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gb-1830-07-03-04

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Julius Schubring an Felix Mendelssohn Bartholdy in München <lb></lb>Dessau, 3. Juli 1830 Mein schmuckstes Papier muß ich für Dich hervorholen, mein schmucker, lieber Felix; ich mache mir einen kleinen Festtag daraus, Dir zu schreiben. Ich hätte Dir gern noch eher ein Paar Zeilen zugeschickt, wenn ich Dich Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) unbekannt Felix Mendelssohn Bartholdy an Julius Schubring in Dessau; Wien, 15. September 1830 Schubring, Karl Julius (1806-1889)Schubring, Karl Julius (1806-1889) Transkription: Edition: Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 28/50. Autograph Julius Schubring an Felix Mendelssohn Bartholdy in München; Dessau, 3. Juli 1830 Mein schmuckstes Papier muß ich für Dich hervorholen, mein schmucker, lieber Felix; ich mache mir einen kleinen Festtag daraus, Dir zu schreiben. Ich hätte Dir gern noch eher ein Paar Zeilen zugeschickt, wenn ich Dich

1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse, Siegel.

Julius Schubring

Green Books

Schubring, Briefwechsel, S. 4-9.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

3. Juli 1830 Schubring, Karl Julius (1806-1889)counter-resetSchubring, Karl Julius (1806–1889) DessauDeutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) MünchenDeutschland deutsch
Herrn Herrn Felix Mendelssohn-Bartholdy. Wohlgeb.
Schubring, Karl Julius (1806–1889) Schubring, Karl Julius (1806–1889) Deßau d. 3 Juli 1830.

Mein schmuckstes Papier muß ich für Dich hervorholen, mein schmucker, lieber Felix; ich mache mir einen kleinen Festtag daraus, Dir zu schreiben. Ich hätte Dir gern noch eher ein Paar Zeilen zugeschickt, wenn ich Dich irgend wo sicher gewußt hätte; denn ich denke mich immer gern ganz zu dem hin, an den ich schreibe und Du irrtest für mich ganz in der Fremde herum. Es ist damit freilich auch jetzt nicht viel anders; denn wenn ich auch durch meinen BruderSchubring, Gustav (1809-1856) höre, daß Du in München bist, so ist das doch eben auch eine Fremde für mich. Daher schreibt sich wol die Gewohnheit, daß wo sich Menschen trennen, immer der Wegreisende zuerst zu schreiben pflegt und dem Andern von sich Nachricht giebt; dann ist wieder jeder bei dem andern. Dir wollte und konnte ich es natürlich nicht zumuthen, denn Du hast wol überall Zerstreuungen und Abhaltungen sehr viele auch Correspondenz genug; schon hier kamst Du nicht zur Ruhe, und das kann ja in größern Städten nur immer ärger werden. Nun man muß denn ganz von dieser Seite absehn und sich rein an die geliebte Seele selbst wenden, die finden sich dann doch wol zuletzt auch wieder zusammen.

Mir hast Du eine recht große Freude gemacht durch Deinen hiesigen Besuch.Deinen hiesigen Besuch – Mendelssohn hatte seine Europareise am 13. Mai 1830 mit einem Aufenthalt in Dessau begonnen. Die Tage selbst waren hübsch, für mich; und dann bin ich immer froh, wenn ich Menschen, die ich lieb habe, mit einander bekannt machen kann, und wenn es mir glückt – was aber auch bisher fast immer so gekommen ist, – daß sie wirklich einander etwas näher kommen. Dich haben sie hier alle recht lieb gewonnen, und ich denke, daß auch Du an dem einfachen und natürlichen Wesen der Meisten, die Du gesehn hast, Dich gefreut hast. Woher kommt es nur eigentlich, daß ich eben eine solche Freude habe, Andren etwas, was mir lieb ist, zu zeigen? Es ist ordentlich eine Schwäche, ich kann nie etwas für mich behalten. Es geht mir nicht bloß mit Menschen so, sondern mit dem, was sie gethan haben, eben auch. Und dabei verleitet mich jene Schwäche manchmal zu Mißgriffen, indem ich am unrechten Orte damit ankomme, was mich nachher immer sehr verdrießt. So ist es mir z. B. einige Male mit Deiner, auch schon mit BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827)scher Musik ergangen. Wird es dann nicht so aufgenommen, wie ich gern möchte, so bin ich gleich wie mit kaltem Wasser übergossen und alle Pores der Seele, die vorher warm offen standen, ziehn sich erkältet zusammen und mir ist dann ein halber Tag verdorben. Seit OsternOstern – Ostersonntag fiel 1830 auf den 11. April. ist es mir hier einmal so ergangen und ich habe mir seitdem vorgenommen, in Gesellschaft nicht mehrSchubring, Karl Julius (1806–1889) zu spielen. Dir werf ich immer |2| vor, daß Du zu zurückhaltend seist. Aber vielleicht ist es Dir früher auch so ergangen. Ich wollte immer, Du solltest heraustreten und Dich geltend machen vor der Welt „Dein Licht leuchten lassen vor den Leuten u. s. w. Mth 5,16.Dein Licht leuchten lassen vor den Leuten u. s. w. Mth 5,16 – »Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16, Text nach Lutherbibel 1912). Aber freilich steht in derselben Predigt auch die entgegengesetzte Regel cap 7, v.6.cap 7, v.6. – In Mt 7,6 heißt es: »Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen (Text nach Lutherbibel 1912). und dazwischen geht wol der rechte Weg. Ich will gern glauben, daß Du dabei diesem näher bist, als ich mit meiner kindischen Ungeduld. Dann mußt Du aber nur auch Deine Geduld noch weiter erstrecken. So wie das Gute nur langsam wird so kommt es auch erst langsam zur Anerkennung. Aber ich denke doch, wo redlicher Wille und beharrliche Ausdauer ist, wird auch ein gutes Theil gefördert, und darum können wir immer getrosten Muthes sein. Es klagt jeder, der eifrig das Gute fördern will, in allen Winkeln der Welt über die geringe Empfänglichkeit der Menschen. Und doch legt jeder im Glauben unermüdet die Hand an und wirkt; und sage doch keiner, daß es nicht auch vorwärts ginge mit der Welt. 99 Theile von dem, was wir wollten, werden verfehlt; aber der hundertste vielleicht wird erreicht und um so viel haben wir genützt in der Welt. – Was kann ich z. B. von meinem künftigen Berufe als Prediger für Wundererfolg erwarten? Für einen großen Gelehrten bin ich nicht geschaffen, bin auch nicht in Büchern fleißig genug. Ich habe also nichts weiter zu thun, mein Leben lang, als Liebe zu wecken so viel ich kann, durch das Wort Gottes. Solche Zeiten aber haben wir auch nicht, daß ich mir je große und sichtbare segensreiche Folgen um mich her erwarten könnte und versprechen. Und dann habe ich an mir selbst zu arbeiten, daß ich mich nicht etwa in Feindschaft setze mit der Welt, daß sie meinen guten Willen nicht anerkennen wolle; wie so viele sich einbilden, die zuletzt in Hochmuth gegen Alles sich verschließen, weil sie allein glauben es recht zu haben. Lieber Felix, was Dich zuweilen drückt, die böse Stimmung von der Du mir klagtest – ich glaube nicht, daß es Mißtrauen ist in Dich selbst; denn Du hast schon Probe, daß Du gerade durch das, was Du als Deinen Beruf erkannt hast, auch schon Gutes gewirkt hast, unter den Menschen, und daß Du es vermagst. Ich denke mir, daß es bei Dir auch mehr der Gegensatz ist, den Du wahrnimmst zwischen dem, wie Du es gern haben möchtest in der Welt und wie Du sie vor Dir siehst. Es ist allerdings traurig und niederschlagend, besondes für uns Jugend, nur daran zu denken, wie weit der Weg ist für das Ziel. Gleichgültig soll man dabei nicht sein, es abschütteln und nichts dazu thun. Sondern im Gegentheil recht eifrig arbeiten, damit es besser werde. Aber friedlich sollen wir werden im Glauben, daß das Wahre und Gute doch zuletzt den Sieg behalten muß. Mit diesem Sinne hat BachBach, Johann Sebastian (1685-1750) in der Musik gewaltet, der manche Kämpfe und Dissonanzen durchgearbeitet hat, der aber immer Alles zu einem friedlichen und ruhigen Ende führt. Beethoven hat wol in seiner Sehnsucht nicht immer den Frieden gefunden, aber er ist in diesem Streben so menschlich und so herrlich, daß ich ihn darum so lieb habe.. – Du selbst bist noch jung und noch nicht genug wirksam herausgetreten, aber Du fühlst die Kraft in Dir, daß Du es könntest. Du darfst |3| es aber den Menschen (z. B. den Berlinern) deßhalb nicht so übel nehmen, wenn sie das nicht wissen und darin noch ruhig und gleichgültig abwarten. Bist Du aber erst von der Reise zurück und trittst anSchubring, Karl Julius (1806–1889) einen bestimmten öffentlichen Platz – ich denke mir immer, Du mußt zunächst ZeltersZelter, Carl Friedrich (1758-1832) Nachfolger werden – wo Du wirken kannst, dann zieht sich Alles ins Gleiche. Die Zeit der Reise wird wol schnell genug, auch ohne Sorgen vergehn. – Ich schlug Dir hier vor, und Du gabst mir halb Recht, solche Verstimmungen durch das Neue Testament zu überwinden. Noch wichtiger – nur weiß ich nicht, wie Du jetzt darüber denkst – ist, was ich nicht leicht gegen irgend wen heraussage – das Gebet. Nicht bloß eine – wie Du früher einmal äußertest – freudig erhobene Stimmung, sondern eine absichtliche und ausdrückliche Wendung des Herzens und der Gedanken zu Gott, die auch eine gewisse Zeit ausschließlich einnimmt. Das ist freilich nicht idealistisch. Aber wir Menschen brauchen dergleichen besondere Impulse; das Leben nimmt uns so hin, daß man sich darin nicht begnügen darf, daß man zu jedem Augenblick so gesinnt sein soll. Ich halte es aus demselben Zwecke für nothwendig, in die Kirche zu gehen, um das kirchlich-religiöse Element immer wieder zu beleben und anzufrischen. Mir ist das Gebet leider auch nicht tägliches Brot, aber so oft ich dazu komme, fühle ich mich selig. –

Die Meinigen sind alle wohl, bis auf meine Schwester AgnesMohs, Luise Wilhelmine Agnes (1802-1874), die am Mittwoch ein kleines MädchenMohs, Agnes (1830-?) geboren hat; beide sind aber nach Umständen gesund. Die MutterSchubring, Hedwig Henriette Wilhelmine (1791-1839) ist auf ein Paar Wochen zu ihr gezogen. Von Deiner SchwesterHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) hat mir GustavSchubring, Gustav (1809-1856) geschrieben, auch daß der KleineHensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898) sehr elend sei. Ich war aber außerordentlich froh, weil 2 Tage vorher Frl v. PogwischPogwisch, Ulrike Henriette Adele Eleonore Freiin von (1798-1875) die Nachricht hergebracht hatte, Fanny selbst sei sehr krank. Dies ist glücklicher Weise ein Irrthum und ich wünsche Dir herzlich Glück dazu. Vielleicht werden ihr auch die Mutterfreuden diesmal noch erhalten. –

Wenn Du mir in Wien einen Flügel ausgesucht hast,Wenn Du mir in Wien einen Flügel ausgesucht hast – Mendelssohn wählte für Schubring einen Flügel von Conrad Graf. Siehe Brief fmb-1830-09-15-01 (Brief Nr. 344) Felix Mendelssohn Bartholdy an Julius Schubring in Dessau, Wien, 15. September 1830. worum ich Dich nochmals ersuche, so sei doch so gut und schicke ihn es nur bis Prag zur Achse; der Elbtransport ist wol besser und billiger. Unser hiesiger Musikhändler, ConradiConradi, C., hat mir seinen Prager Spediteur PlöschnerPlöschner, Joseph Daniel zur Besorgung vorgeschlagen. –

Neues von hier wüßte ich Dir nicht zu berichten; das Sommerleben, wiewol naß, geht doch lustig und gesellig von Statten. Manche, wenn sie wüßten, daß ich an Dich schriebe, würden Grüße aufgetragen haben, wie z. B. RustsRust, Wilhelm Karl (1787-1855), die Hofräthin MüllerMüller, Adelheid (1800-1883), oder meine Mutter. Nimm es nur dafür an. Lebe recht wohl, Lieber, und behalt mich lieb.

Dein Julius Schubring.
Schubring, Karl Julius (1806–1889) Schubring, Karl Julius (1806–1889)

Ich habe seit Deiner Abreise 3 mal gepredigt; das eine Mal ohne I, II; einfach den Text erklärend über die Parabel Lucas 14,16-24.die Parabel Lucas 14,16-24 – Gleichnis von Großen Abendmahl; Jesus vergleicht darin das Kommen des Reiches Gottes mit einem Abendmahl; vgl. auch Mt 22,1-10.

            Deßau d. 3 Juli 1830. Mein schmuckstes Papier muß ich für Dich hervorholen, mein schmucker, lieber Felix; ich mache mir einen kleinen Festtag daraus, Dir zu schreiben. Ich hätte Dir gern noch eher ein Paar Zeilen zugeschickt, wenn ich Dich irgend wo sicher gewußt hätte; denn ich denke mich immer gern ganz zu dem hin, an den ich schreibe und Du irrtest für mich ganz in der Fremde herum. Es ist damit freilich auch jetzt nicht viel anders; denn wenn ich auch durch meinen Bruder höre, daß Du in München bist, so ist das doch eben auch eine Fremde für mich. Daher schreibt sich wol die Gewohnheit, daß wo sich Menschen trennen, immer der Wegreisende zuerst zu schreiben pflegt und dem Andern von sich Nachricht giebt; dann ist wieder jeder bei dem andern. Dir wollte und konnte ich es natürlich nicht zumuthen, denn Du hast wol überall Zerstreuungen und Abhaltungen sehr viele auch Correspondenz genug; schon hier kamst Du nicht zur Ruhe, und das kann ja in größern Städten nur immer ärger werden. Nun man muß denn ganz von dieser Seite absehn und sich rein an die geliebte Seele selbst wenden, die finden sich dann doch wol zuletzt auch wieder zusammen.
Mir hast Du eine recht große Freude gemacht durch Deinen hiesigen Besuch. Die Tage selbst waren hübsch, für mich; und dann bin ich immer froh, wenn ich Menschen, die ich lieb habe, mit einander bekannt machen kann, und wenn es mir glückt – was aber auch bisher fast immer so gekommen ist, – daß sie wirklich einander etwas näher kommen. Dich haben sie hier alle recht lieb gewonnen, und ich denke, daß auch Du an dem einfachen und natürlichen Wesen der Meisten, die Du gesehn hast, Dich gefreut hast. Woher kommt es nur eigentlich, daß ich eben eine solche Freude habe, Andren etwas, was mir lieb ist, zu zeigen? Es ist ordentlich eine Schwäche, ich kann nie etwas für mich behalten. Es geht mir nicht bloß mit Menschen so, sondern mit dem, was sie gethan haben, eben auch. Und dabei verleitet mich jene Schwäche manchmal zu Mißgriffen, indem ich am unrechten Orte damit ankomme, was mich nachher immer sehr verdrießt. So ist es mir z. B. einige Male mit Deiner, auch schon mit Beethovenscher Musik ergangen. Wird es dann nicht so aufgenommen, wie ich gern möchte, so bin ich gleich wie mit kaltem Wasser übergossen und alle Pores der Seele, die vorher warm offen standen, ziehn sich erkältet zusammen und mir ist dann ein halber Tag verdorben. Seit Ostern ist es mir hier einmal so ergangen und ich habe mir seitdem vorgenommen, in Gesellschaft nicht mehr zu spielen. Dir werf ich immer vor, daß Du zu zurückhaltend seist. Aber vielleicht ist es Dir früher auch so ergangen. Ich wollte immer, Du solltest heraustreten und Dich geltend machen vor der Welt „Dein Licht leuchten lassen vor den Leuten u. s. w. Mth 5, 16. Aber freilich steht in derselben Predigt auch die entgegengesetzte Regel cap 7, v. 6. und dazwischen geht wol der rechte Weg. Ich will gern glauben, daß Du dabei diesem näher bist, als ich mit meiner kindischen Ungeduld. Dann mußt Du aber nur auch Deine Geduld noch weiter erstrecken. So wie das Gute nur langsam wird so kommt es auch erst langsam zur Anerkennung. Aber ich denke doch, wo redlicher Wille und beharrliche Ausdauer ist, wird auch ein gutes Theil gefördert, und darum können wir immer getrosten Muthes sein. Es klagt jeder, der eifrig das Gute fördern will, in allen Winkeln der Welt über die geringe Empfänglichkeit der Menschen. Und doch legt jeder im Glauben unermüdet die Hand an und wirkt; und sage doch keiner, daß es nicht auch vorwärts ginge mit der Welt. 99 Theile von dem, was wir wollten, werden verfehlt; aber der hundertste vielleicht wird erreicht und um so viel haben wir genützt in der Welt. – Was kann ich z. B. von meinem künftigen Berufe als Prediger für Wundererfolg erwarten? Für einen großen Gelehrten bin ich nicht geschaffen, bin auch nicht in Büchern fleißig genug. Ich habe also nichts weiter zu thun, mein Leben lang, als Liebe zu wecken so viel ich kann, durch das Wort Gottes. Solche Zeiten aber haben wir auch nicht, daß ich mir je große und sichtbare segensreiche Folgen um mich her erwarten könnte und versprechen. Und dann habe ich an mir selbst zu arbeiten, daß ich mich nicht etwa in Feindschaft setze mit der Welt, daß sie meinen guten Willen nicht anerkennen wolle; wie so viele sich einbilden, die zuletzt in Hochmuth gegen Alles sich verschließen, weil sie allein glauben es recht zu haben. Lieber Felix, was Dich zuweilen drückt, die böse Stimmung von der Du mir klagtest – ich glaube nicht, daß es Mißtrauen ist in Dich selbst; denn Du hast schon Probe, daß Du gerade durch das, was Du als Deinen Beruf erkannt hast, auch schon Gutes gewirkt hast, unter den Menschen, und daß Du es vermagst. Ich denke mir, daß es bei Dir auch mehr der Gegensatz ist, den Du wahrnimmst zwischen dem, wie Du es gern haben möchtest in der Welt und wie Du sie vor Dir siehst. Es ist allerdings traurig und niederschlagend, besondes für uns Jugend, nur daran zu denken, wie weit der Weg ist für das Ziel. Gleichgültig soll man dabei nicht sein, es abschütteln und nichts dazu thun. Sondern im Gegentheil recht eifrig arbeiten, damit es besser werde. Aber friedlich sollen wir werden im Glauben, daß das Wahre und Gute doch zuletzt den Sieg behalten muß. Mit diesem Sinne hat Bach in der Musik gewaltet, der manche Kämpfe und Dissonanzen durchgearbeitet hat, der aber immer Alles zu einem friedlichen und ruhigen Ende führt. Beethoven hat wol in seiner Sehnsucht nicht immer den Frieden gefunden, aber er ist in diesem Streben so menschlich und so herrlich, daß ich ihn darum so lieb habe. . – Du selbst bist noch jung und noch nicht genug wirksam herausgetreten, aber Du fühlst die Kraft in Dir, daß Du es könntest. Du darfst es aber den Menschen (z. B. den Berlinern) deßhalb nicht so übel nehmen, wenn sie das nicht wissen und darin noch ruhig und gleichgültig abwarten. Bist Du aber erst von der Reise zurück und trittst an einen bestimmten öffentlichen Platz – ich denke mir immer, Du mußt zunächst Zelters Nachfolger werden – wo Du wirken kannst, dann zieht sich Alles ins Gleiche. Die Zeit der Reise wird wol schnell genug, auch ohne Sorgen vergehn. – Ich schlug Dir hier vor, und Du gabst mir halb Recht, solche Verstimmungen durch das Neue Testament zu überwinden. Noch wichtiger – nur weiß ich nicht, wie Du jetzt darüber denkst – ist, was ich nicht leicht gegen irgend wen heraussage – das Gebet. Nicht bloß eine – wie Du früher einmal äußertest – freudig erhobene Stimmung, sondern eine absichtliche und ausdrückliche Wendung des Herzens und der Gedanken zu Gott, die auch eine gewisse Zeit ausschließlich einnimmt. Das ist freilich nicht idealistisch. Aber wir Menschen brauchen dergleichen besondere Impulse; das Leben nimmt uns so hin, daß man sich darin nicht begnügen darf, daß man zu jedem Augenblick so gesinnt sein soll. Ich halte es aus demselben Zwecke für nothwendig, in die Kirche zu gehen, um das kirchlich-religiöse Element immer wieder zu beleben und anzufrischen. Mir ist das Gebet leider auch nicht tägliches Brot, aber so oft ich dazu komme, fühle ich mich selig. –
Die Meinigen sind alle wohl, bis auf meine Schwester Agnes, die am Mittwoch ein kleines Mädchen geboren hat; beide sind aber nach Umständen gesund. Die Mutter ist auf ein Paar Wochen zu ihr gezogen. Von Deiner Schwester hat mir Gustav geschrieben, auch daß der Kleine sehr elend sei. Ich war aber außerordentlich froh, weil 2 Tage vorher Frl v. Pogwisch die Nachricht hergebracht hatte, Fanny selbst sei sehr krank. Dies ist glücklicher Weise ein Irrthum und ich wünsche Dir herzlich Glück dazu. Vielleicht werden ihr auch die Mutterfreuden diesmal noch erhalten. –
Wenn Du mir in Wien einen Flügel ausgesucht hast, worum ich Dich nochmals ersuche, so sei doch so gut und schicke ihn es nur bis Prag zur Achse; der Elbtransport ist wol besser und billiger. Unser hiesiger Musikhändler, Conradi, hat mir seinen Prager Spediteur Plöschner zur Besorgung vorgeschlagen. –
Neues von hier wüßte ich Dir nicht zu berichten; das Sommerleben, wiewol naß, geht doch lustig und gesellig von Statten. Manche, wenn sie wüßten, daß ich an Dich schriebe, würden Grüße aufgetragen haben, wie z. B. Rusts, die Hofräthin Müller, oder meine Mutter. Nimm es nur dafür an. Lebe recht wohl, Lieber, und behalt mich lieb.
Dein
Julius Schubring.
Ich habe seit Deiner Abreise 3 mal gepredigt; das eine Mal ohne I, II; einfach den Text erklärend über die Parabel Lucas 14, 16-24.          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-07-03" xml:id="date_aa56d900-12ee-4a6d-abf6-b2b7347394af">3. Juli 1830</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0114732" resp="author" xml:id="persName_040730ab-b508-4098-acd6-61065108e8f1">Schubring, Karl Julius (1806-1889)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0114732" resp="writer">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_42ed846b-0e38-42fc-8ff5-793858694f4f"> <settlement key="STM0100131">Dessau</settlement><country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0000001" resp="receiver" xml:id="persName_ad131cc4-f601-4ce9-8d22-5858fa1e4311">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_6c593b7e-0923-4816-97e9-19b3f093cd06"> <settlement key="STM0100169">München</settlement><country>Deutschland</country> </placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address"> <head> <address> <addrLine>Herrn</addrLine> <addrLine>Herrn <hi rend="latintype">Felix Mendelssohn-Bartholdy</hi>.</addrLine> <addrLine>Wohlgeb.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_748c0354-5db5-4d39-beaa-47fbeea355c6"> <docAuthor key="PSN0114732" resp="author" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0114732" resp="writer" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</docAuthor> <dateline rend="right">Deßau d. <date cert="high" when="1830-07-03" xml:id="date_fabe96d3-4651-40c1-8a15-45af9528d3d3">3 Juli 1830.</date></dateline> <p style="paragraph_without_indent">Mein schmuckstes Papier muß ich für Dich hervorholen, mein schmucker, <seg type="salute">lieber Felix;</seg> ich mache mir einen kleinen Festtag daraus, Dir zu schreiben. Ich hätte Dir gern noch eher ein Paar Zeilen zugeschickt, wenn ich Dich irgend wo sicher gewußt hätte; denn ich denke mich immer gern ganz zu dem hin, an den ich schreibe und Du irrtest für mich ganz in der Fremde herum. Es ist damit freilich auch jetzt nicht viel anders; denn wenn ich auch durch <persName xml:id="persName_cc7ac159-eb56-4ad8-8d9a-5e01259ee204">meinen Bruder<name key="PSN0114728" style="hidden" type="person">Schubring, Gustav (1809-1856)</name></persName> höre, daß Du in München bist, so ist das doch eben auch eine Fremde für mich. Daher schreibt sich wol die Gewohnheit, daß wo sich Menschen trennen, immer der Wegreisende zuerst zu schreiben pflegt und dem Andern von sich Nachricht giebt; dann ist wieder jeder bei dem andern. Dir wollte und konnte ich es natürlich nicht zumuthen, denn Du hast wol überall Zerstreuungen und Abhaltungen sehr viele auch Correspondenz genug; schon hier kamst Du nicht zur Ruhe, und das kann ja in größern Städten nur immer ärger werden. Nun man muß denn ganz von dieser Seite absehn und sich rein an die geliebte Seele selbst wenden, die finden sich dann doch wol zuletzt auch wieder zusammen.</p> <p>Mir hast Du eine recht große Freude gemacht durch Deinen hiesigen Besuch.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ed50167f-38d6-4882-b3a9-1916b58ef49a" xml:lang="de">Deinen hiesigen Besuch – Mendelssohn hatte seine Europareise am 13. Mai 1830 mit einem Aufenthalt in Dessau begonnen.</note> Die Tage selbst waren hübsch, für mich; und dann bin ich immer froh, wenn ich Menschen, die ich lieb habe, mit einander bekannt machen kann, und wenn es mir glückt – was aber auch bisher fast immer so gekommen ist, – daß sie wirklich einander etwas näher kommen. Dich haben sie hier alle recht lieb gewonnen, und ich denke, daß auch Du an dem einfachen und natürlichen Wesen der Meisten, die Du gesehn hast, Dich gefreut hast. Woher kommt es nur eigentlich, daß ich eben eine solche Freude habe, Andren etwas, was mir lieb ist, zu zeigen? Es ist ordentlich eine Schwäche, ich kann nie etwas für mich behalten. Es geht mir nicht bloß mit Menschen so, sondern mit dem, was sie gethan haben, eben auch. Und dabei verleitet mich jene Schwäche manchmal zu Mißgriffen, indem ich am unrechten Orte damit ankomme, was mich nachher immer sehr verdrießt. So ist es mir z. B. einige Male mit Deiner, auch schon mit <persName xml:id="persName_789ac55e-8440-4250-bcd2-d935e1c00726">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="person">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName>scher Musik ergangen. Wird es dann nicht so aufgenommen, wie ich gern möchte, so bin ich gleich wie mit kaltem Wasser übergossen und alle Pores der Seele, die vorher warm offen standen, ziehn sich erkältet zusammen und mir ist dann ein halber Tag verdorben. Seit <date cert="high" when="1830-04-11" xml:id="date_42785a51-aeac-4271-9156-3f61b5069833">Ostern</date><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_eb26fac2-113f-4d50-8cdc-ad794d0d893f" xml:lang="de">Ostern – Ostersonntag fiel 1830 auf den 11. April.</note> ist es mir hier einmal so ergangen und ich habe mir seitdem vorgenommen, in Gesellschaft <add place="above">nicht mehr<name key="PSN0114732" resp="writers_hand" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</name></add> zu spielen. Dir werf ich immer<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> vor, daß Du zu zurückhaltend seist. Aber vielleicht ist es Dir früher auch so ergangen. Ich wollte immer, Du solltest heraustreten und Dich geltend machen vor der Welt „Dein Licht leuchten lassen vor den Leuten u. s. w. <hi rend="latintype">Mth</hi> 5,16.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7b87abd6-636a-4ac3-a55f-c90c5e67e40c" xml:lang="de">Dein Licht leuchten lassen vor den Leuten u. s. w. Mth 5,16 – »Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16, Text nach Lutherbibel 1912).</note> Aber freilich steht in derselben Predigt auch die entgegengesetzte Regel <hi rend="latintype">cap</hi> 7, <hi rend="latintype">v</hi>.6.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c3160ae0-c4e9-41df-a9cd-c9df4f23dc45" xml:lang="de">cap 7, v.6. – In Mt 7,6 heißt es: »Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen (Text nach Lutherbibel 1912).</note> und dazwischen geht wol der rechte Weg. Ich will gern glauben, daß Du dabei diesem näher bist, als ich mit meiner kindischen Ungeduld. Dann mußt Du aber nur auch Deine Geduld noch weiter erstrecken. So wie das Gute nur langsam wird so kommt es auch erst langsam zur Anerkennung. Aber ich denke doch, wo redlicher Wille und beharrliche Ausdauer ist, wird auch ein gutes Theil gefördert, und darum können wir immer getrosten Muthes sein. Es klagt jeder, der eifrig das Gute fördern will, in allen Winkeln der Welt über die geringe Empfänglichkeit der Menschen. Und doch legt jeder im Glauben unermüdet die Hand an und wirkt; und sage doch keiner, daß es nicht auch vorwärts ginge mit der Welt. 99 Theile von dem, was wir wollten, werden verfehlt; aber der hundertste vielleicht wird erreicht und um so viel haben wir genützt in der Welt. – Was kann ich z. B. von meinem künftigen Berufe als Prediger für Wundererfolg erwarten? Für einen großen Gelehrten bin ich nicht geschaffen, bin auch nicht in Büchern fleißig genug. Ich habe also nichts weiter zu thun, mein Leben lang, als Liebe zu wecken so viel ich kann, durch das Wort Gottes. Solche Zeiten aber haben wir auch nicht, daß ich mir je große und sichtbare segensreiche Folgen um mich her erwarten könnte und versprechen. Und dann habe ich an mir selbst zu arbeiten, daß ich mich nicht etwa in Feindschaft setze mit der Welt, daß sie meinen guten Willen nicht anerkennen wolle; wie so viele sich einbilden, die zuletzt in Hochmuth gegen Alles sich verschließen, weil sie allein glauben es recht zu haben. Lieber Felix, was Dich zuweilen drückt, die böse Stimmung von der Du mir klagtest – ich glaube nicht, daß es Mißtrauen ist in Dich selbst; denn Du hast schon Probe, daß Du gerade durch das, was Du als Deinen Beruf erkannt hast, auch schon Gutes gewirkt hast, unter den Menschen, und daß Du es vermagst. Ich denke mir, daß es bei Dir auch mehr der Gegensatz ist, den Du wahrnimmst zwischen dem, wie Du es gern haben möchtest in der Welt und wie Du sie vor Dir siehst. Es ist allerdings traurig und niederschlagend, besondes für uns Jugend, nur daran zu denken, wie weit der Weg ist für das Ziel. Gleichgültig soll man dabei nicht sein, es abschütteln und nichts dazu thun. Sondern im Gegentheil recht eifrig arbeiten, damit es besser werde. Aber friedlich sollen wir werden im Glauben, daß das Wahre und Gute doch zuletzt den Sieg behalten muß. Mit diesem Sinne hat <persName xml:id="persName_ece5ec19-7649-497c-9132-c731e15c5f9b">Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="person">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> in der Musik gewaltet, der manche Kämpfe und Dissonanzen durchgearbeitet hat, der aber immer Alles zu einem friedlichen und ruhigen Ende führt. Beethoven hat wol in seiner Sehnsucht nicht immer den Frieden gefunden, aber er ist in diesem Streben so menschlich und so herrlich, daß ich ihn darum so lieb habe.. – Du selbst bist noch jung und noch nicht genug wirksam herausgetreten, aber Du fühlst die Kraft in Dir, daß Du es könntest. Du darfst<seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> es aber den Menschen (z. B. den Berlinern) deßhalb nicht so übel nehmen, wenn sie das nicht wissen und darin noch ruhig und gleichgültig abwarten. Bist Du aber erst von der Reise zurück und trittst <add place="above">an<name key="PSN0114732" resp="writers_hand" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</name></add> einen bestimmten öffentlichen Platz – ich denke mir immer, Du mußt zunächst <persName xml:id="persName_f3de8270-a426-4948-a9bc-4eabc7833e82">Zelters<name key="PSN0115916" style="hidden" type="person">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName> Nachfolger werden – wo Du wirken kannst, dann zieht sich Alles ins Gleiche. Die Zeit der Reise wird wol schnell genug, auch ohne Sorgen vergehn. – Ich schlug Dir hier vor, und Du gabst mir halb Recht, solche Verstimmungen durch das Neue Testament zu überwinden. Noch wichtiger – nur weiß ich nicht, wie Du jetzt darüber denkst – ist, was ich nicht leicht gegen irgend wen heraussage – das Gebet. Nicht bloß eine – wie Du früher einmal äußertest – freudig erhobene Stimmung, sondern eine absichtliche und ausdrückliche Wendung des Herzens und der Gedanken zu Gott, die auch eine gewisse Zeit ausschließlich einnimmt. Das ist freilich nicht idealistisch. Aber wir Menschen brauchen dergleichen besondere Impulse; das Leben nimmt uns so hin, daß man sich darin nicht begnügen darf, daß man zu jedem Augenblick so gesinnt sein soll. Ich halte es aus demselben Zwecke für nothwendig, in die Kirche zu gehen, um das kirchlich-religiöse Element immer wieder zu beleben und anzufrischen. Mir ist das Gebet leider auch nicht tägliches Brot, aber so oft ich dazu komme, fühle ich mich selig. –</p> <p>Die Meinigen sind alle wohl, bis auf <persName xml:id="persName_23a0ca30-95d9-410e-91f1-d91c8a029078">meine Schwester Agnes<name key="PSN0113377" style="hidden" type="person">Mohs, Luise Wilhelmine Agnes (1802-1874)</name></persName>, die am <date cert="high" when="1830-06-30" xml:id="date_1aae4377-2d41-46d9-a789-bafe6eb376c1">Mittwoch</date> <persName xml:id="persName_07f8292d-d8ed-4acd-8914-7bbfe15cbeea">ein kleines Mädchen<name key="PSN0119020" style="hidden" type="person">Mohs, Agnes (1830-?)</name></persName> geboren hat; beide sind aber nach Umständen gesund. Die <persName xml:id="persName_35578cfc-9abd-4d61-b141-89675e8b4016">Mutter<name key="PSN0118201" style="hidden" type="person">Schubring, Hedwig Henriette Wilhelmine (1791-1839)</name></persName> ist auf ein Paar Wochen zu ihr gezogen. Von <persName xml:id="persName_820bae66-44a9-4454-aa6c-32338990d097">Deiner Schwester<name key="PSN0111893" style="hidden" type="person">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> hat mir <persName xml:id="persName_29aa9665-61a1-4dda-921e-db38d4d07766">Gustav<name key="PSN0114728" style="hidden" type="person">Schubring, Gustav (1809-1856)</name></persName> geschrieben, auch daß <persName xml:id="persName_9c922db8-f402-4f78-8ca8-45815f9da35c">der Kleine<name key="PSN0111898" style="hidden" type="person">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName> sehr elend sei. Ich war aber außerordentlich froh, weil 2 Tage vorher <persName xml:id="persName_a7c5ca23-b3f6-415f-9539-9f7bc812ebdf">Frl <hi rend="latintype">v. Pogwisch</hi><name key="PSN0113923" style="hidden" type="person">Pogwisch, Ulrike Henriette Adele Eleonore Freiin von (1798-1875)</name></persName> die Nachricht hergebracht hatte, Fanny selbst sei sehr krank. Dies ist glücklicher Weise ein Irrthum und ich wünsche Dir herzlich Glück dazu. Vielleicht werden ihr auch die Mutterfreuden diesmal noch erhalten. –</p> <p>Wenn Du mir in Wien einen <hi rend="latintype">Flügel</hi> ausgesucht hast,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_90db44eb-cc3f-451e-9391-f77eb40c1f6b" xml:lang="de">Wenn Du mir in Wien einen Flügel ausgesucht hast – Mendelssohn wählte für Schubring einen Flügel von Conrad Graf. Siehe Brief fmb-1830-09-15-01 (Brief Nr. 344) Felix Mendelssohn Bartholdy an Julius Schubring in Dessau, Wien, 15. September 1830.</note> worum ich Dich nochmals ersuche, so sei doch so gut und schicke ihn <del cert="high" rend="strikethrough">es</del> nur bis Prag zur Achse; der Elbtransport ist wol besser und billiger. Unser hiesiger Musikhändler, <persName xml:id="persName_dcaf77e9-5bcc-4911-bed6-7bbef0d4aa0b"><hi rend="latintype">Conradi</hi><name key="PSN0116440" style="hidden" type="person">Conradi, C.</name></persName>, hat mir seinen Prager Spediteur <persName xml:id="persName_98544a6c-4756-4883-b023-e7fab8e81b92"><hi rend="latintype">Plöschner</hi><name key="PSN0117841" style="hidden" type="person">Plöschner, Joseph Daniel</name></persName> zur Besorgung vorgeschlagen. –</p> <p>Neues von hier wüßte ich Dir nicht zu berichten; das Sommerleben, wiewol naß, geht doch lustig und gesellig von Statten. Manche, wenn sie wüßten, daß ich an Dich schriebe, würden Grüße aufgetragen haben, wie z. B. <persName xml:id="persName_a2ba88f8-8700-48b9-8f8a-f2a3c5d4c4eb">Rusts<name key="PSN0114376" style="hidden" type="person">Rust, Wilhelm Karl (1787-1855)</name></persName>, die <persName xml:id="persName_320a3f1d-b34e-4ce4-8334-abf7f9e2467f">Hofräthin Müller<name key="PSN0113483" style="hidden" type="person">Müller, Adelheid (1800-1883)</name></persName>, oder meine Mutter. Nimm es nur dafür an. <seg type="closer">Lebe recht wohl, Lieber, und behalt mich lieb.</seg></p> <signed rend="center">Dein</signed> <signed rend="right">Julius Schubring.</signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_7e8a9fe1-72a8-42f8-97fa-562f6b3db7dc"> <docAuthor key="PSN0114732" resp="author" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0114732" resp="writer" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806–1889)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Ich habe seit Deiner Abreise 3 mal gepredigt; das eine Mal ohne I, II; einfach den Text erklärend über die Parabel <hi rend="latintype">Lucas</hi> 14,16-24.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ff65b211-c02e-49b8-a8c4-2848e5824d37" xml:lang="de">die Parabel Lucas 14,16-24 – Gleichnis von Großen Abendmahl; Jesus vergleicht darin das Kommen des Reiches Gottes mit einem Abendmahl; vgl. auch Mt 22,1-10.</note></p> </div> </body> </text></TEI>