gb-1835-03-30-01
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Berlin, 28. und 30. März 1835
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
2 Doppelbl. und 1 Bl.: S. 1-10 Brieftext, S. 1 hinter der Datierung unzutreffende Angabe »Febr. 35« von fremder Hand.
Rebecka Lejeune Dirichlet, mit eigenhändiger Unterschrift von Abraham Mendelssohn Bartholdy.
Green Books, GB-Ob, M.D.M. d. 30/17.
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Dies ist der dritte Brief, welchen ich Dir in dieser Woche schreibeMeasures, no men, so würde die selbe Bewunderungchambre des deputés so bald nachgeahmt werden. Unser Freund Brougham aber mißfällt mir jetzt, da er den Ärger über den verlornen Posten nicht unterdrücken kann
Wenn Du nach
Louis d’orbedauern. Und nun zum musikalischen Theil
Sonderbar wäre es, wenn die Katholiken und die Italiäner insbesondere den Choral in seiner Reinheit erhalten und nur die eisen- und glasfresserischen Protestanten auf die Ausstaffirung verfallen wären. Sage mir was Du darüber weißt und denkst.
Dein Vorsatz,
,Messias
undJudas
Ich habe in diesem Briefe 50 Fragen gethan, die zusammen nicht soviel Sinn haben, wie eine von stans pede in uno. Übrigens ist es finster und ich muß aufhören. – Ist denn dort schon unter den Künstlern das in
δίαγραφnennen , vermittelst dessen jeder Gegenstand, er sey flach, rund oder erhaben, in jeder Entfernung und in allen Theilen mathematisch genau in natürlicher od. verminderter Größe, übertragen werden kann?
Der Brief ist bis heut liegen geblieben, und ich werde, um ihn vom Tische zu bekommen, noch einiges, was ich nicht im Kopfe zusammenbringen kann, einzeln schreiben. Zuvörderst wirst Du wohl erfahren haben, daß Dein alter
Mozartshen Mozartschen Requiem
pp. gesungen, davon die drey letzten Stücke gewiß mit zu dem Unergründlichsten und zugleich Klarsten und Ergreifendsten gehören was
Nun noch einige Worte über die Materie im Anfange dieses Briefs.
Ich halte mich überzeugt daß Deine Aufführung des
Ferner: die
Ferner: die Musik ist die einzige Kunst, welche bis jetzt nur in Begleitung, besonders der Poesie auftrat, und überhaupt mehr eine künstlerische Atmosphäre, als selbstständige Kunstwerke bildete. Darin mußte sehr sorgsam für sie gedacht werden, die Worte mußten nicht zu gut, zu inhaltschwer seyn, sonst zog die Musik den Kürzern, es was auch im Ganzen genug, daß man von einer Oper das Personenverzeichniß las, und dann hin und wieder einige Worte hören und
Nun der Worte genug. Sind denn zu Euch auch
Hast Du
Berlin den 28sten Dies ist der dritte Brief, welchen ich Dir in dieser Woche schreibe, und wenn das so fortgeht, so wird das Lesen meiner Briefe ein stehender Artikel in Deinem Zeit-Ausgabebudget werden; dann hast Du die Schuld Dir selbst beizumessen, da Du mich mit Lob verdirbst. Für heute will ich da ich das Musikalische nicht vergessen werde, mit etwas Politischen anfangen, womit man in jetziger Zeit überhaupt nicht zögern soll, da der morgende Tag gewöhnlich widerlegt und vereitelt, was einem am heutigen evident scheint. Wer weiß z. B. ob die morgende Engl. Post meine Bewunderung und Verwunderung über die parlam. Nachrichten, welche die letzte brachte, nicht lächerlich macht? Denn zu bewundern und verwundern scheint es mir, daß das jetzige Minist. die wichtigsten vom vorigen vorbereiteten Maßregeln einbringt, und bei der ihm zum Trotz und Widerstand erwählten großen Majorität durchsetzt, während offenbar dieselben Maßregeln vom vorigen Minist. eingebracht, an der Opposition im Oberhause gescheitert wäre. Wenn freilich nunmehr dasselbe später erfolgen sollte, weil auch das Oberhaus sagen könnte Measures, no men, so würde die selbe Bewunderung und Verwunderung in die Brüche gehen, und das politische Lied wirklich ein garstiges werden. Ich glaubs aber nicht, dann wäre allerdings das Betragen des Unterhauses welches sich an die Sache hält, sehr schön, und würde schwerlich in der chambre des deputés so bald nachgeahmt werden. Unser Freund Brougham aber mißfällt mir jetzt, da er den Ärger über den verlornen Posten nicht unterdrücken kann Wenn Du nach London schreibst, suche doch zu erfahren, ob mein Brief mit der Zeichnung bei Alexanders angekommen ist? Wenn er verlorneverlornen gegangen wäre, so machte ich mir eigentlich gar nichts draus und würde nur die verlorne 6 Louis d’or bedauern. Und nun zum musikalischen Theil Deines letzten Briefes zurück. Ich finde Dein Wort, daß Seb. Bach jedes Zimmer, wo er gesungen wird, zur Kirche macht, finde ich ganz besonders schön und treffend, und so hat auch beim einmaligen Hören der Schluß des erwähnten Stücks denselben Eindruck auf mich gemacht; sonst gestehe ich, in meiner Abneigung gegen figurirte Choräle im Allgemeinen, nicht zurückkommen zu können, weil ich die eigentlich zu Grund liegende Idee nicht verstehe. Besonders da nicht, wo die beiden certirenden Massen im Gleichgewichte der Kraft gehalten sind, da, wo z. B. im ersten Chor der Passion der Choral nur einen wichtigern und consistenteren Theil des Grundes ausmacht, od. wo, wie in dem oben erwähnten Stück der Cantate, wenn ich mich nach dem einmaligen Hören recht erinnere, der Choral das Hauptgebäude, der Stamm ist, und die einzelne Stimme nur eine Verzierung, kann ich mir eher den Begriff und den Zweck denken, gar nicht aber, da wo die Figur gewissermaßen Variationen aufs Thema ausführt. Überhaupt ist mit dem Choral nicht zu spaßen, das höchste Ziel dabei ist, daß das Volk ihn unter Begleitung der Orgel, rein singe, alles andre scheint mir eitel und unkirchlich. Sonderbar wäre es, wenn die Katholiken und die Italiäner insbesondere den Choral in seiner Reinheit erhalten und nur die eisen- und glasfresserischen Protestanten auf die Ausstaffirung verfallen wären. Sage mir was Du darüber weißt und denkst. Dein Vorsatz, Händel in seiner ganz ursprünglichen Gestalt zu restauriren hat mich zu einigen Gedanken über die Instrumentirung seiner Werke durch neuere Meister veranlaßt. Wenn man darüber spricht, so entsteht gewöhnlich die Frage, ob Händel, wenn er heute schriebe, sich nicht der ganzen, jetzt vorhandenen musik. Mittel bedienen würde, um seine Oratorien zu komponiren? welches doch am Ende nichts weiter heißt als: ob die künstlerisch sittliche Gestaltung, welcher wir den Namen Händel geben, heute dieselbe äußere Gestalt annehmen würde, welche sie vor 100 Jahren angenommen hat, od. ob die Welt heut aussieht, wie sie vor 100 Jahren ausgesehen hat, woraus dann die Antwort sich von selbst ergiebt. Es ist nämlich nicht die Frage, ob Händel heut seine Oratorien schreiben würde, wie er sie vor 100 Jahren geschrieben hat, sondern ob er überall Oratorien schreiben würde. Wohl schwerlich, wenn Oratorien jetzt nur so zu schreiben wären, wie Schneider, Spohr u. s. w. sie in der neuesten Zeit geliefert haben. Daraus, daß ich Dir dieses sage, kannst Du entnehmen wie erwartungsvoll und zutrauend ich das Deinige erwarte was hoffentlich die Aufgabe der Verbindung alten Sinns mit neuen Mitteln, lösen wird. Mir scheinen diese neuen Mittel, so wie eigentlich Alles in der Welt, zu rechter Zeit gekommen zu seyn, um den ausgehenden innern Motiven als äußere Reizmittel zu Hülfe zu kommen. Der Katholicismus in seiner ursprünglichen tiefern Bedeutung möchte doch wohl innerlicher und tiefer im Gemüth begründet seyn, als der Protestantismus es selbst in seinem Anfange war. Indessen brauchten Bach, Händel und ihre Zeitgenossen auf der Stufe religiösen Sinnes auf der sie standen, keines großen Orchesters zu ihren Oratorien, und ich selbst erinnere mich noch sehr wohl, aus meinen jüngsten Jahren, daß der Messias, Judas und das Alex. ganz, wie sie Händel geschrieben, und sogar ohne Orgel zu Aller Freude und Erbauung gegeben worden sind. Irre ich nicht, so war es Gluck, der zuerst zu seinen in und für Paris geschriebenen Opern, die er auch zumeist mit Balleten verband, also in viel äußerlicheren Werken als selbst die Händelschen Opern, sich des neuern Orchesters bedienen; ihm folgte bald Mozart, der dann auch der erste war, welcher das Bedürfniß fühlte, Händelsche Oratorien zu instrumentiren, und schon zu weltlich war, ihm zu widerstehen. Allerdings hat er es gemacht, wie Alles was er gemacht hat, mit tiefer Einsicht und dem feinsten Geschmack, ich möchte fast vermuthen, daß er seine Bekleidungen nur den mehr äußerlichen Stellen jener Werke angelegt hat, und nicht den höhern, innern Motiven, sage mir, ob ich hierin mich nicht geirrt habe. Gleichzeitig und Hand in Hand gingen von da an Leerheit in Gedanken und Lärm in der Musik, was ich mir getrauen möchte Schritt vor Schritt zu beweisen, und v. Spontini bis zu Auber und Meierbeer liegt fast eine eben so tiefe Kluft, als zwischen ihm und Gluck. Jetzt aber handelt es sich, die Sache zum Stehen zu bringen, und da theile mir einmal Deine Gedanken, kurz und klar mit. Das Orchester ist einmal da, und wird seine jetzige Gestalt nun wohl eine lange ohne wesentliche Veränderung beibehalten, Reichthum ist nicht immer ein Fehler, sondern nur dann, wenn man ihn nicht zu verwenden weiß. Wie also soll das Reiche der Orchester verwendet werden, welche Anleitung kann der Dichter dazu geben, und in welchen Regionen, od. soll die Musik sich ganz von der Poesie trennen, und rein selbstständig wirken? Ich glaube nicht, daß sie Letzteres können wird, wenigstens nicht allgemein gültig und nur in beschränktem Maße. Nun finde Du etwas und sprich es aus, meine Weisheit ist zu Ende. Ich habe in diesem Briefe 50 Fragen gethan, die zusammen nicht soviel Sinn haben, wie eine von Sebastian, welcher neulich seine Mutter frug: woher weiß die Uhr, was die Uhr ist? Da antworte nun drauf stans pede in uno. Übrigens ist es finster und ich muß aufhören. – Ist denn dort schon unter den Künstlern das in Paris neuerdings erfundene Instrument bekannt, welches sie δίαγραφ nennen, vermittelst dessen jeder Gegenstand, er sey flach, rund oder erhaben, in jeder Entfernung und in allen Theilen mathematisch genau in natürlicher od. verminderter Größe, übertragen werden kann? Hensel bedient sich desselben, um sein Bild von einem seiner Schüler Behufs eines Kupferstichs, zeichnen zu lassen, und wie es scheint, zu seiner Zufriedenheit. 30sten. Der Brief ist bis heut liegen geblieben, und ich werde, um ihn vom Tische zu bekommen, noch einiges, was ich nicht im Kopfe zusammenbringen kann, einzeln schreiben. Zuvörderst wirst Du wohl erfahren haben, daß Dein alter Protector von der runden Ecke, und mit dem spitzen Kopfe das Zeitliche gesegnet hat; er hat nie die Bratsche so schnell gespielt, als er gestorben ist, und war bis auf seinen letzten Tag ein freundlicher, lebhafter Mann, und enthusiastischer Musikfreund deren ein paar hundert in unsern Schauspielhäusern und Concertsälen nicht vom Übel wären. Er hat Fannys Musiksonntage eifrigst besucht, und sie hat, ich glaube auf meinen Vorschlag, einige Stücke an dem Mozartshen Mozartschen Requiem ihm in die andre Welt nachgesandt. Vorher wurde Bachs: Herr gehe nicht pp. gesungen, davon die drey letzten Stücke gewiß mit zu dem Unergründlichsten und zugleich Klarsten und Ergreifendsten gehören was Bach geschrieben. Ich habe mir auf 14 Tage die Augen dabei verdorben, und nie etwas schöner singen gehört, als das Sopran Recitativ und die darauf folgende Arie, vor allen Dingen aber das Erstere, durch die Decker und Bach selbst wenn er es gehört hätte, würde versucht haben, zufrieden auszusehen. Nebenbei wurde mich doch auch klar, daß es Zelters großes Verdienst war und bleibt, Bach den Deutschen wiedergegeben zu haben; zwischen Forkel und ihm war von Bach wenig die Rede und fast ausschließlich nur vom wohltemperirten Klavier. Ihm ist zuerst das wahre Licht über Bach aufgegangen, durch den Besitz andrer seiner Werke, die er als Sammlung kennenlernte, und als wahrer Künstler Andre kennen lehrte. Seine Freitage sind nicht ohne Folgen geblieben; und ein neuer Beleg, daß nichts, was mit Ernst angefangen, in der Stille ununterbrochen fortgesetzt wird, ohne Erfolg bleiben kann. Ausgemacht ist es wenigstens, daß Deine musicalische Existenz und Richtung ohne Zelter eine ganz andre geworden wäre. Nun noch einige Worte über die Materie im Anfange dieses Briefs. Ich halte mich überzeugt daß Deine Aufführung des Salomon volle und würdige Wirkung haben wird, aber wenn Du heut ein Oratorium in dieser Weise componiren wolltest, so würde die Wirkung eben so gewiß ausbleiben, als die Maler des 19ten Jahrhunderts sich nur lächerlich machten, die mit langen Armen und Beinen und einer auf den Kopf gestellten Perspective die Religiosität des 15ten Jahrhunderts wiederherstellen wollen. Ferner: die Händelschen Oratorien würkten so unwiderstehlich dauernd fort, daß man in späterer Zeit in der falsch gefaßten Furcht, sie könnten diese Wirkung verlieren, ihnen das neue Orchester umhing. Die Arien in ihrer veralteten Form blieben aber dieselben, und wurden alle von den Chören und dem Stoffe ins Schlepptau genommen. Gleichzeitig mit seinen Oratorien hatte derselbe Meister eine große Menge Opern componirt, mit Arien, die die schönsten der Oratorien erreichen und übertreffen, wol auch mit Chören, die seinen Geist aussprechen müssen. Von allen diesen ist, soviel ich weiß nicht eine einzige außer London, und auch da nur in dem Winter ihrer Entstehung gegeben und sie waren Alle schon zu Glucks Zeit so total vergessen, daß Niemand auch nur auf die Idee gekommen ist, das ohne allen Zweifel darin befindliche Große und Schöne durch eine anderen Bekleidung für die Gegenwart zu retten. Daran kann ganz allein nur das Motiv, der Gegenstand, Schuld haben, für welchen das Orchester Händels in seinen Orator. genügt, während Gluck fühlte, für äußeren Zwecke müßten auch äußere Mittel gebraucht werden, sofort sich derjenigen bediente, welche seine Zeit ihm darbot, und womit denn die Händelschen Opern beseitigt waren. Ferner: die Musik ist die einzige Kunst, welche bis jetzt nur in Begleitung, besonders der Poesie auftrat, und überhaupt mehr eine künstlerische Atmosphäre, als selbstständige Kunstwerke bildete. Darin mußte sehr sorgsam für sie gedacht werden, die Worte mußten nicht zu gut, zu inhaltschwer seyn, sonst zog die Musik den Kürzern, es was auch im Ganzen genug, daß man von einer Oper das Personenverzeichniß las, und dann hin und wieder einige Worte hören und verstehen konnte, um nur so im Ganzen, und ungefähr zu wissen, wovon die Rede sey. Dieses höfliche und conventionelle Verhältniß kann nicht ewig bestehen, und es wird entweder für die Musik, wie für die Malerei ein Gegenstand gefunden werden müssen, welcher durch seine Innerlichkeit, allgemeine Gültigkeit und Verständlichkeit die früheren religiösen ersetzt, od. die Musik wird, im Gefühl und Besitz ihrer unendlich vervielfältigern Mittel, sich selbstständig machen müssen, letzteres halte ich trotz der vielfältig gelungenen Versuche, bei Instrumentalmusik doch noch für sehr weit aussehend und schwierig. Was aber das Erstere betrifft, so scheint mir, als ob die beiden Haidnschen Oratorien auch in dieser Beziehung eine sehr merkwürdige Erscheinung wären. Beide Gedichte sind sehr schwach, als solche betrachtet, aber sie haben auf eine sehr glückliche Weise statt des alten, positiven und fast übersinnlichen Religionsmotivs dasjenige ergriffen, welches die Natur, als sichtbare Emanation der Gottheit, in ihrer Allgemeinheit und in ihren tausendfältigen Einzelnheiten, jedem offnen Gemüthe einflößt. Daher die unendliche, tiefe, aber auch heitere, allgemein gültige und gewiß recht religiöse Wirkung dieser beiden Werke, die bis jetzt ganz allein stehen, daher das Zusammenwirken aller hin und wieder kleinlichen, spielenden Einzelnheiten derselben, mit dem großartigsten und treuesten Gefühl des Danks, welches aus dem Ganzen hervorquillt, und daher kömmt es, daß ich wenigstens das Krähen des Hahns, das Singen der Lerche und das Gebrüll des Rindviehs, die Fröhlichkeit des Landvolks eben so wenig in der Schöpfung und in den Jahreszeiten gern vermissen würde, als in der Natur selbst, und nun bedaure, daß die Musik nicht auch guten und üblen Geruch ausdrücken kann und Krankheit und Tod, denn die gehören auch hinein, mit einem Worte Schöpfung und Jahreszeiten sind auf Naturdienst gegründet, od. sichtbaren Gottesdienst, und sollte da nicht für die Musik noch neue Stoffe zu finden seyn? Nun der Worte genug. Sind denn zu Euch auch Göthes Briefe an ein Kind gelangt? Ich habe sie nicht gelesen, und werde sie nicht lesen, das Wenige, was ich davon od. daraus gehört, finde ich schmachvoll, es schmerzt mich aber nur deswegen, weil es an Göthe wiederum eine schwache Seite offenbart, und wiederum dazu beiträgt, die Unbefangenheit zu stören, mit welcher man doch Göthe allein aus dem Gesichtspunct betrachten müßte, aus welchem man überhaupt ein Urtheil über ihn haben sollte, aus einer künstlerischen und geistigen. Dieser Mißbrauch der Presse ist ein wahrhaft ärgerlicher und verderblicher bei der schnell und immer schneller alle Illusionen zerstört, ohne die das Leben ein Tod ist. Lebe Du mit Illusionen wohl, und erhalte Dir die der kindlichen Anhänglichkeit an Deinen Vater. AMB Hast Du Raumer nicht gesehen, der über Düsseldorf nach England gereiset ist, der setzt sich hier als Pythia auf den musikalischen Dreifuß in der Staatszeitung, da aber ein Dreifuß kein Ei ist, so brütet sein Sitzen wenig aus.
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation><date cert="high" when="1839-03-28" xml:id="date_8c4045c3-c18a-454a-a7b4-12ced7f071d1">28.</date> und <date cert="high" when="1839-03-30" xml:id="date_468daf48-d4fa-4b44-b360-da0333f22b2c">30. 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Denn zu bewundern und verwundern scheint es mir, daß das jetzige Minist. die wichtigsten vom vorigen vorbereiteten Maßregeln einbringt, und bei der ihm zum Trotz und Widerstand erwählten großen Majorität durchsetzt, während offenbar dieselben Maßregeln vom vorigen Minist. eingebracht, an der Opposition im <placeName xml:id="placeName_f2e0b8cd-2310-4c08-acdd-0f3580c71d32">Oberhause<name key="NST0100416" style="hidden" subtype="" type="institution">House of Commons</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> gescheitert wäre. Wenn freilich nunmehr dasselbe später erfolgen sollte, weil auch das Oberhaus sagen könnte <hi rend="latintype">Measures, no men</hi>, so würde die selbe Bewunderung<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> und Verwunderung in die Brüche gehen, und das politische Lied wirklich ein garstiges werden. Ich glaubs aber nicht, dann wäre allerdings das Betragen des <placeName xml:id="placeName_d468dabd-dba5-4a2d-be4d-60d7686895db">Unterhauses<name key="NST0100416" style="hidden" subtype="" type="institution">House of Commons</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> welches sich an die Sache hält, sehr schön, und würde schwerlich in der <hi rend="latintype">chambre des deputés</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_63960f92-7294-4b60-8c03-fbcf2e317b3a" xml:lang="fr ">chambre des deputés – frz., Abgeordnetenkammer.</note> so bald nachgeahmt werden. Unser Freund <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_2d6177a0-0270-4d2a-b6e9-504f381436d9">Brougham<name key="PSN0110150" style="hidden" type="person">Brougham, Henry Peter (seit 1830) 1st Baron Brougham and Vaux (1778-1868)</name></persName></hi> aber mißfällt mir jetzt, da er den Ärger über den verlornen Posten nicht unterdrücken kann</p> <p>Wenn Du nach <placeName xml:id="placeName_4a4ef504-55c2-41a8-b3d6-e2809ae183d9">London<settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> schreibst, suche doch zu erfahren, ob mein Brief mit der <title xml:id="title_d0e64065-a12e-48e1-a3e9-479f13dd9152">Zeichnung<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794–1861)</name><name key="CRT0109155" style="hidden" type="art">Abraham Mendelssohn Bartholdy (Zeichnung 1834, Replik)</name></title> bei <persName xml:id="persName_5becf0b3-792a-4939-a94f-9a7b03ea24c9">Alexanders<name key="PSN0109427" style="hidden" type="person">Alexander, Familie von → Mary A.</name></persName> angekommen ist<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_5beaa92c-76fa-4a28-874e-45d1e0cb9dfe" xml:lang="de">ob mein Brief mit der Zeichnung bei Alexanders angekommen ist – Mit seinem französischen Brief an Anna-Joanna Alexander in London vom 23. Dezember 1834 übersandte Abraham Mendelssohn Bartholdy eine Porträtzeichnung von sich, die Wilhelm Hensel angefertigt hatte (Abdruck des Briefs in englischer Übersetzung: Boyd Alexander, Some Unpublished Letters of Abraham Mendelssohn and Fanny Hensel, in: Mendelssohn Studien 3, 1979, S. 35-38). Die Zeichnung beruhte auf Hensels Porträt des Schwiegervaters mit heutigem Standort in Berlin, Kupferstichkabinett, Hensel-Alben 10/18. Siehe dazu Boyd Alexander, Felix Mendelssohn and the Alexanders, in: Mendelssohn Studien 1 (1972), S. 99 (Abbildung dieser Zeichnung in Lowenthal-Hensel / von Strachwitz, Europa im Porträt, Bd. 2, S. 32). Carl Klingemann hat den Eingang der Postsendung mit dem Porträt erst in Brief gb-1835-04-24-01 Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, London, 24. April 1835, bestätigen können.</note>? Wenn er <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_ccef4a2f-5c2a-49d1-b334-f99ab2f73dd4"> <sic resp="writer">verlorne<corr resp="editor">verlornen</corr></sic> <corr resp="editor">verloren</corr> </choice> gegangen wäre, so machte ich mir eigentlich gar nichts draus und würde nur die verlorne 6 <hi rend="latintype">Louis d’or</hi> bedauern. Und nun zum musikalischen Theil <title xml:id="title_0a0fc87b-7aa8-436f-9daf-448a222416a9">Deines letzten Briefes <name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name> <name key="fmb-1835-03-23-01" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Abraham Mendelssohn Bartholdy in Berlin; Düsseldorf, 23. März 1835</name> </title> zurück. Ich finde Dein Wort, daß <persName xml:id="persName_72f2e9f9-9c98-4f65-a014-b57a9a71063c">Seb. Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="person">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> jedes Zimmer, wo er gesungen wird, zur Kirche macht, finde ich ganz besonders schön und treffend, und so hat auch beim einmaligen Hören der Schluß <title xml:id="title_d11a6e92-06cc-44ff-a390-cc628db485a7">des erwähnten Stücks<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685–1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c6c2184f-f954-44a2-bdbf-69744b0298ea" xml:lang="de">beim einmaligen Hören der Schluß des erwähnten Stücks – Abraham Mendelssohn Bartholdy hatte am 27. März 1835 in der Probe für die von Fanny Hensel am 1. März 1835 veranstaltete Sonntagsmusik Johann Sebastian Bachs Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106 gehört. Vgl. Brief gb-1835-02-28-01 Lea Mendelssohn Bartholdy und Rebecka Lejeune Dirichlet an Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, Berlin, 28. Februar 1835, Z.: »Gestern war bei Fanny die 2te und Generalprobe Deines Ave Maria […] Gottes Zeit«. Der »Schluß« ist Nr. 4 Chor (Choral) »Glorie, Lob, Ehr und Herrlichkeit«.</note> denselben Eindruck auf mich gemacht; sonst gestehe ich, in meiner Abneigung gegen figurirte Choräle im Allgemeinen, nicht zurückkommen zu können, weil ich die eigentlich zu Grund liegende Idee nicht verstehe. Besonders da nicht, wo die beiden certirenden<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_bd1fef97-cccc-4d74-a030-65b864e73b31" xml:lang="de">certirenden – wettstreitenden, wetteifernden (von lat. certare, streiten, zanken).</note> Massen im Gleichgewichte der Kraft gehalten sind, da, wo z. B. im ersten Chor der <title xml:id="title_fdc5ad98-8aed-4ba4-96fa-8c95d2c8b69d">Passion<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685–1750)</name><name key="CRT0107794" style="hidden" type="music">Matthäus-Passion BWV 244</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_416e2716-9913-4c8e-a587-5e93b5429e3c" xml:lang="de">im ersten Chor der Passion – Nr. 1 (Chor I / II) »Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen« mit der Choralmelodie (Sopran) »O Lamm Gottes unschuldig« aus der Matthäus-Passion BWV 244.</note> der Choral nur einen wichtigern und consistenteren Theil des Grundes ausmacht, od. wo, wie in dem oben erwähnten Stück<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> der <title xml:id="title_5a833948-acce-4d19-b13d-6a414c2f823b">Cantate<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685–1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name></title>, wenn ich mich nach dem einmaligen Hören recht erinnere, der Choral das Hauptgebäude, der Stamm ist, und die einzelne Stimme nur eine Verzierung, kann ich mir eher den Begriff und den Zweck denken, gar nicht aber, da wo die Figur gewissermaßen Variationen aufs Thema ausführt. Überhaupt ist mit dem Choral nicht zu spaßen, das höchste Ziel dabei ist, daß das Volk ihn unter Begleitung der Orgel, rein singe, alles andre scheint mir eitel und unkirchlich.</p> <p>Sonderbar wäre es, wenn die Katholiken und die Italiäner insbesondere den Choral in seiner Reinheit erhalten und nur die eisen- und glasfresserischen Protestanten auf die Ausstaffirung verfallen wären. Sage mir was Du darüber weißt und denkst.</p> <p>Dein Vorsatz, <title xml:id="title_a6dc5ec3-15a0-4785-9959-0cab8bc77d7d">Händel<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109020" style="hidden" type="music">Solomon HWV 67</name></title> in seiner ganz ursprünglichen Gestalt zu restauriren<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_9fcf4054-18c7-40e7-b600-311725effb8d" xml:lang="de">Händel in seiner ganz ursprünglichen Gestalt zu restauriren – Im Brief an die Familie vom 11. März 1835 hatte Mendelssohn von seiner Idee berichtet, Georg Friedrich Händels Oratorium Solomon HWV 67 während des 17. Niederrheinischen Musikfestes in Köln mit Orgelbegleitung aufzuführen (Z. 37 ff.): »Nun wird Salomon ohne weitre Bearbeitung und Instrumentirung von Herrn von Mosel oder irgend einem andern Dilettanten, der dafür später in der Hölle brät, gegeben, die Orgel begleitet die Arien, als thäte es Händel selbst (mut. mut.) und man wird zum erstenmale wieder den echten Händel hören.« Das Oratorium erklang am ersten Tag des Festes, dem 7. Juni 1835. Den Orgelpart spielte der Kölner Domorganist Franz Weber. Siehe Hauchecorne, Musikfeste, Anhang, S. 18, Klaus Wolfgang Niemöller, Felix Mendelssohn-Bartholdy und das Niederrheinische Musikfest 1835 in Köln, in: Studien zur Musikgeschichte des Rheinlandes Bd. 3, hrsg. von Ursula Eckart-Bäcker (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, Bd. 62), Köln 1965, S. 46-64, und besonders Alain Gehring, Händels Solomon in der Bearbeitung von Felix Mendelssohn Bartholdy (1835), in: Die Musikforschung 65 (2012), S. 313-337.</note> hat mich zu einigen Gedanken über die Instrumentirung seiner Werke durch neuere Meister veranlaßt. Wenn man darüber spricht, so entsteht gewöhnlich die Frage, ob <persName xml:id="persName_f61ff704-d914-4996-afc2-ae16e497993a">Händel<name key="PSN0111693" style="hidden" type="person">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName>, wenn er heute schriebe, sich nicht der ganzen, jetzt vorhandenen musik. Mittel bedienen würde, um seine <title xml:id="title_46b49c80-cdd9-4887-92df-b96263aec2da">Oratorien<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109001" style="hidden" type="music">Oratorien</name></title> zu komponiren? welches doch am Ende nichts weiter heißt als: ob die künstlerisch sittliche Gestaltung, welcher wir den Namen Händel geben, heute dieselbe äußere Gestalt annehmen würde, welche sie vor<seg type="pagebreak"> |4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> 100 Jahren angenommen hat, od. ob die Welt heut aussieht, wie sie vor 100 Jahren ausgesehen hat, woraus dann die Antwort sich von selbst ergiebt. Es ist nämlich nicht die Frage, ob Händel heut seine Oratorien schreiben würde, wie er sie vor 100 Jahren geschrieben hat, sondern ob er überall Oratorien schreiben würde. Wohl schwerlich, wenn Oratorien jetzt nur so zu schreiben wären, wie <persName xml:id="persName_d72e3664-d609-4178-8833-6b95a51e6209">Schneider<name key="PSN0114646" style="hidden" type="person">Schneider, Johann Christian Friedrich (1786-1853)</name></persName>, <persName xml:id="persName_358fc8c5-a58e-4c8c-a565-cea60446fd39">Spohr<name key="PSN0115032" style="hidden" type="person">Spohr, Louis (Ludewig) (1784-1859)</name></persName> u.s.w. sie in der neuesten Zeit geliefert haben. Daraus, daß ich Dir dieses sage, kannst Du entnehmen wie erwartungsvoll und zutrauend ich das Deinige erwarte was hoffentlich die Aufgabe der Verbindung alten Sinns mit neuen Mitteln, lösen wird. Mir scheinen diese neuen Mittel, so wie eigentlich Alles in der Welt, zu rechter Zeit gekommen zu seyn, um den ausgehenden innern Motiven als äußere Reizmittel zu Hülfe zu kommen. Der Katholicismus in seiner ursprünglichen tiefern Bedeutung möchte doch wohl innerlicher und tiefer im Gemüth begründet seyn, als der Protestantismus es selbst in seinem Anfange war. Indessen brauchten <persName xml:id="persName_4b738be4-4f1f-4acf-8e65-d45b2860fd88">Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="person">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName>, <persName xml:id="persName_66e95149-fd44-4100-ae6e-8e2be3ce23f2">Händel<name key="PSN0111693" style="hidden" type="person">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName> und ihre Zeitgenossen auf der Stufe religiösen Sinnes auf der sie standen, keines großen Orchesters zu ihren Oratorien, und ich selbst erinnere mich noch sehr wohl, aus meinen jüngsten Jahren, daß der <hi rend="latintype"><title xml:id="title_f66ddbf9-3c13-41e9-a53a-1ba6430d27d8">Messias<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name></title></hi>, <hi rend="latintype"><title xml:id="title_93d994f6-0fb6-4416-b46c-4e5859abf2ca">Judas<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108993" style="hidden" type="music">Judas Maccabaeus HWV 63</name></title></hi> und <title xml:id="title_107fe6f8-f9b4-4774-8c3b-99ca8b11bcac">das Alex.<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108949" style="hidden" type="music">Alexander’s Feast or The Power of Musick HWV 75</name></title> ganz, wie sie <persName xml:id="persName_494f7b67-1e4e-4576-ad53-4e4721d65197">Händel<name key="PSN0111693" style="hidden" type="person">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName> geschrieben, und sogar ohne Orgel zu Aller Freude und Erbauung gegeben worden sind. Irre ich nicht, so war es <persName xml:id="persName_073500e7-966d-4a59-9bf4-a83e89fed143">Gluck<name key="PSN0111405" style="hidden" type="person">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name></persName>, der zuerst zu seinen in und für <placeName xml:id="placeName_7bd134dd-1813-4c29-91f3-a31ff23fc0bd">Paris<settlement key="STM0100105" style="hidden" type="locality">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> geschriebenen <title xml:id="title_3a86169e-3057-480d-b458-0959e51bdb05">Opern<name key="PSN0111405" style="hidden" type="author">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714–1787)</name><name key="CRT0111402" style="hidden" type="music">Opern</name></title>, die er auch zumeist mit Balleten verband, also in viel äußerlicheren Werken<seg type="pagebreak"> |5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg> als selbst die <title xml:id="title_9e2834b8-618c-46f0-bc6b-503efd6f1561">Händelschen Opern<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0112166" style="hidden" type="music">Opern</name></title>, sich des neuern Orchesters bedienen; ihm folgte bald <persName xml:id="persName_50c992a9-68d5-4d1b-b151-52169f7d26d6">Mozart<name key="PSN0113466" style="hidden" type="person">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name></persName>, der dann auch der erste war, welcher das Bedürfniß fühlte, <title xml:id="title_fe999c1a-b9e4-4bb3-a2c1-40b78efba106"><title xml:id="title_a5484431-9b32-4d74-81a7-42b438725253">Händelsche Oratorien<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108943" style="hidden" type="music">Acis and Galatea (Masque) HWV 49a</name><name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name><name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0108949" style="hidden" type="music">Alexander’s Feast or The Power of Musick HWV 75</name></title><name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109001" style="hidden" type="music">Oratorien</name></title> <title xml:id="title_b107b917-394c-4fc7-98d3-cacf5ac07e2a">zu instrumentiren<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110073" style="hidden" type="music">Acis und Galatea KV 566 (Bearbeitung von → Georg Friedrich Händels Masque Acis and Galatea HWV 49a)</name><name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110076" style="hidden" type="music">Das Alexanderfest KV 591 (Bearbeitung von → Georg Friedrich Händels Ode Alexander’s Feast or The Power of Musick HWV 75)</name><name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110119" style="hidden" type="music">Der Messias KV 572 (Bearbeitung von → Georg Friedrich Händels Messiah HWV 56)</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_8afe7c23-8ded-448d-aa5f-b804c4dd6ecb" xml:lang="de">Mozart … Händelsche Oratorien zu instrumentiren – Wolfgang Amadeus Mozart hat drei Oratorien Georg Friedrich Händels bearbeitet: die Masque Acis and Galatea HWV 49a (KV 566), den Messias HWV 56 (KV 572) und das Alexanderfest HWV 75 (KV 591).</note>, und schon zu weltlich war, ihm zu widerstehen. Allerdings hat er es gemacht, wie Alles was er gemacht hat, mit tiefer Einsicht und dem feinsten Geschmack, ich möchte fast vermuthen, daß er seine Bekleidungen nur den mehr äußerlichen Stellen jener Werke angelegt hat, und nicht den höhern, innern Motiven, sage mir, ob ich hierin mich nicht geirrt habe. Gleichzeitig und Hand in Hand gingen von da an Leerheit in Gedanken und Lärm in der Musik, was ich mir getrauen möchte Schritt vor Schritt zu beweisen, und v. <persName xml:id="persName_ce743754-0790-4068-a05d-c23fa00523e7">Spontini<name key="PSN0115037" style="hidden" type="person">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name></persName> bis zu <persName xml:id="persName_c4a7bbc3-e737-4609-b3db-6916e3f15cd9">Auber<name key="PSN0109578" style="hidden" type="person">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name></persName> und <persName xml:id="persName_fda4c12b-9551-47e8-9461-583e140d03c6">Meierbeer<name key="PSN0113318" style="hidden" type="person">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name></persName> liegt fast eine eben so tiefe Kluft, als zwischen ihm und <persName xml:id="persName_77b22d27-8ce9-45a9-911f-464aca1c44ef">Gluck<name key="PSN0111405" style="hidden" type="person">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name></persName>. Jetzt aber handelt es sich, die Sache zum Stehen zu bringen, und da theile mir einmal Deine Gedanken, kurz und klar mit. Das Orchester ist einmal da, und wird seine jetzige Gestalt nun <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_b8ea25b1-507f-45ce-973c-d17d34326d12"> <sic resp="writer">wohl eine lange ohne wesentliche Veränderung</sic> <corr resp="editor">wohl eine lange Zeit ohne wesentliche Veränderung</corr> </choice> beibehalten, Reichthum ist nicht immer ein Fehler, sondern nur dann, wenn man ihn nicht zu verwenden weiß. Wie also soll das Reiche der Orchester verwendet werden, welche Anleitung kann der Dichter dazu geben, und in welchen Regionen, od. soll die Musik sich ganz von der Poesie trennen, und rein selbstständig wirken? Ich glaube nicht, daß sie Letzteres können wird, wenigstens nicht allgemein gültig und nur in beschränktem Maße. Nun finde Du etwas und sprich es aus, meine Weisheit ist zu Ende.</p> <p>Ich habe in diesem Briefe 50 Fragen gethan, die zusammen nicht soviel Sinn haben, wie eine von <persName xml:id="persName_b32d0958-8c56-438c-9e92-b95754ac6e8d">Sebastian<name key="PSN0111898" style="hidden" type="person">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName>, welcher neulich seine <persName xml:id="persName_5dd4f178-6326-4b5e-847e-475b7ce91067">Mutter<name key="PSN0111893" style="hidden" type="person">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> frug: woher weiß die Uhr, was die Uhr ist? Da antworte nun drauf<seg type="pagebreak"> |6|<pb n="6" type="pagebreak"></pb></seg> <hi rend="latintype"><title xml:id="title_27f7ffaf-5497-4b1b-a7f5-981804d3e3a3">stans pede in uno<name key="PSN0112086" style="hidden" type="author">Horaz (Quintus Horatius Flaccus)</name><name key="CRT0112368" style="hidden" type="literature">Sermones</name></title></hi>.<note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_65ed3a5f-a9c0-4010-8168-29914cf17b5d" xml:lang="la ">stans pede in uno – lat. stans pede in uno (pede), auf einem Fuße stehend (Zitat aus Horaz, Sermones 1,4,10).</note> Übrigens ist es finster und ich muß aufhören. – Ist denn dort schon unter den Künstlern das in <placeName xml:id="placeName_63fc4873-2833-48e8-a87d-223d34871916">Paris<settlement key="STM0100105" style="hidden" type="locality">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> neuerdings erfundene Instrument bekannt, welches sie <hi n="1" rend="underline">δίαγραφ</hi> nennen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_142fc39b-9c98-46fd-8449-11c5b05d84b2" xml:lang="de">das in Paris neuerdings erfundene Instrument ›, welches sie δίαγραφ nennen – δίαγραφ: griech. διαγραφή, Diagraph (von διαγραφήν, abzeichnen); Gerät zum Zeichnen von Umrisskurven beliebiger Kurven.</note>, vermittelst dessen jeder Gegenstand, er sey flach, rund oder erhaben, in jeder Entfernung und in allen Theilen mathematisch genau in natürlicher od. verminderter Größe, übertragen werden kann? <persName xml:id="persName_1ffb8b7e-0e09-49c0-be1a-4eef0c35e5d3">Hensel<name key="PSN0111899" style="hidden" type="person">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name></persName> bedient sich desselben, um <title xml:id="title_ef0801bf-52cb-4e06-98ad-7325f20a684a">sein Bild<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794–1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name></title> von einem seiner Schüler Behufs eines <title xml:id="title_6a0ef28d-0c7a-446d-bb3e-f958db05b206">Kupferstichs<name key="PSN0119180" style="hidden" type="author">Loeillot de Mars (L’Œillot de Mars), Carl Friedrich Gustav (?-1880)</name><name key="CRT0112369" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Kupferstich nach → Wilhelm Hensel)</name></title>, zeichnen zu lassen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_eb811615-3239-4b13-8eab-43d34e1e5728" xml:lang="de">sein Bild von einem seiner Schüler Behufs eines Kupferstichs zeichnen zu lassen – Höchstwahrscheinlich ist ein Kupferstich des Ölgemäldes Christus vor Pilatus von Carl Friedrich Gustav Loeillot de Mars (L’Œillot de Mars) gemeint (vgl. Lowenthal-Hensel / Arnold, Wilhelm Hensel, S. 204). Dieser war seit 1826 Schüler der Königlich Preußischen Akademie der Künste gewesen, lässt sich aber nicht als Schüler Wilhelm Hensels nachweisen.</note>, und wie es scheint, zu seiner Zufriedenheit.</p> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_ea183a5d-7ca2-45ec-b0f1-de40de2353c0"> <docAuthor key="PSN0113247" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_ebaabe30-ce70-4cfa-a201-bc2e59c9d411">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110673" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_366afddb-7844-43a0-a771-02e9b3276a2d">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent"><hi n="1" rend="underline"><seg type="dateline"><date cert="high" when="1835-03-30" xml:id="date_adbc80b3-b2e4-4b87-9c5a-3ce3144f7909">30sten.</date></seg></hi> Der Brief ist bis heut liegen geblieben, und ich werde, um ihn vom Tische zu bekommen, noch einiges, was ich nicht im Kopfe zusammenbringen kann, einzeln schreiben. Zuvörderst wirst Du wohl erfahren haben, daß Dein alter <persName xml:id="persName_b975ca84-8144-477c-9399-c1abde672841">Protector<name key="PSN0111198" style="hidden" type="person">Friedländer (Friedlaender), David Joachim (1750-1834)</name></persName> von der runden Ecke, und mit dem spitzen Kopfe das Zeitliche gesegnet hat<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c167eb25-b35d-42d5-a00a-45f861835d7c" xml:lang="de">daß Dein alter Protector von der runden Ecke … das Zeitliche gesegnet hat – Vermutlich ist der aus Königsberg stammende Kaufmann Abraham Wulff Friedlaender gemeint, der, wie die Mendelssohns bis 1825, an der Neuen Promenade (bis 1840: Alte Kommandantenstraße) gewohnt hatte. Dort waren auch die Mendelssohns zu Gast gewesen. Siehe zu ihm Heinrich Ludwig Egmont Dorn, Aus meinem Leben. Ergebnisse aus Erlebnissen, Bd. 5: Erinnerungen, Berlin 1877, S. 147 ff. Abraham Wulff Friedlaender war am 6. März 1835 im Alter von 64 Jahren gestorben. Vgl. auch Brief gb-1835-03-16-01 Lea Mendelssohn Bartholdy an Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, Berlin, 16. März 1835, Z.: »Unser gutes, ehrliches Friedländerchen v. d. runden Ecke hat uns auch verlaßen.«</note>; er hat nie die Bratsche so schnell gespielt, als er gestorben ist, und war bis auf seinen letzten Tag ein freundlicher, lebhafter Mann, und enthusiastischer Musikfreund deren ein paar hundert in unsern Schauspielhäusern und Concertsälen nicht vom Übel wären. Er hat <placeName xml:id="placeName_52f6a99b-2699-4508-92d8-2c5872e15683">Fannys Musiksonntage<name key="NST0100215" style="hidden" subtype="" type="institution">Sonntagsmusiken der Familie Mendelssohn Bartholdy</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> eifrigst besucht, und sie hat, ich glaube auf meinen Vorschlag, einige Stücke <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_d3bf8a02-d159-4d7e-84b6-eaaa944b6c38"> <sic resp="writer">an</sic> <corr resp="editor">von</corr> </choice> dem <title xml:id="title_64bce5ab-3841-4ec6-9f2f-7d9084b40804"><hi rend="latintype"><choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_0cb5c9ef-5256-460d-987c-154feea81458"> <sic resp="writer">Mozartshen</sic> <corr resp="editor">Mozartschen</corr> </choice> Requiem</hi><name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110129" style="hidden" type="music">Requiem d-Moll, KV 626</name></title> ihm in die andre Welt nachgesandt.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_72df0bb8-1fa7-4a06-9db8-039be2c18e23" xml:lang="de">einige Stücke an dem Mozartshen Requiem ihm in die andre Welt nachgesandt – Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem d-Moll, KV 626, sowie die nachfolgend genannte Kantate Herr, gehe nicht ins Gericht BWV 105 von Johann Sebastian Bach wurden in Fanny Hensels Sonntagsmusik am 29. März 1835 aufgeführt.</note> Vorher wurde <title xml:id="title_ce2a55ee-2590-47e8-93a3-71ad01a13fcb">Bachs: Herr gehe nicht<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685–1750)</name><name key="CRT0107758" style="hidden" type="music">Herr, gehe nicht ins Gericht BWV 105 (BC A 114)</name></title> <hi rend="latintype">pp</hi>. gesungen, davon die drey letzten Stücke<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_f5facedf-2ce6-4875-aec5-242ab30ccd06" xml:lang="de">die drey letzten Stücke – das Bass-Rezitativ »Wohl aber dem, der seinen Bürgen weiß«, die Tenor-Arie »Kann ich nur Jesum mir zum Freunde machen« und der Choral »Nun, ich weiß, du wirst mir stillen«, Nr. 4-6 aus BWV 105.</note> gewiß mit zu dem Unergründlichsten und zugleich Klarsten und Ergreifendsten gehören was <persName xml:id="persName_3b6f198e-376a-4f83-a6d9-4ff38555fa21">Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="person">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> geschrieben. Ich habe mir auf 14 Tage die Augen dabei verdorben, und nie etwas schöner singen gehört, als das Sopran Recitativ und die darauf folgende Arie<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c02776d1-730c-4826-a8bd-7545372ec380" xml:lang="de">das Sopran Recitativ und die darauf folgende Arie – das Alt-Rezitativ »Mein Gott, verwirf mich nicht« und die Sopran-Arie »Wie zittern und wanken der Sünder Gedanken«, Nr. 2 und 3 aus BWV 105.</note>, vor allen Dingen aber das Erstere, durch die <persName xml:id="persName_052ec605-5ee9-46b2-a691-c0c152d70e20">Decker<name key="PSN0110583" style="hidden" type="person">Decker, Johanne Sophie Friederike Pauline (1812-1882)</name></persName><seg type="pagebreak"> |7|<pb n="7" type="pagebreak"></pb></seg> <gap quantity="1" reason="uncertain_reading" unit="lines"></gap> und <persName xml:id="persName_ea4c2314-4234-43aa-b6c3-13ac3b0de5b1">Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="person">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> selbst wenn er es gehört hätte, würde versucht haben, zufrieden auszusehen. Nebenbei wurde <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_35eb8bbf-ccba-464e-945a-78d23d2e135b"> <sic resp="writer">mich</sic> <corr resp="editor">mir</corr> </choice> doch auch klar, daß es <persName xml:id="persName_89139aac-2c72-4a78-86d8-0d035c1dfb37">Zelters<name key="PSN0115916" style="hidden" type="person">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName> großes Verdienst war und bleibt, Bach den Deutschen wiedergegeben zu haben; zwischen <persName xml:id="persName_c94f2987-c247-471e-8957-eed28edd953c">Forkel<name key="PSN0111095" style="hidden" type="person">Forkel, Johann Nikolaus (1749-1818)</name></persName> und ihm war von Bach wenig die Rede und fast ausschließlich nur vom <title xml:id="title_5b9d7d96-5170-42aa-ba51-d30aafb031fc">wohltemperirten Klavier<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685–1750)</name><name key="CRT0107917" style="hidden" type="music">Das Wohltemperierte Klavier BWV 846-893</name></title>. Ihm ist zuerst das wahre Licht über Bach aufgegangen, durch den Besitz andrer seiner Werke, die er als Sammlung kennenlernte<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ce28cb29-351c-448c-8e8b-b88206ac75bd" xml:lang="de">den Besitz andrer seiner Werke, die er als Sammlung kennenlernte – Carl Friedrich Zelters Sammlung enthielt Werke von über tausend Komponisten, darunter auch von Johann Sebastian Bach. Siehe Thomas Richter, Bibliotheca Zelteriana. Rekonstruktion der Bibliothek Carl Friedrich Zelters, Alphabetischer Katalog, Stuttgart u. a. 2000, sowie Catalog musikalisch-literarischer und practischer Werke aus dem Nachlasse des Königl: Professors Dr. Zelter (D-B, Musikabteilung, N. Mus. ms. theor. 30). Letzteren Nachlasskatalog ließen Zelters Erben im Blick auf den Rechtsstreit mit der Sing-Akademie erstellen. Er verzeichnet nur wenige Werke Johann Sebastian Bachs. Siehe dazu Georg Schünemann, Die Singakademie zu Berlin 1791-1941, Regensburg 1941, S. 67 ff., und Thomas Richter, Bibliotheca Zelteriana […], S. 5 ff.</note>, und als wahrer Künstler Andre kennen lehrte. <placeName xml:id="placeName_8d9d2dc7-fa4d-4c84-81f0-abb4f78a7e9c">Seine Freitage<name key="NST0100260" style="hidden" subtype="" type="institution">Freitagsmusiken von Carl Friedrich Zelter</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d71dfb60-b10c-4d35-93ef-507370d51ada" xml:lang="de">Seine Freitage – Zusätzlich zu den montags stattfindenden Proben der Sing-Akademie studierte Zelter mit einem kleineren Ensemble freitags Vokalwerke von Bach und ältere Instrumentalwerke ein. </note> sind nicht ohne Folgen geblieben; und ein neuer Beleg, daß nichts, was mit Ernst angefangen, in der Stille ununterbrochen fortgesetzt wird, ohne Erfolg bleiben kann. Ausgemacht ist es wenigstens, daß Deine musicalische Existenz und Richtung ohne <persName xml:id="persName_3dbefc41-385a-465d-96fb-2a56f459a824">Zelter<name key="PSN0115916" style="hidden" type="person">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName> eine ganz andre geworden wäre.</p> <p>Nun noch einige Worte über die Materie im Anfange dieses Briefs.</p> <p>Ich halte mich überzeugt daß Deine Aufführung des <title xml:id="title_b9dee3ad-823a-4a79-b138-5474c918135f">Salomon<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109020" style="hidden" type="music">Solomon HWV 67</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_292b7b3a-3014-4b55-a0a5-3582530af94e" xml:lang="de">Deine Aufführung des Salomon – siehe oben Kommentar zu Z.: Händel in seiner ganz ursprünglichen Gestalt zu restauriren.</note> volle und würdige Wirkung haben wird, aber wenn Du heut ein Oratorium in dieser Weise componiren wolltest, so würde die Wirkung eben so gewiß ausbleiben, als die Maler des 19ten Jahrhunderts sich nur lächerlich machten, die mit langen Armen und Beinen und einer auf den Kopf gestellten Perspective die Religiosität des 15ten Jahrhunderts wiederherstellen wollen.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_8ecdd562-c4fc-49f3-9425-0309a4dd0b1e" xml:lang="de">als die Maler des 19ten Jahrhunderts … die Religiosität des 15ten Jahrhunderts wiederherstellen wollen – bezieht sich auf die Kunstauffassung der Malergruppe der »Nazarener«, Nazarener, die die Erneuerung der Kunst auf religiöser Grundlage und durch die Rückbesinnung auf die alte deutsche und italienische Malerei anstrebten.</note></p> <p>Ferner: die <title xml:id="title_ab588162-c2b2-4a73-b832-aa33ec2b3a03">Händelschen Oratorien<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109001" style="hidden" type="music">Oratorien</name></title> würkten so unwiderstehlich dauernd fort, daß man in<seg type="pagebreak"> |8|<pb n="8" type="pagebreak"></pb></seg> späterer Zeit in der falsch gefaßten Furcht, sie könnten diese Wirkung verlieren, ihnen das neue Orchester umhing. Die Arien in ihrer veralteten Form blieben aber dieselben, und wurden alle von den Chören und dem Stoffe ins Schlepptau genommen. Gleichzeitig mit seinen Oratorien hatte derselbe Meister eine große Menge <title xml:id="title_26c05a3a-7bb4-4161-83f0-be448e29fd8b">Opern<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0112166" style="hidden" type="music">Opern</name></title> componirt, mit Arien, die die schönsten der Oratorien erreichen und übertreffen, wol auch mit Chören, die seinen Geist aussprechen müssen. Von allen diesen ist, soviel ich weiß nicht eine einzige außer <placeName xml:id="placeName_6572e7c6-9c6e-4f7c-a679-527c2e74b97c">London<settlement key="STM0100126" style="hidden" type="locality">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName>, und auch da nur in dem Winter ihrer Entstehung gegeben und sie waren Alle schon zu <persName xml:id="persName_e948b8b9-a267-4d62-aafe-5fe96de6a55f">Glucks<name key="PSN0111405" style="hidden" type="person">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name></persName> Zeit so total vergessen, daß Niemand auch nur auf die Idee gekommen ist, das ohne allen Zweifel darin befindliche Große und Schöne durch eine anderen Bekleidung für die Gegenwart zu retten. Daran kann ganz allein nur das Motiv, der Gegenstand, Schuld haben, für welchen das Orchester <persName xml:id="persName_eef037e0-e710-4bd5-b155-a21448596fda">Händels<name key="PSN0111693" style="hidden" type="person">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName> in seinen <title xml:id="title_5fd94b2b-6198-4aa5-af52-830773d964d8">Orato<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0109001" style="hidden" type="music">Oratorien</name></title>r. genügt, während <persName xml:id="persName_710e1485-f359-45b8-bbaf-67d46bc63b68">Gluck<name key="PSN0111405" style="hidden" type="person">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name></persName> fühlte, für äußeren Zwecke müßten auch äußere Mittel gebraucht werden, sofort sich derjenigen bediente, welche seine Zeit ihm darbot, und womit denn die <title xml:id="title_53c4d767-8ed4-4230-abc6-dfc38a34019e">Händelschen Opern<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685–1759)</name><name key="CRT0112166" style="hidden" type="music">Opern</name></title> beseitigt waren.</p> <p>Ferner: die Musik ist die einzige Kunst, welche bis jetzt nur in Begleitung, besonders der Poesie auftrat, und überhaupt mehr eine künstlerische Atmosphäre, als selbstständige Kunstwerke bildete. Darin mußte sehr sorgsam für sie gedacht werden, die Worte mußten nicht zu gut, zu inhaltschwer seyn, sonst zog die Musik den Kürzern, es was auch im Ganzen genug, daß man von einer Oper das Personenverzeichniß las, und dann hin und wieder einige Worte hören und<seg type="pagebreak"> |9|<pb n="9" type="pagebreak"></pb></seg> verstehen konnte, um nur so im Ganzen, und ungefähr zu wissen, wovon die Rede sey. Dieses höfliche und conventionelle Verhältniß kann nicht ewig bestehen, und es wird entweder für die Musik, wie für die Malerei ein Gegenstand gefunden werden müssen, welcher durch seine Innerlichkeit, allgemeine Gültigkeit und Verständlichkeit die früheren religiösen ersetzt, od. die Musik wird, im Gefühl und Besitz ihrer unendlich vervielfältigern Mittel, sich selbstständig machen müssen, letzteres halte ich trotz der vielfältig gelungenen Versuche, bei Instrumentalmusik doch noch für sehr weit aussehend und schwierig. Was aber das Erstere betrifft, so scheint mir, als ob die <title xml:id="title_6af5ef0c-cd29-4e0f-ab2b-21d11a56a9cb">beiden Haidnschen Oratorien<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109072" style="hidden" type="music">Die Jahreszeiten Hob. XXI : 3</name><name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109080" style="hidden" type="music">Die Schöpfung Hob. XXI : 2</name></title> auch in dieser Beziehung eine sehr merkwürdige Erscheinung wären. Beide <title xml:id="title_8173ae9d-8310-4c84-a808-c329f9df191f">Gedichte<name key="PSN0115222" style="hidden" type="author">Swieten, Gottfried Bernhard Baron van (1733–1803)</name><name key="CRT0112370" style="hidden" type="literature">Joseph Haydn, Die Jahreszeiten Hob. XXI : 3 (Libretto)</name></title> sind sehr schwach<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_848ca61e-d9dc-4362-beae-e1d7a01d7c2c" xml:lang="de">Beide Gedichte sind sehr schwach – Das Libretto zu Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung Hob. XXI : 2 beruht auf dem Buch Genesis, dem Buch der Psalmen und John Miltons Genesis-Epos Paradise Lost, das Libretto zu den Jahreszeiten Hob. XXI : 3 schuf Gottfried van Swieten.</note>, als solche betrachtet, aber sie haben auf eine sehr glückliche Weise statt des alten, positiven und fast übersinnlichen Religionsmotivs dasjenige ergriffen, welches die Natur, als sichtbare Emanation<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_dea741cf-5b73-499f-8ba4-b3fe8baa1c20" xml:lang="de">Emanation – das Ausfließen oder Hervorgehen von etwas aus seinem Ursprung (von lat. emanatio, Ausfließen, Ausfluss).</note> der Gottheit, in ihrer Allgemeinheit und in ihren tausendfältigen Einzelnheiten, jedem offnen Gemüthe einflößt. Daher die unendliche, tiefe, aber auch heitere, allgemein gültige und gewiß recht religiöse Wirkung dieser beiden Werke, die bis jetzt ganz allein stehen, daher das Zusammenwirken aller hin und wieder kleinlichen, spielenden Einzelnheiten derselben, mit dem großartigsten und treuesten Gefühl des Danks, welches aus dem Ganzen hervorquillt, und daher kömmt es, daß ich wenigstens das Krähen des Hahns, das Singen der Lerche und das Gebrüll des Rindviehs, die Fröhlichkeit<seg type="pagebreak"> |10|<pb n="10" type="pagebreak"></pb></seg> des Landvolks eben so wenig in der <title xml:id="title_5d29c28f-542a-4081-a221-501e18465dd2">Schöpfung<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109080" style="hidden" type="music">Die Schöpfung Hob. XXI : 2</name></title> und in den <title xml:id="title_b61a9189-cb11-45b3-a205-960b3dd58574">Jahreszeiten<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109072" style="hidden" type="music">Die Jahreszeiten Hob. XXI : 3</name></title> gern vermissen würde, als in der Natur selbst, und nun bedaure, daß die Musik nicht auch guten und üblen Geruch ausdrücken kann und Krankheit und Tod, denn die gehören auch hinein, mit einem Worte <title xml:id="title_1a33177c-4033-4afd-826b-42737401632b">Schöpfung<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109080" style="hidden" type="music">Die Schöpfung Hob. XXI : 2</name></title> und <title xml:id="title_333c0b41-4544-41ca-a7d6-0bb264445406">Jahreszeiten<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732–1809)</name><name key="CRT0109072" style="hidden" type="music">Die Jahreszeiten Hob. XXI : 3</name></title> sind auf Naturdienst gegründet, od. sichtbaren Gottesdienst, und sollte da nicht für die Musik noch neue Stoffe zu finden seyn?</p> <p>Nun der Worte genug. Sind denn zu Euch auch <persName xml:id="persName_5a42699d-7e79-41d9-baeb-7a23f4bd68e1">Göthes<name key="PSN0111422" style="hidden" type="person">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> <title xml:id="title_fa355413-9a1a-4ae2-b83e-d551a31fcc64">Briefe an ein Kind<name key="PSN0109532" style="hidden" type="author">Arnim, Elisabeth (Bettina, Bettine) Catharina Ludovica Magdalena von (1785–1859)</name><name key="CRT0107647" style="hidden" type="literature">Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d2cfa44c-cfb4-4ab7-bdb1-62c29c139e68" xml:lang="de">Göthes Briefe an ein Kind– Der erste Band von Bettine von Arnim Buch Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde war 1835 in Berlin erschienen.</note> gelangt? Ich habe sie nicht gelesen, und werde sie nicht lesen, das Wenige, was ich davon od. daraus gehört, finde ich schmachvoll, es schmerzt mich aber nur deswegen, weil es an <persName xml:id="persName_922103eb-aeba-4b30-9e0a-4ef0c2cf89c4">Göthe<name key="PSN0111422" style="hidden" type="person">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> wiederum eine schwache Seite offenbart, und wiederum dazu beiträgt, die Unbefangenheit zu stören, mit welcher man doch Göthe allein aus dem Gesichtspunct betrachten müßte, aus welchem man überhaupt ein Urtheil über ihn haben sollte, aus einer künstlerischen und geistigen. Dieser Mißbrauch der Presse ist ein wahrhaft ärgerlicher und verderblicher bei der schnell und immer schneller alle Illusionen zerstört, ohne die das Leben ein Tod ist. Lebe Du mit Illusionen wohl, und erhalte Dir die der kindlichen Anhänglichkeit an Deinen Vater.</p> <signed rend="right">AMB</signed> </div> <div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_b09b9dbd-faf7-499f-a043-e69896853dad"> <docAuthor key="PSN0113247" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_ff470da2-ce17-4919-8363-1eba76f1090e">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110673" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_8dc171c0-c634-43e4-9d05-aaaab5e8659a">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Hast Du <persName xml:id="persName_8d57fdc2-3e5c-49dd-97ad-b1837019f57f">Raumer<name key="PSN0114083" style="hidden" type="person">Raumer, Friedrich Ludwig Georg von (1781-1873)</name></persName> nicht gesehen, der über <placeName xml:id="placeName_c7870891-41ad-4206-86ac-02d48411c4f3">Düsseldorf<settlement key="STM0100109" style="hidden" type="locality">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> nach <placeName xml:id="placeName_0c586b84-35ac-4c83-ad08-3b442791b633">England<settlement key="STM0104802" style="hidden" type="area">Großbritannien</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> gereiset ist, der setzt sich hier als Pythia<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_410a5af2-b11a-4b74-b6e0-49efcd63027f" xml:lang="de">Pythia – Bezeichnung für die weissagende Priesterin im Orakel von Delphi.</note> auf den musikalischen Dreifuß in der <title xml:id="title_da53b7e9-08d6-486f-8aa6-fd1b71263974">Staatszeitung<name key="PSN0119226" style="hidden" type="author">John, Ernst Carl Christian (1788–1856)</name><name key="CRT0111902" style="hidden" type="periodical">Allgemeine Preußische Staats-Zeitung</name></title>, da aber ein Dreifuß kein Ei ist, so brütet sein Sitzen wenig aus.</p> </div> </body> </text></TEI>