gb-1839-05-05-01
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Berlin, 5. Mai 1839
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl. und 1 Bl.: S. 1-6 Brieftext.
Rebecka Lejeune Dirichlet, Lea Mendelssohn Bartholdy.
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Schreibt ihr uns bald, und wo möglich etwas Gutes. Wohl sind wir; daß ich nach diesem Schrecken, der Anstrengung, und der Angst keine Gesichtsschmerzen
Als ich Dir
sehr, sehr betrübt; uns alle bewegt dieselbe schmerzliche Empfindung des unersetzlichen Verlusts!
großenEigenschaften und über die Eigenheiten des Verlornen ausgesprochen.
. die ihn oft auch schnippisch behandelt, mußte daßelbe Reu- oder Schamgefühl gehabt haben; sie war ganz zerknirscht. – Er war, obwohl in anderm Sinn alsMargarethe M
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Pariser journal, das die arme, taube
fremdeStudirende hören! Welche Trauer für seine zahlreichen Freunde! in
geselligerHinsicht kömmt mir mein Haus verödet vor, und dies sag ich nicht aus Ueberschätzung im 1. Augenblick des Schmerzes; es ist klares Bewußtsein. Wie theilnehmend in Freud und Leid, wie gutmüthig, herzlich, wie geistvoll, belebend, erregend, erheiternd war seine Nähe! Er hatte die Fehler, aber auch die Liebenswürdigkeit, die Lebhaftigkeit eines Kindes. Wie konnte man ihn über seine schlechten Angewöhnungen tadeln, wie betroffen gestand ers ein, wie trug er keinen Vorwurf nach! – Es möchte prahlhaft klingen, liebster Felix! wenn ich jetzt gestehe, daß ich mit einer Art Befriedigung Dir sage, daß ich immer und zu allen Zeiten und gegen jeden, meine aufrichtige Neigung und unerschütterliche Freundschaft zu ihm ausgesprochen. Selbst
sollen!! Wars nicht so mit der
? sie hätte sich schonen und pflegen können, wenn die Natur ihrMalibran
nichtdas rastlose Genie, die hinreißende Kunstliebe, das gränzenlose Selbstvergeßen ins Gemüth gepflanzt, wenn sie, mit einem Wort, nicht
diePerson gewesen wäre!
istLeben: vielleicht hats Gott gut mit ihm gemeynt, ihn so in voller Kraft und Tüchtigkeit fortzunehmen. Ein Ueberleben seiner selbst wäre für ihn und uns zu schrecklich gewesen. – Es waren diese Tage und heut so viel Besuche hier, lieber Felix! daß ich wegen dieser übereilten Zeilen um Vergebung bitten muß. Die gute liebenswürdige
jeden Tag fühlbarerneuert, war auch in Thränen bei uns. Es ist rührend, wie diese Trauer die Seelen verknüpft. –
Meine lieben Kinder, laßt uns bald hören, daß Ihr wohl und munter seid. Wie hat Cécile die Reise vertragen? sag mir ja tröstliches von der liebsten Frau Gesundheit. Die Betrübniß hat mich nur noch der Freude an Euch bedürftiger gemacht. Viele Grüße für
Gott segne Euch!
Drouet hat mich auch besucht; er hat 2 mal im
Berlin den 5ten May 1839. Gans ist gestorben. Heut früh um halb sechs endigte unser vortrefflicher Freund. Wahrscheinlich nach schwerem Kampfe, seine ungeheure Lebenskraft war nicht leicht zu überwinden. Ihr werdet dieses Unglück schon durch die Zeitungen gleichzeitig hiermit erfahren; wie es geschehen, haben Mutter und Fanny gestern geschrieben, ich will nur noch hinzufügen, daß wir alle wohl, und sehr betrübt sind, Dirichlet wird es nicht so leicht verwinden, es war der einzige Freund, den er hatte. Gott weiß, wie oft ich den vortrefflichen Menschen gekränkt und geärgert habe, aber auch, wie oft ich es bereut und ihm innerlich habe Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Mensch ist gar zu oberflächlich leichtsinnig, hätte man den Tod immer mehr vor Augen, man würde seinen Freunden nicht so oft unnütz das Leben verbittern. Solch einen Menschen, mit solchen Fehlern und solchen Tugenden im innigsten Verein, finden wir nicht wieder. Ein tröstender Gedanke ist es, daß er ein sehr glückliches Leben hatte, alles erfreute ihn, alles erregte ihn und nahm ihn ganz in Anspruch für den Augenblick, und der nächste brachte neues Leben und neue Interessen. Für seine Freunde ist er unersetzlich; und Berlin hätte keinen größeren Verlust erleiden können. Mir ist es schrecklich, daß ich gerade zu den Wenigen gehören mußte, die ihm Kummer gemacht haben, obgleich ich überzeugt bin, daß er mirs nicht nachtrug, und lange schon vergessen hatte. Und nun mußte er hier enden. Aber trotz dem Entsetzen dieser Stunden, ist es mir doch eine Art Beruhigung, daß ich ihn nicht habe gehen lassen, daß er nicht auf der Straße hinfiel, sondern die letzte Stunde heiter mit seinen Freundinnen zubrachte, denn Mama hatte ihn auch lieb, wie einen alten Freund, und so lange er noch Bewußtseyn hatte, sich mit der größten Theilnahme und Liebe gepflegt sah. Ich glaube, das Bewußtsein dauerte - bis zum Aderlaß nach welchem ich glaubte, er würde uns unter den Händen sterben. Ach es war wieder einmal gräßlich. Schreibt ihr uns bald, und wo möglich etwas Gutes. Wohl sind wir; daß ich nach diesem Schrecken, der Anstrengung, und der Angst keine Gesichtsschmerzen bekommen habe, ist wohl ein Beweis, daß ich davon geheilt bin. Vielleicht komme ich ums Seebad herum, ich habe noch gar keinen Muth zu irgend einem Unternehmen wieder fassen können, und dieser Schlag ermuthigt mich gewiß nicht. Auch Mama ist so afficirt, wie ich sie nie gesehen habe; Dirichlet ist wieder am Arbeiten, durch die letzten Tage, die er fortwährend bei seinem Freunde im Vorzimmer verbrachte, haben sich seine Arbeiten sehr gehäuft, und das ist das Beste für ihn. Mama und er grüßen bestens. Welche allgemeine Theilnahme das Unglück erregt, das kannst Du Dir nicht denken; in Berlin habe ichs noch nicht gesehen. Adieu, lieber Felix, tausend Grüße Deinen Lieben. Auch Woringens, die auch einen thätig theilnehmenden Freund verloren haben. Franz Wor. hat ihn noch zuletzt sehr beschäftigt. Adieu. Rebecka Lejeune Dirichlet Als ich Dir gestern schrieb, geliebter Felix! hatte ich wieder eine schwache Hoffnung! Wir sind sehr, sehr betrübt; uns alle bewegt dieselbe schmerzliche Empfindung des unersetzlichen Verlusts! Rebecka war gestern Nachmittag furchtbar aufgeregt, in dem Gefühl, wie oft sie ihn verletzt und ihm schroffe Wahrheiten gesagt. Sie ist jetzt sanft und beruhigt, wir Frauen haben uns diesen Morgen weitläuftig über die großen Eigenschaften und über die Eigenheiten des Verlornen ausgesprochen. Margarethe M. die ihn oft auch schnippisch behandelt, mußte daßelbe Reu- oder Schamgefühl gehabt haben; sie war ganz zerknirscht. – Er war, obwohl in anderm Sinn als Zelter, auch eine Figur Berlins; allgemein gekannt, oft getadelt, weit mehr mit Recht bewundert. Du kannst Dir das Zuströmen der Menschen zu seiner Wohnung, besonders von Studenten und jüngern Profeßoren nicht denken. Otto, der täglich 4 oder 5 mal hinging, wurde von fremden Menschen, von Soldaten etc. nach ihm befragt. Er war nicht nur ein seltner, er war in vieler Hinsicht ein einziger Mann. Ein freisinnigerer, gesünder organisirter lebt jetzt nicht hier, der seine Meinung unter jeder Bedingniß kühn auszusprechen wagte, sich an die Spitze jeder großmüthigen Bewegung stellen mochte. Als die Geschichte mit den Göttinger Profeßoren vorging, hatte man den Wunsch, etwas zu thun; aber Rücksichten, Schlaffheit unterdrückten jeden élan zum Handeln, bis Gans auftrat, und mit Wort und Schrift und That die ersehnte Wirkung hervorbrachte. Und wie oft bezweckte und vermochte er Aehnliches! wie hat er sich für das Schicksal jüngerer Gelehrter und Profeßoren muthig, kräftig verwendet! Noch vor einigen Tagen bestellte er ein Pariser journal, das die arme, taube Muhr zu ihren schriftstellerischen kleinen Arbeiten bedurfte! Für die Universität ists eine Verödung, ein Absterben: nur er steigerte die todte Wißenschaft zum blühenden Leben; nur er fachte den kalten Buchstaben zur Flamme an. Darüber mußte man fremde Studirende hören! Welche Trauer für seine zahlreichen Freunde! in geselliger Hinsicht kömmt mir mein Haus verödet vor, und dies sag ich nicht aus Ueberschätzung im 1. Augenblick des Schmerzes; es ist klares Bewußtsein. Wie theilnehmend in Freud und Leid, wie gutmüthig, herzlich, wie geistvoll, belebend, erregend, erheiternd war seine Nähe! Er hatte die Fehler, aber auch die Liebenswürdigkeit, die Lebhaftigkeit eines Kindes. Wie konnte man ihn über seine schlechten Angewöhnungen tadeln, wie betroffen gestand ers ein, wie trug er keinen Vorwurf nach! – Es möchte prahlhaft klingen, liebster Felix! wenn ich jetzt gestehe, daß ich mit einer Art Befriedigung Dir sage, daß ich immer und zu allen Zeiten und gegen jeden, meine aufrichtige Neigung und unerschütterliche Freundschaft zu ihm ausgesprochen. Selbst Vater der ihn sehr geliebt und hochgestellt, hatte Momente, wo er ihn heftig tadelte. Eben so Rebecka, die es mit leidenschaftlicher Heftigkeit bereut. – Und wie harte Menschen über einen Feuergeist urtheilen! Heyse berechnet die Zahl der Stunden, die er hätte lesen sollen!! Wars nicht so mit der Malibran? sie hätte sich schonen und pflegen können, wenn die Natur ihr nicht das rastlose Genie, die hinreißende Kunstliebe, das gränzenlose Selbstvergeßen ins Gemüth gepflanzt, wenn sie, mit einem Wort, nicht die Person gewesen wäre! Gans hat, nach Jahren gemeßen, ein kurzes, aber dem Inhalt nach, ein reiches, langes Leben genoßen. Seine Lebendigkeit und Wirkungskraft, sein Geistesreichthum hat ihm wohl auch viel Glück gewährt. Fähigkeiten üben, Talente verwenden, gute Gesinnungen ausströmen und Liebe zurück empfangen, ist Leben: vielleicht hats Gott gut mit ihm gemeynt, ihn so in voller Kraft und Tüchtigkeit fortzunehmen. Ein Ueberleben seiner selbst wäre für ihn und uns zu schrecklich gewesen. – Es waren diese Tage und heut so viel Besuche hier, lieber Felix! daß ich wegen dieser übereilten Zeilen um Vergebung bitten muß. Die gute liebenswürdige Solmar, deren Kreis so wie der unsre einen harten Stoß erleidet, jeden Tag fühlbar erneuert, war auch in Thränen bei uns. Es ist rührend, wie diese Trauer die Seelen verknüpft. – Meine lieben Kinder, laßt uns bald hören, daß Ihr wohl und munter seid. Wie hat Carlchen, oder beßer Cécile die Reise vertragen? sag mir ja tröstliches von der liebsten Frau Gesundheit. Die Betrübniß hat mich nur noch der Freude an Euch bedürftiger gemacht. Viele Grüße für Woringens. Franz wird wahrscheinlich einen Theil der UniversitätsErbschaft unsers lieben verewigten Freundes erhalten. Gott segne Euch! Drouet hat mich auch besucht; er hat 2 mal im Theater gespielt, ist aber mit Rederns Honorar sehr unzufrieden, er will jetzt nach Potsdam. Der schöne Mai müßte seinen Koncertplänen aber auch nicht ersprießlich sein. Lea Mendelssohn Bartholdy
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation><date cert="high" when="1839-05-05" xml:id="date_74c1a013-1b93-4175-b350-ce25683dc63f">5. 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(-)</name></persName>, die auch einen thätig theilnehmenden Freund verloren haben. <persName xml:id="persName_cad1280b-37ae-4484-ab37-162f0f01a1b3">Franz Wor.<name key="PSN0115879" style="hidden" type="person">Woringen, Franz Arnold Maria von (1804-1870)</name></persName> hat ihn noch zuletzt sehr beschäftigt. Adieu.</seg> </p> <signed rend="right"><add resp="FMBC" type="editors_addition">Rebecka Lejeune Dirichlet</add></signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_0cde62cb-7b6e-451e-99b0-584935b3168e"> <docAuthor key="PSN0113260" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_c394669f-82fd-4cf9-b902-1bffa4ebf5ff">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777–1842)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0113260" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_59834670-3520-45db-8927-b28fb997bd7a">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777–1842)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Als ich Dir <date cert="high" when="1839-05-04" xml:id="date_9345a62d-5376-4cb6-bb24-8f9f47e19817">gestern</date> <title xml:id="title_c74f25e5-78d6-4970-8302-9f7fce2734ee">schrieb <name key="PSN0113260" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777–1842)</name> <name key="gb-1839-05-04-01" style="hidden" type="letter">Lea Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy an Felix Mendelssohn Bartholdy in Frankfurt a. M.; Berlin, 4. Mai 1839</name> </title>, <seg type="salute">geliebter Felix!</seg> hatte ich wieder eine schwache Hoffnung! Wir sind <hi n="1" rend="underline">sehr</hi>, sehr betrübt; uns alle bewegt dieselbe schmerzliche Empfindung des unersetzlichen Verlusts! <persName xml:id="persName_877d4e80-dfde-41f4-8ff9-e389c23d1b59">Rebecka<name key="PSN0110673" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> war <date cert="high" when="1839-05-04" xml:id="date_0018f0ea-3d33-4e0f-a7b0-c04f0d02101c">gestern</date> Nachmittag furchtbar aufgeregt, in dem Gefühl, wie oft sie ihn verletzt und ihm schroffe Wahrheiten gesagt. Sie ist jetzt sanft und beruhigt, wir Frauen haben uns diesen Morgen weitläuftig über die <hi n="1" rend="underline">großen</hi> Eigenschaften und über die Eigenheiten des Verlornen ausgesprochen. <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_b6fbdf48-d4fd-455a-9d54-e2159c2ef30b">Margarethe M<name key="PSN0113229" style="hidden" type="person">Mendelssohn, Margarete (Margarethe) Anna Henriette (1823-1890)</name></persName></hi>. die ihn oft auch schnippisch behandelt, mußte daßelbe Reu- oder Schamgefühl gehabt haben; sie war ganz zerknirscht. – Er war, obwohl in anderm Sinn als <persName xml:id="persName_d81ab0ee-e112-44da-9ad7-0b83ab5b9a27">Zelter<name key="PSN0115916" style="hidden" type="person">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName>, auch eine <hi n="1" rend="underline">Figur</hi> <placeName xml:id="placeName_1677242c-0d4a-47ae-8eb9-f6eab8a02ffc">Berlins<settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>; allgemein gekannt, oft getadelt, weit mehr mit Recht bewundert. Du kannst Dir das Zuströmen der Menschen<seg type="pagebreak"> |4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> zu seiner Wohnung, besonders von Studenten und jüngern Profeßoren nicht denken. <persName xml:id="persName_ada23499-698d-47a0-bccd-7a561b8588c6">Otto<name key="PSN0118613" style="hidden" type="person">Westphal, Otto Carl Friedrich (1800-1879)</name></persName>, der täglich 4 oder 5 mal hinging, wurde von fremden Menschen, von Soldaten etc. nach ihm befragt. Er war nicht nur ein seltner, er war in vieler Hinsicht ein einziger Mann. Ein freisinnigerer, gesünder organisirter lebt jetzt nicht hier, der seine Meinung unter jeder Bedingniß kühn auszusprechen wagte, sich an die Spitze jeder großmüthigen Bewegung stellen mochte. Als die Geschichte mit den <placeName xml:id="placeName_ebf2d099-1441-4eef-9b52-fea22ab03a6c">Göttinger<settlement key="STM0103656" style="hidden" type="locality">Göttingen</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> Profeßoren<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_3096f13e-ca40-4a45-a909-8652efd3860f" xml:lang="de">Geschichte mit den Göttinger Profeßoren – Die sogenannten »Göttinger Sieben«, Professoren der Universität Göttingen, unterzeichneten im November 1837 eine Protestschrift gegen die Aufhebung der liberalen Verfassung durch den König Ernst August von Großbritannien und Hannover. Sie wurden entlassen und drei von ihnen des Landes verwiesen. In Folge organisierte man an verschiedenen Orten Deutschlands Subskriptionen zugunsten der »Göttinger Sieben«. Eduard Gans bemühte sich zusammen mit seinem Freund und Kollegen Peter Gustav Lejeune Dirichlet in Berlin auch um finanzielle Unterstützung.</note> vorging, hatte man den Wunsch, etwas zu thun; aber Rücksichten, Schlaffheit unterdrückten jeden <hi rend="latintype">élan</hi> zum Handeln, bis <persName xml:id="persName_c441e3ef-5dfc-4629-b89a-ffcb25f268a9">Gans<name key="PSN0111279" style="hidden" type="person">Gans, Eduard (bis 1825: Elias) (1797-1839)</name></persName> auftrat, und mit Wort und Schrift und That die ersehnte Wirkung hervorbrachte. Und wie oft bezweckte und vermochte er Aehnliches! wie hat er sich für das Schicksal jüngerer Gelehrter und Profeßoren muthig, kräftig verwendet! Noch vor einigen Tagen bestellte er ein <hi rend="latintype">Pariser journal</hi>, das die arme, taube <persName xml:id="persName_8e16daee-b463-4ee8-ab3e-e0284fa2020d">Muhr<name key="PSN0119570" style="hidden" type="person">Muhr, Julie</name></persName> zu ihren schriftstellerischen kleinen Arbeiten bedurfte! Für die <placeName xml:id="placeName_68f31df8-5283-4755-b854-7005721624b5">Universität<name key="NST0100421" style="hidden" subtype="" type="institution">Friedrich-Wilhelms-Universität</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> ists eine Verödung, ein Absterben: nur er steigerte die todte Wißenschaft zum blühenden Leben; nur er fachte den kalten Buchstaben zur Flamme an. Darüber mußte man <hi n="1" rend="underline">fremde</hi> Studirende hören! Welche Trauer für seine zahlreichen Freunde! in <hi n="1" rend="underline">geselliger</hi> Hinsicht kömmt mir mein Haus verödet vor, und dies sag ich nicht aus Ueberschätzung im 1. Augenblick des Schmerzes; es ist klares Bewußtsein. Wie theilnehmend in Freud und Leid, wie gutmüthig, herzlich, wie geistvoll, belebend, erregend, erheiternd war seine Nähe! Er hatte die Fehler, aber auch die Liebenswürdigkeit, die Lebhaftigkeit eines Kindes. Wie konnte man ihn über seine schlechten Angewöhnungen tadeln, wie betroffen gestand ers ein, wie trug er keinen Vorwurf nach! – Es möchte prahlhaft klingen, liebster Felix! wenn ich jetzt gestehe, daß ich mit einer Art Befriedigung Dir sage, daß ich immer und zu allen Zeiten und gegen jeden, meine aufrichtige Neigung und unerschütterliche Freundschaft zu ihm ausgesprochen. Selbst <persName xml:id="persName_d455e35d-2303-44d5-9a54-c7d2281951d5">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> der ihn sehr geliebt und hochgestellt, hatte Momente, wo er ihn heftig tadelte.<seg type="pagebreak"> |5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg> Eben so <persName xml:id="persName_e4e88c68-a495-407a-9cbb-cbce07225450">Rebecka<name key="PSN0110673" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName>, die es mit leidenschaftlicher Heftigkeit bereut. – Und wie harte Menschen über einen Feuergeist urtheilen! <persName xml:id="persName_5db50a64-9651-4391-9fe9-8b188f4c5662">Heyse<name key="PSN0111970" style="hidden" type="person">Heyse, Carl Wilhelm Ludwig (1797-1855)</name></persName> berechnet die Zahl der Stunden, die er hätte lesen <hi n="1" rend="underline">sollen</hi>!! Wars nicht so mit der <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_8980a95c-a8e3-43cd-a9c4-0edeeb806f51">Malibran<name key="PSN0113047" style="hidden" type="person">Malibran, María Felicità (1808-1836)</name></persName></hi>? sie hätte sich schonen und pflegen können, wenn die Natur ihr <hi n="1" rend="underline">nicht</hi> das rastlose Genie, die hinreißende Kunstliebe, das gränzenlose Selbstvergeßen ins Gemüth gepflanzt, wenn sie, mit einem Wort, nicht <hi n="1" rend="underline">die</hi> Person gewesen wäre! <persName xml:id="persName_e353c418-ca35-49e0-a384-b1aa22814b35">Gans<name key="PSN0111279" style="hidden" type="person">Gans, Eduard (bis 1825: Elias) (1797-1839)</name></persName> hat, nach Jahren gemeßen, ein kurzes, aber dem Inhalt nach, ein reiches, langes Leben genoßen. Seine Lebendigkeit und Wirkungskraft, sein Geistesreichthum hat ihm wohl auch viel Glück gewährt. Fähigkeiten üben, Talente verwenden, gute Gesinnungen ausströmen und Liebe zurück empfangen, <hi n="1" rend="underline">ist</hi> Leben: vielleicht hats Gott gut mit ihm gemeynt, ihn so in voller Kraft und Tüchtigkeit fortzunehmen. Ein Ueberleben seiner selbst wäre für ihn und uns zu schrecklich gewesen. – Es waren diese Tage und heut so viel Besuche hier, lieber Felix! daß ich wegen dieser übereilten Zeilen um Vergebung bitten muß. Die gute liebenswürdige <persName xml:id="persName_f641d6c2-5b23-459b-a524-4112dd81f4f5">Solmar<name key="PSN0114964" style="hidden" type="person">Solmar, Henriette Marie (vorh. Jette Salomon) (1794-1889)</name></persName>, deren Kreis so wie der unsre einen harten Stoß erleidet, <hi n="1" rend="underline">jeden Tag fühlbar</hi> erneuert, war auch in Thränen bei uns. Es ist rührend, wie diese Trauer die Seelen verknüpft. – </p> <p>Meine lieben Kinder, laßt uns bald hören, daß Ihr wohl und munter seid. Wie hat <persName xml:id="persName_e1271699-0785-49a1-aa3e-e8d18bd9e0dd">Carlchen<name key="PSN0113251" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Carl (seit ca. 1859: Karl) Wolfgang Paul (1838-1897)</name></persName>, oder beßer <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_c90b7897-cde7-4820-a227-e779db71640a">Cécile<name key="PSN0113252" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853)</name></persName></hi> die Reise vertragen?<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_3b037a25-9817-4e9b-af43-449f90e33081" xml:lang="de">die Reise vertragen – Gemeint ist die gemeinsame Reise nach Frankfurt a. M.</note> sag mir ja tröstliches von der liebsten Frau Gesundheit. Die Betrübniß hat mich nur noch der Freude an Euch bedürftiger gemacht. Viele Grüße für <persName xml:id="persName_7d73c1e5-5dda-4781-bc01-11d471fc2464">Woringens<name key="PSN0115873" style="hidden" type="person">Woringen, Familie von → Georgius Otto Philippus von W. (-)</name></persName>. <persName xml:id="persName_17f204fe-8478-47d7-9a74-bed4d344b38d">Franz<name key="PSN0115879" style="hidden" type="person">Woringen, Franz Arnold Maria von (1804-1870)</name></persName> wird wahrscheinlich einen Theil der UniversitätsErbschaft unsers lieben verewigten Freundes erhalten.</p> <p>Gott segne Euch!</p> <p><hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_9d57334e-6b8f-45ba-acb5-d4339fa9dcea">Drouet<name key="PSN0110748" style="hidden" type="person">Drouet, Louis François Philippe (1792-1873)</name></persName></hi> hat mich auch besucht; er hat 2 mal im <placeName xml:id="placeName_3d6ebc98-2af5-4c32-a785-c51255b30ef5">Theater<name key="NST0100297" style="hidden" subtype="" type="institution">Königsstädtisches Theater</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> gespielt,<seg type="pagebreak"> |6|<pb n="6" type="pagebreak"></pb></seg> ist aber mit <persName xml:id="persName_8319bb2b-9f78-4ff9-b0a8-78503edb2f6d">Rederns<name key="PSN0114098" style="hidden" type="person">Redern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883)</name></persName> Honorar sehr unzufrieden, er will jetzt nach <placeName xml:id="placeName_641e593c-b8f9-4ba8-936c-f124eb5644f3">Potsdam<settlement key="STM0100330" style="hidden" type="locality">Potsdam</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>. Der schöne Mai müßte seinen Koncertplänen aber auch nicht ersprießlich sein.</p> <signed rend="right"><add resp="FMBC" type="editors_addition">Lea Mendelssohn Bartholdy</add></signed> </div> </body> </text></TEI>