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gb-1836-07-29-01

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Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage <lb></lb> Franzensbad, 28. und 29. Juli 1836 Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad; Frankfurt a. M., 24. Juli 1836 Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad, adressiert an Frau Loimann; ’s-Gravenhage, 6. August 1836 Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858) Transkription: FMB-C Edition: FMB- Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 31/110. Autograph Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage; Franzensbad, 28. und 29. Juli 1836 Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du

1 Doppelbl. und 1 Bl.: S. 1-5 Brieftext, S. 1 oben vorgedruckte Vignette mit der Bildunterschrift »Franzensbad«; S. 6 Adresse, 3 Poststempel [Franz-brunn], [Per Maastricht], [’sGRAVENHAGE / 6. / AUG.], Siegelmarke »R«.

Rebecka Lejeune Dirichlet

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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

28. und 29. Juli 1836 Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)counter-resetDirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858) Franzensbad Böhmen Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) ’s-Gravenhage Niederlande deutsch
Monsieur Mendelssohn Bartholdy à la Haye p. Francfort s/M. Poste restante.
Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858) Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858) 28sten Juli

Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du Dich und uns glücklich machen willst.daß Du Dich und uns glücklich machen willst – In Brief fmb-1836-07-24-02 (Brief Nr. 1392) Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad, Frankfurt a. M., 24. Juli 1836, erwähnte Mendelssohn, er sei »entsetzlich verliebt« (Z. 6 f.). Mendelssohn hatte seine künftige Braut Cécile Jeanrenaud bereits am 4. Mai 1836 anlässlich eines Besuchs bei der Familie Souchay in Frankfurt a. M. kennengelernt. Vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836 (GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 39. Druck Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 30) und den Hinweis auf die »jährige Bekanntschaft« mit Cécile in Brief fmb-1837-05-01-01 (Brief Nr. 1638) Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London, Freiburg im Breisgau, 30. April und 1. Mai 1837, Z. 84. Siehe auch Eduard Souchay de la Duboissières Erinnerungen an die Begegnung (GB-Ob, M.D.M. c. 29, fol. 65-70. Abdruck bei Christian Lambour, Erinnerungen an Cécile und Felix Mendelssohn Bartholdy von Eduard Souchay de la Duboissière, in: Mendelssohn Studien 16, 2009, S. 214). Seit seinem Wirken als interimistischer Dirigent des Frankfurter Cäcilienvereins ab dem 7. Juni 1836 besuchte Mendelssohn die Familie Jeanrenaud fast täglich. Und es ist so, noch nie hast Du so viel gestanden. O daß ich hier fest sitze! Laß nur Dein SeebadScheveningenNiederlande unterwegs,Laß nur Dein Seebad unterwegs – Mendelssohn reiste vom 1. bis zum 22. August 1836 nach ’s-Gravenhage bzw. in das benachbarte Seebad Scheveningen. Er hatte sich am 26. Juli 1836 von Frankfurt a. M. aus dorthin auf den Weg gemacht (vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836, GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 62. Druck: Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 40). in aufgeregter Verfassung kann es Dir nicht nützen, bleib ruhig od. unruhig in FrankfurtFrankfurt a. M.Deutschland. O ich stehe nicht dafür, daß ich nicht DirichletDirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859), der nächste Woche kommt,Dirichlet, der nächste Woche kommt – Nach ihrer Fehlgeburt verordnete Rebecka Lejeunes Dirichlets Arzt eine Kur, die sie vom 8. Juli bis zum 18. August 1836 mit dem Sohn Walter in Franzensbad bei Eger absolvierte. Ihr vor dem 19. Juli 1836 nach Berlin geschriebener Brief ist nicht bekannt. Eger (heute Cheb) liegt im äußersten Westen der heutigen Tschechischen Republik. Der Ehemann Peter Gustav Lejeune Dirichlet reiste am 30. Juli 1836 von Berlin ab (vgl. den Schluss von Brief gb-1836-07-30-01 Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Berlin, 30. Juli 1836), er kam am 2. August 1836 in Franzensbad an (vgl. Brief gb-1836-08-16-01 Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Franzensbad, 16. August 1836). dazu bringe, alle SalzburgerSalzburgDeutschland PläneSalzburger Pläne – In Brief gb-1836-08-16-01 Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Franzensbad, 16. August 1836, teilte die Schwester den konkretisierten Plan mit, nach ihrem Kuraufenthalt über Budweis (heute České Budějovice, Tschechien), Linz, den Traunsee, Ischl, Salzburg, Gastein, Innsbruck und weiter durch Tirol nach München zu reisen. aufzugeben, und den alten bekannten Weg nach FrankfurtFrankfurt a. M.Deutschland wieder zu befahren. – Ich muß aber suchen, mich zusammenzunehmen, die Lichtblicke die Dein eben angekommener Brief<name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="fmb-1836-07-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad; Frankfurt a. M., 24. Juli 1836</name> sehenDirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858) thethe – Lesart der Streichung unsicher. erblicken läßt, haben mich in solche AgitationAgitation – frz., Aufregung. versetzt, daß meine Hand zittert, aber schreiben mußte ich gleich, da ich Dir nicht um den Hals fallen kann. Ich will aber mehr hören. Warum mußt Du denn aber so weit fort seyn, wer weiß, wie lange ein Brief zu Dir geht. Glücklicher Weise ists Abend spät, keine Post geht mehr, vielleicht habe ich morgen etwas Vernunft gewonnen. Für heut gut Nacht, und Gottes Segen mit Dir und Deinen Unternehmungen.

|2| Zwei Stunden später Du wirst glauben, ich sey verrückt, daß ich auf die bloße Nachricht hin, Du seyst verliebt, so außer mir bin. Aber dies war der erste Eindruck, den ich nicht verleugnen will, es schien mir zwischen den Zeilen geschrieben, diese Liebe hätte für Dein Leben entschieden, denn wenn ich Dich recht kenne, kamst Du nicht nach FrankfurtFrankfurt a. M.Deutschland in der Stimmung, blos zum Plaisir die Cour zu machen. Gott gebe, daß sieJeanrenaud, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853) so klug ist, Deine Liebe zu würdigen und zu erwiedern, mein Herz hat sie schon, da Du ihr frohe Stunden verdankst. Wundersam!

Der du die Menschen lässest sterben

Und sprichst, kommt wieder Menschenkinder.Der du die Menschen lässest sterben … Menschenkinder – Ps 90,3.

Mir war es nicht vergönnt, etwas Neues zu lieben in die Familie zu bringen, Du hast durch <hi rend="latintype">Paulus</hi><list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="list_4d8b9e68-c323-4314-9e39-6796ed8bc086"><item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item><item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item><item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item><item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name> und Musikfest18. Niederrheinisches Musikfest (1836)DüsseldorfDeutschland die erste freudige Aufregung hervorgerufen,Du hast durch Paulus und Musikfest die erste freudige Aufregung hervorgerufen – Felix Mendelssohn Bartholdy hatte das 18. Niederrheinische Musikfest zu Pfingsten (22. Und 23. Mai) 1836 geleitet. Am ersten Musikfesttag dirigierte der Komponist die Uraufführung seines Oratoriums Paulus op. 36 (MWV A 14) (Hauchecorne, Musikfeste, Anhang, S. 19). Die »erste freudige Aufregung« meint die Trauerzeit nach dem Tod des Vaters Abraham am 19. November 1835. jetzt eröffnest Du uns wieder eine neue Aussicht auf dauerndes Glück. Aber, liebes Herz, schreibe bald wieder! Laß mich nicht in der Spannung, Du glaubst nicht, wie aufgeregt meine Nerven sind, das taugt nichts zur Kur. Schreib mir einen rechten Liebesbrief für Siesie, wie sie aussieht, spricht, geht, steht, ob sie musikalisch ist, und schreib mir dabei, daß ich doch noch Deine liebe Schwester bin, meinen alten Ansprüchen an Deine Liebe entsage ich für keine Geliebten der Welt, wie Du Deinen Platz bei mir zusammen |3| mit ehrlicher Mutterliebe behalten hast. Es ist nicht wahr, daß die wahre Liebe kälter gegen die übrige Welt macht; im Gegentheil.

Heut kann ich Nichts mehr über Paulus, noch sonst etwas schreiben. Von mir ist nicht viel Gutes zu melden, ich trinke, bade, amüsire mich, lese englische Romane, treibe mich mit gleichgültigen Menschen herum, bisher war schändliches Wetter, heut ist der erste schöne Tag; ich weiß nicht, welche Ahnung mich bewog, mehrere Einladungen zu Landpartien auszuschlagen, und den Nachmittag ganz allein vor dem ersten Hause links auf dem Titelblatt wo ich wohne, zuzubringen, da kam der Postbote und brachte den längst ersehnten Brief<name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="fmb-1836-07-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad; Frankfurt a. M., 24. Juli 1836</name> von Dir, da ich mir schon längst die schwärzesten Ideen über Dein Stillschweigen gemacht hatte. Was meine erste Bewegung war, hast Du gesehen, um mich nur einigermaßen zu fassen, nahm ich WalterDirichlet (Lejeune Dirichlet), Abraham Walter (1833-1887) und ging mit ihm eine Stunde querfeldein spatzieren, saß noch vor dem Hause, las den Brief wieder und wieder, und der rosenfarbnerosenfarbne – rosenfarb: veralteter Begriff für »freudig« (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. VIII, Leipzig 1893, Sp. 1193). Eindruck bleibt derselbe.

Aber ich beschwöre Dich, schreib umgehend. Nicht einmal DirichletDirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859) soll von der Existenz dieses Briefes etwas wissen, und vertraue mir Alles. Für Alles, was ich noch besonders gelitten habe,Alles, was ich noch besonders gelitten habe – die Fehlgeburt am 16. Mai 1836. seit VatersMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Tode, erfreue Du mich durch Dein Vertrauen. Nach Frft.Frankfurt a. M.Deutschland werde ich wohl nicht kommen, DirichletDirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859) thäte mirs freilich zu Gefallen, denn der würde Himmel und Erde aufbieten, um mir, nach allen Leiden, und der nüchternen Langeweile hier, eine Freude zu machen, aber es wird wohl besser seyn; Du wirst schon selbst ausspüren, wie es mit ihr steht, könnt ich aber nur für meine eigne Ruhe selbst sehen, ich bin so gespannt, als wäre ichs selber, die eine Declaration zu machen hatDirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858). O die grausame Ferne! Vielleicht ist nun schon Dein Schicksal entschieden, und ich, die Dich so liebt, wie nur Deine Braut Dich lieben kann, ich weiß nichts davon. Und wenn dieser Brief zur Unzeit käme! Nein, das verhüte der Himmel! Glaubs auch nicht. Ich bin nur zu geneigt, jetzt Alles schwarz zu sehen, aber bei Deinem Briefe ist es mir nicht möglich, andre als frohe Erwartungen zu hegen. Wir sollen also wieder frohe Tage haben, und durch Dich. Wie dem auch sey, Anfang |4| September kommen wir nach LeipzigLeipzigDeutschland,Anfang September kommen wir nach Leipzig – Die Familie Dirichlet traf erst am 23. September 1836 dort ein (vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836, GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 79. Druck: Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 45). so Gott will. Du schreibst mir umgehend hierher, ich wohne in der Stadt LeipzigStadt Leipzig (Hotel)FranzensbadBöhmender Stadt Leipzig – Hotel in der Kirchengasse.der Stadt Leipzig – Hotel in der Kirchengasse. bei Frau Justizräthin LoimannLoimann, Frau,Frau Justizräthin Loimann – Vorname nicht bekannt; Ehefrau des Juristen Christoph Johann Loimann (1789-1862), seit 1852 Bürgermeister der Stadt Franzensbad. an die adressirst Du. Ich werde ihr meine OrdresOrdres – Aufträge (von frz. l’ordre). geben, im Fall ich schon fort seyn sollte, wohin wir uns wenden, weiß ich noch nicht; MünchenMünchenDeutschland ist aufgegeben, weil ich fürchte, den FatiguenFatiguen – Ermüdungen (von frz. fatigue, Müdigkeit). und Aufregungen einer großen Stadt mit Bildergallerien nicht equal zu seyn; erlaubt es die Cholera, so sehen wir SalzburgSalzburgDeutschland, IschlIschlÖsterreich, GasteinGasteinÖsterreich u. s. w.;erlaubt es die Cholera, so sehen wir Salzburg, Ischl, Gastein u. s. w. – Die Cholera erreichte 1836 erstmals über Mittenwald Bayern. Die Epidemie dauerte in München dauerte von Oktober 1836 bis Januar 1837. Die Cholera brach auch in Wien aus, nicht jedoch in Salzburg. Siehe dazu Andreas Weigl, Choleraepidemien in den Städten der österreichischen Alpenländer in den 1830er Jahren, in: Opera historica 21 (2020), S. 204-223. Zu den Reiseplänen der Dirichlets siehe Kommentar zu Z.: Salzburger Pläne. kommt die uns auch darin in die Queer, begnügen wir uns mit PragPragBöhmen und DresdenDresdenDeutschland, aber LeipzigLeipzigDeutschland steht fest, mögen wir uns so glücklich wiedersehen, wie es von ganzer Seele wünsche. Einen dieser Tage fahre ich nach CarlsbadKarlsbadBöhmen, um Mad. SchunkSchunck, Juliane (Julie) Louise (1789-1862) zu besuchen. Nun laß es Dir gesagt seyn, schreib bald, all right, genügt. Gott gebe, daß Du so schreiben kannst.

Hör mal! Sollten meine Hoffnungen mich getäuscht haben, Gott behüte! und Du willst nichts mehr davon hören, so schicke ein leeres Couvert, und Alles ist in Vergessenheit begraben. – Es wird aber nicht so seyn. Wie zähle ich jede Minute, bis zum nächsten Briefe. Laß mich auch keine Secunde länger warten, als nöthig, waffne Dich mit Geduld für VarnhagenVarnhagen (seit 1826) von Ense, Karl August Ludwig Philipp (1785-1858),waffne Dich mit Geduld für Varnhagen – Karl August Ludwig Varnhagen von Ense hielt sich im Sommer ebenfalls in Scheveningen auf. Bei Mendelssohns Ankunft dort war er jedoch bereits abgereist. Vgl. Brief fmb-1836-08-09-01 (Brief Nr. 1400) Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy, Fanny Hensel und Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin, ’s-Gravenhage, 9. August 1836, Z. 77 ff.: »Herrn v. Varnhagen habe ich natürlich Deinem Wunsch gemäß aufgesucht, und da er nirgend zu finden war, endlich auf der Polizei nachgefragt, dort aber erfahren, er sei bereits abgereis’t.« und bedenke, wenn Du noch an mich denkst, daß ich mich mit noch viel schlimmern herumtreiben muß. Die Kur hier ist angreifend, und raubt mir alle Thätigkeit, ich kann nichts thun, als Romane lesen; ein Büchelchen hatt ich angefangen zu malen, kanns nicht fertig bringen, und nun werd ich erst recht zu Nichts Ruhe und Geduld haben. Was habe ich schon für Pläne in den paar Stunden für Dich gemacht und verworfen. Und dazwischen überläuft michs eiskalt, es könnte nichts seyn. Weiß Gott, Du kannst nicht mehr aufgeregt seyn, als ichs bin. Du hast Recht, ich bin eine leidenschaftliche Person; seit der bösen Krankheit im Frühjahr mehr als je. Nun leb wohl, und wies werden mag, behalte mich lieb. Und schreib gleich!

Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858) Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)

|5|Beginn des Briefteils vom 29. Juli 1836: Da der Brief doch etwas von der Vernunft einer verheiratheten Frau haben muß, so will ich eine dumme Bemerkung aufschreiben, die mir über Nacht eingefallen ist. Du bist traurig, deprimirt, vom Musikfest18. Niederrheinisches Musikfest (1836)DüsseldorfDeutschland zurückgekommen, in BerlinBerlinDeutschland hast Du im Winter ein Wort fallen lassen, Du wollest „suchen Dich zu verheirathen“.in Berlin hast Du im Winter ein Wort fallen lassen, Du wollest „suchen Dich zu verheirathen“ – vgl. dazu Fanny Hensels Eintrag in ihrem Tagebuch vom 8. Juli 1839, der sich auf die Zeit um Weihnachten 1835 bezieht: »Diesmal kam ich zu der lebendigsten Ueberzeugung, die Wilhelm mit mir theilte, daß es für Felix Zeit sey, zu heirathen. Auf Wilh. Antrieb sprach ich mit ihm davon, und fand ihn in derselben Meinung, er sagte, er habe sich bisher vorgenommen, den nächsten Sommer mit uns zuzubringen, um Mutter zu erheitern, indessen finde er, daß ich so recht habe, daß er nun lieber am Rhein bleiben, und sich umsehen wolle.« (Hensel, Tagebücher, S. 80 f.). Hat dieser Entschluß, und die Sehnsucht, wieder für und durch einen Menschen zu leben, nicht Deine Liebe in Deiner Phantasie vergrößert? Oder liebst Du Siesie? Ihretwegen? und nicht weil Du irgendjemandDirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858) haben willst? Du frägst zweimal „was soll ich anfangen“ Liebst Du sie wirklich? Fang an! Amen.

Der ArztArzt von → Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad (1836) verdammt mich eben, noch wenigstens 14 Tage hier zu bleiben. Hart! Schreibst Du gleich, empfange ich den Brief noch hier.

            28sten Juli Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du Dich und uns glücklich machen willst. Und es ist so, noch nie hast Du so viel gestanden. O daß ich hier fest sitze! Laß nur Dein Seebad unterwegs, in aufgeregter Verfassung kann es Dir nicht nützen, bleib ruhig od. unruhig in Frankfurt. O ich stehe nicht dafür, daß ich nicht Dirichlet, der nächste Woche kommt, dazu bringe, alle Salzburger Pläne aufzugeben, und den alten bekannten Weg nach Frankfurt wieder zu befahren. – Ich muß aber suchen, mich zusammenzunehmen, die Lichtblicke die Dein eben angekommener Brief sehen the erblicken läßt, haben mich in solche Agitation versetzt, daß meine Hand zittert, aber schreiben mußte ich gleich, da ich Dir nicht um den Hals fallen kann. Ich will aber mehr hören. Warum mußt Du denn aber so weit fort seyn, wer weiß, wie lange ein Brief zu Dir geht. Glücklicher Weise ists Abend spät, keine Post geht mehr, vielleicht habe ich morgen etwas Vernunft gewonnen. Für heut gut Nacht, und Gottes Segen mit Dir und Deinen Unternehmungen.
 Zwei Stunden später Du wirst glauben, ich sey verrückt, daß ich auf die bloße Nachricht hin, Du seyst verliebt, so außer mir bin. Aber dies war der erste Eindruck, den ich nicht verleugnen will, es schien mir zwischen den Zeilen geschrieben, diese Liebe hätte für Dein Leben entschieden, denn wenn ich Dich recht kenne, kamst Du nicht nach Frankfurt in der Stimmung, blos zum Plaisir die Cour zu machen. Gott gebe, daß sie so klug ist, Deine Liebe zu würdigen und zu erwiedern, mein Herz hat sie schon, da Du ihr frohe Stunden verdankst. Wundersam!
Der du die Menschen lässest sterben
Und sprichst, kommt wieder Menschenkinder.
Mir war es nicht vergönnt, etwas Neues zu lieben in die Familie zu bringen, Du hast durch Paulus und Musikfest die erste freudige Aufregung hervorgerufen, jetzt eröffnest Du uns wieder eine neue Aussicht auf dauerndes Glück. Aber, liebes Herz, schreibe bald wieder! Laß mich nicht in der Spannung, Du glaubst nicht, wie aufgeregt meine Nerven sind, das taugt nichts zur Kur. Schreib mir einen rechten Liebesbrief für Sie, wie sie aussieht, spricht, geht, steht, ob sie musikalisch ist, und schreib mir dabei, daß ich doch noch Deine liebe Schwester bin, meinen alten Ansprüchen an Deine Liebe entsage ich für keine Geliebten der Welt, wie Du Deinen Platz bei mir zusammen mit ehrlicher Mutterliebe behalten hast. Es ist nicht wahr, daß die wahre Liebe kälter gegen die übrige Welt macht; im Gegentheil.
Heut kann ich Nichts mehr über Paulus, noch sonst etwas schreiben. Von mir ist nicht viel Gutes zu melden, ich trinke, bade, amüsire mich, lese englische Romane, treibe mich mit gleichgültigen Menschen herum, bisher war schändliches Wetter, heut ist der erste schöne Tag; ich weiß nicht, welche Ahnung mich bewog, mehrere Einladungen zu Landpartien auszuschlagen, und den Nachmittag ganz allein vor dem ersten Hause links auf dem Titelblatt wo ich wohne, zuzubringen, da kam der Postbote und brachte den längst ersehnten Brief von Dir, da ich mir schon längst die schwärzesten Ideen über Dein Stillschweigen gemacht hatte. Was meine erste Bewegung war, hast Du gesehen, um mich nur einigermaßen zu fassen, nahm ich Walter und ging mit ihm eine Stunde querfeldein spatzieren, saß noch vor dem Hause, las den Brief wieder und wieder, und der rosenfarbne Eindruck bleibt derselbe.
Aber ich beschwöre Dich, schreib umgehend. Nicht einmal Dirichlet soll von der Existenz dieses Briefes etwas wissen, und vertraue mir Alles. Für Alles, was ich noch besonders gelitten habe, seit Vaters Tode, erfreue Du mich durch Dein Vertrauen. Nach Frft. werde ich wohl nicht kommen, Dirichlet thäte mirs freilich zu Gefallen, denn der würde Himmel und Erde aufbieten, um mir, nach allen Leiden, und der nüchternen Langeweile hier, eine Freude zu machen, aber es wird wohl besser seyn; Du wirst schon selbst ausspüren, wie es mit ihr steht, könnt ich aber nur für meine eigne Ruhe selbst sehen, ich bin so gespannt, als wäre ichs selber, die eine Declaration zu machen hat. O die grausame Ferne! Vielleicht ist nun schon Dein Schicksal entschieden, und ich, die Dich so liebt, wie nur Deine Braut Dich lieben kann, ich weiß nichts davon. Und wenn dieser Brief zur Unzeit käme! Nein, das verhüte der Himmel! Glaubs auch nicht. Ich bin nur zu geneigt, jetzt Alles schwarz zu sehen, aber bei Deinem Briefe ist es mir nicht möglich, andre als frohe Erwartungen zu hegen. Wir sollen also wieder frohe Tage haben, und durch Dich. Wie dem auch sey, Anfang September kommen wir nach Leipzig, so Gott will. Du schreibst mir umgehend hierher, ich wohne in der Stadt Leipzig bei Frau Justizräthin Loimann, an die adressirst Du. Ich werde ihr meine Ordres geben, im Fall ich schon fort seyn sollte, wohin wir uns wenden, weiß ich noch nicht; München ist aufgegeben, weil ich fürchte, den Fatiguen und Aufregungen einer großen Stadt mit Bildergallerien nicht equal zu seyn; erlaubt es die Cholera, so sehen wir Salzburg, Ischl, Gastein u. s. w. ; kommt die uns auch darin in die Queer, begnügen wir uns mit Prag und Dresden, aber Leipzig steht fest, mögen wir uns so glücklich wiedersehen, wie es von ganzer Seele wünsche. Einen dieser Tage fahre ich nach Carlsbad, um Mad. Schunk zu besuchen. Nun laß es Dir gesagt seyn, schreib bald, all right, genügt. Gott gebe, daß Du so schreiben kannst.
Hör mal! Sollten meine Hoffnungen mich getäuscht haben, Gott behüte! und Du willst nichts mehr davon hören, so schicke ein leeres Couvert, und Alles ist in Vergessenheit begraben. – Es wird aber nicht so seyn. Wie zähle ich jede Minute, bis zum nächsten Briefe. Laß mich auch keine Secunde länger warten, als nöthig, waffne Dich mit Geduld für Varnhagen, und bedenke, wenn Du noch an mich denkst, daß ich mich mit noch viel schlimmern herumtreiben muß. Die Kur hier ist angreifend, und raubt mir alle Thätigkeit, ich kann nichts thun, als Romane lesen; ein Büchelchen hatt ich angefangen zu malen, kanns nicht fertig bringen, und nun werd ich erst recht zu Nichts Ruhe und Geduld haben. Was habe ich schon für Pläne in den paar Stunden für Dich gemacht und verworfen. Und dazwischen überläuft michs eiskalt, es könnte nichts seyn. Weiß Gott, Du kannst nicht mehr aufgeregt seyn, als ichs bin. Du hast Recht, ich bin eine leidenschaftliche Person; seit der bösen Krankheit im Frühjahr mehr als je. Nun leb wohl, und wies werden mag, behalte mich lieb. Und schreib gleich!
 Da der Brief doch etwas von der Vernunft einer verheiratheten Frau haben muß, so will ich eine dumme Bemerkung aufschreiben, die mir über Nacht eingefallen ist. Du bist traurig, deprimirt, vom Musikfest zurückgekommen, in Berlin hast Du im Winter ein Wort fallen lassen, Du wollest „suchen Dich zu verheirathen“. Hat dieser Entschluß, und die Sehnsucht, wieder für und durch einen Menschen zu leben, nicht Deine Liebe in Deiner Phantasie vergrößert? Oder liebst Du Sie? Ihretwegen? und nicht weil Du irgendjemand haben willst? Du frägst zweimal „was soll ich anfangen“ Liebst Du sie wirklich? Fang an! Amen.
Der Arzt verdammt mich eben, noch wenigstens 14 Tage hier zu bleiben. Hart! Schreibst Du gleich, empfange ich den Brief noch hier.          
            <TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="gb-1836-07-29-01" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="gb-1836-07-29-01" xml:id="title_dd443bb0-b5c7-4539-b649-de2090ce8740">Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage <lb></lb> Franzensbad, 28. und 29. Juli 1836</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_4cdf4dc6-b629-4deb-8fb1-d1a9daa694c0">Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. 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August 1836</title> <author key="PSN0110673">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0110673" resp="writer">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription">FMB-C</name> </respStmt> <respStmt resp="edition"><resp resp="edition">Edition: </resp><name resp="edition">FMB-</name></respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin</publisher> <address> <street>Am Kupfergraben 5</street> <placeName xml:id="placeName_d8e18d52-bfcc-495d-b637-32fa222d46fa"> <settlement>10117 Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </address> <idno type="URI">http://www.mendelssohn-online.com</idno> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/">Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)</licence> </availability> </publicationStmt> <seriesStmt> <p>Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)</p> </seriesStmt> <sourceDesc source="edition_template_manuscript" xml:id="sourceDesc_4c3ad565-66c0-4605-8f7e-e1b9954cc1b3"> <msDesc> <msIdentifier> <country>Großbritannien</country> <settlement>Oxford</settlement> <institution key="RISM">GB-Ob</institution> <repository>Oxford, Bodleian Library</repository> <collection>Music Section</collection> <idno type="signatur">M.D.M. d. 31/110.</idno> </msIdentifier> <msContents> <msItem> <idno type="autograph">Autograph</idno> <title key="gb-1836-07-29-01" type="letter" xml:id="title_eba7bde1-db8f-4ee7-91e6-7b60b1764515">Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage;  Franzensbad, 28. und 29. Juli 1836</title> <incipit>Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc><p>1 Doppelbl. und 1 Bl.: S. 1-5 Brieftext, S. 1 oben vorgedruckte Vignette mit der Bildunterschrift »Franzensbad«; S. 6 Adresse, 3 Poststempel [Franz-brunn], [Per Maastricht], [’sGRAVENHAGE / 6. / AUG.], Siegelmarke »R«.</p><handDesc hands="1"><p>Rebecka Lejeune Dirichlet </p></handDesc><accMat><listBibl><bibl type="none"></bibl></listBibl></accMat></physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1836-07-28" xml:id="date_c99ac30e-713c-46f4-9cce-0b3b881251ab">28.</date> und <date cert="high" when="1836-07-29" xml:id="date_3f9a2bfd-0819-44fd-9ada-72dc1ae98cd8">29. Juli 1836</date> </creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0110673" resp="author" xml:id="persName_b9f05e33-838f-4baa-ad66-81855adaa125">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0110673" resp="writer">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_ae26f260-c9bf-487d-86df-38c7a8357fc3"> <settlement key="STM0100622">Franzensbad</settlement> <country>Böhmen</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver" xml:id="persName_e5563667-b7fa-49f0-9f73-a91de8cebfb8">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_a07d13b3-e401-4cce-a1d9-e6d08c65273f"> <settlement key="STM0100516">’s-Gravenhage</settlement> <country>Niederlande</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"></revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_4f278cb0-7013-42e1-a4fb-5b3182b4d2e6"> <head> <address> <addrLine><hi rend="latintype">Monsieur Mendelssohn Bartholdy</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">à la Haye</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">p. Francfort s/M.</hi></addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">Poste restante</hi>.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_5048deaf-98e4-42b2-a644-13d61aa286cb"> <docAuthor key="PSN0110673" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_e1e8a554-d5bf-4824-9cf9-0f848ca8aa55">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110673" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_0ac39019-5eb6-4519-a6fa-2fc3351b725e">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</docAuthor> <dateline rend="right"><date cert="high" when="1836-07-28" xml:id="date_8751bc25-414f-41bb-a563-4cbc605c5a66">28sten Juli</date></dateline> <p style="paragraph_without_indent">Was soll ich Dir schreiben, geliebter Felix, giebt es denn Worte dafür? O Gott, könnte ich nur einen Augenblick bei Dir seyn. Sieh, ich bin so außer mir, als wäre es schon bestimmt, daß Du Dich und uns glücklich machen willst.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_efbd684b-0b81-4727-8f32-0623e877e388" xml:lang="de ">daß Du Dich und uns glücklich machen willst – In Brief fmb-1836-07-24-02 (Brief Nr. 1392) Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad, Frankfurt a. M., 24. Juli 1836, erwähnte Mendelssohn, er sei »entsetzlich verliebt« (Z. 6 f.). Mendelssohn hatte seine künftige Braut Cécile Jeanrenaud bereits am 4. Mai 1836 anlässlich eines Besuchs bei der Familie Souchay in Frankfurt a. M. kennengelernt. Vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836 (GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 39. Druck Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 30) und den Hinweis auf die »jährige Bekanntschaft« mit Cécile in Brief fmb-1837-05-01-01 (Brief Nr. 1638) Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann in London, Freiburg im Breisgau, 30. April und 1. Mai 1837, Z. 84. Siehe auch Eduard Souchay de la Duboissières Erinnerungen an die Begegnung (GB-Ob, M.D.M. c. 29, fol. 65-70. Abdruck bei Christian Lambour, Erinnerungen an Cécile und Felix Mendelssohn Bartholdy von Eduard Souchay de la Duboissière, in: Mendelssohn Studien 16, 2009, S. 214). Seit seinem Wirken als interimistischer Dirigent des Frankfurter Cäcilienvereins ab dem 7. Juni 1836 besuchte Mendelssohn die Familie Jeanrenaud fast täglich.</note> Und es ist so, noch nie hast Du so viel gestanden. O daß ich hier fest sitze! Laß nur Dein <placeName xml:id="placeName_194fe733-a9a4-4990-879c-1a05bc58940a">Seebad<settlement key="STM0104937" style="hidden" type="locality">Scheveningen</settlement><country style="hidden">Niederlande</country></placeName> unterwegs,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_58b0e525-93ea-4438-a672-941548a5430f" xml:lang="de ">Laß nur Dein Seebad unterwegs – Mendelssohn reiste vom 1. bis zum 22. August 1836 nach ’s-Gravenhage bzw. in das benachbarte Seebad Scheveningen. Er hatte sich am 26. Juli 1836 von Frankfurt a. M. aus dorthin auf den Weg gemacht (vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836, GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 62. Druck: Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 40).</note> in aufgeregter Verfassung kann es Dir nicht nützen, bleib ruhig od. unruhig in <placeName xml:id="placeName_63c8e465-b333-4223-9767-3853e546faa7">Frankfurt<settlement key="STM0100204" style="hidden" type="locality">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>. O ich stehe nicht dafür, daß ich nicht <persName xml:id="persName_822e4da6-66f5-4eba-9501-e56cba40ff6b">Dirichlet<name key="PSN0110672" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859)</name></persName>, der nächste Woche kommt,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_56b52ebb-1f0a-4f64-adb8-1d331565a609" xml:lang="de ">Dirichlet, der nächste Woche kommt – Nach ihrer Fehlgeburt verordnete Rebecka Lejeunes Dirichlets Arzt eine Kur, die sie vom 8. Juli bis zum 18. August 1836 mit dem Sohn Walter in Franzensbad bei Eger absolvierte. Ihr vor dem 19. Juli 1836 nach Berlin geschriebener Brief ist nicht bekannt. Eger (heute Cheb) liegt im äußersten Westen der heutigen Tschechischen Republik. Der Ehemann Peter Gustav Lejeune Dirichlet reiste am 30. Juli 1836 von Berlin ab (vgl. den Schluss von Brief gb-1836-07-30-01 Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Berlin, 30. Juli 1836), er kam am 2. August 1836 in Franzensbad an (vgl. Brief gb-1836-08-16-01 Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Franzensbad, 16. August 1836).</note> dazu bringe, alle <placeName xml:id="placeName_f68fc0dd-10e4-4b33-86ae-854293d204d2">Salzburger<settlement key="STM0100113" style="hidden" type="locality">Salzburg</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> Pläne<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_38b9c5c2-566d-4a3f-982e-a9d01b919a9c" xml:lang="de ">Salzburger Pläne – In Brief gb-1836-08-16-01 Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in ’s-Gravenhage, Franzensbad, 16. August 1836, teilte die Schwester den konkretisierten Plan mit, nach ihrem Kuraufenthalt über Budweis (heute České Budějovice, Tschechien), Linz, den Traunsee, Ischl, Salzburg, Gastein, Innsbruck und weiter durch Tirol nach München zu reisen.</note> aufzugeben, und den alten bekannten Weg nach <placeName xml:id="placeName_4cd8b585-794c-4c07-9b46-bf68306ec40c">Frankfurt<settlement key="STM0100204" style="hidden" type="locality">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> wieder zu befahren. – Ich muß aber suchen, mich zusammenzunehmen, die Lichtblicke die Dein eben angekommener <title xml:id="title_be2fcf28-4135-4c8d-9d85-b71ae2e1e7f7">Brief<name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="fmb-1836-07-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad; Frankfurt a. M., 24. Juli 1836</name></title> <add place="above">sehen<name key="PSN0110673" resp="writers_hand" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></add> <del cert="low" rend="strikethrough" xml:id="del_58e1c334-05c2-4dec-90ca-d9be68af76f5">the</del><note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_5608465e-878c-4b45-a8ca-4af134faf433" xml:lang="de ">the – Lesart der Streichung unsicher.</note> <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_78347790-4ff4-4896-a684-9762796007b7">erblicken</del> läßt, haben mich in solche Agitation<note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_cd40a13e-e842-4794-b422-49a2640106d9" xml:lang="fr ">Agitation – frz., Aufregung.</note> versetzt, daß meine Hand zittert, aber schreiben mußte ich gleich, da ich Dir nicht um den Hals fallen kann. Ich will aber mehr hören. Warum mußt Du denn aber so weit fort seyn, wer weiß, wie lange ein Brief zu Dir geht. Glücklicher Weise ists Abend spät, keine Post geht mehr, vielleicht habe ich morgen etwas Vernunft gewonnen. Für heut gut Nacht, und Gottes Segen mit Dir und Deinen Unternehmungen.</p> <p><seg type="pagebreak">|2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> <hi n="1" rend="underline">Zwei Stunden später</hi> Du wirst glauben, ich sey verrückt, daß ich auf die bloße Nachricht hin, Du seyst verliebt, so außer mir bin. Aber dies war der erste Eindruck, den ich nicht verleugnen will, es schien mir zwischen den Zeilen geschrieben, diese Liebe hätte für Dein Leben entschieden, denn wenn ich Dich recht kenne, kamst Du nicht nach <placeName xml:id="placeName_0774433f-7e00-4fd3-adf9-34df40005c8c">Frankfurt<settlement key="STM0100204" style="hidden" type="locality">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> in der Stimmung, blos zum Plaisir die Cour zu machen. Gott gebe, daß <persName xml:id="persName_19714f5b-0729-45af-a14c-f1f442362179">sie<name key="PSN0112225" style="hidden" type="person">Jeanrenaud, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853)</name></persName> so klug ist, Deine Liebe zu würdigen und zu erwiedern, mein Herz hat sie schon, da Du ihr frohe Stunden verdankst. Wundersam!</p> <p>Der du die Menschen lässest sterben</p> <p>Und sprichst, kommt wieder Menschenkinder.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_eb75c330-f8a1-40b1-bc94-0e15adf4bc2d" xml:lang="de ">Der du die Menschen lässest sterben … Menschenkinder – Ps 90,3.</note></p> <p>Mir war es nicht vergönnt, etwas Neues zu lieben in die Familie zu bringen, Du hast durch <title xml:id="title_9ee4015c-0189-4458-927e-659f81546457"><hi rend="latintype">Paulus</hi><list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="list_4d8b9e68-c323-4314-9e39-6796ed8bc086"><item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item><item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item><item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item><item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name></title> und <placeName xml:id="placeName_0778821c-93f3-4323-902b-2414c8f9357d">Musikfest<name key="NST0100342" style="hidden" subtype="" type="institution">18. Niederrheinisches Musikfest (1836)</name><settlement key="STM0100109" style="hidden" type="locality">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> die erste freudige Aufregung hervorgerufen,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_60b7ce5d-a60c-492b-8072-136ef3739544" xml:lang="de ">Du hast durch Paulus und Musikfest die erste freudige Aufregung hervorgerufen – Felix Mendelssohn Bartholdy hatte das 18. Niederrheinische Musikfest zu Pfingsten (22. Und 23. Mai) 1836 geleitet. Am ersten Musikfesttag dirigierte der Komponist die Uraufführung seines Oratoriums Paulus op. 36 (MWV A 14) (Hauchecorne, Musikfeste, Anhang, S. 19). Die »erste freudige Aufregung« meint die Trauerzeit nach dem Tod des Vaters Abraham am 19. November 1835.</note> jetzt eröffnest Du uns wieder eine neue Aussicht auf dauerndes Glück. Aber, liebes Herz, schreibe bald wieder! Laß mich nicht in der Spannung, Du glaubst nicht, wie aufgeregt meine Nerven sind, das taugt nichts zur Kur. Schreib mir einen rechten Liebesbrief für <choice resp="Editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_bad778f9-bd6d-4e6e-8da9-b908945e94b2"><sic resp="writer">Sie</sic><corr resp="editor">sie</corr></choice>, wie sie aussieht, spricht, geht, steht, ob sie musikalisch ist, und schreib mir dabei, daß ich doch noch Deine liebe Schwester bin, meinen alten Ansprüchen an Deine Liebe entsage ich für keine Geliebten der Welt, wie Du Deinen Platz bei mir zusammen<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> mit ehrlicher Mutterliebe behalten hast. Es ist nicht wahr, daß die wahre Liebe kälter gegen die übrige Welt macht; im Gegentheil.</p> <p>Heut kann ich Nichts mehr über <hi rend="latintype">Paulus</hi>, noch sonst etwas schreiben. Von mir ist nicht viel Gutes zu melden, ich trinke, bade, amüsire mich, lese englische Romane, treibe mich mit gleichgültigen Menschen herum, bisher war schändliches Wetter, <date cert="high" when="1836-07-28" xml:id="date_8ca37b90-a773-4250-a818-eb817f5e8046">heut</date> ist der erste schöne Tag; ich weiß nicht, welche Ahnung mich bewog, mehrere Einladungen zu Landpartien auszuschlagen, und den Nachmittag ganz allein vor dem ersten Hause links auf dem Titelblatt wo ich wohne, zuzubringen, da kam der Postbote und brachte den längst ersehnten <title xml:id="title_590fd5a4-2c61-4140-9df5-996ae2dad866">Brief<name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="fmb-1836-07-24-02" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad; Frankfurt a. M., 24. Juli 1836</name></title> von Dir, da ich mir schon <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_46c2f336-1469-4440-a8df-c9c1030bf0a9">längst</del> die schwärzesten Ideen über Dein Stillschweigen gemacht hatte. Was meine erste Bewegung war, hast Du gesehen, um mich nur einigermaßen zu fassen, nahm ich <persName xml:id="persName_73794d93-ef87-4a16-972d-464d80209071">Walter<name key="PSN0110666" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Abraham Walter (1833-1887)</name></persName> und ging mit ihm eine Stunde querfeldein spatzieren, saß noch vor dem Hause, las den Brief wieder und wieder, und der rosenfarbne<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_60c9848f-3aba-4e30-a865-78031d182508" xml:lang="de ">rosenfarbne – rosenfarb: veralteter Begriff für »freudig« (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. VIII, Leipzig 1893, Sp. 1193).</note> Eindruck bleibt derselbe.</p> <p>Aber ich beschwöre Dich, schreib umgehend. Nicht einmal <persName xml:id="persName_12171f91-2b64-4afa-9893-b0b2692471b6">Dirichlet<name key="PSN0110672" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859)</name></persName> soll von der Existenz dieses Briefes etwas wissen, und vertraue mir Alles. Für Alles, was ich noch besonders gelitten habe,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_0c89e62b-75d8-4aea-b8b9-bb08a6a6912f" xml:lang="de ">Alles, was ich noch besonders gelitten habe – die Fehlgeburt am 16. Mai 1836.</note> seit <persName xml:id="persName_a9ac9542-3d8c-4d9a-afec-7aa4692204b5">Vaters<name key="PSN0113247" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> Tode, erfreue Du mich durch Dein Vertrauen. Nach <placeName xml:id="placeName_4bcf1ccc-4e1e-43d4-826d-a0cc7c30ac66">Frft.<settlement key="STM0100204" style="hidden" type="locality">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> werde ich wohl nicht kommen, <persName xml:id="persName_ab432299-11ed-4a8a-8a3f-6abfb78e40ad">Dirichlet<name key="PSN0110672" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859)</name></persName> thäte mirs freilich zu Gefallen, denn der würde Himmel und Erde aufbieten, um mir, nach allen Leiden, und der nüchternen Langeweile hier, eine Freude zu machen, aber es wird wohl besser seyn; Du wirst schon selbst ausspüren, wie es mit ihr steht, könnt ich aber nur für meine eigne Ruhe selbst sehen, ich bin so gespannt, als wäre ichs selber, die eine Declaration zu machen <add place="above">hat<name key="PSN0110673" resp="writers_hand" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</name></add>. O die grausame Ferne! Vielleicht ist nun schon Dein Schicksal entschieden, und ich, die Dich so liebt, wie nur Deine Braut Dich lieben kann, ich weiß nichts davon. Und wenn dieser Brief zur Unzeit käme! Nein, das verhüte der Himmel! Glaubs auch nicht. Ich bin nur zu geneigt, jetzt Alles schwarz zu sehen, aber bei Deinem Briefe ist es mir nicht möglich, andre als frohe Erwartungen zu hegen. Wir sollen also wieder frohe Tage haben, und durch Dich. Wie dem auch sey, Anfang<seg type="pagebreak"> |4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> September kommen wir nach <placeName xml:id="placeName_4c32012e-c093-44f1-8c81-3baecc4f353b">Leipzig<settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_fe03b099-8a2c-4f5b-86a9-243423799293" xml:lang="de ">Anfang September kommen wir nach Leipzig – Die Familie Dirichlet traf erst am 23. September 1836 dort ein (vgl. Mendelssohns Schreibkalender von 1836, GB-Ob, M.D.M. f. 4, S. 79. Druck: Klein / Ward Jones, Schreibkalender, S. 45).</note> so Gott will. <hi n="1" rend="underline">Du schreibst mir umgehend</hi> hierher, ich wohne in der <placeName xml:id="placeName_4fdcd974-f768-44c7-852a-3ecf35e2abb7">Stadt Leipzig<name key="NST0105398" style="hidden" subtype="" type="institution">Stadt Leipzig (Hotel)</name><settlement key="STM0100622" style="hidden" type="locality">Franzensbad</settlement><country style="hidden">Böhmen</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_a69e4c84-e23b-471b-96e3-8e6482f0822a" xml:lang="de ">der Stadt Leipzig – Hotel in der Kirchengasse.</note><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_995b1edb-7a21-48b5-a8f5-ef6cf766a280" xml:lang="de ">der Stadt Leipzig – Hotel in der Kirchengasse.</note> bei <persName xml:id="persName_03aeb945-f499-45bb-925c-72f11aa4ae7e">Frau Justizräthin <hi rend="latintype">Loimann</hi><name key="PSN0118883" style="hidden" type="person">Loimann, Frau</name></persName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_e3c5ed96-a080-4c10-8be9-2dcbc6fae86d" xml:lang="de ">Frau Justizräthin Loimann – Vorname nicht bekannt; Ehefrau des Juristen Christoph Johann Loimann (1789-1862), seit 1852 Bürgermeister der Stadt Franzensbad.</note> an die adressirst Du. Ich werde ihr meine Ordres<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_0e487623-2586-4d53-935a-6b0d597d4deb" xml:lang="de ">Ordres – Aufträge (von frz. l’ordre).</note> geben, im Fall ich schon fort seyn sollte, wohin wir uns wenden, weiß ich noch nicht; <placeName xml:id="placeName_281b396e-b9c5-4218-8d51-34d3bf02dc21">München<settlement key="STM0100169" style="hidden" type="locality">München</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> ist aufgegeben, weil ich fürchte, den Fatiguen<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_f2ffe562-d146-48d2-be2a-b703bd509f66" xml:lang="de ">Fatiguen – Ermüdungen (von frz. fatigue, Müdigkeit).</note> und Aufregungen einer großen Stadt mit Bildergallerien nicht <hi rend="latintype">equal</hi> zu seyn; erlaubt es die Cholera, so sehen wir <placeName xml:id="placeName_b6f4821e-1685-4c7f-b251-cad599595d80">Salzburg<settlement key="STM0100113" style="hidden" type="locality">Salzburg</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, <placeName xml:id="placeName_9f0492b5-2eb2-40fe-910c-02a064a4767a"><hi rend="latintype">Ischl</hi><settlement key="STM0100173" style="hidden" type="locality">Ischl</settlement><country style="hidden">Österreich</country></placeName>, <placeName xml:id="placeName_3470b4a9-9a40-4328-b518-6771051abeab">Gastein<settlement key="STM0100626" style="hidden" type="locality">Gastein</settlement><country style="hidden">Österreich</country></placeName> u. s. w.;<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_bdba7037-c4aa-44f0-8d4e-0653df0d413c" xml:lang="de ">erlaubt es die Cholera, so sehen wir Salzburg, Ischl, Gastein u. s. w. – Die Cholera erreichte 1836 erstmals über Mittenwald Bayern. Die Epidemie dauerte in München dauerte von Oktober 1836 bis Januar 1837. Die Cholera brach auch in Wien aus, nicht jedoch in Salzburg. Siehe dazu Andreas Weigl, Choleraepidemien in den Städten der österreichischen Alpenländer in den 1830er Jahren, in: Opera historica 21 (2020), S. 204-223. Zu den Reiseplänen der Dirichlets siehe Kommentar zu Z.: Salzburger Pläne.</note> kommt die uns auch darin in die Queer, begnügen wir uns mit <placeName xml:id="placeName_d76dde7b-4d8b-4ee1-a69d-9bdbd606b78f"><hi rend="latintype">Prag</hi><settlement key="STM0100589" style="hidden" type="locality">Prag</settlement><country style="hidden">Böhmen</country></placeName> und <placeName xml:id="placeName_9dab9d0e-1205-4417-afc8-f18b1ea7c8f1"><hi rend="latintype">Dresden</hi><settlement key="STM0100142" style="hidden" type="locality">Dresden</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, aber <placeName xml:id="placeName_52c6a1b4-ae45-48f7-9e77-6c6df34a24a3">Leipzig<settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> steht fest, mögen wir uns so glücklich wiedersehen, wie es von ganzer Seele wünsche. Einen dieser Tage fahre ich nach <placeName xml:id="placeName_39017e75-ff9e-473d-8b04-ced70ace349f">Carlsbad<settlement key="STM0103491" style="hidden" type="locality">Karlsbad</settlement><country style="hidden">Böhmen</country></placeName>, um <persName xml:id="persName_3214e8d5-2cbf-44e9-86ca-96dcb4b7f7cb">Mad. Schunk<name key="PSN0114769" style="hidden" type="person">Schunck, Juliane (Julie) Louise (1789-1862)</name></persName> zu besuchen. Nun laß es Dir gesagt seyn, schreib bald, <hi rend="latintype">all right</hi>, genügt. Gott gebe, daß Du so schreiben kannst. </p> <p>Hör mal! Sollten meine Hoffnungen mich getäuscht haben, Gott behüte! und Du willst nichts mehr davon hören, so schicke ein leeres Couvert, und Alles ist in Vergessenheit begraben. – Es wird aber nicht so seyn. Wie zähle ich jede Minute, bis zum nächsten Briefe. Laß mich auch keine Secunde länger warten, als nöthig, waffne Dich mit Geduld für <persName xml:id="persName_5bdcdaf7-fa3f-455e-8ecb-59c9a95c8fb1">Varnhagen<name key="PSN0115453" style="hidden" type="person">Varnhagen (seit 1826) von Ense, Karl August Ludwig Philipp (1785-1858)</name></persName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_04892c2c-5917-4582-87a2-4071b348473b" xml:lang="de ">waffne Dich mit Geduld für Varnhagen – Karl August Ludwig Varnhagen von Ense hielt sich im Sommer ebenfalls in Scheveningen auf. Bei Mendelssohns Ankunft dort war er jedoch bereits abgereist. Vgl. Brief fmb-1836-08-09-01 (Brief Nr. 1400) Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy, Fanny Hensel und Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin, ’s-Gravenhage, 9. August 1836, Z. 77 ff.: »Herrn v. Varnhagen habe ich natürlich Deinem Wunsch gemäß aufgesucht, und da er nirgend zu finden war, endlich auf der Polizei nachgefragt, dort aber erfahren, er sei bereits abgereis’t.«</note> und bedenke, wenn Du noch an mich denkst, daß ich mich mit noch viel schlimmern herumtreiben muß. Die Kur hier ist angreifend, und raubt mir alle Thätigkeit, ich kann nichts thun, als Romane lesen; ein Büchelchen hatt ich angefangen zu malen, kanns nicht fertig bringen, und nun werd ich erst recht zu Nichts Ruhe und Geduld haben. Was habe ich schon für Pläne in den paar Stunden für Dich gemacht und verworfen. Und dazwischen überläuft michs eiskalt, es könnte nichts seyn. Weiß Gott, Du kannst nicht mehr aufgeregt seyn, als ichs bin. Du hast Recht, ich bin eine leidenschaftliche Person; seit der bösen Krankheit im Frühjahr mehr als je. Nun leb wohl, und wies werden mag, behalte mich lieb. Und schreib gleich!</p> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_66a2e89e-cf5e-49bf-bd4a-278edc0e8997"> <docAuthor key="PSN0110673" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_5abb4246-7375-4502-9660-22867bbaa3d8">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110673" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_e321eb82-c987-41e1-831e-87f72d452ec1">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent"><seg type="pagebreak"> |5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg><note resp="UT" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_7335b240-a41d-4ff0-a949-1b98748410cb" xml:lang="de">Beginn des Briefteils vom 29. Juli 1836: </note> Da der Brief doch etwas von der Vernunft einer verheiratheten Frau haben muß, so will ich eine dumme Bemerkung aufschreiben, die mir über Nacht eingefallen ist. Du bist traurig, deprimirt, vom <placeName xml:id="placeName_5f767b87-7963-48e6-9bf5-7e316b823274">Musikfest<name key="NST0100342" style="hidden" subtype="" type="institution">18. Niederrheinisches Musikfest (1836)</name><settlement key="STM0100109" style="hidden" type="locality">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> zurückgekommen, in <placeName xml:id="placeName_4054caa4-2f12-4918-b154-c98b78418f78">Berlin<settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> hast Du im Winter ein Wort fallen lassen, Du wollest „suchen Dich zu verheirathen“.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_5caf0b9e-cea6-482b-81c0-8059ea21a272" xml:lang="de ">in Berlin hast Du im Winter ein Wort fallen lassen, Du wollest „suchen Dich zu verheirathen“ – vgl. dazu Fanny Hensels Eintrag in ihrem Tagebuch vom 8. Juli 1839, der sich auf die Zeit um Weihnachten 1835 bezieht: »Diesmal kam ich zu der lebendigsten Ueberzeugung, die Wilhelm mit mir theilte, daß es für Felix Zeit sey, zu heirathen. Auf Wilh. Antrieb sprach ich mit ihm davon, und fand ihn in derselben Meinung, er sagte, er habe sich bisher vorgenommen, den nächsten Sommer mit uns zuzubringen, um Mutter zu erheitern, indessen finde er, daß ich so recht habe, daß er nun lieber am Rhein bleiben, und sich umsehen wolle.« (Hensel, Tagebücher, S. 80 f.).</note> Hat dieser Entschluß, und die Sehnsucht, wieder für und durch einen Menschen zu leben, nicht Deine Liebe in Deiner Phantasie vergrößert? Oder liebst Du <choice resp="Editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_895bbdac-d31b-4f0e-943b-f2c070b63f16"><sic resp="writer">Sie</sic><corr resp="editor">sie</corr></choice>? Ihretwegen? und nicht weil Du irgend<add place="above">jemand<name key="PSN0110673" resp="writers_hand" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811–1858)</name></add> haben willst? Du frägst zweimal „was soll ich anfangen“ Liebst Du sie wirklich? Fang an! Amen.</p> <p>Der <persName xml:id="persName_39d7a123-343f-4f3e-8b82-42e92efaa874">Arzt<name key="PSN0120497" style="hidden" type="person">Arzt von → Rebecka Lejeune Dirichlet in Franzensbad (1836)</name></persName> verdammt mich eben, noch wenigstens 14 Tage hier zu bleiben. Hart! Schreibst Du gleich, empfange ich den Brief noch hier.</p> </div> </body> </text></TEI>