fmb-1832-09-04-02
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Berlin, 4. September 1832
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
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Wie kann ich Ihnen für Ihren lieben freundlichen Brief und für
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ganz stille sein, und niemand einen Vorwurf machen, denn es ist doch wahrscheinlich die schlechteste Musik die bis zum September 1832 geschrieben worden ist. Aber was ist denn die
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Berlin d. 4 Sept. 1832. Wie kann ich Ihnen für Ihren lieben freundlichen Brief und für Adèles liebe Nachschrift danken. Als ich Ihren Brief so recht oft gelesen hatte wurde mir zu Muthe als sey ich wieder einen Augenblick bei Ihnen gewesen, und das war ein sehr glückliches Gefühl: Lassen Sie mich das öfter haben, Sie thun ja gerne was einen andern so recht herzlich freut, drum hoffe ich einmal wieder etwas von Ihnen zu lesen. Und daß Sie gar Deutsch geschrieben haben! Ich muß mich nun eigentlich sehr schämen nicht auch einen Französischen Brief wenigstens zu versuchen, aber verzeihen Sie mir, es ist mir zu schwer und engt mich zu sehr ein, in einer fremden Sprache mit Ihnen zu sprechen, wo ich immer gern das Allerinnerste sagen möchte, und das oft in meiner eigenen nicht kann. Freilich ist es mir gut, daß die ewige Unruhe und das Genußleben der Reise aufhört, aber noch stehe ich an der Schwelle des künftigen Lebens und Treibens und kann noch nicht zum Gefühl der Ruhe, vielmehr der Thätigkeit kommen. Es ist eine ganz üble, traurige Zeit für mich, ich habe seit mehreren Monaten keinen Gedanken lieb gewonnen, habe nicht froh Musik machen können; die Nachrichten von den betrübendsten Verlusten, die ich seit einiger Zeit fast wöchentlich empfangen muß, thun dazu sehr viel, und haben mich ganz ängstlich unruhig gemacht, man muß sich wohl auch an das gewöhnen, aber es ist schwer. Und wenn mir die Arbeit fehlt, so ist mir als ob alles übrige doch nur eigentlich zum Spas wäre; da habe ich denn eine recht verstimmte Zeit erlebt. Doch bereite ich mir auf den Winter ein größeres Werk vor, will nämlich ein Oratorium schreiben, das St Paulus heißen soll, und bin ich erst einmal wieder im Schreiben, dann denke ich viel vor mich zu bringen. Dies Alles schreibe ich eigentlich zur Antwort an Adèle, die mich nach meinem Versprechen frägt; ich habe wohl täglich daran gedacht, und mir vorgenommen daran zu arbeiten, aber die Zeit hat mich zu wenig Gutem kommen lassen, und so muß ich sie bitten, mit mir noch einmal etwas Geduld zu haben, denn ich will lieber lange nichts schicken, als etwas, das mir nicht gefällt, und ihr auch nicht gefallen könnte. Doch habe ich einige Einfälle dazu gehabt und sobald ich zum Fleißigsein wieder gelange, schicke ich mein erfülltes Versprechen. Aber nicht aus Widerspruchsgeist; der ist jetzt ganz zahm geworden, und beißt sich nicht mit Anderen herum, nur mit sich selbst; auch die inexactitude ist gar nicht mehr recht im Flor, weil ich in böser Zeit aufmerksamer auf mich selbst sein muß, als in besserer, was aber die drei etc. etc. etc. betrifft, die bei meinen Fehlern stehn, so ist es freilich schlimm damit, ich weiß nicht ganz, was gemeint ist, und da kann ich mich schwer rechtfertigen. Aber ich fürchte es sind schlimme Beschuldigungen darin, und weil ich heut als Sühnopfer noch nicht etwas schicken kann, woran ich selbst arbeite, so muß der alte Bach mein Schild und Schutz sein, und so schreibe ich auf die nächste Seite ein kleines Stück, welches ich hier vor 14 Tagen zufällig habe kennen lernen. Wären wir nun an einem Ort, so wäre ich gleich gekommen, um es Ihnen mitzutheilen und vorzuspielen, und wir hätten uns an unsrer Freude neu gefreut, jetzt muß ich mich begnügen es abzuschreiben und zu schicken, und schon das macht mir Freude, daß ich denke, Sie werden es doch nun auch bald kennen. Die Oberstimme ist abermals ein ausgeschmückter Choral und wird auf der Orgel mit etwas stärkeren Registern gespielt, auf dem Clavier müßte man sie in Octaven spielen, oder am besten wär es glaub ich, wenn Herr Baillot die Oberstimme auf seiner Geige sänge, und dann das Clavier ruhig drunter fort ginge. Ich möchte zuhören können, wenn Adèle es mit ihm spielt. Aber ich möchte auch, Sie wären so ein Paar Wintermonate hier; denn ich denke eines seiner größten Werke ganz vollständig zum erstenmale hier aufzuführen, und ebenso eins von Händel. Es ist dafür viel Sinn in den Leuten hier, sie können noch etwas Gesundes, Ganzes vertragen, haben sich den Magen noch nicht verdorben, und wenn sie ihre Freude auch gar nicht äußern können, so empfinden sie sie darum doch. Glauben Sie aber darum nur nicht, daß ich Paris und Ihre Landsleute einseitig beurtheilen wollte; das fällt mir gar nicht ein. Erstlich ist es mit dem Beurtheilen überhaupt wohl mißlich, und wenn etwas ganz entschieden und in seinem Character da steht, so ist mir immer als könne man es gar nicht lobend oder tadelnd beurtheilen sondern müsse nur suchen es zu erkennen und seine Natur einzusehen. Und so ist es doch gewiß mit jedem Volke. Dann aber, wie Sie mir schreiben, eine Nation nach den Stücken die in der großen Oper gegeben werden, zu schätzen, das wäre gar zu oberflächlich, und ist mir gewiß nicht in den Sinn gekommen. Wenn ich auf Robert le diable etwas schimpfte, so war es aus Herzensgrunde, aber der Herr Componist ist ja leider ein Deutscher, sogar ein Berliner, also müssen wir ganz stille sein, und niemand einen Vorwurf machen, denn es ist doch wahrscheinlich die schlechteste Musik die bis zum September 1832 geschrieben worden ist. Aber was ist denn die tentation de St Antoine? Ein neues Ungethüm? Ich habe noch gar nichts davon gehört, aber ich denke mir daß schöne Teufeleien darin vorkommen. Die armen Töne, die sich alles das müssen gefallen lassen! Hier haben sie dem Meyerbeer einen schönen Titel gegeben; indeß spielen sie seine Oper nicht mehr, und um diesen Preis mag man ihm alle möglichen Ehren zuerkennen. Verzeihen Sie, daß ich wieder anfange zu brummen; es ist doch diesmal nicht esprit de contradiction, denn Sie sind ganz derselben Meinung. Leben Sie mir wohl und sein Sie glücklich, für heut muß ich schließen. Nochmals danke ich Ihnen von ganzem Herzen für Ihren Brief, und für Ihre Muttersprache, erfreuen Sie mich bald wieder durch solch ein Zeichen, und glauben Sie mir wie täglich ich Ihrer gedenke und für Sie wünsche, und wie ich immer bleiben werde Ihr treuer Felix Mendelssohn Bartholdy.
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Dann aber, wie Sie mir schreiben, eine Nation nach den Stücken die in der <placeName xml:id="placeName_80ab8d1e-0d14-4aa2-92d5-ad98295671e2">großen Oper<name key="NST0100401" style="hidden" subtype="" type="institution">Grand Opéra</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> gegeben werden, zu schätzen, das wäre gar zu oberflächlich, und ist mir gewiß nicht in den Sinn gekommen. Wenn ich auf <title xml:id="title_a9820bfa-42f2-488e-85a4-53492c944fce">Robert le diable<name key="PSN0113318" style="hidden" type="author">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name><name key="CRT0109979" style="hidden" type="music">Robert le diable</name></title> etwas schimpfte, so war es aus Herzensgrunde, aber der <persName xml:id="persName_83801090-c3a2-4cd8-8af9-dbea1eaa523c">Herr Componist<name key="PSN0113318" style="hidden">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name></persName> ist ja leider ein Deutscher, sogar ein Berliner, <title xml:id="title_a7c4978e-78a6-4390-86e2-9f3adb060f84">also müssen wir<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107850" style="hidden" type="music">Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639</name></title><note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_8a4affaa-ca3a-2783c-da6db-65ff3613f8ce" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note></p><p style="paragraph_without_indent"> <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_005fd364-7d91-4b9b4-86db3-189b45f1ed3b" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe. </note></p><p style="paragraph_without_indent">ganz stille sein, und niemand einen Vorwurf machen, denn es ist doch wahrscheinlich die schlechteste Musik die bis zum September 1832 geschrieben worden ist. Aber was ist denn die <title xml:id="title_416adf83-d986-4ba8-9e8f-44f0262b3c05">tentation<name key="PSN0111371" style="hidden" type="author">Gide, Casimir (1804-1868)</name><name key="CRT0108785" style="hidden" type="music">La Tentation de Saint Antoine</name></title> de S<hi rend="superscript">t</hi> <title xml:id="title_2f616dc1-5dcb-4fb2-b7a1-60c58ce221be">Antoine<name key="PSN0111677" style="hidden" type="author">Halévy, Jacques François Fromental Élie (Fromentin Elias) (1799-1862)</name><name key="CRT0108939" style="hidden" type="music">La Tentation de Saint Antoine</name></title>? Ein neues Ungethüm? Ich habe noch gar nichts davon gehört, aber ich denke mir daß schöne Teufeleien darin vorkommen. Die armen Töne, die sich alles das müssen gefallen lassen! Hier haben sie dem <persName xml:id="persName_e0bf636c-5131-4a55-8a01-cf260e432055">Meyerbeer<name key="PSN0113318" style="hidden">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name></persName> einen schönen Titel gegeben; indeß spielen sie <title xml:id="title_9d01e27d-e2aa-47ea-bb6d-ce276478df8e">seine Oper<name key="PSN0113318" style="hidden" type="author">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name><name key="CRT0109979" style="hidden" type="music">Robert le diable</name></title> nicht mehr, und um diesen Preis mag man ihm alle möglichen Ehren zuerkennen. Verzeihen Sie, daß ich wieder anfange zu brummen; es ist doch diesmal nicht esprit de contradiction, denn Sie sind ganz derselben Meinung. Leben Sie mir wohl und sein Sie glücklich, für heut muß ich schließen. <seg type="closer" xml:id="seg_22480158-0e21-49c4-9c9d-ccf76b869f62">Nochmals danke ich Ihnen von ganzem Herzen für Ihren Brief, und für Ihre Muttersprache, erfreuen Sie mich bald wieder durch solch ein Zeichen, und glauben Sie mir wie täglich ich Ihrer gedenke und für Sie wünsche, und wie ich immer bleiben werde</seg></p><signed rend="right">Ihr treuer</signed><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed></div></body></text></TEI>