]> Brief: gb-1837-06-30-02

gb-1837-06-30-02

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Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Frankfurt a. M., adressiert an Moses Isaak Hertz <lb></lb> London, 30. Juni 1837 Gestern erhielt ich Deinen brüderlichen Brief, und stehe darauf sofort und heute Rede und Antwort wie folgt: Ich bin in einer grandiosen Ungewißheit über Alles was mit mir vorgenommen werden kann, erwarte es aber mit Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London; Frankfurt a. M., 24. Juni 1837 Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London; Koblenz, 9. August 1837 Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Transkription: FMB-C Edition: Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 32/54. Autograph Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Frankfurt a. M., adressiert an Moses Isaak Hertz; London, 30. Juni 1837 Gestern erhielt ich Deinen brüderlichen Brief, und stehe darauf sofort und heute Rede und Antwort wie folgt: Ich bin in einer grandiosen Ungewißheit über Alles was mit mir vorgenommen werden kann, erwarte es aber mit

1 Doppelbl.: S. 1-2 Brieftext; S. 3 leer; S. 4 Adresse, 3 Poststempel [LONDON 30 JUNE / 1837], [Engeland / over Rotterdam], [D. 1 / 5 7], Siegel.

Carl Klingemann

Green Books

Klingemann, Briefwechsel, S. 217.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

30. Juni 1837 Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)counter-resetKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862) London Großbritannien Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Frankfurt a. M. Deutschland deutsch
Herrn MusikDirector Dr Mendelssohn per adr. des Herrn M. J. HerzHertz, Moses Isaak (1778-1848) Frankfurt o/M Rotterdam Steamboat. Single.
Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862) Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862) 4. Hobart Place Eaton Square, 30. Juny, 1837. Liebster Felix,

Gestern erhielt ich Deinen brüderlichen Brief <name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name> <name key="fmb-1837-06-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London; Frankfurt a. M., 24. Juni 1837</name> , und stehe darauf sofort und heute Rede und Antwort wie folgt: Ich bin in einer grandiosen Ungewißheit über Alles was mit mir vorgenommen werden kann, erwarte es aber mit gleich grandioser Gelassenheit.

Das ist der Text, über den sich nun des breitern predigen ließe, hätte man Zeit.

Von meinem letzten Briefe an konnte ich mich schon auf das Ereignis gefaßt haltenauf das Ereignis gefaßt halten – Durch den Tod des englischen Königs Wilhelm IV 20. Juni 1837 stand die Hannoversche Kanzlei in London, in der Carl Klingemann arbeitete, vor der Auflösung. und habs gethan. Da es für uns Alle von der Canzlei eine Art Lebensfrage ist, und für den hannoverschen Menschen in einem jeden von uns auch kein Quark, so haben wirs weidlich durchgesprochen, und – what with hin- und herüberdenken und hin- und herübersprechen habe ich mich so satt daran conjecturirt,conjecturirt – conjekturieren, veraltet für »mutmaßen« daß, nachdem es nun endlich gekommen und erlitten war, eine wahrhaft behagliche Abspannung eintrat, in der ich mich Gottlob noch befinde und einstweilen zu verharren gedenke.

Das Weitere ist welthistorisch und steht in den Zeitungen zu lesen – namentlich wie unser König von HannoverGroßbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830)König von Hannover – Der englische König Georg IV. verstarb am 26. Juni 1830 ohne legitime Nachkommen, weshalb ihm Wilhelm als König von Großbritannien sowie König von Hannover unter dem Herrschernamen Wilhelm IV. nachfolgte. Mit 64 Jahren war er bis dahin der bei Amtsantritt älteste britische Monarch. abgereist ist, sein Königreich anzutreten und darauf angefangen hat zu regiren. Von letzterem weißt Du just so viel wie ich, nämlich was der nächste Tag bringt. – Was er mit uns vorhat, darüber hat er sich nicht geäußert. Unsere Behörde in ihrer bisherigen Stellung hört natürlich auf, – ihr Layen und Uneingeweithen könntet nun denken, ich hätte blos mein Bündel zu schnüren und nach der Lüneburger Heide zurückzugehen. Wenns seyn muß, ists auch gut, – ich mag zwar mein vaterländisch Wesen nicht übermäßig gern und besäße viel lieber die schönsten Güter am Rhein oder dicke Renten am Vesuv als eine miserable Stelle im HannöverschenHannoverDeutschland, – aber es läßt sich doch wohl eine Quantität Honig heraussaugen, man fängt ein neu Leben an, sammelt sich, geht in sich und kurz verpuppt sich nach Kräften. Doch geb ichs hier noch so leicht nicht auf. Auf alle Fälle bleibt hier eine stattliche Gesandtschaft – gegen die kehre ich meinen diplomatischen Menschen heraus, hab ich nicht Gaben dazu? mir fehlt blos ein uralter Adel um zu leuchten, – vielleicht gehts auch ohne den. Ferner gibts hier noch Registraturen, Caßensachen, Geldhebungen pp, allerlei abzuwickeln, wobei ich erst recht nöthig bin. Und endlich ist unser König hiesiger mutmaßlicher Thronerbe; – sollte die gute, kleine VictoriaGroßbritannien und Irland, Alexandrina Victoria von (1819-1901)Victoria – Queen Victoria (1819-1901), von 1837-1901 Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, ab 1876 zusätzlich Kaiserin von Indien. irgend ein Malheur haben und vor der Zeit sterben, so lebt unsere Kanzlei wieder auf, und in mir, als dem ältesten jetzigen Gliede derselben, wohnt und lebt ihre Tradition, man muß mich als den Senker und Abstecher hier liegen lassen aus dem bei gutem Wetter und Regen ein Kanzleibaum wieder in die Höhe schießen kann. Auf alles dies werde ich bedeutendes Gewicht legen und seiner Zeit hierauf die dringendsten Empfehlungen und Lobreden des guten CKlingemanns bauen, damit es ihm gut gehe und er lange lebe in LondonLondonGroßbritannien. Du weißt, das Nest sagt mir zu, – jetzt obendrein in meinen eignen vier Pfählen eingerichtet war mir der Gedanke an ein Davongehen doppelt unangenehm. So glaube und hoff ich nun, was ich wünsche, nämlich mein Hierbleiben, und laße das Weitere kommen.

Vorerst kann sich im tollsten Falle nichts entscheiden. Der König bleibt nur kurze Zeit in Hannover, und geht dann nach Carlsbad – nachher würde wohl erst organisirt werden. Wie gesagt, selbst wenn ich fort müßte, hätte ich hier für den Rest des Jahres wohl noch Arbeit.

|2| An Dich gebe ich also meine Ansprüche in keinem Falle auf. Schade! mögt ich rufen, wenn ich an die heitere Zeit denke die ich mit Euch hier zu erleben gedachte, und doch ists so wies ist, noch günstiger und schöner gehen, und ich unterschreibe mit Rührung Deinen Wunsch, daß Dir nur bleibe was Du hast! Soll ich Dir noch Glück wünschen? Es liegt ja Alles in dem ersten Wunsche. Aber herzlich danken muß ich Dich Dir für Deinen Brief, – Dein Verlangen über mich und meine Zustände zu hören, ein Bild von mir in diesen neuen Verhältnißen zu haben, thut wohl. Mir ists nur lieb, daß ich Dir grade jetzt schreibe, und nicht früher, – ich hätte dann wohl nicht so ruhig gethan, denn ich sah es nicht immer so ruhig an.

Sprünge mach ich nun mit Dir nicht, Du mußt hier leben schlicht und recht, mir viel erzählen und spielen und mich jung machen. Du findest ein Schlafzimmer, und den Pliuntzen des vielgenannten kleinen Drawing Rooms. Auf Deine Musik freue ich mich sehr! Schaffe nur noch 10000. Noten zu den vorhandenen 10000 des Concerts, und machs so dick und toll wie möglich. Ich habe eine Ahndung, daß das Melodische jetzt darin und im Gebrauch des Orchesters liegt, – mir schwebt immer ein Concert vor in dem Sinn wie das Adagio in dem <hi rend="latintype">Beethoven</hi>schen <hi rend="latintype">Gdur</hi> Concert<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770–1827)</name><name key="CRT0108017" style="hidden" type="music">4. Klavierkonzert G-Dur, op. 58</name>, – ein Stück, nebenbei, was mich immer an Deinen guten VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) erinnert.

Ich wollte Dir doch mehr schreiben wie ich nun kann, – aber der Posttag hat sich ins Kleine verkrümelt. Unter anderm mußte ich auf kurze Zeit in das Concert von MöserMoeser (Möser), Carl Heinrich Ludwig Joachim Wilhelm (1774-1851) – sein kleiner BurschMoeser (Möser), August (1825-1859) geigt, aber was ists, er ist schon 10 Jahr alt, und es geigt da eine kleine Italienerin, ein schönes Kind mit Höschen, MillanoloMilanollo, Domenica Maria Teresa (1827-1904)Milanollo, Maria (1832-1848),Millanolo – Gemeint sind entweder Maria Milanollo (1832-1848) oder Teresa Milanollo (1827-1904), die beide italienische Wunderkinder auf der Violine waren und durch ihre Konzertreisen in ganz Europa bekannt wurden. Keines der Kinder war allerdings zum Zeitpunkt des Briefs sieben Jahre alt, wie Klingemann schrieb. die ist erst 7, und geigt schon! Es ist zum Verwundern. Wenn ich einen Kerl wie Möser ansehe, so begreife ich aus dem Vollen Deine ganze Antipathie gegen BerlinBerlinDeutschland. – Ich schmiere – denn darauf ging ich nach Hause, und HorsleysHorsley, Familie von → William H. fuhren einen Augenblick bei mir vor – brachten mir Blumen, und sagten sie gingen alle fort in alle Weltgegenden nächste Woche. Sie lassen Dich herzlich grüßen, – die arme FannyHorsley, Frances Arabella (Fanny) → Thompson (1815-1849), lustig und liebenswürdig wie immer, kann noch immer nicht wieder gehen! – Dann aß JohnHorsley, John Callcott (1817-1903) bei mir, und sitzt nun oben, und ich habe meinen Boten schon neben mir. Mrs BrunelHorsley, Mary Elizabeth (1813-1881) erholt sich schwer vom frühzeitigen Wochenbett, aber der 7MonatsBube soll gedeihen. – Von drüben im Concert sah ich Deinen Großschwiegerpapa – am Sonntag begrüß ich BeneckesBenecke, Emmeline (1813-1877)Benecke, Victor (1809-1853). Sie sagten mir neulich schon das glückliche Unglück mit Deiner Frau. MoschelesMoscheles, Charlotte (1805-1889)Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870) sah ich beide im Concert einen Augenblick – sie grüßen.

Auf das BirminghamFestivalThe Birmingham Triennial Music FestivalBirminghamGroßbritannienBirminghamFestival – Gemeint ist das vom 19. bis 22. September 1837 stattfindende Triennial Music Festival in Birmingham. hat die Regierungsveränderung natürlich gar keinen Einfluß – Du bist und bleibst also gebunden. Und wohnst bei mir. Schreib mehr über Dein Kommen. Aber schreib nicht Alles bis aufs Mündliche auf – bis dahin ist noch lange hin und bin ich noch sehr allein. Grüß Deine FrauMendelssohn Bartholdy, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853) aufs Schönste – aber es bleibt ein Jammer daß ich sie nicht sehe. Bleibe mir gut, dh bleibe mir! Dein

CKL.
            4. Hobart Place Eaton Square, 30. Juny, 1837. Liebster Felix,
Gestern erhielt ich Deinen brüderlichen Brief, und stehe darauf sofort und heute Rede und Antwort wie folgt: Ich bin in einer grandiosen Ungewißheit über Alles was mit mir vorgenommen werden kann, erwarte es aber mit gleich grandioser Gelassenheit.
Das ist der Text, über den sich nun des breitern predigen ließe, hätte man Zeit.
Von meinem letzten Briefe an konnte ich mich schon auf das Ereignis gefaßt halten und habs gethan. Da es für uns Alle von der Canzlei eine Art Lebensfrage ist, und für den hannoverschen Menschen in einem jeden von uns auch kein Quark, so haben wirs weidlich durchgesprochen, und – what with hin- und herüberdenken und hin- und herübersprechen habe ich mich so satt daran conjecturirt, daß, nachdem es nun endlich gekommen und erlitten war, eine wahrhaft behagliche Abspannung eintrat, in der ich mich Gottlob noch befinde und einstweilen zu verharren gedenke.
Das Weitere ist welthistorisch und steht in den Zeitungen zu lesen – namentlich wie unser König von Hannover abgereist ist, sein Königreich anzutreten und darauf angefangen hat zu regiren. Von letzterem weißt Du just so viel wie ich, nämlich was der nächste Tag bringt. – Was er mit uns vorhat, darüber hat er sich nicht geäußert. Unsere Behörde in ihrer bisherigen Stellung hört natürlich auf, – ihr Layen und Uneingeweithen könntet nun denken, ich hätte blos mein Bündel zu schnüren und nach der Lüneburger Heide zurückzugehen. Wenns seyn muß, ists auch gut, – ich mag zwar mein vaterländisch Wesen nicht übermäßig gern und besäße viel lieber die schönsten Güter am Rhein oder dicke Renten am Vesuv als eine miserable Stelle im Hannöverschen, – aber es läßt sich doch wohl eine Quantität Honig heraussaugen, man fängt ein neu Leben an, sammelt sich, geht in sich und kurz verpuppt sich nach Kräften. Doch geb ichs hier noch so leicht nicht auf. Auf alle Fälle bleibt hier eine stattliche Gesandtschaft – gegen die kehre ich meinen diplomatischen Menschen heraus, hab ich nicht Gaben dazu? mir fehlt blos ein uralter Adel um zu leuchten, – vielleicht gehts auch ohne den. Ferner gibts hier noch Registraturen, Caßensachen, Geldhebungen pp, allerlei abzuwickeln, wobei ich erst recht nöthig bin. Und endlich ist unser König hiesiger mutmaßlicher Thronerbe; – sollte die gute, kleine Victoria irgend ein Malheur haben und vor der Zeit sterben, so lebt unsere Kanzlei wieder auf, und in mir, als dem ältesten jetzigen Gliede derselben, wohnt und lebt ihre Tradition, man muß mich als den Senker und Abstecher hier liegen lassen aus dem bei gutem Wetter und Regen ein Kanzleibaum wieder in die Höhe schießen kann. Auf alles dies werde ich bedeutendes Gewicht legen und seiner Zeit hierauf die dringendsten Empfehlungen und Lobreden des guten CKlingemanns bauen, damit es ihm gut gehe und er lange lebe in London. Du weißt, das Nest sagt mir zu, – jetzt obendrein in meinen eignen vier Pfählen eingerichtet war mir der Gedanke an ein Davongehen doppelt unangenehm. So glaube und hoff ich nun, was ich wünsche, nämlich mein Hierbleiben, und laße das Weitere kommen.
Vorerst kann sich im tollsten Falle nichts entscheiden. Der König bleibt nur kurze Zeit in Hannover, und geht dann nach Carlsbad – nachher würde wohl erst organisirt werden. Wie gesagt, selbst wenn ich fort müßte, hätte ich hier für den Rest des Jahres wohl noch Arbeit.
 An Dich gebe ich also meine Ansprüche in keinem Falle auf. Schade! mögt ich rufen, wenn ich an die heitere Zeit denke die ich mit Euch hier zu erleben gedachte, und doch ists so wies ist, noch günstiger und schöner gehen, und ich unterschreibe mit Rührung Deinen Wunsch, daß Dir nur bleibe was Du hast! Soll ich Dir noch Glück wünschen? Es liegt ja Alles in dem ersten Wunsche. Aber herzlich danken muß ich Dich für Deinen Brief, – Dein Verlangen über mich und meine Zustände zu hören, ein Bild von mir in diesen neuen Verhältnißen zu haben, thut wohl. Mir ists nur lieb, daß ich Dir grade jetzt schreibe, und nicht früher, – ich hätte dann wohl nicht so ruhig gethan, denn ich sah es nicht immer so ruhig an.
Sprünge mach ich nun mit Dir nicht, Du mußt hier leben schlicht und recht, mir viel erzählen und spielen und mich jung machen. Du findest ein Schlafzimmer, und den Pliuntzen des vielgenannten kleinen Drawing Rooms. Auf Deine Musik freue ich mich sehr! Schaffe nur noch 10000. Noten zu den vorhandenen 10000 des Concerts, und machs so dick und toll wie möglich. Ich habe eine Ahndung, daß das Melodische jetzt darin und im Gebrauch des Orchesters liegt, – mir schwebt immer ein Concert vor in dem Sinn wie das Adagio in dem Beethovenschen Gdur Concert, – ein Stück, nebenbei, was mich immer an Deinen guten Vater erinnert.
Ich wollte Dir doch mehr schreiben wie ich nun kann, – aber der Posttag hat sich ins Kleine verkrümelt. Unter anderm mußte ich auf kurze Zeit in das Concert von Möser – sein kleiner Bursch geigt, aber was ists, er ist schon 10 Jahr alt, und es geigt da eine kleine Italienerin, ein schönes Kind mit Höschen, Millanolo, die ist erst 7, und geigt schon! Es ist zum Verwundern. Wenn ich einen Kerl wie Möser ansehe, so begreife ich aus dem Vollen Deine ganze Antipathie gegen Berlin. – Ich schmiere – denn darauf ging ich nach Hause, und Horsleys fuhren einen Augenblick bei mir vor – brachten mir Blumen, und sagten sie gingen alle fort in alle Weltgegenden nächste Woche. Sie lassen Dich herzlich grüßen, – die arme Fanny, lustig und liebenswürdig wie immer, kann noch immer nicht wieder gehen! – Dann aß John bei mir, und sitzt nun oben, und ich habe meinen Boten schon neben mir. Mrs Brunel erholt sich schwer vom frühzeitigen Wochenbett, aber der 7MonatsBube soll gedeihen. – Von drüben im Concert sah ich Deinen Großschwiegerpapa – am Sonntag begrüß ich Beneckes. Sie sagten mir neulich schon das glückliche Unglück mit Deiner Frau. Moscheles sah ich beide im Concert einen Augenblick – sie grüßen.
Auf das BirminghamFestival hat die Regierungsveränderung natürlich gar keinen Einfluß – Du bist und bleibst also gebunden. Und wohnst bei mir. Schreib mehr über Dein Kommen. Aber schreib nicht Alles bis aufs Mündliche auf – bis dahin ist noch lange hin und bin ich noch sehr allein. Grüß Deine Frau aufs Schönste – aber es bleibt ein Jammer daß ich sie nicht sehe. Bleibe mir gut, dh bleibe mir! Dein
CKL.          
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M.</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_f28ea5ec-a54d-4fa1-bc6f-818b8b705664"> <head> <address> <addrLine>Herrn <hi rend="latintype">MusikDirector</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">Dr Mendelssohn</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">per adr</hi>. des Herrn <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_4aeeb8f3-85c5-4c7d-bfa5-ab463b3973e4">M. J. Herz<name key="PSN0111935" style="hidden" type="person">Hertz, Moses Isaak (1778-1848)</name></persName></hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">Frankfurt o/M</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype"><hi n="1" rend="underline">Rotterdam</hi></hi></addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline"><hi rend="latintype">Steamboat</hi></hi>.</addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">Single</hi>.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_3175dec0-5144-482f-9690-825cde9f0d93"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_5148d23a-7523-4c36-bce3-82290f262f09">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_e16e851e-3968-42cd-b8f0-ecf2576df4b5">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862)</docAuthor> <dateline rend="right">4. <hi rend="latintype">Hobart Place Eaton Square</hi>, <date cert="high" when="1837-06-30" xml:id="date_32e078a2-fde2-498a-8b28-600292115fba">30. Juny, 1837</date>.</dateline> <salute rend="left">Liebster Felix,</salute> <p style="paragraph_without_indent"><date cert="high" when="1837-06-29" xml:id="date_ba5bcaf2-1b75-4684-86c3-a83faba212d6">Gestern</date> erhielt ich Deinen brüderlichen <title xml:id="title_9e8ecdb2-4d7c-44d7-9bda-8df8cf8fc28a">Brief <name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name> <name key="fmb-1837-06-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London; Frankfurt a. M., 24. Juni 1837</name> </title>, und stehe darauf sofort und heute Rede und Antwort wie folgt: Ich bin in einer grandiosen Ungewißheit über Alles was mit mir vorgenommen werden kann, erwarte es aber mit gleich grandioser Gelassenheit.</p> <p>Das ist der Text, über den sich nun des breitern predigen ließe, hätte man Zeit.</p> <p>Von meinem letzten Briefe an konnte ich mich schon auf das Ereignis gefaßt halten<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_65af322c-65e3-475e-b653-286023cf6991" xml:lang="de">auf das Ereignis gefaßt halten – Durch den Tod des englischen Königs Wilhelm IV 20. Juni 1837 stand die Hannoversche Kanzlei in London, in der Carl Klingemann arbeitete, vor der Auflösung. </note> und habs gethan. Da es für uns Alle von der Canzlei eine Art Lebensfrage ist, und für den hannoverschen Menschen in einem jeden von uns auch kein Quark, so haben wirs weidlich durchgesprochen, und – <hi rend="latintype">what with</hi> hin- und herüberdenken und hin- und herübersprechen habe ich mich so satt daran conjecturirt,<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_dc194f6f-a158-4bf7-8811-49129740e25b" xml:lang="de">conjecturirt – conjekturieren, veraltet für »mutmaßen«</note> daß, nachdem es nun endlich gekommen und erlitten war, eine wahrhaft behagliche Abspannung eintrat, in der ich mich Gottlob noch befinde und einstweilen zu verharren gedenke.</p> <p>Das Weitere ist welthistorisch und steht in den Zeitungen zu lesen – namentlich wie unser <persName xml:id="persName_dfdde5eb-c8d6-4847-8bbb-41842ea8ab3f">König von Hannover<name key="PSN0111577" style="hidden" type="person">Großbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_b84484fb-80fe-45dc-a871-905e2710a470" xml:lang="de">König von Hannover – Der englische König Georg IV. verstarb am 26. Juni 1830 ohne legitime Nachkommen, weshalb ihm Wilhelm als König von Großbritannien sowie König von Hannover unter dem Herrschernamen Wilhelm IV. nachfolgte. Mit 64 Jahren war er bis dahin der bei Amtsantritt älteste britische Monarch.</note> abgereist ist, sein Königreich anzutreten und darauf angefangen hat zu regiren. Von letzterem weißt Du just so viel wie ich, nämlich was der nächste Tag bringt. – Was er mit uns vorhat, darüber hat er sich nicht geäußert. Unsere Behörde in ihrer bisherigen Stellung hört natürlich auf, – ihr Layen und Uneingeweithen könntet nun denken, ich hätte blos mein Bündel zu schnüren und nach der Lüneburger Heide zurückzugehen. Wenns seyn muß, ists auch gut, – ich mag zwar mein vaterländisch Wesen nicht übermäßig gern und besäße viel lieber die schönsten Güter am Rhein oder dicke Renten am Vesuv als eine miserable Stelle im <placeName xml:id="placeName_667f0a91-bac9-48d9-932a-9d2341bfe2d3">Hannöverschen<settlement key="STM0100118" style="hidden" type="locality">Hannover</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, – aber es läßt sich doch wohl eine Quantität Honig heraussaugen, man fängt ein neu Leben an, sammelt sich, geht in sich und kurz verpuppt sich nach Kräften. Doch geb ichs hier noch so leicht nicht auf. Auf alle Fälle bleibt hier eine stattliche Gesandtschaft – gegen die kehre ich meinen diplomatischen Menschen heraus, hab ich nicht Gaben dazu? mir fehlt blos ein uralter Adel um zu leuchten, – vielleicht gehts auch ohne den. Ferner gibts hier noch Registraturen, Caßensachen, Geldhebungen pp, allerlei abzuwickeln, wobei ich erst recht nöthig bin. Und endlich ist unser König hiesiger mutmaßlicher Thronerbe; – sollte die gute, kleine <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_6aed048a-5f1a-4ade-b65f-c06af30143ea">Victoria<name key="PSN0111572" style="hidden" type="person">Großbritannien und Irland, Alexandrina Victoria von (1819-1901)</name></persName></hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_5887bcf0-c9d1-4ca4-b38a-a015858de785" xml:lang="de">Victoria – Queen Victoria (1819-1901), von 1837-1901 Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, ab 1876 zusätzlich Kaiserin von Indien.</note> irgend ein Malheur haben und vor der Zeit sterben, so lebt unsere Kanzlei wieder auf, und in mir, als dem ältesten jetzigen Gliede derselben, wohnt und lebt ihre Tradition, man muß mich als den Senker und Abstecher hier liegen lassen aus dem bei gutem Wetter und Regen ein Kanzleibaum wieder in die Höhe schießen kann. Auf alles dies werde ich bedeutendes Gewicht legen und seiner Zeit hierauf die dringendsten Empfehlungen und Lobreden des guten CKlingemanns bauen, damit es ihm gut gehe und er lange lebe in <placeName xml:id="placeName_c0b8967f-81a7-411e-8e27-6a2cea3532f2">London<settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName>. Du weißt, das Nest sagt mir zu, – jetzt obendrein in meinen eignen vier Pfählen eingerichtet war mir der Gedanke an ein Davongehen doppelt unangenehm. So glaube und hoff ich nun, was ich wünsche, nämlich mein Hierbleiben, und laße das Weitere kommen.</p> <p>Vorerst kann sich im tollsten Falle nichts entscheiden. Der König bleibt nur kurze Zeit in Hannover, und geht dann nach <hi rend="latintype">Carlsbad</hi> – nachher würde wohl erst organisirt werden. Wie gesagt, selbst wenn ich fort müßte, hätte ich hier für den Rest des Jahres wohl noch Arbeit.</p> <p><seg type="pagebreak"> |2| <pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> An Dich gebe ich also meine Ansprüche in keinem Falle auf. Schade! mögt ich rufen, wenn ich an die heitere Zeit denke die ich mit <hi n="1" rend="underline">Euch</hi> hier zu erleben gedachte, und doch ists so wies ist, noch günstiger und schöner gehen, und ich unterschreibe mit Rührung Deinen Wunsch, daß Dir nur bleibe was Du hast! Soll ich Dir noch Glück wünschen? Es liegt ja Alles in dem ersten Wunsche. Aber herzlich danken muß ich <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_e63e5433-cda8-4ea3-abaf-d747715bf56a"> <sic resp="writer">Dich</sic> <corr resp="editor">Dir</corr> </choice> für Deinen Brief, – Dein Verlangen über mich und meine Zustände zu hören, ein Bild von mir in diesen neuen Verhältnißen zu haben, thut wohl. Mir ists nur lieb, daß ich Dir grade jetzt schreibe, und nicht früher, – ich hätte dann wohl nicht so ruhig gethan, denn ich sah es nicht immer so ruhig an.</p> <p>Sprünge mach ich nun mit Dir nicht, Du mußt hier leben schlicht und recht, mir viel erzählen und spielen und mich jung machen. Du findest ein Schlafzimmer, und den Pli<gap quantity="4" reason="uncertain_reading" unit="characters"></gap>untzen des vielgenannten kleinen <hi rend="latintype">Drawing Rooms</hi>. Auf Deine Musik freue ich mich sehr! Schaffe nur noch 10000. Noten zu den vorhandenen 10000 des Concerts, und machs so dick und toll wie möglich. Ich habe eine Ahndung, daß das <unclear reason="uncertain_reading" resp="UT">Melodische</unclear> jetzt darin und im Gebrauch des Orchesters liegt, – mir schwebt immer ein Concert vor in dem Sinn wie das Adagio in dem <title xml:id="title_b84f1596-d663-4fc6-a1ff-613b17af9793"><hi rend="latintype">Beethoven</hi>schen <hi rend="latintype">Gdur</hi> Concert<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770–1827)</name><name key="CRT0108017" style="hidden" type="music">4. Klavierkonzert G-Dur, op. 58</name></title>, – ein Stück, nebenbei, was mich immer an Deinen guten <persName xml:id="persName_724f7f3e-1992-4f4c-9335-606bbb18df5d">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> erinnert.</p> <p>Ich wollte Dir doch mehr schreiben wie ich nun kann, – aber der Posttag hat sich ins Kleine verkrümelt. Unter anderm mußte ich auf kurze Zeit in das Concert von <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_697f5f78-8908-4130-99a9-3776fd8910c4">Möser<name key="PSN0113371" style="hidden" type="person">Moeser (Möser), Carl Heinrich Ludwig Joachim Wilhelm (1774-1851)</name></persName></hi> – sein kleiner <persName xml:id="persName_6d1ed2b0-7f97-4483-98f5-a3e256db5dfe">Bursch<name key="PSN0113370" style="hidden" type="person">Moeser (Möser), August (1825-1859)</name></persName> geigt, aber was ists, er ist schon 10 Jahr alt, und es geigt da eine kleine Italienerin, ein schönes Kind mit Höschen, <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_3530a51f-1ecf-453c-9ed2-822db8a37e8b">Millanolo<name key="PSN0113342" style="hidden" type="person">Milanollo, Domenica Maria Teresa (1827-1904)</name><name key="PSN0113343" style="hidden" type="person">Milanollo, Maria (1832-1848)</name></persName></hi>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_81bd41ab-90b4-4ec4-8bd8-77ecce7a87cf" xml:lang="de">Millanolo – Gemeint sind entweder Maria Milanollo (1832-1848) oder Teresa Milanollo (1827-1904), die beide italienische Wunderkinder auf der Violine waren und durch ihre Konzertreisen in ganz Europa bekannt wurden. Keines der Kinder war allerdings zum Zeitpunkt des Briefs sieben Jahre alt, wie Klingemann schrieb.</note> die ist erst 7, und geigt schon! Es ist zum Verwundern. Wenn ich einen Kerl wie Möser ansehe, so begreife ich aus dem Vollen Deine ganze Antipathie gegen <hi rend="latintype"><placeName xml:id="placeName_0ecd5b3e-a165-4474-8f41-10c8301498d0">Berlin<settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName></hi>. – Ich schmiere – denn darauf ging ich nach Hause, und <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_4a836975-e634-47ea-a40c-cdafc1d5fa7e">Horsleys<name key="PSN0112100" style="hidden" type="person">Horsley, Familie von → William H.</name></persName></hi> fuhren einen Augenblick bei mir vor – brachten mir Blumen, und sagten sie gingen alle fort in alle Weltgegenden nächste Woche. Sie lassen Dich herzlich grüßen, – die arme <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_3b579d1d-bf6d-4f8b-8b2d-e4a276e5ab39">Fanny<name key="PSN0112105" style="hidden" type="person">Horsley, Frances Arabella (Fanny) → Thompson (1815-1849)</name></persName></hi>, lustig und liebenswürdig wie immer, kann noch immer nicht wieder gehen! – Dann aß <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_3f72cc97-6a5a-452c-9754-fd5ad04cf8c2">John<name key="PSN0112106" style="hidden" type="person">Horsley, John Callcott (1817-1903)</name></persName></hi> bei mir, und sitzt nun oben, und ich habe meinen Boten schon neben mir. <hi rend="latintype">M<hi rend="superscript">rs</hi> <persName xml:id="persName_3acba898-1623-473d-8edd-c2ab0989625c">Brunel<name key="PSN0112107" style="hidden" type="person">Horsley, Mary Elizabeth (1813-1881)</name></persName></hi> erholt sich schwer vom frühzeitigen Wochenbett, aber der 7MonatsBube soll gedeihen. – Von drüben im Concert sah ich Deinen Großschwiegerpapa – am Sonntag begrüß ich <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_26dc8c67-f647-4df2-8782-67a67f5e036a">Beneckes<name key="PSN0109823" style="hidden" type="person">Benecke, Emmeline (1813-1877)</name><name key="PSN0109835" style="hidden" type="person">Benecke, Victor (1809-1853)</name></persName></hi>. Sie sagten mir neulich schon das glückliche Unglück mit Deiner Frau. <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_3c534f0b-ad88-4224-8ca9-e419ded0847a">Moscheles<name key="PSN0113436" style="hidden" type="person">Moscheles, Charlotte (1805-1889)</name><name key="PSN0113441" style="hidden" type="person">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name></persName></hi> sah ich beide im Concert einen Augenblick – sie grüßen.</p> <p>Auf das <hi rend="latintype"><placeName xml:id="placeName_bb282c84-25e0-400f-aa5d-6706f85cbba3">BirminghamFestival<name key="NST0100324" style="hidden" subtype="" type="institution">The Birmingham Triennial Music Festival</name><settlement key="STM0100323" style="hidden" type="locality">Birmingham</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName></hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_551a57c0-7521-48b6-b29f-de625e2c1d73" xml:lang="en">BirminghamFestival – Gemeint ist das vom 19. bis 22. September 1837 stattfindende Triennial Music Festival in Birmingham. </note> hat die Regierungsveränderung natürlich <hi n="1" rend="underline">gar</hi> keinen Einfluß – Du bist und bleibst also gebunden. Und wohnst bei mir. Schreib mehr über Dein Kommen. Aber schreib nicht Alles bis aufs Mündliche auf – bis dahin ist noch lange hin und bin ich noch sehr allein. Grüß Deine <persName xml:id="persName_e143ba15-653e-4458-b65d-a9d292dd2c18">Frau<name key="PSN0113252" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853)</name></persName> aufs Schönste – aber es bleibt ein Jammer daß ich sie nicht sehe. Bleibe mir gut, dh bleibe mir! <seg type="closer">Dein</seg></p> <signed rend="right">CKL.</signed> </div> </body> </text></TEI>