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gb-1839-03-22-03

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Ernst Volkmar Wienand an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig <lb></lb>Leipzig, 22. März 1839 Oft vermag ein Brief mehr als das nur zu leicht stockende und allzu schüchterne Mundwerk. So dachte ich, als ich es unternahm diesen Brief an Sie zu richten. Ich bin zu voll, ich weiß fast Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) unbekannt unbekannt Wienand, Ernst VolkmarWienand, Ernst Volkmar Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien London GB-Ltsc London, The Schøyen Collection Music Section M.D.M. d. 35/100. Autograph Ernst Volkmar Wienand an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig; Leipzig, 22. März 1839 Oft vermag ein Brief mehr als das nur zu leicht stockende und allzu schüchterne Mundwerk. So dachte ich, als ich es unternahm diesen Brief an Sie zu richten. Ich bin zu voll, ich weiß fast

1 Doppelbl.: S. 1-4 Brieftext. Der Brief ist unvollständig überliefert.

Ernst Volkmar Wienand.

Green Books

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

22. März 1839 Wienand, Ernst Volkmarcounter-resetWienand, Ernst Volkmar LeipzigDeutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) LeipzigDeutschland deutsch
Wienand, Ernst Volkmar Wienand, Ernst Volkmar Leipzig d. 22ten Mrz 1839 Hochverehrtester Herr!

Oft vermag ein Brief mehr als das nur zu leicht stockende und allzu schüchterne Mundwerk. So dachte ich, als ich es unternahm diesen Brief an Sie zu richten. Ich bin zu voll, ich weiß fast nicht, welche Bitte ich zuerst ergehen laßen soll, am wichtigsten aber scheint mir, wenn ich Sie vor Allem ersuche, ja meine Kühnheit nicht all zu strenge und zu scharf zu betrachten, und mir diesen 2ten Schritt der Noth nicht übel zu deuten. Sollten Sie mir auch nicht willfahren, al so verzeihen Sie mir nur, zählen Sie auch wenigstens nicht zu den Dreisten, deren es gleichviel gibt, was die Welt von ihnen hält, wenn sie anders nur ihr Ziel erreicht haben. – Hätten Sie eine solche Meinung von mir, und ließen mir dennoch eine Unterstützung angedeihen, o! wie würde ich mich da, trotz meiner so beschränkten Verhältniße, gekränkt fühlen! – Und sollte ich das auch nicht, da es ja bei einer solchen Ueberzeugung scheinen würde, als habe man mir nur gegeben um mich aus den Augen zu schaffen, um mich nur, je eher desto lieber, gleich einem gemeinen Bettler, bei deßen Bitte man nicht fragt ob er des Empfangenen auch würdig sey, los zu werden? Lieber will ich, ich muß es Ihnen offen gestehen, nochmals unbefriedigt von Ihnen abziehen, als noch so reich beladen, |2| aber mit der stillen Gewißheit, Dein Wohlthäter schaut nur mit Verachtung auf Dich, – Dank stammelnd vor Ihnen stehen. – Es dürfte nun wohl scheinen, daß ich gar der Meinung sey, ich könnte mit meinen wiederholten Anliegen und mit diesem Schreiben gar nicht mißfällig und lästig werden, gerade ich halte mich mit meiner wichti Angelegenheit für wichtig genug, daß ich einem festen so emsig beschäftigten Manne nicht beschwerlich und störend fallen dürfte. Nein, dieser Meinung bin ich nicht! – Im Gegentheil ist meine Meinung, daß ein flehender, sey er noch so geplagt, sey er auch von dem härtesten Schicksale getroffen, und seine Leidensgeschichte die rührendste, daß ein Flehender, sage ich, auch bei dem Gütigsten und Zartfühlensten, niemals mit seiner Bitte angenehm werden könne, nie einen freudigen Eindruck auf die Gemüther machen wird, da er es ja nur für die höchste Gnade ansehen darf, wenn er eine Aufnahme findet, die ihn überzeugt, er falle wenigstens nicht lästig, man verachte ihn nicht, man sey ihm gnädig. Und mit dieser Hoffnung, ja fast mit dieser Ueberzeugung, gebe ich Ihnen diesen Brief, ich glaube Sie werden ihn gnädig annehmen, denn waren Sie es nicht, der sich mir so gütig erwies als schon einmal mit einem mündlichen Vortrage ausgerüstet, bei Ihnen einsprach? – O! gedenke ich jenes Tages, so möchte Schamröthe mein ganzes Gesicht erfüllen, denn was können Sie wohl anders von mir halten, als daß ich Sie villeicht über meine Verhältniße belogen, daß man mir, von Seiten meiner Lehrer, wegen begangenem Fehltritte nicht im Mindesten wohlwolle, daß ich mir jene Summe, wer weiß zu welchem Zwecke erbeten habe, da ich es ja nicht wagte jene von Ihnen so billig gestellte Bedingung einzugehen.

|3| Darum, sollte auch mein Brief ohne hilfreichen Erfolg für mich sein, so sey er doch, wenn es vergönnt ist, gewißermaßen von Rechtfertigung. – Jedoch, ehe ich nun den Inhalt meines Briefes beginn, muß ich noch einige Wünsche vorausschicken, als: Mögte ich doch ja nicht beschwerlich fallen, mögte mein Brief gerade zu einer Zeit bei Ihnen ankommen, wo es Ihnen Ihre Geschäffte gestatten einige Augenblicke einem Brief dieser Art zu opfern, freilich mit der Voraussetzung, daß Sie über die vielfachen Mängel und stilistischen Schmachsorten des Schreibens gütig hinwegsehen! –

Wie ich Ihnen villeicht schon damals gesagt habe, so bin ich aus einem kleinen Dorfe bei AltenburgAltenburgDeutschland gebürtig. Der Name des Dörfleins ist RamsdorfRamsdorfDeutschland, und mein Vater ist hierselbst ein dürftiger Schulmeister. Ob der Dürftigkeit, ob allem geringen Gehalte den ein Dorfschulmeister, wie mein Vater, haben kann, würde mich derselbe dennoch auf der ThomasschuleThomasschuleLeipzigDeutschland so halten können, daß ich keine Noth leiden würde, am allerwenigsten aber so mißliche Schritte zu thun nöthig hätte; denn hätte mein Vater, der so besonnene und für die Seinen so fürsorgende Mann es vorausgesehen, daß ich einst schon auf der Thomasschule so große Noth leiden müßte, – nimmermehr hätte er den Plan, mich studieren zu laßen, ins Werk gesetzt, ja er hätte das für eine Tollheit angesehen. So aber gesund, und voller Hoffnung das Angefangene ausführen zu können, lies er mich auf der Thomasschule und unterstützte mich auch bis jetzt stets so, daß ich fast gar nicht glauben konnte, wie ein Mensch in so unselige Verhältniße gerathen könne. Zu den Unterstützungen meines Vaters kam aber auch noch der reichliche Zufluß, den mir das erste Solo-Sängeramt im 2 ½ Soprane bot. In der That ich befand mich in dieser Zeit so wohl, daß ich dieselbe, trotz ihrer üblen Folgen, immer noch für die schönste meines jungen Lebens halte.

|4| Drei volle Jahre hatte diese schöne Zeit gedauert, da sollte es aber anders werden, ich hatte mich übersungen, ich verlor plötzlich meine Stimme, denn kaum hatte ich einst, es war an einem Neujahrstag in der Kirchenmusick, meine Alt-Arie vollendet, als mich ein heftiger Husten überfiel, der mehrere Tage dauerte und sich endlich, nachdem alle Stimme verloren war, in ein langwieriges Heisersein verbunden mit Blutspucken auflösete. Von dieser Zeit an war meine Stimme und meine Einnahme verloren denn nie habe ich mir wieder als Sänger etwas verdienen können. – Dennoch war mein Loos ein erträgliches; mein Vater konnte mir ja immernoch hinlänglich geben, ich bekam genugsam, um damit für meine Bedürfniße auszulangen. –

Aber wie ganz anders ist das Alles geworden, wie empfindlich zeigen sich mir des Lebens trübe Seiten. – Mittelos und entblößt von aller Hülfe stehe ich gegenwärtig da, nichts habe ich als, Essen, Trinken, Wohnung und Unterricht, denn das beutbeut – bietet. mir die Schule. Aber giebt es nicht außer diesen noch so viele andre nothwendige Dinge, die mir Niemand mehr erzeugt die ich ganz aus eignen Mitteln mir jetzt schaffen soll. Woher soll ich das Geld nehmen da gerade bei mir die Zahl der besoldet Officianten abschneidet, da gerade ich den Dienst eines Kirchensängers nicht annehmen kann, und mir zugleich auch die nächsten hilfreichen Quellen, die meines Vaters, gänzlich vertrocknet sind. – Bis jetzt, sagte ich vorhin, habe ich kein Noth gelitten, ich meine damit, bis Anfang des verfloßenen Jahres; denn länger als ein Jahr liegt mir der Vater krank darnieder, und muß fast das eine Viertel seines so geringen Gehaltes an Artzt und Apotheke zahlen, während das andre der angenommene Hilfslehrer erhält, so daß fast das geringste nur für den eignen Bedarf übrig bleibt. Nun berechne man, wie ich noch Ansprüche an meinen armen Vater machen kann, dessen ganzer Gehalt nur 200 rh sind, und der oft, bei der größten Einschränkung selbst auf dem Krankenbette, das Nöthigste nicht bestreiten kann.

            Leipzig d. 22ten Mrz 1839 Hochverehrtester Herr!
Oft vermag ein Brief mehr als das nur zu leicht stockende und allzu schüchterne Mundwerk. So dachte ich, als ich es unternahm diesen Brief an Sie zu richten. Ich bin zu voll, ich weiß fast nicht, welche Bitte ich zuerst ergehen laßen soll, am wichtigsten aber scheint mir, wenn ich Sie vor Allem ersuche, ja meine Kühnheit nicht all zu strenge und zu scharf zu betrachten, und mir diesen 2ten Schritt der Noth nicht übel zu deuten. Sollten Sie mir auch nicht willfahren, al so verzeihen Sie mir nur, zählen Sie auch wenigstens nicht zu den Dreisten, deren es gleichviel gibt, was die Welt von ihnen hält, wenn sie anders nur ihr Ziel erreicht haben. – Hätten Sie eine solche Meinung von mir, und ließen mir dennoch eine Unterstützung angedeihen, o! wie würde ich mich da, trotz meiner so beschränkten Verhältniße, gekränkt fühlen! – Und sollte ich das auch nicht, da es ja bei einer solchen Ueberzeugung scheinen würde, als habe man mir nur gegeben um mich aus den Augen zu schaffen, um mich nur, je eher desto lieber, gleich einem gemeinen Bettler, bei deßen Bitte man nicht fragt ob er des Empfangenen auch würdig sey, los zu werden? Lieber will ich, ich muß es Ihnen offen gestehen, nochmals unbefriedigt von Ihnen abziehen, als noch so reich beladen, aber mit der stillen Gewißheit, Dein Wohlthäter schaut nur mit Verachtung auf Dich, – Dank stammelnd vor Ihnen stehen. – Es dürfte nun wohl scheinen, daß ich gar der Meinung sey, ich könnte mit meinen wiederholten Anliegen und mit diesem Schreiben gar nicht mißfällig und lästig werden, gerade ich halte mich mit meiner wichti Angelegenheit für wichtig genug, daß ich einem festen so emsig beschäftigten Manne nicht beschwerlich und störend fallen dürfte. Nein, dieser Meinung bin ich nicht! – Im Gegentheil ist meine Meinung, daß ein flehender, sey er noch so geplagt, sey er auch von dem härtesten Schicksale getroffen, und seine Leidensgeschichte die rührendste, daß ein Flehender, sage ich, auch bei dem Gütigsten und Zartfühlensten, niemals mit seiner Bitte angenehm werden könne, nie einen freudigen Eindruck auf die Gemüther machen wird, da er es ja nur für die höchste Gnade ansehen darf, wenn er eine Aufnahme findet, die ihn überzeugt, er falle wenigstens nicht lästig, man verachte ihn nicht, man sey ihm gnädig. Und mit dieser Hoffnung, ja fast mit dieser Ueberzeugung, gebe ich Ihnen diesen Brief, ich glaube Sie werden ihn gnädig annehmen, denn waren Sie es nicht, der sich mir so gütig erwies als schon einmal mit einem mündlichen Vortrage ausgerüstet, bei Ihnen einsprach? – O! gedenke ich jenes Tages, so möchte Schamröthe mein ganzes Gesicht erfüllen, denn was können Sie wohl anders von mir halten, als daß ich Sie villeicht über meine Verhältniße belogen, daß man mir, von Seiten meiner Lehrer, wegen begangenem Fehltritte nicht im Mindesten wohlwolle, daß ich mir jene Summe, wer weiß zu welchem Zwecke erbeten habe, da ich es ja nicht wagte jene von Ihnen so billig gestellte Bedingung einzugehen.
 Darum, sollte auch mein Brief ohne hilfreichen Erfolg für mich sein, so sey er doch, wenn es vergönnt ist, gewißermaßen von Rechtfertigung. – Jedoch, ehe ich nun den Inhalt meines Briefes beginn, muß ich noch einige Wünsche vorausschicken, als: Mögte ich doch ja nicht beschwerlich fallen, mögte mein Brief gerade zu einer Zeit bei Ihnen ankommen, wo es Ihnen Ihre Geschäffte gestatten einige Augenblicke einem Brief dieser Art zu opfern, freilich mit der Voraussetzung, daß Sie über die vielfachen Mängel und stilistischen Schmachsorten des Schreibens gütig hinwegsehen! –
Wie ich Ihnen villeicht schon damals gesagt habe, so bin ich aus einem kleinen Dorfe bei Altenburg gebürtig. Der Name des Dörfleins ist Ramsdorf, und mein Vater ist hierselbst ein dürftiger Schulmeister. Ob der Dürftigkeit, ob allem geringen Gehalte den ein Dorfschulmeister, wie mein Vater, haben kann, würde mich derselbe dennoch auf der Thomasschule so halten können, daß ich keine Noth leiden würde, am allerwenigsten aber so mißliche Schritte zu thun nöthig hätte; denn hätte mein Vater, der so besonnene und für die Seinen so fürsorgende Mann es vorausgesehen, daß ich einst schon auf der Thomasschule so große Noth leiden müßte, – nimmermehr hätte er den Plan, mich studieren zu laßen, ins Werk gesetzt, ja er hätte das für eine Tollheit angesehen. So aber gesund, und voller Hoffnung das Angefangene ausführen zu können, lies er mich auf der Thomasschule und unterstützte mich auch bis jetzt stets so, daß ich fast gar nicht glauben konnte, wie ein Mensch in so unselige Verhältniße gerathen könne. Zu den Unterstützungen meines Vaters kam aber auch noch der reichliche Zufluß, den mir das erste Solo-Sängeramt im 2 ½ Soprane bot. In der That ich befand mich in dieser Zeit so wohl, daß ich dieselbe, trotz ihrer üblen Folgen, immer noch für die schönste meines jungen Lebens halte.
 Drei volle Jahre hatte diese schöne Zeit gedauert, da sollte es aber anders werden, ich hatte mich übersungen, ich verlor plötzlich meine Stimme, denn kaum hatte ich einst, es war an einem Neujahrstag in der Kirchenmusick, meine Alt-Arie vollendet, als mich ein heftiger Husten überfiel, der mehrere Tage dauerte und sich endlich, nachdem alle Stimme verloren war, in ein langwieriges Heisersein verbunden mit Blutspucken auflösete. Von dieser Zeit an war meine Stimme und meine Einnahme verloren denn nie habe ich mir wieder als Sänger etwas verdienen können. – Dennoch war mein Loos ein erträgliches; mein Vater konnte mir ja immernoch hinlänglich geben, ich bekam genugsam, um damit für meine Bedürfniße auszulangen. –
Aber wie ganz anders ist das Alles geworden, wie empfindlich zeigen sich mir des Lebens trübe Seiten. – Mittelos und entblößt von aller Hülfe stehe ich gegenwärtig da, nichts habe ich als, Essen, Trinken, Wohnung und Unterricht, denn das beut mir die Schule. Aber giebt es nicht außer diesen noch so viele andre nothwendige Dinge, die mir Niemand mehr erzeugt die ich ganz aus eignen Mitteln mir jetzt schaffen soll. Woher soll ich das Geld nehmen da gerade bei mir die Zahl der besoldet Officianten abschneidet, da gerade ich den Dienst eines Kirchensängers nicht annehmen kann, und mir zugleich auch die nächsten hilfreichen Quellen, die meines Vaters, gänzlich vertrocknet sind. – Bis jetzt, sagte ich vorhin, habe ich kein Noth gelitten, ich meine damit, bis Anfang des verfloßenen Jahres; denn länger als ein Jahr liegt mir der Vater krank darnieder, und muß fast das eine Viertel seines so geringen Gehaltes an Artzt und Apotheke zahlen, während das andre der angenommene Hilfslehrer erhält, so daß fast das geringste nur für den eignen Bedarf übrig bleibt. Nun berechne man, wie ich noch Ansprüche an meinen armen Vater machen kann, dessen ganzer Gehalt nur 200 rh sind, und der oft, bei der größten Einschränkung selbst auf dem Krankenbette, das Nöthigste nicht bestreiten kann.          
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Nein, dieser Meinung bin ich nicht! – Im Gegentheil ist meine Meinung, daß ein flehender, sey er noch so geplagt, sey er auch von dem härtesten Schicksale getroffen, und seine Leidensgeschichte die rührendste, daß ein Flehender, sage ich, auch bei dem Gütigsten und Zartfühlensten, niemals mit seiner Bitte angenehm werden könne, nie einen freudigen Eindruck auf die Gemüther machen wird, da er es ja nur für die höchste Gnade ansehen darf, wenn er eine Aufnahme findet, die ihn überzeugt, er falle wenigstens nicht lästig, man verachte ihn nicht, man sey ihm gnädig. Und mit dieser Hoffnung, ja fast mit dieser Ueberzeugung, gebe ich Ihnen diesen Brief, ich glaube Sie werden ihn gnädig annehmen, denn waren Sie es nicht, der sich mir so gütig erwies als schon einmal mit einem mündlichen Vortrage ausgerüstet, bei Ihnen einsprach? – O! gedenke ich jenes Tages, so möchte Schamröthe mein ganzes Gesicht erfüllen, denn was können Sie wohl anders von mir halten, als daß ich Sie villeicht über meine Verhältniße belogen, daß man mir, von Seiten meiner Lehrer, wegen begangenem Fehltritte nicht im Mindesten wohlwolle, daß ich mir jene Summe, wer weiß zu welchem Zwecke erbeten habe, da ich es ja nicht wagte jene von Ihnen so billig gestellte Bedingung einzugehen.</p> <p><seg type="pagebreak">|3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> Darum, sollte auch mein Brief ohne hilfreichen Erfolg für mich sein, so sey er doch, wenn es vergönnt ist, gewißermaßen von Rechtfertigung. – Jedoch, ehe ich nun den Inhalt meines Briefes beginn, muß ich noch einige Wünsche vorausschicken, als: Mögte ich doch ja nicht beschwerlich fallen, mögte mein Brief gerade zu einer Zeit bei Ihnen ankommen, wo es Ihnen Ihre Geschäffte gestatten einige Augenblicke einem Brief dieser Art zu opfern, freilich mit der Voraussetzung, daß Sie über die vielfachen Mängel und stilistischen Schmachsorten des Schreibens gütig hinwegsehen! – </p> <p>Wie ich Ihnen villeicht schon damals gesagt habe, so bin ich aus einem kleinen Dorfe bei <placeName xml:id="placeName_0687672b-b127-4e1d-8c9d-e6aead5489c6">Altenburg<settlement key="STM0100592" style="hidden" type="locality">Altenburg</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> gebürtig. 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So aber gesund, und voller Hoffnung das Angefangene ausführen zu können, lies er mich auf der Thomasschule und unterstützte mich auch bis jetzt stets so, daß ich fast gar nicht glauben konnte, wie ein Mensch in so unselige Verhältniße gerathen könne. Zu den Unterstützungen meines Vaters kam aber auch noch der reichliche Zufluß, den mir das erste Solo-Sängeramt im 2 ½ Soprane bot. In der That ich befand mich in dieser Zeit so wohl, daß ich dieselbe, trotz ihrer üblen Folgen, immer noch für die schönste meines jungen Lebens halte.</p> <p><seg type="pagebreak">|4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> Drei volle Jahre hatte diese schöne Zeit gedauert, da sollte es aber anders werden, ich hatte mich übersungen, ich verlor plötzlich meine Stimme, denn kaum hatte ich einst, es war an einem Neujahrstag in der Kirchenmusick, meine Alt-Arie vollendet, als mich ein heftiger Husten überfiel, der mehrere Tage dauerte und sich endlich, nachdem alle Stimme verloren war, in ein langwieriges Heisersein verbunden mit Blutspucken auflösete. Von dieser Zeit an war meine Stimme und meine Einnahme verloren denn nie habe ich mir wieder als Sänger etwas verdienen können. – Dennoch war mein Loos ein erträgliches; mein Vater konnte mir ja immernoch hinlänglich geben, ich bekam genugsam, um damit für meine Bedürfniße auszulangen. – </p> <p>Aber wie ganz anders ist das Alles geworden, wie empfindlich zeigen sich mir des Lebens trübe Seiten. – Mittelos und entblößt von aller Hülfe stehe ich gegenwärtig da, nichts habe ich als, Essen, Trinken, Wohnung und Unterricht, denn das beut<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_7cc51756-46ad-4668-ad78-7846a3e56d01" xml:lang="de">beut – bietet.</note> mir die Schule. Aber giebt es nicht außer diesen noch so viele andre nothwendige Dinge, die mir Niemand mehr erzeugt die ich ganz aus eignen Mitteln mir jetzt schaffen soll. Woher soll ich das Geld nehmen da gerade bei mir die Zahl der besoldet Officianten abschneidet, da gerade ich den Dienst eines Kirchensängers nicht annehmen kann, und mir zugleich auch die nächsten hilfreichen Quellen, die meines Vaters, gänzlich vertrocknet sind. – Bis jetzt, sagte ich vorhin, habe ich kein Noth gelitten, ich meine damit, bis Anfang des verfloßenen Jahres; denn länger als ein Jahr liegt mir der Vater krank darnieder, und muß fast das eine Viertel seines so geringen Gehaltes an Artzt und Apotheke zahlen, während das andre der angenommene Hilfslehrer erhält, so daß fast das geringste nur für den eignen Bedarf übrig bleibt. Nun berechne man, wie ich noch Ansprüche an meinen armen Vater machen kann, dessen ganzer Gehalt nur 200 rh sind, und der oft, bei der größten Einschränkung selbst auf dem Krankenbette, das Nöthigste nicht bestreiten kann.</p> </div> </body> </text></TEI>