fmb-1831-12-20-01
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Paris, 20. Dezember 1831
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel. – Das Datum wurde von fremder Hand auf der ersten Briefseite notiert. Textverluste durch Siegelabriss.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
fr.
Es ist mir sonderbar
Eben lese ich den Brief noch einmal und möchte mich todtlachen über meinen Leichenbitterton. Es ist Alles nicht so schlimm; betrübt ist es gar nicht, und ein Unglück noch viel weniger, sondern es ist Paris und es sind die Franzosen. Wer einem jungen Deutschen Musiker verdenkt, daß er drüber mäßig ras’t, der müßte nicht
Es ist mir sonderbar heute Paris zu datiren an Dich, mein alter Klingemann; Du wirst böse auf mich sein, ich bin es selbst aber noch mehr und bitte Dich nur, sag’ mir es nicht daß Du es gewesen und sey es nicht mehr. Immer dachte ich noch zur Zeit zu kommen, um Alles mündlich abzumachen, Dich wenigstens einen Augenblick zu sehen, die Sachen, die ich zu thun hatte, waren zu wichtig, um sie nicht mit voller Ruhe zu Ende zu führen, sie nahmen alle Zeit und Gedanken in Anspruch und ließen keine zum Briefschreiben, nun sind sie beendigt und wünschenswerth aber da bist Du nun nicht mehr in Paris, die Leute sagen mir nur, Du seiest eben abgereis’t und hättest mich gern gesprochen. Wie gesagt, kommen konnte ich nicht früher, das war nicht möglich; aber schreiben hätte ich Dir freilich sollen; Du aber sey mir nicht böse deshalb, wir sehen uns nun bald wieder, so Gott will, dann Alles Übrige. – Ich möchte aber, ich wäre schon in London, denn gestern wie ich in den Zeitungen die Fortschritte der Cholera las, die in Newcastle eingetroffen ist, wurde mir etwas bange, ob sie nicht am Ende auch nach der Stadt kommen sollte, und ob mir Vater dann erlauben würde hinüberzugehen, da er ohnedies deswegen besorgt scheint. Lieber wäre mir es, diese Episode spielte in Frankreich und ich könnte mich zu Euch hinüber retten, damit ich nicht den ganzen Winter hier zu bleiben brauchte; bis jetzt fühle ich mich hier sehr unbehaglich. Mir kommt das Treiben etwas satanisch vor: wer sich nicht ganz zusammennimmt und hat, der mag wohl seine Seele (die musikalische, mein’ ich) hier leicht und gern dem Teufel verschreiben; alle Aeußerlichkeit ist so anlockend, die Leute haben Ehre und Gold und Freude und Orden und Orchester vollauf und nichts fehlt – wenn sie nur nicht so schlechte Musiker wären. Das ist es, was mir hier so unangenehm aufgefallen ist: in jedem kleinen Ort von Deutschland hab’ ich beßre, größre Musiker gefunden, als hier, aber nirgends können sie sich so geltend machen, nirgends glauben es die Leute so aufs Wort. Darin liegt es vielleicht schon, sie kommen bei uns zu keiner behaglichen Ruhe, müssen sich quälen ihr Lebenlang, werden dennoch kaum anerkannt – aber dabei kommen Werke zum Vorschein, hier ist das Gegentheil und ich weiß wozu ich mich halten will. Wenn ich mal eine Masse großer Werke gemacht habe, dann will ich herkommen und mich ehren lassen nach Herzenslust, bis dahin will ich in Deutschland bleiben – das ist der Eindruck, den mir Paris diesmal gemacht hat. – Man kommt dann gar zu leicht dazu, sich selbst sehr vortrefflich und gar viel größer, als alle andern zu finden, zieht einen geistigen Schlafrock an und wird geistiger Bürgermeister; das muß aber nicht sein, und darum will ich auch mein Mögliches thun den Hiller, der sich vornimmt hier ganz zu bleiben, wieder nach Deutschland zu bereden. Er fühlt wohl, daß die andern Herren hier sein Treiben und seine Gedanken nicht so recht beurtheilen können, und so schreibt er denn hin, was ihm eben einfällt, fühlt, daß was Besseres darin ist, als in dem was die anderen machen, und würde ehe er sich es versähe, ein Manierist werden, wenn er nicht zeitig genug wieder hinaus kommt, unter Menschen die die Musik auch kennen, die Meister auch verstehen, und die ihn tadeln und loben und weiterbringen. Denn er hat Talent und ist ein lebendiger, lustiger Kerl, um den wäre es Schade, wenn er sich der Pariser Melancholie und der école Allemande die am Ende nichts bedeutet als Unsinn, hingäbe, in Frankfurt zu leben, wäre ihm besser, als hier, dort hat er Schelble und Ries und Schnyder und andre, die doch tüchtige Leute sind und ihm was über seine Sachen sagen können, während er sie hier, wie er mir sagt, nicht einer Seele zeigt, und zeigen kann. Hat da eine Ouvertüre zu Faust geschrieben, die bei Gott so matt toll ist, wie sie nur je ein Franzose hätte machen können, der die Deutsche „Schule“ nachahmt, und eine Sinfonie, in der die hübschesten Sachen von der Welt vorkommen, das loben und tadeln ihm die Leute aber alles ohne Unterschied, da soll ein andrer nicht confus werden. Überhaupt ich habe heute und die ganze Woche so eine von den unangenehmen Stimmungen erlebt, wo man sich weiter wünscht und mit sich selbst unzufrieden ist; es geht mir fast immer so, wenn ich lange nichts componirt habe, das wollte ich eigentlich hier thun und komme bis jetzt nun vor Aeußerlichkeiten nicht dazu, sehe sogar kaum ab, wie ich hier gar dazu kommen soll. Ich muß mich entweder ganz von allen Leuten weg und in mich selbst zurück ziehen, oder es giebt einen unbehaglichen Winter. Wären wir nur hier zusammen, dann wäre es mit einem Male gut. Wir hätten wohl tausend Sachen mit einander zu besprechen und wollten einige Musik mit einander anfangen. Franck ist ein süperber Kerl, aber leider ist seine ganze Lebensart und sein ganzes Denken viel zu weit von dem entfernt, was ich für recht und nothwendig halte, als daß wir jemals auf einem näheren Fuß mit einander stehen könnten; wie wir vor 7 Jahren standen und in 7 Jahren stehn werden, sind wir noch heut, aber dabei habe ich ihn herzlich lieb und bin sehr gern mit ihm zusammen, weil er aufgeweckt und lebendig ist. Was nun aber die Musiker betrifft, so amüsiren sie mich ganz einzig in einer Zeit, wo ich mit mir selbst nichts zu schaffen habe und im Klaren bin, wo ich eine große Arbeit im Kopfe oder in der Arbeit habe; ist das aber nicht der Fall und habe ich mit mir allein zu thun so könnte ich sie gern todtschlagen mit ihren satten Gesichtern und ihrer müden twopennyMelancholie. Heut Mittag esse ich bei Kalkbrenner mit dem ich mich über Kreuz liebe, und morgen bei Pixis, der meinen doppelten Contrapunct achtet; im conservatoire Concert wird wahrscheinlich eine Sinfonie von mir aufgeführt werden, und wenn der letzte Strich davon vorbei ist, so bin ich wahrscheinlich mit einem Fuß im Reisewagen und mit dem andern in Calais mit dem dritten dann in Dovor und mit allem Zubehör in Bury Str. und beim Brüderchen. Ein gutes ist hier in Paris. Du meinst die Freiheit? Nein die Taglioni. Ich höre, Du schwärmst auch für ihren Tanz; ich aber schwärme für die ganze Person, sie ist eine Künstlerinn und tanzt liebenswürdig unschuldig. Soll ich sie denn persönlich kennen lernen? Sie scheint der einzige Musiker in Paris zu sein; aber am Ende mach’ ich mir damit all’ meine schönen Ideen von ihr zu nichte; denn sie will oder wird heirathen und vom Theater gehen, Gräfinn oder wer weiß was werden, und das hole der Teufel. Es ist aber eine vollkommene Erscheinung; so ist der Tanz. Bis jetzt habe ich sie nur in Robert le diable gehört, da macht sie eine gespenstige Nonne, die den dicken Nourrit verführen will. Das Ding ist rührend, denn erstens ist sie viel unschuldiger, als der dicke Kerl samt dem ganzen Publikum, dann läßt er sich endlich bereden sie zu umarmen und zu küssen, wobei Publikum klatscht, dann sind andre Nonnen die ihn auch verführen wollen, die sehen aus wie Möpse und Kater gegen das liebe Kind, und endlich möchte man seine ganze Musik an den Nagel hängen und auch den Nourrit studiren, der es so gut hat, und sich dabei beträgt, wie Professor Gans, mit dem er überhaupt in Gesicht, Figur, Betragen große Aehnlichkeit hat. Die Oper selbst gefällt ungemein, und ist eine von den tausenden, die nicht anders sind, als die andern tausend; das sujet ist elend, confus und so kalt verrückt phantastisch, wie man es sich von einem jeune France nur erwarten kann, die Musik ist ganz vernünftig. An Effect fehlt es nicht, er ist immer wohlberechnet, viel Pikantes ist an den rechten Stellen angebracht, Melodie für das Nachsingen, Harmonie für die Gebildeteren, Instrumentirung für die Deutschen, Contretänze für die Franzosen, etwas für jeden – aber ein Herz ist nicht dabei. Solch ein Werk verhält sich zu einem Kunstwerk wie die Decorationsmalerei zur Malerei; mehr Effect macht am Ende die Decoration, aber wenn man sie genau ansieht, so merkt man daß sie mit den Füßen gemalt ist. Es ist wieder wie ich anfangs behauptete; Musik ist es nicht, ein Gedicht auch nicht, Alles andre unnachahmlich schön. Das ist eben betrübt Rellstab. Eben lese ich den Brief noch einmal und möchte mich todtlachen über meinen Leichenbitterton. Es ist Alles nicht so schlimm; betrübt ist es gar nicht, und ein Unglück noch viel weniger, sondern es ist Paris und es sind die Franzosen. Wer einem jungen Deutschen Musiker verdenkt, daß er drüber mäßig ras’t, der müßte nicht Klingemann sein; mein ganzer Brief hat den Spleen und ich habe ihn auch ganz und gar; das kommt aber nicht von Paris, sondern davon, daß ich sehr lange nichts componirt habe. Kannst Du mir etwa dazu verhelfen und einen kleinen Liedertext schicken? Sey er wie er wolle, wenn er nur schön ist. Und von Dir. Ich möchte sehr gern ein wunderschönes Lied componiren. Daß Du mir dennoch keinen schickst, weiß ich sehr wohl, aber ich will es doch gesagt haben; eben deshalb habe ich jetzt mit Immermann mich über einen Operntext verständigt, den er mir bis zum Frühjahr für München macht; Du bist eigentlich der wahre Mann dazu und kannst es wie kein andrer; aber Du willst nicht. (Hier folgt eine Brummscene aus der Kniekrankheitszeit; Klingem. trägt mich ohne ein Wort zu sagen auf den Sofa, und rollt mich in die Stube; ein Schweigen, das 2 Tage dauert. ) Aber weißt Du, Lieber, antworten mußt Du, und zwar gleich; denn nun sind wir einander nah, können schnell correspondiren, und ich habe Dir viele Dinge zu sagen, die alle so bei Briefgelegenheit zum Vorschein kommen müssen. Grahl kam in Düsseldorf Abends ins Zimmer; hatte Euch beide gesehen, aber gekannt hat er Euch nicht das sehe ich an seinen Portraits von Euch. Überhaupt langweilte er mich ein wenig mit seiner gräßlichen Windsorrenommage und seinem yo & el rey, schimpft auch auf England, und meint das einzige Haus, wo man ihn freundlich aufgenommen und wo er sich wohl gefühlt hätte, sei das königliche. Meinen Bruder Paul grüße ein Paarmal, und sage, er möge nicht brummen über mein langes Pausiren; ich schreibe ihm in den nächsten Tagen. Sag’ ihm, daß ich Auftrag auf ein Oratorium habe, das den Titel seines Namensvetters, des Apostels, führen wird, und in dem eine Predigt vorkommen soll. Sag’ ihm, er möge froh und wohl sein, und mich lieb haben, sage das Dir selbst, schreibe mir aber ganz gleich, einen Brief in dem gar nichts zu stehn braucht, der mich aber vergnügt macht. Leb wohl F.
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1831-12-20" xml:id="date_5e02055d-8b9b-4c96-a789-ff81a44b4efc">20. 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Wie gesagt, kommen konnte ich nicht früher, das war nicht möglich; aber schreiben hätte ich Dir freilich sollen; Du aber sey mir nicht böse deshalb, wir sehen uns nun bald wieder, so Gott will, dann Alles Übrige. – Ich möchte aber, ich wäre schon in London, denn gestern wie ich in den Zeitungen die Fortschritte der Cholera las, die in Newcastle eingetroffen ist, wurde mir etwas bange, ob sie nicht am Ende auch nach der Stadt kommen sollte, und ob mir <persName xml:id="persName_3e60c1bc-1b41-4328-8d2b-18a69ff0c948">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> dann erlauben würde hinüberzugehen, da er ohnedies deswegen besorgt scheint. Lieber wäre mir es, diese Episode spielte in Frankreich und ich könnte mich zu Euch hinüber retten, damit ich nicht den ganzen Winter hier zu bleiben brauchte; bis jetzt fühle ich mich hier sehr unbehaglich. 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Wenn ich mal eine Masse großer Werke gemacht habe, dann will ich herkommen und mich ehren lassen nach Herzenslust, bis dahin will ich in Deutschland bleiben – das ist der Eindruck, den mir Paris diesmal gemacht hat. – Man kommt dann gar zu leicht dazu, sich selbst sehr vortrefflich und gar viel größer, als alle andern zu finden, zieht einen geistigen Schlafrock an und wird geistiger Bürgermeister; das muß aber nicht sein, und darum will ich auch mein Mögliches thun den <persName xml:id="persName_86cca4b9-a6c6-4279-b88a-f9dc755a41b1">Hiller<name key="PSN0112003" style="hidden">Hiller, Ferdinand (seit 1875) von (1811-1885)</name></persName>, der sich vornimmt hier ganz zu bleiben, wieder nach Deutschland zu bereden. 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Überhaupt ich habe heute und die ganze Woche so eine von den unangenehmen Stimmungen erlebt, wo man sich weiter wünscht und mit sich selbst unzufrieden ist; es geht mir fast immer so, wenn ich lange nichts componirt habe, das wollte ich eigentlich hier thun und komme bis jetzt nun vor Aeußerlichkeiten nicht dazu, sehe sogar kaum ab, wie ich hier gar dazu kommen soll. Ich muß mich entweder ganz von allen Leuten weg und in mich selbst zurück ziehen, oder es giebt einen unbehaglichen Winter. Wären wir nur hier zusammen, dann wäre es mit einem Male gut. Wir hätten wohl tausend Sachen mit einander zu besprechen und wollten einige Musik mit einander anfangen. <persName xml:id="persName_3a1c5a6a-0af5-4556-a8f9-4f59c4fc2ac6">Franck<name key="PSN0111123" style="hidden">Franck, Georg Hermann (1802-1855)</name></persName> ist ein süperber Kerl, aber leider ist seine ganze Lebensart und sein ganzes Denken viel zu weit von dem entfernt, was ich für recht und nothwendig halte, als daß wir jemals auf einem näheren Fuß mit einander stehen könnten; wie wir vor 7 Jahren standen und in 7 Jahren stehn werden, sind wir noch heut, aber dabei habe ich ihn herzlich lieb und bin sehr gern mit ihm zusammen, weil er aufgeweckt und lebendig ist. Was nun aber die Musiker betrifft, so amüsiren sie mich ganz einzig in einer Zeit, wo ich mit mir selbst nichts zu schaffen habe und im Klaren bin, wo ich eine große Arbeit im Kopfe oder in der Arbeit habe; ist das aber nicht der Fall und habe ich mit mir allein zu thun so könnte ich sie gern todtschlagen mit ihren satten Gesichtern und ihrer müden twopennyMelancholie.</p><p><date cert="high" when="1831-12-20" xml:id="date_fc7238a0-df4e-4ebc-a569-4576310d1864">Heut Mittag</date> esse ich bei <persName xml:id="persName_76f8e21b-b4cc-4176-b5f8-98019990edd6">Kalkbrenner<name key="PSN0112301" style="hidden">Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849)</name></persName> mit dem ich mich über Kreuz liebe, und morgen bei <persName xml:id="persName_00670958-fd2e-4b1c-b1a7-853b13d82234">Pixis<name key="PSN0113894" style="hidden">Pixis, Johann Peter (1788-1874)</name></persName>, der meinen doppelten Contrapunct achtet; im <placeName xml:id="placeName_6f2941e6-06af-463e-a9e2-996b16ee8092">conservatoire<name key="NST0100349" style="hidden" subtype="" type="institution">Conservatoire de Musique</name><settlement key="STM0100105" style="hidden" type="">Paris</settlement><country style="hidden">Frankreich</country></placeName> Concert wird wahrscheinlich <title xml:id="title_a020fd01-2e95-46dd-b8ca-f46c04c10c13">eine Sinfonie von mir<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_vmcartew-hmdv-ehh0-2k4k-mgv2dwsjq0b8"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="symphonies" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100341" style="hidden">Sinfonie d-Moll (»Reformations-Sinfonie«) für Orchester, [1829] bis 12. Mai 1830; 11. November 1832<idno type="MWV">N 15</idno><idno type="op">107</idno></name></title> aufgeführt werden, und wenn der letzte Strich davon vorbei ist, so bin ich wahrscheinlich mit einem Fuß im Reisewagen und mit dem andern in Calais mit dem dritten dann in Dovor und mit allem Zubehör in Bury Str. und beim <persName xml:id="persName_8e80d611-4302-4549-8905-de3a44341336">Brüderchen<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName>. Ein gutes ist hier in Paris. Du meinst die Freiheit? Nein die <persName xml:id="persName_d4ebff33-7631-484b-ada0-afa7f90a47a8">Taglioni<name key="PSN0115238" style="hidden">Taglioni, Marianne (Marie) Sophie (1804-1884)</name></persName>. Ich höre, Du schwärmst auch für ihren Tanz; ich aber schwärme für die ganze Person, sie ist eine Künstlerinn und tanzt liebenswürdig unschuldig. Soll ich sie denn persönlich kennen lernen? Sie scheint der einzige Musiker in Paris zu sein; aber am Ende mach’ ich mir damit all’ meine schönen Ideen von ihr zu nichte; denn sie will oder wird heirathen und vom Theater gehen, Gräfinn oder wer weiß was werden, und das hole der Teufel. Es ist aber eine vollkommene Erscheinung; so ist der Tanz. Bis jetzt habe ich sie nur in <title xml:id="title_07dc7278-3d04-40cf-9198-686ed6eeeb0c">Robert le diable<name key="PSN0113318" style="hidden" type="author">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name><name key="CRT0109979" style="hidden" type="music">Robert le diable</name></title> gehört, da macht sie eine gespenstige Nonne, die <persName xml:id="persName_2f6e19a3-1ee9-4640-a09a-285287d9ac7a">den dicken Nourrit<name key="PSN0113618" style="hidden">Nourrit, Adolphe (1802-1839)</name></persName> verführen will. Das Ding ist rührend, denn erstens ist sie viel unschuldiger, als der dicke Kerl samt dem ganzen Publikum, dann läßt er sich endlich bereden sie zu umarmen und zu küssen, wobei Publikum klatscht, dann sind andre Nonnen die ihn auch verführen wollen, die sehen aus wie Möpse und Kater gegen das liebe Kind, und endlich möchte man seine ganze Musik an den Nagel hängen und auch den <persName xml:id="persName_ed05cfde-6810-4f18-9732-fbb96b8ebd72">Nourrit<name key="PSN0113618" style="hidden">Nourrit, Adolphe (1802-1839)</name></persName> studiren, der es so gut hat, und sich dabei beträgt, wie <persName xml:id="persName_4c91f208-22c6-4068-97f7-eb75df7039b6">Professor Gans<name key="PSN0111279" style="hidden">Gans, Eduard (bis 1825: Elias) (1797-1839)</name></persName>, mit dem er überhaupt in Gesicht, Figur, Betragen große Aehnlichkeit hat. <title xml:id="title_12b6c14f-5ab6-4718-856f-210f3b16dbb5">Die Oper<name key="PSN0113318" style="hidden" type="author">Meyerbeer (vorh. Liebmann Meyer Beer), Giacomo (Jakob) (1791-1864)</name><name key="CRT0109979" style="hidden" type="music">Robert le diable</name></title> selbst gefällt ungemein, und ist eine von den tausenden, die nicht anders sind, als die andern tausend; das sujet ist elend, confus und so kalt verrückt phantastisch, wie man es sich von einem jeune France nur erwarten kann, die Musik ist ganz vernünftig. An Effect fehlt es nicht, er ist immer wohlberechnet, viel Pikantes ist an den rechten Stellen angebracht, Melodie für das Nachsingen, Harmonie für die Gebildeteren, Instrumentirung für die Deutschen, Contretänze für die Franzosen, etwas für jeden – aber ein Herz ist nicht dabei. Solch ein Werk verhält sich zu einem Kunstwerk wie die Decorationsmalerei zur Malerei; mehr Effect macht am Ende die Decoration, aber wenn man sie genau ansieht, so merkt man daß sie mit den Füßen gemalt ist. Es ist wieder wie ich anfangs behauptete; Musik ist es nicht, ein Gedicht auch nicht, Alles andre unnachahmlich schön. <title xml:id="title_98965415-e3de-4ee6-93be-ca18d79eb777">Das ist eben betrübt Rellstab<name key="PSN0114173" style="hidden" type="author">Richter, Johann Paul Friedrich (Pseud.: Jean Paul) (1763-1825)</name><name key="CRT0110453" style="hidden" type="literature">Flegeljahre. Eine Biographie</name></title>.</p><p>Eben lese ich den Brief noch einmal und möchte mich todtlachen über meinen Leichenbitterton. Es ist Alles nicht so schlimm; betrübt ist es gar nicht, und ein Unglück noch viel weniger, sondern es ist Paris und es sind die Franzosen. Wer einem jungen Deutschen Musiker verdenkt, daß er drüber mäßig ras’t, der müßte nicht <persName xml:id="persName_b1d87a33-9f30-4282-9dff-d9c6b54288fd">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName> sein; mein ganzer Brief hat den Spleen und ich habe ihn auch ganz und gar; das kommt aber nicht von Paris, sondern davon, daß ich sehr lange nichts componirt habe. Kannst Du mir etwa dazu [ver]helfen und einen kleinen Liedertext schicken? Sey er wie er wolle, wenn er nur schön ist. [Und von] Dir. Ich möchte sehr gern ein wunderschönes Lied componiren. Daß Du mir dennoch keinen schickst, weiß ich sehr wohl, aber ich will es doch gesagt haben; eben deshalb habe ich jetzt mit <title xml:id="title_971df0a1-935c-45f9-9820-31efd27fee91">Immermann<name key="PSN0112169" style="hidden" type="author">Immermann, Karl Leberecht (1796-1840)</name><name key="CRT0109449" style="hidden" type="dramatic_work">Der Sturm (Libretto)</name></title> mich über einen Operntext verständigt, den er mir bis zum Frühjahr für München macht; Du bist eigentlich der wahre Mann dazu und kannst es wie kein andrer; aber Du willst nicht. (Hier folgt eine Brummscene aus der Kniekrankheitszeit; <persName xml:id="persName_4b40be9f-3ace-4b64-8e24-6c9b770d4d20">Klingem.<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName> trägt mich ohne ein Wort zu sagen auf den Sofa, und rollt mich in die Stube; ein Schweigen, das 2 Tage dauert.) Aber weißt Du, Lieber, antworten mußt Du, und zwar gleich; denn nun sind wir einander nah, können schnell correspondiren, und ich habe Dir viele Dinge zu sagen, die alle so bei Briefgelegenheit zum Vorschein kommen müssen. <persName xml:id="persName_1c24f560-0108-470e-a589-45e2f5cf7fdf">Grahl<name key="PSN0111507" style="hidden">Grahl, August (1791-1868)</name></persName> kam in Düsseldorf Abends ins Zimmer; hatte Euch beide gesehen, aber gekannt hat er Euch nicht das sehe ich an seinen Portraits von Euch. Überhaupt langweilte er mich ein wenig mit seiner gräßlichen Windsorrenommage und seinem yo & el rey, schimpft auch auf England, und meint das einzige Haus, wo man ihn freundlich aufgenommen und wo er sich wohl gefühlt hätte, sei das königliche. Meinen Bruder <persName xml:id="persName_8c6ef8a9-0c84-43b3-adb7-038692c56544">Paul<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName> grüße ein Paarmal, und sage, er möge nicht brummen über mein langes Pausiren; ich schreibe ihm in den nächsten Tagen. Sag’ ihm, daß ich Auftrag auf ein <title xml:id="title_65bd9717-7fa0-494e-879d-594c03a3a6d5">Oratorium<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_d0nuxplf-zh89-jdbu-pnjz-fnplytji7op4"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_vocal_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100114" style="hidden">Paulus / St. Paul, Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel, [1832] bis 18. April 1836<idno type="MWV">A 14</idno><idno type="op">36</idno></name></title> habe, das den Titel <persName xml:id="persName_2007af92-1704-4db5-ba1e-0ce5fbbeaa97">seines Namensvetters<name key="PSN0113774" style="hidden">Paulus von Tarsus (hebr. Saulus)</name></persName>, des Apostels, führen wird, und in dem eine Predigt vorkommen soll. Sag’ ihm, er möge froh und wohl sein, und mich lieb haben, sage das Dir selbst, schreibe mir aber ganz gleich, einen Brief in dem gar nichts zu stehn braucht, der mich aber vergnügt macht. <seg type="closer" xml:id="seg_596808cc-bba9-4886-bcc5-60ccc8d2e18f">Leb wohl</seg></p><signed rend="right">F.</signed></div></body> </text></TEI>