gb-1836-10-28-02
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Berlin, 28. Oktober 1836
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse.
Johann Gustav Droysen
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Dr. F Mendelssohn
Bartholdy
Leipzig
nOct. 36
Vielleicht komme ich als einer der letzten, Dir zu den frohen Umgestaltungen Deines Lebens Glück zu wünschen; aber herzlicher kann Niemand sich mit Dir gefreut haben. Ich habe eine kurze aber reiche Erfahrung für mich, von der aus ich gestehen darf, daß wir Männer es uns nicht vorstellen können, was wir unser Leben so erweiternd uns reicher und besser machen. Es ist das schöne Vorrecht solches Verhältnisses, eine Nähe und Innigkeit zweier Persönlichkeiten zu fordern, welche jedes Selbstische von Genuß oder Hoffnung ausschließt, und welche auf das allgemeinste menschliche Empfinden zurückführt, um in demselben jede andre Beziehung neu gestaltet und in anderem Lichte erscheinen zu lassen. Und welche Tugenden, welche Tiefe des Hoffens und des Liebens wir da zu entdecken finden! Der Raum des Lebens wird enger, aber die Strahlen des geistigen Lebens drängen sich so in dem Focus zusammen, von dem eine ächt menschliche und wunderbare Wärme das Leben durchdringt. Wohl wünsche ich Dir, theurer Felix, daß Du so glücklich wirst wie ich es bin. Gott möge Dich segnen. –
Ich hatte kurz ehe ich von Deiner Verlobung erfuhr, im Sinne an Dich zu schreiben und Dir einmal wieder das so oft Gesagte zu sagen; Du weißt es, wie ich Dir von Herzen treu und Freund bin, und es ist mir ein Genuß Dir das wiederhohlen zu können. Ich hatte auch noch ein andres vor Dir zu schreiben; mir kam in den Sinn, wie schön es wäre, wenn Du einmal eine hübsche Oper zu componiren hättest, und ich war darauf und daran, mich ohne Dich zu fragen in so ein Sujet zu versenken und Dir zu machen. Dachte aber, der Pegasus ist ein träger Gaul bei mir geworden, und andere machen es ihm zur Zeit geschickter. Die Situation mindestens war ergötzlich, und die erzähle ich Dir, daß Du sie einmal ansehest.
Freilich höre ich eben von gar anderen Gedanken, die Dir in den Ohren sind: Odyssee sollst Du wieder viel vorhaben. Das ist gewiß wieder die zierliche verschamte Nausikaa, die Dir mit drein redet
Gudins und andre Franzosen, manche aber sind Renommisten, aber bei Weitem nicht so viele, wie der Berliner meint. Overbecks zum Entzücken, Bilder daß man kindlich und fromm dabei werden muß, ein friedseliges Gemüth; der pomphafte Hildebrand, der mich zur Bewunderung zwingt, obschon mir Shakespeares Bild doch ein wenig lieber ist. Und nun der Lessing, dieser stille Fanatiker? in seiner Hussitenpredigt sind die slavischen Gesichter wahrlich wie eine Bedingung so wilder Geistesbewegung, und die tollen Waffen aller Art das kuhnste und grandioseste Accompagnement der Gemüthsbewegung und der Charakteristik jedes Einzelnen. Den guten Meister Schadow habe ich mit seinem großen Altarbilde lieb gewonnen, es macht mir die Empfindung, als hatte er unendlich viel auf dem Herzen zu sagen, und das habe ich sehr gern, wenn es in so stillem Hervorquellen sich doch immer umsonst bemüht sich zu erschöpfen. Die Berliner bewundern Begas Bild, wo Heinrich IV sich an der Thür von Kanossa die Schultern reibt und streiten sich ob die verzeichnete Perspective göttlich oder imposant sei. Auch Nerenz Bild macht Furor und hat auch die Portraits von Düsseldorfer Künstlern auf sich. Kurz es ist ein Concert von Bildern, daß einem die Sinne wirren und ich glaube, man darf diese Sammlung bedeutender nennen als eine frühere. Bendemanns Bilder werden wenig gutirt, man bricht bereits den Stab über ihn: er kommt nicht weiter, er geht zurück! Mir scheint es gar nicht so. Hensels Bild ist trefflich und energisch; aber mich stört noch einiges daran; mir gefallen die Augen nicht, die er mahlt; sie schreien, sie blicken Bomben im Bogenwurf, und Analoges ist auch in Bewegung und Tracht, mir scheint das nicht ehrlich und Ausdruck des eigenen Gemüths, mehr des Wollens.
Neulich habe ich die große letzte Symphonie von Beethoven ganz gehört und bin vollkommen rathlos. Du könntest ein gutes Werk an mir thun, wenn Du Zeit fändest an mich zu schreiben und dann ein Paar Worte einfließen ließest. Ich komme doch sonst in Beethoven hinein, seine schöne cmoll habe ich wieder ganz genossen und nach LaienArt auch verstanden.
JohGustDroysen
Berlin 28n Oct. 36. Lieber Felix Vielleicht komme ich als einer der letzten, Dir zu den frohen Umgestaltungen Deines Lebens Glück zu wünschen; aber herzlicher kann Niemand sich mit Dir gefreut haben. Ich habe eine kurze aber reiche Erfahrung für mich, von der aus ich gestehen darf, daß wir Männer es uns nicht vorstellen können, was wir unser Leben so erweiternd uns reicher und besser machen. Es ist das schöne Vorrecht solches Verhältnisses, eine Nähe und Innigkeit zweier Persönlichkeiten zu fordern, welche jedes Selbstische von Genuß oder Hoffnung ausschließt, und welche auf das allgemeinste menschliche Empfinden zurückführt, um in demselben jede andre Beziehung neu gestaltet und in anderem Lichte erscheinen zu lassen. Und welche Tugenden, welche Tiefe des Hoffens und des Liebens wir da zu entdecken finden! Der Raum des Lebens wird enger, aber die Strahlen des geistigen Lebens drängen sich so in dem Focus zusammen, von dem eine ächt menschliche und wunderbare Wärme das Leben durchdringt. Wohl wünsche ich Dir, theurer Felix, daß Du so glücklich wirst wie ich es bin. Gott möge Dich segnen. – Ich hatte kurz ehe ich von Deiner Verlobung erfuhr, im Sinne an Dich zu schreiben und Dir einmal wieder das so oft Gesagte zu sagen; Du weißt es, wie ich Dir von Herzen treu und Freund bin, und es ist mir ein Genuß Dir das wiederhohlen zu können. Ich hatte auch noch ein andres vor Dir zu schreiben; mir kam in den Sinn, wie schön es wäre, wenn Du einmal eine hübsche Oper zu componiren hättest, und ich war darauf und daran, mich ohne Dich zu fragen in so ein Sujet zu versenken und Dir zu machen. Dachte aber, der Pegasus ist ein träger Gaul bei mir geworden, und andere machen es ihm zur Zeit geschickter. Die Situation mindestens war ergötzlich, und die erzähle ich Dir, daß Du sie einmal ansehest. Irgend eine schöne Sclavin eines türkischen Fürsten, und ihr Liebster ein Palikare oder Corsar griechischen Stammes, und griechische Bierbayern im Hintergrund. Die Geschichte ist klar. Chöre nach Herzenslust, und was konte vergnügter sein als ein Chorus bayrischer Biersilene auf classischem Boden, und unter diesen ein sentimentaler blonder Tenor, der unglückliche Liebhaber, dem gegenüber der edel-unglückliche Baryton, der kühne Grieche mit seiner Schaar in seltsamer Tracht, auf heimlichen Wegen und tollkühnen Plänen. Der Turk wäre die Grandezza im Baß, kein Osmin denn der ich unerreichbar, sondern der Pascha selbst mit seinem Chor; aber Weiberstimmen wären Dir wahrscheinlich lieber. Eine brauchbare Altsituation fände sich leicht. Was denkst Du zu solcher Costümirung? Freilich höre ich eben von gar anderen Gedanken, die Dir in den Ohren sind: Odyssee sollst Du wieder viel vorhaben. Das ist gewiß wieder die zierliche verschamte Nausikaa, die Dir mit drein redet χαῖρε ξεῖν’. Und wahrlich Wind und Wellen genug hast Du da und sonnenhelle Ferne und den Rauch der gerad aufsteigt aus dem Hause von Ithaka. Ich glaube wirklich, dergleichen ausgeprägte Sujets wie dies Alterthum giebt, mit ihren festen Charakteren und Situationen müßten der Composition wundervollen Stoff geben; und einmal angefangen würdest Du auch da wieder Nachahmung genug finden. Einen Stoff der Art hat jüngst Stieglitz verdorben, denn gewiß war das von Marx schön gedacht, da einen Dionysischen Mythos so zu verarbeiten und seine Anlage, nach der Stieglitz sein Dionysosfest gedichtet hat wie nach der Schablone, war gewiß in vieler Hinsicht vortrefflich. Du kennst es doch? jedenfalls wäre es der Mühe werth, darauf einmal es anzusehen, wie da das musicalische Arrangement ruinirt ist. Wir schwelgen hier sehr in der Ausstellung, die in der That außerordentlich reich ist. Wunderherrliche Gudins und andre Franzosen, manche aber sind Renommisten, aber bei Weitem nicht so viele, wie der Berliner meint. Overbecks zum Entzücken, Bilder daß man kindlich und fromm dabei werden muß, ein friedseliges Gemüth; der pomphafte Hildebrand, der mich zur Bewunderung zwingt, obschon mir Shakespeares Bild doch ein wenig lieber ist. Und nun der Lessing, dieser stille Fanatiker? in seiner Hussitenpredigt sind die slavischen Gesichter wahrlich wie eine Bedingung so wilder Geistesbewegung, und die tollen Waffen aller Art das kuhnste und grandioseste Accompagnement der Gemüthsbewegung und der Charakteristik jedes Einzelnen. Den guten Meister Schadow habe ich mit seinem großen Altarbilde lieb gewonnen, es macht mir die Empfindung, als hatte er unendlich viel auf dem Herzen zu sagen, und das habe ich sehr gern, wenn es in so stillem Hervorquellen sich doch immer umsonst bemüht sich zu erschöpfen. Die Berliner bewundern Begas Bild, wo Heinrich IV sich an der Thür von Kanossa die Schultern reibt und streiten sich ob die verzeichnete Perspective göttlich oder imposant sei. Auch Nerenz Bild macht Furor und hat auch die Portraits von Düsseldorfer Künstlern auf sich. Kurz es ist ein Concert von Bildern, daß einem die Sinne wirren und ich glaube, man darf diese Sammlung bedeutender nennen als eine frühere. Bendemanns Bilder werden wenig gutirt, man bricht bereits den Stab über ihn: er kommt nicht weiter, er geht zurück! Mir scheint es gar nicht so. Hensels Bild ist trefflich und energisch; aber mich stört noch einiges daran; mir gefallen die Augen nicht, die er mahlt; sie schreien, sie blicken Bomben im Bogenwurf, und Analoges ist auch in Bewegung und Tracht, mir scheint das nicht ehrlich und Ausdruck des eigenen Gemüths, mehr des Wollens. Neulich habe ich die große letzte Symphonie von Beethoven ganz gehört und bin vollkommen rathlos. Du könntest ein gutes Werk an mir thun, wenn Du Zeit fändest an mich zu schreiben und dann ein Paar Worte einfließen ließest. Ich komme doch sonst in Beethoven hinein, seine schöne cmoll habe ich wieder ganz genossen und nach LaienArt auch verstanden. Tausend herzliche Grüße. Dein treuer JohGustDroysen
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1836-10-28" xml:id="date_f8702fd9-fc53-452f-b884-fa1ae83ea026">28. 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Gott möge Dich segnen. – </p> <p>Ich hatte kurz ehe ich von Deiner Verlobung erfuhr, im Sinne an Dich zu schreiben und Dir einmal wieder das so oft Gesagte zu sagen; Du weißt es, wie ich Dir von Herzen treu und Freund bin, und es ist mir ein Genuß Dir das wiederhohlen zu können. Ich hatte auch noch ein andres vor Dir zu schreiben; mir kam in den Sinn, wie schön es wäre, wenn Du einmal eine hübsche Oper zu componiren hättest, und ich war darauf und daran, mich ohne Dich zu fragen in so ein Sujet zu versenken und Dir zu machen. Dachte aber, der Pegasus ist ein träger Gaul bei mir geworden, und andere machen es ihm zur Zeit geschickter. Die Situation mindestens war ergötzlich, und die erzähle ich Dir, daß Du sie einmal ansehest.</p> <p> <seg type="pagebreak">|2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> Irgend eine schöne Sclavin eines türkischen Fürsten, und ihr Liebster ein Palikare oder Corsar griechischen Stammes, und griechische Bierbayern im Hintergrund. Die Geschichte ist klar. Chöre nach Herzenslust, und was konte vergnügter sein als ein Chorus bayrischer Biersilene auf classischem Boden, und unter diesen ein sentimentaler blonder Tenor, der unglückliche Liebhaber, dem gegenüber der edel-unglückliche Baryton, der kühne Grieche mit seiner Schaar in seltsamer Tracht, auf heimlichen Wegen und tollkühnen Plänen. Der Turk wäre die <gap quantity="1" reason="deletion" unit="words"></gap> Grandezza im Baß, kein Osmin denn der ich unerreichbar, sondern der Pascha selbst mit seinem Chor; aber Weiberstimmen wären Dir wahrscheinlich lieber. Eine brauchbare Altsituation fände sich leicht. Was denkst Du zu solcher Costümirung?</p> <p>Freilich höre ich eben von gar anderen Gedanken, die Dir in den Ohren sind: Odyssee sollst Du wieder viel vorhaben. Das ist gewiß wieder die zierliche verschamte Nausikaa, die Dir mit drein redet <foreign xml:id="foreign_a1040a16-db8f-4425-80d6-1dd373eb3881" xml:lang="grc">χαῖρε ξεῖν’</foreign>. Und wahrlich Wind und Wellen genug hast Du da und sonnenhelle Ferne und den Rauch der gerad aufsteigt aus dem Hause von Ithaka. Ich glaube wirklich, dergleichen ausgeprägte Sujets wie dies Alterthum giebt, mit ihren festen Charakteren und Situationen müßten der Composition wundervollen Stoff geben; und einmal angefangen würdest Du auch da wieder Nachahmung genug finden. Einen Stoff der Art hat jüngst Stieglitz verdorben, denn gewiß war das von Marx schön gedacht, da einen Dionysischen Mythos so zu verarbeiten und seine Anlage, nach der Stieglitz sein Dionysosfest gedichtet hat wie nach der Schablone, war gewiß in vieler Hinsicht vortrefflich. Du kennst es doch? jedenfalls wäre es der Mühe werth, darauf einmal es anzusehen, wie da das musicalische Arrangement ruinirt ist.</p> <p><seg type="pagebreak">|3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> Wir schwelgen hier sehr in der Ausstellung, die in der That außerordentlich reich ist. 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