde5ff2e-2cb1-4d26-a34f-2349b9385282">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> genau beschrieben,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c82f5c3a-cca1-44b6-b231-c61a55bf46d0" xml:lang="de">Ich habe Beide Mutter genau beschrieben – Fanny berichtete ihrer Mutter im Briefteil vom 3. Juni 1840 über die Tage in Rom; siehe Fanny Hensel am 3. und 4. Juni 1840 an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Albano, 3. und 4. Juni 1840 (D-B, Musikabteilung, MA Depos. Berlin 500,18,162. Druck: Klein, Briefe aus Rom, S. 107-110, hier S. 107 f.).</note> und in der Ungewißheit, ob sie Dir nicht die Briefe mitgetheilt, mag ich keine Wiederholung wagen. Diesen Brief richte ich direct nach Leipzig, da Du zum <placeName xml:id="placeName_e76a7838-bc91-480b-9378-2bc0a3841ba3">Buchdruckerfest<name key="NST0103712" style="hidden" subtype="" type="institution">400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst 1840</name><settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> dort seyn mußt,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c2a5ec20-bd45-4d1d-8b68-3c3668a5ef76" xml:lang="de">da Du zum Buchdruckerfest dort seyn mußt – Vom 24. bis 26. Juni 1840 fand in Leipzig die 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst (»Gutenbergfest«) statt. Zu diesem Anlass komponierte Felix Mendelssohn Bartholdy sowohl den Festgesang (»Gutenberg-Kantate«) MWV D 4 als auch die Sinfonie-Kantate Lobgesang op. 52 (MWV A 18). Beide wurden bei der Feier uraufgeführt: am 24. Juni 1840 der Festgesang MWV D 4 und am 25. Juni der Lobgesang op. 52; siehe Brief fmb-1840-06-22-01 (Brief Nr. 2746) Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 22. Juni 1840, Z. 31-38.</note> und er Dich, wie ich denke, um diese Zeit dort abfangen soll. <date cert="high" notAfter="1840-07-31" notBefore="1840-07-25">Ende Juli</date>, und im <date cert="high" notAfter="1840-08-30" notBefore="1840-08-01">Lauf des August</date>, laß nur in <persName xml:id="persName_e8d584ed-dc2f-4244-be77-237266259450">Ffurt<name key="PSN0112220" style="hidden" type="person">Jeanrenaud, Familie von → Elisabeth Wilhelmine J.</name></persName> immer genau Deinen Aufenthalt bekannt werden, damit wir bei unsrer Durchreise erfahren, was wir von einem Zusammentreffen zu hoffen, und wo wird Dich, möglichen Falls, zu suchen hätten. Ich habe hier zwei Briefe von Mutter gefunden,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_a718a9e8-5579-4146-83c9-a22ea90fc292" xml:lang="de">zwei Briefe von Mutter gefunden – Vermutlich sind folgende Briefe gemeint: Lea Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel in Neapel, Berlin 6. Mai 1840 und Lea Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel in Neapel, Berlin 19. Mai 1840 (D-B, Musikabteilung, MA Depos. 3,3,64 und 65).</note> alle voll des Glücks, das Ihr ihnen durch Euren Besuch<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_6bdaefdf-17a3-4003-bfe8-9e6dd501e1b4" xml:lang="de">Euren Besuch – Felix Mendelssohn Bartholdy traf mit seiner Familie am 11. April 1840, dem Geburtstag von Rebecka Lejeune Dirichlet, in Berlin ein; siehe Brief fmb-1840-04-08-01 (Brief Nr. 2702) Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 8. April 1840. Am 19. Mai 1840 waren sie zurück in Leipzig; siehe Brief fmb-1840-05-21-01 (Brief Nr. 2727) Cécile Mendelssohn Bartholdy und Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Leipzig, 21. Mai 1840, Z. 3.</note> bereitet habt. Wenn mir etwas leid thut bei dieser Reise, so ist es, diesen Euren Aufenthalt versäumt zu haben, sonst aber muß ich sie für ein Glück halten, das ich Gott nicht genug danken kann. Diese letzte Zeit in <placeName xml:id="placeName_b05eca87-d531-4aa4-9f0b-eb797bce4037"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, lieber Felix, das war eine ununterbrochene Reihe seliger Tage, voll der edelsten, höchsten Genüsse, die Menschen zu Theil werden können, und vollkommen ungetrübt. Ich kann wol mit dankbaren Herzen sagen, daß wir in <date cert="high" notAfter="1840-06-02" notBefore="1840-03-01">fast drei Monaten</date> in <placeName xml:id="placeName_7359a91a-ae83-47c3-8dac-7397bbf2a35b"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> kaum eine unangenehme Viertelstunde gehabt haben. Freilich war die vorhergehende Zeit desto schlimmer,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_56e16e9b-9fc1-453c-8a3f-7c06c48773d1" xml:lang="de">vorhergehende Zeit desto schlimmer – Wilhelm Hensel war während des Romaufenthalts der Familie Hensel etwa sechs Wochen schwer erkrankt gewesen; siehe Brief gb-1840-03-07-01 Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, Rom, 7. März 1840.</note> sie hat es aber wieder eingebracht.</p> <p style="paragraph"><seg type="pagebreak">|2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> So schwer war es uns, uns von <placeName xml:id="placeName_bab6b54d-81df-4130-aaff-2f68de2693c1"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> zu trennen, daß wir nicht zwei Tage für das <placeName xml:id="placeName_3814e93d-77ad-4f64-b770-e0fe5095c6ac">Albanergebirg<settlement key="STM0105291" style="hidden" type="locality">Albaner Gebirge</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> erübrigen konnten, und dies schöne Stückchen Gotteswelt jetzt auf der Herreise erst gesehn haben. Einer unsrer jungen französischen Bekannten <persName xml:id="persName_053f881d-7d00-4e8c-8c2a-a1601054181e"><hi rend="latintype">Bousquet</hi><name key="PSN0110061" style="hidden" type="person">Bousquet, Georges (1818-1854)</name></persName>, Pensionair der Academie,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_24f65f6e-5721-41da-baf0-54d406a7f171" xml:lang="de">Pensionair der Academie – Bousquet war sowohl Mitglied der Accademia Filarmonica Romana als auch der Accademia Nazionale di Santa Cecilia.</note> begleitete uns dahin, und ist <date cert="high" when-custom="1840-06-02 and 1840-06-03 and JJJJ-MM-TT">2 Tage</date> mit uns in <placeName xml:id="placeName_dbb9c32b-fec3-4cb6-b8d7-d53804c03160">Albano<settlement key="STM0104866" style="hidden" type="locality">Albano Laziale</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> geblieben, die wir dazu verwendet haben, die Hauptpunkte des Gebirges zu besuchen. Am <date cert="high" when="1840-06-03">2ten Tage</date> waren wir fast 10 Stunden zu Esel. Bewundre <persName xml:id="persName_dfe3071d-5fbc-4580-bec3-e6fbc57bbf1c">Deine Schwester<name key="PSN0111893" style="hidden" type="person">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> und <persName xml:id="persName_4741c2c3-f83f-4e66-8028-e28de5e7f59c">Deinen Neffen<name key="PSN0111898" style="hidden" type="person">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName>! und ich habe denselben Abend noch einen herrlichen Mondscheinspaziergang mit <persName xml:id="persName_25dfd6ea-3c21-44a9-a386-afe3bfd24d59">den Herren<name key="PSN0110061" style="hidden" type="person">Bousquet, Georges (1818-1854)</name><name key="PSN0111899" style="hidden" type="person">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name></persName> gemacht. Wir hatten auch <persName xml:id="persName_d20093ec-48b0-40b1-b652-aade4c0b343e">Kaselowsky<name key="PSN0112320" style="hidden" type="person">Kaselowsky, August Theodor (1810-1891)</name></persName> und einige Andre aufgefordert, die Partie nach <placeName xml:id="placeName_91694550-7a15-49ed-a555-c5863353a0c4">Albano<settlement key="STM0104866" style="hidden" type="locality">Albano Laziale</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> mitzumachen, sie konnten es aber ihrer Beschäftigungen wegen nicht annehmen. <date cert="high" when="1840-06-04">Den dritten Tag</date> um Mittag fuhren wir weiter, übernachteten in <placeName xml:id="placeName_c55ba7c7-df1a-4aeb-a9a1-d839e2c2f00e"><hi rend="latintype">Terracina</hi><settlement key="STM0105185" style="hidden" type="locality">Terracina</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, machten am <date cert="high" when="1840-06-05">Freitag</date> in <placeName xml:id="placeName_588a40b3-8d10-4343-b0fd-3b89538f56d2">Gaeta<settlement key="STM0105186" style="hidden" type="locality">Gaeta</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> Mittag, wo es schon göttlich schön ist, und wo wir uns einige Stunden, aufhielten, in der Absicht, die Nacht in <placeName xml:id="placeName_bf8679fa-2e9a-40a0-81b9-f83fb84c6b7f">Capua<settlement key="STM0105187" style="hidden" type="locality">Capua</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> zuzubringen, indessen es ging uns, wie vor <placeName xml:id="placeName_e064cf66-060f-41ea-8ccb-8b51a8df12b5"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, der Abend war wunderschön, die Ungeduld ergriff uns, und wir fuhren noch nach <placeName xml:id="placeName_ff61e778-e63a-4c06-ae3d-3aaebc922720">Neapel<settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> hinein, und in die schönste Wohnung, die wir noch auf der ganzen Reise gehabt. <date cert="high" when="1840-06-06">Der erste Tag</date> hier war durchaus neblig, die Sonne ließ sich den ganzen Tag nicht einen Augenblick sehn. Nachmittags fuhren wir nach dem Pausilipp, und umgingen den ganzen Berg zu Fuß. <date cert="high" when="1840-06-07">Gestern</date> war herrliches Wetter, wir schifften uns morgens ein, und fuhren, um auch von der andern Seite eine Uebersicht zu bekommen, nach der <hi rend="latintype">Granatiella</hi>. Bei der Rückfahrt erhob sich ziemlich starker Wind, die Wellen schlugen in den Kahn, und durchnäßten uns gänzlich, <persName xml:id="persName_f0f74fdf-31de-4611-9d02-8c1c6e99614f">Sebastian<name key="PSN0111898" style="hidden" type="person">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName> bekam Katzenjammer und sah aus, wie ein Wischlappen, doch hielt er sich noch ohne Explosion. <date cert="high" when="1840-06-08">Heut</date>, Pfingstmontag, war das Fest der Madonna <hi rend="latintype">del Arco</hi>, wovon <title xml:id="title_f9de4204-e486-4557-a225-0996dbda95ee">Robert sein Bild<name key="PSN0114234" style="hidden" type="author">Robert, Louis Léopold (1794-1835)</name><name key="CRT0110533" style="hidden" type="art">La fête de la Madone de l’arc, près de Naples</name></title> gemalt hat. Wir waren draußen, 7 Miglien<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_098febeb-3aa5-44ca-bb2f-4fe60ca63cfc" xml:lang="de">Miglien – Pl. von ital. miglio; italienisches Längenmaß.</note> von der Stadt, nach der Seite des Vesuvs, und sahen seine Composition in tausend und abertausend Varianten, und hörten das berühmte neapolitanische Geschrei in seiner Blüthe. Von Allem was ich noch Schönes hier gesehn, ist mir unser Balcon der Liebste. Ohne Staub, mit frischer Meerluft, der Lärm nur in der Ferne, nicht störend, die herrlichste Aussicht vor Augen, so leben wir hier die ruhigsten, schönsten Nachmittage, kennen keinen Menschen, haben noch keinen Brief abgegeben, und verlangen nicht nach neuen Bekanntschaften. All diese Schönheit hält uns aber nicht ab, unsre Gedanken mit Sehnsucht nach <placeName xml:id="placeName_0bb72428-e4ab-4e60-a9f5-d7e08e43eec8"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> zu richten, ich versichere Dich, wenn ich unsre hiesige fürstliche Wohnung mit der unvergleichlichen Aussicht wieder mit unseren kleinen Zimmerchen in der engen <hi rend="latintype">via del Tritone</hi> vertauschen könnte, und dann Abends auf der <hi rend="latintype">Pincio</hi> gehn, und die Glühwürmer, und die ernsthafte Stadt mit den Lichtern sehn, und einen Sonnenuntergang auf <placeName xml:id="placeName_424c1382-bd2d-430a-aee5-f6bb7dfa826d"><hi rend="latintype">San Pietro in Montorio</hi><name key="SGH0105193" style="hidden" subtype="" type="sight">San Pietro in Montorio</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, wie den <date cert="high" when="1840-06-01" xml:id="date_cdb852e8-92f2-4ac4-9849-46a92c84b557">Abend vor unsrer Abreise</date>, ich würde mich sehr glücklich schätzen. Ach, lieben Kinder, wenn wir uns doch auf der Rückreise träfen!<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d4ba77e6-bbcc-48e9-9429-f24bf950b14f" xml:lang="de">wenn wir uns doch auf der Rückreise träfen – Auf der Rückreise aus Italien besuchte die Familie Hensel Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Familie in Leipzig. Sie trafen sich am 6. September 1840 im Haus der Mendelssohns und verbrachten die Tage bis zum 11. September 1840 gemeinsam. Am 11. September 1840 brach Mendelssohn nach England auf und die Hensels fuhren nach Berlin; siehe Hensel, Tagebücher, S. 196.</note> Das Herz ist mir so voll <placeName xml:id="placeName_6c58c5b5-171d-4c5f-8af0-86e279db1224">Italien<settlement key="STM0104792" style="hidden" type="area">Italien</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, daß ich mich gar zu gern mit ausplaudern möchte, ehe wir in den Hafen einlaufen.</p> <p style="paragraph"><seg type="pagebreak">|3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> <persName xml:id="persName_d6289671-02d3-4dd5-987a-e314f13edad4">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> schreibt mir, lieber Felix, da<unclear reason="seal_tear-off" resp="FMBC">ß das <placeName xml:id="placeName_ac3b7d34-1aa2-4bb9-89c1-04aeae7a0475"><unclear reason="seal_tear-off" resp="FMBC">M</unclear>usikfest<name key="NST0103815" style="hidden" subtype="" type="institution">2. Norddeutsches Musikfest (1840)</name><settlement key="STM0103812" style="hidden" type="locality">Schwerin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName></unclear> in <placeName xml:id="placeName_31119159-76be-40eb-a3fd-999a84c6ec81">Strelitz<settlement key="STM0103469" style="hidden" type="locality">Strelitz (Neustrelitz)</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> am <date cert="high" when="1840-07-06" xml:id="date_06582f28-9e1f-414d-a824-4b151d7f6367">6ten Juli</date><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_e0da1ae9-8da0-4792-9273-882d6e168fce" xml:lang="de">das Musikfest in Strelitz am 6ten Juli – Fanny Hensel irrt sich in der Ortsbezeichnung. Das 2. Norddeutsche Musikfest fand vom 6. bis 10. Juli 1840 unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy in Schwerin statt. Bei dem Fest wurde Mendelssohns Oratoriums Paulus op. 36 (MWV A 14) am 8. Juli 1840 unter seiner Leitung im Schweriner Dom aufgeführt.</note> seyn wird. Das ist <persName xml:id="persName_666e2dfe-e53c-4921-98ab-c16f5cc84d07">meines Mannes<name key="PSN0111899" style="hidden" type="person">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name></persName> Gebu<unclear reason="seal_tear-off" resp="FMBC">rtsta</unclear>g, vergiß uns nicht; wenn Du gehen wirst, und denke uns etwa in der Umgegend von <placeName xml:id="placeName_e1b8fccf-ffad-49dd-9290-52708cddc6ac">Neapel<settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, aber der Abreise nah. Ich glaube nicht, daß wir uns hier länger aufhalten werden, als nöthig, um uns umzusehn, das Herz wird uns hier wol nicht so fest wachsen, als in <placeName xml:id="placeName_11fb2474-d685-4e7a-95be-a0fbbae6a3ca"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>. – Es wird dem <persName xml:id="persName_056467e8-81eb-4fce-a2fa-d3bac5604cbe">Könige von Neapel<name key="PSN0114942" style="hidden" type="person">Sizilien und Neapel, Ferdinand II. (1810-1859)</name></persName> schon weniger angenehm seyn, als uns, daß die englische Flotte hier vor Anker liegt, es ist ein prächtiger Anblick. <date cert="high" when="1840-06-07">Gestern</date> fuhren wir mitten hindurch, um das Admiralschiff her, es war Musik auf allen Verdecken, den ganzen Tag fahren die saubern, eleganten Schaluppen mit den weiß gekleideten, reinlichen Matrosen hin und her, was ein lebendiger Contrast gegen die nackten und halbnackten Neapolitaner war. In der <placeName xml:id="placeName_5770975a-7b62-45c4-84cd-15f9060f65cb"><hi rend="latintype">Villa Reale</hi><name key="SGH0105292" style="hidden" subtype="" type="sight">Villa Reale</name><settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> ward <date cert="high" when="1840-06-07" xml:id="date_1142b67a-70b9-476b-9ff4-bcae0c288e3f">gestern</date> die Aufforderung zum Tanz gespielt. Das ist zum Trost, wenn man in unsern Bier- und Tabaksgärten lauter <hi rend="latintype"><title xml:id="title_1b39e3a9-c400-49dd-87da-b75547844ae8">Bellini<name key="PSN0109794" style="hidden" type="author">Bellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801-1835)</name><name key="CRT0113045" style="hidden" type="music">Kompositionen</name></title></hi> zu hören bekommt. Halte das für keine Blaspehemie, es war <date cert="high" when="1840-06-07" xml:id="date_ddd3934b-0e65-4767-ad76-4c2497aa2995">gestern</date> unausstehlich in der <placeName xml:id="placeName_373f0ea3-7595-42e2-81aa-4a19d9a2f090"><hi rend="latintype">Villa</hi> Reale<name key="SGH0105292" style="hidden" subtype="" type="sight">Villa Reale</name><settlement key="STM0100178" style="hidden" type="locality">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, Gedränge, Staub, dicke Luft, Cigarren und Bier, wie man es nur im <placeName xml:id="placeName_7c8574e3-1624-432a-830f-812e68bacce1">Thiergarten<name key="SGH0100503" style="hidden" subtype="" type="sight">Großer Tiergarten</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> verlangen kann. Man mußte sich von Zeit zu Zeit durch einen Blick auf das Meer orientiren. Hier auf unserm Balcon, da ists schön, und ich wünsche von Herzen, daß dem <persName xml:id="persName_d6b01fb8-7f1f-4c20-bef8-a67df8a6f3c6"><hi rend="latintype">Lord Cavendish</hi><name key="PSN0110331" style="hidden" type="person">Cavendish, William George Spencer 6th Duke of Devonshire (1790-1858)</name></persName> das Bad in <placeName xml:id="placeName_19210efd-8951-4a04-8e60-4bbb03d8abb3"><hi rend="latintype">Castellamare</hi><settlement key="STM0104738" style="hidden" type="locality">Castellammare di Stabia</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> so vortrefflich bekommen möge, daß er vor der Hand nicht an wiederkehr denkt. Dieser Ort soll übrigens durch Engländer und elegante Welt vollkommen ungenießbar geworden seyn; und <persName xml:id="persName_820ec523-1df7-4de6-acda-2135740ceba5">Landsberg<name key="PSN0112666" style="hidden" type="person">Landsberg, Ludwig (1807-1858)</name></persName> pflegt auch seine <hi rend="latintype"><foreign xml:id="foreign_9f4d6d3b-95bc-41ea-81bc-b58a6a574bb4" xml:lang="fr">petite maladie</foreign></hi> <note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_8407c7a7-6247-4183-8bb4-cb2f87fc2fc0" xml:lang="de">petite maladie – frz., kleine Krankheit.</note> da. <foreign xml:id="foreign_a849a376-6695-4b71-b8b2-bc0a2980173d" xml:lang="it"><hi rend="latintype">Dio mio</hi></foreign>!<note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_df40e2d9-380c-4856-8b56-b0dad967696e" xml:lang="de">Dio mio – ital., mein Gott.</note> Wir wollten uns eigentliche einige Zeit dort aufhalten, die Lust ist uns aber bei so bewandten Umständen wieder vergangen. Wir finden zu viel gute Bekannte aus <placeName xml:id="placeName_3ae97b8f-592b-4170-99bf-3d1e0bd61e32"><hi rend="latintype">Rom</hi><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="locality">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> dort, die nicht die besten sind. <seg type="closer">Adieu, geliebten Geschwister. Lebt wohl, und grüßt und küßt die süßen <persName xml:id="persName_906277f7-84ba-476a-b01e-2afff010470f">Kinder<name key="PSN0113251" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Carl (seit ca. 1859: Karl) Wolfgang Paul (1838-1897)</name><name key="PSN0113261" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Marie Pauline Helene (1839-1897)</name></persName>. Von <persName xml:id="persName_ca982571-4510-4e3f-b271-de5983a8165e"><hi rend="latintype">Carl</hi><name key="PSN0113251" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Carl (seit ca. 1859: Karl) Wolfgang Paul (1838-1897)</name></persName> schreibt Mutter die allerschönsten Geschichten. Ich bitte Euch, schickt bald einen Brief an uns nach <placeName xml:id="placeName_2f78c092-8783-459f-b643-8c8f55bf5434">Berlin<settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, <persName xml:id="persName_78beaa2a-8544-4dbf-8db4-33107c3fd3d5">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> weiß immer, wohin sie gehn sollen. Wie freue ich mich aufs Wiedersehn. Herzliche Grüße von <persName xml:id="persName_4cd5bea8-0936-40dd-9def-738d3e4eabcb">Wilhelm<name key="PSN0111899" style="hidden" type="person">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name></persName> und <persName xml:id="persName_bd43ba6f-700a-4be8-a95f-670db3d14d5b">Sebastian<name key="PSN0111898" style="hidden" type="person">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName>, den Ihr wol vorteilhaft verändert finden würdet, wenn ihm nur nicht grade mehrere Vorderzähne fehlten. Lebt wol</seg></p> <signed rend="right">Eure Fanny</signed> </div> </body> </text></TEI>