gb-1835-10-27-01
Hilfe zum Zitier-Tool
Um wichtige Textpassagen (Zitate) zu speichern und auf diese via Hyperlink zu verweisen, markieren Sie bitte den gewünschten Textbereich.
Daraufhin erscheint ein Fenster, in welchem Sie die ausgewählte Textpassage inkl. des Hyperlinks zur weiteren Verwendung in die Zwischenablage kopieren können.
Berlin, 27. Oktober 1835
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse, Siegel.
Adolph Bernhard Marx
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
F. Mendelssohn-Bartholdy
.
Leipzigfrey.
Es ist eine altbekannte Schwäche von mir, lieber Felix, nie den Anfang finden zu können, z. B. eines Briefs oder eine Einleitung zu einem schon fertigen Stücke. So gehe ich seit Deinem jüngsten Hiersein
mit einem Brief’ an Dich herum, und nun muß doch erst ein äußerer Anstoß ihn flott machen.Kloß
Soviel ex officio ! Und nun laß Dich ein bischen schelten über Dein mysteriöses: Ich bin der ich sein werde, mit dem Du meine Wirthin irre geleitet. Spät in der Abenddämmrung nämlich an jenem Tage kam sie mit der Nachricht: es sei auch ein Herr da gewesen. – Haben Sie ihn auf den Vormittag bestellt? – „Nein, er wollte nur ein Paar Stunden hier bleiben.“ – Wars ein Fremder? Wie hieß er? – „Ich sollte sagen, es wäre ein Herr aus Dirichlets
Nachher hörte ich gar, daß
ci-devant-Herrlichkeit
Dies bringt mich auf die
in casum casussorgen, mußte – wenn ich etwa mit
Msct. fertig (wenigstens der
ppist dann
nebenbei, in Absätzen, kurz wie ich will, zu arbeiten. Dann nämlich neben diesen Nacharbeiten, wird ein Anderes Hauptgeschäft. Hätte ich mich nicht überwunden, so würde in jeder nicht ganz erhobenen Stunde mich das Gewissen und Sorge für die Zukunft gepeinigt und wol um manche Stimmung gebracht haben. Jetzt habe ich soviel und sogut ich konnte, mich dagegen verwahrt. Gebe Gott seinen Segen. – Es ist freilich an dem: ich komme vor Zurüstungen
lange nichtzur Sache. Aber was ist zu thun? Hätte ich von Haus’ aus andre Umstände, oder glückliche Erfolge, oder – kurz einen Theil dessen gehabt, was mir fehlt und was kein Mensch auf die Länge entbehren
kann: so wär’s rascher gegangen. Und sollte mir beschieden sein, daß auch jetzt meine Verhältniße sich nicht ändern, so würde ich nach
Dies bringt mich auf einen andern menschlichen Fall, den wir auch besprochen, ohne ganz einig zu werden,: das unglückliche Ende der
nichtdiese Prüfungen zu bestehen haben. So meine ich wohl, ist Deine
Non nobis! Ich breche ab, denn was sich darüber sagen läßt, muß wenig sein in Vergleich zu dem, was man dabei zu
alieneBrief doch besser ist, als unsere Ganze Korrespondenz seit 2 Jahren, wo wir uns nicht geschrieben .
Nun gehe ich zu
Berlin den 27. Oktober 1835 Es ist eine altbekannte Schwäche von mir, lieber Felix, nie den Anfang finden zu können, z. B. eines Briefs oder eine Einleitung zu einem schon fertigen Stücke. So gehe ich seit Deinem jüngsten Hiersein mit einem Brief’ an Dich herum, und nun muß doch erst ein äußerer Anstoß ihn flott machen. Herr Kloß nämlich, von früher mir bekannt als fleißiger und geschickter Klavierlehrer und Spieler, wünscht Deine persönliche Bekanntschaft und zur Einleitung ein Paar Zeilen von mir. Er will erst in Leipzig (wo er sich zuletzt aufgehalten) und Dresden Konzert geben, dann sich hier als Klavier- Gesang- und Harmonielehrer etabliren. Ob er Dir von seinen Arbeiten zeigen, oder sonst ein Anliegen vorbringen wird, weiß ich nicht; ich habe blos seinen Wunsch, wie geschehen, zu erfüllen gehabt. Du wirst gewiß freundlich mit ihm sein, um so mehr, da er an seiner Gesundheit zu leiden scheint und gewiß recht gut ist. Soviel ex officio! Und nun laß Dich ein bischen schelten über Dein mysteriöses: Ich bin der ich sein werde, mit dem Du meine Wirthin irre geleitet. Spät in der Abenddämmrung nämlich an jenem Tage kam sie mit der Nachricht: es sei auch ein Herr da gewesen. – Haben Sie ihn auf den Vormittag bestellt? – „Nein, er wollte nur ein Paar Stunden hier bleiben. “ – Wars ein Fremder? Wie hieß er? – „Ich sollte sagen, es wäre ein Herr aus Leipzig. “ – Wars etwa gar Hr. Msohn? – „Nein, den kenne ich ja. “ – Ich dachte doch an die Möglichkeit, daß Du etwa Dirichlets Morgens oder Abends vorher gebracht und mit der Schnellpost zurückfahrn wollest. Da nun in die letzte halbe Stunde hineinlaufen, schien mir unangemessen fürsichts der Deinen; ich wollte, wenn Du noch einen Tag bliebest, Nachricht abwarten, – und da wars aus. Nachher hörte ich gar, daß Moscheles mit Dir gekommen, den ich gar gern gesprochen hätte, weil er meine Hoffnung für die Londner Ausgabe der Theorie ist; nun that mirs doppelt leid, daß Du mich nicht bestimmter benachrichtigt. Indeß habe ich schon an Moscheles geschrieben und von dem Guten eine sehr freundliche Antwort erhalten. Es ist wahrlich nicht darum; aber ich kann nicht ohne Wohlgefallen an den Mann denken, ich bin ihm mit und ohne Klavier besonders gut, und von allen Musikern, die mich in meiner ci-devant-Herrlichkeit aufsuchten, hat mir keiner soviel Wohlwollen gezeigt, ohne sich das Mindeste zu vergeben, als er. So zeigt er mir die Schwierigkeiten, die mein Wunsch finden wird, und doch bin ich überzeugt, daß er das Seinige thun wird, welches auch der Erfolg sei. Dies bringt mich auf die Theorie. Wie zufrieden bin ich, ihre Vollendung durchgesetzt zu haben! Es hat mir härtere und häufigere Kämpfe gekostet, als ich sagen kann, zuletzt noch nach Deinem Einspruch. Aber ich habe Recht gethan. Wie ich einmal stehe, mußte ich für eine Summe in casum casus sorgen, mußte – wenn ich etwa mit Moses wieder Unglück haben sollte (mit oder ohne Schuld) daran denken, ein Werk im Sinne und zu Ehren meines Amtes zu promulgiren, mußte endlich auch diese Geschichten aus dem Kopfe bringen, wenn sie mir bei längerem Aufschub und öftern Vorträgen darüber nicht schaal werden sollten. Selbst wenn der Himmel wollte, daß die Sache nicht die gehofften Früchte trüge, hätte ich doch damit gethan, was ich dazu konnte und was ich durchaus als eine meiner persönlichen und amtlichen Obliegenheiten ansehen muß. Nun werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, in 4 bis 8 Wochen mit dem Msct. fertig (wenigstens der 2 ersten Theile, die jetzt erscheinen sollen) und die Recension pp ist dann nebenbei, in Absätzen, kurz wie ich will, zu arbeiten. Dann nämlich neben diesen Nacharbeiten, wird ein Anderes Hauptgeschäft. Hätte ich mich nicht überwunden, so würde in jeder nicht ganz erhobenen Stunde mich das Gewissen und Sorge für die Zukunft gepeinigt und wol um manche Stimmung gebracht haben. Jetzt habe ich soviel und sogut ich konnte, mich dagegen verwahrt. Gebe Gott seinen Segen. – Es ist freilich an dem: ich komme vor Zurüstungen lange nicht zur Sache. Aber was ist zu thun? Hätte ich von Haus’ aus andre Umstände, oder glückliche Erfolge, oder – kurz einen Theil dessen gehabt, was mir fehlt und was kein Mensch auf die Länge entbehren kann: so wär’s rascher gegangen. Und sollte mir beschieden sein, daß auch jetzt meine Verhältniße sich nicht ändern, so würde ich nach Moses wieder eine litterarische Arbeit unternehmen, die ich mir im glücklichern Falle auf spätere Zeit versparte. Wenn der Wind gegen uns ist, laviren wir; das geht freilich langsam. Dies bringt mich auf einen andern menschlichen Fall, den wir auch besprochen, ohne ganz einig zu werden, : das unglückliche Ende der Stieglitz. Lies doch, aber ohne zu widersetzliches Vorurtheil, Wundts Buch: Ch. Stieglitz, ein Denkmal, – ohne Dich bei Einzelheiten vom Verf. zu sehr aufzuhalten. Es ist ein merkwürdiges Ding um das menschliche – und zumal weibliche Schicksal. Man kann nicht leugnen, daß Dem und Jenem Prüfungen, ich möchte fast sagen Heimsuchungen, bestimmt sind, an denen selbst der Dritte, von diesem Geschick nicht ergriffene, wenn er sich nur treu und lebhaft hineinversetzt, nicht begreift, wie sie hätten überwunden werden können. Was hat diese Frau gerungen gegen ihr Geschick! – Wiederum ist nicht zu leugnen, daß andre, allem Ermessen nach Gleichbegabte nicht diese Prüfungen zu bestehen haben. So meine ich wohl, ist Deine Fanny von einer Begabung, die der der St. wenigstens gleich, wahrscheinlich überlegen ist; aber der Himmel hat sie mit derlei Prüfungen gänzlichst verschont. Nun unterliegt die Eine wirklich. Hätte sie überwunden, sie wäre des höchsten Preises werth. Aber diese letzte Kraft, dieser Gipfel nachdem sie wirklich einen Berg von Anstrengung gewälzt hat, geht ihr ab; ihr Maaß ist erschöpft, ehe sie es durchgesetzt ha – nein, bevor sie bis zum Letzten ausgedauert hat; denn durchzusetzen seine Erhaltung bei Gesundheit und Arbeitsfrische, war unmöglich. Ich meine, es müßte jeden ein heilsamer Schreck durchschauern der Solches überdenkt. Die Gnade Gottes ist es, wem solche Prüfung erspart wird, das Non nobis! Ich breche ab, denn was sich darüber sagen läßt, muß wenig sein in Vergleich zu dem, was man dabei zu erwägen und empfinden und still zu erwägen hat. Beiläufig findest Du Briefe darin z. B. den ersten vom Dezbr 1832, wo sie den Onkel um Hülfe bittet und einen aus Naminsterz nach Moskau) dergleichen mir von keiner Frau und selten von einem Manne vorgekommen. Und dieses ungeheure Schicksal knüpft sich an Einen Irrthum: daß er ein Dichter sei! Und dieser Irrthum ruht in ihrer Liebe! Liebt Dich aber ein Weib, so hängt es nur von Dir ab, ob sie Dich für den größten Maler oder Architekten oder Seeräuber halten soll. Besonders das letztere. Es ist nur zu wahr. – Ich werde nächstens ein Buch über die Erziehung des weibl. Geschl. schreiben, worin ich 1) beweisen werde, daß man sie gar nicht erziehen kann, weil sie doch nicht wissen, zu welchem Mann und Irrthum 2) daß Du der rechte Erzieher nicht bist, 3 daß dieser aliene Brief doch besser ist, als unsere Ganze Korrespondenz seit 2 Jahren, wo wir uns nicht geschrieben. Nun gehe ich zu Hegel, in dem ich wunderwürdige Sachen gelesen (zu meinem Koll. ) der aber die scheene Musik, also die scheene Kunst, und näher Tonkunst betrampelt hat, daß Gott erbarm! Aber er ist bei Gott ein großer Mann, und wo ich ihn nicht lese, soll erst seine wahre Größe sein. Leb’ wohl! Dein Marx
<TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="gb-1835-10-27-01" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="gb-1835-10-27-01" xml:id="title_2867ac28-ca4b-4a81-a967-02237cfe5a7e">Adolph Bernhard Marx an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig <lb></lb> Berlin, 27. Oktober 1835</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_4def9106-74e5-4f18-b6b0-e4e08797b569">Es ist eine altbekannte Schwäche von mir, lieber Felix, nie den Anfang finden zu können, z. B. eines Briefs oder eine Einleitung zu einem schon fertigen Stücke. So gehe ich seit Deinem jüngsten Hiersein mit</title> <title level="s" type="sub" xml:id="title_cdac656f-1260-4013-b5a5-9c9c0da85e66">Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C)</title> <title key="unknown" type="precursor" xml:id="title_1dbd8476-6a76-47a3-b2d5-0b443defa58a">unbekannt</title> <title key="unknown" type="successor" xml:id="title_c44ea90a-1cc4-4160-b089-dcc1781b32dd">unbekannt</title> <author key="PSN0113108">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0113108" resp="writer">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription">FMB-C</name> </respStmt> <respStmt resp="edition"> <resp resp="edition">Edition: </resp> <name resp="edition">FMB-C</name> </respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin</publisher> <address> <street>Am Kupfergraben 5</street> <placeName xml:id="placeName_c68e8533-16bb-49fb-a0a5-bca3bc2f6104"> <settlement>10117 Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </address> <idno type="URI">http://www.mendelssohn-online.com</idno> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/">Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)</licence> </availability> </publicationStmt> <seriesStmt> <p>Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)</p> </seriesStmt> <sourceDesc source="edition_template_manuscript" xml:id="sourceDesc_4157fff2-b0ed-4f15-adba-0fc8025e1799"> <msDesc> <msIdentifier> <country>Großbritannien</country> <settlement>Oxford</settlement> <institution key="RISM">GB-Ob</institution> <repository>Oxford, Bodleian Library</repository> <collection>Music Section</collection> <idno type="signatur">M.D.M. d. 30/133.</idno> </msIdentifier> <msContents> <msItem> <idno type="autograph">Autograph</idno> <title key="gb-1835-10-27-01" type="letter" xml:id="title_18a34085-fd90-4002-89df-62f44f1e56f1">Adolph Bernhard Marx an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig; Berlin, 27. Oktober 1835</title> <incipit>Es ist eine altbekannte Schwäche von mir, lieber Felix, nie den Anfang finden zu können, z. B. eines Briefs oder eine Einleitung zu einem schon fertigen Stücke. So gehe ich seit Deinem jüngsten Hiersein mit</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc> <p>1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse, Siegel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Adolph Bernhard Marx</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl> </accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Albrecht-Hohmaier, Mendelssohns Paulus, S. 276.</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1835-10-27" xml:id="date_ae04dd50-d6b9-414d-97e5-8a7a51c1c1c2">27. Oktober 1835</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0113108" resp="author" xml:id="persName_9b680910-ff73-49ed-8578-4dfdb42eebcd">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0113108" resp="writer">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_fdb83ed8-d1d3-473f-b6a6-15d32c544fb1"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement><country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver" xml:id="persName_9b934ddb-ab6b-41ea-8490-7008f791b79f">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_85171cee-bf77-4016-9817-2f4c99ecba14"> <settlement key="STM0100116">Leipzig</settlement><country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"> </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_fbfd4882-295c-466b-86c4-161ec502319c"> <head> <address> <addrLine>Herrn Musikdirektor</addrLine> <addrLine><hi rend="latintype">F. Mendelssohn-Bartholdy</hi></addrLine> <addrLine>Wohlgeboren</addrLine> <addrLine>in</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline"><hi rend="latintype">Leipzig</hi></hi>.</addrLine> <addrLine>durch Güte.</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline">frey</hi>.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_d712eda7-810e-4d0e-8b49-83765d1d54c8"> <docAuthor key="PSN0113108" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_c950dd02-d3a6-492f-80c8-886f3b8b8428">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0113108" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_76fae266-c8b3-444d-a066-b8a0832a18b4">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</docAuthor> <dateline rend="right">Berlin den <date cert="high" when="1835-10-27" xml:id="date_5a2c1006-4d87-499c-ba2b-81bfaea78038">27. Oktober 1835</date></dateline> <p style="paragraph_without_indent">Es ist eine altbekannte Schwäche von mir, lieber Felix, nie den Anfang finden zu können, z. B. eines Briefs oder eine Einleitung zu einem schon fertigen Stücke. So gehe ich seit Deinem jüngsten Hiersein<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_f5e9758f-d53c-4f14-86c7-37f6e69e2519" xml:lang="de">Deinem jüngsten Hiersein – Am 13. Oktober 1835 war Mendelssohn mit dem zuvor fast zwei Wochen in Leipzig weilenden Ignaz Moscheles und der inzwischen angekommenen Familie Dirichlet nach Berlin gereist, wo sie am Folgetag nachts ankamen. Am 16. Oktober reiste er frühmorgens von Berlin ab; vgl. Brief fmb-1835-10-14-01 (Brief Nr. 1229) Felix Mendelssohn Bartholdy an Franz Hauser in Leipzig, Berlin, 14. Oktober 1835.</note> mit einem Brief’ an Dich herum, und nun muß doch erst ein äußerer Anstoß ihn flott machen.</p> <p><persName xml:id="persName_44049693-bd36-4134-ac59-c33cc2b5b6b2">Herr <hi n="1" rend="underline">Kloß</hi><name key="PSN0117261" style="hidden" type="person">Kloss (Kloß), Carl Johann Christian (1792-1853)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_703f7855-a543-4cac-af2d-99c599f328d9" xml:lang="de">Herr Kloß – Vermutlich Ende 1835 / Anfang 1836 sandte Carl Johann Christian Kloss Mendelssohn den Plan zu historischen Konzerten mit musikhistorischen Vorlesungen zu, die er veranstalten wollte (GB-Ob, M.D.M. d. 30/208). Eines dieser Konzerte fand am 13. März 1836 in Berlin statt (zum Programm siehe AMZ 38, Nr. 17, 27. April 1836, Sp. 280, und Telegraph von Deutschland. Beilage zur Zeitschrift Europa Nr. 12, 23. März 1836, S. 47). Ein weiteres lässt sich für den 25. April 1836 in Dresden nachweisen (AMZ 38, Nr. 24, 15. Juni 1836, Sp. 393 f., und Eberhard Steindorf, Die Konzerttätigkeit der Königlichen musikalischen Kapelle zu Dresden [1817-1858)]. Institutionsgeschichtliche Studie und Dokumentation [Dresdner Schriften zur Musik, Bd. 11], Baden-Baden 2018, S. 167). Vgl. dazu auch Großmann-Vendrey, Musik der Vergangenheit, S. 159 f.</note> nämlich, von früher mir bekannt als fleißiger und geschickter Klavierlehrer und Spieler, wünscht Deine persönliche Bekanntschaft und zur Einleitung ein Paar Zeilen von mir. Er will erst in <placeName xml:id="placeName_b84cf0ac-72b4-4de7-b514-41d3af73c80c">Leipzig<settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> (wo er sich zuletzt aufgehalten) und <placeName xml:id="placeName_d096f2f2-a51a-4295-a0c2-293fd1d052e8">Dresden<settlement key="STM0100142" style="hidden" type="area">Dresden</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> Konzert geben, dann sich hier als Klavier- Gesang- und Harmonielehrer etabliren<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_1c0a90da-6f65-417c-9ed3-b84bfe7988d6" xml:lang="de">sich hier als Klavier- Gesang- und Harmonielehrer etabliren – Kloß gründete 1835 in Berlin eine Musikschule für Klavierspiel, Gesang und Theorie (Ledebur, Tonkünstler-Lexicon, S. 290).</note>. Ob er Dir von seinen Arbeiten zeigen, oder sonst ein Anliegen vorbringen wird, weiß ich nicht; ich habe blos seinen Wunsch, wie geschehen, zu erfüllen gehabt. Du wirst gewiß freundlich mit ihm sein, um so mehr, da er an seiner Gesundheit zu leiden scheint und gewiß recht gut ist.</p> <p>Soviel <hi rend="latintype">ex officio</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_4158eac5-0821-4765-b8ec-df74007aa774" xml:lang="de">ex officio – lat., von Amts wegen.</note>! Und nun laß Dich ein bischen schelten über Dein mysteriöses: Ich bin der ich sein werde, mit dem Du meine Wirthin irre geleitet. Spät in der Abenddämmrung nämlich an jenem Tage kam sie mit der Nachricht: es sei auch ein Herr da gewesen. – Haben Sie ihn auf den Vormittag bestellt? – „Nein, er wollte nur ein Paar Stunden hier bleiben.“ – Wars ein Fremder? Wie hieß er? – „Ich sollte sagen, es wäre ein Herr aus <placeName xml:id="placeName_db1ab070-d488-45a2-89e9-5d78bb85d28f">Leipzig<settlement key="STM0100116" style="hidden" type="locality">Leipzig</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>.“ – Wars etwa gar <persName xml:id="persName_d1ce4005-3757-4964-8042-15328b85507c">Hr. Msohn<name key="PSN0000001" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name></persName>? – „Nein, den kenne ich ja.“ – Ich dachte doch an die Möglichkeit, daß Du etwa <persName xml:id="persName_939bb7a5-5be8-48e9-ac79-3502b27b9719"><hi rend="latintype">Dirichlets</hi><name key="PSN0110664" style="hidden" type="person">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Familie von → Johann Peter Gustav Lejeune D.</name></persName> Morgens oder Abends vorher gebracht<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_2c34eea2-5f01-4201-a18b-2b8d42f7b896" xml:lang="de">daß Du etwa Dirichlets Morgens oder Abends vorher gebracht – siehe Kommentar zu Z.: Deinem jüngsten Hiersein.</note> und mit der Schnellpost zurückfahrn wollest. Da nun in die letzte halbe Stunde hineinlaufen, schien mir unangemessen <choice resp="writer" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_7fb9506b-9a1d-4645-8795-dcb59e05de2f"> <corr resp="writer">Hin</corr> <sic resp="writer">für</sic> </choice>sichts der Deinen; ich wollte, wenn Du noch einen Tag bliebest, Nachricht abwarten, – und da wars aus.</p> <p>Nachher hörte ich gar, daß <persName xml:id="persName_1dc44449-61f2-43b7-8ad4-6ec237f2c84e">Moscheles<name key="PSN0113441" style="hidden" type="person">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name></persName> mit Dir gekommen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_27ef7a4d-0ea4-42fd-996a-7ed6e63c6a83" xml:lang="de">daß Moscheles mit Dir gekommen – siehe Kommentar zu Z.: Deinem jüngsten Hiersein.</note>, den ich gar gern gesprochen hätte, weil er meine Hoffnung für die <placeName xml:id="placeName_2e2abc07-8f46-4a0a-b550-8f935f4ad898">Londner<settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> Ausgabe der <title xml:id="title_d8ef24e1-d118-4a27-8a0d-d327feaf1dfa">Theorie<name key="PSN0113108" style="hidden" type="author">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</name><name key="CRT0109904" style="hidden" type="science">Die Lehre von der musikalischen Komposition, praktisch-theoretisch</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d9b047d3-e131-4240-bdb6-8a6126e4af62" xml:lang="de">die Londner Ausgabe der Theorie – Die Lehre von der musikalischen Komposition, praktisch-theoretisch, erschien zunächst bei Breitkopf & Härtel in Leipzig (4 Bde., 1837-1847) und wurde später mehrfach ins Englische übersetzt, darunter: The School of Composition, Practical and Theoretical, London und Leipzig 1852. Siehe in diesem Kontext Brief gb-1834-06-10-01 Adolph Bernhard Marx an Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, Berlin, 10. Juni 1834, Z.: »Ich denke drauf, meine Theorie zugleich in Deutschland, Paris und London herauszugeben. Was meinst Du? Es wird die erste wirkliche Komp. lehre, aus der man lernen kann, was gelernt werden muß, und vollständig«, sowie Ignaz Moscheles’ Briefteil in Brief gb-1834-07-15-01 Ignaz Moscheles und Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, London, 13. und 15. Juli 1834.</note> ist; nun that mirs doppelt leid, daß Du mich nicht bestimmter benachrichtigt. Indeß habe ich schon an <persName xml:id="persName_3a9ee027-3638-49c9-a06e-ae4cdcdebb62">Moscheles<name key="PSN0113441" style="hidden" type="person">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name></persName> geschrieben und von dem Guten eine sehr freundliche Antwort erhalten<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_3983fc9f-ee8d-4656-b909-e10aba096b3d" xml:lang="de">Indeß habe ich schon an Moscheles geschrieben und … eine sehr freundliche Antwort erhalten – Beide Briefe lassen sich nicht nachweisen.</note>. Es ist wahrlich nicht darum; aber ich kann nicht ohne Wohlgefallen an den Mann denken, ich bin ihm mit und ohne Klavier besonders gut, und von allen Musikern, die mich in meiner <hi rend="latintype">ci-devant</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_be2bec5c-f0dc-4217-9d42-2a7153c2d922" xml:lang="fr ">ci-devant – frz., einstmaligen, ehemaligen.</note>-Herrlichkeit<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> aufsuchten, hat mir keiner soviel Wohlwollen gezeigt, ohne sich das Mindeste zu vergeben, als er. So zeigt er mir die Schwierigkeiten, die mein Wunsch finden wird, und doch bin ich überzeugt, daß er das Seinige thun wird, welches auch der Erfolg sei.</p> <p>Dies bringt mich auf die <title xml:id="title_0f25f72f-274e-4505-8a7f-9d0a96cbb479">Theorie<name key="PSN0113108" style="hidden" type="author">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</name><name key="CRT0109904" style="hidden" type="science">Die Lehre von der musikalischen Komposition, praktisch-theoretisch</name></title>. Wie zufrieden bin ich, ihre Vollendung durchgesetzt zu haben! Es hat mir härtere und häufigere Kämpfe gekostet<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_5adfc003-07df-4008-b1a4-eed1ef2aeb6e" xml:lang="de">Es hat mir … Kämpfe gekostet – eine damals noch gebräuchliche Sprachform.</note>, als ich sagen kann, zuletzt noch nach Deinem Einspruch. Aber ich habe Recht gethan. Wie ich einmal stehe, mußte ich für eine Summe <hi rend="latintype">in casum casus</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_bd96bbda-66e8-4fc0-bac3-331b78cc9ed8" xml:lang="la ">in casum casus – lat., auf/für den Fall des Falles.</note> sorgen, mußte – wenn ich etwa mit <title xml:id="title_031053cf-8905-4690-8451-9bea4d30cdf8">Moses<name key="PSN0113108" style="hidden" type="author">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</name><name key="CRT0109905" style="hidden" type="music">Mose. Oratorium aus der heiligen Schrift op. 10</name></title> wieder Unglück haben sollte<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_54e3161c-8146-4b39-8d96-e8627d8a917e" xml:lang="de">wenn ich etwa mit Moses wieder Unglück haben sollte – Marx hatte bereits in seiner Jugend den Gedanken, den Moses-Stoff zu vertonen. 1832 beschlossen er und Mendelssohn, sich wechselseitig Textentwürfe für ihre Oratorien Paulus und Mose zu schreiben. Marx lehnte Mendelssohns Entwurf ab, es kam zu einem Zerwürfnis der beiden Freunde (Marx, Erinnerungen, Bd. 2, S. 138 ff., und Todd, Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 302 f.). 1840 legte Marx Mendelssohn seinen eigenen Libretto-Entwurf vor (siehe Brief gb-1840-02-07-02 Adolph Bernhard Marx an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, Berlin, 7. Februar 1840). Die Uraufführung von Mose. Oratorium aus der heiligen Schrift op. 10 fand am 2. Dezember 1841 in Breslau unter der Leitung von Theodor Mosewius statt. Zu den Entwürfen siehe Albrecht-Hohmaier, Mendelssohns Paulus, S. 181 ff. Eine Inhaltsangabe des Oratoriums bietet die nach der Uraufführung entstandene Schrift Ueber das Oratorium Moses von A. B. Marx. Vortrag in der vaterländischen Gesellschaft zu Breslau, gehalten am 26. April 1842 von Mosewius, Leipzig 1843.</note> (mit oder ohne Schuld) daran denken, ein Werk im Sinne und zu Ehren meines Amtes<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_314a6a29-3cba-4930-be74-12be3f3cb4a7" xml:lang="de">meines Amtes – Marx wirkte seit 1830 als Professor an der Universität Berlin und bekleidete dort seit 1832 die Position des Universitätsmusikdirektors.</note> zu promulgiren<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_61fa71c5-97e5-4263-8103-b7e08d1249c6" xml:lang="de">promulgiren – bildungssprachlich, öffentlich bekannt machen.</note>, mußte endlich auch diese Geschichten aus dem Kopfe bringen, wenn sie mir bei längerem Aufschub und öftern Vorträgen darüber nicht schaal werden sollten. Selbst wenn der Himmel wollte, daß die Sache nicht die gehofften Früchte trüge, hätte ich doch damit gethan, was ich dazu konnte und was ich durchaus als eine meiner persönlichen und amtlichen Obliegenheiten ansehen muß. Nun werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, in 4 bis 8 Wochen mit dem <hi rend="latintype">Msct</hi>.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_4f4fa185-48d3-47be-a1cd-8938632b8342" xml:lang="de">Msct. – Manuskript.</note> fertig (wenigstens der <title xml:id="title_4c3c5609-3158-4a28-83cb-cc1d08e4784e">2 ersten Theile<name key="PSN0113108" style="hidden" type="author">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</name><name key="CRT0109904" style="hidden" type="science">Die Lehre von der musikalischen Komposition, praktisch-theoretisch</name></title>, die jetzt erscheinen sollen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c316125b-0507-4b24-9c55-d07f8cb8a1e5" xml:lang="de">der 2 ersten Theile, die jetzt erscheinen sollen – Der letztlich 1837 erschienen erste Band der Lehre von der musikalischen Komposition besteht aus zwei Büchern.</note>) und die Recension <hi rend="latintype">pp</hi> ist dann <hi n="1" rend="underline">nebenbei</hi>, in Absätzen, kurz wie ich will, zu arbeiten. Dann nämlich neben diesen Nacharbeiten, wird ein Anderes Hauptgeschäft. Hätte ich mich nicht überwunden, so würde in jeder nicht ganz erhobenen Stunde mich das Gewissen und Sorge für die Zukunft gepeinigt und wol um manche Stimmung gebracht haben. Jetzt habe ich soviel und sogut ich konnte, mich dagegen verwahrt. Gebe Gott seinen Segen. – Es ist freilich an dem: ich komme vor Zurüstungen <hi n="1" rend="underline">lange nicht</hi> zur Sache. Aber was ist zu thun? Hätte ich von Haus’ aus andre Umstände, oder glückliche Erfolge, oder – kurz einen Theil dessen gehabt, was mir fehlt und was kein Mensch auf die Länge entbehren <hi n="1" rend="underline">kann</hi>: so wär’s rascher gegangen. Und sollte mir beschieden sein, daß auch jetzt meine Verhältniße sich nicht ändern, so würde ich nach <title xml:id="title_d533cae7-cdc8-4eac-b14e-e598995e795a">Moses<name key="PSN0113108" style="hidden" type="author">Marx, Adolph Bernhard (1795–1866)</name><name key="CRT0109905" style="hidden" type="music">Mose. Oratorium aus der heiligen Schrift op. 10</name></title> wieder eine litterarische Arbeit unternehmen, die ich mir im glücklichern Falle auf spätere Zeit versparte. Wenn der Wind gegen uns ist, laviren wir; das geht freilich langsam.</p> <p>Dies bringt mich auf einen andern menschlichen Fall, den wir auch besprochen, ohne ganz einig zu werden<del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_a909791b-ee31-4f7c-bef6-4105e7822ec3">,</del>: das unglückliche Ende der <persName xml:id="persName_5542da3d-0cdc-429c-8acb-d30286d0a216">Stieglitz<name key="PSN0118810" style="hidden" type="person">Stieglitz, Charlotte Sophie (1806-1834)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_4845b078-4d94-41c0-a06d-43868602255b" xml:lang="de">das unglückliche Ende der Stieglitz – Charlotte Sophie Stieglitz beging am 29. Dezember 1834 Selbstmord.</note>. Lies doch, aber ohne zu widersetzliches Vorurtheil,<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> <title xml:id="title_2f322b55-0d3f-4a67-872b-73d6b9e7d63b">Wundts Buch: Ch. Stieglitz, ein Denkmal<name key="PSN0113518" style="hidden" type="author">Mundt, Theodor (1808–1861)</name><name key="CRT0112777" style="hidden" type="literature">Charlotte Stieglitz, ein Denkmal</name></title>, – ohne Dich bei Einzelheiten vom <persName xml:id="persName_2de3eb4e-e1d0-451e-a8b4-36f39391b4f5">Verf.<name key="PSN0113518" style="hidden" type="person">Mundt, Theodor (1808-1861)</name></persName> zu sehr aufzuhalten. Es ist ein merkwürdiges Ding um das menschliche – und zumal weibliche Schicksal. Man kann nicht leugnen, daß Dem und Jenem Prüfungen, ich möchte fast sagen Heimsuchungen, bestimmt sind, an denen selbst der Dritte, von diesem Geschick nicht ergriffene, wenn er sich nur treu und lebhaft hineinversetzt, nicht begreift, wie sie hätten überwunden werden können. Was hat diese Frau gerungen gegen ihr Geschick! – Wiederum ist nicht zu leugnen, daß andre, allem Ermessen nach Gleichbegabte <hi n="1" rend="underline">nicht</hi> diese Prüfungen zu bestehen haben. So meine ich wohl, ist Deine <persName xml:id="persName_a6106cc7-bea6-44b9-abbe-7b01a4b94c85">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden" type="person">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> von einer Begabung, die der der <persName xml:id="persName_9c578654-8d6d-4326-8162-5f064138d687">St.<name key="PSN0118810" style="hidden" type="person">Stieglitz, Charlotte Sophie (1806-1834)</name></persName> wenigstens gleich, wahrscheinlich überlegen ist; aber der Himmel hat sie mit derlei Prüfungen gänzlichst verschont. Nun unterliegt die Eine wirklich. Hätte sie überwunden, sie wäre des höchsten Preises werth. Aber diese letzte Kraft, dieser Gipfel nachdem sie wirklich einen Berg von Anstrengung gewälzt hat, geht ihr ab; ihr Maaß ist erschöpft, ehe sie es durchgesetzt <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_e8f908a0-d9f3-4d18-944a-8d09d8177e87">ha</del> – nein, bevor sie bis zum Letzten ausgedauert hat; denn durchzusetzen seine Erhaltung bei Gesundheit und Arbeitsfrische, war unmöglich. Ich meine, es müßte jeden ein heilsamer Schreck durchschauern der Solches überdenkt. Die Gnade Gottes ist es, wem solche Prüfung erspart wird, das <hi rend="latintype">Non nobis</hi>!<note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_3cc05279-59df-4a0e-9faf-622e67a2e114" xml:lang="la ">Non nobis! – lat., Nicht uns!</note> Ich breche ab, denn was sich darüber sagen läßt, muß wenig sein in Vergleich zu dem, was man dabei zu <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_5e58c368-83a8-405d-8155-0d3ea5aac9bd">erwägen und</del> empfinden und still zu erwägen hat. Beiläufig findest Du Briefe darin z. B. den ersten vom Dezbr 1832, wo sie den <persName xml:id="persName_313fba46-77e1-4145-a29b-2bb110dbf6a1">Onkel<name key="PSN0119795" style="hidden" type="person">Stieglitz, Ludwig (seit 1826) Baron von (1779-1843)</name></persName> um Hülfe bittet<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_60c9efd8-b592-4483-91ca-a8798f13b1b8" xml:lang="de">Briefe darin z. B. den ersten vom Dezbr 1832, wo sie den Onkel um Hülfe bittet – Brief von Charlotte Sophie Stieglitz an Ludwig von Stieglitz vom 15. und 18. Dezember 1832, in: Theodor Mundt, Charlotte Stieglitz, ein Denkmal, Berlin 1835, S. 146-152. Darin bitte die Schreiberin, ihren Mann Heinrich von allen beruflichen Verpflichtungen freistellen zu helfen, damit dieser, »unbeschränkt durch eine äußere Stellung, einzig und allen seiner Aufgabe«, dem Schriftstellerberuf, gerecht werden könne (S. 148).</note> und einen aus <unclear reason="uncertain_reading" resp="FMBC">Naminsterz</unclear> nach <placeName xml:id="placeName_050edcdb-920e-4839-be96-03ebe7192da4">Moskau<settlement key="STM0102803" style="hidden" type="locality">Moskau</settlement><country style="hidden">Russland</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7ffdc471-281e-4e58-8986-276098183a08" xml:lang="de">einen aus Naministerz nach Moskau – Vielleicht ist der Brief an Ludwig von Stieglitz aus Kamenoistrow (Kamenny Ostrova) bei St. Petersburg vom 22. und 23. Juli 1833 gemeint (ebenda, S. 132-137).</note>) dergleichen mir von keiner Frau und selten von einem Manne vorgekommen. Und dieses ungeheure Schicksal knüpft sich an Einen Irrthum: daß <persName xml:id="persName_84c62ac1-b519-4689-b732-dc0341c8c998">er<name key="PSN0115134" style="hidden" type="person">Stieglitz, Heinrich Wilhelm August (1801-1849)</name></persName> ein Dichter sei! Und dieser Irrthum ruht in ihrer Liebe! Liebt Dich aber ein Weib, so hängt es nur von Dir ab, ob sie Dich für den größten Maler oder Architekten oder Seeräuber halten soll. Besonders das letztere. Es ist nur zu wahr. – Ich werde nächstens ein Buch über die Erziehung des weibl. Geschl. schreiben, worin ich 1) beweisen werde, daß man sie gar nicht erziehen kann, weil sie doch nicht wissen, zu welchem Mann und Irrthum 2) daß Du der rechte Erzieher nicht bist, 3 daß dieser <hi n="1" rend="underline">aliene</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_9df83916-dd9d-41b7-9531-c609f9178195" xml:lang="de">aliene – verrückte, geisteskranke (von frz. aliéné).</note> Brief doch besser ist, als unsere Ganze Korrespondenz seit 2 Jahren, wo wir uns nicht geschrieben<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d969c2bb-9e00-430b-aef1-b3d2af20cd80" xml:lang="de">unsere Ganze Korrespondenz seit 2 Jahren, wo wir uns nicht geschrieben – Der letzte Briefwechsel hatte im Juni / Juli 1834 stattgefunden.</note>.</p> <p>Nun gehe ich zu <persName xml:id="persName_f6d3bc43-b5ec-400b-a603-c9974564d420">Hegel<name key="PSN0111804" style="hidden" type="person">Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831)</name></persName>, in dem ich wunderwürdige Sachen gelesen (zu meinem Koll.<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_ac33ed29-e7d0-4bfc-85ec-6ba7ddf0d5eb" xml:lang="de">Koll. – Kolleg.</note>)<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_093429f0-3864-4c9e-b399-cf66ac053f43" xml:lang="de">Hegel, in dem ich wunderwürdige Sachen gelesen (zu meinem Koll.) – Marx las im Wintersemester 1835/36 mittwochs öffentlich über »Enzyklopädie und Methodologie der Musik« (Verzeichniss der Vorlesungen, welche von der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Winterhalbenjahre 1834-35. vom 20. Oktober an gehalten werden, S. 8). </note> der aber die scheene Musik, also die scheene Kunst, und näher Tonkunst betrampelt hat, daß Gott erbarm! Aber er ist bei Gott ein großer Mann, und wo ich ihn nicht lese, soll erst seine wahre Größe sein. <seg type="closer">Leb’ wohl!</seg></p> <signed rend="right">Dein Marx</signed> </div> </body> </text></TEI>