fmb-1832-10-12-01
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Berlin, 19. September und 12. Oktober 1832
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Goethe.
fr
Darf ich Sie denn noch mir als dieselbe Freundinn denken? Es liegen viele lange Zeiten zwischen dem Worte und dem letzten, das ich an Sie sandte, und die heitre Seite der Welt hat sich wohl weit entfernt. Ich weiß kaum, ob ich Sie noch anreden soll, denn wie sonst kann ich es nicht, und das Neue ist noch nicht gekommen. Was Sie seitdem entbehren müssen, das weiß jeder Mensch, der jetzt lebt, und ich habe es wohl mit Ihnen verloren, und wie soll ich Sie mir nun denken, und mit welchen Umgebungen? Unverändert kann ich Sie mir nicht vorstellen, denn das wäre heiter, und ich bin selbst viel verändert. Seit wir uns nicht gesehen, ja eigentlich wenn ichs bedenke erst seit einem kurzen Jahre habe ich fast jede Woche Menschen die mir die liebsten waren, verlieren müssen, und bis dahin war mir das ein unbekannter Schmerz. Darüber wegkommen kann ich noch nicht, und weiter führen wird es mich, denn es ist eben geschehn, aber ob zum Bessern und zum Glück, das muß ich erwarten, weiß es nicht. So lebe ich jetzt eine Zwischenzeit und wollte sie wäre vorüber. Sie mögen nicht schreiben, und wieder mir gar zürnen, sonst fragte ich wohl gern, wie
Das ist ein Brief, wie ein Billet und da Sie solche lieber schreiben, als Briefe in forma so darf ich vielleicht hoffen, einmal ein Paar Zeilen von Ihnen zu erhalten. Nun habe ich aber noch gar nicht gefragt, wie es
Berlin d. 19 Sept 1832. Liebe Ottilie Darf ich Sie denn noch mir als dieselbe Freundinn denken? Es liegen viele lange Zeiten zwischen dem Worte und dem letzten, das ich an Sie sandte, und die heitre Seite der Welt hat sich wohl weit entfernt. Ich weiß kaum, ob ich Sie noch anreden soll, denn wie sonst kann ich es nicht, und das Neue ist noch nicht gekommen. Was Sie seitdem entbehren müssen, das weiß jeder Mensch, der jetzt lebt, und ich habe es wohl mit Ihnen verloren, und wie soll ich Sie mir nun denken, und mit welchen Umgebungen? Unverändert kann ich Sie mir nicht vorstellen, denn das wäre heiter, und ich bin selbst viel verändert. Seit wir uns nicht gesehen, ja eigentlich wenn ichs bedenke erst seit einem kurzen Jahre habe ich fast jede Woche Menschen die mir die liebsten waren, verlieren müssen, und bis dahin war mir das ein unbekannter Schmerz. Darüber wegkommen kann ich noch nicht, und weiter führen wird es mich, denn es ist eben geschehn, aber ob zum Bessern und zum Glück, das muß ich erwarten, weiß es nicht. So lebe ich jetzt eine Zwischenzeit und wollte sie wäre vorüber. Sie mögen nicht schreiben, und wieder mir gar zürnen, sonst fragte ich wohl gern, wie Ihre Kinder leben, und ob sie sich der Erfüllung unsrer Hoffnungen immer nähern? Denn von Walter erwarte ich mir mehr, als ich so sagen kann und werde es nie vergessen, wie ich den Knabenkopf neben dem weltgeschichtlichen Gesichte seines Großvaters sah, wie sie sich ähnlich waren und wie mir es dann fast natürlich vorkam, als er mir so sonderbare Träumereien auf dem Clavier vorspielte und sich bei den Tönen nach seiner Art viel dachte. Spielt er denn auch noch fleißig, und finden Sie noch immer soviel Freude daran? Aber ich darf kaum fragen, Sie werden nichts von mir wissen wollen. Denken Sie aber wie ich, so vergessen Sie mir mein Stillschweigen, als ob ich heut Abend eben zu Ihnen ins Zimmer träte. Ich bilde mir doch ein, daß Sie dann wieder freundlich mit mir wären und fast, wie sonst, und mir wieder auf meine Fragen antworteten. So thun Sie es nun; ich sollte Sie mehr und besser darum bitten mich auch entschuldigen, aber ich kann das jetzt nicht, das Schreiben ist mir seit der bösen Zeit beinahe unmöglich, ich möchte meinen Mund nicht aufthun, denn was ich sagen will, weiß ich nicht zu sagen. Wenn Sie auf eine Stunde hieher kommen könnten, oder ich nach Weimar, so möchte ich Ihnen lieber vorspielen, als darüber reden, obwohl auch die Musik da nicht ausreicht. Den 12 Oct. Der Brief selbst ist nun meine beste Entschuldigung; Sie werden ihm ansehn wie mir zu Muthe war und noch ist. Denn mir ist seitdem nicht anders geworden indessen fange ich doch an mich an Manches zu gewöhnen, das mir sonst sehr fern lag, und hoffe nun auch bald wieder arbeiten zu können, so Gott will. Denn daraus entsteht eigentlich Alles bei mir, daß ich seit ich hier zurück bin, nicht eine einzige ordentliche Arbeit habe zu Stande bringen können, sondern meine Tage in gezwungenem Müßiggange hinbringen mußte. Einen Ihrer Freunde habe ich kürzlich kennen gelernt, den Dr. v. Froriep; da wurde denn viel Vergangnes zurückgerufen, und der machte mir eigentlich Muth den Brief doch abzuschicken und fertig zu machen, indem er mir versicherte, Sie würden mir das nicht übel nehmen. Ich habe mich sehr an ihm gefreut, er macht einen beruhigenden, sichern Eindruck, und hat mich sogar zuweilen an seine Schwester Emma erinnert; er meinte damals, sie würde vielleicht gegen den Winter herkommen, aber wie ich höre ist der Plan nun leider wieder aufgegeben. Aber werden denn Sie nicht einmal wieder hieher kommen wollen? Es kann Ihnen doch jetzt unmöglich so recht heimisch in Weimar sein und soviel ich mich entsinne, mochten Sie ja Berlin ganz gerne leiden. Kämen Sie doch, und wär es auch auf kurze Zeit. Ich kann Berlin jetzt ebensowenig bewundern, wie damals als Sie mich Lord Duero schalten (oder lobten) . Mir scheint es nach wie vor ein trocknes, sandiges, altkluges, vornehmes, kleines Nest, mit sandigen Menschen und sandiger Kunst und einem sandigen Himmel. Indessen mag viel an meiner Krankheit herrühren, die immer noch in mir herumschleicht, seit einem Choleraanfall, den ich im April in Paris hatte, denn ich kann mich durchaus nicht dran gewöhnen, mich zu schonen, in Acht zu nehmen, unpäßlich zu sein, und wie sonst all die Ausdrücke heißen mögen. Dazu find ich all meine Freunde alt geworden, oder angestellt, oder zurückgesetzt, oder verheirathet und alle die Dinge kann ich durchaus nicht leiden. So geht es mir nun. Das ist ein Brief, wie ein Billet und da Sie solche lieber schreiben, als Briefe in forma so darf ich vielleicht hoffen, einmal ein Paar Zeilen von Ihnen zu erhalten. Nun habe ich aber noch gar nicht gefragt, wie es Ulriken geht, ob Sie sie sehr täglich sehen, ob der böse Kopfschmerz ganz fort ist, ob das vierte Licht noch ganz gemächlich das Haus ansteckt, kurz eben Alles möchte ich gern wissen oder wiederholt haben. Und nun wird mir es fast leid, daß ich Ihnen soviel vorgeklagt habe, denn wenn ich an die Pfingstzeit 1830 und an die vielen lieben Freunde denke, die mir noch leben so darf ich nicht traurig sein. Drum lassen Sie mich bald ein Wort von Ihnen hören und leben Sie wohl. Ihr Felix Mendelssohn Bartholdy
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1832-09-19" xml:id="date_f0e60f4b-28f7-4dfd-8b22-aed6019d3398">19. September</date> und <date cert="high" when="1832-10-12" xml:id="date_1488da0c-6e9f-412f-9271-7295dafcc970">12. 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Und nun wird mir es fast leid, daß ich Ihnen soviel vorgeklagt habe, denn wenn ich an die Pfingstzeit 1830 und an die vielen lieben Freunde denke, die mir noch leben so darf ich nicht traurig sein. <seg type="closer" xml:id="seg_308148c5-7fba-45cc-bee3-50f981bee9e1">Drum lassen Sie mich bald ein Wort von Ihnen hören und leben Sie wohl.</seg></p><signed rend="right">Ihr</signed><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy</signed></div></body> </text></TEI>