]> Brief: gb-1839-09-12-01

gb-1839-09-12-01

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Moritz Ernst Adolf Naumann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig <lb></lb>Bonn, 12. September 1839 Als ich im Laufe dieses Jahres so glücklich war Sie in Leipzig zu begrüßen, glaubte ich nicht, dass ich heute als ein Bittender vor Ihnen erscheinen würde. Ich suche in einer für mich und die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) unbekannt Felix Mendelssohn Bartholdy an Moritz Ernst Adolf Naumann in Bonn; Leipzig, 19. September 1839 Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798-1871)Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798-1871) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 36/47. Autograph Moritz Ernst Adolf Naumann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig; Bonn, 12. September 1839 Als ich im Laufe dieses Jahres so glücklich war Sie in Leipzig zu begrüßen, glaubte ich nicht, dass ich heute als ein Bittender vor Ihnen erscheinen würde. Ich suche in einer für mich und die

1 Doppelbl.: S. 1-4 Brieftext.

Moritz Ernst Adolf Naumann.

Green Books

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

12. September 1839 Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798-1871)counter-resetNaumann, Moritz Ernst Adolf (1798–1871) BonnDeutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) LeipzigDeutschland deutsch
Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798–1871) Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798–1871) Hochverehrter Herr!

Als ich im Laufe dieses Jahres so glücklich war Sie in LeipzigLeipzigDeutschland zu begrüßen, glaubte ich nicht, dass ich heute als ein Bittender vor Ihnen erscheinen würde. Ich suche in einer für mich und die meinigen sehr wichtigen Angelegenheit Ihren gütigen Rath und, sofern das Glück mir wohlwill, Ihren unmittelbaren Beistand. Wollen Sie mir geneigtest Gehör schenken; ich werde sogleich zum eigentlichen Gegenstande dieses Briefes übergehen.

Mein ältester Knabe, EmilNaumann, Emil Friedrich Constantin (1827-1888), welcher eben sein zwölftes Lebensjahr vollendet hat, zeigte, von seinem zartesten Alter an, eine ganz unzweifelhafte Neigung zur Musik. Diese Neigung hat sich mehr und mehr entwickelt, und ist zum eigentlichen Inhalt seiner lieben Kinderseele geworden. Ich will Sie nicht durch Einzelheiten ermüden, Ihnen nicht erzählen, wie er schon vor Jahren kleine dreistimmige Lieder, zu unserm Ergötzen, erfand und mit seinen GeschwisternNaumann, Ida (1832-1897) ausführte; wie es seine einzige Lust war, wenn, nach vollbrachten Lohnstunden, seine MutterNaumann, Henriette (1800-1878) ihm die Bitte gewährte, eine Arie aus dem Messias<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name> oder aus Samson<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109014" style="hidden" type="music">Samson HWV 57</name> ihm vorzusingen, – sondern ziehe es vor, zu den neuen Ereignißen der letzten Monate überzugehen, durch welche sich, wie uns und unsern Freunden scheint, sein Beruf zur Musik auf untrügliche Weise ausgesprochen hat. Zuerst muß ich des Musikfestes in DüsseldorfNiederrheinisches MusikfestDüsseldorfDeutschland gedenken, der ersten musikalischen Aufführung, welcher der Knabe beiwohnte. Seine Augen wurden nicht trocken; |2| und schon nach der ersten Generalprobe beschwor er uns um die einzige Gunst, sie der Musik widmen zu dürfen, versprach, aus eigenem Antriebe, alle seine kleinen Fehler abzulegen, und gab Beweise von Ergriffenseyn, wie wir sie bei Kindern seines Alters, und bei seiner sonstigen Fröhlichkeit, nie wahrgenommen hatten. – Vor etwa 5 Wochen studierte man hierBonnDeutschland das, für die öffentliche Aufführung bestimmte Alexanderfest<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108949" style="hidden" type="music">Alexander’s Feast or The Power of Musick HWV 75</name> ein. Der Knabe erlangte die Erlaubniß, im Chor mitsingen zu dürfen, und lebte und webte nun in dieser, bis dahin ihm fremd gebliebnen Musik; denn auch seine Mutter kannte dieselbe noch nicht. Unmittelbar nach der Aufführung erklärte er uns, daß er das göttliche Werk mit seinen Geschwistern, (einem Knaben von 9Naumann, 2. Sohn von → Moritz Ernst Adolf N. (1830-?), einem Mädchen von 7Naumann, Ida (1832-1897) Jahren), seiner gewöhnlichen Kapelle, einstudiren wolle. Da er weder Partitur noch Klavierauszug, ja nicht einmal seine Stimme hatte, die er wieder abliefern mußte, so lachten wir ihn aus. Er aber ließ sich nicht irre machen, vertraute seinem Gedächtniß und einem Textbüchelchen, das er besaß, und lud uns nach 8 Tagen, da gerade der Geburtstag seines jüngsten Bruders war, durch […] Anschlagzettel, zu der Aufführung förmlich ein. Frau MathieuxMathieux, Johanna (1810-1858), die einzige gute Clavierlehrerin welche sich hier auffindet und seit drei Monaten die seinige, war auch von ihm hinzugeboten worden. Ich glaube, daß sie wohl bis dahin geringe Erwartungen von dem Knaben gehegt hatte; denn er spricht sehr wenig, hatte kleine <hi rend="latintype">Etudes</hi> von Bertini<name key="PSN0109912" style="hidden" type="author">Bertini, Henri-Jérôme (1798–1876)</name><name key="CRT0112690" style="hidden" type="music">25 Etudes Faciles et Progressives pour le Piano op. 100</name> nachläßig eingeübt, und wollte sich, wie sie eben an jenem Tage meiner Frau geklagt hatte, zu einem Liede von HenseltHenselt, Georg Martin Adolph (seit 1876) von (1814-1889), das ihm erst sehr wohlgefallen, jetzt gar nicht mehr bequemen. Ihr Erstaunen war grenzenlos, als der Knabe, nachdem er die Ouvertüre zum Samson<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109014" style="hidden" type="music">Samson HWV 57</name> von Noten trefflich als Einleitung gespielt hatte; nun, mit dem Textbüchelchen vor sich, zuerst den Chor „Selig, selig PaarSelig, selig Paar – Das Alexanderfest, HWV 75, Part I: Arie und Chor »Selig, selig, selig Paar«. (mit Duett), und von da an, mit Übergehung von nur ganz wenig Stücken, das ganze Oratorium, mit Arien, Rezitiren und der eigenthümlichen Begleitung jedes Stückes, die Fugen, mit richtiger Vertheilung aller Stimmen, vor ihr aufführte. Sie lief, excentrisch wie sie ist, zum alten RiesRies, Ferdinand (1784-1838), den sie herbeischleppte. Seine Freude an dem Knabn war unsäglich, |3| und er bewunderte eben so sehr das Gedächtniß des Kindes, als die Art, wie dassselbe, wo jenes nicht ausreichte, aus sich selbst, und sich selbst unbewußt, zu ergänzen verstanden hatte.

Verzeihen Sie diese ausführliche Darstellung, die wie elterliche Eitelkeit erscheinen müßte, wäre sie nicht dazu bestimmt, unsre Wünsche und Hoffnungen für das Kind bei Ihnen zu vertreten. Wir haben die Überzeugung, daß der Knabe der Musik sich widmen muß. Wenn wir uns nun nach einem gediegenen Meister für ihn umsehen, wie könnte sich unser Blick auf einen andern, als auf Sie richten. Wollen Sie unsre Bitte nicht von sich weisen, wollen Sie Sich des lieben, sanften, frommen Kindes annehmen, das nichts weiter denkt und träumt als Sie, und gleich nach der Anhörung Ihres herrlichen Psalmes in Düsseldorf, uns anflehte, zu Ihnen möchten wir ihn senden! Der Director SchadowSchadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862), Ihr Freund, der den Knaben kennt und liebt, hat sich freundlich erboten, in unsrer Angelegenheit besonders Ihnen zu schreiben, und sich für uns bei Ihnen zu verwenden. Unser gemeinschaftlicher Freund CarusCarus, Carl Gustav (1789-1869) wird gern ein Gleiches thun. Möchten Sie, vor Allem, der frühern Freundschaft eingedenk seyn, welche Sie mir und meiner Frau geschenkt hatten, und an deren Trübung – was ich oft seitdem bereute – ich allein Schuld war.

Wenn Sie unsren Bitten Gehör geben, so werden wir das Kind zu Ihnen nach LeipzigLeipzigDeutschland bringen, und es daselbst entweder einer uns befreundeten, oder von Freunden sorgfältig geprüften Familie anvertrauen. Ob wir einstweilen das Kind in den Anfangsgründen des Generalbaßes bei Frau MathieuxMathieux, Johanna (1810-1858) unterrichten laßen sollen, oder ob es gerathener ist, daß es diese Zeit nun auf Vervollkommnung des Clavierspieles verwende, welches meiner Frau gerathener scheint (er studirt jetzt die ersten Cramerschen Etüden<name key="PSN0110487" style="hidden" type="author">Cramer, Johann (John) Baptist (1771-1858)</name><name key="CRT0108472" style="hidden" type="music">Etüden</name>, und hat im Ganzen erst seit 5 Monaten Clavierunterricht), mögen Sie, verehrtester Herr, gütigst entscheiden. Als ein Beweis für den innerlichen Beruf des Kindes zur Musik dürfte wohl auch der Umstand gelten, daß es, mit seiner Mutter bisher auf das Innigste verknüpft, von Eltern uns Geschwistern überhaupt unzertrennlich, mit ängstlichem Verlangen und größter Spannung Ihrer EntscheidungNaumann, Moritz Ernst Adolf (1798–1871) entgegensieht, und schon jetzt, durch Worte und Liebkosungen, über seine hoffentlich bevorstehende nächste Entfernung, uns zu beruhigen und zu trösten sucht.

Meine FrauNaumann, Henriette (1800-1878), Ihnen und den IhrigenMendelssohn Bartholdy, Familie von → Felix Mendelssohn Bartholdy immer mit unwandelbarer Freundschaft |4| zugethan, empfiehlt sich Ihnen angelegentlich. Empfangen Sie auch die verehrungsvollsten Grüße von Ihrem ergebensten Moritz Naumann (Professor an d. hies. Friedr.-Wilh. UniversitätFriedrich-Wilhelms-UniversitätBerlinDeutschland) Bonn, d. 12. Septbr. 1839.
            Hochverehrter Herr!
Als ich im Laufe dieses Jahres so glücklich war Sie in Leipzig zu begrüßen, glaubte ich nicht, dass ich heute als ein Bittender vor Ihnen erscheinen würde. Ich suche in einer für mich und die meinigen sehr wichtigen Angelegenheit Ihren gütigen Rath und, sofern das Glück mir wohlwill, Ihren unmittelbaren Beistand. Wollen Sie mir geneigtest Gehör schenken; ich werde sogleich zum eigentlichen Gegenstande dieses Briefes übergehen.
Mein ältester Knabe, Emil, welcher eben sein zwölftes Lebensjahr vollendet hat, zeigte, von seinem zartesten Alter an, eine ganz unzweifelhafte Neigung zur Musik. Diese Neigung hat sich mehr und mehr entwickelt, und ist zum eigentlichen Inhalt seiner lieben Kinderseele geworden. Ich will Sie nicht durch Einzelheiten ermüden, Ihnen nicht erzählen, wie er schon vor Jahren kleine dreistimmige Lieder, zu unserm Ergötzen, erfand und mit seinen Geschwistern ausführte; wie es seine einzige Lust war, wenn, nach vollbrachten Lohnstunden, seine Mutter ihm die Bitte gewährte, eine Arie aus dem Messias oder aus Samson ihm vorzusingen, – sondern ziehe es vor, zu den neuen Ereignißen der letzten Monate überzugehen, durch welche sich, wie uns und unsern Freunden scheint, sein Beruf zur Musik auf untrügliche Weise ausgesprochen hat. Zuerst muß ich des Musikfestes in Düsseldorf gedenken, der ersten musikalischen Aufführung, welcher der Knabe beiwohnte. Seine Augen wurden nicht trocken; und schon nach der ersten Generalprobe beschwor er uns um die einzige Gunst, sie der Musik widmen zu dürfen, versprach, aus eigenem Antriebe, alle seine kleinen Fehler abzulegen, und gab Beweise von Ergriffenseyn, wie wir sie bei Kindern seines Alters, und bei seiner sonstigen Fröhlichkeit, nie wahrgenommen hatten. – Vor etwa 5 Wochen studierte man hier das, für die öffentliche Aufführung bestimmte Alexanderfest ein. Der Knabe erlangte die Erlaubniß, im Chor mitsingen zu dürfen, und lebte und webte nun in dieser, bis dahin ihm fremd gebliebnen Musik; denn auch seine Mutter kannte dieselbe noch nicht. Unmittelbar nach der Aufführung erklärte er uns, daß er das göttliche Werk mit seinen Geschwistern, (einem Knaben von 9, einem Mädchen von 7 Jahren), seiner gewöhnlichen Kapelle, einstudiren wolle. Da er weder Partitur noch Klavierauszug, ja nicht einmal seine Stimme hatte, die er wieder abliefern mußte, so lachten wir ihn aus. Er aber ließ sich nicht irre machen, vertraute seinem Gedächtniß und einem Textbüchelchen, das er besaß, und lud uns nach 8 Tagen, da gerade der Geburtstag seines jüngsten Bruders war, durch … Anschlagzettel, zu der Aufführung förmlich ein. Frau Mathieux, die einzige gute Clavierlehrerin welche sich hier auffindet und seit drei Monaten die seinige, war auch von ihm hinzugeboten worden. Ich glaube, daß sie wohl bis dahin geringe Erwartungen von dem Knaben gehegt hatte; denn er spricht sehr wenig, hatte kleine Etudes von Bertini nachläßig eingeübt, und wollte sich, wie sie eben an jenem Tage meiner Frau geklagt hatte, zu einem Liede von Henselt, das ihm erst sehr wohlgefallen, jetzt gar nicht mehr bequemen. Ihr Erstaunen war grenzenlos, als der Knabe, nachdem er die Ouvertüre zum Samson von Noten trefflich als Einleitung gespielt hatte; nun, mit dem Textbüchelchen vor sich, zuerst den Chor „Selig, selig Paar (mit Duett), und von da an, mit Übergehung von nur ganz wenig Stücken, das ganze Oratorium, mit Arien, Rezitiren und der eigenthümlichen Begleitung jedes Stückes, die Fugen, mit richtiger Vertheilung aller Stimmen, vor ihr aufführte. Sie lief, excentrisch wie sie ist, zum alten Ries, den sie herbeischleppte. Seine Freude an dem Knabn war unsäglich, und er bewunderte eben so sehr das Gedächtniß des Kindes, als die Art, wie dassselbe, wo jenes nicht ausreichte, aus sich selbst, und sich selbst unbewußt, zu ergänzen verstanden hatte.
Verzeihen Sie diese ausführliche Darstellung, die wie elterliche Eitelkeit erscheinen müßte, wäre sie nicht dazu bestimmt, unsre Wünsche und Hoffnungen für das Kind bei Ihnen zu vertreten. Wir haben die Überzeugung, daß der Knabe der Musik sich widmen muß. Wenn wir uns nun nach einem gediegenen Meister für ihn umsehen, wie könnte sich unser Blick auf einen andern, als auf Sie richten. Wollen Sie unsre Bitte nicht von sich weisen, wollen Sie Sich des lieben, sanften, frommen Kindes annehmen, das nichts weiter denkt und träumt als Sie, und gleich nach der Anhörung Ihres herrlichen Psalmes in Düsseldorf, uns anflehte, zu Ihnen möchten wir ihn senden! Der Director Schadow, Ihr Freund, der den Knaben kennt und liebt, hat sich freundlich erboten, in unsrer Angelegenheit besonders Ihnen zu schreiben, und sich für uns bei Ihnen zu verwenden. Unser gemeinschaftlicher Freund Carus wird gern ein Gleiches thun. Möchten Sie, vor Allem, der frühern Freundschaft eingedenk seyn, welche Sie mir und meiner Frau geschenkt hatten, und an deren Trübung – was ich oft seitdem bereute – ich allein Schuld war.
Wenn Sie unsren Bitten Gehör geben, so werden wir das Kind zu Ihnen nach Leipzig bringen, und es daselbst entweder einer uns befreundeten, oder von Freunden sorgfältig geprüften Familie anvertrauen. Ob wir einstweilen das Kind in den Anfangsgründen des Generalbaßes bei Frau Mathieux unterrichten laßen sollen, oder ob es gerathener ist, daß es diese Zeit nun auf Vervollkommnung des Clavierspieles verwende, welches meiner Frau gerathener scheint (er studirt jetzt die ersten Cramerschen Etüden, und hat im Ganzen erst seit 5 Monaten Clavierunterricht), mögen Sie, verehrtester Herr, gütigst entscheiden. Als ein Beweis für den innerlichen Beruf des Kindes zur Musik dürfte wohl auch der Umstand gelten, daß es, mit seiner Mutter bisher auf das Innigste verknüpft, von Eltern uns Geschwistern überhaupt unzertrennlich, mit ängstlichem Verlangen und größter Spannung Ihrer Entscheidung entgegensieht, und schon jetzt, durch Worte und Liebkosungen, über seine hoffentlich bevorstehende nächste Entfernung, uns zu beruhigen und zu trösten sucht.
Meine Frau, Ihnen und den Ihrigen immer mit unwandelbarer Freundschaft zugethan, empfiehlt sich Ihnen angelegentlich. Empfangen Sie auch die verehrungsvollsten Grüße von Ihrem
ergebensten
Moritz Naumann
(Professor an d. hies. Friedr. -Wilh. Universität)
Bonn, d. 12. Septbr. 1839.          
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Ich will Sie nicht durch Einzelheiten ermüden, Ihnen nicht erzählen, wie er schon vor Jahren kleine dreistimmige Lieder, zu unserm Ergötzen, erfand und mit seinen <persName xml:id="persName_d7d45054-5b00-4c6f-ab4f-6934314eed4b">Geschwistern<name key="PSN0120002" style="hidden" type="person">Naumann, Ida (1832-1897)</name></persName> ausführte; wie es seine einzige Lust war, wenn, nach vollbrachten Lohnstunden, seine <persName xml:id="persName_fc27e184-a89d-43c1-b8ff-e8a9d77be79c">Mutter<name key="PSN0113553" style="hidden" type="person">Naumann, Henriette (1800-1878)</name></persName> ihm die Bitte gewährte, eine Arie aus dem <title xml:id="title_cee39f4d-89d2-4992-bd48-335f55f283a9">Messias<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name></title> oder aus <title xml:id="title_caca6c5f-33d2-4286-bed7-966add8e0f85">Samson<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109014" style="hidden" type="music">Samson HWV 57</name></title> ihm vorzusingen, – sondern ziehe es vor, zu den neuen Ereignißen der letzten Monate überzugehen, durch welche sich, wie uns und unsern Freunden scheint, sein Beruf zur Musik auf untrügliche Weise ausgesprochen hat. Zuerst muß ich des <placeName xml:id="placeName_6d811194-8aaa-4558-8cfc-5ca5cef5c962">Musikfestes in Düsseldorf<name key="NST0100397" style="hidden" subtype="" type="institution">Niederrheinisches Musikfest</name><settlement key="STM0100109" style="hidden" type="locality">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> gedenken, der ersten musikalischen Aufführung, welcher der Knabe beiwohnte. Seine Augen wurden nicht trocken;<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> und schon nach der ersten Generalprobe beschwor er uns um die einzige Gunst, sie der Musik widmen zu dürfen, versprach, aus eigenem Antriebe, alle seine kleinen Fehler abzulegen, und gab Beweise von Ergriffenseyn, wie wir sie bei Kindern seines Alters, und bei seiner sonstigen Fröhlichkeit, nie wahrgenommen hatten. – Vor etwa 5 Wochen studierte man <placeName xml:id="placeName_76c09e7d-e411-4ec4-a182-7e2f1fd08c29">hier<settlement key="STM0100103" style="hidden" type="locality">Bonn</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> das, für die öffentliche Aufführung bestimmte <title xml:id="title_45e6cab6-0afe-42bd-adb7-6b34b8ed3b0d">Alexanderfest<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108949" style="hidden" type="music">Alexander’s Feast or The Power of Musick HWV 75</name></title> ein. Der Knabe erlangte die Erlaubniß, im Chor mitsingen zu dürfen, und lebte und webte nun in dieser, bis dahin ihm fremd gebliebnen Musik; denn auch seine Mutter kannte dieselbe noch nicht. Unmittelbar nach der Aufführung erklärte er uns, daß er das göttliche Werk mit seinen Geschwistern, (einem <persName xml:id="persName_c2e60189-eab3-4083-b289-afa5ce3f59a2">Knaben von 9<name key="PSN0120003" style="hidden" type="person">Naumann, 2. Sohn von → Moritz Ernst Adolf N. (1830-?)</name></persName>, einem <persName xml:id="persName_8e52321c-ae17-4cda-8bee-1d135c850fee">Mädchen von 7<name key="PSN0120002" style="hidden" type="person">Naumann, Ida (1832-1897)</name></persName> Jahren), seiner gewöhnlichen Kapelle, einstudiren wolle. Da er weder Partitur noch Klavierauszug, ja nicht einmal seine Stimme hatte, die er wieder abliefern mußte, so lachten wir ihn aus. Er aber ließ sich nicht irre machen, vertraute seinem Gedächtniß und einem Textbüchelchen, das er besaß, und lud uns nach 8 Tagen, da gerade der Geburtstag seines jüngsten Bruders war, durch […] Anschlagzettel, zu der Aufführung förmlich ein. Frau <persName xml:id="persName_36d2cd2d-30e3-44fb-8b1d-6b26bd586958">Mathieux<name key="PSN0113122" style="hidden" type="person">Mathieux, Johanna (1810-1858)</name></persName>, die einzige gute Clavierlehrerin welche sich hier auffindet und seit drei Monaten die seinige, war auch von ihm hinzugeboten worden. Ich glaube, daß sie wohl bis dahin geringe Erwartungen von dem Knaben gehegt hatte; denn er spricht sehr wenig, hatte kleine <title xml:id="title_80525467-4304-40c0-ae53-9516b7752241"><hi rend="latintype">Etudes</hi> von Bertini<name key="PSN0109912" style="hidden" type="author">Bertini, Henri-Jérôme (1798–1876)</name><name key="CRT0112690" style="hidden" type="music">25 Etudes Faciles et Progressives pour le Piano op. 100</name></title> nachläßig eingeübt, und wollte sich, wie sie eben an jenem Tage meiner Frau geklagt hatte, zu einem Liede von <persName xml:id="persName_6be5ae8b-ec9b-4357-bc0e-1fba9836377b">Henselt<name key="PSN0111901" style="hidden" type="person">Henselt, Georg Martin Adolph (seit 1876) von (1814-1889)</name></persName>, das ihm erst sehr wohlgefallen, jetzt gar nicht mehr bequemen. Ihr Erstaunen war grenzenlos, als der Knabe, nachdem er die <title xml:id="title_54327f64-4495-4436-a16c-d07e08bcfd65">Ouvertüre zum Samson<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109014" style="hidden" type="music">Samson HWV 57</name></title> von Noten trefflich als Einleitung gespielt hatte; nun, mit dem Textbüchelchen vor sich, zuerst den Chor „Selig, selig Paar<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_5b331902-c7c8-412c-bd56-3279a2b5c0b5" xml:lang="de">Selig, selig Paar – Das Alexanderfest, HWV 75, Part I: Arie und Chor »Selig, selig, selig Paar«. </note> (mit Duett), und von da an, mit Übergehung von nur ganz wenig Stücken, das ganze Oratorium, mit Arien, Rezitiren und der eigenthümlichen Begleitung jedes Stückes, die Fugen, mit richtiger Vertheilung aller Stimmen, vor ihr aufführte. Sie lief, excentrisch wie sie ist, zum alten <persName xml:id="persName_719fc2be-d5bb-49a3-a33d-2c86436f3447">Ries<name key="PSN0114191" style="hidden" type="person">Ries, Ferdinand (1784-1838)</name></persName>, den sie herbeischleppte. Seine Freude an dem Knabn war unsäglich,<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> und er bewunderte eben so sehr das Gedächtniß des Kindes, als die Art, wie dassselbe, wo jenes nicht ausreichte, aus sich selbst, und sich selbst unbewußt, zu ergänzen verstanden hatte.</p> <p>Verzeihen Sie diese ausführliche Darstellung, die wie elterliche Eitelkeit erscheinen müßte, wäre sie nicht dazu bestimmt, unsre Wünsche und Hoffnungen für das Kind bei Ihnen zu vertreten. Wir haben die Überzeugung, daß der Knabe der Musik sich widmen muß. Wenn wir uns nun nach einem gediegenen Meister für ihn umsehen, wie könnte sich unser Blick auf einen andern, als auf Sie richten. Wollen Sie unsre Bitte nicht von sich weisen, wollen Sie Sich des lieben, sanften, frommen Kindes annehmen, das nichts weiter denkt und träumt als Sie, und gleich nach der Anhörung Ihres herrlichen Psalmes in Düsseldorf, uns anflehte, zu Ihnen möchten wir ihn senden! Der Director <persName xml:id="persName_feace2c1-76eb-4e85-b04e-6053795acc65">Schadow<name key="PSN0114494" style="hidden" type="person">Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862)</name></persName>, Ihr Freund, der den Knaben kennt und liebt, hat sich freundlich erboten, in unsrer Angelegenheit besonders Ihnen zu schreiben, und sich für uns bei Ihnen zu verwenden. Unser gemeinschaftlicher Freund <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_dcc7385a-e1a7-4fb7-8f91-df2b3e2a5568">Carus<name key="PSN0110296" style="hidden" type="person">Carus, Carl Gustav (1789-1869)</name></persName></hi> wird gern ein Gleiches thun. Möchten Sie, vor Allem, der frühern Freundschaft eingedenk seyn, welche Sie mir und meiner Frau geschenkt hatten, und an deren Trübung – was ich oft seitdem bereute – ich allein Schuld war.</p> <p>Wenn Sie unsren Bitten Gehör geben, so werden wir das Kind zu Ihnen nach <placeName xml:id="placeName_4b61b316-f706-46a4-963f-bf05f909d60a">Leipzig<settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> bringen, und es daselbst entweder einer uns befreundeten, oder von Freunden sorgfältig geprüften Familie anvertrauen. Ob wir einstweilen das Kind in den Anfangsgründen des Generalbaßes bei Frau <persName xml:id="persName_ffa6ee9c-8590-4bd8-beb8-a3cee4f6045b">Mathieux<name key="PSN0113122" style="hidden" type="person">Mathieux, Johanna (1810-1858)</name></persName> unterrichten laßen sollen, oder ob es gerathener ist, daß es diese Zeit nun auf Vervollkommnung des Clavierspieles verwende, welches meiner Frau gerathener scheint (er studirt jetzt die ersten <title xml:id="title_40fe6e57-d464-40d9-a530-56d2ce913017">Cramerschen Etüden<name key="PSN0110487" style="hidden" type="author">Cramer, Johann (John) Baptist (1771-1858)</name><name key="CRT0108472" style="hidden" type="music">Etüden</name></title>, und hat im Ganzen erst seit 5 Monaten Clavierunterricht), mögen Sie, verehrtester Herr, gütigst entscheiden. Als ein Beweis für den innerlichen Beruf des Kindes zur Musik dürfte wohl auch der Umstand gelten, daß es, mit seiner Mutter bisher auf das Innigste verknüpft, von Eltern uns Geschwistern überhaupt unzertrennlich, mit ängstlichem Verlangen und größter Spannung <add place="above">Ihrer Entscheidung<name key="PSN0113555" resp="writers_hand" style="hidden">Naumann, Moritz Ernst Adolf (1798–1871)</name></add> entgegensieht, und schon jetzt, durch Worte und Liebkosungen, über seine hoffentlich bevorstehende nächste Entfernung, uns zu beruhigen und zu trösten sucht.</p> <closer rend="left">Meine <persName xml:id="persName_0b7b18fe-b9f4-4ddf-aa53-d9ef548f071f">Frau<name key="PSN0113553" style="hidden" type="person">Naumann, Henriette (1800-1878)</name></persName>, Ihnen und den <persName xml:id="persName_100af515-664b-426f-8f6b-6139bbb25d4d">Ihrigen<name key="PSN0113242" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Felix Mendelssohn Bartholdy</name></persName> immer mit unwandelbarer Freundschaft<seg type="pagebreak"> |4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> zugethan, empfiehlt sich Ihnen angelegentlich. Empfangen Sie auch die verehrungsvollsten Grüße von</closer> <signed rend="center">Ihrem</signed> <signed rend="right">ergebensten</signed> <signed rend="right">Moritz Naumann</signed> <signed rend="right">(Professor an d. hies. <placeName xml:id="placeName_dd97573c-ef89-40d7-bd54-e1b4f5f93649">Friedr.-Wilh. Universität<name key="NST0100421" style="hidden" subtype="" type="institution">Friedrich-Wilhelms-Universität</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>)</signed> <dateline rend="left">Bonn,</dateline> <dateline rend="left">d. <date cert="high" when="1839-09-12" xml:id="date_5ddeda1d-07ab-496a-938e-ffec3fb4a38c">12. Septbr.</date> </dateline> <dateline rend="left"><date cert="high" when="1839-09-12" xml:id="date_19edcbf6-53cc-4a94-a042-4d7b2cc47744">1839</date>.</dateline> </div> </body> </text></TEI>