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fmb-1835-02-07-02

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Ignaz Moscheles und Charlotte Moscheles in London <lb></lb>Düsseldorf, 7. Februar 1835 Lieber Moscheles und liebe Mde. Moscheles ich habe neulich mit dem Courier ein Paar so dumme Briefe abgeschickt, daß ich heut versuchen muß, ob ich nicht einen klügern zusammenkriege. Hier kommen so Zeiten, wo mir Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 4, 1089.

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Leeds GB-LEbc Leeds, University Library, The Brotherton Library Brotherton Collection MS Mendelssohn, Letters 21. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Ignaz Moscheles und Charlotte Moscheles in London; Düsseldorf, 7. Februar 1835 Lieber Moscheles und liebe Mde. Moscheles ich habe neulich mit dem Courier ein Paar so dumme Briefe abgeschickt, daß ich heut versuchen muß, ob ich nicht einen klügern zusammenkriege. Hier kommen so Zeiten, wo mir

4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel, Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite: »Aus Düsseldorf / Felix Mendelssohn vom 7ten Febr: 1835 / Launige Mittheilung über Düsseldorfer Zustände / Intime Confessionen über Componisten«. / Intime Confessionen über Komponisten, wünscht ein 3tes Heft meiner Etuden.«. – In Ignaz Moscheles’ Briefalbum enthalten. Autographe Notiz von Moscheles in dessen Briefalbum zu diesem Brief: »Düsseldorf 7ter Februar 1835. Humoristische Mittheilung über Düsseldorfer Zustände

Felix Mendelssohn Bartholdy

Sammlung William Thomas Freemantle, Rotherham, Yorkshire.

Moscheles, Briefe, S. 110-113. Moscheles, Letters, S. 130-134 (engl. Übersetzung).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

7. Februar 1835 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Düsseldorf Deutschland Moscheles, Charlotte (1805-1889) Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870) London Großbritannien deutsch
I. Moscheles Esqure LOndon. 3 Chester Place, Chester Terrace Regents Park. fr.
Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite: »Aus Düsseldorf / Felix Mendelssohn vom 7ten Febr: 1835 / Launige Mittheilung über Düsseldorfer Zustände / Intime Confessionen über Componisten«. / Intime Confessionen über Komponisten, wünscht ein 3tes Heft meiner Etuden.«
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Düsseldorf den 7ten Febr. 1835.

Lieber Moscheles und liebe Mde. Moscheles ich habe neulich mit dem Courier ein Paar so dumme Briefe abgeschickt, daß ich heut versuchen muß, ob ich nicht einen klügern zusammenkriege. Hier kommen so Zeiten, wo mir sämmtliche Philister über den Kopf wachsen, sämmtliche Philister die es in der Welt giebt und mein eigner innrer dazu, da kann ich dann nicht schreiben (wie neulich) und sind die wieder mal vorüber, so möcht’ ich alle die Briefe zurückrufen oder niemals geschrieben haben. Heut habe ich einen Chor am Oratorium<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_z9jcoimf-0eux-rpjt-gtsk-dse3iswhkzwp"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name> componirt, den ich wunderhübsch finde, was soll ich da Abends besseres thun, als nach Chester Place schreiben, und grüßen, da mir eben wohl zu Muthe ist? Dazu kam heut Morgen ein Brief von KlingemannKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862), der auch immer Festtag macht, und dann ist es so verzweifelt neblig, daß ich meinte ich ritte in England spazieren, und dann habe ich seit ein Paar Wochen ein Paar Philister weniger auf dem Halse, und dann kommt bald wieder Frühling und sein Wetter ist schon da – so ists angenehm zu leben. Giebt es denn auf Englisch ein Wort für einen Philister? Ich glaube nicht. Es ist doch ein glückliches Land! Wenn auch Mr. FlemingFleming, John Willis (1781-1844) wieder im Parlamente sitzt, und wenn sie auch zu meinem ave<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_n1wc50qz-x5hg-6w1i-cl4z-j0a9cpjalx4z"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="sacred_vocal_works_with_smaller_instrumentation" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100129" style="hidden">Ave Maria (Offertorium) für Tenor solo, gemischten Chor a cappella bzw. mit Begleitung, 30. September 1830; 16. 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Moscheles auf dem Balle gesehn hätte, auf dem ich gestern war, wo so viele Talglichter brannten, und zum Abendbrod gabs Schinken und Kartoffeln, und nach dem ersten Tanz mußte gleich gesprengt werden, und nachher nicht, denns half doch nichts, man konnte die Leute in den Wolken wenig erkennen, dann tanzten sie einen Ofen ein, werthe Mitglieder meiner hiesigen Kapelle spielten gut zum Tanz auf, die ganze Fete war in der KaufmannsgesellschaftKaufmannsgesellschaftDüsseldorfDeutschland die man gewöhnlich „das Parlament“ nennt, Damentoiletten gab’s – hier hört meine Beschreibung auf, aber hätte ich Mde. Moscheles da gesehn, und sie mich (noch dazu in der Englischen schwarzen Halsbinde) so wäre ich gewiß in Ohnmacht gefallen vor Beschämung, denn an einem solchen Abende glaube ich schlechterdings nicht daß es einen gentleman giebt. Nun machte ich gar zu gern mal eine Kirmes mit, ordinairer kanns doch nicht sein, nur lustiger, aber das erlaubt mein Rang als Musikdirector durchaus nicht – der Bürgermeister selbst hat mir streng abgerathen. Dann giebt es eine so schöne Rivalität mit Elberfeld, das 4 Meilen von hier liegt, weil sich Düsseldorf Athen nennt, und Elberfeld Rio Janeiro oder Augsburg, und alle Mädchen sind häßlich – ein wahres malheur – oder sehr dumm. So gehe ich hier eigentlich nur mit Malern um, die nette Leute sind; ImmermannImmermann, Karl Leberecht (1796-1840), mit dem ich sonst gut Freund war, ist ins Theater versenkt, UechtritzUechtritz, Peter Friedrich von (1800-1875) in die Aesthetik und GrabbeGrabbe, Christian Dietrich (1801-1836) in den Schnaps, aus allen drei Dingen mach’ ich mir wenig, am wenigsten freilich aus der Aesthetik. Neulich frug eine MusikhandlungBreitkopf & Härtel (bis 1786: Breitkopf), Verlag und Musikalienhandlung in Leipzig mich, ob ich nicht eine Musikzeitung redigiren wolle, ich hätte die Handlung gern herausgefordert. Denn solch ein Treiben kommt mir so schrecklich unersprieslich und unerquicklich vor, wie gar kein anderes, sie leben rein von der anderen Leute Plaisir und ihrem eignen Ärger. Mir schickte neulich ein Componist aus der UmgegendBrewer, Wilhelm Lieder mit Guitarre<name key="PSN0110132" style="hidden" type="author">Brewer, Wilhelm</name><name key="CRT0108295" style="hidden" type="music">Lieder zur Guitarre</name> zur Beurtheilung, das erste fing so an

Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.

worauf die Singstimme eintrat (wörtlich abgeschrieben) und am Schluß des Briefs fragt erBrewer, Wilhelm mich, ob „nach meiner Meinung HändelHändel, Georg Friedrich (1685-1759) wohl der große Mann wäre, wofür er gemeiniglich gehalten würde“. Sollte der nicht Redacteur werden? Das Lied<name key="PSN0110132" style="hidden" type="author">Brewer, Wilhelm</name><name key="CRT0108295" style="hidden" type="music">Lieder zur Guitarre</name> und die Frage sind die besten Qualificationen dazu. Aber nun mal ernsthaft zu reden, lieber Moscheles wenn Du mir schreibst, so sage mir doch was Näheres über die neue Ouvertüre zur Jungfrau<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110046" style="hidden" type="music">Ouverture à grand Orchestre de Jeanne d’Arc, Tragédie de Schiller F-Dur, op. 91</name>, von der ich nur im Allgemeinen bis jetzt hören konnte. Ich bin gar zu hungrig nach guter neuer Musik. Hast Du sonst Neues componirt? Und was? Und kommt kein drittes Heft Etuden? Ich glaube in Deutschland ist kein halbweg mittelmäßiger Clavierspieler, der nicht die beiden ersten<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110059" style="hidden" type="music">Studien für das Pianoforte op. 70</name> kennt und spielt, Gott weiß freilich wie – aber Du machtest allen musikalischen Leuten ein wahres Geschenk mit einem neuen Heft. Bitte sage mir doch recht ausführlich von Allem was Du seither gemacht hast. Du siehst ja gewöhnlich alle neue Musik die herauskommt; ist Dir darunter was Gutes zu Gesicht gekommen? Mir nichts, was mir recht gefallen hätte; ein Heft neue Masurkas von Chopin<name key="PSN0110374" style="hidden" type="author">Chopin, Fryderyk Franciszek (Frédéric François) (1810-1849)</name><name key="CRT0108427" style="hidden" type="music">Quatre Mazurkas op. 17</name> und einige andre seiner neueren Sachen, sind denn doch so manierirt daß es schwer auszuhalten ist; auch Hiller hat 2 Hefte Lieder<name key="PSN0112003" style="hidden" type="author">Hiller, Ferdinand (seit 1875) von (1811-1885)</name><name key="CRT0109284" style="hidden" type="music">Neuer Frühling. Liederkreis in zwölf Gesängen op. 16 (HW 1.16)</name> gemacht, die er lieber hätte ungemacht lassen sollen. Ich möcht’ es Alles gar zu gern schön finden, aber es schmeckt mir gar zu wenig. Dann habe ich ein Paar Sachen von modernen Berlinern und Leipzigern, die gern da anfangen möchten wo BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827) aufhörte, und räuspern und spucken wie er und weiter ist gar nichts; mir kommts vor als wenn ich zu Pferde nach dem Regen durch die Feldwege reite, das geht prächtig wenns auch sprützt; aber zu Fuß bleiben die Leute da in den Pfützen stecken. Gustav III von Auber<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name><name key="CRT0107675" style="hidden" type="music">Gustave III. ou Le Bal masqué AWV 23</name> habe ich gehört, aber bei diesen Opern wird die Musik immer mehr Nebensache, das ist auch recht gut. Gestern habe ich eine Pariser Zeitung gelesen: BelliniBellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801-1835) ist Ritter der Ehrenlegion, Louise VernetVernet, Anne Elisabeth Louise (1814-1843), für die ich mal gar zu sehr schwärmte, heirathet den Maler DelarocheDelaroche, Hippolyte (Paul), und UrhanUrhan, Chrétien (eigtl. Christian Urhahn) (1790-1845) hat Clavierstücke geschrieben, genannt lettres à elle<name key="PSN0115431" style="hidden" type="author">Urhan, Chrétien (eigtl. Christian Urhahn) (1790-1845)</name><name key="CRT0111123" style="hidden" type="music">A Elle. [Quatre] Lettres pour le piano</name>! – Das weißt Du aber gewiß schon und auch die gute Nachricht daraus, daß die oeuv. complètes de Moschelès<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0111521" style="hidden" type="music">Collection complète des oeuvres de I. Moscheles pour le piano-forte</name> bei SchlesingerM. Schlesinger, Musikverlag in Paris erscheinen werden. Nun ist das Papier schon aus, und ich wollte eigentlich erst recht schön anfangen – aber ich weiß doch nichts Neues, als daß ich das ganze Haus vielmal und herzlich grüße, und gar zu gern bald wiedersähe, und das ist das Alte. Wahrscheinlich knocke ich aber im Mai ungeschickt ans Haus, und nun addio. Noch meine Grüße an EmilyMoscheles, Emily Mary (1827-1889) und SerinaMoscheles, Serena (Serina) Anna (1830-1902) und den FelixMoscheles, Felix Stone (1833-1917), der jetzt schon Französisch spricht, oder doch bald, und nun genug und zu viel.

ImmerFelix MB.
            Düsseldorf den 7ten Febr. 1835. Lieber Moscheles und liebe Mde. Moscheles ich habe neulich mit dem Courier ein Paar so dumme Briefe abgeschickt, daß ich heut versuchen muß, ob ich nicht einen klügern zusammenkriege. Hier kommen so Zeiten, wo mir sämmtliche Philister über den Kopf wachsen, sämmtliche Philister die es in der Welt giebt und mein eigner innrer dazu, da kann ich dann nicht schreiben (wie neulich) und sind die wieder mal vorüber, so möcht’ ich alle die Briefe zurückrufen oder niemals geschrieben haben. Heut habe ich einen Chor am Oratorium componirt, den ich wunderhübsch finde, was soll ich da Abends besseres thun, als nach Chester Place schreiben, und grüßen, da mir eben wohl zu Muthe ist? Dazu kam heut Morgen ein Brief von Klingemann, der auch immer Festtag macht, und dann ist es so verzweifelt neblig, daß ich meinte ich ritte in England spazieren, und dann habe ich seit ein Paar Wochen ein Paar Philister weniger auf dem Halse, und dann kommt bald wieder Frühling und sein Wetter ist schon da – so ists angenehm zu leben. Giebt es denn auf Englisch ein Wort für einen Philister? Ich glaube nicht. Es ist doch ein glückliches Land! Wenn auch Mr. Fleming wieder im Parlamente sitzt, und wenn sie auch zu meinem ave Lord God of Israel gesungen haben, was mir vorkommt als sänge man zu Lützows Jagd the old English gentleman – das ist alles noch lang nicht philiströs. Aber hier können wirs! Wenn ich Mde. Moscheles auf dem Balle gesehn hätte, auf dem ich gestern war, wo so viele Talglichter brannten, und zum Abendbrod gabs Schinken und Kartoffeln, und nach dem ersten Tanz mußte gleich gesprengt werden, und nachher nicht, denns half doch nichts, man konnte die Leute in den Wolken wenig erkennen, dann tanzten sie einen Ofen ein, werthe Mitglieder meiner hiesigen Kapelle spielten gut zum Tanz auf, die ganze Fete war in der Kaufmannsgesellschaft die man gewöhnlich „das Parlament“ nennt, Damentoiletten gab’s – hier hört meine Beschreibung auf, aber hätte ich Mde. Moscheles da gesehn, und sie mich (noch dazu in der Englischen schwarzen Halsbinde) so wäre ich gewiß in Ohnmacht gefallen vor Beschämung, denn an einem solchen Abende glaube ich schlechterdings nicht daß es einen gentleman giebt. Nun machte ich gar zu gern mal eine Kirmes mit, ordinairer kanns doch nicht sein, nur lustiger, aber das erlaubt mein Rang als Musikdirector durchaus nicht – der Bürgermeister selbst hat mir streng abgerathen. Dann giebt es eine so schöne Rivalität mit Elberfeld, das 4 Meilen von hier liegt, weil sich Düsseldorf Athen nennt, und Elberfeld Rio Janeiro oder Augsburg, und alle Mädchen sind häßlich – ein wahres malheur – oder sehr dumm. So gehe ich hier eigentlich nur mit Malern um, die nette Leute sind; Immermann, mit dem ich sonst gut Freund war, ist ins Theater versenkt, Uechtritz in die Aesthetik und Grabbe in den Schnaps, aus allen drei Dingen mach’ ich mir wenig, am wenigsten freilich aus der Aesthetik. Neulich frug eine Musikhandlung mich, ob ich nicht eine Musikzeitung redigiren wolle, ich hätte die Handlung gern herausgefordert. Denn solch ein Treiben kommt mir so schrecklich unersprieslich und unerquicklich vor, wie gar kein anderes, sie leben rein von der anderen Leute Plaisir und ihrem eignen Ärger. Mir schickte neulich ein Componist aus der Umgegend Lieder mit Guitarre zur Beurtheilung, das erste fing so an
worauf die Singstimme eintrat (wörtlich abgeschrieben) und am Schluß des Briefs fragt er mich, ob „nach meiner Meinung Händel wohl der große Mann wäre, wofür er gemeiniglich gehalten würde“. Sollte der nicht Redacteur werden? Das Lied und die Frage sind die besten Qualificationen dazu. Aber nun mal ernsthaft zu reden, lieber Moscheles wenn Du mir schreibst, so sage mir doch was Näheres über die neue Ouvertüre zur Jungfrau, von der ich nur im Allgemeinen bis jetzt hören konnte. Ich bin gar zu hungrig nach guter neuer Musik. Hast Du sonst Neues componirt? Und was? Und kommt kein drittes Heft Etuden? Ich glaube in Deutschland ist kein halbweg mittelmäßiger Clavierspieler, der nicht die beiden ersten kennt und spielt, Gott weiß freilich wie – aber Du machtest allen musikalischen Leuten ein wahres Geschenk mit einem neuen Heft. Bitte sage mir doch recht ausführlich von Allem was Du seither gemacht hast. Du siehst ja gewöhnlich alle neue Musik die herauskommt; ist Dir darunter was Gutes zu Gesicht gekommen? Mir nichts, was mir recht gefallen hätte; ein Heft neue Masurkas von Chopin und einige andre seiner neueren Sachen, sind denn doch so manierirt daß es schwer auszuhalten ist; auch Hiller hat 2 Hefte Lieder gemacht, die er lieber hätte ungemacht lassen sollen. Ich möcht’ es Alles gar zu gern schön finden, aber es schmeckt mir gar zu wenig. Dann habe ich ein Paar Sachen von modernen Berlinern und Leipzigern, die gern da anfangen möchten wo Beethoven aufhörte, und räuspern und spucken wie er und weiter ist gar nichts; mir kommts vor als wenn ich zu Pferde nach dem Regen durch die Feldwege reite, das geht prächtig wenns auch sprützt; aber zu Fuß bleiben die Leute da in den Pfützen stecken. Gustav III von Auber habe ich gehört, aber bei diesen Opern wird die Musik immer mehr Nebensache, das ist auch recht gut. Gestern habe ich eine Pariser Zeitung gelesen: Bellini ist Ritter der Ehrenlegion, Louise Vernet, für die ich mal gar zu sehr schwärmte, heirathet den Maler Delaroche, und Urhan hat Clavierstücke geschrieben, genannt lettres à elle! – Das weißt Du aber gewiß schon und auch die gute Nachricht daraus, daß die oeuv. complètes de Moschelès bei Schlesinger erscheinen werden. Nun ist das Papier schon aus, und ich wollte eigentlich erst recht schön anfangen – aber ich weiß doch nichts Neues, als daß ich das ganze Haus vielmal und herzlich grüße, und gar zu gern bald wiedersähe, und das ist das Alte. Wahrscheinlich knocke ich aber im Mai ungeschickt ans Haus, und nun addio. Noch meine Grüße an Emily und Serina und den Felix, der jetzt schon Französisch spricht, oder doch bald, und nun genug und zu viel.
Immer
Felix MB.          
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Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1835-02-07" xml:id="date_fe8fbcb4-516c-4d10-860f-e1143a1a2a39">7. Februar 1835</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_8ca8991f-9612-4d32-b990-d18a274f5f4c">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_bf8860fb-3251-4de9-ae9d-1dd321faa55b"> <settlement key="STM0100109">Düsseldorf</settlement> <country>Deutschland</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113436" resp="receiver" xml:id="persName_1e0fb178-b465-4e1a-ac5f-52d01ba3d919">Moscheles, Charlotte (1805-1889)</persName> <persName key="PSN0113441" resp="receiver" xml:id="persName_bad51d63-325d-4c9c-969d-d7728b350dcb">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_63e78629-0bf2-4662-a12e-5a9509974197"> <settlement key="STM0100126">London</settlement> <country>Großbritannien</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_3dedf630-2988-4206-80ad-0aa2e3bf5e72"> <head> <address> <addrLine>I. Moscheles</addrLine> <addrLine>Esqure</addrLine> <addrLine>LOndon.</addrLine> <addrLine>3 Chester Place, Chester Terrace</addrLine> <addrLine>Regents Park.</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline">fr</hi>.</addrLine> </address> </head> </div> <div type="annotation" xml:id="div_3d11dbc2-fe19-4dd2-86cd-27fd23dbf157"> <note type="receiver-annotation" xml:id="note_7beb94ec-4bf9-4268-997d-287b45903a00">Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite: »Aus Düsseldorf / Felix Mendelssohn vom 7<hi rend="superscript">ten</hi> Febr: 1835 / Launige Mittheilung über Düsseldorfer Zustände / Intime Confessionen über Componisten«. / Intime Confessionen über Komponisten, wünscht ein 3<hi rend="superscript">tes</hi> Heft meiner Etuden.«</note> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_7ca8d4b7-37f6-4276-879b-ed7c4c2568bd"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Düsseldorf den <date cert="high" when="1835-02-07" xml:id="date_47a1379e-817b-4632-b713-6022a9623bc0">7<hi rend="superscript">ten</hi> Febr. 1835</date>.</dateline><p style="paragraph_without_indent">Lieber Moscheles und liebe Mde. Moscheles ich habe neulich mit dem Courier ein Paar so dumme Briefe abgeschickt, daß ich heut versuchen muß, ob ich nicht einen klügern zusammenkriege. Hier kommen so Zeiten, wo mir sämmtliche Philister über den Kopf wachsen, sämmtliche Philister die es in der Welt giebt und mein eigner innrer dazu, da kann ich dann nicht schreiben (wie neulich) und sind die wieder mal vorüber, so möcht’ ich alle die Briefe zurückrufen oder niemals geschrieben haben. Heut habe ich einen Chor am <title xml:id="title_af5efd80-6c93-4375-8079-fd9ef100a4f0">Oratorium<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_z9jcoimf-0eux-rpjt-gtsk-dse3iswhkzwp"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name></title> componirt, den ich wunderhübsch finde, was soll ich da Abends besseres thun, als nach Chester Place schreiben, und grüßen, da mir eben wohl zu Muthe ist? Dazu kam heut Morgen ein Brief von <persName xml:id="persName_cd0369f7-855d-4666-8dfa-ae10f9da3740">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName>, der auch immer Festtag macht, und dann ist es so verzweifelt neblig, daß ich meinte ich ritte in England spazieren, und dann habe ich seit ein Paar Wochen ein Paar Philister weniger auf dem Halse, und dann kommt bald wieder Frühling und sein Wetter ist schon da – so ists angenehm zu leben. Giebt es denn auf Englisch ein Wort für einen Philister? Ich glaube nicht. Es ist doch ein glückliches Land! Wenn auch <persName xml:id="persName_e0885874-2104-4465-83b0-a6e1f0c9c675">Mr. Fleming<name key="PSN0111076" style="hidden">Fleming, John Willis (1781-1844)</name></persName> wieder im Parlamente sitzt, und wenn sie auch zu <title xml:id="title_65315b0c-0437-4c8c-8572-b3b723920519">meinem ave<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_n1wc50qz-x5hg-6w1i-cl4z-j0a9cpjalx4z"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="sacred_vocal_works_with_smaller_instrumentation" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100129" style="hidden">Ave Maria (Offertorium) für Tenor solo, gemischten Chor a cappella bzw. mit Begleitung, 30. September 1830; 16. Oktober 1830<idno type="MWV">B 19</idno><idno type="op">23/2</idno></name></title> Lord God of Israel gesungen haben, was mir vorkommt als sänge man zu <title xml:id="title_59581437-426c-4ce0-8f97-9cebab042bc3">Lützows Jagd<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111256" style="hidden" type="music">Lützows wilde Jagd op. 42/2 (WeV H. 4/1)</name></title> the <title xml:id="title_bcfe41db-d534-42d6-ac6d-52c8cdb57fc7">old English gentleman<name key="PSN0112133" style="hidden" type="author">Hudson, Thomas (I) (1791-1844)</name><name key="CRT0109395" style="hidden" type="music">I’ll sing you a good old song</name></title> – das ist alles noch lang nicht philiströs. Aber hier können wirs! Wenn ich Mde. Moscheles auf dem Balle gesehn hätte, auf dem ich gestern war, wo so viele Talglichter brannten, und zum Abendbrod gabs Schinken und Kartoffeln, und nach dem ersten Tanz mußte gleich gesprengt werden, und nachher nicht, denns half doch nichts, man konnte die Leute in den Wolken wenig erkennen, dann tanzten sie einen Ofen ein, werthe Mitglieder meiner hiesigen Kapelle spielten gut zum Tanz auf, die ganze Fete war in der <placeName xml:id="placeName_2509c096-fe3c-4aa6-af6c-a362ac5e38c6">Kaufmannsgesellschaft<name key="NST0100333" style="hidden" subtype="" type="institution">Kaufmannsgesellschaft</name><settlement key="STM0100109" style="hidden" type="">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> die man gewöhnlich „das Parlament“ nennt, Damentoiletten gab’s – hier hört meine Beschreibung auf, aber hätte ich Mde. Moscheles da gesehn, und sie mich (noch dazu in der Englischen schwarzen Halsbinde) so wäre ich gewiß in Ohnmacht gefallen vor Beschämung, denn an einem solchen Abende glaube ich schlechterdings nicht daß es einen gentleman giebt. Nun machte ich gar zu gern mal eine Kirmes mit, ordinairer kanns doch nicht sein, nur lustiger, aber das erlaubt mein Rang als Musikdirector durchaus nicht – der Bürgermeister selbst hat mir streng abgerathen. Dann giebt es eine so schöne Rivalität mit Elberfeld, das 4 Meilen von hier liegt, weil sich Düsseldorf Athen nennt, und Elberfeld Rio Janeiro oder Augsburg, und alle Mädchen sind häßlich – ein wahres malheur – oder sehr dumm. So gehe ich hier eigentlich nur mit Malern um, die nette Leute sind; <persName xml:id="persName_3a4ebb85-e138-460f-925a-7b047715110b">Immermann<name key="PSN0112169" style="hidden">Immermann, Karl Leberecht (1796-1840)</name></persName>, mit dem ich sonst gut Freund war, ist ins Theater versenkt, <persName xml:id="persName_89dade8f-3370-4b1c-ad2b-0c5bc7a3e2f2">Uechtritz<name key="PSN0115415" style="hidden">Uechtritz, Peter Friedrich von (1800-1875)</name></persName> in die Aesthetik und <persName xml:id="persName_75d5846e-b77b-4702-825d-7ea84f5c55b4">Grabbe<name key="PSN0111501" style="hidden">Grabbe, Christian Dietrich (1801-1836)</name></persName> in den Schnaps, aus allen drei Dingen mach’ ich mir wenig, am wenigsten freilich aus der Aesthetik. Neulich frug eine <persName xml:id="persName_3766618a-a73f-4462-93e8-c3e341797841">Musikhandlung<name key="PSN0110112" style="hidden">Breitkopf &amp; Härtel (bis 1786: Breitkopf), Verlag und Musikalienhandlung in Leipzig</name></persName> mich, ob ich nicht eine Musikzeitung redigiren wolle, ich hätte die Handlung gern herausgefordert. Denn solch ein Treiben kommt mir so schrecklich unersprieslich und unerquicklich vor, wie gar kein anderes, sie leben rein von der anderen Leute Plaisir und ihrem eignen Ärger. Mir schickte neulich ein <persName xml:id="persName_16d03b8e-27f2-4217-b296-f9fc0933e7b0">Componist aus der Umgegend<name key="PSN0110132" style="hidden">Brewer, Wilhelm</name></persName> <title xml:id="title_4ef59272-10c2-4596-b95e-075f7291cd39">Lieder mit Guitarre<name key="PSN0110132" style="hidden" type="author">Brewer, Wilhelm</name><name key="CRT0108295" style="hidden" type="music">Lieder zur Guitarre</name></title> zur Beurtheilung, das erste fing so an</p><p style="paragraph_centered"> <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_2a2e9343-c4ef-49f00-a930e-e25e64c4d229" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe. </note></p><p style="paragraph_without_indent">worauf die Singstimme eintrat (wörtlich abgeschrieben) und am Schluß des Briefs fragt <persName xml:id="persName_38c90709-5196-41ce-b272-d32a758d8bf6">er<name key="PSN0110132" style="hidden">Brewer, Wilhelm</name></persName> mich, ob „nach meiner Meinung <persName xml:id="persName_2923fec9-cee7-4f73-be30-08c663fec4e6">Händel<name key="PSN0111693" style="hidden">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName> wohl der große Mann wäre, wofür er gemeiniglich gehalten würde“. Sollte der nicht Redacteur werden? Das <title xml:id="title_38321efe-a6c4-45e1-9867-706df151a0ee">Lied<name key="PSN0110132" style="hidden" type="author">Brewer, Wilhelm</name><name key="CRT0108295" style="hidden" type="music">Lieder zur Guitarre</name></title> und die Frage sind die besten Qualificationen dazu. Aber nun mal ernsthaft zu reden, lieber Moscheles wenn Du mir schreibst, so sage mir doch was Näheres über die <title xml:id="title_46218711-279a-4a7e-ad85-2bb5b427c4e4">neue Ouvertüre zur Jungfrau<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110046" style="hidden" type="music">Ouverture à grand Orchestre de Jeanne d’Arc, Tragédie de Schiller F-Dur, op. 91</name></title>, von der ich nur im Allgemeinen bis jetzt hören konnte. Ich bin gar zu hungrig nach guter neuer Musik. Hast Du sonst Neues componirt? Und was? Und kommt kein drittes Heft Etuden? Ich glaube in Deutschland ist kein halbweg mittelmäßiger Clavierspieler, der nicht <title xml:id="title_aadcddc2-1543-4638-8bec-f29ee3db53b9">die beiden ersten<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110059" style="hidden" type="music">Studien für das Pianoforte op. 70</name></title> kennt und spielt, Gott weiß freilich wie – aber Du machtest allen musikalischen Leuten ein wahres Geschenk mit einem neuen Heft. Bitte sage mir doch recht ausführlich von Allem was Du seither gemacht hast. Du siehst ja gewöhnlich alle neue Musik die herauskommt; ist Dir darunter was Gutes zu Gesicht gekommen? Mir nichts, was mir recht gefallen hätte; ein <title xml:id="title_563e8fad-7d54-434f-a806-c36694145c32">Heft neue Masurkas von Chopin<name key="PSN0110374" style="hidden" type="author">Chopin, Fryderyk Franciszek (Frédéric François) (1810-1849)</name><name key="CRT0108427" style="hidden" type="music">Quatre Mazurkas op. 17</name></title> und einige andre seiner neueren Sachen, sind denn doch so manierirt daß es schwer auszuhalten ist; auch Hiller hat <title xml:id="title_5e8dea9d-19c3-4efc-a518-9f3c93e9bfd7">2 Hefte Lieder<name key="PSN0112003" style="hidden" type="author">Hiller, Ferdinand (seit 1875) von (1811-1885)</name><name key="CRT0109284" style="hidden" type="music">Neuer Frühling. Liederkreis in zwölf Gesängen op. 16 (HW 1.16)</name></title> gemacht, die er lieber hätte ungemacht lassen sollen. Ich möcht’ es Alles gar zu gern schön finden, aber es schmeckt mir gar zu wenig. Dann habe ich ein Paar Sachen von modernen Berlinern und Leipzigern, die gern da anfangen möchten wo <persName xml:id="persName_3635d3c6-045f-4ba5-9c04-91cd992a1fd6">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> aufhörte, und räuspern und spucken wie er und weiter ist gar nichts; mir kommts vor als wenn ich zu Pferde nach dem Regen durch die Feldwege reite, das geht prächtig wenns auch sprützt; aber zu Fuß bleiben die Leute da in den Pfützen stecken. <title xml:id="title_a43264b5-6b0e-4619-95f5-3642b01e2dde">Gustav III von Auber<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name><name key="CRT0107675" style="hidden" type="music">Gustave III. ou Le Bal masqué AWV 23</name></title> habe ich gehört, aber bei diesen Opern wird die Musik immer mehr Nebensache, das ist auch recht gut. Gestern habe ich eine Pariser Zeitung gelesen: <persName xml:id="persName_6697aa53-9e05-4f6f-952b-498c0223e820">Bellini<name key="PSN0109794" style="hidden">Bellini, Vincenzo Salvatore Carmelo Francesco (1801-1835)</name></persName> ist Ritter der Ehrenlegion, <persName xml:id="persName_525c37c2-3a62-4f5f-9066-f0cd2a3d9c67">Louise Vernet<name key="PSN0115492" style="hidden">Vernet, Anne Elisabeth Louise (1814-1843)</name></persName>, für die ich mal gar zu sehr schwärmte, heirathet den <persName xml:id="persName_1427d470-66ac-4f27-bd08-5979f7ab10c5">Maler Delaroche<name key="PSN0110592" style="hidden">Delaroche, Hippolyte (Paul)</name></persName>, und <persName xml:id="persName_a479d8bd-1d72-4bca-b98f-d7b9a97e6c90">Urhan<name key="PSN0115431" style="hidden">Urhan, Chrétien (eigtl. Christian Urhahn) (1790-1845)</name></persName> hat Clavierstücke geschrieben, genannt <title xml:id="title_406b3701-c2b3-449e-8321-8253a2528a92">lettres à elle<name key="PSN0115431" style="hidden" type="author">Urhan, Chrétien (eigtl. Christian Urhahn) (1790-1845)</name><name key="CRT0111123" style="hidden" type="music">A Elle. [Quatre] Lettres pour le piano</name></title>! – Das weißt Du aber gewiß schon und auch die gute Nachricht daraus, daß die <title xml:id="title_91b29f49-272e-4453-917e-34c0514088e5">oeuv. complètes de Moschelès<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0111521" style="hidden" type="music">Collection complète des oeuvres de I. Moscheles pour le piano-forte</name></title> bei <persName xml:id="persName_a99d75f8-cc8b-42ca-9ac0-00c9a09acd9b">Schlesinger<name key="PSN0114586" style="hidden">M. Schlesinger, Musikverlag in Paris</name></persName> erscheinen werden. Nun ist das Papier schon aus, und ich wollte eigentlich erst recht schön anfangen – aber ich weiß doch nichts Neues, als daß ich das ganze Haus vielmal und herzlich grüße, und gar zu gern bald wiedersähe, und das ist das Alte. Wahrscheinlich knocke ich aber im Mai ungeschickt ans Haus, und nun addio. Noch meine Grüße an <persName xml:id="persName_cad2dc1f-2e99-4431-bad4-fe6f4de0f590">Emily<name key="PSN0113439" style="hidden">Moscheles, Emily Mary (1827-1889)</name></persName> und <persName xml:id="persName_7708bf95-5035-4b94-9c6f-3497006c5879">Serina<name key="PSN0113443" style="hidden">Moscheles, Serena (Serina) Anna (1830-1902)</name></persName> und den <persName xml:id="persName_800cd283-a2dd-44e8-9e98-378aa11cde82">Felix<name key="PSN0113440" style="hidden">Moscheles, Felix Stone (1833-1917)</name></persName>, der jetzt schon Französisch spricht, oder doch bald, und nun genug und zu viel.</p><signed rend="right">Immer</signed><signed rend="right">Felix MB.</signed></div></body> </text></TEI>