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fmb-1834-10-15-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Klingemann an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy<lb></lb>Düsseldorf, 14. und 15. Oktober 1834 Daß ich glücklich und wohlbehalten hier angekommen bin bescheinige ich hiemit. So muß ich anfangen weil ich nicht weiß ob ich die nächste Zeile noch schreiben kann. Einen solchen Geschäftsgouffre, wie den seit 4 Tagen Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 4, 1019.

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

USA New York, NY US-NYp New York, NY, The New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations, Music Division *MNY++ Mendelssohn Letters Vol. IIIc/2 (210). Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Klingemann an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy; Düsseldorf, 14. und 15. Oktober 1834 Daß ich glücklich und wohlbehalten hier angekommen bin bescheinige ich hiemit. So muß ich anfangen weil ich nicht weiß ob ich die nächste Zeile noch schreiben kann. Einen solchen Geschäftsgouffre, wie den seit 4 Tagen

6 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel. – Mehrfach Textverluste durch Siegelabriss.

Felix Mendelssohn Bartholdy

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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

14. und 15. Oktober 1834 Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Düsseldorf Deutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy Berlin Deutschland deutsch
Herrn Herrn Stadtrath A. Mendelssohn Bartholdy Wohlgeb. Berlin.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Düsseldorf den 14 Oct. 1834.

Daß ich glücklich und wohlbehalten hier angekommen bin bescheinige ich hiemit. So muß ich anfangen weil ich nicht weiß ob ich die nächste Zeile noch schreiben kann. Einen solchen Geschäftsgouffre, wie den seit 4 Tagen habe ich noch niemals erlebt, und schon darum wär’ es interessant genug, von 7 Uhr Morgens bis auf den Abend spät geht meine Glocke, und die Thür steht nicht still. Das TheaterStadttheaterDüsseldorfDeutschland das nun in 14 Tagen anfängt, bringt alle Athenienser in einen Aufruhr. Was so ein Theater für ein ungeschlachtes Ungethüm ist, weiß kein Mensch ders nicht einmal damit versucht hat, ImmermannImmermann, Karl Leberecht (1796-1840) arbeitet daß er nicht Athem holen kann, RietzRietz, August Wilhelm Julius (1812-1877) ebenfalls, ich ebenfalls, alle Engagirten ebenfalls – wenns nur am Ende der Mühe werth sein wollte! Doch sind wenigstens für diesen Winter alle Logen genommen und der größte Theil der Sperrsitze auch, also hoffe ich die Sache wird (im Anfang auf jeden Fall) brillant gehen, und sobald es im Gange ist, werde ich mich sachte herausziehen können. Um so mehr als sich RietzRietz, August Wilhelm Julius (1812-1877) zu meiner größten Verwunderung, thätig geschickt rührig zeigt, wie ich es ihm nicht zugetraut hätte; er scheint ganz in seinem Elemente zu sein, schüttelt die Sänger zusammen daß es eine Lust ist, ImmermannImmermann, Karl Leberecht (1796-1840) ist ganz von ihm eingenommen, und ich habe viel Ehre mit seiner Anstellung hier eingelegt. Gleich am Tage meiner Ankunft hier sollte ich weiter nach Aachen reisen um dort einige Engagements zu besorgen, das war mir denn doch etwas zu arg, mir steckte meine Casseler Reise noch in den Gliedern, wo ich eine fatale Nachtreise gemacht hatte, und Frankfurt und Horchheim und Weinlese aufgegeben, blos um Nina SontagSontag (eigtl. Sonntag), Anna Auguste Nina (1811-1879) zu engagiren, die am Ende sauertöpfisch war und doch nicht wollte, müde war ich vom Nachtdurchfahren, und froh wieder ohne Wagenrasseln zu schlafen, und so ließ ich ImmermannImmermann, Karl Leberecht (1796-1840) die Lippen zusammenkneifen soviel er wollte, und schickte RietzRietz, August Wilhelm Julius (1812-1877) hin, der seine Sache auch da vollkommen gut gemacht hat. Jetzt muß ich das Orchester engagiren! O Je! Seit gestern über 30 Contracte gemacht, ausgefüllt, unterschrieben! Und nun jedesmal das Handeln, Zureden, Vorstellen dabei. Ich glaube gewiß, daß ich sehr viel dabei lerne, weil mirs gar zu unangenehm ist. Damit ich nun auch Euch einige Umstände damit mache, muß ich diesen Brief gleich benutzen, um officiell zu fragen, ob das Paket mit Musikalien, welches ich Dir lieber Vater auf Deine Stube brachte, und um dessen Beförderung hieher ich bat, abgegangen ist, und wann? Wenn es durch die prinzliche Gelegenheit gegangen ist, so bitte ich Dich bei dem Portier durch den die Sachen gehn, Dich genau zu erkundigen, ob und wann er es abgeschickt hat, und mir darüber umgehend einige Zeilen zu schreiben, weil ich durchaus wissen muß, wann ich es hier zu erwarten habe. Indem ich ergebenst – aber das paßt nicht hieher, sondern nun ist der Geschäftsbrief aus, und der eigentliche Brief fängt an, genug vom Theater.

Hier sitze ich und erwarte KlingemannKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862), der jede Minute ins Zimmer kommen kann, da er mir vorgestern durch einen Brief einen 8 tägigen Besuch angekündigt hat. Er muß dann sich noch anhängen, wie er es nennt, ob ich mich auf ihn freue könnt Ihr Euch wohl denken; aber RosenRosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837) kommt leider dies Jahr nicht auf den Continent, sondern sitzt fest in London und fängt an die Vedas<name key="PSN0114283" style="hidden" type="author">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name><name key="CRT0110561" style="hidden" type="science">Rigveda-Sanhita, liber primus, sanscritè et latinè</name> herauszugeben. Von DirichletDirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859) ist nichts zu sehn und zu hören, BendemannsBendemann, Familie von → Anton Heinrich B. behaupten er würde noch hier durch kommen, er habe es ihnen sehr bestimmt versprochen, ich glaube nicht recht daran und denke ihn mir schon wieder ganz ruhig in Berlin, werde wohl Recht haben. Eben wird KlingemannsKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Bett im Nebenzimmer aufgestellt, und dann will ich zu BreidenbachBreidenbacher Hof (Hotel)DüsseldorfDeutschland nach 2 Portionen Essen schicken. Als ich hier ankam fand ich eine Ehre auf dem Tisch liegen: es giebt einen holländischen Verein für TonkunstMaatschappij tot Bevordering der Toonkunst (Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst)RotterdamNiederlande, der nach Art der Kunstvereine den holländ. Componisten ihre Manuscripte abkauft, herausgiebt, und verbreitet, außerdem auch Prämien vertheilt, junge Musiker erziehen und reisen läßt u. s. w. ungefähr nach Art des Plans, den ich einmal für Graf RedernRedern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883) durchsah und mit väterlicher Hülfe begutachtete und den Graf RedernRedern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883) auch ganz auf sich hat beruhen lassen – selbiger Verein nun wählt sich auswärtige Mitglieder, die als unpartheiische Männer die Manuscripte mit denen sie natürlich bestürmt werden, lesen und entscheiden müssen, ob sie gekauft und herausgegeben werden sollen.

Ich bin nun also einer dieser unpartheiischen geworden, was mir lieb ist weil mir der VereinMaatschappij tot Bevordering der Toonkunst (Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst)RotterdamNiederlande an sich gefällt, obwohl die Kritikerrolle nicht recht, indeß bekomme ich nur eine oder höchstens 2 jährlich, also thut es nicht viel. Juanna AlexanderAlexander, Anna-Joanna (1793-1859) hat mir zwei Nummern des Spectators geschickt (ich erhielt sie durch Dich, lieber Vater, nach Leipzig nachgeschickt) sie enthalten indeß gar nichts Interessantes, nicht einmal einen Bericht von dem Edinburgh dinnerEdinburgh dinnerEdinburghGroßbritannien, aber sie kosten mich 5 rt. 6 gr. Porto, sage fünf Thaler. Und drin lagen ein Paar Zeilen von Miss JuannaAlexander, Anna-Joanna (1793-1859) worin sie blos sagt, sie hätte gehört ich hätte für eins der vorigen Journale Porto zahlen müssen, hoffte aber das sei nicht wahr, und würde mir deshalb keine mehr schicken, bis sie davon durch mich gewisse Nachricht erhielte. Meinen gerechten Schmerz kann nur der ermessen, welcher bedenkt, daß gar nichts drin steht; ich kann meine Zahnbürsten künftig wohl drin einpacken. Mein brauner TyrolTyrol (Tirol), Pferd von → Felix Mendelssohn Bartholdy befindet sich gut und liebenswürdig; er hat einen sehr guten Character; er haart sich jetzt. Die Stunde wo ich Nachmittags zu reiten pflege, will ich mir coute qui coute offen zu halten suchen, denn es thut mir gar zu gut und macht mir sehr viel Freude. Von Leipzig muß ich eigentlich noch nachtragen – aber es ist fast schon zu lange her, da kann ichs nicht mehr recht beschreiben – ich mußte da einer hübschen RussinnMartinsen, Elisa Marie Wilhelmine (Minna) (1811-?) zwei Tage lang Clavierstunde geben, die mit ihren hübschen SchwesternMartinsen, Töchter von → Johann Vincent M. eifrig meinen weisen Lehren zuhorchten, und Hofrath RochlitzRochlitz, Johann Friedrich (1769-1842) will mir ein von ihm gedichtetes Oratorium<name key="PSN0114247" style="hidden" type="author">Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842)</name><name key="CRT0110535" style="hidden" type="literature">Das Ende des Gerechten (Des Heilands letzte Stunden) (Libretto)</name> zuschicken und begoß mich mit einer solchen Lobsauce daß ich beinahe schmolz, wie das Papier in Interlaken (übrigens aber im Ernst hat er in seinem Sprechen, Wesen, Zimmer, und Aeußern eine gewisse Ordentlichkeit, Reinlichkeit, und Ruhe die mir sehr gut gefiel, und die nur sehr wenige von den jetzigen jungen Leuten kriegen werden, sie schien mir noch so aus der EngelschenEngel, Johann Jakob (1741-1802), WielandischenWieland, Christoph Martin (1733-1813) Zeit herzurühren) und dann hatten sie am Sonntage vorher ihre Winterconcerte mit meiner Meeresstille<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_sstynyym-ooal-ohvf-e9tq-xokoerjsdswe"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100361" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 3 Meeresstille und glückliche Fahrt D-Dur, [Februar bis September 1828]; Umarbeitung 1833/1834<idno type="MWV">P 5</idno><idno type="op">27</idno></name> eröffnet, und wiederholten sie im folgenden Concert auf Begehren, und ich ging in die Probe und hörte sie kurz vor meiner Abreise noch gerade – das interessirt mich immer, wenn ich, wie da, ein gut einstudirtes Stück von mir zu hören bekomme, wo dann vieles so ganz anders gespielt wird, als ich meine, ich konnte manches berichtigen, aber an einer Stelle, wo ich im Anfang aufschreien wollte, gefiel mir es am Ende fast besser, als mit meinem Tempo, das war, o Fanny, die Trompetenstelle am Schluß, die sie ganz langsam und breit machten, wo dann der Eintritt des ganzen Orchesters sehr majestätisch klang, – und endlich sollte ich sogar über eine Anstellung in Leipzig meine Meinung sagen, ob ich eventuell dahin gehen wollte (diese[s] aber schreibe ich im strictesten Vertrauen und möchte, daß gar nicht davon gesprochen würde) und dann begleiteten mich ein Stücker zwanzig Menschen bis an die Schnellpost – im Ganzen bin ich seit langer Zeit nicht so freundlich aufgenommen worden und fuhr mit dankbarem Herzen am Abend fort; der Conducteur war ein Freund von Carl MaaßMaß, Karl (Carl), und gab mir sogleich seinen Eckplatz, und erzählte er hätte den ein Paarmal das Silberzeug putzen sehen, das sei doch das schönste auf der ganzen Welt, und er hätte sich nur gewünsch[t,] den Garten auch besehen zu dürfen, aber das hätte er sich nicht getraut; ich sagte, er mög[e] nur einmal hingehen, Ihr würdet es ihm schon erlauben. Halt à propos hier ist ein Empfehlungsbrief. In den nächsten Tagen muß Clara WieckWieck, Clara Josephine (1819-1896) aus Leipzig mit ihrem Vate[r]Wieck, Johann Gottlob Friedrich (1785-1873) nach Berlin kommen; sie haben mich gebeten Euch das zu schreiben und um freun[d]liche Aufnahme für sie zu bitten, und ich thue es hiemit; das Mädchen scheint ein wenig still und scheu, spielt aber ganz prachtvoll Clavier und ich möchte daß FannyHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) mit ihr recht viel Musik machte. Dasselbe gilt für PixisPixis, Johann Peter (1788-1874), wenn der, wie ich höre, auch kommt, aber der ist ja schon ein alter Bekannter von Paris her.

Felix Mendelssohn Bartholdy
Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)

d. 15. Oct. Hier hänge ich denn würklich! Wir Zweie wieder einmal im Pempelfort, wie der feurige HeinseHeinse, Johann Jacob (1746-1803) und der verblaßte JacobiJacobi, Friedrich Heinrich (1743-1819) – letzter aber bin ich, sans comparaison. Mich rührts, und ich wollte es rührte Sie auch, wenn mich das auf frühere Litteraturzeiten bringt, ich habe so lebhaft an alle vergangen[e] Jahre denken müßen, – Gartenzeitung<name key="PSN0113241" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</name><name key="CRT0109943" style="hidden" type="literature">Gartenzeitung (auch: Schnee- und Thee-Zeitung)</name>, Berlin, Hochlande und sämmtliches Europa, London inbegriffen, sind im Verlauf des einen kurzen Morgens schon so eilig und tausendfarbig an mir vorbeigeflogen, daß ich beinah wieder zwanzigjährig werde, unter den großen Pappelweiden sitze und Feste erfinde, indem ich Sie hier begrüße. – Aber es regnet keine VerdienstTintenfäßer mehr. – Den Vorzug habe ich jetzt vor Ihnen, daß ich mehr von Ihnen weiß, wie Sie von mir, denn mir erzählt Felix – und wer spricht von mir, wenn ichs nicht selber thue. Ich thus aber. Gestern kam ich nämlich nicht an, – der Rhein ist jetzt so flach wie die Vaterländische Litteratur, und den Dampfböten gehts wie Candidaten, sie bleiben stecken; da habe ich denn einen ganze[n] Tag verloren, Gegend gesehen so grade wie ein Lineal, in Rotterdam in der großen Kirche Holländer zu ihrem Gott mit knarrenden näselnden Stimmen singen hören, – (jeder Einzelne klang abscheulich, das Ganze aber doch zelotisch Donnerwetterartig) – habe mit allen möglichen Gelegenheiten zu Wasser und zu Lande abfahren sollen und wollen, und war am Ende nur froh als das 12 Stunden zu spät geschehen konnte. Närrisch ists, wenn man nun sein eige[n] Vaterland als Fremder betritt und sein eigen Spiegelbild oft im Zorn mit geistigen Fäusten schlägt – Gott ich bin ja würklich und gewiß und wahrhaftig, wo nicht ein bester, doch ein guter Deutscher, aber trotz aller meiner Liebe zu mir selber wollt ich doch, ich, dh. wir, wären viel gesünder, und schöner, und reinlicher, und graziöser, und animalischer, und menschlicher – warum muß man denn einen Tabaksbeutel um sich herum hängen haben, und große Uhr Berlocks daneben, und keine Mütze auf dem Kopf, und Bewegungen so viereckig als wäre jeder Einzelne ein unüberwindliches quarré? Der Dampfboot Kellner kam an einen Engländer heran, mit dem ich sprach, und fragte ihn: ob er auch für seinen “Herrn” Bedienten bezahle? – Dagegen kam der Engländer wieder lachend an mich heran, und wies auf einen ungereisten (raw) Schotten, und jauchzte, der Schotte wäre ausgezogen, an den Rhein gezogen, um hübsche Mädchen zu sehen! – Da wurde ich wieder Deutsch und nahm es – nicht übel, sondern lachte auch über den Schotten. – Gottes liebe Sonne schien aber ganz vergnügt über alles das – erst heute morgen zwischen 5 und 6., wo ich hier, mit dem einen Fuße noch in England stehend, zuletzt mit beiden landete, regnete es, – für den Fall war aber gesorgt, denn ich hatte meinen Schirm am Nachmittage glücklich verloren. – Düsseldorf, am Rhein sieht nüchtern und ungefrühstückt gar nicht so aus wie es sein Verdienst wäre – aber ich sah es kaum – ich steuerte nur nach dem Hause der Mahlerei-Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862) und MusikDirectoren und machte mir schon Ge[danken ob ma]n mich da wolle und erwarte – kein Mensch antwortete auf mein erbärmliches Klingeln, da trat JohannJohann, Bediensteter → Felix Mendelssohn Bartholdys in Düsseldorf (1834/35) [heraus – de]r MusikDirector schlafen noch, aber wenn ich ein Gleiches thun wolle, so stehe mein Bett parat u. s. w. – O Frau StadträthinMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842), – schlägt Ihr mütterliches Herz nicht, wenn Sie Sichs vorstellen, wenn Ihr Herr Sohn von Geschäften, ausgezeichneten Fremden, Supplicanten, Staatsdienern und Personen aller Art gleichsam überlaufen, bedrängt und gestürmt wird? Ich wollte Sie sähens wie ich, es ist ein überaus erhabenes Schauspiel! Aber ich fange ganz von vorne an. Wie ich eintrat, wartete noch Niemand weiter, – also entschloß ich mich, es zu thun, – es war fast zu sentimental aber gemein, – doch that ichs und sagte dem BedientenJohann, Bediensteter → Felix Mendelssohn Bartholdys in Düsseldorf (1834/35) “wecke, o wecke den Schläfer nicht” – öffnete aber leis die Kammerthüre und hörte ihn, nach einem Jahre, einem langen Jahre, wieder schnarchen! wohlthuend genug, mir wars in den letzten Nächten so gut nicht geworden. – Ich wartete also, aber der Bediente hatte doch geweckt – die Thür flog auf, – o wie beschreibt die schwache Feder solch ein Wiedersehen – nur so viel lassen Sie mich sagen, daß der Geweckte sich nicht die Zeit genommen hatte alle seine Orden umzulegen. Unsere Begrüß. Scene mag sich von weitem drollig genug ausgenommen haben – Felix, der in meinen Armen noch Kohlenduft spürte – allerlei Gelächter – diverse Conversationen; ich bin aber zu practisch für dergleichen tollen Humor, drum drang ich aufs frühstücken. Da kamen aber die Supplicanten und Contrahenten – zu Dutzenden – – die Besucher, – die Vorgestelltseyn Wollenden – die Vorgespieltseyn Wollenden – wieder Supplicanten, Frühstück zweites, – Geschäftsgänge – Essen, – vorher noch Bilder – große Figuren und kleine Ruinen von Bendemann<name key="PSN0109806" style="hidden" type="author">Bendemann, Eduard Julius Friedrich (1811-1889)</name><name key="CRT0108131" style="hidden" type="art">Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem</name> – an der Table d’hôte eine große Nase mit dem kleinen FrankFranck, Eduard (1817-1893), – lebhaft wie unsrer nur ganz anders und fast jünger und ohne den haut goût und die Jahre – dazwischen “ein Brief von Haus” – wie Felix mir und allgemein sagt als verstände es sich für uns Beide – mit den besten Nachrichten. Jetzt sind wieder die Contrahenten da – nicht mal meinen Nachmittagskaffee krieg ich und drum schreib ich mich so trocken – er liests aber, und das spart mir die mündliche Requisition. – O warum ist Niemand von Ihnen hier? Mir ging die Hoffnung, dergleichen könne sich sacht und unvermerkt zutragen, wie ein halblauter Resedaduft still im Innern herum – aber Alles sitzt fest bis auf mich. Sogar Felix; und das ist hart – ich muß noch ein Stück wirklichen Weinquellenden Rhein sehen und hatte so sicher auf ihn gerechnet, – nun muß ichs allein treiben, dh. etwa in Gesellschaft von ein und dem andern verspäteten Engländer. – Ich gratulire schönstens zum Erfolg von Hensels Bilde<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name> – Sie namentlich, Frau ProfessorinHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)! Wer einem großen Werk so gefolgt ist und es von Tag zu Tag hat wachsen und gedeihen sehen und auch seine Aengste mit getheilt hat, muß sein Gutes doppelt genießen. – Was aber am Ende die Berliner AusstellungKöniglich Preußische Akademie der KünsteBerlinDeutschland ohne mich anfängt, begreife ich so recht nicht. – Felix beschreibt RochlitzRochlitz, Johann Friedrich (1769-1842) prächtig, wie er ihn und seine Phrasen heute morgen nachmachte, glaubte ich, ich läse ihn – den RochlitzRochlitz, Johann Friedrich (1769-1842). – Ich nicke aber öfters ein jetzt – zwei Nächte hatte ich nicht wo ich mein Haupt hinlegte, nämlich in der DampfbootCajüte – wir Engländer spielten Whist und ließen es uns um den Gewinn sauer genug werden – wir vertranken ihn nämlich in Rheinwein. – Acht Tage sitze ich hier oder fliege in der Umgegend um – da höre ich noch von Ihnen und darf mich noch anhängen und Sie noch einmal, Alle, und die andern auch, mit der Hochachtung und Verehrung verlassen mit der ich verbleibe

Ihr CKl.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

Nun haben wir den ganzen Abend mit einander geplaudert, Hasen gegessen, und sonst tolles Zeug getrieben, ich schicke den Brief geschwinde ab, und wir nehmen uns vor nächstens zusammen wieder zu schreiben. Tausend Dank liebe MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) und liebe FannyHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) für den ersten Brief, den ich gestern bekommen. Vieles daraus ist nun schon hierin beantwortet. Frau v. MalsburgMalsburg-Elmarshausen, Caroline Luise Gräfin von der (1787-1863) ist eine clavierspielende vornehme Casselerinn, und GruppeGruppe, Otto Friedrich (1804-1876) ist ein dummer Kerl, wenn er Hensels<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name> Bild nicht lobt. Grüßt PaulMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874) und condolirt über Soldatenplagen, BeckchenDirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858) schreib ich selbst bald; lebt wohl und vor allem schreibt gleich alles Wichtige über Hensels<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name> Bild und die Eindrücke, die es hervorbringt. Lebtwohl.

Euer Felix MB.
            Düsseldorf den 14 Oct. 1834. Daß ich glücklich und wohlbehalten hier angekommen bin bescheinige ich hiemit. So muß ich anfangen weil ich nicht weiß ob ich die nächste Zeile noch schreiben kann. Einen solchen Geschäftsgouffre, wie den seit 4 Tagen habe ich noch niemals erlebt, und schon darum wär’ es interessant genug, von 7 Uhr Morgens bis auf den Abend spät geht meine Glocke, und die Thür steht nicht still. Das Theater das nun in 14 Tagen anfängt, bringt alle Athenienser in einen Aufruhr. Was so ein Theater für ein ungeschlachtes Ungethüm ist, weiß kein Mensch ders nicht einmal damit versucht hat, Immermann arbeitet daß er nicht Athem holen kann, Rietz ebenfalls, ich ebenfalls, alle Engagirten ebenfalls – wenns nur am Ende der Mühe werth sein wollte! Doch sind wenigstens für diesen Winter alle Logen genommen und der größte Theil der Sperrsitze auch, also hoffe ich die Sache wird (im Anfang auf jeden Fall) brillant gehen, und sobald es im Gange ist, werde ich mich sachte herausziehen können. Um so mehr als sich Rietz zu meiner größten Verwunderung, thätig geschickt rührig zeigt, wie ich es ihm nicht zugetraut hätte; er scheint ganz in seinem Elemente zu sein, schüttelt die Sänger zusammen daß es eine Lust ist, Immermann ist ganz von ihm eingenommen, und ich habe viel Ehre mit seiner Anstellung hier eingelegt. Gleich am Tage meiner Ankunft hier sollte ich weiter nach Aachen reisen um dort einige Engagements zu besorgen, das war mir denn doch etwas zu arg, mir steckte meine Casseler Reise noch in den Gliedern, wo ich eine fatale Nachtreise gemacht hatte, und Frankfurt und Horchheim und Weinlese aufgegeben, blos um Nina Sontag zu engagiren, die am Ende sauertöpfisch war und doch nicht wollte, müde war ich vom Nachtdurchfahren, und froh wieder ohne Wagenrasseln zu schlafen, und so ließ ich Immermann die Lippen zusammenkneifen soviel er wollte, und schickte Rietz hin, der seine Sache auch da vollkommen gut gemacht hat. Jetzt muß ich das Orchester engagiren! O Je! Seit gestern über 30 Contracte gemacht, ausgefüllt, unterschrieben! Und nun jedesmal das Handeln, Zureden, Vorstellen dabei. Ich glaube gewiß, daß ich sehr viel dabei lerne, weil mirs gar zu unangenehm ist. Damit ich nun auch Euch einige Umstände damit mache, muß ich diesen Brief gleich benutzen, um officiell zu fragen, ob das Paket mit Musikalien, welches ich Dir lieber Vater auf Deine Stube brachte, und um dessen Beförderung hieher ich bat, abgegangen ist, und wann? Wenn es durch die prinzliche Gelegenheit gegangen ist, so bitte ich Dich bei dem Portier durch den die Sachen gehn, Dich genau zu erkundigen, ob und wann er es abgeschickt hat, und mir darüber umgehend einige Zeilen zu schreiben, weil ich durchaus wissen muß, wann ich es hier zu erwarten habe. Indem ich ergebenst – aber das paßt nicht hieher, sondern nun ist der Geschäftsbrief aus, und der eigentliche Brief fängt an, genug vom Theater.
Hier sitze ich und erwarte Klingemann, der jede Minute ins Zimmer kommen kann, da er mir vorgestern durch einen Brief einen 8 tägigen Besuch angekündigt hat. Er muß dann sich noch anhängen, wie er es nennt, ob ich mich auf ihn freue könnt Ihr Euch wohl denken; aber Rosen kommt leider dies Jahr nicht auf den Continent, sondern sitzt fest in London und fängt an die Vedas herauszugeben. Von Dirichlet ist nichts zu sehn und zu hören, Bendemanns behaupten er würde noch hier durch kommen, er habe es ihnen sehr bestimmt versprochen, ich glaube nicht recht daran und denke ihn mir schon wieder ganz ruhig in Berlin, werde wohl Recht haben. Eben wird Klingemanns Bett im Nebenzimmer aufgestellt, und dann will ich zu Breidenbach nach 2 Portionen Essen schicken. Als ich hier ankam fand ich eine Ehre auf dem Tisch liegen: es giebt einen holländischen Verein für Tonkunst, der nach Art der Kunstvereine den holländ. Componisten ihre Manuscripte abkauft, herausgiebt, und verbreitet, außerdem auch Prämien vertheilt, junge Musiker erziehen und reisen läßt u. s. w. ungefähr nach Art des Plans, den ich einmal für Graf Redern durchsah und mit väterlicher Hülfe begutachtete und den Graf Redern auch ganz auf sich hat beruhen lassen – selbiger Verein nun wählt sich auswärtige Mitglieder, die als unpartheiische Männer die Manuscripte mit denen sie natürlich bestürmt werden, lesen und entscheiden müssen, ob sie gekauft und herausgegeben werden sollen.
Ich bin nun also einer dieser unpartheiischen geworden, was mir lieb ist weil mir der Verein an sich gefällt, obwohl die Kritikerrolle nicht recht, indeß bekomme ich nur eine oder höchstens 2 jährlich, also thut es nicht viel. Juanna Alexander hat mir zwei Nummern des Spectators geschickt (ich erhielt sie durch Dich, lieber Vater, nach Leipzig nachgeschickt) sie enthalten indeß gar nichts Interessantes, nicht einmal einen Bericht von dem Edinburgh dinner, aber sie kosten mich 5 rt. 6 gr. Porto, sage fünf Thaler. Und drin lagen ein Paar Zeilen von Miss Juanna worin sie blos sagt, sie hätte gehört ich hätte für eins der vorigen Journale Porto zahlen müssen, hoffte aber das sei nicht wahr, und würde mir deshalb keine mehr schicken, bis sie davon durch mich gewisse Nachricht erhielte. Meinen gerechten Schmerz kann nur der ermessen, welcher bedenkt, daß gar nichts drin steht; ich kann meine Zahnbürsten künftig wohl drin einpacken. Mein brauner Tyrol befindet sich gut und liebenswürdig; er hat einen sehr guten Character; er haart sich jetzt. Die Stunde wo ich Nachmittags zu reiten pflege, will ich mir coute qui coute offen zu halten suchen, denn es thut mir gar zu gut und macht mir sehr viel Freude. Von Leipzig muß ich eigentlich noch nachtragen – aber es ist fast schon zu lange her, da kann ichs nicht mehr recht beschreiben – ich mußte da einer hübschen Russinn zwei Tage lang Clavierstunde geben, die mit ihren hübschen Schwestern eifrig meinen weisen Lehren zuhorchten, und Hofrath Rochlitz will mir ein von ihm gedichtetes Oratorium zuschicken und begoß mich mit einer solchen Lobsauce daß ich beinahe schmolz, wie das Papier in Interlaken (übrigens aber im Ernst hat er in seinem Sprechen, Wesen, Zimmer, und Aeußern eine gewisse Ordentlichkeit, Reinlichkeit, und Ruhe die mir sehr gut gefiel, und die nur sehr wenige von den jetzigen jungen Leuten kriegen werden, sie schien mir noch so aus der Engelschen, Wielandischen Zeit herzurühren) und dann hatten sie am Sonntage vorher ihre Winterconcerte mit meiner Meeresstille eröffnet, und wiederholten sie im folgenden Concert auf Begehren, und ich ging in die Probe und hörte sie kurz vor meiner Abreise noch gerade – das interessirt mich immer, wenn ich, wie da, ein gut einstudirtes Stück von mir zu hören bekomme, wo dann vieles so ganz anders gespielt wird, als ich meine, ich konnte manches berichtigen, aber an einer Stelle, wo ich im Anfang aufschreien wollte, gefiel mir es am Ende fast besser, als mit meinem Tempo, das war, o Fanny, die Trompetenstelle am Schluß, die sie ganz langsam und breit machten, wo dann der Eintritt des ganzen Orchesters sehr majestätisch klang, – und endlich sollte ich sogar über eine Anstellung in Leipzig meine Meinung sagen, ob ich eventuell dahin gehen wollte (dieses aber schreibe ich im strictesten Vertrauen und möchte, daß gar nicht davon gesprochen würde) und dann begleiteten mich ein Stücker zwanzig Menschen bis an die Schnellpost – im Ganzen bin ich seit langer Zeit nicht so freundlich aufgenommen worden und fuhr mit dankbarem Herzen am Abend fort; der Conducteur war ein Freund von Carl Maaß, und gab mir sogleich seinen Eckplatz, und erzählte er hätte den ein Paarmal das Silberzeug putzen sehen, das sei doch das schönste auf der ganzen Welt, und er hätte sich nur gewünscht,  den Garten auch besehen zu dürfen, aber das hätte er sich nicht getraut; ich sagte, er möge nur einmal hingehen, Ihr würdet es ihm schon erlauben. Halt à propos hier ist ein Empfehlungsbrief. In den nächsten Tagen muß Clara Wieck aus Leipzig mit ihrem Vater nach Berlin kommen; sie haben mich gebeten Euch das zu schreiben und um freundliche Aufnahme für sie zu bitten, und ich thue es hiemit; das Mädchen scheint ein wenig still und scheu, spielt aber ganz prachtvoll Clavier und ich möchte daß Fanny mit ihr recht viel Musik machte. Dasselbe gilt für Pixis, wenn der, wie ich höre, auch kommt, aber der ist ja schon ein alter Bekannter von Paris her.
Felix Mendelssohn Bartholdy
d. 15. Oct. Hier hänge ich denn würklich! Wir Zweie wieder einmal im Pempelfort, wie der feurige Heinse und der verblaßte Jacobi – letzter aber bin ich, sans comparaison. Mich rührts, und ich wollte es rührte Sie auch, wenn mich das auf frühere Litteraturzeiten bringt, ich habe so lebhaft an alle vergangene Jahre denken müßen, – Gartenzeitung, Berlin, Hochlande und sämmtliches Europa, London inbegriffen, sind im Verlauf des einen kurzen Morgens schon so eilig und tausendfarbig an mir vorbeigeflogen, daß ich beinah wieder zwanzigjährig werde, unter den großen Pappelweiden sitze und Feste erfinde, indem ich Sie hier begrüße. – Aber es regnet keine VerdienstTintenfäßer mehr. – Den Vorzug habe ich jetzt vor Ihnen, daß ich mehr von Ihnen weiß, wie Sie von mir, denn mir erzählt Felix – und wer spricht von mir, wenn ichs nicht selber thue. Ich thus aber. Gestern kam ich nämlich nicht an, – der Rhein ist jetzt so flach wie die Vaterländische Litteratur, und den Dampfböten gehts wie Candidaten, sie bleiben stecken; da habe ich denn einen ganzen Tag verloren, Gegend gesehen so grade wie ein Lineal, in Rotterdam in der großen Kirche Holländer zu ihrem Gott mit knarrenden näselnden Stimmen singen hören, – (jeder Einzelne klang abscheulich, das Ganze aber doch zelotisch Donnerwetterartig) – habe mit allen möglichen Gelegenheiten zu Wasser und zu Lande abfahren sollen und wollen, und war am Ende nur froh als das 12 Stunden zu spät geschehen konnte. Närrisch ists, wenn man nun sein eigen Vaterland als Fremder betritt und sein eigen Spiegelbild oft im Zorn mit geistigen Fäusten schlägt – Gott ich bin ja würklich und gewiß und wahrhaftig, wo nicht ein bester, doch ein guter Deutscher, aber trotz aller meiner Liebe zu mir selber wollt ich doch, ich, dh. wir, wären viel gesünder, und schöner, und reinlicher, und graziöser, und animalischer, und menschlicher – warum muß man denn einen Tabaksbeutel um sich herum hängen haben, und große Uhr Berlocks daneben, und keine Mütze auf dem Kopf, und Bewegungen so viereckig als wäre jeder Einzelne ein unüberwindliches quarré? Der Dampfboot Kellner kam an einen Engländer heran, mit dem ich sprach, und fragte ihn: ob er auch für seinen “Herrn” Bedienten bezahle? – Dagegen kam der Engländer wieder lachend an mich heran, und wies auf einen ungereisten (raw) Schotten, und jauchzte, der Schotte wäre ausgezogen, an den Rhein gezogen, um hübsche Mädchen zu sehen! – Da wurde ich wieder Deutsch und nahm es – nicht übel, sondern lachte auch über den Schotten. – Gottes liebe Sonne schien aber ganz vergnügt über alles das – erst heute morgen zwischen 5 und 6., wo ich hier, mit dem einen Fuße noch in England stehend, zuletzt mit beiden landete, regnete es, – für den Fall war aber gesorgt, denn ich hatte meinen Schirm am Nachmittage glücklich verloren. – Düsseldorf, am Rhein sieht nüchtern und ungefrühstückt gar nicht so aus wie es sein Verdienst wäre – aber ich sah es kaum – ich steuerte nur nach dem Hause der Mahlerei- und MusikDirectoren und machte mir schon Gedanken ob man mich da wolle und erwarte – kein Mensch antwortete auf mein erbärmliches Klingeln, da trat Johann heraus – der MusikDirector schlafen noch, aber wenn ich ein Gleiches thun wolle, so stehe mein Bett parat u. s. w. – O Frau Stadträthin, – schlägt Ihr mütterliches Herz nicht, wenn Sie Sichs vorstellen, wenn Ihr Herr Sohn von Geschäften, ausgezeichneten Fremden, Supplicanten, Staatsdienern und Personen aller Art gleichsam überlaufen, bedrängt und gestürmt wird? Ich wollte Sie sähens wie ich, es ist ein überaus erhabenes Schauspiel! Aber ich fange ganz von vorne an. Wie ich eintrat, wartete noch Niemand weiter, – also entschloß ich mich, es zu thun, – es war fast zu sentimental aber gemein, – doch that ichs und sagte dem Bedienten “wecke, o wecke den Schläfer nicht” – öffnete aber leis die Kammerthüre und hörte ihn, nach einem Jahre, einem langen Jahre, wieder schnarchen! wohlthuend genug, mir wars in den letzten Nächten so gut nicht geworden. – Ich wartete also, aber der Bediente hatte doch geweckt – die Thür flog auf, – o wie beschreibt die schwache Feder solch ein Wiedersehen – nur so viel lassen Sie mich sagen, daß der Geweckte sich nicht die Zeit genommen hatte alle seine Orden umzulegen. Unsere Begrüß. Scene mag sich von weitem drollig genug ausgenommen haben – Felix, der in meinen Armen noch Kohlenduft spürte – allerlei Gelächter – diverse Conversationen; ich bin aber zu practisch für dergleichen tollen Humor, drum drang ich aufs frühstücken. Da kamen aber die Supplicanten und Contrahenten – zu Dutzenden – – die Besucher, – die Vorgestelltseyn Wollenden – die Vorgespieltseyn Wollenden – wieder Supplicanten, Frühstück zweites, – Geschäftsgänge – Essen, – vorher noch Bilder – große Figuren und kleine Ruinen von Bendemann – an der Table d’hôte eine große Nase mit dem kleinen Frank, – lebhaft wie unsrer nur ganz anders und fast jünger und ohne den haut goût und die Jahre – dazwischen “ein Brief von Haus” – wie Felix mir und allgemein sagt als verstände es sich für uns Beide – mit den besten Nachrichten. Jetzt sind wieder die Contrahenten da – nicht mal meinen Nachmittagskaffee krieg ich und drum schreib ich mich so trocken – er liests aber, und das spart mir die mündliche Requisition. – O warum ist Niemand von Ihnen hier? Mir ging die Hoffnung, dergleichen könne sich sacht und unvermerkt zutragen, wie ein halblauter Resedaduft still im Innern herum – aber Alles sitzt fest bis auf mich. Sogar Felix; und das ist hart – ich muß noch ein Stück wirklichen Weinquellenden Rhein sehen und hatte so sicher auf ihn gerechnet, – nun muß ichs allein treiben, dh. etwa in Gesellschaft von ein und dem andern verspäteten Engländer. – Ich gratulire schönstens zum Erfolg von Hensels Bilde – Sie namentlich, Frau Professorin! Wer einem großen Werk so gefolgt ist und es von Tag zu Tag hat wachsen und gedeihen sehen und auch seine Aengste mit getheilt hat, muß sein Gutes doppelt genießen. – Was aber am Ende die Berliner Ausstellung ohne mich anfängt, begreife ich so recht nicht. – Felix beschreibt Rochlitz prächtig, wie er ihn und seine Phrasen heute morgen nachmachte, glaubte ich, ich läse ihn – den Rochlitz. – Ich nicke aber öfters ein jetzt – zwei Nächte hatte ich nicht wo ich mein Haupt hinlegte, nämlich in der DampfbootCajüte – wir Engländer spielten Whist und ließen es uns um den Gewinn sauer genug werden – wir vertranken ihn nämlich in Rheinwein. – Acht Tage sitze ich hier oder fliege in der Umgegend um – da höre ich noch von Ihnen und darf mich noch anhängen und Sie noch einmal, Alle, und die andern auch, mit der Hochachtung und Verehrung verlassen mit der ich verbleibe
Ihr CKl.
Nun haben wir den ganzen Abend mit einander geplaudert, Hasen gegessen, und sonst tolles Zeug getrieben, ich schicke den Brief geschwinde ab, und wir nehmen uns vor nächstens zusammen wieder zu schreiben. Tausend Dank liebe Mutter und liebe Fanny für den ersten Brief, den ich gestern bekommen. Vieles daraus ist nun schon hierin beantwortet. Frau v. Malsburg ist eine clavierspielende vornehme Casselerinn, und Gruppe ist ein dummer Kerl, wenn er Hensels Bild nicht lobt. Grüßt Paul und condolirt über Soldatenplagen, Beckchen schreib ich selbst bald; lebt wohl und vor allem schreibt gleich alles Wichtige über Hensels Bild und die Eindrücke, die es hervorbringt. Lebtwohl.
Euer
Felix MB.          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1834-10-14" xml:id="date_8b4a17a2-6151-4916-b149-79b3e7f616b6">14.</date> und <date cert="high" when="1834-10-15" xml:id="date_0f9a034f-8471-46a9-984f-e4f99ea1b529">15. 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Sonntag), Anna Auguste Nina (1811-1879)</name></persName> zu engagiren, die am Ende sauertöpfisch war und doch nicht wollte, müde war ich vom Nachtdurchfahren, und froh wieder ohne Wagenrasseln zu schlafen, und so ließ ich <persName xml:id="persName_ee2afc19-f4ae-43ca-a546-e9ab0fd8e8dd">Immermann<name key="PSN0112169" style="hidden">Immermann, Karl Leberecht (1796-1840)</name></persName> die Lippen zusammenkneifen soviel er wollte, und schickte <persName xml:id="persName_43f63595-7f75-4603-b4db-23381e885bf9">Rietz<name key="PSN0114200" style="hidden">Rietz, August Wilhelm Julius (1812-1877)</name></persName> hin, der seine Sache auch da vollkommen gut gemacht hat. Jetzt muß ich das Orchester engagiren! O Je! Seit gestern über 30 Contracte gemacht, ausgefüllt, unterschrieben! Und nun jedesmal das Handeln, Zureden, Vorstellen dabei. Ich glaube gewiß, daß ich sehr viel dabei lerne, weil mirs gar zu unangenehm ist. Damit ich nun auch Euch einige Umstände damit mache, muß ich diesen Brief gleich benutzen, um officiell zu fragen, ob das Paket mit Musikalien, welches ich Dir lieber Vater auf Deine Stube brachte, und um dessen Beförderung hieher ich bat, abgegangen ist, und wann? Wenn es durch die prinzliche Gelegenheit gegangen ist, so bitte ich Dich bei dem Portier durch den die Sachen gehn, Dich genau zu erkundigen, ob und wann er es abgeschickt hat, und mir darüber umgehend einige Zeilen zu schreiben, weil ich durchaus wissen muß, wann ich es hier zu erwarten habe. Indem ich ergebenst – aber das paßt nicht hieher, sondern nun ist der Geschäftsbrief aus, und der eigentliche Brief fängt an, genug vom Theater.</p> <p>Hier sitze ich und erwarte <persName xml:id="persName_6448fc71-68d8-43f1-aa2d-831d8068b40d">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName>, der jede Minute ins Zimmer kommen kann, da er mir vorgestern durch einen Brief einen 8 tägigen Besuch angekündigt hat. Er muß dann sich noch anhängen, wie er es nennt, ob ich mich auf ihn freue könnt Ihr Euch wohl denken; aber <persName xml:id="persName_304e822c-aeda-4a3d-82a0-12fe7e3a4ab5">Rosen<name key="PSN0114283" style="hidden">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name></persName> kommt leider dies Jahr nicht auf den Continent, sondern sitzt fest in London und fängt an die <title xml:id="title_b17a5fb4-4237-457c-9974-973fdf73396b">Vedas<name key="PSN0114283" style="hidden" type="author">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name><name key="CRT0110561" style="hidden" type="science">Rigveda-Sanhita, liber primus, sanscritè et latinè</name></title> herauszugeben. Von <persName xml:id="persName_4c259b7f-3297-4bc4-90d5-1d2b88acdfb2">Dirichlet<name key="PSN0110672" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Johann Peter Gustav (1805-1859)</name></persName> ist nichts zu sehn und zu hören, <persName xml:id="persName_457fba8a-0679-42de-a116-7728b40b2c58">Bendemanns<name key="PSN0109803" style="hidden">Bendemann, Familie von → Anton Heinrich B.</name></persName> behaupten er würde noch hier durch kommen, er habe es ihnen sehr bestimmt versprochen, ich glaube nicht recht daran und denke ihn mir schon wieder ganz ruhig in Berlin, werde wohl Recht haben. Eben wird <persName xml:id="persName_fabc1d34-bbc4-4afc-bda7-644abbc9e6dd">Klingemanns<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName> Bett im Nebenzimmer aufgestellt, und dann will ich zu <placeName xml:id="placeName_c9353e55-4c00-40d3-b1da-485efe2e78ec">Breidenbach<name key="NST0100309" style="hidden" subtype="" type="institution">Breidenbacher Hof (Hotel)</name><settlement key="STM0100109" style="hidden" type="">Düsseldorf</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> nach 2 Portionen Essen schicken. Als ich hier ankam fand ich eine Ehre auf dem Tisch liegen: es giebt einen <placeName xml:id="placeName_55310a12-05d5-4538-a943-45afbd7583ac">holländischen Verein für Tonkunst<name key="NST0100314" style="hidden" subtype="" type="institution">Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst (Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst)</name><settlement key="STM0100166" style="hidden" type="">Rotterdam</settlement><country style="hidden">Niederlande</country></placeName>, der nach Art der Kunstvereine den holländ. Componisten ihre Manuscripte abkauft, herausgiebt, und verbreitet, außerdem auch Prämien vertheilt, junge Musiker erziehen und reisen läßt u. s. w. ungefähr nach Art des Plans, den ich einmal für <persName xml:id="persName_0586a756-5768-4402-aaac-1d2a00799641">Graf Redern<name key="PSN0114098" style="hidden">Redern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883)</name></persName> durchsah und mit väterlicher Hülfe begutachtete und den <persName xml:id="persName_38f36c89-7ece-4093-9b2b-964ddda13252">Graf Redern<name key="PSN0114098" style="hidden">Redern, Wilhelm Friedrich Graf von (1802-1883)</name></persName> auch ganz auf sich hat beruhen lassen – selbiger Verein nun wählt sich auswärtige Mitglieder, die als unpartheiische Männer die Manuscripte mit denen sie natürlich bestürmt werden, lesen und entscheiden müssen, ob sie gekauft und herausgegeben werden sollen.</p> <p>Ich bin nun also einer dieser unpartheiischen geworden, was mir lieb ist weil mir der <placeName xml:id="placeName_cd6cb654-c91a-4cbd-a2b7-90fcd3fc1267">Verein<name key="NST0100314" style="hidden" subtype="" type="institution">Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst (Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst)</name><settlement key="STM0100166" style="hidden" type="">Rotterdam</settlement><country style="hidden">Niederlande</country></placeName> an sich gefällt, obwohl die Kritikerrolle nicht recht, indeß bekomme ich nur eine oder höchstens 2 jährlich, also thut es nicht viel. <persName xml:id="persName_105a6940-6a6f-4e74-a497-4efedf267201">Juanna Alexander<name key="PSN0109428" style="hidden">Alexander, Anna-Joanna (1793-1859)</name></persName> hat mir zwei Nummern des Spectators geschickt (ich erhielt sie durch Dich, lieber Vater, nach Leipzig nachgeschickt) sie enthalten indeß gar nichts Interessantes, nicht einmal einen Bericht von dem <placeName xml:id="placeName_fc77aacb-71b4-4e51-9153-054b0f6ac8cd">Edinburgh dinner<name key="NST0100317" style="hidden" subtype="" type="institution">Edinburgh dinner</name><settlement key="STM0100316" style="hidden" type="">Edinburgh</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName>, aber sie kosten mich 5 rt. 6 gr. Porto, sage fünf Thaler. Und drin lagen ein Paar Zeilen von <persName xml:id="persName_b869188d-77ff-42db-843f-bca0b05fedba">Miss Juanna<name key="PSN0109428" style="hidden">Alexander, Anna-Joanna (1793-1859)</name></persName> worin sie blos sagt, sie hätte gehört ich hätte für eins der vorigen Journale Porto zahlen müssen, hoffte aber das sei nicht wahr, und würde mir deshalb keine mehr schicken, bis sie davon durch mich gewisse Nachricht erhielte. Meinen gerechten Schmerz kann nur der ermessen, welcher bedenkt, daß gar nichts drin steht; ich kann meine Zahnbürsten künftig wohl drin einpacken. <persName xml:id="persName_fef7ee49-7eb7-477e-9f35-b7b23db92447">Mein brauner Tyrol<name key="PSN0115413" style="hidden">Tyrol (Tirol), Pferd von → Felix Mendelssohn Bartholdy</name></persName> befindet sich gut und liebenswürdig; er hat einen sehr guten Character; er haart sich jetzt. Die Stunde wo ich Nachmittags zu reiten pflege, will ich mir coute qui coute offen zu halten suchen, denn es thut mir gar zu gut und macht mir sehr viel Freude. Von Leipzig muß ich eigentlich noch nachtragen – aber es ist fast schon zu lange her, da kann ichs nicht mehr recht beschreiben – ich mußte da einer <persName xml:id="persName_8f4900f4-d6fc-41a2-9503-93520101f86a">hübschen Russinn<name key="PSN0117522" style="hidden">Martinsen, Elisa Marie Wilhelmine (Minna) (1811-?)</name></persName> zwei Tage lang Clavierstunde geben, die mit <persName xml:id="persName_7caaa1b7-9664-4e69-ae4b-5b8629615b99">ihren hübschen Schwestern<name key="PSN0113102" style="hidden">Martinsen, Töchter von → Johann Vincent M.</name></persName> eifrig meinen weisen Lehren zuhorchten, und <persName xml:id="persName_aa81c06e-14bf-4ef2-a35c-de760134e3a5">Hofrath Rochlitz<name key="PSN0114247" style="hidden">Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842)</name></persName> will mir ein <title xml:id="title_cd5c0e44-d95c-4196-90f4-698731c399fe">von ihm gedichtetes Oratorium<name key="PSN0114247" style="hidden" type="author">Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842)</name><name key="CRT0110535" style="hidden" type="literature">Das Ende des Gerechten (Des Heilands letzte Stunden) (Libretto)</name></title> zuschicken und begoß mich mit einer solchen Lobsauce daß ich beinahe schmolz, wie das Papier in Interlaken (übrigens aber im Ernst hat er in seinem Sprechen, Wesen, Zimmer, und Aeußern eine gewisse Ordentlichkeit, Reinlichkeit, und Ruhe die mir sehr gut gefiel, und die nur sehr wenige von den jetzigen jungen Leuten kriegen werden, sie schien mir noch so aus der <persName xml:id="persName_34aca8c2-1729-4317-91e3-2c8048c17175">Engelschen<name key="PSN0110908" style="hidden">Engel, Johann Jakob (1741-1802)</name></persName>, <persName xml:id="persName_7ca71117-3826-4d09-9b3d-55df8626703e">Wielandischen<name key="PSN0115764" style="hidden">Wieland, Christoph Martin (1733-1813)</name></persName> Zeit herzurühren) und dann hatten sie am Sonntage vorher ihre Winterconcerte mit <title xml:id="title_15a5e2d2-ecf5-4c4c-8350-866b5638db35">meiner Meeresstille<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_sstynyym-ooal-ohvf-e9tq-xokoerjsdswe"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100361" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 3 Meeresstille und glückliche Fahrt D-Dur, [Februar bis September 1828]; Umarbeitung 1833/1834<idno type="MWV">P 5</idno><idno type="op">27</idno></name></title> eröffnet, und wiederholten sie im folgenden Concert auf Begehren, und ich ging in die Probe und hörte sie kurz vor meiner Abreise noch gerade – das interessirt mich immer, wenn ich, wie da, ein gut einstudirtes Stück von mir zu hören bekomme, wo dann vieles so ganz anders gespielt wird, als ich meine, ich konnte manches berichtigen, aber an einer Stelle, wo ich im Anfang aufschreien wollte, gefiel mir es am Ende fast besser, als mit meinem Tempo, das war, o Fanny, die Trompetenstelle am Schluß, die sie ganz langsam und breit machten, wo dann der Eintritt des ganzen Orchesters sehr majestätisch klang, – und endlich sollte ich sogar über eine Anstellung in Leipzig meine Meinung sagen, ob ich eventuell dahin gehen wollte (diese[s] aber schreibe ich im <hi rend="underline">strictesten</hi> Vertrauen und möchte, daß gar nicht davon gesprochen würde) und dann begleiteten mich ein Stücker zwanzig Menschen bis an die Schnellpost – im Ganzen bin ich seit langer Zeit nicht so freundlich aufgenommen worden und fuhr mit dankbarem Herzen am Abend fort; der Conducteur war ein Freund von <persName xml:id="persName_6fb338ab-97ea-4aad-8d8c-ce0ddbecbe15">Carl Maaß<name key="PSN0113114" style="hidden">Maß, Karl (Carl)</name></persName>, und gab mir sogleich seinen Eckplatz, und erzählte er hätte den ein Paarmal das Silberzeug putzen sehen, das sei doch das schönste auf der ganzen Welt, und er hätte sich nur gewünsch[t,] den Garten auch besehen zu dürfen, aber das hätte er sich nicht getraut; ich sagte, er mög[e] nur einmal hingehen, Ihr würdet es ihm schon erlauben. Halt à propos hier ist ein Empfehlungsbrief. In den nächsten Tagen muß <persName xml:id="persName_14c62209-d53f-407b-a3d8-666b669150ce">Clara Wieck<name key="PSN0115759" style="hidden">Wieck, Clara Josephine (1819-1896)</name></persName> aus Leipzig mit <persName xml:id="persName_6fa04af5-b9bd-46fd-85ab-ece08b97535f">ihrem Vate[r]<name key="PSN0115761" style="hidden">Wieck, Johann Gottlob Friedrich (1785-1873)</name></persName> nach Berlin kommen; sie haben mich gebeten Euch das zu schreiben und um freun[d]liche Aufnahme für sie zu bitten, und ich thue es hiemit; das Mädchen scheint ein wenig still und scheu, spielt aber ganz prachtvoll Clavier und ich möchte daß <persName xml:id="persName_edc17546-baaa-40ec-8b7a-763c1edfd633">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> mit ihr recht viel Musik machte. Dasselbe gilt für <persName xml:id="persName_de844812-18da-461c-b644-c7a55a8ff7b7">Pixis<name key="PSN0113894" style="hidden">Pixis, Johann Peter (1788-1874)</name></persName>, wenn der, wie ich höre, auch kommt, aber der ist ja schon ein alter Bekannter von Paris her.</p> <signed rend="right"><add resp="UT" type="editors_addition">Felix Mendelssohn Bartholdy</add></signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_177ea484-9ab3-4ffb-9a22-b71f4eac2f26"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent"><seg type="inline">d. <date cert="high" when="1834-10-15" xml:id="date_442a1067-c642-4f1a-8b80-64b1bb69f169">15. Oct.</date></seg> Hier hänge ich denn würklich! Wir Zweie wieder einmal im Pempelfort, wie der <persName xml:id="persName_8790c7b3-f7ad-4832-995d-36bcbadb7ace">feurige Heinse<name key="PSN0111843" style="hidden">Heinse, Johann Jacob (1746-1803)</name></persName> und der <persName xml:id="persName_19e3c8f5-c1fd-43b7-acc2-d4c0e695edd9">verblaßte Jacobi<name key="PSN0112190" style="hidden">Jacobi, Friedrich Heinrich (1743-1819)</name></persName> – letzter aber bin ich, sans comparaison. Mich rührts, und ich wollte es rührte Sie auch, wenn mich das auf frühere Litteraturzeiten bringt, ich habe so lebhaft an alle vergangen[e] Jahre denken müßen, – <title xml:id="title_f95094a9-631e-40eb-895b-8820a0f8ef81">Gartenzeitung<name key="PSN0113241" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</name><name key="CRT0109943" style="hidden" type="literature">Gartenzeitung (auch: Schnee- und Thee-Zeitung)</name></title>, Berlin, Hochlande und sämmtliches Europa, London inbegriffen, sind im Verlauf des einen kurzen Morgens schon so eilig und tausendfarbig an mir vorbeigeflogen, daß ich beinah wieder zwanzigjährig werde, unter den großen Pappelweiden sitze und Feste erfinde, indem ich Sie hier begrüße. – Aber es regnet keine VerdienstTintenfäßer mehr. – Den Vorzug habe ich jetzt vor Ihnen, daß ich mehr von Ihnen weiß, wie Sie von mir, denn mir erzählt Felix – und wer spricht von mir, wenn ichs nicht selber thue. Ich thus aber. Gestern kam ich nämlich nicht an, – der Rhein ist jetzt so flach wie die Vaterländische Litteratur, und den Dampfböten gehts wie Candidaten, sie bleiben stecken; da habe ich denn einen ganze[n] Tag verloren, Gegend gesehen so grade wie ein Lineal, in Rotterdam in der großen Kirche Holländer zu ihrem Gott mit knarrenden näselnden Stimmen singen hören, – (jeder Einzelne klang abscheulich, das Ganze aber doch zelotisch Donnerwetterartig) – habe mit allen möglichen Gelegenheiten zu Wasser und zu Lande abfahren sollen und wollen, und war am Ende nur froh als das 12 Stunden zu spät geschehen konnte. Närrisch ists, wenn man nun sein eige[n] Vaterland als Fremder betritt und sein eigen Spiegelbild oft im Zorn mit geistigen Fäusten schlägt – Gott ich bin ja würklich und gewiß und wahrhaftig, wo nicht ein bester, doch ein guter Deutscher, aber trotz aller meiner Liebe zu mir selber wollt ich doch, ich, dh. wir, wären viel gesünder, und schöner, und reinlicher, und graziöser, und animalischer, und menschlicher – warum muß man denn einen Tabaksbeutel um sich herum hängen haben, und große Uhr Berlocks daneben, und keine Mütze auf dem Kopf, und Bewegungen so viereckig als wäre jeder Einzelne ein unüberwindliches quarré? Der Dampfboot Kellner kam an einen Engländer heran, mit dem ich sprach, und fragte ihn: ob er auch für seinen “Herrn” Bedienten bezahle? – Dagegen kam der Engländer wieder lachend an mich heran, und wies auf einen ungereisten (raw) Schotten, und jauchzte, der Schotte wäre ausgezogen, an den Rhein gezogen, um hübsche Mädchen zu sehen! – Da wurde ich wieder Deutsch und nahm es – nicht übel, sondern lachte auch über den Schotten. – Gottes liebe Sonne schien aber ganz vergnügt über alles das – erst heute morgen zwischen 5 und 6., wo ich hier, mit dem einen Fuße noch in England stehend, zuletzt mit beiden landete, regnete es, – für den Fall war aber gesorgt, denn ich hatte meinen Schirm am Nachmittage glücklich verloren. – Düsseldorf, am Rhein sieht nüchtern und ungefrühstückt gar nicht so aus wie es sein Verdienst wäre – aber ich sah es kaum – ich steuerte nur nach dem <persName xml:id="persName_fc455c25-20b7-45f1-9ee0-187826de4f6b">Hause der Mahlerei-<name key="PSN0114494" style="hidden">Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862)</name></persName> und MusikDirectoren und machte mir schon Ge[danken ob ma]n mich da wolle und erwarte – kein Mensch antwortete auf mein erbärmliches Klingeln, da trat <persName xml:id="persName_e4c39aaf-7f4b-426e-8d38-7ceea30ab0b5">Johann<name key="PSN0112251" style="hidden">Johann, Bediensteter → Felix Mendelssohn Bartholdys in Düsseldorf (1834/35)</name></persName> [heraus – de]r MusikDirector schlafen noch, aber wenn ich ein Gleiches thun wolle, so stehe mein Bett parat u. s. w. – O <persName xml:id="persName_e2e368da-f7c9-4ab5-808d-747669619ef3">Frau Stadträthin<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName>, – schlägt Ihr mütterliches Herz nicht, wenn Sie Sichs vorstellen, wenn Ihr Herr Sohn von Geschäften, ausgezeichneten Fremden, Supplicanten, Staatsdienern und Personen aller Art gleichsam überlaufen, bedrängt und gestürmt wird? Ich wollte Sie sähens wie ich, es ist ein überaus erhabenes Schauspiel! Aber ich fange ganz von vorne an. Wie ich eintrat, wartete noch Niemand weiter, – also entschloß ich mich, es zu thun, – es war fast zu sentimental aber gemein, – doch that ichs und sagte dem <persName xml:id="persName_f0479b94-883b-479b-a70d-39419c5cbd82">Bedienten<name key="PSN0112251" style="hidden">Johann, Bediensteter → Felix Mendelssohn Bartholdys in Düsseldorf (1834/35)</name></persName> “wecke, o wecke den Schläfer nicht” – öffnete aber leis die Kammerthüre und hörte ihn, nach einem Jahre, einem langen Jahre, wieder schnarchen! wohlthuend genug, mir wars in den letzten Nächten so gut nicht geworden. – Ich wartete also, aber der Bediente hatte doch geweckt – die Thür flog auf, – o wie beschreibt die schwache Feder solch ein Wiedersehen – nur so viel lassen Sie mich sagen, daß der Geweckte sich nicht die Zeit genommen hatte alle seine Orden umzulegen. Unsere Begrüß. Scene mag sich von weitem drollig genug ausgenommen haben – Felix, der in meinen Armen noch Kohlenduft spürte – allerlei Gelächter – diverse Conversationen; ich bin aber zu practisch für dergleichen tollen Humor, drum drang ich aufs frühstücken. Da kamen aber die Supplicanten und Contrahenten – zu Dutzenden – – die Besucher, – die Vorgestelltseyn Wollenden – die Vorgespieltseyn Wollenden – wieder Supplicanten, Frühstück zweites, – Geschäftsgänge – Essen, – vorher noch Bilder – große Figuren <title xml:id="title_24e90123-9b0b-4d77-a7cb-0a885eb4d8b5">und kleine Ruinen von Bendemann<name key="PSN0109806" style="hidden" type="author">Bendemann, Eduard Julius Friedrich (1811-1889)</name><name key="CRT0108131" style="hidden" type="art">Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem</name></title> – an der Table d’hôte eine große Nase mit dem <persName xml:id="persName_b9f7ed81-10dd-48a4-895b-867acd9d9310">kleinen Frank<name key="PSN0111119" style="hidden">Franck, Eduard (1817-1893)</name></persName>, – lebhaft wie unsrer nur ganz anders und fast jünger und ohne den haut goût und die Jahre – dazwischen “ein Brief von Haus” – wie Felix mir und allgemein sagt als verstände es sich für uns Beide – mit den besten Nachrichten. Jetzt sind wieder die Contrahenten da – nicht mal meinen Nachmittagskaffee krieg ich und drum schreib ich mich so trocken – er liests aber, und das spart mir die mündliche Requisition. – O warum ist Niemand von Ihnen hier? Mir ging die Hoffnung, dergleichen könne sich sacht und unvermerkt zutragen, wie ein halblauter Resedaduft still im Innern herum – aber Alles sitzt fest bis auf mich. Sogar Felix; und das ist hart – ich muß noch ein Stück wirklichen Weinquellenden Rhein sehen und hatte so sicher auf ihn gerechnet, – nun muß ichs allein treiben, dh. etwa in Gesellschaft von ein und dem andern verspäteten Engländer. – Ich gratulire schönstens zum Erfolg von <title xml:id="title_89a858a4-966d-44c9-8813-0f1a7fc83209">Hensels Bilde<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name></title> – Sie namentlich, <persName xml:id="persName_1e7abd06-3b76-41b4-b00b-5cba31c49c1b">Frau Professorin<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>! Wer einem großen Werk so gefolgt ist und es von Tag zu Tag hat wachsen und gedeihen sehen und auch seine Aengste mit getheilt hat, muß sein Gutes doppelt genießen. – Was aber am Ende die Berliner <placeName xml:id="placeName_ef9ce202-eaca-4806-b846-6010971cfaf9">Ausstellung<name key="NST0100240" style="hidden" subtype="Kunstausstellung" type="institution">Königlich Preußische Akademie der Künste</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> ohne mich anfängt, begreife ich so recht nicht. – Felix beschreibt <persName xml:id="persName_8902b04f-47b9-41c8-8a71-e6f8d9228a5c">Rochlitz<name key="PSN0114247" style="hidden">Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842)</name></persName> prächtig, wie er ihn und seine Phrasen heute morgen nachmachte, glaubte ich, ich läse ihn – den <persName xml:id="persName_1840fdd3-103a-4f34-b3f6-ced3e1e1e968">Rochlitz<name key="PSN0114247" style="hidden">Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842)</name></persName>. – Ich nicke aber öfters ein jetzt – zwei Nächte hatte ich nicht wo ich mein Haupt hinlegte, nämlich in der DampfbootCajüte – wir Engländer spielten Whist und ließen es uns um den Gewinn sauer genug werden – wir vertranken ihn nämlich in Rheinwein. – Acht Tage sitze ich hier oder fliege in der Umgegend um – da höre ich noch von Ihnen und darf mich noch anhängen und Sie noch einmal, Alle, und die andern auch, <seg type="closer" xml:id="seg_9120e616-170b-423e-8873-6359f77ff246">mit der Hochachtung und Verehrung verlassen mit der ich verbleibe</seg></p> <signed rend="right">Ihr CKl.</signed> </div> <div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_5a51db22-70e0-4478-8346-963bab2864c6"> <docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Nun haben wir den ganzen Abend mit einander geplaudert, Hasen gegessen, und sonst tolles Zeug getrieben, ich schicke den Brief geschwinde ab, und wir nehmen uns vor nächstens zusammen wieder zu schreiben. Tausend Dank liebe <persName xml:id="persName_42002b77-ab7b-4181-9cd9-9f0e4b79d828">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> und liebe <persName xml:id="persName_21d5732d-ff6e-49ee-9e57-434b73407665">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> für den ersten Brief, den ich gestern bekommen. Vieles daraus ist nun schon hierin beantwortet. <persName xml:id="persName_76c8b66a-26d1-4332-9750-1b9cbd170afc">Frau v. Malsburg<name key="PSN0113048" style="hidden">Malsburg-Elmarshausen, Caroline Luise Gräfin von der (1787-1863)</name></persName> ist eine clavierspielende vornehme Casselerinn, und <persName xml:id="persName_facc2bbf-15e8-4952-9ab9-2c04d5d06b34">Gruppe<name key="PSN0111604" style="hidden">Gruppe, Otto Friedrich (1804-1876)</name></persName> ist ein dummer Kerl, wenn er <title xml:id="title_fda6156e-dd72-4996-8e72-5adce5d875ac">Hensels<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name></title> Bild nicht lobt. Grüßt <persName xml:id="persName_f1e9d057-5cab-4ca0-881a-a0dfcb6fa7e4">Paul<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName> und condolirt über Soldatenplagen, <persName xml:id="persName_2bc61c07-33db-4512-9138-2f628891d405">Beckchen<name key="PSN0110673" style="hidden">Dirichlet (Lejeune Dirichlet), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> schreib ich selbst bald; lebt wohl und vor allem schreibt gleich alles Wichtige über <title xml:id="title_2fe22f56-8c5c-40f4-9bcc-3deee21334ef">Hensels<name key="PSN0111899" style="hidden" type="author">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name><name key="CRT0109167" style="hidden" type="art">Christus vor Pilatus (Ölgemälde 1834)</name></title> Bild und die Eindrücke, die es hervorbringt. <seg type="closer" xml:id="seg_a7dd610a-93b5-427c-a284-0a04f5b40212">Lebtwohl.</seg></p> <signed rend="right">Euer</signed> <signed rend="right">Felix MB.</signed> </div> </body> </text></TEI>