gb-1829-11-29-01
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Stettin, 29. November 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl. und 1 Bl.: S. 1-5 Brieftext; S: 6 Adresse, Siegel.
Albert Gustav Heydemann
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Herrn
F. Mendelssohn-Bartholdy
Berlin
p. Einl.
t
Novb. 1829.
Intermezzo die Weihnachten von 1829 bestimmtest. Jetzt kehrst Du ultramarinus uns zurück, und wir Alle drängen uns zu Dir,
Was mich und mein Leben hier am Orte (ich spreche kaufmännisch, denn Stettin ist eine Handelsstadt)
cf.
Ich bin ungeheuer begierig, die große Veränderung zu sehen, die i
Alb. G. Hn.
Stettin, d. 29t Novb. 1829. Liebster Felix. Man erwartet Dich, wie ich weiß, heute in Berlin; ich hoffe, Du bist glücklich im Vaterhause angelangt, und setze mich darum hin und schreibe munter an Dich. Es ist Sonntag Abend und recht still um mich herum, meine Gedanken haben einen langen Besuch gemacht, näml. nach Berlin hin und in Dein Haus, eben sind sie wieder zu mir heimgekehrt, und so hoffe ich denn, wird dieser Brief nicht ohne Gedanken sein. Lieber Reisender! so läge denn ein Theil der großen lange besprochenen Reise hinter Dir, und Du hast ihn nicht ohne einigen ersprießlichen Gewinn durchgemacht. Es ist sehr angenehm, wenn ein Act des Lebensschauspiels vollendet ist, ihn sich noch einmal zu überdenken, und seine einzelnen Bilder vor dem innern Auge vorbeipassiren zu lassen; es ist mir fast sonderbar und ziemlich unerklärlich zu Muthe, wenn ich mich an den Abend erinnere (es war ziemlich unfreundliches Wetter), wo Du, von Louis und mir nach Hause begleitet, uns erzähltest, wie Du im Februar o. März des kommenden Jahres Berlin zu verlassen gedächtest, und wie Du da- und dorthin wandern wolltest, und Dir als Intermezzo die Weihnachten von 1829 bestimmtest. Jetzt kehrst Du ultramarinus uns zurück, und wir Alle drängen uns zu Dir, und sehen uns Alle mit sonderbaren Blicken an. Denn beim Himmel und beim Hunde, wir müssen uns ziemlich verändert erscheinen. Nehme ich nur 3 Leute, (Dich und die Heydemannischen Gebrüder), so kannst Du mir glauben, es ist Manches um sie herum vorgegangen, was nicht spurlos verschwunden ist. Aber es ist doch nicht unerfreulich, daß es im Menschen etwas giebt, das, wie ihn auch Äußeres und innere Erlebnisse bedingen und bestimmen mögen, gehörig ausreicht, um bei aller Umstaltung doch das Band, das uns verbindet, festzuhalten, ja selbst stets fester und fester zu schlingen; ich meine die Gesinnung. Ich komme nun auch bald zu Euch, und wir werden dann wieder einige Zeit zusammen sein, so wie früher wohl nicht; doch ist mir nicht bange. Die Achtung und Liebe, die wir alle für einander hegen, bindet uns mit lieben Banden. Mögest Du mir in der Fremde und Ferne Deine Freundschaft bewahrt haben, auf die ich stets stoltz gewesen bin. Überhaupt tröstet es mich manchmal nicht wenig, wenn ich denke, daß ich einigen Menschen, besonders Dir und meinem Bruder nicht gleichgültig bin. Bester Felix, mit aller Gluth, deren ich fähig bin, beschwöre ich Dich, nimm Dich Louis’ an; seit ich fort bin, ist er ganz allein; es steht ihm keiner nah; Steinbeck verdirbt durch seinen guten Willen mehr, als er nutzt, und Leivenhagen ist (wie sehr ich auch Manches an ihm zu schätzen gezwungen bin) zu arm, um diesen reichen Geist zu fassen. Du und Horn, vielleicht auch ich, wir nur können ihm in seinem vielfach durch Stürme bewegtem Leben Beruhigung geben, und Du kannst mir glauben, ich habe, als Ihr anderen entfernt waret, gethan was ich konnte. Auch schmeichle ich mir, daß ich ihm nicht ganz ohne Nutzen gewesen. L’s letzter Brief an mich beweist mir, daß ihm, falls er wieder wohl ist, nichts fehlt, als ein Mensch, und diese Pflanze blüht jetzt für ihn wieder in der Leipziger Str. Umfasse Du ihn wieder mit den sanften Banden, wie früher, und sei ihm wieder das, was Du ihm vor einem Jahre warst. Komme ich nach B., so will ich Dir redlich beistehen und brüderlich danken. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie lieb ich meinen Bruder gewonnen habe, und wie er fast der Einzige ist, der mich die so heilsame Entfernung von Berlin bedauern läßt. Aber dafür bin ich ihm auch werth, und er hat mir davon Beweise gegeben, und als er mich neulich in seinem letzten Briefe merken ließ, daß ich in seiner Achtung stehe, νὴ τὸν ϰύνα, da wurde ich einigermaaßen gerührt. Was mich und mein Leben hier am Orte (ich spreche kaufmännisch, denn Stettin ist eine Handelsstadt) betrifft, so wirst Du vielleicht Manches von Louis erfahren haben. Ich komme mir manchmal vor, als wäre ich nicht unreif für eine Jean Paulsche Stilllebefigur; nur glaube ich, macht das Bewußtsein, das ich hierüber habe, die Sache unmöglich; denn Fixlein und mein College das Schulmeisterlein Maria Wuz wissen nichts von ihrer Tauglichkeit für den Flegeljährigen. Ich lebe hier in einer sonderbaren Kleinstädterei, die um so sonderbarer und lächerlicher ist, je mehr die Menschen großstädtisch sein wollen. Die große Einsamkeit, die mich zwingt, gleich einer Schildkröte – halte mich aber nicht für eine von jenen 3monatlichen; cf. Lichtensteins Vorlesungen – unter mein Schild mich zurückzuziehen, thut mir ungemein wohl, und es freut mich, zu sehen, daß sie mich nicht verstimmt, sondern im Gegentheil aufregt, zu großen Werken freilich nicht, aber doch zu ersprießlichen Gedanken. Ich sehe freilich, daß ich nicht füglich ein Dichter von neuern Caliber werden kann; denn diese Herren pflegen in traurigen Sangesweisen ihre Einsamkeit für ein erkleckliches Honorar zu beklagen. Ich mache mir fast aus ihnen allen nichts, und halte ihr Wesen für verfehlt; sie sehen zwar nicht ein, doch fühlen sie, daß eine neue kräftige Zeit der Poesie anheben müsse, doch noch ist der große Geist nicht erschienen (Heyne ist es nicht) der mit seinem Zauberstab die Pforten des neuen Reiches öffnen wird, und nun piepsen und pfeifen die Schwächeren wie die Mäuse, denen das Loch, wo sie wohnten, verstopft ist, einige lyrisch ergossen in Unbehagen an der Welt, andere gar philosophisch aus der Schule schwatzend. Der Teufel hole sie Alle, wenigstens die Meisten, wenigstens ihre Gedichte. Ich bin ungeheuer begierig, die große Veränderung zu sehen, die i m Deinem Hause vorgegangen ist; in den Gedanken kann ich mich kaum hineinfinden, Anschauung wird wohl das Beste thun. Empfiehl mich den Deinigen, und bitte sie, mir das Wohlwollen, von dem sie mir früher Beweise gegeben, ferner noch zu bewahren. Und überhaupt, o Felix, wir wollen uns ein schönes Leben zimmern, wenn ich Berlin besuchen werde; ich zähle die einzelnen Tage mit Ungeduld und großer Erwartung. Lebe wohl und denke mein; Du bist wohl zu sehr beschäftigt, darum erwarte ich keine Antwort; schickst Du mir doch eine, desto besser, ich werde sie mit Dank annehmen. Dein Alb. G. Hn.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-11-29" xml:id="date_2b57c645-9ff6-4a67-8fc1-d0ac9065ad00">29. 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November an (vgl. Mendelssohns Notizbucheintrag von diesem Tag, GB-Ob, M.D.M.g. 1, fol. 10v). Er traf am 7. Dezember in Berlin ein (vgl. Hensel, Tagebücher, S. 25, Eintrag vom 30. Dezember 1829).</note> ich hoffe, Du bist glücklich im Vaterhause angelangt, und setze mich darum hin und schreibe munter an Dich. Es ist <date cert="high" when="1829-11-29">Sonntag Abend</date> und recht still um mich herum, meine Gedanken haben einen langen Besuch gemacht, näml. nach Berlin hin und in Dein Haus, eben sind sie wieder zu mir heimgekehrt, und so hoffe ich denn, wird dieser Brief nicht ohne Gedanken sein. Lieber Reisender! so läge denn ein Theil der großen lange besprochenen Reise hinter Dir, und Du hast ihn nicht ohne einigen ersprießlichen Gewinn <gap quantity="4" reason="deletion" unit="characters"></gap> durchgemacht. 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Ich komme mir manchmal vor, als wäre ich nicht unreif für eine <persName xml:id="persName_253f0d4f-42d4-441d-ac10-3c1644c48e83">Jean Paulsche<name key="PSN0114173" style="hidden" type="person">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763-1825)</name></persName> Stilllebefigur; nur glaube <add place="above">ich,<name key="PSN0111960" resp="writers_hand" style="hidden">Heydemann, Albert Gustav (1808–1877)</name></add> macht das Bewußtsein, das ich hierüber habe, die Sache unmöglich; denn <title xml:id="title_8a9a3693-be08-4c3d-9a4a-7fb99085923a">Fixlein<name key="PSN0114173" style="hidden" type="author">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763–1825)</name><name key="CRT0110456" style="hidden" type="literature">Leben des Quintus Fixlein</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_8069ff9e-8e6c-4b28-b229-952699b3e1b1" xml:lang="de">Fixlein – Titelfigur aus Jean Pauls Roman Leben des Quintus Fixlein, Bayreuth 1796.</note> und mein College das <title xml:id="title_108b6068-839d-4a14-8277-3ab285ab2295">Schulmeisterlein Maria Wuz<name key="PSN0114173" style="hidden" type="author">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763–1825)</name><name key="CRT0111850" style="hidden" type="literature">Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_95a82bff-249a-424f-b763-19c8cb80df04" xml:lang="de">das Schulmeisterlein Maria Wuz – Titelfigur aus Jean Pauls Roman Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal; Erstdruck als Anhang zu dem Roman Die unsichtbare Loge, Berlin 1793.</note> wissen nichts von ihrer Tauglichkeit für den <title xml:id="title_976af209-fd70-4214-a384-03cb3e170fff">Flegeljährigen<name key="PSN0114173" style="hidden" type="author">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763–1825)</name><name key="CRT0110453" style="hidden" type="literature">Flegeljahre. Eine Biographie</name></title>.<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_0b2647f1-6d67-4941-a471-18f2f4d84a7d" xml:lang="de">den Flegeljährigen – Anspielung auf Jean Pauls Roman Flegeljahre, 4 Bde., Tübingen 1804/05.</note> Ich lebe hier in einer sonderbaren Kleinstädterei, die um so sonderbarer und lächerlicher ist, je mehr die Menschen großstädtisch sein wollen. Die große Einsamkeit, die mich zwingt, gleich einer <gap quantity="3" reason="deletion" unit="characters"></gap> Schildkröte – halte mich aber nicht für eine von jenen 3monatlichen; <hi rend="latintype">cf</hi>.<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_f051820f-ce74-4352-a73e-7ee849f75d7e" xml:lang="la ">cf. – lat. confer, vergleiche.</note> <persName xml:id="persName_f6f0c5a9-6882-4fcc-a7f9-9e5be22af0cf">Lichtensteins<name key="PSN0112826" style="hidden" type="person">Lichtenstein, Martin H(e)inrich Karl (1780-1857)</name></persName> Vorlesungen<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_bbf4f4cf-8c29-481e-bdae-2b530b6fe101" xml:lang="de">Lichtensteins Vorlesungen – eine der regelmäßig von dem Professor für Zoologie Martin Hinrich Lichtenstein an der Berliner Universität gehaltenen Vorlesungen über Allgemeine Zoologie. Mendelssohn hatte diese im Sommersemester 1827 und im Wintersemester 1827/28 gehört (Hans-Günter Klein, Felix Mendelssohn Bartholdy als Student an der Berliner Universität, in: Mendelssohn Studien 16, 2009, S. 101-124, hier S. 109).</note> – unter mein Schild mich zurückzuziehen, thut mir ungemein wohl, und es freut mich, zu sehen, daß sie mich nicht verstimmt, sondern im Gegentheil aufregt, zu großen Werken freilich nicht, aber doch zu ersprießlichen Gedanken. Ich sehe freilich, daß ich nicht füglich ein Dichter von neuern Caliber werden kann; denn diese Herren pflegen in traurigen Sangesweisen ihre Einsamkeit für ein erkleckliches Honorar zu beklagen. Ich mache mir fast aus ihnen allen nichts, und halte ihr Wesen für verfehlt; sie sehen zwar nicht ein, doch fühlen sie, daß eine neue kräftige Zeit der Poesie anheben müsse, doch noch ist der große Geist nicht erschienen (<persName xml:id="persName_4ffc4bf9-83ef-422a-94d1-2d6200621210">Heyne<name key="PSN0111816" style="hidden" type="person">Heine, Christian Johann Heinrich (bis 1825: Harry) (1797-1856)</name></persName> ist es nicht) der mit seinem Zauberstab<seg type="pagebreak"> |5|<pb n="5" type="pagebreak"></pb></seg> die Pforten des neuen Reiches öffnen wird, und nun piepsen und pfeifen die Schwächeren wie die Mäuse, denen das Loch, wo sie wohnten, verstopft ist, einige lyrisch ergossen in Unbehagen an der Welt, andere gar philosophisch aus der Schule schwatzend. Der Teufel hole sie Alle, wenigstens die Meisten, wenigstens ihre Gedichte.</p> <p>Ich bin ungeheuer begierig, die große Veränderung zu sehen, die i<choice resp="writer" source="autograph_edition_template"> <corr resp="writer">n</corr> <sic resp="writer">m</sic> </choice> Deinem Hause vorgegangen ist;<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_2ae80b11-27a0-41f2-887b-7792a81a8a29" xml:lang="de">die große Veränderung … die in Deinem Hause vorgegangen ist – Gemeint ist die Heirat von Wilhelm Hensel und Fanny Mendelssohn Bartholdy am 3. Oktober 1829.</note> in den Gedanken kann ich mich kaum hineinfinden, Anschauung wird wohl das Beste thun. Empfiehl mich den Deinigen, und bitte sie, mir das Wohlwollen, von dem sie mir früher Beweise gegeben, ferner noch zu bewahren. Und überhaupt, o Felix, <gap quantity="3" reason="deletion" unit="characters"></gap> <unclear reason="paper_destruction" resp="FMBC"> wir </unclear> wollen uns ein schönes Leben zimmern, wenn ich Berlin besuchen werde; ich zähle die einzelnen Tage mit Ungeduld und großer Erwartung.</p> <closer rend="left">Lebe wohl und denke mein; Du bist wohl zu sehr beschäftigt, darum erwarte ich keine Antwort; schickst Du mir doch eine, desto besser, ich werde sie mit Dank annehmen.</closer> <signed rend="right">Dein</signed> <signed rend="right"><hi rend="latintype">Alb. G. Hn</hi>.</signed> </div> </body> </text></TEI>