fmb-1835-12-29-01
Hilfe zum Zitier-Tool
Um wichtige Textpassagen (Zitate) zu speichern und auf diese via Hyperlink zu verweisen, markieren Sie bitte den gewünschten Textbereich.
Daraufhin erscheint ein Fenster, in welchem Sie die ausgewählte Textpassage inkl. des Hyperlinks zur weiteren Verwendung in die Zwischenablage kopieren können.
Leipzig, 29. Dezember 1835
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Berlin
Nach alter Sitte melde ich Dir gleich meine glückliche Ankunft, und hoffe auch bald von
Die Reise war so unleidlich, wie mir alle Schnellpostreisen sind, und ich habe mir wieder vorgenommen, sie wo möglich zu vermeiden, und mir das Unbehagen mit Extrapostgeld abzukaufen. Ich war die ganze Nacht hindurch der Meinung des
Leipzig Dinstag 29 Dec. 1835Liebe Mutter Nach alter Sitte melde ich Dir gleich meine glückliche Ankunft, und hoffe auch bald von Euch zu hören, daß Du wohl und gesund bist, wie ich Dich verlassen habe, nur ohne Husten, daß überhaupt sämmtliche Schnupfen und Catarrhe mit mir abgereis’t sind, daß Sebastian wiederhergestellt ist, daß es Euch allen wieder ganz wohl geht. Als ich gestern hier ankam, und von meinen Bekannten an der Post erwartet wurde, und als sie mich auch Abends besuchten, wurde mir so unbehaglich und verdrießlich, wie sehr selten in der Fremde bis jetzt; ich sehnte mich recht herzlich nach Hause zurück, und mir ist das Fortgehen selten so schwer geworden, wie diesesmal. Aber heute habe ich meine Morgenstunden wieder zur Arbeit benutzt, bin fleißig gewesen, und mir ist wieder gut zu Muthe. Ob ich in der Abgeschlossenheit, die ich hier erlebe, vielleicht ein Philister werde, weiß ich nicht – es könnte auch wohl sein; aber sie ist mir gewiß in dieser Zeit das Allernothwendigste, denn ohnedies käme ich gewiß lange nicht wieder zum Arbeiten, während ich heut schon wieder ganz darin bin, und auf diese Weise weiterkomme. Die Reise war so unleidlich, wie mir alle Schnellpostreisen sind, und ich habe mir wieder vorgenommen, sie wo möglich zu vermeiden, und mir das Unbehagen mit Extrapostgeld abzukaufen. Ich war die ganze Nacht hindurch der Meinung des Herrn von Radowitz, den ich überhaupt mehr verehre, als man glaubt; der Moment, wenn die 26 schlaftrunknen und gähnenden Passagiere um 4 Uhr Morgens Caffee trinken während die andern sich den Mund ausspülen und kämmen, und der ganze Wirthstisch voll Caffeekannen, Handschuhen, Zwieback und Mützen liegt, und man auf die Kellner zustürzt und ihnen die Kannen aus der Hand reißt – der ist gar nichts; aber wenn man dann wieder weiterfährt, und die Sonne geht auf, und es wird hell im Wagen, wo in jeder Ecke einer schläft und schnarcht, und man guckt sich die verschiedenen häßlichen Gesichter an, wie sie nach und nach aufwachen und sich recken und dehnen und gähnen und endlich conversiren – das ist das Schlimmste. Auf den letzten Stationen gab mir der Conducteur seinen Platz im Cabriolet, wo ich neben Herrn Liebert zu sitzen kam, und seinen Bruder oder Cousin aus Hamburg, der auch ein curioses Gesicht im Schlaf macht. Herr Liebert erzählte mir vom Symphonienverein, er ginge so gut, und es seyen seitdem auch einige neue Mitglieder hinzu gekommen (sechs Jahre sinds nun her) und sie hätten neulich Neukomms Oratorium gespielt – ich sagte, meines Wissens sei mein Bruder eines der eifrigsten Mitglieder der Gesellschaft – er sagte ja dazu. Dann sprachen wir über die Schnellpost, ich hätte Hrn. von Radowitz Meinung für meine eigne ausgegeben, aber es ging doch nicht – kurz um 1 Uhr kamen wir an, und ich verschwor das Schnellpostreisen fürs erstere. Tante Hinni’s schöne Mappe habe ich gleich in Gebrauch genommen, sie ist mir sehr bequem und nützlich zum Notenschreiben; aber leider finde ich, daß ich Deinen wunderschönen Zeichenbogen, mein Beckchen, doch habe liegen lassen; ich bitte mir ihn bei einer sichern Gelegenheit (die ihn nicht in 4 Theile faltet) zukommen zu lassen. Auch habe ich bereits in meinem Goethe gelesen, und bin gleich auf ein Thema gekommen, das mir mancherlei Gedanken gemacht hat, auf den Tasso. Wenn es wahr ist, daß Alfons den Tasso als Tollen eingesperrt hat, so möchte ich doch Goethe hätte ihn anders gedichtet; ich will was drüber nachlesen; erkundigt Euch doch bei den litterarischen Hausfreunden, wo man was Geschichtliches finden kann; Lord Byrons Gedicht habe ich auch gleich nachgeschlagen; aber keine nähere Auskunft darin gefunden. Mit den Füßen sitze ich auf dem Fell, und die Hemden habe ich an; aber a propos August hat mir zwei Paar schöne, weiße, durchbrochne Strümpfe gezeichnet R mit eingepackt, und ein Paar schwarze Damenhandschuh, beide gehören mir nicht, und ich schicke sie ehestens zurück; dafür möchte ich gern den kleinen Grenadier bei Waterloo hieher haben, der nicht mit eingepackt worden ist. Du, liebe Fanny, sollst nächstens eine neue Lage Clavierauszug bekommen, ich muß ihn denn bald abschicken. Von Moscheles und seiner Frau habe ich inliegenden Brief, der Dir, liebe Mutter, an vielen Stellen mitgeschrieben ist. Lebe nun wohl, lebt alle wohl und bleibt mir gut. Euer Felix MB.
<TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="fmb-1835-12-29-01" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="fmb-1835-12-29-01" xml:id="title_37778698-ea42-4c3f-afa6-c191e0ed97a0">Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin <lb></lb>Leipzig, 29. Dezember 1835</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_71cb54c3-168e-4760-b316-67842b8abb76">Nach alter Sitte melde ich Dir gleich meine glückliche Ankunft, und hoffe auch bald von Euch zu hören, daß Du wohl und gesund bist, wie ich Dich verlassen habe, nur ohne Husten, daß überhaupt sämmtliche</title> <title level="s" type="sub" xml:id="title_5651b2c6-fbbe-4c5c-bf8d-bcc9d9976d00">Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C)</title> <title key="not_yet_determined" type="precursor">noch nicht ermittelt</title> <title key="not_yet_determined" type="successor">noch nicht ermittelt</title> <author key="PSN0000001">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription">FMB-C</name> </respStmt> <respStmt resp="edition"> <resp resp="edition">Edition: </resp> <name resp="edition">FMB-C</name> </respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin</publisher> <address> <street>Am Kupfergraben 5</street> <placeName> <settlement>10117 Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </address> <idno type="URI">http://www.mendelssohn-online.com</idno> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/">Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)</licence> </availability> <idno type="MSB">Bd. 4, 1273. </idno></publicationStmt> <seriesStmt> <p>Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)</p> </seriesStmt> <sourceDesc source="edition_template_manuscript" xml:id="sourceDesc_d0f8d685-9cba-4393-89bf-ee78d173ddeb"> <msDesc> <msIdentifier> <country>USA</country> <settlement>New York, NY</settlement> <institution key="RISM">US-NYp</institution> <repository>New York, NY, The New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations, Music Division</repository> <collection>*MNY++ Mendelssohn Letters</collection> <idno type="signatur">Vol. IIIc/49 (255).</idno> </msIdentifier> <msContents> <msItem> <idno type="autograph">Autograph</idno> <title key="fmb-1835-12-29-01" type="letter" xml:id="title_f236ec59-5de3-4dc2-ac6d-fad57a086eda">Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin; Leipzig, 29. Dezember 1835</title> <incipit>Nach alter Sitte melde ich Dir gleich meine glückliche Ankunft, und hoffe auch bald von Euch zu hören, daß Du wohl und gesund bist, wie ich Dich verlassen habe, nur ohne Husten, daß überhaupt sämmtliche</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc> <p>4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Felix Mendelssohn Bartholdy</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="letter">Brief gb-1835-12-28-01 Ignaz Moscheles und Charlotte Moscheles an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, London, vor dem 29. Dezember 1835.</bibl> </listBibl> </accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>-</p> </provenance> </history> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1835-12-29" xml:id="date_b4fc246d-567a-4bf0-8a60-5e9e0f73d18d">29. Dezember 1835</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_34d62019-c384-4997-a4f5-60b70ceed518">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_4cea08c6-7712-4670-b68f-a86783bbf5c6"> <settlement key="STM0100116">Leipzig</settlement> <country>Deutschland</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113260" resp="receiver" xml:id="persName_f74d4381-de59-4a08-9353-8b31ac766d33">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_e5325992-53d6-4e29-b773-c53905cd7801"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"> </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_34588c94-2e3e-4747-a825-5bd8e10cc157"> <head> <address> <addrLine>An Mde.</addrLine> <addrLine>Mde Mendelssohn Bartholdy</addrLine> <addrLine>Wohlgeboren</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline">Berlin</hi></addrLine> <addrLine>Leipziger-Straße no. 3.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_aa32988a-e299-4001-b819-e6be4ec239ed"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Leipzig <date cert="high" when="1835-12-29" xml:id="date_17bc750f-aaa5-414e-aff2-c544f8b98d2a">Dinstag 29 Dec. 1835</date></dateline><salute rend="left">Liebe Mutter</salute><p style="paragraph_without_indent">Nach alter Sitte melde ich Dir gleich meine glückliche Ankunft, und hoffe auch bald von <persName xml:id="persName_1548fa99-6680-42e1-9663-7fc67937f482">Euch<name key="PSN0113241" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</name></persName> zu hören, daß Du wohl und gesund bist, wie ich Dich verlassen habe, nur ohne Husten, daß überhaupt sämmtliche Schnupfen und Catarrhe mit mir abgereis’t sind, daß <persName xml:id="persName_aa885536-9112-4e3a-859b-0fc043e89b4e">Sebastian<name key="PSN0111898" style="hidden">Hensel, Sebastian Ludwig Felix (1830-1898)</name></persName> wiederhergestellt ist, daß es <persName xml:id="persName_75a77ef0-24ef-4dc5-a9d0-c7937bc30892">Euch<name key="PSN0113241" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</name></persName> allen wieder ganz wohl geht. Als ich gestern hier ankam, und von meinen Bekannten an der Post erwartet wurde, und als sie mich auch Abends besuchten, wurde mir so unbehaglich und verdrießlich, wie sehr selten in der Fremde bis jetzt; ich sehnte mich recht herzlich nach Hause zurück, und mir ist das Fortgehen selten so schwer geworden, wie diesesmal. Aber heute habe ich meine Morgenstunden wieder zur Arbeit benutzt, bin fleißig gewesen, und mir ist wieder gut zu Muthe. Ob ich in der Abgeschlossenheit, die ich hier erlebe, vielleicht ein Philister werde, weiß ich nicht – es könnte auch wohl sein; aber sie ist mir gewiß in dieser Zeit das Allernothwendigste, denn ohnedies käme ich gewiß lange nicht wieder zum Arbeiten, während ich heut schon wieder ganz darin bin, und auf diese Weise weiterkomme.</p><p>Die Reise war so unleidlich, wie mir alle Schnellpostreisen sind, und ich habe mir wieder vorgenommen, sie wo möglich zu vermeiden, und mir das Unbehagen mit Extrapostgeld abzukaufen. Ich war die ganze Nacht hindurch der Meinung des <persName xml:id="persName_b50b145a-5fae-43b5-b436-96d7e5c5a1fc">Herrn von Radowitz<name key="PSN0114053" style="hidden">Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm von (1797-1853)</name></persName>, den ich überhaupt mehr verehre, als man glaubt; der Moment, wenn die 26 schlaftrunknen und gähnenden Passagiere um 4 Uhr Morgens Caffee trinken während die andern sich den Mund ausspülen und kämmen, und der ganze Wirthstisch voll Caffeekannen, Handschuhen, Zwieback und Mützen liegt, und man auf die Kellner zustürzt und ihnen die Kannen aus der Hand reißt – der ist gar nichts; aber wenn man dann wieder weiterfährt, und die Sonne geht auf, und es wird hell im Wagen, wo in jeder Ecke einer schläft und schnarcht, und man guckt sich die verschiedenen häßlichen Gesichter an, wie sie nach und nach aufwachen und sich recken und dehnen und gähnen und endlich conversiren – das ist das Schlimmste. Auf den letzten Stationen gab mir der Conducteur seinen Platz im Cabriolet, wo ich neben <persName xml:id="persName_374a856c-045f-4ee3-9b04-593a960762ca">Herrn Liebert<name key="PSN0112833" style="hidden">Liebert, Herr</name></persName> zu sitzen kam, und <persName xml:id="persName_84c0ff0f-4311-466d-9fac-e6c52e5b3f51">seinen Bruder oder Cousin<name key="PSN0112834" style="hidden">Liebert, Verwandter des → Herrn L. in Berlin</name></persName> aus Hamburg, der auch ein curioses Gesicht im Schlaf macht. <persName xml:id="persName_b6f433a0-25ca-4104-929f-53ece58e953d">Herr Liebert<name key="PSN0112833" style="hidden">Liebert, Herr</name></persName> erzählte mir vom <placeName xml:id="placeName_e7f31179-be3a-4ffd-8060-49196048cd1e">Symphonienverein<name key="NST0100417" style="hidden" subtype="" type="institution">Philharmonische Gesellschaft</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, er ginge so gut, und es seyen seitdem auch einige neue Mitglieder hinzu gekommen (sechs Jahre sinds nun her) und sie hätten neulich <title xml:id="title_c8450710-f0a4-4138-becd-badd38394427">Neukomms Oratorium<name key="PSN0113580" style="hidden" type="author">Neukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858)</name><name key="CRT0110203" style="hidden" type="music">Das Gesetz des alten Bundes, oder Die Gesetzgebung auf Sinai (Die zehn Gebote) NV 316</name></title> gespielt – ich sagte, meines Wissens sei <persName xml:id="persName_d084b579-91f8-4150-aa82-0c29b4a71df8">mein Bruder<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName> eines der eifrigsten Mitglieder der Gesellschaft – er sagte ja dazu. Dann sprachen wir über die Schnellpost, ich hätte <persName xml:id="persName_f1c65292-4cb7-419d-8019-25269156c5d6">Hrn. von Radowitz<name key="PSN0114053" style="hidden">Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm von (1797-1853)</name></persName> Meinung für meine eigne ausgegeben, aber es ging doch nicht – kurz um 1 Uhr kamen wir an, und ich verschwor das Schnellpostreisen fürs erstere. <persName xml:id="persName_34b0f3ac-9bbe-416e-8503-de5eb37d64e9">Tante Hinni’s<name key="PSN0113223" style="hidden">Mendelssohn, Henriette (Hinni) (1776-1862)</name></persName> schöne Mappe habe ich gleich in Gebrauch genommen, sie ist mir sehr bequem und nützlich zum Notenschreiben; aber leider finde ich, daß ich Deinen wunderschönen Zeichenbogen, mein <persName xml:id="persName_4f3f4a41-ddcb-4385-afa6-c9d7a53bd208">Beckchen<name key="PSN0110673" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName>, doch habe liegen lassen; ich bitte mir ihn bei einer sichern Gelegenheit (die ihn nicht in 4 Theile faltet) zukommen zu lassen. Auch habe ich bereits in <persName xml:id="persName_cc5c127b-69eb-44d7-a5b2-da796d53c8bb">meinem Goethe<name key="PSN0111422" style="hidden">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> gelesen, und bin gleich auf ein Thema gekommen, das mir mancherlei Gedanken gemacht hat, auf den <title xml:id="title_2231d2e5-c711-4754-9833-708958e80b85">Tasso<name key="PSN0111422" style="hidden" type="author">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name><name key="CRT0108851" style="hidden" type="dramatic_work">Torquato Tasso</name></title>. Wenn es wahr ist, daß Alfons den Tasso als Tollen eingesperrt hat, so möchte ich doch <persName xml:id="persName_b7786b4a-4ec7-48f8-bd77-29cd185df736">Goethe<name key="PSN0111422" style="hidden">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> hätte ihn anders gedichtet; ich will was drüber nachlesen; erkundigt Euch doch bei den litterarischen Hausfreunden, wo man was Geschichtliches finden kann; <title xml:id="title_87dcd0da-2b1d-47c5-af1a-e29a1d860303">Lord Byrons Gedicht<name key="PSN0110239" style="hidden" type="author">Byron (gen. Lord Byron), George Gordon Noel (seit 1794) 6th Baron (1788-1824)</name><name key="CRT0108327" style="hidden" type="literature">The Lament of Tasso</name></title> habe ich auch gleich nachgeschlagen; aber keine nähere Auskunft darin gefunden. Mit den Füßen sitze ich auf dem Fell, und die Hemden habe ich an; aber a propos <persName xml:id="persName_44fc6340-3982-4ee2-b4ea-6aae705ba23f">August<name key="PSN0109584" style="hidden">August, Hausangestellter der → Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin (1830-1836)</name></persName> hat mir zwei Paar schöne, weiße, durchbrochne Strümpfe gezeichnet R mit eingepackt, und ein Paar schwarze Damenhandschuh, beide gehören mir nicht, und ich schicke sie ehestens zurück; dafür möchte ich gern den kleinen Grenadier bei Waterloo hieher haben, der nicht mit eingepackt worden ist. Du, liebe <persName xml:id="persName_30dc064c-e457-467a-a957-3650d0396cb0">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>, sollst nächstens eine neue Lage Clavierauszug bekommen, ich muß ihn denn bald abschicken. Von <persName xml:id="persName_67230321-0091-4038-935a-be28c6fe01cc">Moscheles<name key="PSN0113441" style="hidden">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name></persName> und <persName xml:id="persName_f4be9281-42ec-4d54-ba12-c4aea667bd63">seiner Frau<name key="PSN0113436" style="hidden">Moscheles, Charlotte (1805-1889)</name></persName> habe ich inliegenden Brief, der Dir, liebe Mutter, an vielen Stellen mitgeschrieben ist. <seg type="closer" xml:id="seg_f334cefe-81ff-44c3-944e-3c4dcdee6ee4">Lebe nun wohl, lebt alle wohl und bleibt mir gut.</seg></p><signed rend="right">Euer</signed><signed rend="right">Felix MB.</signed></div></body> </text></TEI>