fmb-1833-01-25-01
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Berlin, 25. Januar 1833
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
-
Unbekannt
Sammlung Dr. Rudolf Elvers, Berlin (bis Anfang 2011).
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Es ist nun beinahe ein Jahr her, daß ich die inliegenden Zeilen an Sie schrieb. Ich hatte Ihnen damals viel abzubitten, und war lange im Zweifel, ob ich den Brief abschicken sollte. So trug ich ihn mit nach London beendigte ihn dort, gab ihn auf die Post und bekam ihn nach 8 Tagen eröffnet zurück. Den Grund verstehe ich noch jetzt nicht recht, aber es war mir damals sehr fatal, und das Papier war so unerkenntlich und gelb geworden, wie Sie hier sehen, und ich behielt ihn. – Da liegt nun viele Zeit dazwischen, viel Liebes und Böses durcheinander, ich habe mich dadurch aber nicht verändern lassen, und das weiß ich auch von Ihnen. Darum wage ich es noch jetzt, Ihnen den unerkenntlichen Brief von damals zu schicken; nun steht freilich nichts Neues mehr darin, aber es ist wie eine Art Tagebuch, und auf die Neuigkeiten kommt es ja wenig an. Dennoch hätte ich wohl in meinem Stillschweigen beharren müssen (weiß ich doch kaum, ob es Ihnen nicht ganz recht wäre) und hätte auch ferner geschwiegen, wenn mich nicht eine zufällige äußerliche Veranlassung und eine Frage, die ich an Sie zu thun habe, heute dazu zwänge. Ueber das Verzeihungbitten sind die ganz alten verstockten Sünder gewöhnlich schon weg, ich habe lange im Zuchthause gesessen (in der Stadt Berlin nämlich) und da bin ich ebenso geworden, also mache ich keine Entschuldigung, ich habe auch eigentlich keine, und ergebe mich Ihnen auf Gnade und Ungnade. Meine Veranlassung ist folgende: vielleicht erinnern Sie sich, daß ich bei meinem letzten Aufenthalt in München
ist, selbst wenn es nicht so heißen dürfte. Freilich thut es mir leid, daß es nicht grade
Ich habe erst von Berlin gesprochen und schon gesagt, daß es eine Art Strafanstalt ist, man wird hier wirklich mehr gepeinigt, als sonst in der Welt, und hätte ich
Wie ich länger schreibe, ist es mir kaum, als könnte Sie mein Stillschweigen ganz erzürnt haben, doch weiß ich vor mir selbst mich nicht zu entschuldigen. Ich hätte es nicht gewagt, jetzt noch zu schreiben, hätte ich nicht jene Frage gar zu gern beantwortet; ich hoffe, daß Sie sie bejahen, zum Zeichen, daß Sie nicht unversöhnlich zürnen, und daß Sie mich od (ich fürchte) den
Hochgeehrte Frau Baronin! Es ist nun beinahe ein Jahr her, daß ich die inliegenden Zeilen an Sie schrieb. Ich hatte Ihnen damals viel abzubitten, und war lange im Zweifel, ob ich den Brief abschicken sollte. So trug ich ihn mit nach London beendigte ihn dort, gab ihn auf die Post und bekam ihn nach 8 Tagen eröffnet zurück. Den Grund verstehe ich noch jetzt nicht recht, aber es war mir damals sehr fatal, und das Papier war so unerkenntlich und gelb geworden, wie Sie hier sehen, und ich behielt ihn. – Da liegt nun viele Zeit dazwischen, viel Liebes und Böses durcheinander, ich habe mich dadurch aber nicht verändern lassen, und das weiß ich auch von Ihnen. Darum wage ich es noch jetzt, Ihnen den unerkenntlichen Brief von damals zu schicken; nun steht freilich nichts Neues mehr darin, aber es ist wie eine Art Tagebuch, und auf die Neuigkeiten kommt es ja wenig an. Dennoch hätte ich wohl in meinem Stillschweigen beharren müssen (weiß ich doch kaum, ob es Ihnen nicht ganz recht wäre) und hätte auch ferner geschwiegen, wenn mich nicht eine zufällige äußerliche Veranlassung und eine Frage, die ich an Sie zu thun habe, heute dazu zwänge. Ueber das Verzeihungbitten sind die ganz alten verstockten Sünder gewöhnlich schon weg, ich habe lange im Zuchthause gesessen (in der Stadt Berlin nämlich) und da bin ich ebenso geworden, also mache ich keine Entschuldigung, ich habe auch eigentlich keine, und ergebe mich Ihnen auf Gnade und Ungnade. Meine Veranlassung ist folgende: vielleicht erinnern Sie sich, daß ich bei meinem letzten Aufenthalt in München ein Clavier-Concert schrieb; sollten Sie es vergessen haben, so erinnere ich Sie an einige Passagen und Wendungen, die mir Fräulein Delphine dazu schenkte, und die ich seitdem sehr kühn für die meinigen gespielt und ausgegeben habe. Es taugte wohl im Ganzen nichts, und obgleich ich es in England ganz und gar änderte und besserte, so taugt es wohl auch jetzt nichts, aber es hat den Leuten seitdem ganz entsetzlich gefallen, sei es nun, daß sie merkten, daß ich es in einer fröhlichen Zeit componirt habe, oder daß ich es besonders lustig spiele, kurz ich bin jetzt gezwungen, es herauszugeben, obwohl ich es nicht selbst loben kann. Nun wollte ich anfragen, ob ich wohl die Erlaubniß bekäme, dies Stück an Frl. Delphine zuzueignen? Ich bin sonst kein Freund von Dedicationen, hatte mir sogar vorgenommen es nie mehr zu thun, aber hier wäre es mir gar zu lieb, wenn Sie es mir erlauben wollten weil es mir das Stück selbst wieder erfreulich machte, weil es zur Hälfte der Frl. Delphine schon gehört und weil es ihr deshalb wirklich zugeeignet ist, selbst wenn es nicht so heißen dürfte. Freilich thut es mir leid, daß es nicht grade eins meiner besten Stücke ist, aber wenn ich wieder nach München komme, hoffe ich auch etwas Besseres mitzubringen. Ich kann keinen Anspruch darauf machen, eine Antwort von Ihnen selbst hierauf zu bekommen; aber ich bitte Sie, wenn Sie nichts mehr von mir wissen wollen, nur Ihre Bestimmung dem guten Hrn Pappenheimer zu sagen, der mir in den nächsten Tagen gewiß schreiben wird, und mir dann Ihren Bescheid mittheilt. Bitte, lassen Sie ihn günstig sein, und sagen Sie außerdem, daß Sie meiner noch zuweilen freundlich gedenken, – wenn Sie das Alles freilich selbst sagten, das wäre zu schön, aber ich fürchte, es wird nicht sein, und Sie werden fortzürnen bis nächsten Herbst, wo ich Sie mündlich gewiß so schön um Verzeihung bitten will, daß kein Zorn dagegen halten soll. Denn in einigen Woche gehe ich wieder auf die Reise, und nun will ich einmal sehn, ob ich den lange gewünschten Münchner Winter einmal erleben werde; zu einigen Tänzen bin ich schon engagirt, aber ich wollte ich hörte erst die Musik dazu. Ich habe erst von Berlin gesprochen und schon gesagt, daß es eine Art Strafanstalt ist, man wird hier wirklich mehr gepeinigt, als sonst in der Welt, und hätte ich meine Eltern nicht hier, so sollten mich vier Pferde nicht herbringen; denn wie kritisch und gebildet und langweilig und aristokratisch und ennujirt und ennujant die Leute hier sind, und wie schlechte Musik man hört! – Aber ich will davon schweigen und Ihnen Alles einmal mündlich erzählen. Mit Bärmann der vor 8 Tagen von hier nach Rußland abgereist ist, habe ich genau abgemacht, daß und wann ich kommen muß, und nun freue ich mich schon heut darauf. Im April so Gott will werde ich nach London gehn, um einen von den Aufträgen, die ich von der Philharmonischen Gesellschaft habe auszuführen, nämlich eine neue Symphonie von mir dort zu dirigiren, dann hoffe ich auf einige Zeit zu Fuß in der Schweiz zu wandern, um mich wieder etwas gesund zu machen, da ich seit der Krankheit, von der mein inliegender Brief spricht, fast fortwährend gekränkelt habe. Und dann, hoffe ich, Sie wieder zu sehn, und mir meine beiden Galopps und die schönste Musik abzuholen; es ist zwar freilich noch lange hin, indessen nehmen Sie mir es nicht übel, daß ich mir das Alles so nett ausmale. Auch weiß ich wohl, daß ich Ihnen eine Wette schuldig bin, die ich mit der größten Freude bezahle, da Sie nun von der Cholera befreit geblieben sind. Wie ich länger schreibe, ist es mir kaum, als könnte Sie mein Stillschweigen ganz erzürnt haben, doch weiß ich vor mir selbst mich nicht zu entschuldigen. Ich hätte es nicht gewagt, jetzt noch zu schreiben, hätte ich nicht jene Frage gar zu gern beantwortet; ich hoffe, daß Sie sie bejahen, zum Zeichen, daß Sie nicht unversöhnlich zürnen, und daß Sie mich od (ich fürchte) den Herrn Pappenheimer recht bald Antwort wissen lassen. Dies ist ein schlechter, langweiliger Brief, aber die Hauptsache wissen Sie, daß ich alle Tage an jene frohe Zeit und an alle Ihre Güte denke, und daß ich auch zuweilen hoffe, daß Sie sie nicht ganz vergessen haben. Deshalb werden Sie mir meine Kühnheit, Ihnen jetzt zu schreiben, gewiß verzeihn und mir, wenn mich mein Glück wieder einmal nach München führt, Ihre Güte und Freundlichkeit nicht entzogen haben. Mit der größten Hochachtung bin ichIhr ergebenster Felix Mendelssohn Bartholdy. Berlin d. 25 Januar 1833.
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Dennoch hätte ich wohl in meinem Stillschweigen beharren müssen (weiß ich doch kaum, ob es Ihnen nicht ganz recht wäre) und hätte auch ferner geschwiegen, wenn mich nicht eine zufällige äußerliche Veranlassung und eine Frage, die ich an Sie zu thun habe, heute dazu zwänge. Ueber das Verzeihungbitten sind die ganz alten verstockten Sünder gewöhnlich schon weg, ich habe lange im Zuchthause gesessen (in der Stadt Berlin nämlich) und da bin ich ebenso geworden, also mache ich keine Entschuldigung, ich habe auch eigentlich keine, und ergebe mich Ihnen auf Gnade und Ungnade. 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März 1833; [Juni 1834 bis Anfang 1835]<idno type="MWV">N 16</idno><idno type="op">90</idno></name></title> von mir dort zu dirigiren, dann hoffe ich auf einige Zeit zu Fuß in der Schweiz zu wandern, um mich wieder etwas gesund zu machen, da ich seit der Krankheit, von der mein inliegender Brief spricht, fast fortwährend gekränkelt habe. Und dann, hoffe ich, Sie wieder zu sehn, und mir meine beiden Galopps und die schönste Musik abzuholen; es ist zwar freilich noch lange hin, indessen nehmen Sie mir es nicht übel, daß ich mir das Alles so nett ausmale. Auch weiß ich wohl, daß ich Ihnen eine Wette schuldig bin, die ich mit der größten Freude bezahle, da Sie nun von der Cholera befreit geblieben sind.</p><p>Wie ich länger schreibe, ist es mir kaum, als könnte Sie mein Stillschweigen ganz erzürnt haben, doch weiß ich vor mir selbst mich nicht zu entschuldigen. Ich hätte es nicht gewagt, jetzt noch zu schreiben, hätte ich nicht jene Frage gar zu gern beantwortet; ich hoffe, daß Sie sie bejahen, zum Zeichen, daß Sie nicht unversöhnlich zürnen, und daß Sie mich od (ich fürchte) den <persName xml:id="persName_9e28112a-0451-45c3-906f-19a97a4e0471">Herrn Pappenheimer<name key="PSN0113748" style="hidden">Pappenheimer, Seligmann (1767-1844)</name></persName> recht bald Antwort wissen lassen. Dies ist ein schlechter, langweiliger Brief, aber die Hauptsache wissen Sie, daß ich alle Tage an jene frohe Zeit und an alle Ihre Güte denke, und daß ich auch zuweilen hoffe, daß Sie sie nicht ganz vergessen haben. Deshalb werden Sie mir meine Kühnheit, Ihnen jetzt zu schreiben, gewiß verzeihn und mir, wenn mich mein Glück wieder einmal nach München führt, Ihre Güte und Freundlichkeit nicht entzogen haben.</p><closer rend="left" xml:id="closer_50b7e5ce-596f-4561-92a4-2a35f93029ba">Mit der größten Hochachtung bin ich</closer><signed rend="right">Ihr ergebenster</signed><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed><dateline rend="left">Berlin d. <date cert="high" when="1833-01-25" xml:id="date_22d142a6-49c0-4618-bb5e-aee067aca756">25 Januar 1833.</date></dateline></div></body> </text></TEI>