gb-1839-06-21-01
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Frankfurt a. M., 21. Juni 1839
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse.
Charles Perabeau.
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Dr F. Mendelssohn-Bartholdy
Sie sehen sich durch dieses sonderbare Schreiben gewiß ungern behelligt, doch wage ich es, meine Unentschloßenheit zu besiegen, und Sie um einige Minuten Ihrer so kostbaren Zeit zu berauben. Ob zu meinem Besten? –
Ich, der Schreiber dieser Zeilen, bin seit 1833 in
In meinem 11ten Jahre (1831) hatte ich den ersten eigentlichen Klavierunterricht bei Herrn stunde gelten laßen will. Hätte ich nicht einigermassen einen Trieb und Eifer besessen, so konnte ich unter einer solchen Leitung Alles wieder verlernen. In der letzten Zeit kam ich auch manchmahl selten zum Klavierspielen; besonders habe ich das vom Blatte lesen ziemlich verlernt.Mai 1834 in der
Doch, was mögen Sie zu dem langweiligen Brief denken? Ich will mich kurz faßen. – Gestern hört ich Sie, lieber Herr Mendelssohn bei C. A. Andre zum erstenmahle spielen; und bei Ihrer Fantasie über
Vieleshabe ich noch zu lernen; sehr viel, ja, ich mögte sagen Alles.
Ich mögte dereinst berühmt werden. In meinem Innern fühle ich, daß ich es werden könnte, wenn ich in gehörige Verhältnisse käme; eine vorzügliche Leitung genöße, und überhaupt Gelegenheit dazu hätte. Hier in ihr Geld spielen lernen, selbst aber gar keinen Fleiß haben, sich im üben alle 14 Tage 10 Tage lang auszusetzen, und überhaupt für Musik so wenig Sinn haben, wie ein junger Pudel; Nun sagen Sie selbst, ob es möglich sei, solchen Leuten mit dem besten Willen etwas zu lehren? Und im Fall das Stundengeben, welches hier in Frankfurt förmlich handwerksmäßig betrieben wird, viel Geld einbrächte, und mit weniger Unannehmlichkeiten verknüpft wäre, so würde ich mich doch nicht an meinem Platz fühlen. Es drängt mich ein Etwas, ich fühle die Kraft in mir, allein meine Gedankenflügel tragen mich außer der Wirklichkeit. O! laßen Sie mich unter den Schwingen Ihres Ruhmes thönen, und vergönnen mir dadurch, dereinst mit Stolz sagen zu können:
in mir verspürte. –Cäcilien-verein
Mein Glück könnten Sie gründen, mich glücklich machen, und selbst das schöne Bewußtsein fühlen, einem Jüngling, der unbekannt sich seine ganze Lebenszeit gegrämt hätte, daß er nicht geworden, was er hätte sein können, helfend und leitend zur Seite gestanden zu haben, und allein der Gründer seiner zukünftigen Carrière zu sein; gewiß ein sehr belohnendes Gefühl.
Schade, daß Ihre Schwägerin, Julie Jeanrenaud, jetzt nicht hier ist, sie würde sicher einigermaßen zu meinen Gunsten sprechen, und sich bei Ihnen für mich verwenden.
Ch. Perabeau.
Geehrtester Herr! Sie sehen sich durch dieses sonderbare Schreiben gewiß ungern behelligt, doch wage ich es, meine Unentschloßenheit zu besiegen, und Sie um einige Minuten Ihrer so kostbaren Zeit zu berauben. Ob zu meinem Besten? – Ich, der Schreiber dieser Zeilen, bin seit 1833 in Frankfurt um mich in der Musik auszubilden. Ob ich zu dieser schönen Kunst einigermassen Talent habe, wäre hier zu berühren nicht der Ort. Sie selbst werden das wohl am besten beurtheilen, im Fall Sie sich meiner annehmen sollten. Nun sind aber meine Verhältnisse nichts weniger als glänzend; die Mutter starb mir, als ich 10 Jahre alt war (1830) ; mein Vater benahm sich in der Folge so wenig natürlich gegen mich, daß ich von 15 Jahren an genöthigt war, mich durch Klavierunterricht selbst zu ernähren. Violinspielen habe ich dadurch ziemlich vernachläßigt, und Flöte blasen verlernte ich gänzlich. In meinem 11ten Jahre (1831) hatte ich den ersten eigentlichen Klavierunterricht bei Herrn Schelble, ein Ihnen gewiß bekannter Name. Wir wohnten damals in Oberursel, 3 Stunden von hier, und ich ging wöchentlich 2 mal zu Hr Schelble. – Unter seiner fortdauernden Leitung hätten sich meine Kenntnisse gewiß sehr frühzeitig und glänzend ausgebildet; Allein mein Vater zog da weg, und das ist Ursache, daß der so erfreulich begonnene Anfang auf einige Jahre (bis 1834) unterbrochen wurde. Als ich später ganz nach Frankfurt kam, hatte Hr Schelble die Güte, mir noch leitend zur Seite zu stehen, bis zu seiner Krankheit, welche auch seinen frühen Tod veranlaßt. Nun hatte ich dem Namen nach bei Hr … Unterricht, wenn man überhaupt ein 3-4 Minuten langes Vorspielen für eine Klavierstunde gelten laßen will. Hätte ich nicht einigermassen einen Trieb und Eifer besessen, so konnte ich unter einer solchen Leitung Alles wieder verlernen. In der letzten Zeit kam ich auch manchmahl selten zum Klavierspielen; besonders habe ich das vom Blatte lesen ziemlich verlernt. Ich gab gegen geringe Bezahlung Klavierunterricht; bei Herrn Pfarrer Schrader besuchte ich den Religionsunterricht, und wurde hier im Mai 1834 in der Deutschen-reformirten Kirche confirmirt. – Doch, was mögen Sie zu dem langweiligen Brief denken? Ich will mich kurz faßen. – Gestern hört ich Sie, lieber Herr Mendelssohn bei C. A. Andre zum erstenmahle spielen; und bei Ihrer Fantasie über Speiers Verschanzung faßte ich den schon früher im Sinn gehabten Entschluß, mich Ihnen anzuvertrauen, und mir Ihren gütigen, einsichtsvollen Rath zu erbitten. Das Herz that mir weh, als ich hörte, welcher Unterschied zwischen Spieler und Spiel sei. Von dem, was ich weiß und nicht weiß, kann und nicht kann, will ich Sie jetzt nicht enuyren. Vieles habe ich noch zu lernen; sehr viel, ja, ich mögte sagen Alles. Ich mögte dereinst berühmt werden. In meinem Innern fühle ich, daß ich es werden könnte, wenn ich in gehörige Verhältnisse käme; eine vorzügliche Leitung genöße, und überhaupt Gelegenheit dazu hätte. Hier in Frankfurt ist mir gar der Ort nicht. Ich bin mir ganz, selbst überlassen, und würde hier unbekannt sein und bleiben; höchstens die wenig erfreuliche Aussicht haben, mich wenig mit Klavierunterricht plagen zu müssen, von dummen, unwissenden Schülern und Schülderinnen geplagt und geärgert zu werden, die da Unterricht nehmen, und sagen, sie müßten für ihr Geld spielen lernen, selbst aber gar keinen Fleiß haben, sich im üben alle 14 Tage 10 Tage lang auszusetzen, und überhaupt für Musik so wenig Sinn haben, wie ein junger Pudel; Nun sagen Sie selbst, ob es möglich sei, solchen Leuten mit dem besten Willen etwas zu lehren? Und im Fall das Stundengeben, welches hier in Frankfurt förmlich handwerksmäßig betrieben wird, viel Geld einbrächte, und mit weniger Unannehmlichkeiten verknüpft wäre, so würde ich mich doch nicht an meinem Platz fühlen. Es drängt mich ein Etwas, ich fühle die Kraft in mir, allein meine Gedankenflügel tragen mich außer der Wirklichkeit. O! laßen Sie mich unter den Schwingen Ihres Ruhmes thönen, und vergönnen mir dadurch, dereinst mit Stolz sagen zu können: Mendelssohn ist mein Alles, mein Führer, Leiter, und Beschützer. Nur unter einer Leitung wie der Ihrigen könnte ich das werden, was ich fühle, um mich über den Schwarm geringer Musiker, solcher gewöhnlicher Erscheinungen, die leider so zahlreich sind, zu erheben. Hier würde ich im Haufen der Alltäglichkeit bleiben, und wenig fühlen, daß ich hätte emporstreben sollen. – Es kostete mich einigermaßen Ueberwindung, bester Herr Mendelssohn, Sie, so ganz unbekannter Weise zu belästigen. Doch ich thue es in Gottes Namen, einem innern Drang nachgebend, den ich so oft beim Durchspielen Ihrer herrlichen Lieder ohne Text, oder beim Singen einer Ihrer Psalme im Cäcilien-verein in mir verspürte. – Mein Glück könnten Sie gründen, mich glücklich machen, und selbst das schöne Bewußtsein fühlen, einem Jüngling, der unbekannt sich seine ganze Lebenszeit gegrämt hätte, daß er nicht geworden, was er hätte sein können, helfend und leitend zur Seite gestanden zu haben, und allein der Gründer seiner zukünftigen Carrière zu sein; gewiß ein sehr belohnendes Gefühl. Schade, daß Ihre Schwägerin, Julie Jeanrenaud, jetzt nicht hier ist, sie würde sicher einigermaßen zu meinen Gunsten sprechen, und sich bei Ihnen für mich verwenden. Schließlich bitte ich Sie, geehrtester Herr Mendelssohn, mir meine Unverschämtheit zu verzeihen, und erlaube mir mich hoffnungsvoll zu nennen Ihr dankbarer Ch. Perabeau. Frankfurt d 21ten Juny 1839.
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Hier würde ich im Haufen der Alltäglichkeit bleiben, und wenig fühlen, daß ich hätte emporstreben sollen. – Es kostete mich einigermaßen Ueberwindung, bester Herr Mendelssohn, Sie, so ganz unbekannter Weise zu belästigen. Doch ich thue es in Gottes Namen, einem innern Drang nachgebend, den ich so oft beim Durchspielen Ihrer herrlichen <title xml:id="title_981cc29e-c24e-4f40-8e59-8349bd480caa">Lieder ohne Text<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_juc8wwze-tjvg-tooc-vehk-nh01uxjljgdu"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100968" style="hidden">Lieder ohne Worte<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name></title>, oder beim Singen einer Ihrer <title xml:id="title_66acfc94-b95b-48ee-bd55-ee1de75af434">Psalme<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_gl2ysf8a-zi5x-ia0z-hso1-w1xrsxixcift"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0101021" style="hidden">Psalmkompositionen<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name></title> im <hi rend="latintype"><placeName xml:id="placeName_dc47592b-4038-4827-aaa7-1825f0b92638">Cäcilien-verein<name key="NST0100338" style="hidden" subtype="" type="institution">Cäcilienverein</name><settlement key="STM0100204" style="hidden" type="locality">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName></hi> in mir verspürte. –</p> <p>Mein Glück könnten Sie gründen, mich glücklich machen, und selbst das schöne Bewußtsein fühlen, einem Jüngling, der unbekannt sich seine ganze Lebenszeit gegrämt hätte, daß er nicht geworden, was er hätte sein können, helfend und leitend zur Seite gestanden zu haben, und <hi n="1" rend="underline">allein</hi> der Gründer seiner zukünftigen <hi rend="latintype">Carrière</hi> zu sein; gewiß ein sehr belohnendes Gefühl.</p> <p>Schade, daß Ihre Schwägerin, <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_b61c629e-f052-42c1-9b3a-c5699064680f">Julie Jeanrenaud<name key="PSN0114771" style="hidden" type="person">Schunck, Julie Sophie (1816-1875)</name><name key="PSN0112232" style="hidden" type="person">Jeanrenaud, Julie Sophie (1816-1875)</name></persName></hi>, jetzt nicht hier<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_a0614678-47e1-4966-9225-fd755040ac3d" xml:lang="de">jetzt nicht hier – Julie Schunck befand sich mit ihrem Ehemann Julius Schunck auf Hochzeitsreise in Großbritannien. </note> ist, sie würde sicher einigermaßen zu meinen Gunsten sprechen, und sich bei Ihnen für mich verwenden.</p> <closer rend="left">Schließlich bitte ich Sie, geehrtester Herr Mendelssohn, mir meine Unverschämtheit zu verzeihen, und erlaube mir mich hoffnungsvoll zu nennen </closer> <signed rend="right">Ihr</signed> <signed rend="right">dankbarer</signed> <signed rend="right"><hi rend="latintype">Ch. Perabeau</hi>.</signed> <dateline rend="left">Frankfurt d <date cert="high" when="1839-06-21" xml:id="date_23a0c8b2-e4c0-4901-8f26-6abe3eed9b0a">21ten Juny 1839</date>.</dateline> </div> </body> </text></TEI>