gb-1839-12-31-12
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Leipzig, zwischen Anfang März und Ende Dezember 1839
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4. Briefbeginn möglicherweise unvollständig. – Datierung: Laut Zeitangabe des Schreibers, dass er »im Monate Märtz d. Jahres 1839 wenigstens schon über ½ Jahr angestellter Officiant der Thomasschule« zu sein gehofft hatte, fand Wienands erste, gleichwohl erfolglose mündliche Anfrage bei Mendelssohn vermutlich im Februar 1839 statt. Die zweite nunmehr schriftliche Anfrage kann demzufolge nur im Zeitraum von März bis Dezember 1839 stattgefunden haben.
Ernst Volkmar Wienand.
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Das Herz zerreißt es mir, wenn ich die Briefe lese in denen mir die Mutter die große Noth schildert, die seit einiger Zeit in unserem Hause herrschend geworden ist; wie konnte ich es da wohl noch über mich gewinnen, selbst für das Nöthigste, als Kleider, Schuhe, Bücher, Wäsche ec: Geld zu verlangen. Ich habe nie etwas verlangt, so hart mich auch die Noth gedrängt hat. Mit allem Eifer habe ich mich im Gegentheil bestrebt, mein Fortkommen mir selbst zu sichern; ich glaubte es sey so leicht , mir das Nöthigste zu schaffen, darum wollte ich Stunden geben, aber, leider, bekam ich keine Scholaren; dennoch rastete ich nicht nach Verdienst zu suchen, und so gelang es mir endlich durch Repetitions-Stunden mit Andern 4 gr allwöchentlich zu schaffen. Dieß ist nun meine Einnahme, das ist das wovon ich alles bestreiten soll was mir nöthige Kleinigkeiten die Schule nicht bietet. – Wenn ich nun aber mit diesem Gelde kaum die geringsten Ausgaben decken kann, wo soll ich hernehmen um für die größte zu sorgen? – Bald wären ja alle meine Kleider, meine Schuhe, meine Wäsche veraltet, ich bedurfte neuer Stücke, was blieb mir wohl übrig, als zu borgen? Willig liehen mir Schuhmacher und Schneider; bald war aber die festgesetzte Zeit abgelaufen und sieh! – Ich konnte nicht bezahlen. Ungern wurden die Termine hinausgeschoben, die aber eben sobald zurückkehrten als die früheren. Ich sah mich nun genöthigt, von Bekannten und Freunden zu leihen, doch auch sie wollten bald bezahlt sein, und ich borgte von Neuem überall wo ich bekommen konnte, wobei ich mir allemal mehr geben lies als ich gegenwärtig brauchte, weil gewöhnlich immer noch eine andere Noth daneben Geld erheischte. So häufte ich nun Schuld auf Schuld, bis ich mich endlich in der unseligen Lage, in der ich mich gegenwärtig befinde, und welcher mich nur eine Hilfreich unterstützende Hand herausziehen kann. – Fürwahr ein trauriges Loos ist es, bei Schuldenlast den Stunden huldigen zu wollen.
Mir ist es nicht mehr wie sonst vergönnt, mich einem Autor mit der Gewißheit hingeben zu können, daß ich ihn, nachdem ich mich eingelesen, sorgenfrei und ungestört 1/2Officiant der
Darum bin auch nun wiederum zu Ihnen gekommen, wenn auch in einer anderen Form. Ich habe meine Bitte schriftlich dargestellt, in der Meinung, hierdurch nicht so ganz und gar lästig als das Erstemal zu stören; ich habe Sie daneben mit meinen Verhältnißen so genau als möglich bekannt zu machen gesucht, und allen diesen meinen Aussagen nun, vom H. Rector
Doch nun schließlich noch eine Bitte: Werden Sie mir es wohl verzeihen, wenn ich, da ich nun einmal schon so viel gewagt, mir auch noch diese Freiheit nehme, Tags nach Empfang dieses Briefs, bei Ihnen persönlich einzutreten, um mir von Ihnen diese entscheidende Antwort zu holen, auf die ich mit so lebhaften Verlangen harre? – So empfehle ich mich denn Ihnen, in der Hoffnung daß Sie einem jugendlichem Gemüthe, welches nur zu oft und fast unwillkührlich zu frei und
discpl. Sch. Th. Lip.
Das Herz zerreißt es mir, wenn ich die Briefe lese in denen mir die Mutter die große Noth schildert, die seit einiger Zeit in unserem Hause herrschend geworden ist; wie konnte ich es da wohl noch über mich gewinnen, selbst für das Nöthigste, als Kleider, Schuhe, Bücher, Wäsche ec: Geld zu verlangen. Ich habe nie etwas verlangt, so hart mich auch die Noth gedrängt hat. Mit allem Eifer habe ich mich im Gegentheil bestrebt, mein Fortkommen mir selbst zu sichern; ich glaubte es sey so leicht, mir das Nöthigste zu schaffen, darum wollte ich Stunden geben, aber, leider, bekam ich keine Scholaren; dennoch rastete ich nicht nach Verdienst zu suchen, und so gelang es mir endlich durch Repetitions-Stunden mit Andern 4 gr allwöchentlich zu schaffen. Dieß ist nun meine Einnahme, das ist das wovon ich alles bestreiten soll was mir nöthige Kleinigkeiten die Schule nicht bietet. – Wenn ich nun aber mit diesem Gelde kaum die geringsten Ausgaben decken kann, wo soll ich hernehmen um für die größte zu sorgen? – Bald wären ja alle meine Kleider, meine Schuhe, meine Wäsche veraltet, ich bedurfte neuer Stücke, was blieb mir wohl übrig, als zu borgen? Willig liehen mir Schuhmacher und Schneider; bald war aber die festgesetzte Zeit abgelaufen und sieh! – Ich konnte nicht bezahlen. Ungern wurden die Termine hinausgeschoben, die aber eben sobald zurückkehrten als die früheren. Ich sah mich nun genöthigt, von Bekannten und Freunden zu leihen, doch auch sie wollten bald bezahlt sein, und ich borgte von Neuem überall wo ich bekommen konnte, wobei ich mir allemal mehr geben lies als ich gegenwärtig brauchte, weil gewöhnlich immer noch eine andere Noth daneben Geld erheischte. So häufte ich nun Schuld auf Schuld, bis ich mich endlich in der unseligen Lage, in der ich mich gegenwärtig befinde, und welcher mich nur eine Hilfreich unterstützende Hand herausziehen kann. – Fürwahr ein trauriges Loos ist es, bei Schuldenlast den Stunden huldigen zu wollen. Mir ist es nicht mehr wie sonst vergönnt, mich einem Autor mit der Gewißheit hingeben zu können, daß ich ihn, nachdem ich mich eingelesen, sorgenfrei und ungestört vollenden werde, und alle meine Stunden dem Studium dieses Buches nach Belieben widmen dürfe, da mich ja keine Einmischung von lästigen sachlichen Geschäften hievon abhält. Dieser Sorglosigkeit durfte ich mich immer erfreuen, jetzt ist mir es nicht mehr erlaubt; und – wenige Stunden des Tags sind mir fürs Studium zu Theil, den größten Theil des Tages muß ich umherlaufen und suchen wo ich Geld auftreiben kann um die leidigen Gläubiger stillen zu können; nun muß ich fast immer Briefe schreiben, um diesen oder jenen drückenden Geldfeind zu trösten, zu beschwichtigen; oder ich muß persönlich zu Schuhmacher und Schneider laufen und diese bitten, mit mir es doch nicht so genau zu nehmen, wobei ich nie unterlaßen darf, wenn ich nur irgend einiges Mitleid ermuntern und die Leute zur Verlängerung meiner Termine bewegen will, auch dieser nur zu oft gefühllosen Welt meine Verhältniße vorzustellen. So groß auch meine Freude ist, wenn ich diese Leute dahin gebracht habe, so kurtz ist sie doch denn von Neuem ist die Zeit abgelaufen, die Leute wollen bezahlt sein, sie drängen unausstehlich, während mir auch nicht die geringste Quelle offen steht, und alle Stränge meines irgend noch günstigen Schicksals plötzlich gerißen zu sein scheinen. – Bin ich nun wohl zu verdammen, wenn ich den Weg einschlage, den ich eben schon eingeschlagen habe? Mir bleibt nichts anderes übrig als einen Wohlthäter zu suchen. O! daß Sie es doch nicht für dreiste Zudringlichkeit deuten mögen, denn nur die Hoffnung, allzu lebhafte Hoffnung war es, die mich kühn machte, von Ihnen mir eine hilfreiche Unterstützung zu erflehen! – Ein ganz besonderes Vertrauen auf Ihre Güte führte mich in meiner Noth abermals zu Ihnen. Denn waren Sie es nicht, der Sie mir Unterstützung versprachen, wenn Sie nur nähere Kenntniß von meiner Lage hätten? – Wohl konnte ich es Ihnen damals nicht verdenken, daß Sie mit Ihrer Güte zauderten; denn fremd stand ich vor Ihnen, und sträubte mich, als man mir eröffnete, ich solle wieder kommen, wenn man sich Kundschaft über meine Verhältniße eingezogen hätte. – Fast weiß ich selbst nicht, warum ich diese Bedingung ausschlug; es wäre auch zu langweilig die Gründe hiezu anzugeben, soviel ist aber gewiß daß der Hauptgrund der war, ich hatte mich auf diese Antwort nicht vorbereitet und war damals noch kindisch genug, bei einer so wichtigen Sache üble Folgen mir zu bringen schien dennoch muß ich gestehen, daß ich mich gegenwärtig freue, Ihr Schuldner nicht geworden zu sein, denn sicher stünde ich jetzt ehrlos vor Ihnen, da ich Ihnen die Summe, die ich von Ihnen leihen wollte, ohne Zweifel noch schuldig seyn müßte. Ich konnte es nicht voraus sehen, daß mich das Schicksal in Allem so täuschen würde, ich hoffte damals ganz gewiß, und hatte in der That auch gute Aussichten, das Geld zur gehörigen Zeit abtragen zu können, weil ich meinte, im Monate Märtz d. Jahres 1839 wenigstens schon über 1/2 Jahr angestellter Officiant der Thomasschule zu sein. Aber es schlug fehl; mittelloser als damals stehe ich jetzt noch da. Darum bin auch nun wiederum zu Ihnen gekommen, wenn auch in einer anderen Form. Ich habe meine Bitte schriftlich dargestellt, in der Meinung, hierdurch nicht so ganz und gar lästig als das Erstemal zu stören; ich habe Sie daneben mit meinen Verhältnißen so genau als möglich bekannt zu machen gesucht, und allen diesen meinen Aussagen nun, vom H. Rector Stallbaum selbst ausgetelltes Zeichniß über meine Lage, in so weit sie ihm bekannt ist, angefügt. Doch nun schließlich noch eine Bitte: Werden Sie mir es wohl verzeihen, wenn ich, da ich nun einmal schon so viel gewagt, mir auch noch diese Freiheit nehme, Tags nach Empfang dieses Briefs, bei Ihnen persönlich einzutreten, um mir von Ihnen diese entscheidende Antwort zu holen, auf die ich mit so lebhaften Verlangen harre? – So empfehle ich mich denn Ihnen, in der Hoffnung daß Sie einem jugendlichem Gemüthe, welches nur zu oft und fast unwillkührlich zu frei und zu kühn ward, zumal wenn es die Noth drängt, verzeihen werden, ich der ich Ihnen in tiefster Ehrerbietung ergebene Volkmar Wienand discpl. Sch. Th. Lip.
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Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="medium" notAfter="1839-12-31" notBefore="1839-03-01" xml:id="date_1cd0c2b7-08d8-4ef9-b736-953b71fdd7b4">zwischen Anfang März und Ende Dezember 1839</date> </creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0119460" resp="author" xml:id="persName_96e802a5-3b8c-4d48-a0ba-9b0409b26d82">Wienand, Ernst Volkmar</persName> <note>counter-reset</note><persName key="PSN0119460" resp="writer">Wienand, Ernst Volkmar</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_e62769cb-f34e-4b2a-b4aa-7cd12ff9d206"> <settlement key="STM0100116">Leipzig</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver" xml:id="persName_97eb45a9-1f5f-4922-ae6e-536083df4d14">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_29fb8555-b0b9-454a-9489-514747b31ebd"> <settlement key="STM0100116">Leipzig</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"> </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_fa076863-019b-499d-b5f6-bc776a6bcdd6"> <docAuthor key="PSN0119460" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_28455cda-a51f-4874-bd2f-c79cfd20a4a5">Wienand, Ernst Volkmar</docAuthor> <docAuthor key="PSN0119460" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_5a95ff1f-d688-4b89-80f3-56242705b9b9">Wienand, Ernst Volkmar</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Das Herz zerreißt es mir, wenn ich die Briefe lese in denen mir die Mutter die große Noth schildert, die seit einiger Zeit in unserem Hause herrschend geworden ist; wie konnte ich es da wohl noch über mich gewinnen, selbst für das Nöthigste, als Kleider, Schuhe, Bücher, Wäsche <hi rend="latintype">ec</hi>: Geld zu verlangen. 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Willig liehen mir Schuhmacher und Schneider; bald war aber die festgesetzte Zeit abgelaufen und sieh! – Ich konnte nicht bezahlen. Ungern wurden die Termine hinausgeschoben, die aber eben sobald zurückkehrten als die früheren. Ich sah mich nun genöthigt, von Bekannten und Freunden zu leihen, doch auch sie wollten bald bezahlt sein, und ich borgte von Neuem überall wo ich bekommen konnte, wobei ich mir allemal mehr geben lies als ich gegenwärtig brauchte, weil gewöhnlich immer noch eine andere Noth daneben Geld erheischte. So häufte ich nun Schuld auf Schuld, bis ich mich endlich in der unseligen Lage, in der ich mich gegenwärtig befinde, und welcher mich nur eine Hilfreich unterstützende Hand herausziehen kann. – Fürwahr ein trauriges Loos ist es, bei Schuldenlast den Stunden huldigen zu wollen.</p> <p>Mir ist es nicht mehr wie sonst vergönnt, mich einem Autor mit der Gewißheit hingeben zu können, daß ich ihn, nachdem ich mich eingelesen, sorgenfrei und ungestört <add place="above">vollenden<name key="PSN0119460" resp="writers_hand" style="hidden">Wienand, Ernst Volkmar</name></add> werde, und alle meine Stunden<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> dem Studium dieses Buches nach Belieben widmen dürfe, da mich ja keine Einmischung von lästigen sachlichen Geschäften hievon abhält. 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Ich konnte es nicht voraus sehen, daß mich das Schicksal in Allem so täuschen würde, ich hoffte damals ganz gewiß, und hatte in der That auch gute Aussichten, das Geld zur gehörigen Zeit abtragen zu können, weil ich meinte, im Monate Märtz d. Jahres 1839 wenigstens schon über <formula rend="fraction_slash"><hi rend="supslash">1</hi><hi rend="barslash">/</hi><hi rend="subslash">2</hi></formula> Jahr angestellter <hi rend="latintype">Officiant</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_4f13fba0-f431-4134-bda2-54e74f6b68d5" xml:lang="de">Officiant – Amtsträger, gewöhnlich für einfache Dienste.</note> der <placeName xml:id="placeName_a246571b-10d1-4758-a411-7a8bf9d14d1f">Thomasschule<name key="NST0100193" style="hidden" subtype="" type="institution">Thomasschule</name><settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> zu sein. 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