]> Brief: fmb-1832-02-15-01

fmb-1832-02-15-01

Hilfe zum Zitier-Tool

Um wichtige Textpassagen (Zitate) zu speichern und auf diese via Hyperlink zu verweisen, markieren Sie bitte den gewünschten Textbereich.

Daraufhin erscheint ein Fenster, in welchem Sie die ausgewählte Textpassage inkl. des Hyperlinks zur weiteren Verwendung in die Zwischenablage kopieren können.


Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Friedrich Zelter in Berlin <lb></lb>Paris, 15. Februar 1832 Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 2, 502

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Deutschland Berlin D-B Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Musikabteilung N. Mus. ep. 461. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Friedrich Zelter in Berlin; Paris, 15. Februar 1832 Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war

8 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.

Felix Mendelssohn Bartholdy

-

Mendelssohn, Reisebriefe (1863), S. 336-345 (Teildruck). Hensel, Familie Mendelssohn 1879, Bd. 1, S. 329-339 (Teildruck). Elvers, Briefe, S. 149-157.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

15. Februar 1832 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Paris Frankreich Zelter, Carl Friedrich (1758-1832) Berlin Deutschland deutsch
À Mr. Mr. le prof. Dr. Zelter. Berlin fr
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Paris d. 15ten Febr. 32.Lieber Herr Professor

Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war und von der heiligen Woche sprach, jetzt fühle ich mein Unrecht doppelt lebhaft. Sein Sie mir nur nicht böse darum, und denken Sie, daß ich inzwischen doch eben auch mich ziemlich herumtreiben und viel Buntes, Neues sehen mußte, um jetzt hier aus Paris schreiben zu können, daß ich Ihnen gern wieder von einem Hauptpunct erzählen wollte, und daß ich wieder, um von und über Paris zu schreiben, mich hier erst etwas heimisch fühlen mußte um etwas davon sagen zu können – es entschuldigt mich aber Alles nicht, das sehe ich wohl, und wenn Sie mir zürnen wollen, so helfen die Gründe nicht viel dagegen, aber das Beste ist, daß Sie es mir niemals auf die Gründe ankommen ließen, wenn ich irgendwo Unrecht hatte, sondern daß Sie mir durch Ihre Freundlichkeit immer zeigten, Sie wüßten wohl, wie ich es meinte. Und diese Freundlichkeit haben Sie mir doch noch bewahrt? Das lassen Sie mich hoffen.

Wenn ich nämlich auch nur von den Hauptpuncten meiner Reise Ihnen hätte schreiben wollen, so hätte ich es eigentlich von Deutschland aus thun müssen. Denn wie ich jetzt nach all’ den Schönheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte, nach allem Herrlichen, das ich gesehn und erlebt, wieder nach Deutschland kam, und namentlich bei der Reise über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein herunter bis Düsseldorf, da war eigentlich der Hauptpunct der Reise, denn da merkte ich, daß ich ein Deutscher sey und in Deutschland wohnen wolle, so lange ich es könne. Es ist wahr, ich kann da nicht so viel Schönheit genießen, nichts Herrliches erleben, aber ich bin da zu Hause. Es ist kein einzelner von den Orten, der mich eben besonders fesselte, wo ich besonders gern leben möchte, es ist das ganze Land, es sind die Menschen, deren Character und Sprache und Gebräuche, ich nicht erst zu lernen und mitzumachen oder nachzumachen brauche, unter denen ich mich wohl fühle, ohne mich darüber zu wundern, und so hoffe ich, daß ich auch in Berlin meine Existenz, und das zum Leben Nothwendige finden werde, und daß ich da, wo ich Sie und die ElternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) und GeschwisterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) und die Freunde habe, mich nicht weniger heimisch fühlen werde, als an all’ den andern Deutschen Orten. Wenn die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen, dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird; aber ich hoffe ich werde es nicht brauchen. So kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie herzlich ich mich aufs Wiedersehn freue.

Es ist mir lebhaft aufgefallen, wie in Deutschland die Musik und der Sinn für die Kunst verbreitet ist und sich immer mehr verbreitet, während man ihn anderswo, (hier z. B.) concentrirt. Daraus folgt zwar vielleicht, daß es bei uns nicht so schnell in die Höhe, aber auch nicht so schnell auf die Spitze getrieben wird, und daraus folgt, daß wir den andern Ländern Musiker schicken können, und doch noch reich genug bleiben. Ich habe mir das Alles ausgedacht, wenn ich hier so oft Politik hören und zuweilen auch sprechen mußte, und wenn die Leute, namentlich aber die Deutschen, auf Deutschland schalten oder es beklagten, daß es keinen Mittelpunct, kein Oberhaupt, keine Concentrirung habe, und wenn sie meinten, das werde Alles gewiß bald kommen. Es wird wohl nicht kommen, und ich denke es ist auch ganz gut so. Was aber kommen wird und muß, das ist das Ende unsrer allzugroßen Bescheidenheit mit der wir Alles für recht halten, was die Andern uns bringen, unser Eigenthum sogar erst achten, wenns die Andern geachtet haben; hoffentlich werden die Deutschen bald aufhören, auf die Deutschen zu schimpfen, daß sie nicht einig seien, und so die ersten Uneinigen zu sein, und hoffentlich werden sie einmal dies Zusammenhalten den Andern nachmachen, was das Beste ist, das sie haben. Wenn sie das übrigens nicht bald thun, so gebe ich sie darum doch nicht auf, sondern componire weiter so lange mir was einfällt. Aber das thut mir immer leid, wenn wir selbst nichts von dem wissen wollen, was wir voraus haben. Ich kam nach Stuttgart, und freute mich wieder an dem vortrefflichen OrchesterKöniglich Württembergische HofkapelleStuttgartDeutschland, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man sich es nur erdenken kann. Der LindpaintnerLindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856) ist glaub’ ich jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist als wenn er mit seinem Taktstöckchen die ganze Musik spielte; dazu ist er fleißig, hat fast täglich Proben mit seinem Orchester, und wöchentlich sein Quartett. Da spielt der MoliqueMolique, Wilhelm Bernhard (1802-1869), der solch eine rasende, kalte Fertigkeit hat, solch tollkühne Sprünge machen kann, daß er berühmt wäre, wenn er anderswo lebte; er ist aber ein dicker Weinbürger und will nicht aus seiner Behaglichkeit heraus. Sie wollten grade ihr erstes Abonnementsconcert geben, in denen sie die großen Sinfonieen alle Jahr aufführen, ich sollte darin was spielen und Compositionen geben, aber ich hatte Eile und konnte nicht so lange warten; bei der Rückkunft habe ichs aber dem Grafen LeitrumLeutrum von Ertingen, Carl Emanuel Victor Philipp Graf (1782-1842) versprochen, ein Weilchen da zu bleiben, ich weiß aber gar nicht ob ich zurückkomme. Der Graf sprach übrigens sehr viel von Ihnen, und Ihrer freundlichen Aufnahme, erzählte mir Alles recht ausführlich, wie er Sie bei Tisch getroffen, wie Sie ihn zum Mitessen gezwungen hätten u. s. w. LindpaintnerLindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856) steht sehr gut mit ihm und alle seine Untergebne loben ihn; im Sommer haben die Leute wenig zu thun, wenn dann ein Paar Tage lang keine Probe ist, so geht der KapellmeisterLindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856) mit seiner FrauLindpaintner, Marie Sophie (1803-1890) zu Fuß über Land, nimmt Wäsche und eine Tabackspfeife mit, und kommt nach ein Paar Tagen durch die Weinberge wieder nach Haus. Die Hauptsache ist endlich, daß sie sich alle beklagen und doch um keinen Preis fortgehen wollen, so habe ich recht in der Nähe Bekanntschaft mit dem Musikwesen einer kleinen Deutschen Stadt gemacht. In Frankfurt ist das Ding vornehmer, geschäftsmäßiger, großstädtischer, aber viel weniger lustig, die Republiken soll der Teufel holen, sie taugen nicht für Musik. Sie sind da gleich knauserig, fragen zuerst was es kostet, und haben nicht ein Bischen Ostentation. Dafür ist aber wieder der CaecilienvereinCäcilienvereinFrankfurt a. M.Deutschland dort, wegen dessen allein man schon in Frankfurt gern sein muß; die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, daß es eine Freude ist, er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder, außerdem hat aber SchelbleSchelble, Johann Nepomuk (1789-1837) des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa 30 Stimmen, wo er am Clavier singen läßt und seine Lieblingssachen, die er dem großen Verein nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet. Da habe ich eine Menge kleiner Sonntagsmusiken von Seb. Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107773" style="hidden" type="music">Kantaten</name>, sein Magnificat<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107792" style="hidden" type="music">Magnificat (Es-Dur-Fassung) BWV 243a</name>, die große Messe<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name> und sonst noch Vieles Schöne gehört; die Frauen sind auch da, wie bei Ihrer AkademieSing-AkademieBerlinDeutschland, die eifrigsten, an den Männern fehlt es ein Bischen, sie haben Geschäfte im Kopf; ich glaube sogar, es ist überall so, am Ende haben bei uns die Frauen mehr Gemeingeist, als die Männer. Im CaecilienvereinCäcilienvereinFrankfurt a. M.Deutschland wenigstens gewiß, denn da sind die Soprane ganz herrlich, Alt und Baß sehr gut, aber an Tenören fehlt es etwas, und SchelbleSchelble, Johann Nepomuk (1789-1837) klagt, wie Sie, über die Lauigkeit der Männer. Ich habe im großen Verein unter andern die Motette „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name> die wir zuweilen bei Ihnen FreitagsFreitagsmusiken von Carl Friedrich ZelterBerlinDeutschland sangen gehört; das Stück „es ist der alte Bund“<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name> macht sich mit dem großen Chor und mit den schönen, weichen Sopranen ganz göttlich. Man kann kaum glauben, wieviel ein einziger Mensch, der was will, auf alle Andern wirken kann; SchelbleSchelble, Johann Nepomuk (1789-1837) steht dort ganz allein, Sinn für ernste Musik ist gewiß nicht vorzugsweise in Frankfurt, und doch ist es merkwürdig mit welcher Freude und wie gut dort die Dilettantinnen das wohltemperirte Clavier<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107917" style="hidden" type="music">Das Wohltemperierte Klavier BWV 846-893</name>, die Inventionen<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107767" style="hidden" type="music">Inventionen BWV 772-786</name>, den ganzen BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827) spielen, wie sie das Alles auswendig wissen, jede falsche Note controlliren, wie sie wirklich musikalisch gebildet sind. Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis gebildet und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht. Zugleich ist dort der Philipp VeitVeit, Philipp (1793-1877) und malt ruhig seine Bilder, die so einfach schön und fromm sind, wie ich es nur auf den alten Bildern gekannt habe. Da ist keine Ziererei und keine Affectation drin, wie bei den Deutschthümlern in Rom, sondern eine aufrichtige Künstlerseele. Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder SchadowSchadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862) mit seinen Schülern ist, und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit etwas entsteht, wo Lessing<name key="PSN0112803" style="hidden" type="author">Lessing, Carl Friedrich (1808-1880)</name><name key="CRT0109729" style="hidden" type="art">Zeichnungen</name> seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestellen, und da haben sie wieder ihr kleines Orchester und ihre Sinfonien von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name> – ich weiß nicht warum ich Ihnen das Alles schreibe, denn Sie kennen es besser als ich, aber ich bin so hineingekommen, wie ich an alle die Menschen, die da so in jeder Stadt zerstreut sind dachte, und aus denen das Land besteht.

Hier aber ist Frankreich, und darum kann man auch keine Deutsche Stadt mit Paris vergleichen, weil hier alles zusammenströmt, was in Frankreich sich auszeichnet, während es sich in Deutschland verbreitet. Deutschland besteht aus so und so viel Städten, aber was Musik, ich glaube auch überhaupt was Kunst betrifft, ist Paris Frankreich. Daher haben sie denn auch hier ihr ConservatoriumConservatoire de MusiqueParisFrankreich, wo erzogen wird, wo sich eine Schule bildet, wohin alle Talente aus den Provinzen geschickt werden müssen, wenn sie sich irgend vervollkommnen wollen. Denn außer Paris giebt es in ganz Frankreich kaum ein erträgliches Orchester, keinen ausgezeichneten Musiker, und während hier 1800 Clavierlehrer sind, und es doch noch an Lehrern fehlt, macht man in den andern Städten so gut, als gar keine Musik. Wie tausendfach sich das nun hier im Mittelpunct gestaltet; welch ein gewaltiges Treiben das ist, wenn man ein ganzes Land in einer Stadt vor sich sieht, und von allen Leuten die Elite um sich hat, das kann ich nicht beschreiben, und Sie wissen es. Daher kommt es auch, daß sich hier Alles gleich in Fächer abtheilt, denn jeder sucht und findet seinen Theil. Ich bleibe nun bei dem, was Sie und die ElternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842) mich lieben gelehrt haben, bin also gleich in die école Allemande einrangirt. Was die Modemusik betrifft, so schreibe ich Ihnen nichts davon, die ist, wie ich sie vor 7 Jahren schon gekannt habe; das Wichtigste und Bedeutendste, was ich noch nicht gehört hatte, ist aber das Orchester des ConservatoireConservatoire de MusiqueParisFrankreich. Es ist natürlich, daß es das Vollkommenste ist, was man in Frankreich hören kann, denn es ist das Pariser ConservatoireConservatoire de MusiqueParisFrankreich, das die Concerte giebt, aber es ist auch die vollkommenste Ausführung, die man irgend sonst hört. Sie haben sich vereinigt, die Besten die in Paris sind, haben die jungen Geiger aus den Classen dazu genommen, einem tüchtigen, und eifrigen MusikerHabeneck, François-Antoine (1781-1849) die Direction übertragen, und nun 2 Jahre lang Proben gemacht, ehe sie eine Aufführung wagten, bis sie ganz mit einander eingespielt waren; bis von einem Notenfehler keine Rede mehr sein konnte; eigentlich sollte jedes Orchester so sein, Tact und Notenfehler sollten ein für allemal nicht vorkommen, aber da das leider einmal nicht der Fall ist, so ist dies das beste, was ich je gehört. Die Schule von BaillotBaillot, Pierre Marie François de Sales (1771-1842), RodeRode, Jacques Pierre Joseph (1774-1830) und KreutzerKreutzer, Rodolphe (1766-1831) liefert ihnen die Geiger, und da ist es eine Freude zu sehen, wenn die jungen Leute so in Masse aufs OrchesterConservatoire de MusiqueParisFrankreich mit ihren Instrumenten kommen, und nun anfangen, alle mit demselben Bogen, derselben Art, derselben Ruhe und demselben Feuer; es waren vorigen Sonntag 14 auf jeder Seite, HabeneckHabeneck, François-Antoine (1781-1849) führt es an und tactirt mit dem Violinbogen; die erste Flöte ist TulouTulou, Jean-Louis (1786-1865), die erste Hoboe VogtVogt, Auguste Georges Gustave (1781-1870), das erste Horn GallayGallay, Jacques François (1795-1864) (die Hörner sind überaus vortrefflich, die besten Blaseinstrumente des Orchesters) das erste Cello NorblinNorblin (de la Gourdaine), Louis Pierre Martin (1781-1854) u. s. f. die ersten Künstler. Die Schattenseiten sind die Contrabässe, die nur 3 Saiten haben und nur bis g gehn, ohne Kraft und Ton sind, so daß im forte überall die eigentliche Stütze fehlt, ferner die erste Clarinett, die schreit und einen steifen, nicht angenehmen Vortrag und Ton hat; ferner sind die Trompeten in den hohen Tönen unsicher und ändern sich ihre schweren Stellen ab, und die Pauken endlich haben einen hohlen, dumpfen Kesselton, halb wie Trommeln; das letztere und die Bässe schaden dem Eindruck des Ganzen am meisten. Dagegen ist von einem Wanken, einem Fehler, der leisesten Uneinigkeit nie die Rede, es ist das genauste Ensemble das man jetzt in der Welt hören kann, und dabei spielen die Leute ganz bequem und ruhig, man hört wie jeder seinen Platz vollkommen ausfüllt, sein Instrument vollkommen bemeistert, wie jeder seine Stimme und alles was sie erfordert vollkommen auswendig kennt, kurz wie das ganze Orchester nicht von einzelnen Musikern, sondern von einer Gesellschaft gebildet wird. Auch die äußern Anstalten sind sehr zweckmäßig und vernünftig getroffen; die Concerte sind nur selten (alle 14 Tage) Sonntags um 2 Uhr; so daß es in jedem Sinn ein Feiertag ist, und daß die Leute nachher weiter nichts thun, als nach Hause gehn, zu ihrer Essensstunde, und den Eindruck behalten, da Abends fast nie Oper ist; ferner ist der Saal klein, also macht die Musik erstlich doppelt viel Lärm und man hört alle Einzelheiten doppelt genau, zweitens ist das Publikum nur klein, sehr gewählt, und ebenfalls wie eine zahlreiche Gesellschaft. Die Musiker selbst haben nun wirklich Freude an den großen Beethovenschen Sinfonieen<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name>, sie haben sich hineingespielt, und es macht ihnen Vergnügen die Sache bezwungen zu haben, einzelne, wie z. B. HabeneckHabeneck, François-Antoine (1781-1849) selbst, meinen es auch gewiß ernst mit ihrer Liebe zu BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827), den andern aber, und zwar den größten Schreiern und Enthusiasten glaube ich kein Wort davon, denn sie setzen nun deswegen die andern Meister herab, sprechen von HaydnHaydn, Franz Joseph (1732-1809) wie von einer Perücke, von MozartMozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791) wie von einem guten Mann, und ein solcher engherziger Enthusiasmus kann nicht wahr sein. Denn wenn sie fühlten, was BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827) gemeint hat, so müßten sie auch wissen, was HaydnHaydn, Franz Joseph (1732-1809) war und müßten sich klein vorkommen; das thun sie aber nicht, sondern beurtheilen frisch drauf zu. Auch das Publikum der ConcerteConservatoire de MusiqueParisFrankreich liebt den BeethovenBeethoven, Ludwig van (1770-1827) ungemein, weil sie glauben man müsse ein Kenner sein, um ihn zu lieben; eigentliche Freude haben die wenigsten dran, und das Herabwürdigen von HaydnHaydn, Franz Joseph (1732-1809) und MozartMozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791) kann ich nun einmal nicht vertragen, es macht mich toll. Die Beethovenschen Sinfonieen<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name> sind ihnen wie exotische Pflanzen, sie riechen nicht daran aber es ist eine Curiosität, und wenn einer gar einmal die Staubfäden zählt, und findet es sey doch eigentlich aus einer bekannten Blumenfamilie, so ist er zufrieden und macht sich weiter nichts daraus. So klagt man sogar schon über Kälte der Leute in diesem und dem vorigen Jahre, und man wird einige Violinquartetten von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108083" style="hidden" type="music">Streichquartette</name> für volles Saitenorchester 28 Geigen etc. mit Contrabässen, ohne Blaseinstrumente geben, um was Neues von ihm zu haben. Ich sollte sie sogar instrumentiren, und die Sonate pathétique<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108021" style="hidden" type="music">Klaviersonate c-Moll, op. 13 (»Pathétique«)</name> fürs Orchester des ConservatoireConservatoire de MusiqueParisFrankreich einrichten, habe ihnen aber eine so schöne Rede gehalten, daß es nun wohl unterbleibt, und ohne Blaseinstrumente gegeben wird. Was Neues wollen sie nun einmal, und das kommt mir zu Statten, denn deshalb geben sie nächsten Sonntag meine Ouvertüre zum Sommernachtstraum<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_013jzhug-gvqk-h0fl-yi9b-nr96hrfjhdbh"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100359" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum E-Dur, [Juli 1826] bis 6. August 1826<idno type="MWV">P 3</idno><idno type="op">21</idno></name> und in einem spätern Concert meine Sinfonie aus dmoll<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_xcxyzmwi-o1jt-wglq-axmx-l8xczkwqcwxk"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="symphonies" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100341" style="hidden">Sinfonie d-Moll (»Reformations-Sinfonie«) für Orchester, [1829] bis 12. Mai 1830; 11. November 1832<idno type="MWV">N 15</idno><idno type="op">107</idno></name>. Auch spielen soll ich einmal dort, und wenn das Alles vorbei ist, so habe ich einige Lust ein Concert im Saale zu geben; das ist aber noch im weiten Felde. Ich muß Ihnen noch das Programm des vorigen Concerts sagen: es fing mit der adur Sinfonie von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108068" style="hidden" type="music">7. Sinfonie A-Dur, op. 92</name> an, dann kam Choeur des chasseurs de Weber<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111243" style="hidden" type="music">Der Freischütz op. 77 (WeV C. 7)</name>, das war ein Vers aus dem Jägerchor der Euryanthe<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111242" style="hidden" type="music">Euryanthe op. 81 (WeV C. 9)</name> und dann auf einmal eine lange, traurige Musik mit Hörnern, die ich gehört hatte, dann wieder der Jägerchor, und dann wieder die traurige Musik, die immer leiser wurde, und endlich schloß. Es fand sich, daß diese traurige Musik mit Hörnern von Castil-BlazeBlaze (gen. Castil-Blaze), François Henri Joseph (1784-1857) war, und daß man Euryanthe<name key="PSN0109973" style="hidden" type="author">Blaze (gen. Castil-Blaze), François Henri Joseph (1784-1857)</name><name key="CRT0108233" style="hidden" type="music">Carl Maria von Weber, Euryanthe op. 81 (WeV C. 9) (Bearbeitung)</name> in der großen OperGrand OpéraParisFrankreich nach seiner Bearbeitung gegeben hatte, von der dies ein Probestück ist. Es ärgerte mich daß man dies in dem Concert gab, denn es wäre ohne das ein Musterconcert gewesen, aber das war wieder eine von den Sachen, die nicht unter Ehrenmännern vorkommen sollten. Zum Schluß des ersten Theils spielte Kalkbrenner seinen Traum<name key="PSN0112301" style="hidden" type="author">Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849)</name><name key="CRT0109467" style="hidden" type="music">Le Rêve (Fantasie für Klavier und Orchester) A-Dur, op. 113</name>; das ist ein neues Clavierconcert, das er componirt hat und worin er zur Romantik übergegangen ist, er erklärt vorher, daß es mit unbestimmten Träumen anfinge, dann käme eine Verzweiflung, dann eine Liebeserklärung und zum Schluß ein Militairmarsch. Kaum hört das Henri Herz<name key="PSN0111939" style="hidden" type="author">Herz, Henri (Heinrich) (1803-1888)</name><name key="CRT0109240" style="hidden" type="music">La fête pastorale (Fantasie für Klavier) B-Dur, op. 65</name> so macht er geschwind auch ein romantisches Clavierstück und erklärt es auch vorher: erst kommt ein Gespräch zwischen Schäfer und Schäferinn, dann ein Gewitter, dann ein Gebet mit der Abendglocke, und zum Schluß ein Militairmarsch. Sie werden es nicht glauben, aber es ist wörtlich so. Übrigens spielt KalkbrennerKalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849) sein Stück ganz wunderbar schön, mit einer Nettigkeit, Eleganz, und Vollkommenheit der nichts gleich kommt. Das war der erste Theil des Concerts; der zweite bestand aus le Christ<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108006" style="hidden" type="music">Christus am Ölberge op. 85</name> du mont des olives mit den Chören des ConservatoireConservatoire de MusiqueParisFrankreich, und den Sängern der großen OperGrand OpéraParisFrankreich, die sämmtlich daraus hervorgegangen sind. Das nächste ConcertConservatoire de MusiqueParisFrankreich fängt mit der fdur Sinfonie von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108069" style="hidden" type="music">8. Sinfonie F-Dur, op. 93</name> an, dann ein Duett aus Armide<name key="PSN0111405" style="hidden" type="author">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name><name key="CRT0111399" style="hidden" type="music">Armide GluckWV 1.47</name> (esprits de haine) und ein Celloconcert<name key="PSN0111111" style="hidden" type="author">Franchomme, Auguste Joseph (1808-1884)</name><name key="CRT0108723" style="hidden" type="music">Violoncellokonzert c-Moll, op. 33</name>. Der 2te Theil ist Kyrie und Gloria aus der neuen Beethovenschen Messe<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108045" style="hidden" type="music">Missa solemnis D-Dur, op. 123</name>, und meine Ouvertüre<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_dh62gtsa-t10e-y0s4-pmkl-nimrl0vnxv0a"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100359" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum E-Dur, [Juli 1826] bis 6. August 1826<idno type="MWV">P 3</idno><idno type="op">21</idno></name>. Wenn das nicht bunt ist!

Außerdem sollte ich Ihnen noch von BaillotsBaillot, Pierre Marie François de Sales (1771-1842) Soiréen, von der großen OperGrand OpéraParisFrankreich, und der nun wiedereröffneten Opéra comiqueOpéra-ComiqueParisFrankreich erzählen, ich spare es mir aber für einen nächsten Brief auf, sonst verlieren Sie die Geduld für meine langen Briefe. Aber bitte, lieber Herr Professor, schreiben Sie mir nur ein Paar Zeilen Antwort, wenn es auch nur ein Paar Worte sind, damit ich wisse, ob Sie eine Fortsetzung von meinem Pariser Leben und Treiben haben wollen und ob Sie mir noch unverändert und freundlich sind. Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört.

Auch von meinen neuen Sachen muß ich Ihnen noch schreiben, denn ich bin ziemlich fleißig gewesen in der Zeit. Wie freue ich mich darauf, sie Ihnen erst vorzuspielen, und zu erfahren, ob Sie damit zufrieden sind und was Ihnen nicht recht ist und was ich besser machen soll. Denn Sie werden eine Menge Instrumental- und Kirchenmusiken mit anhören müssen. Aber bitte, schreiben Sie mir ein Wort, und sagen Sie mir, daß Sie wohl und fröhlich leben, und erquicken Sie mich damit. Allen Ihrigen meine herzlichen Grüße und Wünsche. Leben Sie mir wohl.

Ihr treuer SchülerFelix Mendelssohn Bartholdy.
            Paris d. 15ten Febr. 32. Lieber Herr Professor
Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war und von der heiligen Woche sprach, jetzt fühle ich mein Unrecht doppelt lebhaft. Sein Sie mir nur nicht böse darum, und denken Sie, daß ich inzwischen doch eben auch mich ziemlich herumtreiben und viel Buntes, Neues sehen mußte, um jetzt hier aus Paris schreiben zu können, daß ich Ihnen gern wieder von einem Hauptpunct erzählen wollte, und daß ich wieder, um von und über Paris zu schreiben, mich hier erst etwas heimisch fühlen mußte um etwas davon sagen zu können – es entschuldigt mich aber Alles nicht, das sehe ich wohl, und wenn Sie mir zürnen wollen, so helfen die Gründe nicht viel dagegen, aber das Beste ist, daß Sie es mir niemals auf die Gründe ankommen ließen, wenn ich irgendwo Unrecht hatte, sondern daß Sie mir durch Ihre Freundlichkeit immer zeigten, Sie wüßten wohl, wie ich es meinte. Und diese Freundlichkeit haben Sie mir doch noch bewahrt? Das lassen Sie mich hoffen.
Wenn ich nämlich auch nur von den Hauptpuncten meiner Reise Ihnen hätte schreiben wollen, so hätte ich es eigentlich von Deutschland aus thun müssen. Denn wie ich jetzt nach all’ den Schönheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte, nach allem Herrlichen, das ich gesehn und erlebt, wieder nach Deutschland kam, und namentlich bei der Reise über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein herunter bis Düsseldorf, da war eigentlich der Hauptpunct der Reise, denn da merkte ich, daß ich ein Deutscher sey und in Deutschland wohnen wolle, so lange ich es könne. Es ist wahr, ich kann da nicht so viel Schönheit genießen, nichts Herrliches erleben, aber ich bin da zu Hause. Es ist kein einzelner von den Orten, der mich eben besonders fesselte, wo ich besonders gern leben möchte, es ist das ganze Land, es sind die Menschen, deren Character und Sprache und Gebräuche, ich nicht erst zu lernen und mitzumachen oder nachzumachen brauche, unter denen ich mich wohl fühle, ohne mich darüber zu wundern, und so hoffe ich, daß ich auch in Berlin meine Existenz, und das zum Leben Nothwendige finden werde, und daß ich da, wo ich Sie und die Eltern und Geschwister und die Freunde habe, mich nicht weniger heimisch fühlen werde, als an all’ den andern Deutschen Orten. Wenn die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen, dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird; aber ich hoffe ich werde es nicht brauchen. So kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie herzlich ich mich aufs Wiedersehn freue.
Es ist mir lebhaft aufgefallen, wie in Deutschland die Musik und der Sinn für die Kunst verbreitet ist und sich immer mehr verbreitet, während man ihn anderswo, (hier z. B. ) concentrirt. Daraus folgt zwar vielleicht, daß es bei uns nicht so schnell in die Höhe, aber auch nicht so schnell auf die Spitze getrieben wird, und daraus folgt, daß wir den andern Ländern Musiker schicken können, und doch noch reich genug bleiben. Ich habe mir das Alles ausgedacht, wenn ich hier so oft Politik hören und zuweilen auch sprechen mußte, und wenn die Leute, namentlich aber die Deutschen, auf Deutschland schalten oder es beklagten, daß es keinen Mittelpunct, kein Oberhaupt, keine Concentrirung habe, und wenn sie meinten, das werde Alles gewiß bald kommen. Es wird wohl nicht kommen, und ich denke es ist auch ganz gut so. Was aber kommen wird und muß, das ist das Ende unsrer allzugroßen Bescheidenheit mit der wir Alles für recht halten, was die Andern uns bringen, unser Eigenthum sogar erst achten, wenns die Andern geachtet haben; hoffentlich werden die Deutschen bald aufhören, auf die Deutschen zu schimpfen, daß sie nicht einig seien, und so die ersten Uneinigen zu sein, und hoffentlich werden sie einmal dies Zusammenhalten den Andern nachmachen, was das Beste ist, das sie haben. Wenn sie das übrigens nicht bald thun, so gebe ich sie darum doch nicht auf, sondern componire weiter so lange mir was einfällt. Aber das thut mir immer leid, wenn wir selbst nichts von dem wissen wollen, was wir voraus haben. Ich kam nach Stuttgart, und freute mich wieder an dem vortrefflichen Orchester, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man sich es nur erdenken kann. Der Lindpaintner ist glaub’ ich jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist als wenn er mit seinem Taktstöckchen die ganze Musik spielte; dazu ist er fleißig, hat fast täglich Proben mit seinem Orchester, und wöchentlich sein Quartett. Da spielt der Molique, der solch eine rasende, kalte Fertigkeit hat, solch tollkühne Sprünge machen kann, daß er berühmt wäre, wenn er anderswo lebte; er ist aber ein dicker Weinbürger und will nicht aus seiner Behaglichkeit heraus. Sie wollten grade ihr erstes Abonnementsconcert geben, in denen sie die großen Sinfonieen alle Jahr aufführen, ich sollte darin was spielen und Compositionen geben, aber ich hatte Eile und konnte nicht so lange warten; bei der Rückkunft habe ichs aber dem Grafen Leitrum versprochen, ein Weilchen da zu bleiben, ich weiß aber gar nicht ob ich zurückkomme. Der Graf sprach übrigens sehr viel von Ihnen, und Ihrer freundlichen Aufnahme, erzählte mir Alles recht ausführlich, wie er Sie bei Tisch getroffen, wie Sie ihn zum Mitessen gezwungen hätten u. s. w. Lindpaintner steht sehr gut mit ihm und alle seine Untergebne loben ihn; im Sommer haben die Leute wenig zu thun, wenn dann ein Paar Tage lang keine Probe ist, so geht der Kapellmeister mit seiner Frau zu Fuß über Land, nimmt Wäsche und eine Tabackspfeife mit, und kommt nach ein Paar Tagen durch die Weinberge wieder nach Haus. Die Hauptsache ist endlich, daß sie sich alle beklagen und doch um keinen Preis fortgehen wollen, so habe ich recht in der Nähe Bekanntschaft mit dem Musikwesen einer kleinen Deutschen Stadt gemacht. In Frankfurt ist das Ding vornehmer, geschäftsmäßiger, großstädtischer, aber viel weniger lustig, die Republiken soll der Teufel holen, sie taugen nicht für Musik. Sie sind da gleich knauserig, fragen zuerst was es kostet, und haben nicht ein Bischen Ostentation. Dafür ist aber wieder der Caecilienverein dort, wegen dessen allein man schon in Frankfurt gern sein muß; die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, daß es eine Freude ist, er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder, außerdem hat aber Schelble des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa 30 Stimmen, wo er am Clavier singen läßt und seine Lieblingssachen, die er dem großen Verein nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet. Da habe ich eine Menge kleiner Sonntagsmusiken von Seb. Bach, sein Magnificat, die große Messe und sonst noch Vieles Schöne gehört; die Frauen sind auch da, wie bei Ihrer Akademie, die eifrigsten, an den Männern fehlt es ein Bischen, sie haben Geschäfte im Kopf; ich glaube sogar, es ist überall so, am Ende haben bei uns die Frauen mehr Gemeingeist, als die Männer. Im Caecilienverein wenigstens gewiß, denn da sind die Soprane ganz herrlich, Alt und Baß sehr gut, aber an Tenören fehlt es etwas, und Schelble klagt, wie Sie, über die Lauigkeit der Männer. Ich habe im großen Verein unter andern die Motette „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ die wir zuweilen bei Ihnen Freitags sangen gehört; das Stück „es ist der alte Bund“ macht sich mit dem großen Chor und mit den schönen, weichen Sopranen ganz göttlich. Man kann kaum glauben, wieviel ein einziger Mensch, der was will, auf alle Andern wirken kann; Schelble steht dort ganz allein, Sinn für ernste Musik ist gewiß nicht vorzugsweise in Frankfurt, und doch ist es merkwürdig mit welcher Freude und wie gut dort die Dilettantinnen das wohltemperirte Clavier, die Inventionen, den ganzen Beethoven spielen, wie sie das Alles auswendig wissen, jede falsche Note controlliren, wie sie wirklich musikalisch gebildet sind. Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis gebildet und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht. Zugleich ist dort der Philipp Veit und malt ruhig seine Bilder, die so einfach schön und fromm sind, wie ich es nur auf den alten Bildern gekannt habe. Da ist keine Ziererei und keine Affectation drin, wie bei den Deutschthümlern in Rom, sondern eine aufrichtige Künstlerseele. Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder Schadow mit seinen Schülern ist, und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit etwas entsteht, wo Lessing seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestellen, und da haben sie wieder ihr kleines Orchester und ihre Sinfonien von Beethoven – ich weiß nicht warum ich Ihnen das Alles schreibe, denn Sie kennen es besser als ich, aber ich bin so hineingekommen, wie ich an alle die Menschen, die da so in jeder Stadt zerstreut sind dachte, und aus denen das Land besteht.
Hier aber ist Frankreich, und darum kann man auch keine Deutsche Stadt mit Paris vergleichen, weil hier alles zusammenströmt, was in Frankreich sich auszeichnet, während es sich in Deutschland verbreitet. Deutschland besteht aus so und so viel Städten, aber was Musik, ich glaube auch überhaupt was Kunst betrifft, ist Paris Frankreich. Daher haben sie denn auch hier ihr Conservatorium, wo erzogen wird, wo sich eine Schule bildet, wohin alle Talente aus den Provinzen geschickt werden müssen, wenn sie sich irgend vervollkommnen wollen. Denn außer Paris giebt es in ganz Frankreich kaum ein erträgliches Orchester, keinen ausgezeichneten Musiker, und während hier 1800 Clavierlehrer sind, und es doch noch an Lehrern fehlt, macht man in den andern Städten so gut, als gar keine Musik. Wie tausendfach sich das nun hier im Mittelpunct gestaltet; welch ein gewaltiges Treiben das ist, wenn man ein ganzes Land in einer Stadt vor sich sieht, und von allen Leuten die Elite um sich hat, das kann ich nicht beschreiben, und Sie wissen es. Daher kommt es auch, daß sich hier Alles gleich in Fächer abtheilt, denn jeder sucht und findet seinen Theil. Ich bleibe nun bei dem, was Sie und die Eltern mich lieben gelehrt haben, bin also gleich in die école Allemande einrangirt. Was die Modemusik betrifft, so schreibe ich Ihnen nichts davon, die ist, wie ich sie vor 7 Jahren schon gekannt habe; das Wichtigste und Bedeutendste, was ich noch nicht gehört hatte, ist aber das Orchester des Conservatoire. Es ist natürlich, daß es das Vollkommenste ist, was man in Frankreich hören kann, denn es ist das Pariser Conservatoire, das die Concerte giebt, aber es ist auch die vollkommenste Ausführung, die man irgend sonst hört. Sie haben sich vereinigt, die Besten die in Paris sind, haben die jungen Geiger aus den Classen dazu genommen, einem tüchtigen, und eifrigen Musiker die Direction übertragen, und nun 2 Jahre lang Proben gemacht, ehe sie eine Aufführung wagten, bis sie ganz mit einander eingespielt waren; bis von einem Notenfehler keine Rede mehr sein konnte; eigentlich sollte jedes Orchester so sein, Tact und Notenfehler sollten ein für allemal nicht vorkommen, aber da das leider einmal nicht der Fall ist, so ist dies das beste, was ich je gehört. Die Schule von Baillot, Rode und Kreutzer liefert ihnen die Geiger, und da ist es eine Freude zu sehen, wenn die jungen Leute so in Masse aufs Orchester mit ihren Instrumenten kommen, und nun anfangen, alle mit demselben Bogen, derselben Art, derselben Ruhe und demselben Feuer; es waren vorigen Sonntag 14 auf jeder Seite, Habeneck führt es an und tactirt mit dem Violinbogen; die erste Flöte ist Tulou, die erste Hoboe Vogt, das erste Horn Gallay (die Hörner sind überaus vortrefflich, die besten Blaseinstrumente des Orchesters) das erste Cello Norblin u. s. f. die ersten Künstler. Die Schattenseiten sind die Contrabässe, die nur 3 Saiten haben und nur bis g gehn, ohne Kraft und Ton sind, so daß im forte überall die eigentliche Stütze fehlt, ferner die erste Clarinett, die schreit und einen steifen, nicht angenehmen Vortrag und Ton hat; ferner sind die Trompeten in den hohen Tönen unsicher und ändern sich ihre schweren Stellen ab, und die Pauken endlich haben einen hohlen, dumpfen Kesselton, halb wie Trommeln; das letztere und die Bässe schaden dem Eindruck des Ganzen am meisten. Dagegen ist von einem Wanken, einem Fehler, der leisesten Uneinigkeit nie die Rede, es ist das genauste Ensemble das man jetzt in der Welt hören kann, und dabei spielen die Leute ganz bequem und ruhig, man hört wie jeder seinen Platz vollkommen ausfüllt, sein Instrument vollkommen bemeistert, wie jeder seine Stimme und alles was sie erfordert vollkommen auswendig kennt, kurz wie das ganze Orchester nicht von einzelnen Musikern, sondern von einer Gesellschaft gebildet wird. Auch die äußern Anstalten sind sehr zweckmäßig und vernünftig getroffen; die Concerte sind nur selten (alle 14 Tage) Sonntags um 2 Uhr; so daß es in jedem Sinn ein Feiertag ist, und daß die Leute nachher weiter nichts thun, als nach Hause gehn, zu ihrer Essensstunde, und den Eindruck behalten, da Abends fast nie Oper ist; ferner ist der Saal klein, also macht die Musik erstlich doppelt viel Lärm und man hört alle Einzelheiten doppelt genau, zweitens ist das Publikum nur klein, sehr gewählt, und ebenfalls wie eine zahlreiche Gesellschaft. Die Musiker selbst haben nun wirklich Freude an den großen Beethovenschen Sinfonieen, sie haben sich hineingespielt, und es macht ihnen Vergnügen die Sache bezwungen zu haben, einzelne, wie z. B. Habeneck selbst, meinen es auch gewiß ernst mit ihrer Liebe zu Beethoven, den andern aber, und zwar den größten Schreiern und Enthusiasten glaube ich kein Wort davon, denn sie setzen nun deswegen die andern Meister herab, sprechen von Haydn wie von einer Perücke, von Mozart wie von einem guten Mann, und ein solcher engherziger Enthusiasmus kann nicht wahr sein. Denn wenn sie fühlten, was Beethoven gemeint hat, so müßten sie auch wissen, was Haydn war und müßten sich klein vorkommen; das thun sie aber nicht, sondern beurtheilen frisch drauf zu. Auch das Publikum der Concerte liebt den Beethoven ungemein, weil sie glauben man müsse ein Kenner sein, um ihn zu lieben; eigentliche Freude haben die wenigsten dran, und das Herabwürdigen von Haydn und Mozart kann ich nun einmal nicht vertragen, es macht mich toll. Die Beethovenschen Sinfonieen sind ihnen wie exotische Pflanzen, sie riechen nicht daran aber es ist eine Curiosität, und wenn einer gar einmal die Staubfäden zählt, und findet es sey doch eigentlich aus einer bekannten Blumenfamilie, so ist er zufrieden und macht sich weiter nichts daraus. So klagt man sogar schon über Kälte der Leute in diesem und dem vorigen Jahre, und man wird einige Violinquartetten von Beethoven für volles Saitenorchester 28 Geigen etc. mit Contrabässen, ohne Blaseinstrumente geben, um was Neues von ihm zu haben. Ich sollte sie sogar instrumentiren, und die Sonate pathétique fürs Orchester des Conservatoire einrichten, habe ihnen aber eine so schöne Rede gehalten, daß es nun wohl unterbleibt, und ohne Blaseinstrumente gegeben wird. Was Neues wollen sie nun einmal, und das kommt mir zu Statten, denn deshalb geben sie nächsten Sonntag meine Ouvertüre zum Sommernachtstraum und in einem spätern Concert meine Sinfonie aus dmoll . Auch spielen soll ich einmal dort, und wenn das Alles vorbei ist, so habe ich einige Lust ein Concert im Saale zu geben; das ist aber noch im weiten Felde. Ich muß Ihnen noch das Programm des vorigen Concerts sagen: es fing mit der adur Sinfonie von Beethoven an, dann kam Choeur des chasseurs de Weber, das war ein Vers aus dem Jägerchor der Euryanthe und dann auf einmal eine lange, traurige Musik mit Hörnern, die ich gehört hatte, dann wieder der Jägerchor, und dann wieder die traurige Musik, die immer leiser wurde, und endlich schloß. Es fand sich, daß diese traurige Musik mit Hörnern von Castil-Blaze war, und daß man Euryanthe in der großen Oper nach seiner Bearbeitung gegeben hatte, von der dies ein Probestück ist. Es ärgerte mich daß man dies in dem Concert gab, denn es wäre ohne das ein Musterconcert gewesen, aber das war wieder eine von den Sachen, die nicht unter Ehrenmännern vorkommen sollten. Zum Schluß des ersten Theils spielte Kalkbrenner seinen Traum; das ist ein neues Clavierconcert, das er componirt hat und worin er zur Romantik übergegangen ist, er erklärt vorher, daß es mit unbestimmten Träumen anfinge, dann käme eine Verzweiflung, dann eine Liebeserklärung und zum Schluß ein Militairmarsch. Kaum hört das Henri Herz so macht er geschwind auch ein romantisches Clavierstück und erklärt es auch vorher: erst kommt ein Gespräch zwischen Schäfer und Schäferinn, dann ein Gewitter, dann ein Gebet mit der Abendglocke, und zum Schluß ein Militairmarsch. Sie werden es nicht glauben, aber es ist wörtlich so. Übrigens spielt Kalkbrenner sein Stück ganz wunderbar schön, mit einer Nettigkeit, Eleganz, und Vollkommenheit der nichts gleich kommt. Das war der erste Theil des Concerts; der zweite bestand aus le Christ du mont des olives mit den Chören des Conservatoire, und den Sängern der großen Oper, die sämmtlich daraus hervorgegangen sind. Das nächste Concert fängt mit der fdur Sinfonie von Beethoven an, dann ein Duett aus Armide (esprits de haine) und ein Celloconcert. Der 2te Theil ist Kyrie und Gloria aus der neuen Beethovenschen Messe, und meine Ouvertüre . Wenn das nicht bunt ist!
Außerdem sollte ich Ihnen noch von Baillots Soiréen, von der großen Oper, und der nun wiedereröffneten Opéra comique erzählen, ich spare es mir aber für einen nächsten Brief auf, sonst verlieren Sie die Geduld für meine langen Briefe. Aber bitte, lieber Herr Professor, schreiben Sie mir nur ein Paar Zeilen Antwort, wenn es auch nur ein Paar Worte sind, damit ich wisse, ob Sie eine Fortsetzung von meinem Pariser Leben und Treiben haben wollen und ob Sie mir noch unverändert und freundlich sind. Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört.
Auch von meinen neuen Sachen muß ich Ihnen noch schreiben, denn ich bin ziemlich fleißig gewesen in der Zeit. Wie freue ich mich darauf, sie Ihnen erst vorzuspielen, und zu erfahren, ob Sie damit zufrieden sind und was Ihnen nicht recht ist und was ich besser machen soll. Denn Sie werden eine Menge Instrumental- und Kirchenmusiken mit anhören müssen. Aber bitte, schreiben Sie mir ein Wort, und sagen Sie mir, daß Sie wohl und fröhlich leben, und erquicken Sie mich damit. Allen Ihrigen meine herzlichen Grüße und Wünsche. Leben Sie mir wohl.
Ihr treuer SchülerFelix Mendelssohn Bartholdy.          
            <TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="fmb-1832-02-15-01" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="fmb-1832-02-15-01" xml:id="title_6fcc5989-4ec8-4541-b87c-fe69bfc1cef2">Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Friedrich Zelter in Berlin <lb></lb>Paris, 15. Februar 1832</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_9209cb05-2ae5-4aff-87b6-41e139ad81a3">Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war</title> <title level="s" type="sub" xml:id="title_1e0f92c9-df2e-45de-a203-612ffa56db5a">Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C)</title> <title key="not_yet_determined" type="precursor">noch nicht ermittelt</title> <title key="not_yet_determined" type="successor">noch nicht ermittelt</title> <author key="PSN0000001">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription">FMB-C</name> </respStmt> <respStmt resp="edition"> <resp resp="edition">Edition: </resp> <name resp="edition">FMB-C</name> </respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin</publisher> <address> <street>Am Kupfergraben 5</street> <placeName> <settlement>10117 Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </address> <idno type="URI">http://www.mendelssohn-online.com</idno> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/">Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)</licence> </availability> <idno type="MSB">Bd. 2, 502</idno></publicationStmt> <seriesStmt> <p>Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)</p> </seriesStmt> <sourceDesc source="edition_template_manuscript" xml:id="sourceDesc_18563aa7-72aa-4a90-a92b-2ccf775cfdd1"> <msDesc> <msIdentifier> <country>Deutschland</country> <settlement>Berlin</settlement> <institution key="RISM">D-B</institution> <repository>Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz</repository> <collection>Musikabteilung</collection> <idno type="signatur">N. Mus. ep. 461.</idno> </msIdentifier> <msContents> <msItem> <idno type="autograph">Autograph</idno> <title key="fmb-1832-02-15-01" type="letter" xml:id="title_96158fd2-b42e-4be2-9fc9-9239124f6a6c">Felix Mendelssohn Bartholdy an Carl Friedrich Zelter in Berlin; Paris, 15. Februar 1832</title> <incipit>Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc> <p>8 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Felix Mendelssohn Bartholdy</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl></accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>-</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Mendelssohn, Reisebriefe (1863), S. 336-345 (Teildruck).</bibl> <bibl type="printed_letter">Hensel, Familie Mendelssohn 1879, Bd. 1, S. 329-339 (Teildruck).</bibl> <bibl type="printed_letter">Elvers, Briefe, S. 149-157.</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1832-02-15" xml:id="date_458b2e62-a907-42ec-a698-246182016f9c">15. Februar 1832</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_b8a3b6e1-ea78-4f8b-a558-4588c1360d1b">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_64a6c4ff-4a03-4aee-8e43-8f40d06a0ca2"> <settlement key="STM0100105">Paris</settlement> <country>Frankreich</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0115916" resp="receiver" xml:id="persName_c1bdc02a-e573-41bd-9917-2691a12b14ac">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_86fc0f4b-8cad-4b1b-b233-da15b414123b"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_09c4224c-c9c1-4828-9e54-b1d3d6aa6d1d"> <head> <address> <addrLine>À Mr.</addrLine> <addrLine>Mr. le prof. Dr. Zelter.</addrLine> <addrLine>Berlin</addrLine> <addrLine>fr</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_2fc085c9-0ab6-4dff-a37e-3d3a18788e33"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Paris d. <date cert="high" when="1832-02-15" xml:id="date_d40c2754-765f-4f3c-aad4-f21a7e931823">15<hi rend="superscript">ten</hi> Febr. 32</date>.</dateline><salute rend="left">Lieber Herr Professor</salute><p style="paragraph_without_indent">Es ist zwar schon lange, daß ich an Sie schreiben wollte und Sie um Verzeihung bitten, wegen meines Stillschweigens, aber jetzt, wo ich meinen Brief anfange und mich erinnre, daß der letzte aus Rom war und von der heiligen Woche sprach, jetzt fühle ich mein Unrecht doppelt lebhaft. Sein Sie mir nur nicht böse darum, und denken Sie, daß ich inzwischen doch eben auch mich ziemlich herumtreiben und viel Buntes, Neues sehen mußte, um jetzt hier aus Paris schreiben zu können, daß ich Ihnen gern wieder von einem Hauptpunct erzählen wollte, und daß ich wieder, um von und über Paris zu schreiben, mich hier erst etwas heimisch fühlen mußte um etwas davon sagen zu können – es entschuldigt mich aber Alles nicht, das sehe ich wohl, und wenn Sie mir zürnen wollen, so helfen die Gründe nicht viel dagegen, aber das Beste ist, daß Sie es mir niemals auf die Gründe ankommen ließen, wenn ich irgendwo Unrecht hatte, sondern daß Sie mir durch Ihre Freundlichkeit immer zeigten, Sie wüßten wohl, wie ich es meinte. Und diese Freundlichkeit haben Sie mir doch noch bewahrt? Das lassen Sie mich hoffen.</p><p>Wenn ich nämlich auch nur von den Hauptpuncten meiner Reise Ihnen hätte schreiben wollen, so hätte ich es eigentlich von Deutschland aus thun müssen. Denn wie ich jetzt nach all’ den Schönheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte, nach allem Herrlichen, das ich gesehn und erlebt, wieder nach Deutschland kam, und namentlich bei der Reise über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein herunter bis Düsseldorf, da war eigentlich der Hauptpunct der Reise, denn da merkte ich, daß ich ein Deutscher sey und in Deutschland wohnen wolle, so lange ich es könne. Es ist wahr, ich kann da nicht so viel Schönheit genießen, nichts Herrliches erleben, aber ich bin da zu Hause. Es ist kein einzelner von den Orten, der mich eben besonders fesselte, wo ich besonders gern leben möchte, es ist das ganze Land, es sind die Menschen, deren Character und Sprache und Gebräuche, ich nicht erst zu lernen und mitzumachen oder nachzumachen brauche, unter denen ich mich wohl fühle, ohne mich darüber zu wundern, und so hoffe ich, daß ich auch in Berlin meine Existenz, und das zum Leben Nothwendige finden werde, und daß ich da, wo ich Sie und die <persName xml:id="persName_80180260-adbb-460b-9be0-d4e0cbe511a6">Eltern<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name><name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> und <persName xml:id="persName_4a1cdf48-2021-4d19-ac08-2f30f55303b0">Geschwister<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name><name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name><name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> und die Freunde habe, mich nicht weniger heimisch fühlen werde, als an all’ den andern Deutschen Orten. Wenn die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen, dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird; aber ich hoffe ich werde es nicht brauchen. So kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie herzlich ich mich aufs Wiedersehn freue.</p><p>Es ist mir lebhaft aufgefallen, wie in Deutschland die Musik und der Sinn für die Kunst verbreitet ist und sich immer mehr verbreitet, während man ihn anderswo, (hier z. B.) concentrirt. Daraus folgt zwar vielleicht, daß es bei uns nicht so schnell in die Höhe, aber auch nicht so schnell auf die Spitze getrieben wird, und daraus folgt, daß wir den andern Ländern Musiker schicken können, und doch noch reich genug bleiben. Ich habe mir das Alles ausgedacht, wenn ich hier so oft Politik hören und zuweilen auch sprechen mußte, und wenn die Leute, namentlich aber die Deutschen, auf Deutschland schalten oder es beklagten, daß es keinen Mittelpunct, kein Oberhaupt, keine Concentrirung habe, und wenn sie meinten, das werde Alles gewiß bald kommen. Es wird wohl nicht kommen, und ich denke es ist auch ganz gut so. Was aber kommen wird und muß, das ist das Ende unsrer allzugroßen Bescheidenheit mit der wir Alles für recht halten, was die Andern uns bringen, unser Eigenthum sogar erst achten, wenns die Andern geachtet haben; hoffentlich werden die Deutschen bald aufhören, auf die Deutschen zu schimpfen, daß sie nicht einig seien, und so die ersten Uneinigen zu sein, und hoffentlich werden sie einmal dies Zusammenhalten den Andern nachmachen, was das Beste ist, das sie haben. Wenn sie das übrigens nicht bald thun, so gebe ich sie darum doch nicht auf, sondern componire weiter so lange mir was einfällt. Aber das thut mir immer leid, wenn wir selbst nichts von dem wissen wollen, was wir voraus haben. Ich kam nach Stuttgart, und freute mich wieder an <placeName xml:id="placeName_e6724fa2-969d-4ca3-8d22-648c9e205ae4">dem vortrefflichen Orchester<name key="NST0100407" style="hidden" subtype="" type="institution">Königlich Württembergische Hofkapelle</name><settlement key="STM0100140" style="hidden" type="">Stuttgart</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man sich es nur erdenken kann. Der <persName xml:id="persName_84be91f0-c55f-4793-bf1b-1296ddb65c85">Lindpaintner<name key="PSN0112873" style="hidden">Lindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856)</name></persName> ist glaub’ ich jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist als wenn er mit seinem Taktstöckchen die ganze Musik spielte; dazu ist er fleißig, hat fast täglich Proben mit seinem Orchester, und wöchentlich sein Quartett. Da spielt der <persName xml:id="persName_fbd4a1c2-1764-43a6-b52f-3139974fe89e">Molique<name key="PSN0113381" style="hidden">Molique, Wilhelm Bernhard (1802-1869)</name></persName>, der solch eine rasende, kalte Fertigkeit hat, solch tollkühne Sprünge machen kann, daß er berühmt wäre, wenn er anderswo lebte; er ist aber ein dicker Weinbürger und will nicht aus seiner Behaglichkeit heraus. Sie wollten grade ihr erstes Abonnementsconcert geben, in denen sie die großen Sinfonieen alle Jahr aufführen, ich sollte darin was spielen und Compositionen geben, aber ich hatte Eile und konnte nicht so lange warten; bei der Rückkunft habe ichs aber dem <persName xml:id="persName_9ad22f12-7d92-4d8a-96c1-db165a6e40fa">Grafen Leitrum<name key="PSN0112808" style="hidden">Leutrum von Ertingen, Carl Emanuel Victor Philipp Graf (1782-1842)</name></persName> versprochen, ein Weilchen da zu bleiben, ich weiß aber gar nicht ob ich zurückkomme. Der Graf sprach übrigens sehr viel von Ihnen, und Ihrer freundlichen Aufnahme, erzählte mir Alles recht ausführlich, wie er Sie bei Tisch getroffen, wie Sie ihn zum Mitessen gezwungen hätten u. s. w. <persName xml:id="persName_daae2567-729d-404e-afe8-66edee0e4b5d">Lindpaintner<name key="PSN0112873" style="hidden">Lindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856)</name></persName> steht sehr gut mit ihm und alle seine Untergebne loben ihn; im Sommer haben die Leute wenig zu thun, wenn dann ein Paar Tage lang keine Probe ist, so geht der <persName xml:id="persName_a720c3e5-d301-4b2b-9949-3cdb29d38b85">Kapellmeister<name key="PSN0112873" style="hidden">Lindpaintner, Peter Joseph (seit 1844) von (1791-1856)</name></persName> mit <persName xml:id="persName_b994b519-604d-40e0-a544-73c8852babc2">seiner Frau<name key="PSN0112872" style="hidden">Lindpaintner, Marie Sophie (1803-1890)</name></persName> zu Fuß über Land, nimmt Wäsche und eine Tabackspfeife mit, und kommt nach ein Paar Tagen durch die Weinberge wieder nach Haus. Die Hauptsache ist endlich, daß sie sich alle beklagen und doch um keinen Preis fortgehen wollen, so habe ich recht in der Nähe Bekanntschaft mit dem Musikwesen einer kleinen Deutschen Stadt gemacht. In Frankfurt ist das Ding vornehmer, geschäftsmäßiger, großstädtischer, aber viel weniger lustig, die Republiken soll der Teufel holen, sie taugen nicht für Musik. Sie sind da gleich knauserig, fragen zuerst was es kostet, und haben nicht ein Bischen Ostentation. Dafür ist aber wieder der <placeName xml:id="placeName_8fab6186-0b80-459f-a9be-579b7ebb7647">Caecilienverein<name key="NST0100338" style="hidden" subtype="" type="institution">Cäcilienverein</name><settlement key="STM0100204" style="hidden" type="">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> dort, wegen dessen allein man schon in Frankfurt gern sein muß; die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, daß es eine Freude ist, er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder, außerdem hat aber <persName xml:id="persName_1f39b11a-0aff-4a36-a9cc-48de62ca9fb2">Schelble<name key="PSN0114524" style="hidden">Schelble, Johann Nepomuk (1789-1837)</name></persName> des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa 30 Stimmen, wo er am Clavier singen läßt und seine Lieblingssachen, die er dem großen Verein nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet. Da habe ich <title xml:id="title_4a317891-1aed-417e-b0f6-362b6485d621">eine Menge kleiner Sonntagsmusiken von Seb. Bach<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107773" style="hidden" type="music">Kantaten</name></title>, <title xml:id="title_fc398823-0328-4a25-a0c7-8cc3022ed9e3">sein Magnificat<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107792" style="hidden" type="music">Magnificat (Es-Dur-Fassung) BWV 243a</name></title>, <title xml:id="title_7d44e8b0-20e4-4d99-ba1b-c663b021638e">die große Messe<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name></title> und sonst noch Vieles Schöne gehört; die Frauen sind auch da, wie bei Ihrer <placeName xml:id="placeName_c5a4f4d0-d79f-4d04-a15a-c776e12916df">Akademie<name key="NST0100203" style="hidden" subtype="" type="institution">Sing-Akademie</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, die eifrigsten, an den Männern fehlt es ein Bischen, sie haben Geschäfte im Kopf; ich glaube sogar, es ist überall so, am Ende haben bei uns die Frauen mehr Gemeingeist, als die Männer. Im <placeName xml:id="placeName_f8a60a6f-352a-4a4b-8f77-69bf7af7f894">Caecilienverein<name key="NST0100338" style="hidden" subtype="" type="institution">Cäcilienverein</name><settlement key="STM0100204" style="hidden" type="">Frankfurt a. M.</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> wenigstens gewiß, denn da sind die Soprane ganz herrlich, Alt und Baß sehr gut, aber an Tenören fehlt es etwas, und <persName xml:id="persName_d66f68ff-0216-4828-8eb5-9a2ed0e42acb">Schelble<name key="PSN0114524" style="hidden">Schelble, Johann Nepomuk (1789-1837)</name></persName> klagt, wie Sie, über die Lauigkeit der Männer. Ich habe im großen Verein unter andern die <title xml:id="title_11017437-e0cd-4542-9b5b-9d1da810e335">Motette „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name></title> die wir zuweilen bei Ihnen <placeName xml:id="placeName_523881c4-dc8b-48b3-838e-2ebe7224b08e">Freitags<name key="NST0100260" style="hidden" subtype="" type="institution">Freitagsmusiken von Carl Friedrich Zelter</name><settlement key="STM0100101" style="hidden" type="">Berlin</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> sangen gehört; <title xml:id="title_91b4b23a-7ab4-4e73-b626-7e9a6c86d66a">das Stück „es ist der alte Bund“<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107755" style="hidden" type="music">Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) BWV 106</name></title> macht sich mit dem großen Chor und mit den schönen, weichen Sopranen ganz göttlich. Man kann kaum glauben, wieviel ein einziger Mensch, der was will, auf alle Andern wirken kann; <persName xml:id="persName_5ec50098-b54b-4a92-aef9-487935a6a9a9">Schelble<name key="PSN0114524" style="hidden">Schelble, Johann Nepomuk (1789-1837)</name></persName> steht dort ganz allein, Sinn für ernste Musik ist gewiß nicht vorzugsweise in Frankfurt, und doch ist es merkwürdig mit welcher Freude und wie gut dort die Dilettantinnen <title xml:id="title_dfe5961c-72d6-44e4-bdc9-6a96b16964f4">das wohltemperirte Clavier<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107917" style="hidden" type="music">Das Wohltemperierte Klavier BWV 846-893</name></title>, <title xml:id="title_de10141e-b142-4a60-953f-bfb41297ead4">die Inventionen<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107767" style="hidden" type="music">Inventionen BWV 772-786</name></title>, den ganzen <persName xml:id="persName_87e607c8-5f79-49bd-aa68-835865d70724">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> spielen, wie sie das Alles auswendig wissen, jede falsche Note controlliren, wie sie wirklich musikalisch gebildet sind. Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis gebildet und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht. Zugleich ist dort der <persName xml:id="persName_7427f1d7-fef5-46cd-a986-ea14f9fb3ae1">Philipp Veit<name key="PSN0115472" style="hidden">Veit, Philipp (1793-1877)</name></persName> und malt ruhig seine Bilder, die so einfach schön und fromm sind, wie ich es nur auf den alten Bildern gekannt habe. Da ist keine Ziererei und keine Affectation drin, wie bei den Deutschthümlern in Rom, sondern eine aufrichtige Künstlerseele. Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder <persName xml:id="persName_053da552-a872-437f-91c7-046b98bb4e8e">Schadow<name key="PSN0114494" style="hidden">Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862)</name></persName> mit seinen Schülern ist, und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit etwas entsteht, wo <title xml:id="title_1eff6a9e-7d8c-4f96-971b-24b86c9b94c1">Lessing<name key="PSN0112803" style="hidden" type="author">Lessing, Carl Friedrich (1808-1880)</name><name key="CRT0109729" style="hidden" type="art">Zeichnungen</name></title> seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestellen, und da haben sie wieder ihr kleines Orchester und ihre <title xml:id="title_384e1a69-834f-49d0-bbb4-5882c8247edf">Sinfonien von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name></title> – ich weiß nicht warum ich Ihnen das Alles schreibe, denn Sie kennen es besser als ich, aber ich bin so hineingekommen, wie ich an alle die Menschen, die da so in jeder Stadt zerstreut sind dachte, und aus denen das Land besteht.</p><p>Hier aber ist Frankreich, und darum kann man auch keine Deutsche Stadt mit Paris vergleichen, weil hier alles zusammenströmt, was in Frankreich sich auszeichnet, während es sich in Deutschland verbreitet. Deutschland besteht aus so und so viel Städten, aber was Musik, ich glaube auch überhaupt was Kunst betrifft, ist Paris Frankreich. Daher haben sie denn auch hier ihr <placeName xml:id="placeName_ac223ccc-3520-4000-8131-21da766a39e4">Conservatorium<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>, wo erzogen wird, wo sich eine Schule bildet, wohin alle Talente aus den Provinzen geschickt werden müssen, wenn sie sich irgend vervollkommnen wollen. Denn außer Paris giebt es in ganz Frankreich kaum ein erträgliches Orchester, keinen ausgezeichneten Musiker, und während hier 1800 Clavierlehrer sind, und es doch noch an Lehrern fehlt, macht man in den andern Städten so gut, als gar keine Musik. Wie tausendfach sich das nun hier im Mittelpunct gestaltet; welch ein gewaltiges Treiben das ist, wenn man ein ganzes Land in einer Stadt vor sich sieht, und von allen Leuten die Elite um sich hat, das kann ich nicht beschreiben, und Sie wissen es. Daher kommt es auch, daß sich hier Alles gleich in Fächer abtheilt, denn jeder sucht und findet seinen Theil. Ich bleibe nun bei dem, was Sie und die <persName xml:id="persName_76e7448c-9cbf-41e5-aecb-89841a2362d3">Eltern<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name><name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName> mich lieben gelehrt haben, bin also gleich in die école Allemande einrangirt. Was die Modemusik betrifft, so schreibe ich Ihnen nichts davon, die ist, wie ich sie vor 7 Jahren schon gekannt habe; das Wichtigste und Bedeutendste, was ich noch nicht gehört hatte, ist aber das Orchester des <placeName xml:id="placeName_5a1b4d73-f522-40ce-ac79-41ee9d812484">Conservatoire<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>. Es ist natürlich, daß es das Vollkommenste ist, was man in Frankreich hören kann, denn es ist das <placeName xml:id="placeName_5d1c6919-e6f6-4e1c-9e14-e2f6d33fd111">Pariser Conservatoire<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>, das die Concerte giebt, aber es ist auch die vollkommenste Ausführung, die man irgend sonst hört. Sie haben sich vereinigt, die Besten die in Paris sind, haben die jungen Geiger aus den Classen dazu genommen, einem tüchtigen, und <persName xml:id="persName_06882afe-7aee-49b7-be16-48d81b931ba6">eifrigen Musiker<name key="PSN0111647" style="hidden">Habeneck, François-Antoine (1781-1849)</name></persName> die Direction übertragen, und nun 2 Jahre lang Proben gemacht, ehe sie eine Aufführung wagten, bis sie ganz mit einander eingespielt waren; bis von einem Notenfehler keine Rede mehr sein konnte; eigentlich sollte jedes Orchester so sein, Tact und Notenfehler sollten ein für allemal nicht vorkommen, aber da das leider einmal nicht der Fall ist, so ist dies das beste, was ich je gehört. Die Schule von <persName xml:id="persName_d9f7b297-20ff-4ce0-a753-2a50aa6267c3">Baillot<name key="PSN0109640" style="hidden">Baillot, Pierre Marie François de Sales (1771-1842)</name></persName>, <persName xml:id="persName_9e2e9943-58a4-4301-8a57-46e6bbeaa4f5">Rode<name key="PSN0114251" style="hidden">Rode, Jacques Pierre Joseph (1774-1830)</name></persName> und <persName xml:id="persName_094379a3-e394-4741-a134-d73a6825f2f0">Kreutzer<name key="PSN0112547" style="hidden">Kreutzer, Rodolphe (1766-1831)</name></persName> liefert ihnen die Geiger, und da ist es eine Freude zu sehen, wenn die jungen Leute so in Masse aufs <placeName xml:id="placeName_53bb610e-5377-499e-819a-242f9f6ed663">Orchester<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> mit ihren Instrumenten kommen, und nun anfangen, alle mit demselben Bogen, derselben Art, derselben Ruhe und demselben Feuer; es waren vorigen Sonntag 14 auf jeder Seite, <persName xml:id="persName_9e3ab0f8-af68-40d4-aad7-707a00ce7929">Habeneck<name key="PSN0111647" style="hidden">Habeneck, François-Antoine (1781-1849)</name></persName> führt es an und tactirt mit dem Violinbogen; <persName xml:id="persName_f00b241f-09f4-429c-b4b5-892fc95c67cd">die erste Flöte ist Tulou<name key="PSN0115404" style="hidden">Tulou, Jean-Louis (1786-1865)</name></persName>, <persName xml:id="persName_586e0a0f-5424-4a3f-b5eb-24dc1f746ea3">die erste Hoboe Vogt<name key="PSN0115533" style="hidden">Vogt, Auguste Georges Gustave (1781-1870)</name></persName>, <persName xml:id="persName_512533da-75ea-4fe9-814f-c05d73322afd">das erste Horn Gallay<name key="PSN0111276" style="hidden">Gallay, Jacques François (1795-1864)</name></persName> (die Hörner sind überaus vortrefflich, die besten Blaseinstrumente des Orchesters) <persName xml:id="persName_e5fd3501-1e5c-4269-a8c9-5ea168286898">das erste Cello Norblin<name key="PSN0113614" style="hidden">Norblin (de la Gourdaine), Louis Pierre Martin (1781-1854)</name></persName> u. s. f. die ersten Künstler. Die Schattenseiten sind die Contrabässe, die nur 3 Saiten haben und nur bis g gehn, ohne Kraft und Ton sind, so daß im forte überall die eigentliche Stütze fehlt, ferner die erste Clarinett, die schreit und einen steifen, nicht angenehmen Vortrag und Ton hat; ferner sind die Trompeten in den hohen Tönen unsicher und ändern sich ihre schweren Stellen ab, und die Pauken endlich haben einen hohlen, dumpfen Kesselton, halb wie Trommeln; das letztere und die Bässe schaden dem Eindruck des Ganzen am meisten. Dagegen ist von einem Wanken, einem Fehler, der leisesten Uneinigkeit nie die Rede, es ist das genauste Ensemble das man jetzt in der Welt hören kann, und dabei spielen die Leute ganz bequem und ruhig, man hört wie jeder seinen Platz vollkommen ausfüllt, sein Instrument vollkommen bemeistert, wie jeder seine Stimme und alles was sie erfordert vollkommen auswendig kennt, kurz wie das ganze Orchester nicht von einzelnen Musikern, sondern von einer Gesellschaft gebildet wird. Auch die äußern Anstalten sind sehr zweckmäßig und vernünftig getroffen; die Concerte sind nur selten (alle 14 Tage) Sonntags um 2 Uhr; so daß es in jedem Sinn ein Feiertag ist, und daß die Leute nachher weiter nichts thun, als nach Hause gehn, zu ihrer Essensstunde, und den Eindruck behalten, da Abends fast nie Oper ist; ferner ist der Saal klein, also macht die Musik erstlich doppelt viel Lärm und man hört alle Einzelheiten doppelt genau, zweitens ist das Publikum nur klein, sehr gewählt, und ebenfalls wie eine zahlreiche Gesellschaft. Die Musiker selbst haben nun wirklich Freude an <title xml:id="title_c5417439-8cf4-4d69-8cb8-87c29f99f05d">den großen Beethovenschen Sinfonieen<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name></title>, sie haben sich hineingespielt, und es macht ihnen Vergnügen die Sache bezwungen zu haben, einzelne, wie z. B. <persName xml:id="persName_fca2b79c-fe5f-45c7-9a9f-dbd8c198cf4c">Habeneck<name key="PSN0111647" style="hidden">Habeneck, François-Antoine (1781-1849)</name></persName> selbst, meinen es auch gewiß ernst mit ihrer Liebe zu <persName xml:id="persName_553c78f9-c62a-4ec2-9bd1-899e8d687b7c">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName>, den andern aber, und zwar den größten Schreiern und Enthusiasten glaube ich kein Wort davon, denn sie setzen nun deswegen die andern Meister herab, sprechen von <persName xml:id="persName_fc0322f7-1769-42e3-9542-eb4d7db5d149">Haydn<name key="PSN0111789" style="hidden">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name></persName> wie von einer Perücke, von <persName xml:id="persName_82187d7f-3bf3-48ec-9358-5fbd00a42f25">Mozart<name key="PSN0113466" style="hidden">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name></persName> wie von einem guten Mann, und ein solcher engherziger Enthusiasmus kann nicht wahr sein. Denn wenn sie fühlten, was <persName xml:id="persName_1c41db1a-c3f4-4681-b0eb-c32404d80aa7">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> gemeint hat, so müßten sie auch wissen, was <persName xml:id="persName_10ffe208-85cd-4968-805c-b3bcdd9aee21">Haydn<name key="PSN0111789" style="hidden">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name></persName> war und müßten sich klein vorkommen; das thun sie aber nicht, sondern beurtheilen frisch drauf zu. Auch <placeName xml:id="placeName_43fd715b-3899-4394-a0b1-e98c57fc92fd">das Publikum der Concerte<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> liebt den <persName xml:id="persName_865a47a2-c2bf-4ed1-9613-0c51808b74bd">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> ungemein, weil sie glauben man müsse ein Kenner sein, um ihn zu lieben; eigentliche Freude haben die wenigsten dran, und das Herabwürdigen von <persName xml:id="persName_0dd15f1d-8f43-4bb4-9499-0f3b3cc00139">Haydn<name key="PSN0111789" style="hidden">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name></persName> und <persName xml:id="persName_d7a719b1-de34-4cba-843e-96594a018059">Mozart<name key="PSN0113466" style="hidden">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name></persName> kann ich nun einmal nicht vertragen, es macht mich toll. <title xml:id="title_0415c7d4-70e7-464d-b573-45104ad1946f">Die Beethovenschen Sinfonieen<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108061" style="hidden" type="music">Sinfonien</name></title> sind ihnen wie exotische Pflanzen, sie riechen nicht daran aber es ist eine Curiosität, und wenn einer gar einmal die Staubfäden zählt, und findet es sey doch eigentlich aus einer bekannten Blumenfamilie, so ist er zufrieden und macht sich weiter nichts daraus. So klagt man sogar schon über Kälte der Leute in diesem und dem vorigen Jahre, und man wird <title xml:id="title_eda18e70-7fc3-4866-b8da-03ce7ca3804c">einige Violinquartetten von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108083" style="hidden" type="music">Streichquartette</name></title> für volles Saitenorchester 28 Geigen etc. mit Contrabässen, ohne Blaseinstrumente geben, um was Neues von ihm zu haben. Ich sollte sie sogar instrumentiren, und die <title xml:id="title_457de95d-d8ad-4844-8f8a-6ee9ef46cc43">Sonate pathétique<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108021" style="hidden" type="music">Klaviersonate c-Moll, op. 13 (»Pathétique«)</name></title> fürs Orchester des <placeName xml:id="placeName_7e25071b-377e-462f-9d78-c3c4673ae70e">Conservatoire<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> einrichten, habe ihnen aber eine so schöne Rede gehalten, daß es nun wohl unterbleibt, und ohne Blaseinstrumente gegeben wird. Was Neues wollen sie nun einmal, und das kommt mir zu Statten, denn deshalb geben sie nächsten Sonntag <title xml:id="title_1273d30a-7a5b-4c6f-b703-ef356ce5e1e1">meine Ouvertüre zum Sommernachtstraum<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_013jzhug-gvqk-h0fl-yi9b-nr96hrfjhdbh"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100359" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum E-Dur, [Juli 1826] bis 6. August 1826<idno type="MWV">P 3</idno><idno type="op">21</idno></name></title> und in einem spätern Concert <title xml:id="title_8d5a3583-852e-49fe-a4a6-33a2a11a9dfd">meine Sinfonie aus dmoll<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_xcxyzmwi-o1jt-wglq-axmx-l8xczkwqcwxk"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="symphonies" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100341" style="hidden">Sinfonie d-Moll (»Reformations-Sinfonie«) für Orchester, [1829] bis 12. Mai 1830; 11. November 1832<idno type="MWV">N 15</idno><idno type="op">107</idno></name></title>. Auch spielen soll ich einmal dort, und wenn das Alles vorbei ist, so habe ich einige Lust ein Concert im Saale zu geben; das ist aber noch im weiten Felde. Ich muß Ihnen noch das Programm des vorigen Concerts sagen: es fing mit der <title xml:id="title_123e03e8-355a-40da-b88b-b72fc3896e93">adur Sinfonie von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108068" style="hidden" type="music">7. Sinfonie A-Dur, op. 92</name></title> an, dann kam <title xml:id="title_72842b9b-59be-4d52-837b-44874951d9aa">Choeur des chasseurs de Weber<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111243" style="hidden" type="music">Der Freischütz op. 77 (WeV C. 7)</name></title>, das war <title xml:id="title_2382fa62-c67b-468e-b2ff-4a284314edaf">ein Vers aus dem Jägerchor der Euryanthe<name key="PSN0115645" style="hidden" type="author">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name><name key="CRT0111242" style="hidden" type="music">Euryanthe op. 81 (WeV C. 9)</name></title> und dann auf einmal eine lange, traurige Musik mit Hörnern, die ich gehört hatte, dann wieder der Jägerchor, und dann wieder die traurige Musik, die immer leiser wurde, und endlich schloß. Es fand sich, daß diese traurige Musik mit Hörnern von<persName xml:id="persName_84d53c0a-28c1-45cf-a3e9-db0ae57f2ff1"> Castil-Blaze<name key="PSN0109973" style="hidden">Blaze (gen. Castil-Blaze), François Henri Joseph (1784-1857)</name></persName> war, und daß man <title xml:id="title_f25c0837-dd06-402e-a220-cb4d2432eb81">Euryanthe<name key="PSN0109973" style="hidden" type="author">Blaze (gen. Castil-Blaze), François Henri Joseph (1784-1857)</name><name key="CRT0108233" style="hidden" type="music">Carl Maria von Weber, Euryanthe op. 81 (WeV C. 9) (Bearbeitung)</name></title> in <placeName xml:id="placeName_82c89690-849a-4615-8562-d6966c549fd4">der großen Oper<name key="NST0100401" style="hidden" subtype="" type="institution">Grand Opéra</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> nach seiner Bearbeitung gegeben hatte, von der dies ein Probestück ist. Es ärgerte mich daß man dies in dem Concert gab, denn es wäre ohne das ein Musterconcert gewesen, aber das war wieder eine von den Sachen, die nicht unter Ehrenmännern vorkommen sollten. Zum Schluß des ersten Theils spielte <title xml:id="title_0a4f7cdf-8416-4ab9-80f6-86433c6e31db">Kalkbrenner seinen Traum<name key="PSN0112301" style="hidden" type="author">Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849)</name><name key="CRT0109467" style="hidden" type="music">Le Rêve (Fantasie für Klavier und Orchester) A-Dur, op. 113</name></title>; das ist ein neues Clavierconcert, das er componirt hat und worin er zur Romantik übergegangen ist, er erklärt vorher, daß es mit unbestimmten Träumen anfinge, dann käme eine Verzweiflung, dann eine Liebeserklärung und zum Schluß ein Militairmarsch. Kaum hört das <title xml:id="title_4ef5c3e6-0b39-405a-a61b-2ecb6af59bd5">Henri Herz<name key="PSN0111939" style="hidden" type="author">Herz, Henri (Heinrich) (1803-1888)</name><name key="CRT0109240" style="hidden" type="music">La fête pastorale (Fantasie für Klavier) B-Dur, op. 65</name></title> so macht er geschwind auch ein romantisches Clavierstück und erklärt es auch vorher: erst kommt ein Gespräch zwischen Schäfer und Schäferinn, dann ein Gewitter, dann ein Gebet mit der Abendglocke, und zum Schluß ein Militairmarsch. Sie werden es nicht glauben, aber es ist wörtlich so. Übrigens spielt <persName xml:id="persName_9be91059-31e0-43a2-ac4f-300dde3e3dfa">Kalkbrenner<name key="PSN0112301" style="hidden">Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849)</name></persName> sein Stück ganz wunderbar schön, mit einer Nettigkeit, Eleganz, und Vollkommenheit der nichts gleich kommt. Das war der erste Theil des Concerts; <title xml:id="title_ef5be70d-e402-48ea-8013-862ea09ad7cf">der zweite bestand aus le Christ<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108006" style="hidden" type="music">Christus am Ölberge op. 85</name></title> du mont des olives mit den Chören des <placeName xml:id="placeName_e7dffb80-1923-40a3-a3a1-5eb7c63ede22">Conservatoire<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>, und den Sängern der <placeName xml:id="placeName_661aa129-a86b-48a2-a48b-097baecef270">großen Oper<name key="NST0100401" style="hidden" subtype="" type="institution">Grand Opéra</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>, die sämmtlich daraus hervorgegangen sind. Das nächste <placeName xml:id="placeName_d358ad21-e8f4-4e4d-b2f6-15303b22c42b">Concert<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> fängt mit der <title xml:id="title_da0bf5c9-ecb4-4214-89fa-2a5d3ab21cfd">fdur Sinfonie von Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108069" style="hidden" type="music">8. Sinfonie F-Dur, op. 93</name></title> an, dann <title xml:id="title_84f9ef94-4cb9-4c57-8977-88983b4bae95">ein Duett aus Armide<name key="PSN0111405" style="hidden" type="author">Gluck, Christoph Willibald (seit 1756) Ritter von (1714-1787)</name><name key="CRT0111399" style="hidden" type="music">Armide GluckWV 1.47</name></title> (esprits de haine) und <title xml:id="title_d2917066-5851-4d46-ba3d-ac2fb7fff080">ein Celloconcert<name key="PSN0111111" style="hidden" type="author">Franchomme, Auguste Joseph (1808-1884)</name><name key="CRT0108723" style="hidden" type="music">Violoncellokonzert c-Moll, op. 33</name></title>. Der 2<hi rend="superscript">te</hi> Theil ist Kyrie und <title xml:id="title_8955aa87-4dd9-4e99-b643-ba3d98fbe43e">Gloria aus der neuen Beethovenschen Messe<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108045" style="hidden" type="music">Missa solemnis D-Dur, op. 123</name></title>, und <title xml:id="title_c56d0558-d713-4fdc-9398-3815d44be23d">meine Ouvertüre<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_dh62gtsa-t10e-y0s4-pmkl-nimrl0vnxv0a"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="overtures_and_other_orchestral_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100359" style="hidden">Konzert-Ouvertüre Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum E-Dur, [Juli 1826] bis 6. August 1826<idno type="MWV">P 3</idno><idno type="op">21</idno></name></title>. Wenn das nicht bunt ist!</p><p>Außerdem sollte ich Ihnen noch von <persName xml:id="persName_87a191fb-26d9-4847-8b88-e848897cbf89">Baillots<name key="PSN0109640" style="hidden">Baillot, Pierre Marie François de Sales (1771-1842)</name></persName> Soiréen, von der <placeName xml:id="placeName_7932156f-ceac-4b3a-8354-86bd8c4a0953">großen Oper<name key="NST0100401" style="hidden" subtype="" type="institution">Grand Opéra</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName>, und der nun <placeName xml:id="placeName_a3b738da-cb35-42a3-b747-870f5e9fd84c">wiedereröffneten Opéra comique<name key="NST0100399" style="hidden" subtype="" type="institution">Opéra-Comique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> erzählen, ich spare es mir aber für einen nächsten Brief auf, sonst verlieren Sie die Geduld für meine langen Briefe. Aber bitte, lieber Herr Professor, schreiben Sie mir nur ein Paar Zeilen Antwort, wenn es auch nur ein Paar Worte sind, damit ich wisse, ob Sie eine Fortsetzung von meinem Pariser Leben und Treiben haben wollen und ob Sie mir noch unverändert und freundlich sind. Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört.</p><p>Auch von meinen neuen Sachen muß ich Ihnen noch schreiben, denn ich bin ziemlich fleißig gewesen in der Zeit. Wie freue ich mich darauf, sie Ihnen erst vorzuspielen, und zu erfahren, ob Sie damit zufrieden sind und was Ihnen nicht recht ist und was ich besser machen soll. Denn Sie werden eine Menge Instrumental- und Kirchenmusiken mit anhören müssen. Aber bitte, schreiben Sie mir ein Wort, und sagen Sie mir, daß Sie wohl und fröhlich leben, und erquicken Sie mich damit. <seg type="closer" xml:id="seg_b13fb10c-ebd0-4248-9011-5e11bfa2fc86">Allen Ihrigen meine herzlichen Grüße und Wünsche. Leben Sie mir wohl. </seg></p><closer rend="right" xml:id="closer_fb751a32-7473-4cc5-812b-604940b437b6">Ihr treuer Schüler</closer><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed></div></body> </text></TEI>