fmb-1838-11-21-01
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Berlin, 21. November 1838
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Hab tausend Dank für Deinen freundschaftlichen um mich besorgten Brief. Gott gebe, daß immer wenn die Leute von mir Übles sagen, eben so wenig davon wahr sein möge, wie diesesmal. Daß meine Ohren recht gut sind, denke ich Dir gewiß zu beweisen, wenn wir uns in irgend einem Orchester mal wiedertreffen; die falschen Noten sollen es entgelten. Unbegreiflich ist mir nur, wie gerade jetzt so eine Rede bei Euch gehn kann; Du wirst Dich erinnern, daß ich damals in Düsseldorf einmal während des Winters an Ohrenpein litt – dasselbe war voriges Jahr in Leipzig der Fall, und so wäre mir ein Gerücht meiner Taubheit um die Zeit nicht befremdend gewesen, da böse Freunde bei so etwas immer geschäftig sind; wo es aber jetzt herkommen mag ist mir unerklärlich, da selbst die geringste Veranlassung dazu fehlt.
Dann soll ich ein Frommer geworden sein.
Wenn man darunter meint, was ich mir unter dem Wort fromm denke, und was auch Du wohl nach Deiner Aeußerung darunter verstehen wirst, so kann ich nur sagen, ich bin es leider nicht geworden, aber ich arbeite jeden Tag meines Lebens nach Kräften daran mehr und mehr es zu werden. Freilich weiß ich daß ich es niemals so ganz und gar werden kann, aber wenn ich mich auch nur nähere, ists gut. Wenn aber die Leute unter einem Frommen einen Pietisten verstehen, einen solchen der die Hände in den Schoos legt und von Gott erwartet daß er für ihn arbeiten möge, oder einen solchen der statt in seinem Berufe nach Vollkommenheit zu streben von dem himmlischen Berufe spricht, der mit dem irdischen unverträglich sei, oder einen der keinen Menschen und kein Ding auf dieser Erde von ganzem Herzen lieben kann – ein solcher bin ich nicht geworden, Gott sei Dank, und hoff’s auch nicht zu werden mein Lebenlang. Und gerade weil ich so gern recht fromm leben und sein möchte, darum hoff’ ich mit dem Andern hats keine Noth. Sonderbar ists wieder, daß sich die Leute diese Zeit aussuchen, so etwas zu sagen. Da ich durch mein innres und äußres Leben, durch
Ich muß diese Zeilen hier beendigen, wohin mich seit gestern der Verlust von
In der Unruhe, in der ich diese Zeilen schrieb, vergaß ich ganz, Dich liebster Freund, [um] Verzeihung zu bitten, daß ich auf Deinen vorigen, so wichtigen Brief geschwiegen habe. Wie viel und oft habe ich darüber gedacht, was ich darauf antworten könnte, was Dir sagen, das Du gern gehört hättest. Aber es geht schriftlich so schwer. Mündlich, dachte ich, wollte ich Dir antworten. Und so hoffe ich noch, und wünsche es mir bald. Du weißt ja doch, wie ichs meine, und ich muß Dich erst so vieles fragen, ehe ich zu einer Art Antwort kommen könnte!
Berlin d. 21 Nov. 38Mein lieber Freund Schirmer Hab tausend Dank für Deinen freundschaftlichen um mich besorgten Brief. Gott gebe, daß immer wenn die Leute von mir Übles sagen, eben so wenig davon wahr sein möge, wie diesesmal. Daß meine Ohren recht gut sind, denke ich Dir gewiß zu beweisen, wenn wir uns in irgend einem Orchester mal wiedertreffen; die falschen Noten sollen es entgelten. Unbegreiflich ist mir nur, wie gerade jetzt so eine Rede bei Euch gehn kann; Du wirst Dich erinnern, daß ich damals in Düsseldorf einmal während des Winters an Ohrenpein litt – dasselbe war voriges Jahr in Leipzig der Fall, und so wäre mir ein Gerücht meiner Taubheit um die Zeit nicht befremdend gewesen, da böse Freunde bei so etwas immer geschäftig sind; wo es aber jetzt herkommen mag ist mir unerklärlich, da selbst die geringste Veranlassung dazu fehlt. Dann soll ich ein Frommer geworden sein. Wenn man darunter meint, was ich mir unter dem Wort fromm denke, und was auch Du wohl nach Deiner Aeußerung darunter verstehen wirst, so kann ich nur sagen, ich bin es leider nicht geworden, aber ich arbeite jeden Tag meines Lebens nach Kräften daran mehr und mehr es zu werden. Freilich weiß ich daß ich es niemals so ganz und gar werden kann, aber wenn ich mich auch nur nähere, ists gut. Wenn aber die Leute unter einem Frommen einen Pietisten verstehen, einen solchen der die Hände in den Schoos legt und von Gott erwartet daß er für ihn arbeiten möge, oder einen solchen der statt in seinem Berufe nach Vollkommenheit zu streben von dem himmlischen Berufe spricht, der mit dem irdischen unverträglich sei, oder einen der keinen Menschen und kein Ding auf dieser Erde von ganzem Herzen lieben kann – ein solcher bin ich nicht geworden, Gott sei Dank, und hoff’s auch nicht zu werden mein Lebenlang. Und gerade weil ich so gern recht fromm leben und sein möchte, darum hoff’ ich mit dem Andern hats keine Noth. Sonderbar ists wieder, daß sich die Leute diese Zeit aussuchen, so etwas zu sagen. Da ich durch mein innres und äußres Leben, durch meine liebe Frau und Kind, sowie durch fleißiges Arbeiten so glücklich bin, daß ich immer nicht weiß, wie ichs anstellen soll, dankbar genug zu sein. Und wenn Du mich auf den Weg zu Ruh und Frieden wünschest, so hab ich nie so ruhig und friedlich zu leben gedacht als mirs jetzt zu Theil geworden ist. Hab tausend Dank für Deine guten Wünsche, und sei nicht besorgt, wegen der beiden Sachen. Übrigens höre ich jetzt daß in Journalen davon die Rede sey; das ist gar zu lächerlich: Jetzt muß auch Schadow schon längst meine Antwort haben; aber freilich stand da nichts von solchen Dingen darin; die hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich muß diese Zeilen hier beendigen, wohin mich seit gestern der Verlust von Dirichlets jüngstem Sohne Felix leider, leider gerufen hat. Meine arme Schwester wollte ich gern durch mein Kommen erfreuen, aber sie ist noch so betäubt von ihrem großen Schmerze, daß es keine Freude für sie giebt; uns allen thut das schöne, stille Kind, das nun aus unsrer Mitte ist, so weh. Lebwohl, mein lieber Freund! Bleib mir gut, und grüße die Freunde Dein Felix MB In der Unruhe, in der ich diese Zeilen schrieb, vergaß ich ganz, Dich liebster Freund, um Verzeihung zu bitten, daß ich auf Deinen vorigen, so wichtigen Brief geschwiegen habe. Wie viel und oft habe ich darüber gedacht, was ich darauf antworten könnte, was Dir sagen, das Du gern gehört hättest. Aber es geht schriftlich so schwer. Mündlich, dachte ich, wollte ich Dir antworten. Und so hoffe ich noch, und wünsche es mir bald. Du weißt ja doch, wie ichs meine, und ich muß Dich erst so vieles fragen, ehe ich zu einer Art Antwort kommen könnte!
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Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1838-11-21" xml:id="date_3e490d93-0b15-4971-8adc-e8d2403c5a11">21. 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Unbegreiflich ist mir nur, wie gerade jetzt so eine Rede bei Euch gehn kann; Du wirst Dich erinnern, daß ich damals in Düsseldorf einmal während des Winters an Ohrenpein litt – dasselbe war voriges Jahr in Leipzig der Fall, und so wäre mir ein Gerücht meiner Taubheit um die Zeit nicht befremdend gewesen, da böse Freunde bei so etwas immer geschäftig sind; wo es aber jetzt herkommen mag ist mir unerklärlich, da selbst die geringste Veranlassung dazu fehlt.</p><p>Dann soll ich ein Frommer geworden sein.</p><p>Wenn man darunter meint, was ich mir unter dem Wort <hi rend="underline">fromm</hi> denke, und was auch Du wohl nach Deiner Aeußerung darunter verstehen wirst, so kann ich nur sagen, ich bin es <hi rend="underline">leider</hi> nicht geworden, aber ich arbeite jeden Tag meines Lebens nach Kräften daran mehr und mehr es zu werden. Freilich weiß ich daß ich es niemals so ganz und gar werden kann, aber wenn ich mich auch nur nähere, ists gut. 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Übrigens höre ich jetzt daß in Journalen davon die Rede sey; das ist gar zu lächerlich: Jetzt muß auch <persName xml:id="persName_cdf1b27a-4cd7-400f-90b0-9d5fc8003830">Schadow<name key="PSN0114494" style="hidden">Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862)</name></persName> schon längst meine Antwort haben; aber freilich stand da nichts von solchen Dingen darin; die hätte ich mir nicht träumen lassen.</p><p>Ich muß diese Zeilen hier beendigen, wohin mich seit gestern der Verlust von <persName xml:id="persName_5cd375e5-74cf-48ae-8eb0-b5c0c9894ba1">Dirichlets jüngstem Sohne Felix<name key="PSN0110669" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Felix Arnold Constantin (1837-1838)</name></persName> leider, leider gerufen hat. <persName xml:id="persName_0498de33-e1e7-4ec9-9e59-d264fb358e8a">Meine arme Schwester<name key="PSN0110673" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> wollte ich gern durch mein Kommen erfreuen, aber sie ist noch so betäubt von ihrem großen Schmerze, daß es keine Freude für sie giebt; uns allen thut das schöne, stille Kind, das nun aus unsrer Mitte ist, so weh. <seg type="closer" xml:id="seg_99a52a75-ff28-4066-9009-b92bd9daf28d">Lebwohl, mein lieber Freund! 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