gb-1833-05-25-01
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Nauplia, 15. und 25. Mai 1833
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
2 Doppelbl.: S. 1-8 Brieftext; Kuvert nicht erhalten (vgl. Z.: »Das Postzeichen dieses Briefes«). – Der Brief war nach Berlin adressiert; der Inhalt des Briefes wurde Felix Mendelssohn Bartholdy erst im Sommer 1833 in London oder später bekannt. Siehe Brief fmb-1833-07-23-01 (Brief Nr. 759) Felix Mendelssohn Bartholdy, Carl Klingemann und Abraham Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet, die Familie Mendelssohn Bartholdy und Wolff Nathan in Berlin, London, 23. Juli 1833, Z. 39 f.: »den Griechischen Brief«.
Wilhelm Freiherr von Eichthal
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Mein Stillschweigen nach Deiner so freundlichen Erfüllung meines Wunsches, Mittheilung eines ausführlichen und erschöpfenden Votums in Sachen
Das Postzeichen
Ich befliß mich einer solchen Zurückhaltung wie ich sie meinen Grundsätzen, und den Umständen angemessen hielt, und suchte das Verhältniß ganz unbefangen zu stellen, welches bey der Unbefangenheit J, oder vielmehr ihrer ganz eigenthümlichen Art von Zerstreutheit, oder Blindheit, wie man es nennen will, und
Nicht nur daß so Vieles gar nicht angeregt und angebauet wurde, der zarteste Schmelz jugendlicher Unbefangenheit und Wahrhaftigkeit leider wohl schon verwischt worden
Du siehst ich verhehle mir die Schattenseiten an dieser liebenswürdigen Erscheinung keineswegs, aber eben das betrübt mich, daß es mir nicht im geringsten hat gelingen wollen eigentlichen Einfluß auf sie, oder für sie auf ihre Umgebungen zu gewinnen. Was letztere betrifft, aus begreiflichen Gründen; bey J aber hatte im Anfang mein unglückseliges etwas ironisirendes Wesen eine mit Abneigung gemischte Entfernung hervorgerufen, die später in eine besondere Art von Scheu übergieng, der ich es zuschreiben muß, daß ich nie nach dem Carneval, besonders wenn sie kein neues Lied im Kopfe, besonders wenn sie keine sonstigen Abhaltungen hat.besse beschließe und zu dem Sinne der langen Rede komme.
Du hast J vor mir gekannt,dann soll mich nichts abhalten diesem guten, diesem lieben Kinde, dem meine ganze Seele jetzt schon gehört, mich ganz und gar zu geben; ein Tropfen Bewußtseyns wird diesem himmlischen ihren Weg ihr zu erhellen und deutlicher zu machen.
Ich habe trotz inneren Widerstrebens an Du ihr nicht gewachsen so wäre sie nicht werth Dir werth zu seyn. Ein Asyl wie jenes in Frankfurt
Ich bin müde und matt, untüchtig zu jeder weiteren Mittheilung, weil ich nur zu deutlich fühle daß ich Viel geschrieben und wenig gesagt, wenig von dem ausgedrückt habe was ich so tief und so ganz fühle. Unter wünschenswerthen Verhältnißen, im Wirbel eines interessanten und großartigen Treibens, welches ausschließlich alle meine Kräfte begehrte, fühle ich es doch nur zu sehr, wie ihr bester Theil nach jener Richtung hin begehrt, in ihr von fruchtlosem Kampfe ermattend, Stumpfheit oder Ueberwitz mir abwechselnd zuführt, alles Aeußere mehr und mehr farb- und gestaltlos, todt, mir erscheintmit dem Freunde, ich weiß es! Sehr für ihn – und sey versichert seiner Dankbarkeit und Liebe
25. Mai
Verzeihe dieses unverzeihliche Gekritzel was aber in ganz harmonischem Verhältniße zum Style steht
Ueber die hiesigen Zustände läßt sich noch nicht viel Zusammenhängendes mittheilen, wenigstens nicht viel mehr als die Blätter schon mitgetheilt haben. Zudem ist die Aufgabe der Regentschaft
Die Hauptschwierigkeit wird für die Zukunft in den Finanzen liegen, und von der Lösung der Finanz-Frage die schwierig doch nicht unmöglich erscheint, wird Alles Übrige abhängen. Insoweit ich mich bis jetzt habe orientiren können, finde ich in dieser Nation noch einige Spuren ihres ehemaligen Charakters, nur sind es leider nicht eben die besseren Elemente die man darin erkennen kann, und es wird eine sittliche Rehabilitation, bey der beynahe durchgängigen Demoralisation der höheren, der bedauernswerthen Unwissenheit, Bigotterie
Der Seriosität wegen schicke ich Dir die griechischen Notenhinauf oder hinunter zu gehen ohne daß ihm etwas näheres vorgeschrieben würde. Vielmehr bleibt das ganze seiner Distinction überlassen. Ich verdanke dieses Werk dem kleinen Hofpianist hier ist (wie Lucus a non Lucendo kömmt mir das vor) Ich fürchte daß er einige Weltkenntniß hier erwerben, dafür aber sein bischen Klavier einbüßen wird, er empfiehlt sich übrigens vielmals
v. Hoeslin, Springer & Compagnie in
Triest
ist schreibe d Vornamen „Wilhelm“ und Attaché bey der Regentschaft.Triest
Nauplia den 15 Mai 1833. Lieber Mendelsohn! Mein Stillschweigen nach Deiner so freundlichen Erfüllung meines Wunsches, Mittheilung eines ausführlichen und erschöpfenden Votums in Sachen Josephine Lang, konnte Dich billig befremden. Das Postzeichen dieses Briefes wird mich zum Theile schon entschuldigt haben, was daran fehlt, Deine Nachsicht freundlich ergänzen. Ich hatte in der letzten Zeit meines Aufenthaltes in München wenig freie, und namentlich keinen so ruhigen Augenblick, um über diese Angelegenheit, welche wirklich eine für mich geworden ist, wie Du vielleicht schon errathen haben wirst, mich nochmals mit Dir zu besprechen. Um so unbefangener könnte dieß nun von hieraus geschehen, wenn Du anders noch geneigt bist, unter etwas veränderten Umständen uns Deinen Rath und die Theilnahme zu erhalten, welche ich wie Du glauben willst nach ihrem ganzem Werthe zu schätzen weiß. Josephine Lang hat durch ihr himmlisches Talent zu meinem innerstem Sinn gesprochen, und so ist nach und nach eine Neigung entstanden, die ich kommen sah, ohne sie hindern zu können, noch zu mögen, wenn gleich Vieles in J. mir noch nicht klar genug geworden ist, um an diese Neigung mein Leben zu knüpfen. Ich befliß mich einer solchen Zurückhaltung wie ich sie meinen Grundsätzen, und den Umständen angemessen hielt, und suchte das Verhältniß ganz unbefangen zu stellen, welches bey der Unbefangenheit J, oder vielmehr ihrer ganz eigenthümlichen Art von Zerstreutheit, oder Blindheit, wie man es nennen will, und meinem etwas verneinendem Wesen, welches sich seiner Natur gemäß, da am meisten hervorthut wo mein Gemüth bewegt ist, wohl möglich gewesen wäre, um so mehr als sie mich von Hause aus nicht leiden konnte. – Die Gemeinheit ihrer Umgebung welche nicht unterließ das arme Kind selbst zum unbewußten Werkzeuge zu machen, und namentlich S. rs unter uns gesagt etwas unwahre, absichtsvolle, und daher gönnerhafte Geradheit, Zutäppischkeit und Bonhomie ließ es hiezu nicht kommen. Seine biedermännische Pöbelhaftigkeit und lauernde Naїvität klärten mich endlich auf, nachdem ich eine Zeit lang ihre Düpe gewesen, sie erfüllten mich mit Eckel und Besorgniß, und ich entschloß mich (die Wahrheit zu sagen durch andre Motive mitbestimmt. ) einer Neigung aus dem Wege zu gehen welche mir eine falsche Stellung zu geben drohte, und was mehr ist eine unwürdige. Ich erklärte S. in bestimmten und im Gegensatz zu früheren Mittheilungen, trockenen Worten, daß ich, das lebhafteste Interesse für J. fühlend, aus inneren und äußeren Gründen aber noch außer Stande, mich ganz zu bestimmen, eben so wenig als J. gemacht sey um ein Romänchen zu spielen, und nachdem ich mit unumwundener Freimüthigkeit, ohne irgend eine Zurückhaltung zu beobachten über meine Absichten, und soweit es nöthig meine Verhältniße ihm Aufschluß gegeben, einiger Unvorsichtigkeit mich selbst angeklagt, die Indignation über ein gleich triviales wie arglistiges Verfahren gegen mich nicht ganz unterdrückt, erklärte ich ihm meine bestimmte Absicht auf längere Zeit mich zu entfernen, und zeigte ihm diesen Ausweg als den einzigen welchen ich geeignet halte, den Knoten auf edle Weise zu lösen, indem er allein Ruhe, Klarheit, dann im Falle der Noth mir eine aus eigenen Mitteln zu begründende Selbständigkeit verspreche. S. benahm sich mit schlecht verhehltem Depit und einer wahrhaft himmlischen Prosa. Er lobte zuerst mein feines Gefühl, und ließ meinen edlen Gesinnungen alle Gerechtigkeit widerfahren, fand meinen Entschluß klug und löblich, aber auch daß es andrerseits höchste Zeit gewesen sey, und gerade noch die rechte Zeit, um sich zu verständigen indem J mir sehr zugethan und leider mit der heißen Immagination, und der ganzen Gemüths-Impetuosität einer Italiänerin begabt sey, so daß bey einem noch länger fortgesetztem halben Verhältniße sich bedauernswerthe Folgen hätten ergeben müssen. Er hatte die Generosität mir zu bemerken daß einiges Bedenken von meiner Seite um so mehr zu billigen sey, als J. zwar mit genugsamen Eigenschaften des Geistes und Gemüthes ausgestattet, ja gewissermaßen ein Genie in Anbetracht äußerer Vorzüge aber mehr interessant als schön zu nennen sey; zudem könne er mir die etwa zur Zeit vorhandene Annehmlichkeit ihrer Gesichtszüge nicht für alle Zukunft garantiren, wie denn hauptsächlich die Nase mehrbenannter J. welche zur Zeit schon nicht zu den schönsten gehöre, ihm für die Zukunft lebhafte Besorgniße einflöße. Da er übrigens aus meinem Vortrage entnommen daß ich mit den Gemüths-Eigenschaften mehrerwähnter J. noch nicht hinlänglich vertraut, und meine Verhältniße noch nicht sicher genug um mich vor meiner Abreise bestimmt und deutlich zu erklären, so könne er sich andrerseits nicht entbrechen mir unter den Fuß zu geben. Daß wenn während meiner Abwesenheit eine passende Parthie sich darböte, auf solche allerdings unter diesen Umständen reflektirt werden müßte. Eine so ganz triviale Auf-fassung hätte wohl eine weniger begründete Neigung etwas irre machen können. Es hat mir in jedem Falle wehe gethan J. so wenig edler Umgebung anvertraut zu wissen. Nicht nur daß so Vieles gar nicht angeregt und angebauet wurde, der zarteste Schmelz jugendlicher Unbefangenheit und Wahrhaftigkeit leider wohl schon verwischt worden ist, das arme, träumerische Kind geht seinen Weg wie ich bemerken mußte, ohne irgend einen positiven sittlichen Halt, irgend Klarheit über sich, irgend höheres Bewustseyn erlangt zu haben. Wie kann da nicht ein an sich noch so reines und wahres, aber äußeren Einflüßen und Eindrücken eben durch den Mangel eines eigentlichen Stützpunktes leicht verfallendes Gemüth, und wäre es die edelste Natur, noch irre gemacht und gefährdet werden. Du siehst ich verhehle mir die Schattenseiten an dieser liebenswürdigen Erscheinung keineswegs, aber eben das betrübt mich, daß es mir nicht im geringsten hat gelingen wollen eigentlichen Einfluß auf sie, oder für sie auf ihre Umgebungen zu gewinnen. Was letztere betrifft, aus begreiflichen Gründen; bey J aber hatte im Anfang mein unglückseliges etwas ironisirendes Wesen eine mit Abneigung gemischte Entfernung hervorgerufen, die später in eine besondere Art von Scheu übergieng, der ich es zuschreiben muß, daß ich nie es zu einer ganz offenen vertraulichen Unterredung mit ihr habe bringen können, wenn gleich J. wie ich glaube, und sie selbst glaubt mich jetzt recht gerne hat, besonders nach dem Carneval, besonders wenn sie kein neues Lied im Kopfe, besonders wenn sie keine sonstigen Abhaltungen hat. Du siehst daß ich dem bösen und tückischem Dämon des Zweifels einigermaßen verfallen bin, und ich kann das wohl in gewißer Beziehung als eine Nemesis betrachten. Da ich aber durchaus nicht wissen kann ob Du Dich irgend so versündigt hast, um die Nemesis solcher Confidencen, die sogar in guten Stücken und ganz erträglichen Romanen, demjenigen der sie anhören muß immer etwas lästig sind, auf Dein Haupt geladen zu haben ist es Zeit daß ich sie besse beschließe und zu dem Sinne der langen Rede komme. Du hast J vor mir gekannt, sie mit gänzlicher Unbefangenheit, sie täglich gesehen. Ich weiß recht wohl daß Du nur mit dem Talente zu thun hattest, indessen kann das Mädchen Dir nicht ganz fremd geblieben seyn. Sage mir lieber Freund! nach Deiner wahrhaften Ueberzeugung was Du glaubst daß ich zu hoffen, daß ich zu fürchten habe. Ich fühle sehr wohl das Gewagte dieser Bitte, und worinn ihr zu willfahren mißlich, dennoch richte ich sie mit vollem Vertrauen an Dich, mit dem Vertrauen welches die Ueberzeugung giebt, daß wir uns in keinem Falle mißverstehen können. Es ist hier der Augenblick über meine Absichten etwas näheres zu sagen. Einem bestimmten Entschluße steht jener innere Zwiespalt, stehen äußere Verhältniße entgegen, welche letztere auch dann, wenn ich hier in Griechenland eine selbständige Stellung mir erwerbe, was zu versuchen so ziemlich in jedem Falle meine Absicht ist, auch dann noch Vorsicht und wohl eine lange Prüfungszeit mir auflegen, wenn ich keine Impietät begehen will. Die äußeren Verhältniße werden sich bis zu einem gewißen Punkte bald fixiren lassen, auch jenes Räthsel mir gelöst, jener Zwiespalt gehoben werden, sey es auf bittere, sey es auf erfreuliche Weise. Und dann soll mich nichts abhalten diesem guten, diesem lieben Kinde, dem meine ganze Seele jetzt schon gehört, mich ganz und gar zu geben; ein Tropfen Bewußtseyns wird diesem himmlischen aehnungsreichem Gemüthe, welches so reich, ohne es zu wissen so begabt ist, alles das geben was ihm noch fehlen kann. Ich habe bisher wenig Eindrücke erfahren, ich glaube nicht für viele gemacht zu seyn, und wäre ich endlich gemacht um einer Illusion zu verfallen, so sey es lieber dieser als einer andern; und soll nun jene Idee die ich mich schon gewöhnt hatte als die meines Lebens zu betrachten, und sollte sie auch nicht realisirt werden so fühle ich doch in gleichem Maaße die Nothwendigkeit und das Bedürfniß ihren Weg ihr zu erhellen und deutlicher zu machen. Ich habe trotz inneren Widerstrebens an S. geschrieben, wozu ich übrigens passende Veranlaßung hatte, so einfach und sorglos als möglich, in dem Styl unsrer gewöhnlichen Gespräche, um an dem Verhältniße wie ich es zurückließ so wenig zu rücken und zu ändern als möglich, und muß es nun auf seine Antwort ankommen lassen ob sich irgend ein Heil aus einer solchen erwarten läßt. Du lieber Mendelsohn! bist glaube ich der einzige der Einfluß genug hätte um, wenn, wie ich nicht zweifle Dich Dein Weg bald wieder nach dort führen sollte, vieles Schädliche abhalten, wirklichen reellen Nutzen stiften zu können. Die Aufgabe ich weiß es, ist Dir werth genug, und wärest Du ihr nicht gewachsen so wäre sie nicht werth Dir werth zu seyn. Ein Asyl wie jenes in Frankfurt hätte ich freilich in jeder Beziehung als das größte Glück angesehen, aber ob sich wohl daran noch wird denken lassen. ? – Ich bin müde und matt, untüchtig zu jeder weiteren Mittheilung, weil ich nur zu deutlich fühle daß ich Viel geschrieben und wenig gesagt, wenig von dem ausgedrückt habe was ich so tief und so ganz fühle. Unter wünschenswerthen Verhältnißen, im Wirbel eines interessanten und großartigen Treibens, welches ausschließlich alle meine Kräfte begehrte, fühle ich es doch nur zu sehr, wie ihr bester Theil nach jener Richtung hin begehrt, in ihr von fruchtlosem Kampfe ermattend, Stumpfheit oder Ueberwitz mir abwechselnd zuführt, alles Aeußere mehr und mehr farb- und gestaltlos, todt, mir erscheint. Ich schließe. Du empfindest mit dem Freunde, ich weiß es! Sehr für ihn – und sey versichert seiner Dankbarkeit und Liebe WvEichthal Verzeihe dieses unverzeihliche Gekritzel was aber in ganz harmonischem Verhältniße zum Style steht Ueber die hiesigen Zustände läßt sich noch nicht viel Zusammenhängendes mittheilen, wenigstens nicht viel mehr als die Blätter schon mitgetheilt haben. Zudem ist die Aufgabe der Regentschaft so groß sie auch ist doch nur eine vorbereitende, und die eigentliche Physionomie des Landes wird man doch nur immer bey dem wirklichen Regierungs-Antritte des Königs kennen lernen. Ich glaube übrigens daß die Regentschaft in der kurzen Zeit ihres Hierseyns schon viel gethan und namentlich einen sehr richtigen Takt an den Tag gelegt hat. Die Bestrebung eines durch Geist und Charakter eminenten Staatsmannes wie Graf Arp, und so höchst ausgezeichneter Geschäftsmänner wie v. Abel und Greiner tragen schon erfreuliche Früchte, was niemand läugnen wird, der Griechenland jetzt sieht und es vor 3 Monaten gesehen hat. Die Hauptschwierigkeit wird für die Zukunft in den Finanzen liegen, und von der Lösung der Finanz-Frage die schwierig doch nicht unmöglich erscheint, wird Alles Übrige abhängen. Insoweit ich mich bis jetzt habe orientiren können, finde ich in dieser Nation noch einige Spuren ihres ehemaligen Charakters, nur sind es leider nicht eben die besseren Elemente die man darin erkennen kann, und es wird eine sittliche Rehabilitation, bey der beynahe durchgängigen Demoralisation der höheren, der bedauernswerthen Unwissenheit, Bigotterie und Armuth der niederen Classe noch schwieriger seyn, und noch langsamer vor sich gehen als eine politische. Uebrigens fehlt es nicht an günstigen Elementen für beides; dieses Volk ist außerordentlich schnell auffassend und talentvoll, und Männer so wie Maurocordato und Koletti wären gemacht um überall eine Rolle zu spielen. In dem Augenblicke da ich dieses schreibe steckt der König, in Gesellschaft des Kronprinzen von Bayern und sämtlicher Mitglieder der Regentschaft in Athen und Korinth, um sich von den Lokal-Verhältnißen zu unterrichten, und zur Entscheidung der Frage zu gelangen ob die Hauptstadt in Athen oder irgend einem Punkte des Isthmus seyn soll. Man hat sehr wichtige Gründe für den Isthmus, einige Vorliebe für Athen und so ist alles auf diese Entscheidung gespannt der ich übrigens doch nicht persönlich beywohnen wollte, um mir den ersten Eindruck von A. nicht durch diese Menschenmasse verderben zu lassen. Der Seriosität wegen schicke ich Dir die griechischen Noten mit, aus welchen Du nicht klug werden wirst, da die Griechen selbst nicht mehr alle Zeichen verstehen. Sehr subtil finde ich die Eintheilung in auf- und absteigende Noten, durch diese wird z. B. der Sänger ermächtigt mit der Stimme hinauf oder hinunter zu gehen ohne daß ihm etwas näheres vorgeschrieben würde. Vielmehr bleibt das ganze seiner Distinction überlassen. Ich verdanke dieses Werk dem kleinen Ascher der als Hofpianist hier ist (wie Lucus a non Lucendo kömmt mir das vor) Ich fürchte daß er einige Weltkenntniß hier erwerben, dafür aber sein bischen Klavier einbüßen wird, er empfiehlt sich übrigens vielmals Deiner Huld. Lasse mich, lieber, doch auch Einiges von Deinem Treiben und Deinen Planen wissen, und wenn Du mir glauben willst so komme auf einen Sprung, um unser türkisch griechisches Idyllenleben etwas in der Nähe anzusehen. Wenn Du aber länger als ein Jahr bleiben willst, so bringe eine Frau mit, sonst kann es einem Deutschen in der Länge hier nicht seyn. 25. Mai 1833 Wenn Du an mich schreibst so wolle Dich folgender bedienen. An Hr. WE++ mit Brief an v. Hoeslin, Springer & CompagnieHößlin, Springer & Comp., Handels- und Reedereiunternehmen in Triest in TriestZur Vermeidung eines Irrthumes da mein Bruder in Triest ist schreibe d Vornamen „Wilhelm“ und Attaché bey der Regentschaft.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1833-05-15" xml:id="date_3813acc7-8a55-413b-aea9-fa669e81467f">15.</date> und <date cert="high" when="1833-05-25" xml:id="date_13ab86cc-70ca-4a3f-a219-cead9609bf90">25. Mai 1833</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0110866" resp="author" xml:id="persName_c3dad14c-bb00-4553-b2f3-56e5e2e1d210">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0110866" resp="writer">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_e9a0b67d-3392-47f9-8f50-7107298d33b1"> <settlement key="STM0103418">Nauplion</settlement><country>Griechenland</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver" xml:id="persName_f52d65d5-85cc-44d6-bdfc-dbca30d42f05">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_d8fe0ed9-ba87-41d0-9992-3ddf125d2dd8"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement><country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"> </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_73b0171c-0e2f-4f80-8855-6006e58b1774"> <docAuthor key="PSN0110866" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_609098c2-6fce-42b4-bd8a-c90f90289f5e">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110866" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_0e6d8b19-8e72-470a-bafe-beee7f244243">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <dateline rend="right"><placeName xml:id="placeName_8dc8b82f-c28b-46ab-849a-200256205265">Nauplia<settlement key="STM0103418" style="hidden" type="locality">Nauplion</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_6de8fbdc-4021-4a3e-a672-7412c0a39295" xml:lang="de">Nauplia – Nafplio (Nauplion); 1829-1834 die provisorische Hauptstadt von Griechenland, heute Hauptstadt des griechischen Verwaltungsbezirks Argolis.</note> den <date cert="high" when="1833-05-15" xml:id="date_631b7195-1273-4042-b94f-845f4cb13274">15 Mai 1833</date>.</dateline> <salute rend="left">Lieber <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_629cc3bb-abe6-4496-8cd0-40a3a75894ed"> <sic resp="writer">Mendelsohn</sic> <corr resp="editor">Mendelssohn</corr> </choice>!</salute> <p style="paragraph_without_indent">Mein Stillschweigen nach Deiner so freundlichen Erfüllung meines Wunsches, Mittheilung eines ausführlichen und erschöpfenden Votums in Sachen <persName xml:id="persName_1e07d9c4-d989-4fbe-8fcd-2306b3fe2321">Josephine Lang<name key="PSN0112672" style="hidden" type="person">Lang, Josephine Caroline (1815-1880)</name></persName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_cf719613-5bc4-4dbd-bb2f-4310b258e7b9" xml:lang="de">Mittheilung … in Sachen Josephine Lang – Ein diesem vorhergehender Brief Mendelssohns an Wilhelm von Eichthal ist nicht bekannt; die Mitteilung kann auch mündlich erfolgt sein.</note> konnte Dich billig befremden.</p> <p>Das Postzeichen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ceda1072-e17a-40ca-ae79-55c15a8e7e67" xml:lang="de">Das Postzeichen – Die Adressenseite vorliegenden Briefs ist nicht erhalten.</note> dieses Briefes wird mich zum Theile schon entschuldigt haben, was daran fehlt, Deine Nachsicht freundlich ergänzen. Ich hatte in der letzten Zeit meines Aufenthaltes in <placeName xml:id="placeName_15b22608-ca0b-4103-95de-71193199e32b">München<settlement key="STM0100169" style="hidden" type="locality">München</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_57c5354d-4cd7-422a-bd03-f4be345c462d" xml:lang="de">meines Aufenthaltes in München – Brief fmb-1831-11-07-01 (Brief Nr. 470) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Stuttgart, 7. November 1831, Z. 35 f.: »Abend mit […] Eichthal, der kleinen Lang«, belegt für Anfang November 1831 ein Zusammentreffen von Wilhelm Freiherr von Eichthal, Josephine Lang und Mendelssohn.</note> wenig freie, und namentlich keinen so ruhigen Augenblick, um über diese Angelegenheit, welche wirklich eine für mich geworden ist, wie Du vielleicht schon errathen haben wirst, mich nochmals mit Dir zu besprechen. Um so unbefangener könnte dieß nun von hieraus geschehen, wenn Du anders noch geneigt bist, unter etwas veränderten Umständen uns Deinen Rath und die Theilnahme zu erhalten, welche ich wie Du glauben willst nach ihrem ganzem Werthe zu schätzen weiß. Josephine Lang hat durch ihr himmlisches Talent<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_11453a9f-b27d-4443-9f8f-146b0113980d" xml:lang="de">Josephine Lang … ihr himmlisches Talent – Mendelssohn hatte der Familie am 7. November 1831 das große Talent damals sechzehnjährigen Komponistin und Sängerin Josephine Lang charakterisiert; siehe Brief fmb-1831-11-07-01 (Brief Nr. 470) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Stuttgart, 7. November 1831.</note> zu meinem innerstem Sinn gesprochen, und so ist nach und nach eine Neigung entstanden, die ich kommen sah, ohne sie hindern zu können, noch zu mögen, wenn gleich Vieles in J. mir noch nicht klar genug geworden ist, um an diese Neigung mein Leben zu knüpfen.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_93e032c7-ce80-4392-aeb3-1ba91a72bfcc" xml:lang="de">an diese Neigung mein Leben zu knüpfen – Die Hoffnung Wilhelm von Eichthals auf eine Verbindung mit Josephine Lang erfüllte sich nicht. Diese heiratete 1842 den Tübinger Juristen und Schriftsteller Christian Reinhold Köstlin.</note> </p> <p>Ich befliß mich einer solchen Zurückhaltung wie ich sie meinen Grundsätzen, und den Umständen angemessen hielt, und suchte das Verhältniß ganz unbefangen zu stellen, welches bey der Unbefangenheit J, oder vielmehr ihrer ganz eigenthümlichen Art von Zerstreutheit, oder Blindheit, wie man es nennen will, und<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> meinem etwas verneinendem Wesen, welches sich seiner Natur gemäß, da am meisten hervorthut wo mein Gemüth bewegt ist, wohl möglich gewesen wäre, um so mehr als sie mich von Hause aus nicht leiden konnte. – Die Gemeinheit ihrer Umgebung welche nicht unterließ das arme Kind selbst zum unbewußten Werkzeuge zu machen, und namentlich <persName xml:id="persName_c5d0e38d-c411-4d1c-82eb-7dac4fac24b6">S.rs<name key="PSN0115136" style="hidden" type="person">Stieler, Joseph Karl (1781-1858)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7061a584-4c5d-4fbc-a9c9-af7d2513e5c1" xml:lang="de">S.rs – Seit dem Tod ihrer Mutter Regina Lang 1827 lebte Josephine Lang im Haus ihres Patenonkels, des Münchner Hofmalers Joseph Karl Stieler.</note> unter uns gesagt etwas unwahre, absichtsvolle, und daher gönnerhafte Geradheit, Zutäppischkeit und Bonhomie ließ es hiezu nicht kommen. Seine biedermännische Pöbelhaftigkeit und lauernde Naїvität klärten mich endlich auf, nachdem ich eine Zeit lang ihre Düpe<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_111fc66d-d78a-441a-b31c-40e3e120774d" xml:lang="fr ">Düpe – Betrogener, Narr; von frz. dupée (vgl. Ferdinand Adolf Weber, Erklärendes Handbuch der Fremdwörter, welche in der deutschen Schrift- und Umgangssprache gebräuchlich sind […], Leipzig 1839, S. 179).</note> gewesen, sie erfüllten mich mit Eckel und Besorgniß, und ich entschloß mich (die Wahrheit zu sagen durch andre Motive mitbestimmt.) einer Neigung aus dem Wege zu gehen welche mir eine falsche Stellung zu geben drohte, und was mehr ist eine unwürdige. Ich erklärte <persName xml:id="persName_53c079d9-011e-4cce-a26d-03bab0045aa1">S.<name key="PSN0115136" style="hidden" type="person">Stieler, Joseph Karl (1781-1858)</name></persName> in bestimmten und im Gegensatz zu früheren Mittheilungen, trockenen Worten, daß ich, das lebhafteste Interesse für J. fühlend, aus inneren und äußeren Gründen aber noch außer Stande, mich ganz zu bestimmen, eben so wenig als J. gemacht sey um ein Romänchen zu spielen, und nachdem ich mit unumwundener Freimüthigkeit, ohne irgend eine Zurückhaltung zu beobachten über meine Absichten, und soweit es nöthig meine Verhältniße ihm Aufschluß gegeben, einiger Unvorsichtigkeit mich selbst angeklagt, die Indignation<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_814a3c9b-a85d-400b-9d68-4f3b10652a9a" xml:lang="de">Indignation – Unwille, Entrüstung; von lat. indignatio.</note> über ein gleich triviales wie arglistiges Verfahren gegen mich nicht ganz unterdrückt, erklärte ich ihm meine bestimmte Absicht auf längere Zeit mich zu entfernen, und zeigte ihm diesen Ausweg als den einzigen welchen ich geeignet halte, den Knoten auf edle Weise zu lösen, indem er allein Ruhe, Klarheit, dann im Falle<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> der Noth mir eine aus eigenen Mitteln zu begründende Selbständigkeit verspreche. S. benahm sich mit schlecht verhehltem Depit<note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_ee8dd8d0-d72c-458f-bec2-daf158e2defa" xml:lang="fr ">Depit – frz. dépit, Verdruss, Enttäuschung.</note> und einer wahrhaft himmlischen Prosa. Er lobte zuerst mein feines Gefühl, und ließ meinen edlen Gesinnungen alle Gerechtigkeit widerfahren, fand meinen Entschluß klug und löblich, aber auch daß es andrerseits höchste Zeit gewesen sey, und gerade noch die rechte Zeit, um sich zu verständigen indem J mir sehr zugethan und leider mit der heißen <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_87f84a00-40e9-42b1-b840-f247eca66119"> <sic resp="writer">Immagination</sic> <corr resp="editor">Imagination</corr> </choice>, und der ganzen Gemüths-Impetuosität<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_8aace1aa-f017-4276-a2d3-7fefbe423ce5" xml:lang="de">Impetuosität – von lat. impetus, Drang, Leidenschaft.</note> einer Italiänerin begabt sey, so daß bey einem noch länger fortgesetztem halben Verhältniße sich bedauernswerthe Folgen hätten ergeben müssen. Er hatte die Generosität mir zu bemerken daß einiges Bedenken von meiner Seite um so mehr zu billigen sey, als J. zwar mit genugsamen Eigenschaften des Geistes und Gemüthes ausgestattet, ja gewissermaßen ein Genie in Anbetracht äußerer Vorzüge aber mehr interessant als schön zu nennen sey; zudem könne er mir die etwa zur Zeit vorhandene Annehmlichkeit ihrer Gesichtszüge nicht für alle Zukunft garantiren, wie denn hauptsächlich die Nase mehrbenannter J. welche zur Zeit schon nicht zu den schönsten gehöre, ihm für die Zukunft lebhafte Besorgniße einflöße. Da er übrigens aus meinem Vortrage entnommen daß ich mit den Gemüths-Eigenschaften mehrerwähnter J. noch nicht hinlänglich vertraut, und meine Verhältniße noch nicht sicher genug um mich vor meiner Abreise bestimmt und deutlich zu erklären, so könne er sich <add place="above">andrerseits<name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add> nicht entbrechen mir unter den Fuß zu geben.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_38fe3c67-1128-48bb-8829-66ed09f72a62" xml:lang="de">unter den Fuß zu geben – Der Bräutigam trat nach der Trauung als Bekundung der Besitzergreifung auf den Fuß der Braut.</note> Daß wenn während meiner Abwesenheit eine passende Parthie sich darböte, auf solche allerdings unter diesen Umständen reflektirt werden müßte. Eine so ganz triviale Auf-<seg type="pagebreak">|4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg>fassung hätte wohl eine weniger begründete Neigung etwas irre machen können. Es hat mir in jedem Falle wehe gethan J. so wenig edler Umgebung anvertraut zu wissen.</p> <p>Nicht nur daß so Vieles gar nicht angeregt und angebauet wurde, der zarteste Schmelz jugendlicher Unbefangenheit und Wahrhaftigkeit leider wohl schon verwischt worden <add place="above">ist<name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add>, das arme, träumerische Kind geht seinen Weg wie ich bemerken mußte, ohne irgend einen positiven sittlichen Halt, irgend Klarheit über sich, irgend höheres Bewustseyn erlangt zu haben. Wie kann da nicht ein an sich noch so reines und wahres, aber äußeren Einflüßen und Eindrücken eben durch den Mangel eines eigentlichen Stützpunktes leicht verfallendes Gemüth, und wäre es die edelste Natur, noch irre gemacht und gefährdet werden. </p> <p>Du siehst ich verhehle mir die Schattenseiten an dieser liebenswürdigen Erscheinung keineswegs, aber eben das betrübt mich, daß es mir nicht im geringsten hat gelingen wollen eigentlichen Einfluß auf sie, oder für sie auf ihre Umgebungen zu gewinnen. Was letztere betrifft, aus begreiflichen Gründen; bey J aber hatte im Anfang mein unglückseliges etwas ironisirendes Wesen eine mit Abneigung gemischte Entfernung hervorgerufen, die später in eine besondere Art von Scheu übergieng, der ich es zuschreiben muß, daß ich <hi n="2" rend="underline">nie</hi> <add place="above">es zu<name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add> einer ganz offenen vertraulichen Unterredung mit ihr habe bringen können, wenn gleich J. wie ich glaube, und sie selbst glaubt mich jetzt recht gerne hat, besonders <hi n="1" rend="underline">nach</hi> dem Carneval, besonders wenn sie kein neues Lied im Kopfe, besonders wenn sie keine sonstigen Abhaltungen hat.<seg type="pagebreak"> |5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg> Du siehst daß ich dem bösen und tückischem Dämon des Zweifels einigermaßen verfallen bin, und ich kann das wohl in gewißer Beziehung als eine Nemesis<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c55f8247-703d-4978-91c8-519940762824" xml:lang="de">Nemesis – in der griechischen Mythologie die Göttin des gerechten Zorns; hier: ausgleichende Gerechtigkeit. </note> betrachten. Da ich aber durchaus nicht wissen kann ob Du Dich irgend so versündigt hast, um die Nemesis solcher Confidencen,<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_7044a86c-12ca-48cc-ba6b-2f2ee7d085f3" xml:lang="de">Confidencen – Geständnisse, vertrauliche Mitteilungen; von frz. confidence.</note> die sogar in guten Stücken und ganz erträglichen Romanen, demjenigen der sie anhören muß immer etwas lästig sind, auf Dein Haupt geladen zu haben ist es Zeit daß ich sie <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_25f351e8-f0f3-407f-9d93-04611c7c814c">besse</del> beschließe und zu dem Sinne der langen Rede komme.</p> <p>Du hast J vor mir gekannt,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_59524104-4f9e-422d-b74c-a3624ee66999" xml:lang="de">Du hast J vor mir gekannt – Mendelssohn hatte Josephine Lang im Sommer 1830 während seines Aufenthalts in München auf der Reise nach Italien kennengelernt; vgl. Brief fmb-1830-08-08-02 (Brief Nr. 327) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy und Wilhelm Hensel in Berlin, Salzburg, 8. August 1830.</note> sie mit gänzlicher Unbefangenheit, sie täglich gesehen. Ich weiß recht wohl daß Du nur mit dem Talente zu thun hattest, indessen kann das Mädchen Dir nicht ganz fremd geblieben seyn. Sage mir lieber Freund! nach Deiner wahrhaften Ueberzeugung was Du glaubst daß ich zu hoffen, daß ich zu fürchten habe. Ich fühle sehr wohl das Gewagte dieser Bitte, und worinn ihr zu willfahren<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_0b9e7d90-3227-4e95-9c6d-725f50532a58" xml:lang="de">willfahren – jemandes Wunsch entsprechen.</note> mißlich, dennoch richte ich sie mit vollem Vertrauen an Dich, mit dem Vertrauen welches die Ueberzeugung giebt, daß wir uns in keinem Falle mißverstehen können. Es ist hier der Augenblick über meine Absichten etwas näheres zu sagen. Einem bestimmten Entschluße steht jener innere Zwiespalt, stehen äußere Verhältniße entgegen, welche letztere auch dann, wenn ich hier in Griechenland eine selbständige Stellung mir erwerbe, was zu versuchen so ziemlich in jedem Falle meine Absicht ist, auch dann noch Vorsicht und wohl eine lange Prüfungszeit mir auflegen, wenn ich keine Impietät<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_bbb922e6-7b22-4b83-8699-8b0b45142240" xml:lang="de">Impietät – Mangel an Pietät; von lat. impietas.</note> begehen will. Die äußeren Verhältniße werden sich bis zu einem gewißen Punkte bald fixiren lassen, auch jenes<seg type="pagebreak"> |6|<pb n="6" type="pagebreak"></pb></seg> Räthsel mir gelöst, jener Zwiespalt gehoben werden, sey es auf bittere, sey es auf erfreuliche Weise. Und <hi n="1" rend="underline">dann</hi> soll mich nichts abhalten diesem guten, diesem lieben Kinde, dem meine ganze Seele jetzt schon gehört, mich ganz und gar zu geben; ein Tropfen Bewußtseyns wird diesem himmlischen <unclear reason="uncertain_reading" resp="FMBC">aehnungsreichem Gemüthe</unclear>, welches so reich, ohne es zu wissen so begabt ist, alles das geben was ihm noch fehlen kann. Ich habe bisher wenig Eindrücke erfahren, ich glaube nicht für viele gemacht zu seyn, und wäre ich endlich gemacht um einer Illusion zu verfallen, so sey es lieber dieser als einer andern; und soll nun jene Idee die ich mich schon gewöhnt hatte als die meines Lebens zu betrachten, und sollte sie <add place="above">auch<name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add> nicht realisirt werden so fühle ich doch in gleichem Maaße die Nothwendigkeit und das Bedürfniß <hi n="1" rend="underline">ihren</hi> Weg ihr zu erhellen und deutlicher zu machen.</p> <p>Ich habe trotz inneren Widerstrebens an <persName xml:id="persName_e3ec5e77-4ab6-4078-bffb-55c0c1ddf356">S.<name key="PSN0115136" style="hidden" type="person">Stieler, Joseph Karl (1781-1858)</name></persName> geschrieben, wozu ich übrigens passende Veranlaßung hatte, so einfach und sorglos als möglich, in dem Styl unsrer gewöhnlichen Gespräche, um an dem Verhältniße wie ich es zurückließ so wenig zu rücken und zu ändern als möglich, und muß es nun auf seine Antwort ankommen lassen ob sich irgend ein Heil aus einer solchen <gap quantity="1" reason="uncertain_reading" unit="words"></gap> erwarten läßt. Du lieber <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_d6f689d3-9929-4842-ac8f-00d4565f8cea"> <sic resp="writer">Mendelsohn</sic> <corr resp="editor">Mendelssohn</corr> </choice>! bist glaube ich der einzige der Einfluß genug hätte um, wenn, wie ich nicht zweifle Dich Dein Weg bald wieder nach dort führen sollte, vieles Schädliche abhalten, wirklichen reellen Nutzen stiften zu können. Die Aufgabe ich weiß es, ist Dir werth genug, und wärest <hi n="1" rend="underline">Du</hi> ihr nicht gewachsen so wäre sie nicht werth Dir werth zu seyn. Ein Asyl wie jenes in Frankfurt<seg type="pagebreak"> |7|<pb n="7" type="pagebreak"></pb></seg> hätte ich freilich in jeder Beziehung als das größte Glück angesehen, aber ob sich wohl daran noch wird denken lassen.? – </p> <p>Ich bin müde und matt, untüchtig zu jeder weiteren Mittheilung, weil ich nur zu deutlich fühle daß ich Viel geschrieben und wenig gesagt, wenig von dem ausgedrückt habe was ich so tief und so ganz fühle. Unter wünschenswerthen Verhältnißen, im Wirbel eines interessanten und großartigen Treibens, welches ausschließlich alle meine Kräfte begehrte, fühle ich es doch nur zu sehr, wie ihr bester Theil nach jener Richtung hin begehrt, in ihr von fruchtlosem Kampfe ermattend, Stumpfheit oder Ueberwitz mir abwechselnd zuführt, alles Aeußere mehr und mehr farb- und gestaltlos, todt, mir erscheint<seg type="closer">. Ich schließe. Du empfindest <hi n="1" rend="underline">mit</hi> dem Freunde, ich weiß es! Sehr <hi n="1" rend="underline">für</hi> ihn – und sey versichert seiner Dankbarkeit und Liebe</seg></p> <signed rend="right">WvEichthal</signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_b8c3b0ef-8781-4684-9b7c-140105d57f85"> <docAuthor key="PSN0110866" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_30136063-5b46-4540-84f0-0c97f796bf84">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110866" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_a8eb30d8-2a28-44c6-a8b3-1c329f485d51">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <head rend="left">PS <date cert="high" when="1833-05-25" xml:id="date_f80e5de1-82e2-4a8e-8139-40634487479e"><hi n="1" rend="underline">25. Mai</hi></date></head> <p style="paragraph_without_indent">Verzeihe dieses unverzeihliche Gekritzel was aber in ganz harmonischem Verhältniße zum Style steht</p> <p>Ueber die hiesigen Zustände läßt sich noch nicht viel Zusammenhängendes mittheilen, wenigstens nicht viel mehr als die Blätter schon mitgetheilt haben. Zudem ist die Aufgabe der Regentschaft<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_370b6754-91d1-4478-9e00-0fbe5c84819e" xml:lang="de">die Aufgabe der Regentschaft – Am 8. März 1832 wurde Otto Prinz von Bayern zum König von Griechenland erklärt; er zog am 30. Januar 1833 in Nauplion ein. Zunächst übernahm für den noch minderjährigen König eine bayerische Regentschaft die Staatsgeschäfte. Diese bestand aus drei ordentlichen und zwei stellvertretenden Räten: Joseph Ludwig Graf von Armansperg (Regentschaftspräsident), Georg Ludwig von Maurer, Carl Wilhelm Heideck sowie Carl August Ritter von Abel und Johann Baptist von Greiner.</note> so groß sie auch ist doch nur eine vorbereitende, und die eigentliche <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_bd2b1a5d-406c-4d70-bb91-143d40d32b99"> <sic resp="writer">Physionomie</sic> <corr resp="editor">Physiognomie</corr> </choice> des Landes wird man doch nur immer bey dem wirklichen Regierungs-Antritte des <persName xml:id="persName_b43c7e97-c53b-491c-b36d-9ec6c9679865">Königs<name key="PSN0111536" style="hidden" type="person">Griechenland, Otto I. Friedrich Ludwig von (1815-1867)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_de48b306-20aa-4fa2-a93b-5eb275c8cf23" xml:lang="de">des Königs – Griechenland, Otto I.: PSN0111536. bey dem wirklichen Regierungs-Antritte des Königs – König Otto I. regierte Griechenland ab dem 1. Juni 1835 souverän von Athen aus. </note> kennen lernen. Ich glaube übrigens daß die Regentschaft in der kurzen Zeit ihres Hierseyns schon viel gethan und namentlich einen sehr richtigen Takt an den Tag gelegt hat. Die Bestrebung eines durch Geist und Charakter eminenten Staatsmannes wie <persName xml:id="persName_14d2aa5c-2e98-4166-96fc-1a9af80e4c5b">Graf Arp<name key="PSN0116066" style="hidden" type="person">Armansperg, Joseph Ludwig (1787-1853)</name></persName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_230ca5e1-29d4-48bc-bce8-c5037f084b93" xml:lang="de">Graf Arp – Der Staatsrat Joseph Ludwig Graf von Armansperg war seit dem 5. Oktober 1832 der Präsident der Regentschaft des Königs Otto I.</note> und so höchst ausgezeichneter Geschäftsmänner wie <persName xml:id="persName_655a6418-7d2f-4163-a46b-411ed6188727">v. Abel<name key="PSN0116016" style="hidden" type="person">Abel, Carl August (1788-1859)</name></persName><seg type="pagebreak"> |8|<pb n="8" type="pagebreak"></pb></seg> und <persName xml:id="persName_b627d65a-b7ca-4c2d-8044-6b5f0f6aa330">Greiner<name key="PSN0116868" style="hidden" type="person">Greiner, Johann Baptist von (1781-1857)</name></persName> tragen schon erfreuliche Früchte, was niemand läugnen wird, der Griechenland jetzt sieht und es vor 3 Monaten gesehen hat. </p> <p>Die Hauptschwierigkeit wird für die Zukunft in den Finanzen liegen, und von der Lösung der Finanz-Frage die schwierig doch nicht unmöglich erscheint, wird Alles Übrige abhängen. Insoweit ich mich bis jetzt habe orientiren können, finde ich in dieser Nation noch einige Spuren ihres ehemaligen Charakters, nur sind es leider nicht eben die besseren Elemente die man darin erkennen kann, und es wird eine sittliche Rehabilitation, bey der beynahe durchgängigen Demoralisation der höheren, der bedauernswerthen Unwissenheit, Bigotterie<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_d8d3c71f-b76b-41ac-87b2-1ec6b407031d" xml:lang="de">Bigotterie – frz. bigoterie, Frömmelei.</note> und Armuth der niederen Classe noch schwieriger seyn, und noch langsamer vor sich gehen als eine politische. Uebrigens fehlt es nicht an günstigen Elementen für beides; dieses Volk ist außerordentlich schnell auffassend und talentvoll, und Männer so wie <persName xml:id="persName_abf78adb-7545-4747-b06f-460ace7fd602">Maurocordato<name key="PSN0117533" style="hidden" type="person">Mavrokordatos (Maurocordatos), Alexandras (Alexandros) Nikolaou Fürst von (1791-1865)</name></persName> und <persName xml:id="persName_bf708c27-93a0-465c-a971-3c9e3dc15131">Koletti<name key="PSN0117280" style="hidden" type="person">Kolettis, Ioannis (1774-1847)</name></persName> wären gemacht um überall eine Rolle zu spielen. In dem Augenblicke da ich dieses schreibe steckt der <persName xml:id="persName_04dfe841-6bad-4bb3-b632-4d03b1eaf987">König<name key="PSN0109721" style="hidden" type="person">Bayern, Ludwig I. Karl August von (1786-1868)</name></persName>, in Gesellschaft des <persName xml:id="persName_02997327-59a6-40f7-8dc5-c7565be45dbb">Kronprinzen von Bayern<name key="PSN0109726" style="hidden" type="person">Bayern, Maximilian Joseph II. Kronprinz von (1811-1864)</name></persName> und sämtlicher Mitglieder der Regentschaft<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_cc6cce19-9916-4af4-91f9-4d4113320b8d" xml:lang="de">sämtlicher Mitglieder der Regentschaft – Joseph Ludwig Graf von Armansperg (Regentschaftspräsident), Georg Ludwig von Maurer, Carl Wilhelm Heideck sowie Carl August Ritter von Abel und Johann Baptist von Greiner. Siehe Kommentar zu Z.: die Aufgabe der Regentschaft.</note> in Athen und <placeName xml:id="placeName_cf9aaf1a-3d4d-4c40-b9bc-841afc528cef">Korinth<settlement key="STM0103487" style="hidden" type="locality">Korinth</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, um sich von den Lokal-Verhältnißen zu unterrichten, und zur Entscheidung der Frage zu gelangen ob die Hauptstadt in Athen oder irgend einem Punkte des Isthmus<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_b3b4d5f7-21e8-4239-9f9a-ac431273e2d1" xml:lang="de">Isthmus – griech. ἰσθμός (isthmós), die Landenge bei Korinth.</note> seyn soll.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_293648b6-6bae-4124-a45d-2ee47515ff6a" xml:lang="de">ob die Hauptstadt in Athen … seyn soll – Athen wurde am 30. September 1834 per Dekret zur neuen Hauptstadt Griechenlands erklärt.</note> Man hat sehr wichtige Gründe für den Isthmus, einige Vorliebe für <placeName xml:id="placeName_1d6d6119-816a-49d5-adf5-3e865640aef0">Athen<settlement key="STM0103486" style="hidden" type="locality">Athen</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> und so ist alles auf diese Entscheidung gespannt der ich übrigens doch nicht persönlich beywohnen wollte, um mir den ersten Eindruck von A. nicht durch diese Menschenmasse verderben zu lassen.</p> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_b4fc0bdb-befd-4467-be06-4a7ee7b03064"> <p>Der Seriosität wegen schicke ich Dir die griechischen Noten<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_cb6266b3-a1d7-4226-8aa3-63a8a6560eb2" xml:lang="de">die griechischen Noten – vielleicht die griechische Musikterminologie in GB-Ob, M.D.M. d. 30/211b. </note> mit, aus welchen Du nicht klug werden wirst, da die Griechen selbst nicht mehr alle Zeichen verstehen. Sehr subtil finde ich die Eintheilung in auf- und absteigende Noten, durch diese wird z. B. der Sänger ermächtigt mit der Stimme <hi n="1" rend="underline">hinauf</hi> oder <hi n="1" rend="underline">hinunter</hi> zu gehen ohne daß ihm etwas <hi n="1" rend="underline">näheres</hi> vorgeschrieben würde. Vielmehr bleibt das ganze seiner Distinction<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_a6428347-9001-48fc-ad0a-6b051c540c49" xml:lang="de">Distinction – Unterscheidung; von lat. distinctio.</note> überlassen. Ich verdanke dieses Werk dem kleinen <persName xml:id="persName_7bea2c77-b3f2-442f-9329-d2e83d9e054d">Ascher<name key="PSN0109552" style="hidden" type="person">Ascher, August (-1837)</name></persName> der als <hi n="2" rend="underline">Hofpianist</hi> hier ist (wie <hi rend="latintype">Lucus a non Lucendo</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_599f8159-39bf-4920-a764-ff66fc8a4416" xml:lang="la ">Lucus a non Lucendo – antike Antiphrasis: »lucus« (der Hain) ist nicht von »lucendo« (leuchtend) abzuleiten; im vorliegenden Falle bedeutet dies: Die Stellung Aschers als Hofpianist entspricht nicht dessen musikalischen Fähigkeiten.</note> kömmt mir das vor) Ich fürchte daß er einige Weltkenntniß hier erwerben, dafür aber sein bischen Klavier einbüßen wird, er empfiehlt sich übrigens vielmals <add place="margin">Deiner Huld. Lasse mich, lieber <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_265488fe-fb88-4dc0-9a53-fc5656cb2d31"> <sic resp="writer">Mendelsohn</sic> <corr resp="editor">Mendelssohn</corr> </choice>, doch auch Einiges von Deinem Treiben und Deinen Planen<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_6c0a87bd-49f9-4cd7-b4df-485482cfa77c" xml:lang="de">Planen – veraltete Form von »Plänen«.</note> wissen, und wenn Du mir glauben willst so komme auf einen Sprung, um unser türkisch griechisches Idyllenleben etwas in der Nähe anzusehen. Wenn Du aber länger als ein Jahr bleiben willst, so bringe eine Frau mit, sonst kann es einem Deutschen in der Länge hier nicht <gap quantity="1" reason="uncertain_reading" unit="words"></gap> seyn.<name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add></p> <dateline rend="right"><date cert="high" when="1833-05-25" xml:id="date_89a4eb14-d6d6-45e9-bf27-6da80e0aec20">25. Mai 1833</date></dateline> </div> <div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_1c12da9f-8198-4be9-baba-5df9e3942c09"> <docAuthor key="PSN0110866" resp="author" style="hidden" xml:id="docAuthor_e7163f8d-3ce6-4624-a984-45ec80f89649">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110866" resp="writer" style="hidden" xml:id="docAuthor_4a047e41-9fdb-42ed-9488-49fcd87d14b1">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent"><add place="margin">Wenn Du an mich schreibst so wolle Dich folgender <choice resp="editor" source="autograph_edition_template" xml:id="choice_d1d831b2-e2db-443e-b123-c2fd5f2f5413"> <sic resp="writer">Addresse</sic> <corr resp="editor">Adresse</corr> </choice> bedienen. An Hr. WE+<ref target="#fn1" type="Footnotes_reference" xml:id="fnr1">+</ref> mit Brief an <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_8d737228-52f7-429e-ab4c-bcac38ab8094">v. Hoeslin, Springer & Compagnie<name key="PSN0117086" style="hidden" type="person">Hößlin, Springer & Comp., Handels- und Reedereiunternehmen in Triest</name></persName></hi> in <hi rend="latintype">Triest</hi> <name key="PSN0110866" resp="writers_hand" style="hidden">Eichthal, Wilhelm (seit 1814) Freiherr von (1805-1847)</name></add></p> </div> <div type="footnotes_area" xml:id="div_06446c45-1192-4ba3-abd5-105b3f1623ff"> <note n="+" subtype="author" target="fnr1" type="footnote" xml:id="fn1">Zur Vermeidung eines Irrthumes da <persName xml:id="persName_b30f5f37-132a-4ca1-96bc-c355f7b57b9f">mein Bruder<name key="PSN0116619" style="hidden" type="person">Eichthal (vorh. Seeligmann), August (seit 1814) Freiherr von (1795-1875)</name></persName> in <hi rend="latintype"><placeName xml:id="placeName_6529ad8e-af85-4bb7-b387-75125a73d844">Triest<settlement key="STM0103483" style="hidden" type="locality">Triest</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName></hi> ist schreibe d Vornamen „Wilhelm“ und Attaché bey der Regentschaft.</note> </div> </body> </text></TEI>