]> Brief: fmb-1834-12-25-01

fmb-1834-12-25-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Ignaz Moscheles in London <lb></lb>Düsseldorf, 25. Dezember 1834 Lieber Moscheles jetzt halte ich meine eigne Undankbarkeit und Grobheit d. h. mein Stillschweigen auf Deinen prächtigen, lieben, langen Brief mit der schönen Birminghamer Beschreibung und mit aller Güte und Freundlichkeit nicht länger aus, und Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 4, 1056.

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Leeds GB-LEbc Leeds, University Library, The Brotherton Library Brotherton Collection MS Mendelssohn, Letters 20. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Ignaz Moscheles in London; Düsseldorf, 25. Dezember 1834 Lieber Moscheles jetzt halte ich meine eigne Undankbarkeit und Grobheit d. h. mein Stillschweigen auf Deinen prächtigen, lieben, langen Brief mit der schönen Birminghamer Beschreibung und mit aller Güte und Freundlichkeit nicht länger aus, und

4 beschr. S.; Adresse, Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite im Adressenfeld: »Aus Düsseldorf / Von Felix Mendelssohn v 25ten Decemb: 1834 / Intime Confessionen über Neukomm / und Cherubinis Ali Baba / Zu Ende gute Laune. / in der Mitte der / letzten Seite / über den Chor aus Fis moll / aus Paulus«.. – In Ignaz Moscheles’ Briefalbum enthalten. Autographe Notiz von Moscheles in dessen Briefalbum zu diesem Brief: »Düsseldorf. Intime Confessionen über Neukomm und Cherubinis Ali Baba. Letzte Seite: Düsseldorfer Musikzustände. Schreibt den Paulus – den Chor der Heiden in Fis moll. – Ueber meine Winke seine Klaviersachen betreffend.«

Felix Mendelssohn Bartholdy

Sammlung William Thomas Freemantle, Rotherham, Yorkshire.

Moscheles, Briefe, S. 101-106. Wolff, Meister-Briefe, S. 60-67.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

25. Dezember 1834 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Düsseldorf Deutschland Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870) London Großbritannien deutsch
I. Moscheles Esqu 3 Chester Place, Regents Park.
Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite im Adressenfeld: »Aus Düsseldorf / Von Felix Mendelssohn v 25ten Decemb: 1834 / Intime Confessionen über Neukomm / und Cherubinis Ali Baba / Zu Ende gute Laune. / in der Mitte der / letzten Seite / über den Chor aus Fis moll / aus Paulus«.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Düsseldorf den 25sten Dec. 1834.

Lieber Moscheles jetzt halte ich meine eigne Undankbarkeit und Grobheit d. h. mein Stillschweigen auf Deinen prächtigen, lieben, langen Brief mit der schönen Birminghamer Beschreibung und mit aller Güte und Freundlichkeit nicht länger aus, und muß wieder schreiben. Warum ichs nicht seit 2 Monaten gethan, das weiß ich eigentlich zu entschuldigen gar nicht, kaum zu sagen; aber die Affen am Orinoko reden nicht, weil sie nichts zu reden wissen, (wie ich mal gelesen habe) und so eine Art Thier war ich, und dann war ich mal sehr schlimmer Laune und überbeschäftigt, und dann wieder guter Laune aber überbeschäftigt, kurz ich verschob es. Übrigens quält mich wahrhaftig jetzt wieder der Gedanke, daß man einem Londoner und nun gar Dir von Düsseldorf etwas schreiben soll – denn dies ist ein gar zu kleines Nest, und vorgehen thut gar nichts, und daß die Tories wieder am Ruder sind, kann ich Dir nicht schreiben. Never mind, ich schreibe um mal wieder was von Dir zu lesen, denn eben weil Deine lieben Briefe mir immer solch eine Freude machen, und mir so ganz Euer großartiges Treiben veranschaulichen, möchte ich lieber von unserm kleinstädtischen Treiben schweigen, das eigentlich nur ein Treiben ist, wie man Heerden treibt. Nur eins beklage ich in Deinem Briefe – daß ich erst durch KlingemannKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) erfahren mußte, daß Du eine Ouvertüre zur Johanna von Orleans<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110046" style="hidden" type="music">Ouverture à grand Orchestre de Jeanne d’Arc, Tragédie de Schiller F-Dur, op. 91</name> geschrieben hast. Du weißt, wie mich das vor Allem interessirt, und wie herzlich ich Dir Glück wünsche, schon blos zu dem vortrefflichen und ernsten Gegenstand Deiner Kunst, wenn ich nur erst das Stück selbst kennte. Darüber schweigst Du aber ganz, und so erfahre ich gar nichts von dem, was du zeither componirt hast, oder noch im Kopfe herumträgst. Bitte, schreib mir doch davon, und zwar die Details, mit Tonart, Tactart, Instrumentirung und wo möglich kleinen Noten. Hast Du denn nichts Neues fürs Clavier geschrieben? Das wäre eine rechte Wohlthat, denn es fehlt gar zu sehr an was recht schönem Neuen. Deine Beschreibung des MusikfestesThe Birmingham Triennial Music FestivalBirminghamGroßbritannien für die muß ich Dir noch einmal ganz apart danken, sie ist so lebendig und interessant, daß man meint man sei dabei und höre NeukommNeukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858) phantasiren und sehe Miss Ryland in der Loge, denn Deine und Deiner FrauenMoscheles, Charlotte (1805-1889) Beschreibung müssen zusammengehalten werden; ganz prächtig ist, was Du über NeukommsNeukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858) Musik sagst und mir recht aus der Seele gesprochen; was mich nur wundert ist, wie ein sonst so geschmackvoller und gebildeter Mann nicht auch in der Musik durch beides mehr gewählt und elegant schreibt, denn ohne von den Ideen und dem Grunde seiner Compositionen zu sprechen, scheinen sie mir oft gar zu sorglos, fast ordinair gemacht zu sein, und die Phantasie zwischen den Theilen von der Du erzählst, bestätigt dies wohl wieder, wenigstens würde mich schon der Titel abgeschreckt haben und in der besten Hörlaune gestört. Auch das viele Blech gehört hieher, denn schon nach einer Berechnung müßte mans aufsparen, von aller Kunst ganz zu schweigen. Darin gefällt mir unter andern HändelsHändel, Georg Friedrich (1685-1759) Art prächtig, mit seinen Pauken und Trompeten so ganz gegen das Ende recht dick klobig drein zu fahren, als ob er drauf los prügelte; da ist kein Mensch den es nicht ergreifen müßte, und dergleichen nachzuahmen schiene mir immer noch weit besser, als eine Überreizung und Anspannung der Zuhörer, die dann am Ende den Cayennepfeffer gewohnt werden. So habe ich jetzt Cherubinis neue Oper<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108362" style="hidden" type="music">Ali Baba, ou Les Quarante Voleurs</name> durchgesehn, und wenn ich an vielen Stellen ganz entzückt war, so hat michs doch an sehr vielen auch gejammert, wie er gänzlich in den verdorbnen neuen Pariser Ton mit einstimmt, an ruhige, edele Stücke einen Knallschluß hängt, instrumentirt als seyen die Instrumente gar nichts und nur der Effect was, mit drei und vier Posaunen um sich wirft, als hätten die Menschen statt der Trommelfelle Trommelfelle, und dann in den Finales am Ende einen Scandal, und ein Wüthen mit häßlichen Accorden macht, daß es weh thut. Daneben stehn dann Stücke aus seiner früheren Zeit, aus Faniska<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108369" style="hidden" type="music">Faniska</name>, Lodoiska<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108382" style="hidden" type="music">Lodoïska</name> u. s. w. so geistreich und hell wie Menschen neben Vogelscheuchen, und so wundert michs nicht, daß die Oper nicht gefallen konnte; wer den alten CherubiniCherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842) liebt, der muß sich an dem elenden Zeuge und an seiner Feigheit ärgern, wie er dem sogenannten Zeitgeschmacke und dem Publicum nachgiebt (als ob unser eins nicht auch Publicum mit machte, und in der Zeit lebte, und als ob wir nicht auch Musik für unsern Magen haben wollten) und wer den alten CherubiniCherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842) nicht liebt, dem ist doch immer noch viel zu viel von ihm im Ali Baba drin, und dem wird ers auch nicht recht machen, und gäbe er sich noch soviel Mühe – er guckt aus den ersten drei Noten doch immer wieder raus. Das nennen sie dann rococo, peruque u. s. f. – Du wirst denken, mir sei ganz rasend grimmig heut zu Muthe, aber ich begreife gar nicht, wie so ich in den Ton verfallen bin, denn mir ist eigentlich sehr behaglich und vergnügt; es ist erster Feiertag, in der Stube riechts stark nach schwarzem Pfefferkuchen, den ich gestern bei Schadows aufgebaut bekam, nebst Flausrock von Hause, und Schreibsachen, und Süßigkeiten, Tasse, &c., in Mitten dieser Herrlichkeiten habe ich einen sehr lustigen Tag zugebracht, und Abends läuft mir die Feder mit Bosheit davon. Auch Düsseldorf ist gar nicht so arg, wir ichs anfangs mache; Du solltest es schon loben, wenn Du den SingVerein seinen Seb. BachBach, Johann Sebastian (1685-1750) singen hörtest, wie einen Ritter; nächstens geben wir die Jahreszeiten<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name><name key="CRT0109072" style="hidden" type="music">Die Jahreszeiten Hob. 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Aber ich glaube mein Mismuth kommt daher daß mein PferdTyrol (Tirol), Pferd von → Felix Mendelssohn Bartholdy Nachmittags mit mir durchgegangen ist, und zwar mitten über die Promenade durch die Stadt wie toll bis an den Stall, und ich saß drauf und blieb zwar sitzen, aber ich ärgerte mich doch abscheulich und die Leute freuten sich, wie der Herr Musikdirector so jage. Und dann giebt es auch wirklich gar zu wenig hübsche Mädchen hier, man will doch nicht den ganzen Tag Fugen und Choräle componiren, aber meiner Treu ich werde hier so philisterhaft und altmodisch, daß ich schon ungern einen Frack anziehe, und wie es gar im Frühjahr werden soll, im Fall ich nach England käme, und Schuh tragen müßte, das weiß ich gar nicht. Frag nur KlingemannKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862), der wirds bestätigen. Wenn ich aber wirklich im Frühjahr mit meinen Arbeiten so weit bin, daß ich herüberkommen kann, so soll sich das Alles schon wieder geben, und ob ich mich dann auf Chester Place no. 3 freue, das weißt Du wohl. Mit meinem Oratorium<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_itpyyfia-bbef-61kn-tout-vjeeyoybfman"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name> geht es jetzt rasch vorwärts, ich arbeite im 2ten Theil und habe dieser Tage einen Chor in fis moll, (einen lustigen Chor der Heiden) gemacht, der mir selbst ungeheuer viel Plaisir gemacht hat, und den ich Dir gar zu gern zeigte. Wie ich denn überhaupt gar zu sehr gespannt bin, ob Du mit meinen neuen Arbeiten zufrieden sein wirst. Einige Fugen, Lieder ohne Worte, mit Worten, ein Paar Etüden, habe ich seit kurzem gemacht, und brächte gar zu gern ein neues Clavierconcert mit nach London; aber davon weiß ich bisjetzt nichts. Du hast mir mal gesagt, ich müsse nun ein ruhiges, gehaltenes Clavierstück schreiben, nach alle den unruhigen, und das will mir nicht aus dem Kopf, und das läßt mich gar nicht näher kommen, denn so wie ich an ein ClavierConcert denke, so geh ich durch und so wie ich durchgehe so sag ich: Moscheles hat gesagt &c. und da wird’s nichts. Aber ich wills schon noch rauskriegen, wenns wieder unruhig wird, liegt es an meinem Willen wahrhaftig nicht. Nun aber lebewohl, lieber Moscheles, und wenn es Deine Muße erlaubt, laß mich wieder und viel von Dir hören, und bleibe mir gut.

Dein FreundFelix Mendelssohn Bartholdy
            Düsseldorf den 25sten Dec. 1834. Lieber Moscheles jetzt halte ich meine eigne Undankbarkeit und Grobheit d. h. mein Stillschweigen auf Deinen prächtigen, lieben, langen Brief mit der schönen Birminghamer Beschreibung und mit aller Güte und Freundlichkeit nicht länger aus, und muß wieder schreiben. Warum ichs nicht seit 2 Monaten gethan, das weiß ich eigentlich zu entschuldigen gar nicht, kaum zu sagen; aber die Affen am Orinoko reden nicht, weil sie nichts zu reden wissen, (wie ich mal gelesen habe) und so eine Art Thier war ich, und dann war ich mal sehr schlimmer Laune und überbeschäftigt, und dann wieder guter Laune aber überbeschäftigt, kurz ich verschob es. Übrigens quält mich wahrhaftig jetzt wieder der Gedanke, daß man einem Londoner und nun gar Dir von Düsseldorf etwas schreiben soll – denn dies ist ein gar zu kleines Nest, und vorgehen thut gar nichts, und daß die Tories wieder am Ruder sind, kann ich Dir nicht schreiben. Never mind, ich schreibe um mal wieder was von Dir zu lesen, denn eben weil Deine lieben Briefe mir immer solch eine Freude machen, und mir so ganz Euer großartiges Treiben veranschaulichen, möchte ich lieber von unserm kleinstädtischen Treiben schweigen, das eigentlich nur ein Treiben ist, wie man Heerden treibt. Nur eins beklage ich in Deinem Briefe – daß ich erst durch Klingemann erfahren mußte, daß Du eine Ouvertüre zur Johanna von Orleans geschrieben hast. Du weißt, wie mich das vor Allem interessirt, und wie herzlich ich Dir Glück wünsche, schon blos zu dem vortrefflichen und ernsten Gegenstand Deiner Kunst, wenn ich nur erst das Stück selbst kennte. Darüber schweigst Du aber ganz, und so erfahre ich gar nichts von dem, was du zeither componirt hast, oder noch im Kopfe herumträgst. Bitte, schreib mir doch davon, und zwar die Details, mit Tonart, Tactart, Instrumentirung und wo möglich kleinen Noten. Hast Du denn nichts Neues fürs Clavier geschrieben? Das wäre eine rechte Wohlthat, denn es fehlt gar zu sehr an was recht schönem Neuen. Deine Beschreibung des Musikfestes für die muß ich Dir noch einmal ganz apart danken, sie ist so lebendig und interessant, daß man meint man sei dabei und höre Neukomm phantasiren und sehe Miss Ryland in der Loge, denn Deine und Deiner Frauen Beschreibung müssen zusammengehalten werden; ganz prächtig ist, was Du über Neukomms Musik sagst und mir recht aus der Seele gesprochen; was mich nur wundert ist, wie ein sonst so geschmackvoller und gebildeter Mann nicht auch in der Musik durch beides mehr gewählt und elegant schreibt, denn ohne von den Ideen und dem Grunde seiner Compositionen zu sprechen, scheinen sie mir oft gar zu sorglos, fast ordinair gemacht zu sein, und die Phantasie zwischen den Theilen von der Du erzählst, bestätigt dies wohl wieder, wenigstens würde mich schon der Titel abgeschreckt haben und in der besten Hörlaune gestört. Auch das viele Blech gehört hieher, denn schon nach einer Berechnung müßte mans aufsparen, von aller Kunst ganz zu schweigen. Darin gefällt mir unter andern Händels Art prächtig, mit seinen Pauken und Trompeten so ganz gegen das Ende recht dick klobig drein zu fahren, als ob er drauf los prügelte; da ist kein Mensch den es nicht ergreifen müßte, und dergleichen nachzuahmen schiene mir immer noch weit besser, als eine Überreizung und Anspannung der Zuhörer, die dann am Ende den Cayennepfeffer gewohnt werden. So habe ich jetzt Cherubinis neue Oper durchgesehn, und wenn ich an vielen Stellen ganz entzückt war, so hat michs doch an sehr vielen auch gejammert, wie er gänzlich in den verdorbnen neuen Pariser Ton mit einstimmt, an ruhige, edele Stücke einen Knallschluß hängt, instrumentirt als seyen die Instrumente gar nichts und nur der Effect was, mit drei und vier Posaunen um sich wirft, als hätten die Menschen statt der Trommelfelle Trommelfelle, und dann in den Finales am Ende einen Scandal, und ein Wüthen mit häßlichen Accorden macht, daß es weh thut. Daneben stehn dann Stücke aus seiner früheren Zeit, aus Faniska, Lodoiska u. s. w. so geistreich und hell wie Menschen neben Vogelscheuchen, und so wundert michs nicht, daß die Oper nicht gefallen konnte; wer den alten Cherubini liebt, der muß sich an dem elenden Zeuge und an seiner Feigheit ärgern, wie er dem sogenannten Zeitgeschmacke und dem Publicum nachgiebt (als ob unser eins nicht auch Publicum mit machte, und in der Zeit lebte, und als ob wir nicht auch Musik für unsern Magen haben wollten) und wer den alten Cherubini nicht liebt, dem ist doch immer noch viel zu viel von ihm im Ali Baba drin, und dem wird ers auch nicht recht machen, und gäbe er sich noch soviel Mühe – er guckt aus den ersten drei Noten doch immer wieder raus. Das nennen sie dann rococo, peruque u. s. f. – Du wirst denken, mir sei ganz rasend grimmig heut zu Muthe, aber ich begreife gar nicht, wie so ich in den Ton verfallen bin, denn mir ist eigentlich sehr behaglich und vergnügt; es ist erster Feiertag, in der Stube riechts stark nach schwarzem Pfefferkuchen, den ich gestern bei Schadows aufgebaut bekam, nebst Flausrock von Hause, und Schreibsachen, und Süßigkeiten, Tasse, &c., in Mitten dieser Herrlichkeiten habe ich einen sehr lustigen Tag zugebracht, und Abends läuft mir die Feder mit Bosheit davon. Auch Düsseldorf ist gar nicht so arg, wir ichs anfangs mache; Du solltest es schon loben, wenn Du den SingVerein seinen Seb. Bach singen hörtest, wie einen Ritter; nächstens geben wir die Jahreszeiten öffentlich, und in der Fasten den Messias, im letzten Concert wurde Webers Leyer und Schwert gesungen, und der erste Theil des Maccabäus und die Sinf. eroica, und ich stehe hier in fürchterlichem Respect. Aber ich glaube mein Mismuth kommt daher daß mein Pferd Nachmittags mit mir durchgegangen ist, und zwar mitten über die Promenade durch die Stadt wie toll bis an den Stall, und ich saß drauf und blieb zwar sitzen, aber ich ärgerte mich doch abscheulich und die Leute freuten sich, wie der Herr Musikdirector so jage. Und dann giebt es auch wirklich gar zu wenig hübsche Mädchen hier, man will doch nicht den ganzen Tag Fugen und Choräle componiren, aber meiner Treu ich werde hier so philisterhaft und altmodisch, daß ich schon ungern einen Frack anziehe, und wie es gar im Frühjahr werden soll, im Fall ich nach England käme, und Schuh tragen müßte, das weiß ich gar nicht. Frag nur Klingemann, der wirds bestätigen. Wenn ich aber wirklich im Frühjahr mit meinen Arbeiten so weit bin, daß ich herüberkommen kann, so soll sich das Alles schon wieder geben, und ob ich mich dann auf Chester Place no. 3 freue, das weißt Du wohl. Mit meinem Oratorium geht es jetzt rasch vorwärts, ich arbeite im 2ten Theil und habe dieser Tage einen Chor in fis moll, (einen lustigen Chor der Heiden) gemacht, der mir selbst ungeheuer viel Plaisir gemacht hat, und den ich Dir gar zu gern zeigte. Wie ich denn überhaupt gar zu sehr gespannt bin, ob Du mit meinen neuen Arbeiten zufrieden sein wirst. Einige Fugen, Lieder ohne Worte, mit Worten, ein Paar Etüden, habe ich seit kurzem gemacht, und brächte gar zu gern ein neues Clavierconcert mit nach London; aber davon weiß ich bisjetzt nichts. Du hast mir mal gesagt, ich müsse nun ein ruhiges, gehaltenes Clavierstück schreiben, nach alle den unruhigen, und das will mir nicht aus dem Kopf, und das läßt mich gar nicht näher kommen, denn so wie ich an ein ClavierConcert denke, so geh ich durch und so wie ich durchgehe so sag ich: Moscheles hat gesagt &c. und da wird’s nichts. Aber ich wills schon noch rauskriegen, wenns wieder unruhig wird, liegt es an meinem Willen wahrhaftig nicht. Nun aber lebewohl, lieber Moscheles, und wenn es Deine Muße erlaubt, laß mich wieder und viel von Dir hören, und bleibe mir gut.
Dein FreundFelix Mendelssohn Bartholdy          
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Schreibt den Paulus – den Chor der Heiden in Fis moll. – Ueber meine Winke seine Klaviersachen betreffend.«</p> <handDesc hands="1"> <p>Felix Mendelssohn Bartholdy</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl> </accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Sammlung William Thomas Freemantle, Rotherham, Yorkshire.</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Moscheles, Briefe, S. 101-106.</bibl> <bibl type="printed_letter">Wolff, Meister-Briefe, S. 60-67.</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1834-12-25" xml:id="date_3ece7501-dc78-4363-9a44-df02fdb5da63">25. Dezember 1834</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_8aba3f99-1314-4cb6-a6e1-18cd4f99e84d">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_692c95df-b1b4-4de8-b3b3-114b6f87b605"> <settlement key="STM0100109">Düsseldorf</settlement> <country>Deutschland</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113441" resp="receiver" xml:id="persName_7910546a-a507-4fb3-9de6-035acc82fe93">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_a3237dd6-1365-4a69-ba72-3aeac960f02c"> <settlement key="STM0100126">London</settlement> <country>Großbritannien</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_fe6db17e-256c-43b0-9c55-5dbbcba6576b"> <head> <address> <addrLine>I. Moscheles </addrLine> <addrLine>Esqu</addrLine> <addrLine>3 Chester Place, Regents Park.</addrLine> </address> </head> </div> <div type="annotation" xml:id="div_54ff623c-8d7e-4e12-8b73-4b9fa887fc5a"> <note type="receiver-annotation" xml:id="note_7c1f7b33-99ea-405a-af55-2e3d5bb7278f">Bemerkung von Ignaz Moscheles auf der Adressenseite im Adressenfeld: »Aus Düsseldorf / Von Felix Mendelssohn v 25ten Decemb: 1834 / Intime Confessionen über Neukomm / und Cherubinis Ali Baba / Zu Ende gute Laune. / in der Mitte der / letzten Seite / über den Chor aus Fis moll / aus Paulus«.</note> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_c8f35aad-d306-4684-af09-6399ff087403"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Düsseldorf den <date cert="high" when="1834-12-25" xml:id="date_109761ce-a726-43b4-8adc-53119c518c0e">25<hi rend="superscript">sten</hi> Dec. 1834</date>.</dateline><p style="paragraph_without_indent"><seg type="salute">Lieber Moscheles</seg> jetzt halte ich meine eigne Undankbarkeit und Grobheit d. h. mein Stillschweigen auf Deinen prächtigen, lieben, langen Brief mit der schönen Birminghamer Beschreibung und mit aller Güte und Freundlichkeit nicht länger aus, und muß wieder schreiben. Warum ichs nicht seit 2 Monaten gethan, das weiß ich eigentlich zu entschuldigen gar nicht, kaum zu sagen; aber die Affen am Orinoko reden nicht, weil sie nichts zu reden wissen, (wie ich mal gelesen habe) und so eine Art Thier war ich, und dann war ich mal sehr schlimmer Laune und überbeschäftigt, und dann wieder guter Laune aber überbeschäftigt, kurz ich verschob es. Übrigens quält mich wahrhaftig jetzt wieder der Gedanke, daß man einem Londoner und nun gar Dir von Düsseldorf etwas schreiben soll – denn dies ist ein gar zu kleines Nest, und vorgehen thut gar nichts, und daß die Tories wieder am Ruder sind, kann ich Dir nicht schreiben. Never mind, ich schreibe um mal wieder was von Dir zu lesen, denn eben weil Deine lieben Briefe mir immer solch eine Freude machen, und mir so ganz Euer großartiges Treiben veranschaulichen, möchte ich lieber von unserm kleinstädtischen Treiben schweigen, das eigentlich nur ein Treiben ist, wie man Heerden treibt. Nur eins beklage ich in Deinem Briefe – daß ich erst durch <persName xml:id="persName_43acb784-cb13-46e3-af33-a6eb4f699c2c">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName> erfahren mußte, daß Du eine <title xml:id="title_bb33e70f-7b36-4875-8788-b2f5c81acea6">Ouvertüre zur Johanna von Orleans<name key="PSN0113441" style="hidden" type="author">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name><name key="CRT0110046" style="hidden" type="music">Ouverture à grand Orchestre de Jeanne d’Arc, Tragédie de Schiller F-Dur, op. 91</name></title> geschrieben hast. Du weißt, wie mich das vor Allem interessirt, und wie herzlich ich Dir Glück wünsche, schon blos zu dem vortrefflichen und ernsten Gegenstand Deiner Kunst, wenn ich nur erst das Stück selbst kennte. Darüber schweigst Du aber ganz, und so erfahre ich gar nichts von dem, was du zeither componirt hast, oder noch im Kopfe herumträgst. Bitte, schreib mir doch davon, und zwar die Details, mit Tonart, Tactart, Instrumentirung und wo möglich kleinen Noten. Hast Du denn nichts Neues fürs Clavier geschrieben? Das wäre eine rechte Wohlthat, denn es fehlt gar zu sehr an was recht schönem Neuen. Deine Beschreibung des <placeName xml:id="placeName_f898a201-bace-49bf-b1cf-106bb6754245">Musikfestes<name key="NST0100324" style="hidden" subtype="" type="institution">The Birmingham Triennial Music Festival</name><settlement key="STM0100323" style="hidden" type="">Birmingham</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> für die muß ich Dir noch einmal ganz apart danken, sie ist so lebendig und interessant, daß man meint man sei dabei und höre <persName xml:id="persName_1e489027-ce79-4b76-8621-f1a44ebd494b">Neukomm<name key="PSN0113580" style="hidden">Neukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858)</name></persName> phantasiren und sehe Miss Ryland in der Loge, denn Deine und <persName xml:id="persName_f26f3d48-034b-41c1-a748-ce7584ac181c">Deiner Frauen<name key="PSN0113436" style="hidden">Moscheles, Charlotte (1805-1889)</name></persName> Beschreibung müssen zusammengehalten werden; ganz prächtig ist, was Du über <persName xml:id="persName_22222204-6e96-4cae-a010-4fd54c92913f">Neukomms<name key="PSN0113580" style="hidden">Neukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858)</name></persName> Musik sagst und mir recht aus der Seele gesprochen; was mich nur wundert ist, wie ein sonst so geschmackvoller und gebildeter Mann nicht auch in der Musik durch beides mehr gewählt und elegant schreibt, denn ohne von den Ideen und dem Grunde seiner Compositionen zu sprechen, scheinen sie mir oft gar zu sorglos, fast ordinair gemacht zu sein, und die Phantasie zwischen den Theilen von der Du erzählst, bestätigt dies wohl wieder, wenigstens würde mich schon der Titel abgeschreckt haben und in der besten Hörlaune gestört. Auch das viele Blech gehört hieher, denn schon nach einer Berechnung müßte mans aufsparen, von aller Kunst ganz zu schweigen. Darin gefällt mir unter andern <persName xml:id="persName_a85ee296-a1b9-49d8-a726-a0fe7a11af9d">Händels<name key="PSN0111693" style="hidden">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name></persName> Art prächtig, mit seinen Pauken und Trompeten so ganz gegen das Ende recht dick klobig drein zu fahren, als ob er drauf los prügelte; da ist kein Mensch den es nicht ergreifen müßte, und dergleichen <hi rend="underline">nachzuahmen</hi> schiene mir immer noch weit besser, als eine Überreizung und Anspannung der Zuhörer, die dann am Ende den Cayennepfeffer gewohnt werden. So habe ich jetzt <title xml:id="title_61aa7a33-22bb-44f8-a994-eb268c9f6127">Cherubinis neue Oper<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108362" style="hidden" type="music">Ali Baba, ou Les Quarante Voleurs</name></title> durchgesehn, und wenn ich an vielen Stellen ganz entzückt war, so hat michs doch an sehr vielen auch gejammert, wie er gänzlich in den verdorbnen neuen Pariser Ton mit einstimmt, an ruhige, edele Stücke einen Knallschluß hängt, instrumentirt als seyen die Instrumente gar nichts und nur der Effect was, mit drei und vier Posaunen um sich wirft, als hätten die Menschen statt der Trommelfelle Trommelfelle, und dann in den Finales am Ende einen Scandal, und ein Wüthen mit häßlichen Accorden macht, daß es weh thut. Daneben stehn dann Stücke aus seiner früheren Zeit, aus <title xml:id="title_9446f8c9-1150-4c3e-b08d-216fb445104e">Faniska<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108369" style="hidden" type="music">Faniska</name></title>, <title xml:id="title_20eb57ed-370d-4b33-9dd1-136e7f01b033">Lodoiska<name key="PSN0110361" style="hidden" type="author">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name><name key="CRT0108382" style="hidden" type="music">Lodoïska</name></title> u. s. w. so geistreich und hell wie Menschen neben Vogelscheuchen, und so wundert michs nicht, daß die Oper nicht gefallen konnte; wer den <persName xml:id="persName_28783d7d-2a6d-468c-a826-f5486e26427b">alten Cherubini<name key="PSN0110361" style="hidden">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name></persName> liebt, der muß sich an dem elenden Zeuge und an seiner Feigheit ärgern, wie er dem sogenannten Zeitgeschmacke und dem Publicum nachgiebt (als ob unser eins nicht auch Publicum mit machte, und in der Zeit lebte, und als ob wir nicht auch Musik für unsern Magen haben wollten) und wer den <persName xml:id="persName_392542eb-f207-4b52-a696-63b8c5a4621a">alten Cherubini<name key="PSN0110361" style="hidden">Cherubini, Maria Luigi Carlo Zenobio Salvatore (1760-1842)</name></persName> nicht liebt, dem ist doch immer noch viel zu viel von ihm im Ali Baba drin, und dem wird ers auch nicht recht machen, und gäbe er sich noch soviel Mühe – er guckt aus den ersten drei Noten doch immer wieder raus. Das nennen sie dann rococo, peruque u. s. f. – Du wirst denken, mir sei ganz rasend grimmig heut zu Muthe, aber ich begreife gar nicht, wie so ich in den Ton verfallen bin, denn mir ist eigentlich sehr behaglich und vergnügt; es ist erster Feiertag, in der Stube riechts stark nach schwarzem Pfefferkuchen, den ich gestern bei Schadows aufgebaut bekam, nebst Flausrock von Hause, und Schreibsachen, und Süßigkeiten, Tasse, &amp;c., in Mitten dieser Herrlichkeiten habe ich einen sehr lustigen Tag zugebracht, und Abends läuft mir die Feder mit Bosheit davon. Auch Düsseldorf ist gar nicht so arg, wir ichs anfangs mache; Du solltest es schon loben, wenn Du den SingVerein seinen <persName xml:id="persName_a1110677-6e78-4331-93aa-3d8d170ed412">Seb. Bach<name key="PSN0109617" style="hidden">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> singen hörtest, wie einen Ritter; nächstens geben wir die <title xml:id="title_f4bba119-8970-48c3-9290-82d8adf0d469">Jahreszeiten<name key="PSN0111789" style="hidden" type="author">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name><name key="CRT0109072" style="hidden" type="music">Die Jahreszeiten Hob. XXI : 3</name></title> öffentlich, und in der Fasten den <title xml:id="title_5d7424af-8696-481e-b67f-7350b37bbcfa">Messias<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name></title>, im letzten Concert wurde <title xml:id="title_ef01223b-4b25-4b03-b4c5-94f37304337f">Webers Leyer und Schwert<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111255" style="hidden" type="music">Leyer und Schwerdt op. 42 (WeV H. 4)</name></title> gesungen, und der <title xml:id="title_d95163ba-3409-4702-a83b-9b051a71c33f">erste Theil des Maccabäus<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name><name key="CRT0108993" style="hidden" type="music">Judas Maccabaeus HWV 63</name></title> und die <title xml:id="title_511d3788-72be-4243-b691-dd0927bb095e">Sinf. eroica<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108064" style="hidden" type="music">3. Sinfonie Es-Dur, op. 55 (»Eroica«)</name></title>, und ich stehe hier in fürchterlichem Respect. Aber ich glaube mein Mismuth kommt daher daß <persName xml:id="persName_c19dc735-96fd-49e8-a1ce-af1d1253d464">mein Pferd<name key="PSN0115413" style="hidden">Tyrol (Tirol), Pferd von → Felix Mendelssohn Bartholdy</name></persName> Nachmittags mit mir durchgegangen ist, und zwar mitten über die Promenade durch die Stadt wie toll bis an den Stall, und ich saß drauf und blieb zwar sitzen, aber ich ärgerte mich doch abscheulich und die Leute freuten sich, wie der Herr Musikdirector so jage. Und dann giebt es auch wirklich gar zu wenig hübsche Mädchen hier, man will doch nicht den ganzen Tag Fugen und Choräle componiren, aber meiner Treu ich werde hier so philisterhaft und altmodisch, daß ich schon ungern einen Frack anziehe, und wie es gar im Frühjahr werden soll, im Fall ich nach England käme, und Schuh tragen müßte, das weiß ich gar nicht. Frag nur <persName xml:id="persName_12e12c98-702f-4f4e-a8d8-d78214d9ebeb">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName>, der wirds bestätigen. Wenn ich aber wirklich im Frühjahr mit meinen Arbeiten so weit bin, daß ich herüberkommen kann, so soll sich das Alles schon wieder geben, und ob ich mich dann auf Chester Place no. 3 freue, das weißt Du wohl. Mit <title xml:id="title_fb98704b-14a0-4726-988e-26964fe41a8f">meinem Oratorium<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_itpyyfia-bbef-61kn-tout-vjeeyoybfman"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name></title> geht es jetzt rasch vorwärts, ich arbeite im 2<hi rend="superscript">ten</hi> Theil und habe dieser Tage einen Chor in fis moll, (einen lustigen Chor der Heiden) gemacht, der mir selbst ungeheuer viel Plaisir gemacht hat, und den ich Dir gar zu gern zeigte. Wie ich denn überhaupt gar zu sehr gespannt bin, ob Du mit meinen neuen Arbeiten zufrieden sein wirst. Einige Fugen, Lieder ohne Worte, mit Worten, ein Paar Etüden, habe ich seit kurzem gemacht, und brächte gar zu gern ein neues Clavierconcert mit nach London; aber davon weiß ich bisjetzt nichts. Du hast mir mal gesagt, ich müsse nun ein ruhiges, gehaltenes Clavierstück schreiben, nach alle den unruhigen, und das will mir nicht aus dem Kopf, und das läßt mich gar nicht näher kommen, denn so wie ich an ein ClavierConcert denke, so geh ich durch und so wie ich durchgehe so sag ich: Moscheles hat gesagt &amp;c. und da wird’s nichts. Aber ich wills schon noch rauskriegen, wenns wieder unruhig wird, liegt es an meinem Willen wahrhaftig nicht. <seg type="closer" xml:id="seg_8614cc94-8a8f-4877-a3d5-b8f7cb0b0572">Nun aber lebewohl, lieber Moscheles, und wenn es Deine Muße erlaubt, laß mich wieder und viel von Dir hören, und bleibe mir gut.</seg></p><signed rend="right">Dein FreundFelix Mendelssohn Bartholdy</signed></div></body> </text></TEI>