gb-1829-05-02-03
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London, nach dem 1. Mai 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
1 Doppelbl.: S. 1-3 Brieftext; S. 4 Adresse. Datierung ermittelt: In Brief fmb-1829-05-01-01 (Brief Nr. 153) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, London, 1. Mai 1829, berichtete Felix Mendelssohn Bartholdy von seinem Besuch im phrenologischen Kabinett in London. Offenbar besuchte es danach auch Carl Klingemann. Der Brief ist daher wohl nach dem 1. Mai 1829 geschrieben.
Carl Klingemann
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Ralph Esq.
Ralph!
Es war genug gestern, um verdrießlich zu seyn und zu bleiben auf lange. Deiner höchst schätzbaren Freundschaft bin ich ohnehin nicht mehr werth – es ist verdammt wenig an mir.
Wenn ein Mensch gleich mir
Galls6. Bände
Sur les fonctions du cerveau
Phrenologygewinnt, und sich aus Eifer für die neue Wissenschaft zuletzt sogar den Kopf scheren läßt um kein Organ zu missen, so verlangt er dafür auch ein oder anderes eminentes Vorgebeuge guter Hoffnungen an seinem Vorder- und Hinterhaupte zu entdecken. Blutwenig habe ich von jeher gefunden. Kinderliebe war da, wenn auch ohne die Kinder – (
schöne Kinderliebt ohnehin jeder Lump) – Etwas Reiselust fand ich – desgl
Educabilité– grade Musiksinn genug für ein Handwerkburschenlied – Zahlen- und ZahlVermögen höchst schwach (das erklärt meine Schulden) – und eben an der Stirn wo der Tanz mit Idealität und Philosophie und den allernobelsten Gesinnungen erst eigentlich losgehen sollte, trat nichts heraus –
Mein einziger Trost blieb die halbkreisförmige Erhöhung des Vorderkopfes in der Gegend wo die Vorderlocken gemeiniglich sprießen – verstand ich Gall recht (ich las freilich schon lange also flüchtig) so hatte er sie an Leuten von großem mimischem Talente entdeckt – es war das Organ was große Schauspieler und Schauspieldichter bildet. Mir war nun klar, warum ich in grüner Jugend mit Glück Sprichwörter in netten Gesellschaften aufgeführt hatte. –
Hinz, Freund,
Poeticus
Demidoff
primo amorosound die
bella Donnabei Dir, – gehen noch einige Jahre ins Land, so schreibst Du die schönsten Comödien – und nirgends brauchst Du mehr leise aufzutreten, trittst Du auf!
Aber in dem verwünschten Phrenological Cabinet in Gower Street ist alles Socrates sieht in der That anders aus wie
, undSchinderhannes
hat wenig vom Blödsinnigen der ihm gegenüber steht – unter den Musikern finde ich lebende Bekannte und todte Geliebte,MichelAngelo
Schauroth
, alle mit breiten Stirnen und großen Nasen – die Weltweisen sehen aus wie der ewige Frieden –Gluck
hat Zahlensinn aber keinen Fortpflanzungstrieb – und eine Kindermörderinn hat den letzteren aber kein VorsichtsorganNewton
Doctornoch ausführlicher erklärt.
So weit war Alles gut – da reitet mich der Böse, nach dem bewußten Halbkreise zu fragen: – der freundliche Artzt langt ein damit begabtes Exemplar herunter, und wie ich nun zu hören hoffe, wie dies Niemand andres gewesen als Lekain oder
oderGarrick
, explicirt er ruhig: Dies war dieAristhophanes
Thomson
Aldersgate Street– Sie
the Organ of Benevolence– stark entwickelt.
Damn the Organ of Benevolence! fluchte ich leise – er nahm es für Bewunderung und legte seine feine fühlende Hand auf mein Vorderhaupt, und wir bildeten eine rührende Gruppe – ich denke er fand mehr Wohlwollen drinnen wie draußen bei mir.
povern Wohlwollen anfangen? Baut man Häuser, gewinnt man Schlachten oder Procente, mahlt man Bilder damit?
Schreibe mir bald ob Du mich noch achtest. Wohlwollen! es ist gar zu erbärmlich!
Hinz.
N.S. Ich spieße Dich lebendig, sagst Du’s der Blonden wieder: Ich hätte nichts als Wohlwollen auf dem Kopfe! Lieber Hörner wie Moses oder
Jupiter Amoren!
Ralph! Es war genug gestern, um verdrießlich zu seyn und zu bleiben auf lange. Deiner höchst schätzbaren Freundschaft bin ich ohnehin nicht mehr werth – es ist verdammt wenig an mir. Wenn ein Mensch gleich mir Galls 6. Bände Sur les fonctions du cerveau langsam durchließt, dabei einigen Glauben an die Schädellehre oder Phrenology gewinnt, und sich aus Eifer für die neue Wissenschaft zuletzt sogar den Kopf scheren läßt um kein Organ zu missen, so verlangt er dafür auch ein oder anderes eminentes Vorgebeuge guter Hoffnungen an seinem Vorder- und Hinterhaupte zu entdecken. Blutwenig habe ich von jeher gefunden. Kinderliebe war da, wenn auch ohne die Kinder – (schöne Kinder liebt ohnehin jeder Lump) – Etwas Reiselust fand ich – desgl Educabilité – grade Musiksinn genug für ein Handwerkburschenlied – Zahlen- und ZahlVermögen höchst schwach (das erklärt meine Schulden) – und eben an der Stirn wo der Tanz mit Idealität und Philosophie und den allernobelsten Gesinnungen erst eigentlich losgehen sollte, trat nichts heraus – Mein einziger Trost blieb die halbkreisförmige Erhöhung des Vorderkopfes in der Gegend wo die Vorderlocken gemeiniglich sprießen – verstand ich Gall recht (ich las freilich schon lange also flüchtig) so hatte er sie an Leuten von großem mimischem Talente entdeckt – es war das Organ was große Schauspieler und Schauspieldichter bildet. Mir war nun klar, warum ich in grüner Jugend mit Glück Sprichwörter in netten Gesellschaften aufgeführt hatte. – Hinz, Freund, Poeticus! flattirte ich mich vergnügt – Du bist nun Dein eigner reicher Graf Demidoff, der in Italien mit einer besondern ihm gehörigen Theatertruppe herumreist – Du hast nun den primo amoroso und die bella Donna bei Dir, – gehen noch einige Jahre ins Land, so schreibst Du die schönsten Comödien – und nirgends brauchst Du mehr leise aufzutreten, trittst Du auf! Aber in dem verwünschten Phrenological Cabinet in Gower Street ist alles sehen sie’s anders. MörderReihen, PhilosophenReihen, KünstlerReihen – toll und frappant genug – Socrates sieht in der That anders aus wie Schinderhannes, und MichelAngelo hat wenig vom Blödsinnigen der ihm gegenüber steht – unter den Musikern finde ich lebende Bekannte und todte Geliebte, die kleine Schauroth und den großen Gluck, alle mit breiten Stirnen und großen Nasen – die Weltweisen sehen aus wie der ewige Frieden – Newton hat Zahlensinn aber keinen Fortpflanzungstrieb – und eine Kindermörderinn hat den letzteren aber kein Vorsichtsorgan. – wären nicht Damen da gewesen, hätte es uns der Doctor noch ausführlicher erklärt. So weit war Alles gut – da reitet mich der Böse, nach dem bewußten Halbkreise zu fragen: – der freundliche Artzt langt ein damit begabtes Exemplar herunter, und wie ich nun zu hören hoffe, wie dies Niemand andres gewesen als Lekain oder Garrick oder Aristhophanes, explicirt er ruhig: Dies war die Wittwen Thomson aus Aldersgate Street – Sie sahen hier hat Hospitälern und Findelhäusern viel Gutes und Liebes mit milden Stiftungen und nie nachlassenden Nachläßen gethan, und hier oben ist das Organ des Wohlwollens – the Organ of Benevolence – stark entwickelt. Damn the Organ of Benevolence! fluchte ich leise – er nahm es für Bewunderung und legte seine feine fühlende Hand auf mein Vorderhaupt, und wir bildeten eine rührende Gruppe – ich denke er fand mehr Wohlwollen drinnen wie draußen bei mir. Was in aller Welt soll ich nur mit dem puren und povern Wohlwollen anfangen? Baut man Häuser, gewinnt man Schlachten oder Procente, mahlt man Bilder damit? Schreibe mir bald ob Du mich noch achtest. Wohlwollen! es ist gar zu erbärmlich! Hinz. N. S. Ich spieße Dich lebendig, sagst Du’s der Blonden wieder: Ich hätte nichts als Wohlwollen auf dem Kopfe! Lieber Hörner wie Moses oder Jupiter Amoren!
<TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="gb-1829-05-02-03" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="gb-1829-05-02-03" xml:id="title_f584904d-ca61-48ea-a1b3-85d9e1e051e3">Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy in London <lb></lb>London, nach dem 1. Mai 1829</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_15f28aa9-db31-4fa9-be6e-7ed7a6c753ec">Es war genug gestern, um verdrießlich zu seyn und zu bleiben auf lange. Deiner höchst schätzbaren Freundschaft bin ich ohnehin nicht mehr werth – es ist verdammt wenig an mir. Wenn ein Mensch gleich mir Galls</title> <title level="s" type="sub" xml:id="title_db6d184d-ebdb-41cd-984f-19d7f595c8a5">Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C)</title> <title key="unknown" type="precursor" xml:id="title_b57a2b8e-c412-4d60-9a61-23193c76a9d6">unbekannt</title> <title key="unknown" type="successor" xml:id="title_3381263b-2165-4d64-a2b5-77115adb4557">unbekannt</title> <author key="PSN0112434">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0112434" resp="writer">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription"></name> </respStmt> <respStmt resp="edition"> <resp resp="edition">Edition: </resp> <name resp="edition"></name> </respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). 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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" notBefore="1829-05-02" xml:id="date_3041378c-f470-46af-a926-5041a8b211ac">nach dem 1. 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Das Manuskript des Beginns einer Novelle »Hinz und Ralph« von Klingemann über Mendelssohns ersten Englandaufenthalt 1829 wird in Berlin aufbewahrt (D-B, Handschriftenabteilung, Autogr. I /266/4; datiert 30. April 1829?). Siehe dazu Back, Freund meiner MusikSeele, S. 383 ff.</note></salute> <p style="paragraph_without_indent">Es war genug gestern, um verdrießlich zu seyn und zu bleiben auf lange. Deiner höchst schätzbaren Freundschaft bin ich ohnehin nicht mehr werth – es ist verdammt wenig an mir.</p> <p>Wenn ein Mensch gleich mir <title xml:id="title_866bedf1-0b15-4503-9649-9c17470b0f36"><hi rend="latintype">Galls</hi> 6. Bände <hi rend="latintype">Sur les fonctions du cerveau</hi><name key="PSN0111274" style="hidden" type="author">Gall, Franz Joseph (1758–1828)</name><name key="CRT0111707" style="hidden" type="science">Sur les fonctions du cerveau et sur celles de chacune de ses parties</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_aed66e9a-ddd5-4b9f-88f6-c4c101741f4b" xml:lang="de">Galls 6. Bände Sur les fonctions du cerveau – Franz Joseph Gall, Sur les fonctions du cerveau et sur celles de chacune de ses parties […], 6 Bde., Paris 1822-1825. Die Publikation bildet den zweiten Teil der Anatomie et physiologie du système nerveux en général et du cerveau en particulier […], 4 Bde. zusammen mit Johann Christoph Spurzheim, Paris 1810-1820.</note> langsam durchließt, dabei einigen Glauben an die Schädellehre oder <hi rend="latintype">Phrenology</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7a7cc759-3c8d-41a8-bfbb-cd8863228620" xml:lang="de">die Schädellehre oder Phrenology – Die von Franz Joseph Gall entwickelte Phrenologie erfuhr zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Großbritannien und Amerika weite Verbreitung. Sie basiert auf der These, dass die Schädelform Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Gehirns und auf den Charakter einer Person zulässt.</note> gewinnt, und sich aus Eifer für die neue Wissenschaft zuletzt sogar den Kopf scheren läßt um kein Organ zu missen, so verlangt er dafür auch ein oder anderes eminentes Vorgebeuge guter Hoffnungen an seinem Vorder- und Hinterhaupte zu entdecken. Blutwenig habe ich von jeher gefunden. Kinderliebe war da, wenn auch ohne die Kinder – (<hi n="1" rend="underline">schöne Kinder</hi> liebt ohnehin jeder Lump) – Etwas Reiselust fand ich – desgl <hi rend="latintype">Educabilité</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_1f03d346-015d-4bea-bc38-9aa676eb4fc7" xml:lang="fr ">Educabilité – frz., Gelehrigkeit, Bildungsfähigkeit.</note> – grade Musiksinn genug für ein Handwerkburschenlied – Zahlen- und ZahlVermögen höchst schwach (das erklärt meine Schulden) – und eben an der Stirn wo der Tanz mit Idealität und Philosophie und den allernobelsten Gesinnungen erst eigentlich losgehen sollte, trat nichts heraus –</p> <p>Mein einziger Trost blieb die halbkreisförmige Erhöhung des Vorderkopfes in der Gegend wo die Vorderlocken gemeiniglich sprießen – verstand ich <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_d32e1386-c098-47c5-9c0c-9a7dd19beb60">Gall<name key="PSN0111274" style="hidden" type="person">Gall, Franz Joseph (1758-1828)</name></persName></hi> recht (ich las freilich schon lange also flüchtig) so hatte er sie an Leuten von großem mimischem Talente entdeckt – es war das Organ was große Schauspieler und Schauspieldichter bildet. Mir war nun klar, warum ich in grüner Jugend mit Glück Sprichwörter in netten Gesellschaften aufgeführt hatte. – <hi rend="latintype">Hinz</hi>, Freund, <unclear reason="uncertain_reading" resp="FMBC"><hi rend="latintype"><unclear reason="uncertain_reading" resp="FMBC">Poeticus</unclear></hi></unclear>! flattirte<note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_a0b7d2aa-d164-40ec-a041-585be327e33a" xml:lang="de">flattirte – von frz. flatter, schmeicheln.</note> ich mich vergnügt – Du bist nun Dein eigner reicher <persName xml:id="persName_d8396e31-ce4a-4e4b-9dd2-8452fe35364f">Graf <hi rend="latintype">Demidoff</hi><name key="PSN0116513" style="hidden" type="person">Demidow, Nikolai Nikititsch (1773-1828)</name></persName>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_a725758c-4627-455a-9e55-419625e9d0fc" xml:lang="de">Graf Demidoff – Gemeint ist wohl der vermögende Graf Nikolai Nikititsch Demidow, der längere Zeit in Paris und Florenz lebte und dort hervorragende Künstler und Gelehrte um sich versammelte.</note> der in Italien mit<seg type="pagebreak"> |2|<pb n="2" type="pagebreak"></pb></seg> einer besondern ihm gehörigen Theatertruppe herumreist – Du hast nun den <hi rend="latintype">primo amoroso</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_1f7792fc-6ae7-4828-9798-e4a834b737a0" xml:lang="it ">primo amoroso – ital., den ersten Liebhaber.</note> und die <hi rend="latintype">bella Donna</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="translation" xml:id="note_42ed9c4d-b2ef-4a4d-b09f-448878fd4ca8" xml:lang="it ">bella Donna – ital., die schöne Frau.</note> bei Dir, – gehen noch einige Jahre ins Land, so schreibst Du die schönsten Comödien – und nirgends brauchst Du mehr leise aufzutreten, trittst Du auf!</p> <p>Aber in dem verwünschten <hi rend="latintype">Phrenological Cabinet</hi> in <hi rend="latintype">Gower Street</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_9811c5b2-fdba-46b3-8aba-596654f4776d" xml:lang="de">Phrenological Cabinet in Gower Street – Das Phrenologische Kabinett in London mit Gipsabgüssen von Schädeln befand sich in der Gower Street. Auch Mendelssohn ließ einen Gipsabguss seines Kopfes für die Sammlung anfertigen. Aus dem Jahr 1833 existiert ein weiterer Abguss (A Catalogue of Phrenological Specimes, belonging to the Boston Phrenological Society, Boston 1835, S. 5).</note> <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_e5edb6b8-6504-4f76-b28b-6ad6bd35ccd3">ist alles</del> <add place="above">sehen sie’s<name key="PSN0112434" resp="writers_hand" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></add> anders. MörderReihen, PhilosophenReihen, KünstlerReihen – toll und frappant genug – <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_6f505277-fba3-4cfb-b18f-b15e14704bce">Socrates<name key="PSN0114961" style="hidden" type="person">Sokrates</name></persName></hi> sieht in der That anders aus wie <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_ed84c9d3-250c-46d5-963a-0501af0e82c4">Schinderhannes<name key="PSN0118126" style="hidden" type="person">Schinderhannes (eigtl. Johann Bückler) (1779-1803)</name></persName></hi>,<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_c71f88bc-6617-4e41-b934-d11b4d3175b7" xml:lang="de">Schinderhannes – Der Räuberhauptmann Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, führte um 1800 eine Straßenräuberbande im Hunsrück und Taunus an. Er wurde 1803 in Mainz hingerichtet.</note> und <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_79f82571-c812-44e5-a508-d5ace5874052">MichelAngelo<name key="PSN0113332" style="hidden" type="person">Michelangelo Buonarroti (1475-1564)</name></persName></hi> hat wenig vom Blödsinnigen der ihm gegenüber steht – unter den Musikern finde ich lebende Bekannte und todte Geliebte, <persName xml:id="persName_4c6a0aed-171a-44ab-9565-3f09ab03962c">die kleine <hi rend="latintype">Schauroth</hi><name key="PSN0114515" style="hidden" type="person">Schauroth, Delphine (Adolphine) von (1814-1887)</name></persName> und den großen <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_e30fb14e-41ad-4d85-b32b-e4379f3247fa">Gluck<name key="PSN0111405" style="hidden" type="person">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name></persName></hi>, alle mit breiten Stirnen und großen Nasen – die Weltweisen sehen aus wie der ewige Frieden – <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_7f82b2cb-74e7-42cb-a99a-82ac760e3080">Newton<name key="PSN0113587" style="hidden" type="person">Newton, (seit 1705) Sir Isaac (1643-1727)</name></persName></hi> hat Zahlensinn aber keinen Fortpflanzungstrieb – und eine Kindermörderinn hat den letzteren aber kein Vorsichtsorgan<del cert="high" rend="strikethrough">.</del> <add place="between">– wären nicht Damen da gewesen, hätte es uns der <hi rend="latintype">Doctor</hi> noch ausführlicher erklärt.<name key="PSN0112434" resp="writers_hand" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798–1862)</name></add></p> <p>So weit war Alles gut – da reitet mich der Böse, nach dem bewußten Halbkreise zu fragen: – der freundliche Artzt langt ein damit begabtes Exemplar herunter, und wie ich nun zu hören hoffe, wie dies Niemand andres gewesen als <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_c34da0d6-b714-48a8-9e5a-af418df4a470">Lekain<name key="PSN0116365" style="hidden" type="person">Cain, Henri-Louis (Pseud.: Lekain) (1729-1778)</name></persName></hi> oder <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_01168bb8-9106-4029-b72b-e546b89da534">Garrick<name key="PSN0116798" style="hidden" type="person">Garrick, David (1717-1779)</name></persName></hi> oder <hi rend="latintype"><persName xml:id="persName_85c0a085-5c5a-4711-93cb-ba691633593c">Aristhophanes<name key="PSN0109523" style="hidden" type="person">Aristophanes (um 445 v. Chr.-um 385 v. Chr.)</name></persName></hi>, explicirt er ruhig: Dies war die <persName xml:id="persName_f3eaf51b-d3f5-496a-966f-67182b141f00">Wittwen <hi rend="latintype">Thomson</hi><name key="PSN0118430" style="hidden" type="person">Thomson, Frau</name></persName> aus <hi rend="latintype">Aldersgate Street</hi> – Sie <del cert="high" rend="strikethrough" xml:id="del_29f45b0b-12f7-4eab-870f-36b495f05fcb">sahen hier</del> hat Hospitälern und Findelhäusern viel Gutes und Liebes mit milden Stiftungen und nie nachlassenden Nachläßen gethan, und hier oben ist das Organ des Wohlwollens – <hi rend="latintype">the Organ of Benevolence</hi> – stark entwickelt.</p> <p><hi rend="latintype">Damn the Organ of Benevolence</hi>! fluchte ich leise – er nahm es für Bewunderung und legte seine feine fühlende Hand auf mein Vorderhaupt, und wir bildeten eine rührende Gruppe – ich denke er fand mehr Wohlwollen drinnen wie draußen bei mir. </p> <p><seg type="pagebreak"> |3|<pb n="3" type="pagebreak"></pb></seg> Was in aller Welt soll ich nur mit dem puren und <hi rend="latintype">povern</hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="word_description" xml:id="note_bf689ba6-888a-4767-97ab-bdde066258e4" xml:lang="de">povern – von frz. pauvre, armselig, power.</note> Wohlwollen anfangen? Baut man Häuser, gewinnt man Schlachten oder Procente, mahlt man Bilder damit?</p> <p>Schreibe mir bald ob Du mich noch achtest. Wohlwollen! es ist gar zu erbärmlich! </p> <signed rend="center"><hi rend="latintype">Hinz</hi>.</signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_89ed4b1d-7f7e-44f6-8f49-6a3113656ac8"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">N.S. Ich spieße Dich lebendig, sagst Du’s der Blonden wieder: Ich hätte nichts als Wohlwollen auf dem Kopfe! Lieber Hörner wie <hi rend="latintype"><title xml:id="title_0b89f316-3244-4206-8d89-d7536be695be">Moses<name key="PSN0113332" style="hidden" type="author">Michelangelo Buonarroti (1475–1564)</name><name key="CRT0111708" style="hidden" type="art">Moses</name></title></hi><note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_ab5f1864-6446-476d-a401-9233d13feaa8" xml:lang="de">Hörner wie Moses – Die Moses-Statue von Michelangelo in der Kirche San Pietro in Vincoli in Rom hat Hörner.</note> oder <hi rend="latintype">Jupiter Amoren</hi>!<note resp="FMBC" style="hidden" type="single_place_comment" xml:id="note_7d9a6c60-cbbc-41e0-b9f0-e2b7924e9ae6" xml:lang="de">Jupiter Amoren – Jupiter wird in der römischen Mythologie mit Zeus gleichgesetzt, der zahlreiche Liebesaffären hatte.</note></p> </div> </body> </text></TEI>