fmb-1837-04-11-01
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Strasbourg, 11. April 1837
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
franco
tenApril 1837
Zum heutigen Tage will ich Dir Glück wünschen, Glück und Freude und alles Gute was ich mir ersinnen und für Dich erbitten kann. Heut ist mirs wieder doppelt leid, daß ich so sehr lange keine Nachrichten von Euch habe; ich werde wieder aufs Neue besorgt, wenn ich mich so recht zu Dir hindenken will, und dann auf einmal nicht weiß, ob Ihr alle auch wohl seid, ob ich Euch heut glücklich und froh wissen kann. Das gebe Gott und ich will mir die bösen Gedanken ganz fern halten, damit ich Dir von etwas anderem schreiben kann. Von meinem glücklichen Leben; Du kannst Dirs gar nicht selig und froh genug denken, und wenn wir übermorgen in Freiburg, wohin wir wahrscheinlich gehen werden, Briefe von Euch finden, dann ist auch alles gut. Eigentlich sind die Briefe, die nach Freiburg adressirt sind der Hauptmagnet, der mich dahin zieht, denn zum Plaisir jetzt zu reisen ist ein Ding der Unmöglichkeit; so habe ich den ganzen Winter nicht gefroren wie gestern und heut in den Kirchen, wo ich die
Strasburg den 11ten April 1837. Mein liebes Beckchen Zum heutigen Tage will ich Dir Glück wünschen, Glück und Freude und alles Gute was ich mir ersinnen und für Dich erbitten kann. Heut ist mirs wieder doppelt leid, daß ich so sehr lange keine Nachrichten von Euch habe; ich werde wieder aufs Neue besorgt, wenn ich mich so recht zu Dir hindenken will, und dann auf einmal nicht weiß, ob Ihr alle auch wohl seid, ob ich Euch heut glücklich und froh wissen kann. Das gebe Gott und ich will mir die bösen Gedanken ganz fern halten, damit ich Dir von etwas anderem schreiben kann. Von meinem glücklichen Leben; Du kannst Dirs gar nicht selig und froh genug denken, und wenn wir übermorgen in Freiburg, wohin wir wahrscheinlich gehen werden, Briefe von Euch finden, dann ist auch alles gut. Eigentlich sind die Briefe, die nach Freiburg adressirt sind der Hauptmagnet, der mich dahin zieht, denn zum Plaisir jetzt zu reisen ist ein Ding der Unmöglichkeit; so habe ich den ganzen Winter nicht gefroren wie gestern und heut in den Kirchen, wo ich die Silbermannschen Orgeln mit blauen Händen spielte, und mit Zähnklappen bewunderte, und wieder wills zu schneien anfangen und friert dickes Eis, ich weiß nicht wo es hinaus soll. Bleibt es nun morgen so, so laß ich mir die Briefe nach Heidelberg nachschicken und wir gehn übermorgen wieder nördlich; wo nicht, und regnet es südlich. Ist das nicht die wahre Studentenwirthschaft? – Wenn ich sagen sollte, daß Straßburg mir einen angenehmen Eindruck machte, so müßte ich lügen, aber an vielem ist das Wetter Schuld, die Gegend scheint herrlich zu sein, aber man kann sie vor Nebel nicht sehen und der Schwarzwald sieht ärger aus als der Montblanc, im Münster ists so hundekalt daß man hinaus muß, wenn man eben erst recht darin bleiben möchte, und hinauf haben wir noch gar nicht gekonnt. Selbst das Aeußere, das so übermäßig prachtvoll ist haben wir immer nur im Gehen anstaunen können, und wissen nur das davon, daß es das schönste in der Welt ist – Du solltest die Herrlichkeit sehn, Beckchen. Namentlich den durchsichtigen Thurm, wie Kanten oder Spitzen sieht er aus, und überall zuckt die helle blaue Luft durch die dunkle braune Farbe des ganzen Gebäudes. Und dann die bemalten Fenster inwendig, und die zarten schlanken Pfeiler, und die Unzahl Statuen, und kurz die Masse Kunst die in dem Raume aufgehäuft ist, man weiß nicht wo man zuerst hinsehen soll. Aber die Menschen und die ganze Französische Wirthschaft (sags Dirichlet nicht) gefallen uns nicht zum besten, namentlich ist Cécile ganz erbos’t auf ihre Landsleute die Franzosen, die ihr auf der Straße unter den Hut gucken und Bemerkungen machen wenn sie mal allein ausgeht, und die bei Tisch singen und frivole Reden führen, und die allerdings in ihrer 1830ger Ungenirtheit fast so sind, als stäcken sie noch in den Flegeljahren und wollten die alten zierlichen Franzosen für immer verläugnen. Und doch gehts nicht, und das Gemisch ist unerquicklich. Ich freue mich schon wieder auf die Deutsche Gränze. – Ach Beckchen Du hättest mal sollen ein Paar Tage mit uns in Speier sein; so ein Kneipgenie wie Du bist, Du hättest Dich da auch plaisirlich gefühlt. Da war so ein lustiges Wirthshaus, ordentlich patriarchalisch noch mit wenig Leuten drin, aber alle freundlich und ordentlich, und ein wunderschöner alter Longobardischer Dom, der mitten im Garten, nahe am Rhein, auf einer Terrasse steht, und dabei eine Römerruine, und da saßen wir alle Vor- und Nachmittage im Sonnenschein, und sahen die Bergstraße und Heidelbergs Thürme, und den Rhein, und Mannheim vor uns, und die Sträucher wurden grün, und ich componirte zu Haus fleißig, dann zeichneten wir, und aßen unendlich, und bestellten uns Milchreis zum Abend, und lasen de Lamartine der uns misfiel, und Hebels Gedichte, die uns wieder entzückten. Und keinen Menschen kannten wir in ganz Speier, keiner konnte uns eine Visite machen oder eine erwarten, das war nicht das Dummste dabei, und eines Abends bringt der Kellner dennoch eine Visitencarte, auf der stand Arend mit allen seinen Titeln – nachher kam er selbst, und hätte mir beinah die Palmen zu Speier verhaßt gemacht, so wenig wollte mir sein Wesen schmecken. Cécile fand ihn auch sehr übel, namentlich als sich nachher fand daß von allem was er uns vorerzählte, gar nichts wahr sei, er ist eben ganz der Schwiemel geblieben, und will Dir besonders empfohlen sein. Schön war es unter andern, daß er uns beschwor wir möchten im Dom die Crypta sehen (so nannte er zu Céciles Schreck die unterirdische Kirche, ich hoffe Du hörst Arend dabei) dort seien die alten herrlichen Königsgräber, dort höre man noch unter der Erde den Taufquell rauschen, aus dem Heinrich IV Söhne getauft seien, und sie stehe den ganzen Tag für alle Besucher offen. – Erstlich war sie zu, und mußte mit Mühe geöffnet werden, dann waren die Gräber seit 1689 zerstört, und von einem Quell oder einer Quelle war erst gar nichts zu finden. Und dann beschrieb er uns den Weg nach Strasburg, das war das non plus ultra. Ich muß es Dir mündlich nachmachen. – Aber mein Beckchen, lebwohl, und bleibe mir gut. Wenn wir nur erst Nachrichten hätten! Da hast Du wieder das Praeludium und den Epilog meiner Briefe, womit Du mich immer neckst. Aber diesmal ist er ernst gemeint, ich sehne mich sehr danach. Grüße Mutter, der ich vor einigen Tagen schrieb, und Fanny der ich in einigen Tagen schreiben will, und Dirichlet, dem Du meinen patriotisme verschweigen sollst, und Walter meinen lieben Kerl, und vor allem sei gesund und glücklich und seid es alle und denke mein. Dein Felix
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April 1837<idno type="MWV">W 23</idno><idno type="op">37/3a</idno></name></title> zu Haus fleißig, dann zeichneten wir, und aßen unendlich, und bestellten uns Milchreis zum Abend, und lasen de <persName xml:id="persName_817e9485-760d-4e09-b913-2ab08ed56619">Lamartine<name key="PSN0112658" style="hidden">Lamartine, Alphonse Marie Louis (Prat de) (1790-1869)</name></persName> der uns misfiel, und <title xml:id="title_1622342e-d367-4803-b9ed-3c34092a618a">Hebels<name key="PSN0111793" style="hidden" type="author">Hebel, Johann Peter (1760-1826)</name><name key="CRT0109102" style="hidden" type="literature">Allemannische Gedichte</name></title> Gedichte, die uns wieder entzückten. Und keinen Menschen kannten wir in ganz Speier, keiner konnte uns eine Visite machen oder eine erwarten, das war nicht das Dummste dabei, und eines Abends bringt der Kellner dennoch eine Visitencarte, auf der stand <persName xml:id="persName_97f47a14-723a-47c9-8b8c-204f81f4cab3">Arend<name key="PSN0109519" style="hidden">Arendt, Wilhelm Amadeus August (Guillaume Amédée Auguste) (1808-1865)</name></persName> mit allen seinen Titeln – nachher kam er selbst, und hätte mir beinah die <title xml:id="title_28865242-84d5-408d-9cc0-6ad47876cc7f">Palmen zu Speier<name key="PSN0112804" style="hidden" type="author">Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781)</name><name key="CRT0109737" style="hidden" type="dramatic_work">Nathan der Weise</name></title> verhaßt gemacht, so wenig wollte mir sein Wesen schmecken. <persName xml:id="persName_681eabc5-62e5-4a32-8f6d-db5fcbb13f4e">Cécile<name key="PSN0113252" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853)</name></persName> fand ihn auch sehr übel, namentlich als sich nachher fand daß von allem was er uns vorerzählte, gar nichts wahr s[ei,] er ist eben ganz der Schwiemel geblieben, und will Dir besonders empfohle[n] sein. Schön war es unter andern, daß er uns beschwor wir möchten im <placeName xml:id="placeName_162ae6df-1484-4abd-ab17-58ee89f8d20a">Dom<name key="SGH0100529" style="hidden" subtype="" type="sight">Kaiser- und Mariendom</name><settlement key="STM0100528" style="hidden" type="">Speyer</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> die Crypta sehen (so nannte er zu <persName xml:id="persName_a7426b07-deb6-4afe-824b-01767fa84bea">Céciles<name key="PSN0113252" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy, Cécile Sophie Charlotte (1817-1853)</name></persName> Schreck die unterirdische Kirche, ich hoffe Du hörst <persName xml:id="persName_250265fc-c10e-4ca9-a258-b3cb55f9c56b">Arend<name key="PSN0109519" style="hidden">Arendt, Wilhelm Amadeus August (Guillaume Amédée Auguste) (1808-1865)</name></persName> dabei) dort seien die alten <placeName xml:id="placeName_69d56fb8-5a41-438e-a638-f7bdb2c1af4b">herrlichen Königsgräber<name key="SGH0100529" style="hidden" subtype="" type="sight">Kaiser- und Mariendom</name><settlement key="STM0100528" style="hidden" type="">Speyer</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, dort höre man noch unter der Erde den Taufquell rauschen, aus dem Heinrich IV Söhne getauft seien, und sie stehe den ganzen Tag für alle Besucher offen. – Erstlich war sie zu, und mußte mit Mühe geöffnet werden, dann waren die Gräber seit 1689 zerstört, und von einem Quell oder einer Quelle war erst gar nichts zu finden. Und dann beschrieb er uns den Weg nach Strasburg, das war das non plus ultra. Ich muß es Dir mündlich nachmachen. – Aber mein Beckchen, lebwohl, und bleibe mir gut. Wenn wir nur erst Nachrichten hätten! Da hast Du wieder das Praeludium und den Epilog meiner Briefe, womit Du mich immer neckst. Aber diesmal ist er ernst gemeint, ich sehne mich sehr danach. Grüße <persName xml:id="persName_3e52c767-323f-4d90-8ce2-200bc286fb1e">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName>, der ich vor einigen Tagen schrieb, und <persName xml:id="persName_0ffbe04d-ba8b-45d6-ba7e-fbfbde5e6336">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> der ich in einigen Tagen schreiben will, und <persName xml:id="persName_b0d9f15c-3354-400c-aed7-82907dd332d5">Dirichlet<name key="PSN0110672" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859)</name></persName>, dem Du meinen patriotisme verschweigen sollst, und <persName xml:id="persName_384bdcc8-2d45-4b66-8d52-bc290169cf0e">Walter<name key="PSN0110666" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Abraham Walter (1833-1887)</name></persName> meinen lieben Kerl, und vor allem <seg type="closer" xml:id="seg_a862d781-dd2e-433e-8f39-af270e2024ca">sei gesund und glücklich und seid es alle und denke mein.</seg></p><signed rend="right">Dein</signed><signed rend="right">Felix</signed></div></body> </text></TEI>