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gb-1830-07-07-01

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Eduard Devrient an Felix Mendelssohn Bartholdy in München <lb></lb>Berlin, 27., 30. Juni und 7. Juli 1830 Endlich, endlich komme ich zum Schreiben, ich habe lange nicht still gesessen nun aber will ich Dir auch viel und lang erzählen, denn das ist es doch wol wonach Du in diesem Briefe aussiehst. Deine Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) Felix Mendelssohn Bartholdy an Eduard Devrient in Berlin; Berlin, Anfang April 1830 unbekannt Devrient, Philipp Eduard (1801-1877)Devrient, Philipp Eduard (1801-1877) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
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Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 28/43. Autograph Eduard Devrient an Felix Mendelssohn Bartholdy in München; Berlin, 27., 30. Juni und 7. Juli 1830 Endlich, endlich komme ich zum Schreiben, ich habe lange nicht still gesessen nun aber will ich Dir auch viel und lang erzählen, denn das ist es doch wol wonach Du in diesem Briefe aussiehst. Deine

2 Doppelbl.: S. 1-8 Brieftext.

Eduard Devrient

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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

27., 30. Juni und 7. Juli 1830 Devrient, Philipp Eduard (1801-1877)counter-resetDevrient, Philipp Eduard (1801–1877) BerlinDeutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) MünchenDeutschland deutsch
Devrient, Philipp Eduard (1801–1877) Devrient, Philipp Eduard (1801–1877) Berlin d 27t Juny 1830 Guten Tag Leibgeber<name key="PSN0114173" style="hidden" type="author">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763–1825)</name><name key="CRT0110458" style="hidden" type="literature">Blumen-, Frucht- und Dornenstükke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel</name>!Leibgeber – Figur aus Jean Pauls Roman Blumen-, Frucht- und Dornenstükke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel, 3 Bde., Berlin 1796/97.

Endlich, endlich komme ich zum Schreiben, ich habe lange nicht still gesessen nun aber will ich Dir auch viel und lang erzählen, denn das ist es doch wol wonach Du in diesem Briefe aussiehst. Deine <name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name> <name key="fmb-1830-03-30-01" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Eduard Devrient in Berlin; Berlin, nach dem 29. März 1830</name> Briefe <name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name> <name key="fmb-1830-04-07-01" style="hidden" type="letter">Felix Mendelssohn Bartholdy an Eduard Devrient in Berlin; Berlin, Anfang April 1830</name> habe ich gelesen und mich Deiner gefreut, reise glücklich und mache den Leuten viel Musik vor, lasse Dich viel feiern von Berühmten und Unberühmten, vergiß aber nicht daß daheim auch Leute sind, die Dich mindestens nicht minder goutiren, wenn sie auch abschreckend trockene Gesichter dazu schneiden.

Doch zurück zur Geschichte. Bekanntlich besuchte ich HamburgHamburgDeutschland,Bekanntlich besuchte ich Hamburg – Eduard Devrient gastierte im Mai 1830 an der Hamburger Oper. Er spielte u. a. am 12. Mai den Orest in Christoph Willibald Glucks Oper Iphigénie en Tauride (Therese Devrient, Jugenderinnerungen, Stuttgart 1905, S. 336). das Uebrige weißt Du so ziemlich, Du kennst diesen Platz, ich genoß Alles, beefstaeks und Austern, Alsterbassin und Hafen, die ElbeElbeDeutschland bei klarem Windstillen Wetter bis nach BlankeneseBlankeneseDeutschland hinunter, einzig, einzig! Die schönen, stolzen zierlichen Schiffe mit der herübergezeichneten Takelage machen die prächtigste Staffage überall, bald vor Anker, bald schiefliegend sich am Unterleibe ausflicken lassend, dann mit vollen Segeln, mit der Fluth und dem Abendwinde heraufrauschend, kurz ich bleibe mein Lebenlang davon entzückt. Von Musik ist freilich wenig zu reden. –

Devrient, Philipp Eduard (1801–1877) Devrient, Philipp Eduard (1801–1877) d 30t

Gott weiß ich komme noch zu nichts Gescheutem, zum Schreiben an Dich am Wenigsten, jetzt störte mich wieder eine schöne goldene Uhr, die ich von der Kaiserin v RusslandRussland, Alexandra Fjodorowna (Aleksandra Fëdorovna) von (1798-1860) be läch kommen habe und lächerlicher Weise für Verse von mir,Verse von mir – Friedrich Wilhelm III. von Preußen lud am 6. und 7. Juni 1830 seine königlichen Sänger, darunter Eduard Devrient, sowie Henriette Sontag für Musikaufführungen nach Fischbach in Schlesien ein. Die Königsfamilie nutzte das dortige Schloss als Sommerresidenz. Zum Empfang der russischen Kaiserin hatte Devrient deutsche und italienische Verse gedichtet und vertont. (Redern, Unter drei Königen, S. 121, Anm. 515). ich erzähle Dir aber Alles in Ordnung. Nun mußte ich aber Dankschreiben für sie und Andre mühsam zusammenstoppeln, dann kann ich mich von der Ausführung der Skizzen in meinem Reisezeichenbuche gar nicht losmachen, kurzum erst jetzt bin ich wieder mit der |2| Feder bei Dir. In Hamburg also habe ich mich sehr ergötzt, ThereseDevrient, Marie Therese (1803-1882) war ja bei mir, in meines BrudersDevrient, Gustav Emil (1803-1872)Barbier – Titelpartie in Il barbiere di Seviglia, Oper von Gioachino Rossini. Haus war ich heimisch und jede unbehagliche Leerheit und Einsamkeit in einer fremden Stadt blieb von mir fern. Mein Gastspiel wirkte, wie Du es vorausgesagt, als Barbier<name key="PSN0114299" style="hidden" type="author">Rossini, Gioachino Antonio (1792–1868)</name><name key="CRT0110573" style="hidden" type="music">Il barbiere di Siviglia ossia L’inutile precauzione</name> gefiel ich sehr, den Orest<name key="PSN0111405" style="hidden" type="author">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714–1787)</name><name key="CRT0111401" style="hidden" type="music">Iphigénie en Tauride GluckWV 1.48</name>Orest – Partie in der Oper Iphigénie en Tauride von Christoph Willibald Gluck. achtete man kalt, der Don Juan<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110089" style="hidden" type="music">Don Giovanni KV 527</name> wirkte wieder namentlich der Schluß ebenso Figaro<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110123" style="hidden" type="music">Le nozze di Figaro KV 492</name> welche Oper leider etwas schwach besucht war. Mit dem Resultat bin ich sehr zufrieden zumal wenn ich die Verkehrtheiten betrachte, welche der Geschmack der guten Hamburger macht, wir hatten darüber viel zu lachen und manches zu ärgern, beim HerkulesHerkules – Rolle in Christoph Willibald Gluck Oper Alceste. es ist doch in Berlin am Besten, wenn es auch schlecht genug ist.

Uebrigens machte ich beim Orest die alten von Dir gerügten Fehler, ich übernahm mich anfangs. Der dritte Akt gelang mir sehr nur die Tölpelhaftigkeit des PyladesPylades – Freund des Orest. verdarb meine Lieblingsstelle, wo Orest wüthet „weiß Du denn nicht“ usw, als ich niederstürtzte und er mich zu unterstützen kam, fiel er nicht nur mit mir, sondern er kam auf mir zu reiten und mußte förmlich wieder von mir absteigen. Der Applaus wandelte sich hier natürlich in verbissenes Lachen, ich verdachte es den Leuten daß sie nicht laut wieherten. Im letzten Akt entzückte ich meine Frau. – Die Furienscene im 2t Akte wirkte mit meinem einfacheren Arrangment außerordentlich. – Nun also wir reisten zurück hatten ein paar mal bei HeineHeine, Salomon (1767-1844) gegessen, der uns sehr gefiel kaum hier angekommen mußte ich wieder nach SchlesienSchlesienDeutschlandmußte ich wieder nach Schlesien – siehe Kommentar zu Z.: Verse von mir. in widerwärtiger Comödiantengesellschaft, glaube mir diese Leute, und es waren nicht die Schlechtesten, sind unglaublich lumpig, roh und schäbig, es beschämte mich oft dazu zu gehören, und sie störten mir manchen Genuß. Das Gebirge hat mir ungeheuer gefallen, |3| der große Kamm desselben ist wunderschön, wir wohnten in der schönsten Gegend auf Schloß Lomnitz,wohnten in der schönsten Gegend auf Schloß Lomnitz – Devrient wohnte nicht im Fischbacher Schloss, sondern im benachbarten Schloss Lomnitz das uns der Besitzer fast ganz eingeräumt hatte. Vom AltanAltan – balkonartiger Vorbau am oberen Geschoss eines Hauses. aus hatten wir den Blick auf das Dorf, das eine halbe Stunde lang sich hindehnt, darüber baut sich Berg auf Berg bis zur Koppe und dem langen Berge mit seinen blinkenden Schneegruben: Etwas appetitlicheres, als diese Schneeflecken auf den Bergen, kann man nicht sehen, ich jauchzte als ich auf der Hinreise vom Kapellenberge zum erstenmale den gGroßen Kamm und den Blick auf das Hirschberger Thal hatte, und wollte es lange nicht glauben, daß ich wirklich die Ehre hätte, Schnee auf den Begen zu sehen. Als wir Abends von Hirschberg aus unsrem Bestimmungsorte zufuhren, erblickte ich auf der Höhe eines dunklen Berges, der aus dem Nebel aufduckte plötzlich ein leuchtendes Meteor, und noch mehr wunderte ich mich, als ringsum alle Berge, die das FischbacherFischbachDeutschland Thal umstellen sich mit solch rothglühenden Sternen schmückten ich erkannte daß es Feuerzeichen seien zur Ehre der KaiserinRussland, Alexandra Fjodorowna (Aleksandra Fëdorovna) von (1798-1860) welche ebenfalls an diesem Tage angekommen war, aber diese Feier rührte mich, dazu hatten wir die ganze Länge des Thales allarmirt gefunden, Alles geschmückt, überall Blumen und grüne Zweige, kurz ich gerieth in aristokratisch, servile Entzückung und schwor: auch wir müßten auf frischer That mitfeiern. Eine Serenade von unsren vier Männerstimmen ward der Kaiserin zu bringen beschlossen, in Lomnitz angekommen, versuchten wir unsre Musikalien durch und ich fand endlich eine passabel klingende Musik wozu ich am nächsten Vormittage in Fischbach, hinter der Schenke auf einer Anhöhe sitzend, welche mir den Blick über das Dorf auf die Koppe gab, ein paar Verse machte. Die Glocken läuteten, es war Sonntag und der Hof ging in die Kirche, alles wimmelte von lauter Bauerntrachten, von dem Staat der herzugeströmten Leute aus den umliegenden Städten, welche 10 und 12 Meilen entfernt, herkamen |4| die allerhöchsten Gesichter zu sehen, rechts auf dem Anger standen hunderte von Wagen, Schankzelte usw kurz es war ein so frisches, festliches Leben, wie ich noch nie gesehen und mein Gedicht hätte müssen prächtig werden – natürlich aber wurde es lumpig. Indeß Abends erstigen wir den Altan am Speisesaal und sangen es, die Kaiserin war sehr gnädig, alle hohen und höchsten Herrschaften benahmen sich huldreichst und meine Verse, welche Redern in Abschriften mitgetheilt hatte, wozu sie wahrlich nicht bestimmt waren, wurden sehr gepriesen, vom KronprinzenPreußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840) exellentt, scharmant gefunden, kurz ich fing an in diesen ersten Tagen, zu gelten, nämlich bevor die SonntagSontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854) kam. Auch der KönigPreußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840) sagte mir am Andren Tage das Gedicht mache mir große Ehre, man hatte auch erfahren daß ich zeichne, Gott weiß von wem, und befragte mich darum, kurz o Felix wäre die Sonntag nicht dazwischen gekommen, ich wäre Hofrath und Exellenz geworden. Eine schöne goldne Uhr habe ich von der Kaiserin für diese Verse erhalten. Warum bezahlen diese Leute wol jede kleine Aufmerksamkeit? aus eitler Freude oder aus Stolz? Alle Abend gab es nun Musik in Fischbach ich debütirte mit der beliebten Aria vom Hopserschritt und Dudelsack<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_dwijd7ex-llbw-rrao-pcqu-lwhwmoelebxb"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100325" style="hidden">Aus der Fremde (»Heimkehr aus der Fremde«), Ein Liederspiel, [September 1829] bis 19. Dezember 1829<idno type="MWV">L 6</idno><idno type="op">89</idno></name>,der beliebten Aria vom Hopserschritt und Dudelsack – Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). Du errinnerst Dich ihrer vielleicht. Da es zum Verständniß dieser Aria mir nothwendig schien, die Person zu kennen, welche sie singt, die Lage und die Veranlassung so machte ich ein paar Worte Rezitativ davor, erschrick nicht, lache auch nicht zu sehr, ich hatte Recht und setzete zu Deiner Belustigung diese Probe der Vielseitigkeit meines Talentes hieher.

Noten: GB-Ob, M.D.M. d. 28/43, fol. 2v. Notennotat von Eduard Devrient: Einleitendes Rezitativ zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). Textübertragung: »sagt an, wie könnt’ es ohne mich gelingen, in diesem Dorf ein Fest zu Stand zu bringen, wer ist hier maitre de plaisir, wer arrangirt die Tanzparthie? habt ihr Feuerwerk«.

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Noten: GB-Ob, M.D.M. d. 28/43, fol. 3r. Eduard Devrient: Einleitendes Rezitativ zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). Textübertragung: »Luftballon, Pauken, Trompeten, Raketen? Gar nichts habt’ ihr, gar nichts habt’ ihr, es fehlt am Allerbesten, und ohne mich wird nichts aus euren Festen«.

Die Aria gefiel sehr, es fragte mich Mancher über den ComponistenMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) und ich hatte Gelegenheit Manches zu antworten, auch mit WitzlebenWitzleben, Karl Ernst Job Wilhelm von (1783-1837), der wichtigsten Musikautorität sprach ich über den jungen Componisten, von dem er, wie er sagte, dergl. frische und muntre Musik noch nicht erwartet habe, da man ihr bisher immer die ernste Schule sehr angemerkt habe, und er verspricht sich viel von dem jungen Manne, wenn er aus der Fremde mit abgelaufenen Hörnern zurückkehren wird. An einem späteren Abend sang BaderBader, Karl Adam (1789-1870) die Abendglocken<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_bq9wobw9-rmwu-x1jt-wckk-d7nvr0onqf5y"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100325" style="hidden">Aus der Fremde (»Heimkehr aus der Fremde«), Ein Liederspiel, [September 1829] bis 19. Dezember 1829<idno type="MWV">L 6</idno><idno type="op">89</idno></name>,die Abendglocken – Lied des Hermann »Wenn die Abendglocken läuten«, Nr. 5 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). obschon nicht ganz so schön wie ManziusMantius, Eduard (1806-1874), doch auch schön, namentlich den Soldaten. Ebenfalls sehr beifällig aufgenommen, Prinzeß Elise RadzivilRadziwill (Radziwiłł), Friederike Luise Marthe Elisabeth (Elisa) Prinzessin (1803-1834) hat sich jetzt nach unsrer Rückkehr das Lied ausbitten lassen. Ferner hatte ich den Plan das Terzett aus adas Terzett aus a – Terzett Lisbeth, Hermann, Kauz »O wie verschweig ich« in A-Dur, Nr. 6 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89. mit der Sonntag zu singen, es wurde ihr aber ein wenig mühsam genau zu studiren, auch meinte man es sei zu sehr heraus gerissen aus dem dramatischen Verständniß, ebenso ging es mit der Nachwächtersceneder Nachwächterscene – Lied des Kauz »Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen« und Duett Hermann, Kauz »Heraus! zu Hülf! Verrath und Mord«, Nr. 9 und Nr. 10 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89. und der Einwand ist wol auch nicht ohne Grund, genug ich mußte mich mit den zwei Liedern begnügen. Weiter kamen wir wenig oder gar nicht zum einzelnsingen, da am dritten Tage die Sonntag mit Rossini, MerkadanteMercadante, Giuseppe Saverio Raffaele (1795-1870) uswusw anrückte, auch die Concerte immer kurz waren. Ubrigens lebten wir flott, fuhren so viel als möglich spazieren waren mit den Hochgefeierten am Kochelfall und auf d. Prudelberge, sahen den Kynast und vieles Andre, was alles wunderschön war und in meinem Zeichenbuche steht, wir führten auch zweimal Adolph und Clara von d’Allerac<name key="PSN0116480" style="hidden" type="author">Dalayrac (d’Alayrac), Nicolas-Marie (1753–1809)</name><name key="CRT0111557" style="hidden" type="music">Adolphe et Clara ou Les Deux Prisonniers</name> auf, das Theater dazu ward im Fischbacher Saale aufgeschlagen. Somit hätte ich Dir alles erzählt was Dich möglicherweise an meinen Reisen interessiren kann, hat es Dir lange Weile gemacht, so kann ich nichts dafür, meine innerliche Herzensfreude an jeder Bergbeleuchtung, jedem Blitz und Donner, jedem Sonnenstreifen auf grünen Wiesen und was es weiter für wunderbare Herrlichkeiten giebt, das kann ich nicht schreiben aber Du kannst es. Nun bin ich wieder daheim bei Weib und Kind und freue mich dessen wieder, Du siehst ich lebe nicht knapp.

4t.

6| Noch eine Fischbacher Neuigkeit ist die wirkliche Ernennung des Grafen RedernRedern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883) zum Intendanten,die wirkliche Ernennung des Grafen Redern zum Intendanten – Wilhelm Friedrich Graf von Redern wurde am 26. Juni 1830 zum Generalintendanten der Königlichen Schauspiele ernannt, nachdem er das Amt seit 1828 bereits interimistisch ausgeübt hatte (Redern, Unter drei Königen, S. 125 ff.). dieser sagte mir in einer langen Unterredung darüber, daß der KönigPreußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840) alle seine Wünsche erfüllt habe, er daher mit der gänzlichen Uebernahme des Postens nicht habe länger zögern können. Spontini’sSpontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851) Gewalt wird nun bestimmt wenigstens beschränkt, er ist auf 6 Monate verreist, nach Paris, Italien, wird auch in München sich aufhalten und gewiß, da er seine Abreise von Tag zu Tage verschoben, bis er Nachricht aus Fischbach hatte, sich bemühen dort vielleicht eine Stellung zu erhalten, zumal da König LudwigBayern, Ludwig I. Karl August von (1786-1868) sich ihm so gnädig gezeigt hat. Findet er aber nirgends eine ihm anständige Stellung, so bin ich gewiß, er kommt wieder hieher und nimmt mit der vorlieb die man ihm giebt.

Wie es nun wird, wenn Spontini abdankt, oder auch wenn er nun erster Kapellmeister bleibt, ist mir noch nicht deutlich, gewiß wird noch ein Dirigent engagirt werden, ich wollte Du wärest hier; ein besseren Moment gäbe es dann nie wieder für Dich. – Zwei Sängerinen fehlen uns aber, ich weiß nicht wie wir ohne SuccursSuccurs – lat. succursus, Hilfe, Unterstützung. den Winter hindurchkommen sollen, hast Du nichts gehört? wenn Du irgend ein Talent auf Deinen Reisen um die Welt bemerktest, schreibe es mir doch, Du weißt ja wie sie aussehen muß, das Fach der MilderMilder-Hauptmann, Pauline Anna (1785-1838) oder SchulzSchulz, Josephine (1790-1880) zu erfüllen. Was ist an der jüngeren SchechnerSchechner, Caroline? – Gestern habe ich eine Ernennung zum außerordentlichen Mitgliede der LiedertafelZeltersche LiedertafelBerlinDeutschland erhalten, diese Ehre kostet mich schändlicher Weise 13 rt die ich in meinem Leben nicht verschmerzen werde. Du siehst ich gerathe tief in die Philisterei, inDevrient, Philipp Eduard (1801–1877) diese Anstalten die mir so zuwider sind, kaufe ich mich gar mit schwerem Gelde ein, das ich offenbar meinen KindernDevrient, Anna Eleonore (1828-1839)Devrient, Carl Felix (1826-1907)Devrient, Gustav Julius (1829-1832) entziehe, werde nun allmonatlich mir einen Wein mit nehmen ins engl Haus, werde versuchen den Kellner um das Pfropfengeld zu prellen und zwischen jedem Gericht kaum an drei Liedern genug haben. ZelterZelter, Carl Friedrich (1758-1832) wird mich nächstens solennsolenn – von lat. solemnis, feierlich, festlich. einführen, mich harangirenharangiren – jemandem eine langweilige Rede halten. und antrinken, denn ich soll den Ehrenplatz des alten GernGern, Johann Georg (?-1830) einnehmen, ich werde mit manchem Hofrath auch in einigen wirklichen Geheimeräthen in Beziehung kommen, werde Gelegenheit nehmen von Fischbach und den dort erhaltenen Ehren zu sprechen, dabei merkbar mit der goldnen Kette meiner Kaiserl Uhr spielen, o Felix, ich will meine 13 rt gut anlegen. Denke ich aber daran, wie viel Pfannkuchen ich hätte für dies Geld essen können, so bricht dies Trugschloß zusammen und mein Auge umnebelt es. Aber ernsthaft zu reden, Felix warum bist Du von uns gegangen? Die Musik ist sogleich hinweggewischt wenn Du den Rücken kehrst. Warum vertrödelst Du die Zeit in fremder Herren Länder, läßt Dich wol vom Aetna anspeien, das kannst Du in der Stummen<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782–1871)</name><name key="CRT0107680" style="hidden" type="music">La Muette de Portici (auch: Masaniello) AWV 16</name> bei uns auch haben, auch Italiens Banditen<name key="PSN0109794" style="hidden" type="author">Bellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801–1835)</name><name key="CRT0108117" style="hidden" type="music">Il pirata</name> kommen zu uns, zu des Königs Geburtstagdes Königs Geburtstag – der Geburtstag von Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 3. August. geben wir <hi rend="latintype">fra diavolo</hi><name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782–1871)</name><name key="CRT0107674" style="hidden" type="music">Fra Diavolo ou L’Hôtellerie de Terracine AWV 18</name> von AuberAuber, Daniel-François-Esprit (1782-1871). Hier könntest Du Musik machen, Eierkuchen bei mir essen, mich matt setzen, meine Malereien loben, Kapellmeister werden und tausend |7| wichtige Sachen treiben. d 6t Ich habe Dir noch nicht gesagt, daß mir die Leute, das Volk, überall besser, viel besser gefallen haben, als hier. Alles was Natur ist, an Erde, Wasser, Bäume, Vieh und Menschen ist bey uns wirklich elend. Die Hamburger sind plump und grob aber gutmüthig, offen und freundlich, die Schlesier ausnehmend freundlich und gefällig und einfältig, sie haben mir sehr gefallen. Ihre Liebe zum Könige und zum Hofe ist kindisch rührend. Auf dem Wege fanden wir jeden Wegweiser, jeden Schlagbaum, der die preußischen Farben trug bekränzt, mit Zweigen besteckt. Am Tage da der Hof eine Spazierfahrt nach d. Kynast machte, adlso durch Hirschberg und Mariebrunn fahren mußte, war in diesen Städten ein Leben, als würde das Fest aller Heiligen gefeiert. Pforten von grünen Zweigen waren erbaut, die Häuser der Straßen, durch die der Hof fahren mußte, waren mit Blumen geschmückt an Fenstern und Thüren. Quer über die Straße hingen Blumenketten, an Thüren und Fenstern standen Freudeglänzend die Bewohner, die Schuljugend vom Schulmeister so eben dispensirt raste durch die Gassen. Wir fuhren nämmlich eine Stunde früher als d. Hof hindurch. Am Ende der Stadt in einer engen Gasse, sah ich an einem niedren Fenster, – ein Vogler mußte in dem Hause wohnen – unter Blumenkränzen auf einer Stange drei Staarmätzchen ausgestellt, die mit goldpapiernen Halskragen geschmückt, sehr verdrießlich zusammengekauert dasaßen. Dies hat mir gefallen als ob ich es in einem Buche von Jean PaulRichter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763-1825) läse. – Doch Felix meine langweiligen Geschichten ermüden Dich wol und Du denkst ich hätte Dir was Besseres schreiben sollen, ich habe Dir auch wol viel zu sagen, Manches mitzutheilen und auszutauschen, was ich gedacht aber die Reise mit ihren bunten Bildern drängt sich noch immer vorn hinaus, und ihre Lustigkeit hält meine Weisheit nieder. Darum habe ich nun Alles hiehererzählt, – nächstens schreibe ich Dir auch daß es mir jetzt in Berlin enorm mißfällt – und bin nun fertig und mit Allem was mir geschehen ist, wieder nah an Dich herangerückt, nun schwatzen wir wieder und tummeln uns auf bekannten Feldern.

Hier ist der Ort um ein i n nerliches Leben zu führen, die Außenwelt ist so arm, daß man gern in sich einkehrt. Mich |8| langweilen diese graden, langen Kasernenartigen Straßen mit wenigen verdroßenen, gemeinen Gesichtern ungeheuer. Wie reitzend ist eine Hamburger Straße gegen die schönste des schönen Berlins. Alles Behäbigkeit, Wohlstand, Bequemlichkeit und Wahl der Bewohner, grüne Bäume vor den Thüren, die Giebel mit ihren krausen Linien heben das Mauerartige einer Straße auf, dann die vielen Spiegelhellen Fenstern mit Blumen und nun die vielen Menschen mit den satten Gesichtern, die hinundherlaufen und sich drängen. Doch ich merke, ich fange wieder an zu erzählen und Du weißt das ja Alles, aber am Ende wirst Du noch Berlin gegen mich vertheidigen müssen. – Daß FörsterFörster, Ernst Joachim (1800-1885) nicht in München ist, thut mir leid, ich hätte euch gern aneinandergebracht. d 7t. So will ich denn diese Epistel schließen, ich hoffe MarxMarx, Adolph Bernhard (1795-1866) nimmt sie Dir mit, der Dich zu treffen hofft.Marx … der Dich zu treffen hofft – Adolph Bernhard Marx besuchte Mendelssohn vom 19. Juli bis zum 7. August 1830 in München. Vgl. Mendelssohns Notizbuch, GB-Ob, M.D.M. g. 2, fol. 9r, und Brief fmb-1830-08-08-02 (Brief Nr. 327) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy und Wilhelm Hensel in Berlin, Salzburg, 8. August 1830. So lebe wohl, mein Junge für heut, vor Allem sey wohl und frisch, lege alle Nervenschwäche ab, die die elendeste Erfindung der neueren Zeit ist, mein Haus leidet auch daran.

Gedenke meiner, wie es Dir auch ergehn mag und behalte alle unsre Lieblingspläne lieb und im Auge. Wenn ich nicht auf eine bessre Opernzeit mehr hoffen kann, so muß ich wirklich ein Einsiedler werden. Leb wohl, und kannst Du schicke etwas Musik.

Eduard Devrient
Devrient, Philipp Eduard (1801–1877) Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)

15 Blätter in meinem Reisezeichenbuche habe ich schon ausgeführt, 28 sind noch übrig, urtheile wie ich pressirt bin. Zeichne nur recht viel, hörst Du? Zu einem Blatt für Dich aus unsrem Garten, kann ich noch gar keinen Blick wieder bekommen.

            Berlin d 27t Juny 1830 Guten Tag Leibgeber!
Endlich, endlich komme ich zum Schreiben, ich habe lange nicht still gesessen nun aber will ich Dir auch viel und lang erzählen, denn das ist es doch wol wonach Du in diesem Briefe aussiehst. Deine Briefe habe ich gelesen und mich Deiner gefreut, reise glücklich und mache den Leuten viel Musik vor, lasse Dich viel feiern von Berühmten und Unberühmten, vergiß aber nicht daß daheim auch Leute sind, die Dich mindestens nicht minder goutiren, wenn sie auch abschreckend trockene Gesichter dazu schneiden.
Doch zurück zur Geschichte. Bekanntlich besuchte ich Hamburg, das Uebrige weißt Du so ziemlich, Du kennst diesen Platz, ich genoß Alles, beefstaeks und Austern, Alsterbassin und Hafen, die Elbe bei klarem Windstillen Wetter bis nach Blankenese hinunter, einzig, einzig! Die schönen, stolzen zierlichen Schiffe mit der herübergezeichneten Takelage machen die prächtigste Staffage überall, bald vor Anker, bald schiefliegend sich am Unterleibe ausflicken lassend, dann mit vollen Segeln, mit der Fluth und dem Abendwinde heraufrauschend, kurz ich bleibe mein Lebenlang davon entzückt. Von Musik ist freilich wenig zu reden. –
d 30t Gott weiß ich komme noch zu nichts Gescheutem, zum Schreiben an Dich am Wenigsten, jetzt störte mich wieder eine schöne goldene Uhr, die ich von der Kaiserin v Russland lächkommen habe und lächerlicher Weise für Verse von mir, ich erzähle Dir aber Alles in Ordnung. Nun mußte ich aber Dankschreiben für sie und Andre mühsam zusammenstoppeln, dann kann ich mich von der Ausführung der Skizzen in meinem Reisezeichenbuche gar nicht losmachen, kurzum erst jetzt bin ich wieder mit der Feder bei Dir. In Hamburg also habe ich mich sehr ergötzt, Therese war ja bei mir, in meines Bruders Haus war ich heimisch und jede unbehagliche Leerheit und Einsamkeit in einer fremden Stadt blieb von mir fern. Mein Gastspiel wirkte, wie Du es vorausgesagt, als Barbier gefiel ich sehr, den Orest achtete man kalt, der Don Juan wirkte wieder namentlich der Schluß ebenso Figaro welche Oper leider etwas schwach besucht war. Mit dem Resultat bin ich sehr zufrieden zumal wenn ich die Verkehrtheiten betrachte, welche der Geschmack der guten Hamburger macht, wir hatten darüber viel zu lachen und manches zu ärgern, beim Herkules es ist doch in Berlin am Besten, wenn es auch schlecht genug ist.
Uebrigens machte ich beim Orest die alten von Dir gerügten Fehler, ich übernahm mich anfangs. Der dritte Akt gelang mir sehr nur die Tölpelhaftigkeit des Pylades verdarb meine Lieblingsstelle, wo Orest wüthet „weiß Du denn nicht“ usw, als ich niederstürtzte und er mich zu unterstützen kam, fiel er nicht nur mit mir, sondern er kam auf mir zu reiten und mußte förmlich wieder von mir absteigen. Der Applaus wandelte sich hier natürlich in verbissenes Lachen, ich verdachte es den Leuten daß sie nicht laut wieherten. Im letzten Akt entzückte ich meine Frau. – Die Furienscene im 2t Akte wirkte mit meinem einfacheren Arrangment außerordentlich. – Nun also wir reisten zurück hatten ein paar mal bei Heine gegessen, der uns sehr gefiel kaum hier angekommen mußte ich wieder nach Schlesien in widerwärtiger Comödiantengesellschaft, glaube mir diese Leute, und es waren nicht die Schlechtesten, sind unglaublich lumpig, roh und schäbig, es beschämte mich oft dazu zu gehören, und sie störten mir manchen Genuß. Das Gebirge hat mir ungeheuer gefallen, der große Kamm desselben ist wunderschön, wir wohnten in der schönsten Gegend auf Schloß Lomnitz, das uns der Besitzer fast ganz eingeräumt hatte. Vom Altan aus hatten wir den Blick auf das Dorf, das eine halbe Stunde lang sich hindehnt, darüber baut sich Berg auf Berg bis zur Koppe und dem langen Berge mit seinen blinkenden Schneegruben: Etwas appetitlicheres, als diese Schneeflecken auf den Bergen, kann man nicht sehen, ich jauchzte als ich auf der Hinreise vom Kapellenberge zum erstenmale den Großen Kamm und den Blick auf das Hirschberger Thal hatte, und wollte es lange nicht glauben, daß ich wirklich die Ehre hätte, Schnee auf den Begen zu sehen. Als wir Abends von Hirschberg aus unsrem Bestimmungsorte zufuhren, erblickte ich auf der Höhe eines dunklen Berges, der aus dem Nebel aufduckte plötzlich ein leuchtendes Meteor, und noch mehr wunderte ich mich, als ringsum alle Berge, die das Fischbacher Thal umstellen sich mit solch rothglühenden Sternen schmückten ich erkannte daß es Feuerzeichen seien zur Ehre der Kaiserin welche ebenfalls an diesem Tage angekommen war, aber diese Feier rührte mich, dazu hatten wir die ganze Länge des Thales allarmirt gefunden, Alles geschmückt, überall Blumen und grüne Zweige, kurz ich gerieth in aristokratisch, servile Entzückung und schwor: auch wir müßten auf frischer That mitfeiern. Eine Serenade von unsren vier Männerstimmen ward der Kaiserin zu bringen beschlossen, in Lomnitz angekommen, versuchten wir unsre Musikalien durch und ich fand endlich eine passabel klingende Musik wozu ich am nächsten Vormittage in Fischbach, hinter der Schenke auf einer Anhöhe sitzend, welche mir den Blick über das Dorf auf die Koppe gab, ein paar Verse machte. Die Glocken läuteten, es war Sonntag und der Hof ging in die Kirche, alles wimmelte von lauter Bauerntrachten, von dem Staat der herzugeströmten Leute aus den umliegenden Städten, welche 10 und 12 Meilen entfernt, herkamen die allerhöchsten Gesichter zu sehen, rechts auf dem Anger standen hunderte von Wagen, Schankzelte usw kurz es war ein so frisches, festliches Leben, wie ich noch nie gesehen und mein Gedicht hätte müssen prächtig werden – natürlich aber wurde es lumpig. Indeß Abends erstigen wir den Altan am Speisesaal und sangen es, die Kaiserin war sehr gnädig, alle hohen und höchsten Herrschaften benahmen sich huldreichst und meine Verse, welche Redern in Abschriften mitgetheilt hatte, wozu sie wahrlich nicht bestimmt waren, wurden sehr gepriesen, vom Kronprinzen exellett, scharmant gefunden, kurz ich fing an in diesen ersten Tagen, zu gelten, nämlich bevor die Sonntag kam. Auch der König sagte mir am Andren Tage das Gedicht mache mir große Ehre, man hatte auch erfahren daß ich zeichne, Gott weiß von wem, und befragte mich darum, kurz o Felix wäre die Sonntag nicht dazwischen gekommen, ich wäre Hofrath und Exellenz geworden. Eine schöne goldne Uhr habe ich von der Kaiserin für diese Verse erhalten. Warum bezahlen diese Leute wol jede kleine Aufmerksamkeit? aus eitler Freude oder aus Stolz? Alle Abend gab es nun Musik in Fischbach ich debütirte mit der beliebten Aria vom Hopserschritt und Dudelsack, Du errinnerst Dich ihrer vielleicht. Da es zum Verständniß dieser Aria mir nothwendig schien, die Person zu kennen, welche sie singt, die Lage und die Veranlassung so machte ich ein paar Worte Rezitativ davor, erschrick nicht, lache auch nicht zu sehr, ich hatte Recht und setzte zu Deiner Belustigung diese Probe der Vielseitigkeit meines Talentes hieher.

Die Aria gefiel sehr, es fragte mich Mancher über den Componisten und ich hatte Gelegenheit Manches zu antworten, auch mit Witzleben, der wichtigsten Musikautorität sprach ich über den jungen Componisten, von dem er, wie er sagte, dergl. frische und muntre Musik noch nicht erwartet habe, da man ihr bisher immer die ernste Schule sehr angemerkt habe, und er verspricht sich viel von dem jungen Manne, wenn er aus der Fremde mit abgelaufenen Hörnern zurückkehren wird. An einem späteren Abend sang Bader die Abendglocken, obschon nicht ganz so schön wie Manzius, doch auch schön, namentlich den Soldaten. Ebenfalls sehr beifällig aufgenommen, Prinzeß Elise Radzivil hat sich jetzt nach unsrer Rückkehr das Lied ausbitten lassen. Ferner hatte ich den Plan das Terzett aus a mit der Sonntag zu singen, es wurde ihr aber ein wenig mühsam genau zu studiren, auch meinte man es sei zu sehr heraus gerissen aus dem dramatischen Verständniß, ebenso ging es mit der Nachwächterscene und der Einwand ist wol auch nicht ohne Grund, genug ich mußte mich mit den zwei Liedern begnügen. Weiter kamen wir wenig oder gar nicht zum einzelnsingen, da am dritten Tage die Sonntag mit Rossini, Merkadante uswusw anrückte, auch die Concerte immer kurz waren. Ubrigens lebten wir flott, fuhren so viel als möglich spazieren waren mit den Hochgefeierten am Kochelfall und auf d. Prudelberge, sahen den Kynast und vieles Andre, was alles wunderschön war und in meinem Zeichenbuche steht, wir führten auch zweimal Adolph und Clara von d’Allerac auf, das Theater dazu ward im Fischbacher Saale aufgeschlagen. Somit hätte ich Dir alles erzählt was Dich möglicherweise an meinen Reisen interessiren kann, hat es Dir lange Weile gemacht, so kann ich nichts dafür, meine innerliche Herzensfreude an jeder Bergbeleuchtung, jedem Blitz und Donner, jedem Sonnenstreifen auf grünen Wiesen und was es weiter für wunderbare Herrlichkeiten giebt, das kann ich nicht schreiben aber Du kannst es. Nun bin ich wieder daheim bei Weib und Kind und freue mich dessen wieder, Du siehst ich lebe nicht knapp.
4t. 6| Noch eine Fischbacher Neuigkeit ist die wirkliche Ernennung des Grafen Redern zum Intendanten, dieser sagte mir in einer langen Unterredung darüber, daß der König alle seine Wünsche erfüllt habe, er daher mit der gänzlichen Uebernahme des Postens nicht habe länger zögern können. Spontini’s Gewalt wird nun bestimmt wenigstens beschränkt, er ist auf 6 Monate verreist, nach Paris, Italien, wird auch in München sich aufhalten und gewiß, da er seine Abreise von Tag zu Tage verschoben, bis er Nachricht aus Fischbach hatte, sich bemühen dort vielleicht eine Stellung zu erhalten, zumal da König Ludwig sich ihm so gnädig gezeigt hat. Findet er aber nirgends eine ihm anständige Stellung, so bin ich gewiß, er kommt wieder hieher und nimmt mit der vorlieb die man ihm giebt.
Wie es nun wird, wenn Spontini abdankt, oder auch wenn er nun erster Kapellmeister bleibt, ist mir noch nicht deutlich, gewiß wird noch ein Dirigent engagirt werden, ich wollte Du wärest hier; ein besseren Moment gäbe es dann nie wieder für Dich. – Zwei Sängerinen fehlen uns aber, ich weiß nicht wie wir ohne Succurs den Winter hindurchkommen sollen, hast Du nichts gehört? wenn Du irgend ein Talent auf Deinen Reisen um die Welt bemerktest, schreibe es mir doch, Du weißt ja wie sie aussehen muß, das Fach der Milder oder Schulz zu erfüllen. Was ist an der jüngeren Schechner? – Gestern habe ich eine Ernennung zum außerordentlichen Mitgliede der Liedertafel erhalten, diese Ehre kostet mich schändlicher Weise 13 rt die ich in meinem Leben nicht verschmerzen werde. Du siehst ich gerathe tief in die Philisterei, in diese Anstalten die mir so zuwider sind, kaufe ich mich gar mit schwerem Gelde ein, das ich offenbar meinen Kindern entziehe, werde nun allmonatlich mir einen Wein mit nehmen ins engl Haus, werde versuchen den Kellner um das Pfropfengeld zu prellen und zwischen jedem Gericht kaum an drei Liedern genug haben. Zelter wird mich nächstens solenn einführen, mich harangiren und antrinken, denn ich soll den Ehrenplatz des alten Gern einnehmen, ich werde mit manchem Hofrath auch in einigen wirklichen Geheimeräthen in Beziehung kommen, werde Gelegenheit nehmen von Fischbach und den dort erhaltenen Ehren zu sprechen, dabei merkbar mit der goldnen Kette meiner Kaiserl Uhr spielen, o Felix, ich will meine 13 rt gut anlegen. Denke ich aber daran, wie viel Pfannkuchen ich hätte für dies Geld essen können, so bricht dies Trugschloß zusammen und mein Auge umnebelt es. Aber ernsthaft zu reden, Felix warum bist Du von uns gegangen? Die Musik ist sogleich hinweggewischt wenn Du den Rücken kehrst. Warum vertrödelst Du die Zeit in fremder Herren Länder, läßt Dich wol vom Aetna anspeien, das kannst Du in der Stummen bei uns auch haben, auch Italiens Banditen kommen zu uns, zu des Königs Geburtstag geben wir fra diavolo von Auber. Hier könntest Du Musik machen, Eierkuchen bei mir essen, mich matt setzen, meine Malereien loben, Kapellmeister werden und tausend wichtige Sachen treiben. d 6t Ich habe Dir noch nicht gesagt, daß mir die Leute, das Volk, überall besser, viel besser gefallen haben, als hier. Alles was Natur ist, an Erde, Wasser, Bäume, Vieh und Menschen ist bey uns wirklich elend. Die Hamburger sind plump und grob aber gutmüthig, offen und freundlich, die Schlesier ausnehmend freundlich und gefällig und einfältig, sie haben mir sehr gefallen. Ihre Liebe zum Könige und zum Hofe ist kindisch rührend. Auf dem Wege fanden wir jeden Wegweiser, jeden Schlagbaum, der die preußischen Farben trug bekränzt, mit Zweigen besteckt. Am Tage da der Hof eine Spazierfahrt nach d. Kynast machte, dlso durch Hirschberg und Mariebrunn fahren mußte, war in diesen Städten ein Leben, als würde das Fest aller Heiligen gefeiert. Pforten von grünen Zweigen waren erbaut, die Häuser der Straßen, durch die der Hof fahren mußte, waren mit Blumen geschmückt an Fenstern und Thüren. Quer über die Straße hingen Blumenketten, an Thüren und Fenstern standen Freudeglänzend die Bewohner, die Schuljugend vom Schulmeister so eben dispensirt raste durch die Gassen. Wir fuhren nämmlich eine Stunde früher als d. Hof hindurch. Am Ende der Stadt in einer engen Gasse, sah ich an einem niedren Fenster, – ein Vogler mußte in dem Hause wohnen – unter Blumenkränzen auf einer Stange drei Staarmätzchen ausgestellt, die mit goldpapiernen Halskragen geschmückt, sehr verdrießlich zusammengekauert dasaßen. Dies hat mir gefallen als ob ich es in einem Buche von Jean Paul läse. – Doch Felix meine langweiligen Geschichten ermüden Dich wol und Du denkst ich hätte Dir was Besseres schreiben sollen, ich habe Dir auch wol viel zu sagen, Manches mitzutheilen und auszutauschen, was ich gedacht aber die Reise mit ihren bunten Bildern drängt sich noch immer vorn hinaus, und ihre Lustigkeit hält meine Weisheit nieder. Darum habe ich nun Alles hiehererzählt, – nächstens schreibe ich Dir auch daß es mir jetzt in Berlin enorm mißfällt – und bin nun fertig und mit Allem was mir geschehen ist, wieder nah an Dich herangerückt, nun schwatzen wir wieder und tummeln uns auf bekannten Feldern.
Hier ist der Ort um ein i nnerliches Leben zu führen, die Außenwelt ist so arm, daß man gern in sich einkehrt. Mich langweilen diese graden, langen Kasernenartigen Straßen mit wenigen verdroßenen, gemeinen Gesichtern ungeheuer. Wie reitzend ist eine Hamburger Straße gegen die schönste des schönen Berlins. Alles Behäbigkeit, Wohlstand, Bequemlichkeit und Wahl der Bewohner, grüne Bäume vor den Thüren, die Giebel mit ihren krausen Linien heben das Mauerartige einer Straße auf, dann die vielen Spiegelhellen Fenstern mit Blumen und nun die vielen Menschen mit den satten Gesichtern, die hinundherlaufen und sich drängen. Doch ich merke, ich fange wieder an zu erzählen und Du weißt das ja Alles, aber am Ende wirst Du noch Berlin gegen mich vertheidigen müssen. – Daß Förster nicht in München ist, thut mir leid, ich hätte euch gern aneinandergebracht. d 7t. So will ich denn diese Epistel schließen, ich hoffe Marx nimmt sie Dir mit, der Dich zu treffen hofft. So lebe wohl, mein Junge für heut, vor Allem sey wohl und frisch, lege alle Nervenschwäche ab, die die elendeste Erfindung der neueren Zeit ist, mein Haus leidet auch daran.
Gedenke meiner, wie es Dir auch ergehn mag und behalte alle unsre Lieblingspläne lieb und im Auge. Wenn ich nicht auf eine bessre Opernzeit mehr hoffen kann, so muß ich wirklich ein Einsiedler werden. Leb wohl, und kannst Du schicke etwas Musik.
Eduard Devrient
15 Blätter in meinem Reisezeichenbuche habe ich schon ausgeführt, 28 sind noch übrig, urtheile wie ich pressirt bin. Zeichne nur recht viel, hörst Du? Zu einem Blatt für Dich aus unsrem Garten, kann ich noch gar keinen Blick wieder bekommen.          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-06-27" xml:id="date_6f325d39-e6e8-4b6c-a787-c1b7e9aaacf0">27.</date>, <date cert="high" when="1830-06-30" xml:id="date_6a05fa77-7891-4c1a-b544-899c2abe8ed5">30. 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Mai den Orest in Christoph Willibald Glucks Oper Iphigénie en Tauride (Therese Devrient, Jugenderinnerungen, Stuttgart 1905, S. 336).</note> das Uebrige weißt Du so ziemlich, Du kennst diesen Platz, ich genoß Alles, <hi rend="latintype">beefstaeks</hi> und Austern, Alsterbassin und Hafen, die <placeName xml:id="placeName_4cfda6bc-90d1-4baa-95a2-55222ee16e93">Elbe<settlement key="STM0105483" style="hidden" type="landscape_form">Elbe</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> bei klarem Windstillen Wetter bis nach <placeName xml:id="placeName_81b9df2b-2bfc-464a-88de-eb8244359b1b">Blankenese<settlement key="STM0103327" style="hidden" type="locality">Blankenese</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> hinunter, einzig, einzig! Die schönen, stolzen zierlichen Schiffe mit der herübergezeichneten Takelage machen die prächtigste Staffage überall, bald vor Anker, bald schiefliegend sich am Unterleibe ausflicken lassend, dann mit vollen Segeln, mit der Fluth und dem Abendwinde heraufrauschend, kurz ich bleibe mein Lebenlang davon entzückt. Von Musik ist freilich wenig zu reden. –</p> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_97bfae6d-2df8-4861-a027-fde57dc14ac0"> <docAuthor key="PSN0110637" resp="author" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110637" resp="writer" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)</docAuthor> <dateline rend="right">d <date cert="high" when="1830-06-30">30<hi rend="superscript">t</hi></date></dateline> <p style="paragraph_without_indent">Gott weiß ich komme noch zu nichts Gescheutem, zum Schreiben an Dich am Wenigsten, jetzt störte mich wieder eine schöne goldene Uhr, die ich von der <persName xml:id="persName_291cc0d9-743d-4ff4-a963-c3d96d0f24f8">Kaiserin v Russland<name key="PSN0114363" style="hidden" type="person">Russland, Alexandra Fjodorowna (Aleksandra Fëdorovna) von (1798-1860)</name></persName> <choice resp="writer" source="autograph_edition_template"> <corr resp="writer">be</corr> <sic resp="writer">läch</sic> </choice>kommen habe und lächerlicher Weise für Verse von mir,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_976f4a07-42dc-4ff2-8a99-9dd03a129a91" xml:lang="de">Verse von mir – Friedrich Wilhelm III. von Preußen lud am 6. und 7. Juni 1830 seine königlichen Sänger, darunter Eduard Devrient, sowie Henriette Sontag für Musikaufführungen nach Fischbach in Schlesien ein. Die Königsfamilie nutzte das dortige Schloss als Sommerresidenz. Zum Empfang der russischen Kaiserin hatte Devrient deutsche und italienische Verse gedichtet und vertont. (Redern, Unter drei Königen, S. 121, Anm. 515).</note> ich erzähle Dir aber Alles in Ordnung. Nun mußte ich aber Dankschreiben für sie und Andre mühsam zusammenstoppeln, dann kann ich mich von der Ausführung der Skizzen in meinem Reisezeichenbuche gar nicht losmachen, kurzum erst jetzt bin ich wieder mit der <seg type="pagebreak">|2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> Feder bei Dir. In Hamburg also habe ich mich sehr ergötzt, <persName xml:id="persName_bac36407-1ffb-40f4-b587-dc72f06d1f38">Therese<name key="PSN0110639" style="hidden" type="person">Devrient, Marie Therese (1803-1882)</name></persName> war ja bei mir, in <persName xml:id="persName_bdcd97ce-0d2d-4597-951a-9b669fbbe9a1">meines Bruders<name key="PSN0110632" style="hidden" type="person">Devrient, Gustav Emil (1803-1872)</name></persName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_39f38072-e154-44bf-8d45-0ac237f8bc89" xml:lang="de">Barbier – Titelpartie in Il barbiere di Seviglia, Oper von Gioachino Rossini.</note> Haus war ich heimisch und jede unbehagliche Leerheit und Einsamkeit in einer fremden Stadt blieb von mir fern. Mein Gastspiel wirkte, wie Du es vorausgesagt, als <title xml:id="title_1646b7db-1dec-4549-adfc-de09abecf1cb">Barbier<name key="PSN0114299" style="hidden" type="author">Rossini, Gioachino Antonio (1792–1868)</name><name key="CRT0110573" style="hidden" type="music">Il barbiere di Siviglia ossia L’inutile precauzione</name></title> gefiel ich sehr, den <title xml:id="title_ef7c11cb-dd3c-433b-9b45-4c4bfdf1df98">Orest<name key="PSN0111405" style="hidden" type="author">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714–1787)</name><name key="CRT0111401" style="hidden" type="music">Iphigénie en Tauride GluckWV 1.48</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_24e2be9e-2e91-432b-b845-d966ef25041b" xml:lang="de">Orest – Partie in der Oper Iphigénie en Tauride von Christoph Willibald Gluck.</note> achtete man kalt, der <title xml:id="title_c50effb5-b644-4266-8fae-46d3d4bec0c9">Don Juan<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110089" style="hidden" type="music">Don Giovanni KV 527</name></title> wirkte wieder namentlich der Schluß ebenso <title xml:id="title_a8006df3-e168-457f-b141-4c52e34c715d">Figaro<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791)</name><name key="CRT0110123" style="hidden" type="music">Le nozze di Figaro KV 492</name></title> welche Oper leider etwas schwach besucht war. Mit dem Resultat bin ich sehr zufrieden zumal wenn ich die Verkehrtheiten betrachte, welche der Geschmack der guten Hamburger macht, wir hatten darüber viel zu lachen und manches zu ärgern, beim Herkules<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_e46f0806-89d4-4941-9d9c-aecbb105b1d6" xml:lang="de">Herkules – Rolle in Christoph Willibald Gluck Oper Alceste.</note> es ist doch in Berlin am Besten, wenn es auch schlecht genug ist. </p> <p>Uebrigens machte ich beim Orest die alten von Dir gerügten Fehler, ich übernahm mich anfangs. Der dritte Akt gelang mir sehr nur die Tölpelhaftigkeit des Pylades<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7ac418c7-568b-4e87-9d19-ea66a22bbc46" xml:lang="de">Pylades – Freund des Orest.</note> verdarb meine Lieblingsstelle, wo Orest wüthet „weiß Du denn nicht“ usw, als ich niederstürtzte und er mich zu unterstützen kam, fiel er nicht nur mit mir, sondern er kam auf mir zu reiten und mußte förmlich wieder von mir absteigen. Der Applaus wandelte sich hier natürlich in verbissenes Lachen, ich verdachte es den Leuten daß sie nicht laut wieherten. Im letzten Akt entzückte ich meine Frau. – Die Furienscene im 2<hi rend="superscript">t</hi> Akte wirkte mit meinem einfacheren Arrangment außerordentlich. – Nun also wir reisten zurück hatten ein paar mal bei <persName xml:id="persName_4b9e6cc7-3082-4d92-8a2c-367be18250bc">Heine<name key="PSN0111823" style="hidden" type="person">Heine, Salomon (1767-1844)</name></persName> gegessen, der uns sehr gefiel kaum hier angekommen mußte ich wieder nach <placeName xml:id="placeName_8ab86e52-a383-411b-bf13-947e6c819439">Schlesien<settlement key="STM0105256" style="hidden" type="province">Schlesien</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_31d9f27d-8259-44f2-97e5-f8e6fe60b369" xml:lang="de">mußte ich wieder nach Schlesien – siehe Kommentar zu Z.: Verse von mir.</note> in widerwärtiger Comödiantengesellschaft, glaube mir diese Leute, und es waren nicht die Schlechtesten, sind unglaublich lumpig, roh und schäbig, es beschämte mich oft dazu zu gehören, und sie störten mir manchen Genuß. Das Gebirge hat mir ungeheuer gefallen,<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> der große Kamm desselben ist wunderschön, wir wohnten in der schönsten Gegend auf Schloß Lomnitz,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_e95c2e9a-3e57-4725-8e8b-538824457fa6" xml:lang="de">wohnten in der schönsten Gegend auf Schloß Lomnitz – Devrient wohnte nicht im Fischbacher Schloss, sondern im benachbarten Schloss Lomnitz</note> das uns der Besitzer fast ganz eingeräumt hatte. Vom Altan<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_46191e4b-7a8b-4f8f-b726-25c4091ca4da" xml:lang="de">Altan – balkonartiger Vorbau am oberen Geschoss eines Hauses.</note> aus hatten wir den Blick auf das Dorf, das eine halbe Stunde lang sich hindehnt, darüber baut sich Berg auf Berg bis zur Koppe und dem langen Berge mit seinen blinkenden Schneegruben: Etwas appetitlicheres, als diese Schneeflecken auf den Bergen, kann man nicht sehen, ich jauchzte als ich auf der Hinreise vom Kapellenberge zum erstenmale den <choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">g</corr><sic resp="writer">G</sic></choice>roßen Kamm und den Blick auf das Hirschberger Thal hatte, und wollte es lange nicht glauben, daß ich wirklich die Ehre hätte, Schnee auf den Begen zu sehen. Als wir Abends von Hirschberg aus unsrem Bestimmungsorte zufuhren, erblickte ich auf der Höhe eines dunklen Berges, der aus dem Nebel aufduckte plötzlich ein leuchtendes Meteor, und noch mehr wunderte ich mich, als ringsum alle Berge, die das <placeName xml:id="placeName_a9cdde30-b3cf-4e8b-b8e4-ec883f1cfadb">Fischbacher<settlement key="STM0103254" style="hidden" type="locality">Fischbach</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> Thal umstellen sich mit solch rothglühenden Sternen schmückten ich erkannte daß es Feuerzeichen seien zur Ehre der <persName xml:id="persName_0dbbcc94-5391-4245-a3fb-68b87c360d1d">Kaiserin<name key="PSN0114363" style="hidden" type="person">Russland, Alexandra Fjodorowna (Aleksandra Fëdorovna) von (1798-1860)</name></persName> welche ebenfalls an diesem Tage angekommen war, aber diese Feier rührte mich, dazu hatten wir die ganze Länge des Thales allarmirt gefunden, Alles geschmückt, überall Blumen und grüne Zweige, kurz ich gerieth in aristokratisch, servile Entzückung und schwor: auch wir müßten auf frischer That mitfeiern. Eine Serenade von unsren vier Männerstimmen ward der Kaiserin zu bringen beschlossen, in Lomnitz angekommen, versuchten wir unsre Musikalien durch und ich fand endlich eine passabel klingende Musik wozu ich <date cert="high" when="1830-06-06">am nächsten Vormittage</date> in Fischbach, hinter der Schenke auf einer Anhöhe sitzend, welche mir den Blick über das Dorf auf die Koppe gab, ein paar Verse machte. Die Glocken läuteten, es war <date cert="high" when="1830-06-06" xml:id="date_f5be7f09-0204-4fcd-8369-0c7e16ea6df5">Sonntag</date> und der Hof ging in die Kirche, alles wimmelte von lauter Bauerntrachten, von dem Staat der herzugeströmten Leute aus den umliegenden Städten, welche 10 und 12 Meilen entfernt, herkamen <seg type="pagebreak">|4|<pb n="4" type="pagebreak"></pb></seg> die allerhöchsten Gesichter zu sehen, rechts auf dem Anger standen hunderte von Wagen, Schankzelte usw kurz es war ein so frisches, festliches Leben, wie ich noch nie gesehen und mein Gedicht hätte müssen prächtig werden – natürlich aber wurde es lumpig. Indeß <date cert="high" when="1830-06-06">Abends</date> erstigen wir den Altan am Speisesaal und sangen es, die Kaiserin war sehr gnädig, alle hohen und höchsten Herrschaften benahmen sich huldreichst und meine Verse, welche Redern in Abschriften mitgetheilt hatte, wozu sie wahrlich nicht bestimmt waren, wurden sehr gepriesen, vom <persName xml:id="persName_1548faad-4559-467c-8685-9cb13e8f762f">Kronprinzen<name key="PSN0113989" style="hidden" type="person">Preußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840)</name></persName> exelle<choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">n</corr><sic resp="writer">t</sic></choice>t, scharmant gefunden, kurz ich fing an in diesen ersten Tagen, zu gelten, nämlich bevor die <persName xml:id="persName_475098fb-074a-418b-919e-3d595ee86682">Sonntag<name key="PSN0114969" style="hidden" type="person">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName> kam. Auch der <persName xml:id="persName_1f094057-71d6-4b01-a464-7f01847e6194">König<name key="PSN0113989" style="hidden" type="person">Preußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840)</name></persName> sagte mir <date cert="medium" when="1830-06-07">am Andren Tage</date> das Gedicht mache mir große Ehre, man hatte auch erfahren daß ich zeichne, Gott weiß von wem, und befragte mich darum, kurz o Felix wäre die Sonntag nicht dazwischen gekommen, ich wäre Hofrath und Exellenz geworden. Eine schöne goldne Uhr habe ich von der Kaiserin für diese Verse erhalten. Warum bezahlen diese Leute wol jede kleine Aufmerksamkeit? aus eitler Freude oder aus Stolz? Alle Abend gab es nun Musik in Fischbach ich debütirte mit d<title xml:id="title_e7a8ec55-679e-4dd3-884a-be643a99e824">er beliebten Aria vom Hopserschritt und Dudelsack<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_dwijd7ex-llbw-rrao-pcqu-lwhwmoelebxb"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100325" style="hidden">Aus der Fremde (»Heimkehr aus der Fremde«), Ein Liederspiel, [September 1829] bis 19. Dezember 1829<idno type="MWV">L 6</idno><idno type="op">89</idno></name></title>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_e68b32c5-0771-4c8b-a16a-c4f12975502c" xml:lang="de">der beliebten Aria vom Hopserschritt und Dudelsack – Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6).</note> Du errinnerst Dich ihrer vielleicht. Da es zum Verständniß dieser Aria mir nothwendig schien, die Person zu kennen, welche sie singt, die Lage und die Veranlassung so machte ich ein paar Worte Rezitativ davor, erschrick nicht, lache auch nicht zu sehr, ich hatte Recht und setz<choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">e</corr><sic resp="writer">te</sic></choice> zu Deiner Belustigung diese Probe der Vielseitigkeit meines Talentes hieher.</p> <p><figure rend="below" style="center" subtype="full_page" type="notated_Music" xml:id="figure_b086eff9-0af6-4f9a-b018-5e0f240bbaad"> <graphic url="https://www.felix-mendelssohn-bartholdy.org/_api/letters/letter_image/Noten/gb-1830-07-07-01-N-001.jpg"></graphic> <head style="display_none">Noten: GB-Ob, M.D.M. d. 28/43, fol. 2v.</head> <figDesc style="display_none">Notennotat von Eduard Devrient: Einleitendes Rezitativ zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). Textübertragung: »sagt an, wie könnt’ es ohne mich gelingen, in diesem Dorf ein Fest zu Stand zu bringen, wer ist hier maitre de plaisir, wer arrangirt die Tanzparthie? habt ihr Feuerwerk«.</figDesc> </figure></p> <p><seg type="pagebreak">|5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg> </p> <p><figure rend="above" style="center" subtype="full_page" type="notated_Music" xml:id="figure_c037ab2e-c596-4d6f-aba3-03256a51a132"> <graphic url="https://www.felix-mendelssohn-bartholdy.org/_api/letters/letter_image/Noten/gb-1830-07-07-01-N-002.jpg"></graphic> <head style="display_none">Noten: GB-Ob, M.D.M. d. 28/43, fol. 3r.</head> <figDesc style="display_none">Eduard Devrient: Einleitendes Rezitativ zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lied des Kauz »Ich bin ein vielgereister Mann«, Nr. 8 aus dem Liederspiel Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6). Textübertragung: »Luftballon, Pauken, Trompeten, Raketen? Gar nichts habt’ ihr, gar nichts habt’ ihr, es fehlt am Allerbesten, und ohne mich wird nichts aus euren Festen«.</figDesc> </figure></p> <p style="paragraph_without_indent">Die Aria gefiel sehr, es fragte mich Mancher über den <persName xml:id="persName_5807619a-da38-418f-a782-755ea456bfc1">Componisten<name key="PSN0000001" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name></persName> und ich hatte Gelegenheit Manches zu antworten, auch mit <persName xml:id="persName_277781df-694b-4a4f-9c01-549fcacfa5d0">Witzleben<name key="PSN0115835" style="hidden" type="person">Witzleben, Karl Ernst Job Wilhelm von (1783-1837)</name></persName>, der wichtigsten Musikautorität sprach ich über den jungen Componisten, von dem er, wie er sagte, dergl. frische und muntre Musik noch nicht erwartet habe, da man ihr bisher immer die ernste Schule sehr angemerkt habe, und er verspricht sich viel von dem jungen Manne, wenn er aus der Fremde mit abgelaufenen Hörnern zurückkehren wird. An einem späteren Abend sang <persName xml:id="persName_a5620507-04a4-4e8d-837d-e41466e5904d">Bader<name key="PSN0109627" style="hidden" type="person">Bader, Karl Adam (1789-1870)</name></persName> die <title xml:id="title_d0eb329a-31e2-4a7b-b7d1-347a5c11243a">Abendglocken<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_bq9wobw9-rmwu-x1jt-wckk-d7nvr0onqf5y"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100325" style="hidden">Aus der Fremde (»Heimkehr aus der Fremde«), Ein Liederspiel, [September 1829] bis 19. Dezember 1829<idno type="MWV">L 6</idno><idno type="op">89</idno></name></title>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ff7c1558-65d0-409a-8c60-74f885ca7572" xml:lang="de">die Abendglocken – Lied des Hermann »Wenn die Abendglocken läuten«, Nr. 5 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89 (MWV L 6).</note> obschon nicht ganz so schön wie <persName xml:id="persName_9dfea7f2-95d7-4778-a237-b0bd98df0d05">Manzius<name key="PSN0113058" style="hidden" type="person">Mantius, Eduard (1806-1874)</name></persName>, doch auch schön, namentlich den Soldaten. Ebenfalls sehr beifällig aufgenommen, <persName xml:id="persName_14110323-e3ce-458a-913f-fa6dbf1f6c48">Prinzeß Elise Radzivil<name key="PSN0114056" style="hidden" type="person">Radziwill (Radziwiłł), Friederike Luise Marthe Elisabeth (Elisa) Prinzessin (1803-1834)</name></persName> hat sich jetzt nach unsrer Rückkehr das Lied ausbitten lassen. Ferner hatte ich den Plan das Terzett aus <hi rend="latintype">a</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_cb534e7f-2011-4232-9bd5-61e9a7c6f7ce" xml:lang="de">das Terzett aus a – Terzett Lisbeth, Hermann, Kauz »O wie verschweig ich« in A-Dur, Nr. 6 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89.</note> mit der Sonntag zu singen, es wurde ihr aber ein wenig mühsam genau zu studiren, auch meinte man es sei zu sehr heraus gerissen aus dem dramatischen Verständniß, ebenso ging es mit der Nachwächterscene<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_be0d30d7-ad4e-4614-a36b-91fb49ed395d" xml:lang="de">der Nachwächterscene – Lied des Kauz »Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen« und Duett Hermann, Kauz »Heraus! zu Hülf! Verrath und Mord«, Nr. 9 und Nr. 10 aus Heimkehr aus der Fremde op. 89.</note> und der Einwand ist wol auch nicht ohne Grund, genug ich mußte mich mit den zwei Liedern begnügen. Weiter kamen wir wenig oder gar nicht zum einzelnsingen, da <date cert="low" when="1830-06-08">am dritten Tage</date> die Sonntag mit Rossini, <persName xml:id="persName_3f753b96-5638-4983-a7b4-96a1976d3b4f">Merkadante<name key="PSN0113273" style="hidden" type="person">Mercadante, Giuseppe Saverio Raffaele (1795-1870)</name></persName> uswusw anrückte, auch die <hi rend="latintype">Concerte</hi> immer kurz waren. Ubrigens lebten wir flott, fuhren so viel als möglich spazieren waren mit den Hochgefeierten am Kochelfall und auf d. Prudelberge, sahen den Kynast und vieles Andre, was alles wunderschön war und in meinem Zeichenbuche steht, wir führten auch zweimal <title xml:id="title_8617bb7b-773d-4096-9bd1-6cf9a61cefe9">Adolph und Clara von d’Allerac<name key="PSN0116480" style="hidden" type="author">Dalayrac (d’Alayrac), Nicolas-Marie (1753–1809)</name><name key="CRT0111557" style="hidden" type="music">Adolphe et Clara ou Les Deux Prisonniers</name></title> auf, das Theater dazu ward im Fischbacher Saale aufgeschlagen. Somit hätte ich Dir alles erzählt was Dich möglicherweise an meinen Reisen interessiren kann, hat es Dir lange Weile gemacht, so kann ich nichts dafür, meine innerliche Herzensfreude an jeder Bergbeleuchtung, jedem Blitz und Donner, jedem Sonnenstreifen auf grünen Wiesen und was es weiter für wunderbare Herrlichkeiten giebt, das kann ich nicht schreiben aber Du kannst es. Nun bin ich wieder daheim bei Weib und Kind und freue mich dessen wieder, Du siehst ich lebe nicht knapp.</p> </div> <div n="2" type="act_of_writing"> <dateline rend="right"><date cert="high" when="1830-07-04">4<hi rend="superscript">t.</hi></date></dateline> <p><seg type="pagebreak">6|<pb n="6" type="pagebreak"></pb></seg> Noch eine Fischbacher Neuigkeit ist die wirkliche Ernennung des <persName xml:id="persName_8237224a-282d-48a1-a180-34c7fadd9276">Grafen Redern<name key="PSN0114098" style="hidden" type="person">Redern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883)</name></persName> zum Intendanten,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_d59e1ba3-6e35-4264-be14-d60737bcc303" xml:lang="de">die wirkliche Ernennung des Grafen Redern zum Intendanten – Wilhelm Friedrich Graf von Redern wurde am 26. Juni 1830 zum Generalintendanten der Königlichen Schauspiele ernannt, nachdem er das Amt seit 1828 bereits interimistisch ausgeübt hatte (Redern, Unter drei Königen, S. 125 ff.).</note> dieser sagte mir in einer langen Unterredung darüber, daß der <persName xml:id="persName_abce626d-940c-4976-aff8-1b3b5b122ef6">König<name key="PSN0113989" style="hidden" type="person">Preußen, Friedrich Wilhelm III. von (1770-1840)</name></persName> alle seine Wünsche erfüllt habe, er daher mit der gänzlichen Uebernahme des Postens nicht habe länger zögern können. <persName xml:id="persName_f01e2307-2ce7-48fd-90b1-6657e3fba483">Spontini’s<name key="PSN0115037" style="hidden" type="person">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name></persName> Gewalt wird nun bestimmt wenigstens beschränkt, er ist auf 6 Monate verreist, nach Paris, Italien, wird auch in München sich aufhalten und gewiß, da er seine Abreise von Tag zu Tage verschoben, bis er Nachricht aus Fischbach hatte, sich bemühen dort vielleicht eine Stellung zu erhalten, zumal da <persName xml:id="persName_b5223ad5-7e42-43cf-9fa1-56a6f43d80b6">König Ludwig<name key="PSN0109721" style="hidden" type="person">Bayern, Ludwig I. Karl August von (1786-1868)</name></persName> sich ihm so gnädig gezeigt hat. Findet er aber nirgends eine ihm anständige Stellung, so bin ich gewiß, er kommt wieder hieher und nimmt mit der vorlieb die man ihm giebt.</p> <p>Wie es nun wird, wenn Spontini abdankt, oder auch wenn er nun erster Kapellmeister bleibt, ist mir noch nicht deutlich, gewiß wird noch ein Dirigent engagirt werden, <choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">ich</corr><sic resp="writer"></sic></choice> wollte Du wärest hier; ein besseren Moment gäbe es dann nie wieder für Dich. – Zwei Sängerinen fehlen uns aber, ich weiß nicht wie wir ohne Succurs<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_3e75ac91-9531-47ff-8200-897307c8f5c4" xml:lang="la ">Succurs – lat. succursus, Hilfe, Unterstützung.</note> den Winter hindurchkommen sollen, hast Du nichts gehört? wenn Du irgend ein Talent auf Deinen Reisen um die Welt bemerktest, schreibe es mir doch, Du weißt ja wie sie aussehen muß, das Fach der <persName xml:id="persName_a9512020-58ab-4575-9ba9-fa1e7b49eec7">Milder<name key="PSN0113344" style="hidden" type="person">Milder-Hauptmann, Pauline Anna (1785-1838)</name></persName> oder <persName xml:id="persName_0f5b4b05-f484-4758-8780-59a918ba2057">Schulz<name key="PSN0114744" style="hidden" type="person">Schulz, Josephine (1790-1880)</name></persName> zu erfüllen. Was ist an der <persName xml:id="persName_b324f21b-7aac-4528-bbe7-c3c82f26a7c3">jüngeren Schechner<name key="PSN0118106" style="hidden" type="person">Schechner, Caroline</name></persName>? – <date cert="high" when="1830-07-03">Gestern</date> habe ich eine Ernennung zum außerordentlichen Mitgliede der <placeName xml:id="placeName_787d7146-135f-49f9-98fe-e1278feb7006">Liedertafel<name key="NST0100484" style="hidden" subtype="" type="institution">Zeltersche Liedertafel</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="locality">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> erhalten, diese Ehre kostet mich schändlicher Weise 13 rt die ich in meinem Leben nicht verschmerzen werde. Du siehst ich gerathe tief in die Philisterei, <add place="above">in<name key="PSN0110637" resp="writers_hand" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)</name></add> diese Anstalten die mir so zu<choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">wider</corr><sic resp="writer"></sic></choice> sind, kaufe ich mich gar mit schwerem Gelde ein, das ich offenbar <persName xml:id="persName_f3448b49-66e9-4192-9e52-121476b29ada">meinen Kindern<name key="PSN0110627" style="hidden" type="person">Devrient, Anna Eleonore (1828-1839)</name><name key="PSN0110628" style="hidden" type="person">Devrient, Carl Felix (1826-1907)</name><name key="PSN0110631" style="hidden" type="person">Devrient, Gustav Julius (1829-1832)</name></persName> entziehe, werde nun allmonatlich mir einen Wein mit nehmen ins engl Haus, werde versuchen den Kellner um das Pfropfengeld zu prellen und zwischen jedem Gericht kaum an drei Liedern genug haben. <persName xml:id="persName_6172b516-bdf9-4c6b-8bc7-bd37f903791b">Zelter<name key="PSN0115916" style="hidden" type="person">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName> wird mich nächstens solenn<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_aaad8647-ef33-4345-8960-3032a1c6dc68" xml:lang="de">solenn – von lat. solemnis, feierlich, festlich.</note> einführen, mich harangiren<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_bbe79bdf-7931-4ee5-a281-93389ee3b7bf" xml:lang="de">harangiren – jemandem eine langweilige Rede halten. </note> und antrinken, denn ich soll den Ehrenplatz <persName xml:id="persName_9816ab5c-7a88-4716-a07d-5a5e85f4b9cf">des alten Gern<name key="PSN0116813" style="hidden" type="person">Gern, Johann Georg (?-1830)</name></persName> einnehmen, ich werde mit manchem Hofrath auch in einigen wirklichen Geheimeräthen in Beziehung kommen, werde Gelegenheit nehmen von Fischbach und den dort erhaltenen Ehren zu sprechen, dabei merkbar mit der goldnen Kette meiner Kaiserl Uhr spielen, o Felix, ich will meine 13 rt gut anlegen. Denke ich aber daran, wie viel Pfannkuchen ich hätte für dies Geld essen können, so bricht dies Trugschloß zusammen und mein Auge umnebelt es. Aber ernsthaft zu reden, Felix warum bist Du von uns gegangen? Die Musik ist sogleich hinweggewischt wenn Du den Rücken kehrst. Warum vertrödelst Du die Zeit in fremder Herren Länder, läßt Dich wol vom Aetna anspeien, das kannst Du in <title xml:id="title_1d919999-b490-4f28-890b-ae0688aa1cc5">der Stummen<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782–1871)</name><name key="CRT0107680" style="hidden" type="music">La Muette de Portici (auch: Masaniello) AWV 16</name></title> bei uns auch haben, auch <title xml:id="title_dc46ce72-29ab-4b38-8de7-b0b1e84f5848">Italiens Banditen<name key="PSN0109794" style="hidden" type="author">Bellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801–1835)</name><name key="CRT0108117" style="hidden" type="music">Il pirata</name></title> kommen zu uns, <date cert="high" when="1830-08-03">zu des Königs Geburtstag</date><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_20171487-b1a8-4fb0-8de4-a78adcd3a130" xml:lang="de">des Königs Geburtstag – der Geburtstag von Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 3. August.</note> geben wir <title xml:id="title_25a00266-1155-4474-984f-18f988f4cbed"><hi rend="latintype">fra diavolo</hi><name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782–1871)</name><name key="CRT0107674" style="hidden" type="music">Fra Diavolo ou L’Hôtellerie de Terracine AWV 18</name></title> von <persName xml:id="persName_7255d456-59be-4d2d-9aa8-e426b9a29bea"><hi rend="latintype">Auber</hi><name key="PSN0109578" style="hidden" type="person">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name></persName>. Hier könntest Du Musik machen, Eierkuchen bei mir essen, mich matt setzen, meine Malereien loben, Kapellmeister werden und tausend <seg type="pagebreak">|7|<pb n="7" type="pagebreak"></pb></seg> wichtige Sachen treiben. <seg type="dateline"><date cert="high" when="1830-07-06">d 6<hi rend="superscript">t</hi></date></seg> Ich habe Dir noch nicht gesagt, daß mir die Leute, das Volk, überall besser, viel besser gefallen haben, als hier. Alles was Natur ist, an Erde, Wasser, Bäume, Vieh und Menschen ist bey uns wirklich elend. Die Hamburger sind plump und grob aber gutmüthig, offen und freundlich, die Schlesier ausnehmend freundlich und gefällig und einfältig, sie haben mir sehr gefallen. Ihre Liebe zum Könige und zum Hofe ist kindisch rührend. Auf dem Wege fanden wir jeden Wegweiser, jeden Schlagbaum, der die preußischen Farben trug bekränzt, mit Zweigen besteckt. Am Tage da der Hof eine Spazierfahrt nach d. Kynast machte, <choice resp="writer" source="autograph_edition_template"><corr resp="writer">a</corr><sic resp="writer">d</sic></choice>lso durch Hirschberg und Mariebrunn fahren mußte, war in diesen Städten ein Leben, als würde das Fest aller Heiligen gefeiert. Pforten von grünen Zweigen waren erbaut, die Häuser der Straßen, durch die der Hof fahren mußte, waren mit Blumen geschmückt an Fenstern und Thüren. Quer über die Straße hingen Blumenketten, an Thüren und Fenstern standen Freudeglänzend die Bewohner, die Schuljugend vom Schulmeister so eben dispensirt raste durch die Gassen. Wir fuhren nämmlich eine Stunde früher als d. Hof hindurch. Am Ende der Stadt in einer engen Gasse, sah ich an einem niedren Fenster, – ein Vogler mußte in dem Hause wohnen – unter Blumenkränzen auf einer Stange drei Staarmätzchen ausgestellt, die mit goldpapiernen Halskragen geschmückt, sehr verdrießlich zusammengekauert dasaßen. Dies hat mir gefallen als ob ich es in einem Buche von <persName xml:id="persName_c2188abf-931b-40e4-aec8-d0db987993d6">Jean Paul<name key="PSN0114173" style="hidden" type="person">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763-1825)</name></persName> läse. – Doch Felix meine langweiligen Geschichten ermüden Dich wol und Du denkst ich hätte Dir was Besseres schreiben sollen, ich habe Dir auch wol viel zu sagen, Manches mitzutheilen und auszutauschen, was ich gedacht aber die Reise mit ihren bunten Bildern drängt sich noch immer vorn hinaus, und ihre Lustigkeit hält meine Weisheit nieder. Darum habe ich nun Alles hiehererzählt, – nächstens schreibe ich Dir auch daß es mir jetzt in Berlin enorm mißfällt – und bin nun fertig und mit Allem was mir geschehen ist, wieder nah an Dich herangerückt, nun schwatzen wir wieder und tummeln uns auf bekannten Feldern. </p> <p>Hier ist der Ort um ein i<choice resp="writer" source="autograph_edition_template"> <corr resp="writer">n</corr> <sic resp="writer"></sic> </choice>nerliches Leben zu führen, die Außenwelt ist so arm, daß man gern in sich einkehrt. Mich <seg type="pagebreak">|8|<pb n="8" type="pagebreak"></pb></seg> langweilen diese graden, langen Kasernenartigen Straßen mit wenigen verdroßenen, gemeinen Gesichtern ungeheuer. Wie reitzend ist eine Hamburger Straße gegen die schönste des schönen Berlins. Alles Behäbigkeit, Wohlstand, Bequemlichkeit und Wahl der Bewohner, grüne Bäume vor den Thüren, die Giebel mit ihren krausen Linien heben das Mauerartige einer Straße auf, dann die vielen Spiegelhellen Fenstern mit Blumen und nun die vielen Menschen mit den satten Gesichtern, die hinundherlaufen und sich drängen. Doch ich merke, ich fange wieder an zu erzählen und Du weißt das ja Alles, aber am Ende wirst Du noch Berlin gegen mich vertheidigen müssen. – Daß <persName xml:id="persName_ca4c82de-4f56-4314-925b-b51e4d684904">Förster<name key="PSN0111097" style="hidden" type="person">Förster, Ernst Joachim (1800-1885)</name></persName> nicht in München ist, thut mir leid, ich hätte euch gern aneinandergebracht. <seg type="dateline"><date cert="high" when="1830-07-07" xml:id="date_dd2f6aa4-e859-44df-b1c8-cfe4bd4f4b42">d 7<hi rend="superscript">t</hi>.</date></seg> So will ich denn diese Epistel schließen, ich hoffe <persName xml:id="persName_29dca382-608f-42f5-a352-9b0174cbd67d">Marx<name key="PSN0113108" style="hidden" type="person">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName> nimmt sie Dir mit, der Dich zu treffen hofft.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_71f339bf-994a-4b3c-b3a4-93b7e253b41a" xml:lang="de">Marx … der Dich zu treffen hofft – Adolph Bernhard Marx besuchte Mendelssohn vom 19. Juli bis zum 7. August 1830 in München. Vgl. Mendelssohns Notizbuch, GB-Ob, M.D.M. g. 2, fol. 9r, und Brief fmb-1830-08-08-02 (Brief Nr. 327) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy und Wilhelm Hensel in Berlin, Salzburg, 8. August 1830.</note> So lebe wohl, mein Junge für heut, vor Allem sey wohl und frisch, lege alle Nervenschwäche ab, die die elendeste Erfindung der neueren Zeit ist, mein Haus leidet auch daran.</p> <p>Gedenke meiner, wie es Dir auch ergehn mag und behalte alle unsre Lieblingspläne lieb und im Auge. Wenn ich nicht auf eine bessre Opernzeit mehr hoffen kann, so muß ich wirklich ein Einsiedler werden. <seg type="closer">Leb wohl, und kannst Du schicke etwas Musik.</seg></p> <signed rend="right">Eduard Devrient</signed> </div> <div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_c096cd92-5038-4ae8-bdc3-e10ff72ff125"> <docAuthor key="PSN0110637" resp="author" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0110637" resp="writer" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801–1877)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">15 Blätter in meinem Reisezeichenbuche habe ich schon ausgeführt, 28 sind noch übrig, urtheile wie ich pressirt bin. Zeichne nur recht viel, hörst Du? Zu einem Blatt für Dich aus unsrem Garten, kann ich noch gar keinen Blick wieder bekommen. </p> </div> </body> </text></TEI>