fmb-1831-08-28-03
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Luzern, 28. August 1831
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Wenn es mir auch nicht möglich ist, hier in den Bergen, auf der Fußreise Ihnen zu schreiben, wie ich es sollte und irgend etwas Ihnen zu berichten, das Sie nur für einen Augenblick interessirte, so kann ich es doch heut nicht lassen, weil mir von jeher an diesem Tage so glücklich zu Muth war und weil ich ihn mir jedes Jahr gefeiert habe. Da möchte ich denn diesmal gar zu gerne Ihnen sagen können, wie ich mich an dem Tage immer ganz besonders freue, daß ich gerade in dieser Zeit lebe und daß ich gerade ein Deutscher bin; verzeihen Sie mir deshalb, daß ich von Ihrer gütigen Erlaubniß, an Sie zu schreiben, wieder Gebrauch mache. Ich wollte aussprechen, wie glücklich uns Alle der heutige Tag macht, und weiß es nun doch nicht zu sagen. Da ich Ihnen von allen Hauptpuncten meiner Reise Bericht erstatten soll, so darf ich denn freilich die Schweiz nicht auslassen, die von jeher mein Lieblingsland gewesen ist. Die Zeit, wo ich jetzt so ganz allein zu Fuß in den Bergen umhergestreift bin, ohne jemand zu kennen, ohne an etwas zu denken, als an das was ich in jedem Augenblick Neues Herrliches sah, die ist mir wohl unvergeßlich. Ich kam aus dem Lande des heitern Himmels und der Wärme; die Schweiz hat sich dann freilich gleich anders angekündigt, ich hatte Regen und Sturm und Nebel, mußte mich sogar auf den Bergen oft beschneien lassen. Aber ich weiß nicht, wie es kam, daß mir sogar das behagte und wenn sich aus den Wolken zuweilen ein Paar schwarze Felshörner erhoben, oder ein ganzes Land im Sonnenschein mitten aus dem Nebel auftauchte, das ist wohl auch etwas Prächtiges. So habe ich mich denn durch allen Sturm nicht abhalten lassen herumzusteigen, so viel ich konnte; der ten Abends brach ein starkes Gewitter los, das die ganze Nacht durch mit fortwährendem Regen anhielt, am Morgen war es aber, als wenn nicht Regen, sondern Wolken heruntergekommen wären, denn so tief habe ich niemals die Wolken liegen sehen, sie hatten sich weit und breit um den Fuß der Berge ins Thal hinein gelagert, ganz weiß und dick, und der Himmel drüber war voll schwarzem Nebel. Es regnete eine Zeitlang nicht, bis die Wolken unten anfingen sich zu bewegen und hin und her zu ziehen; da dauerte das Regnen wieder den ganzen Tag und die ganze Nacht, aber den dritten Morgen am 9ten hatten sich nun erst die eigentlichen Massen gesammelt, aus Wolken und Nebeldunst, und die ganze Breite des Horizonts und der Himmel waren davon eingenommen, wie man sonst Gewitter auf heiterm Himmel aufziehn sieht, so thürmte sich hier ein Wolkenheer übers andre und zog übers Land von der Ebne in Nord Westen in die südöstlichen Berge hinein. Man konnte das gegenüberstehende Ufer des Sees durchaus nicht erkennen, in den Zwischenräumen während eine Wolkenschicht vorüber war, regnete es nicht, und fing dann aus der nächsten in einem Moment und mit unbeschreiblicher Wuth an. Nun standen alle Fußwege voll Wasser, Quellen liefen auf den Straßen hin und her, die Bergströme ras’ten ganz toll; sie waren dunkelbraun, es sah aus als spränge im Flußbett lauter dunkle Erde über einander und wälze sich in den See, man konnte weithin die schwarzen Streifen im hellen See noch unterscheiden. Die kleineren Brücken waren alle gleich am Morgen schon mit fortgenommen, an den größern steinernen wurden die Pfeiler und Bögen eingerissen, ein Waldstrom brachte Hausgeräth und Möbel mit in den See, ohne daß man noch wußte, wo die Häuser zerstört waren; als ich in den folgenden Tagen, wo das Regnen aufhörte, ins Lauterbrunner Thal kam, so war der breite Fahrweg spurlos verschwunden, ein Geröll von Steinen, Sand und hohen Felsblöcken überdeckte eine Viertelmeile weit die Stelle, wo er gegangen sein soll. Dasselbe Unheil war an dem Tage fast im ganzen Land, auf dem Gotthard, in Unterwalden, Glarus u. s. w. Da war es dann zuweilen schwer durchzukommen, man mußte oft über die Berge, weil im Thal das Wasser keinen Platz ließ, aber auf den Bergen war es dafür dann desto schöner Die letzte Woche noch habe ich in einem Unterwaldener Kloster, Engelberg, zugebracht, mehrere 1000 Fuß über dem Meer, in der größten Einsamkeit, wo ich eine
Eben komme ich aus dem
Verzeihen mir Ew. Excellenz nur, daß ich es wage, an Sie solche Kleinigkeiten zu schreiben, aber wenn ich versuchen wollte, Ihnen zu sagen, wie mir am heutigen Tage zu Muth ist, so wäre es dasselbe, was Sie von allen Menschen, den größten und höchsten, schon so oft gehört haben, und es wäre Ihnen noch unbedeutender; da verschweige ich es lieber.
Daß ich die Kühnheit gehabt habe,
Dürft’ ich Sie bitten an
stenAugust 1831
Ew. Excellenz Wenn es mir auch nicht möglich ist, hier in den Bergen, auf der Fußreise Ihnen zu schreiben, wie ich es sollte und irgend etwas Ihnen zu berichten, das Sie nur für einen Augenblick interessirte, so kann ich es doch heut nicht lassen, weil mir von jeher an diesem Tage so glücklich zu Muth war und weil ich ihn mir jedes Jahr gefeiert habe. Da möchte ich denn diesmal gar zu gerne Ihnen sagen können, wie ich mich an dem Tage immer ganz besonders freue, daß ich gerade in dieser Zeit lebe und daß ich gerade ein Deutscher bin; verzeihen Sie mir deshalb, daß ich von Ihrer gütigen Erlaubniß, an Sie zu schreiben, wieder Gebrauch mache. Ich wollte aussprechen, wie glücklich uns Alle der heutige Tag macht, und weiß es nun doch nicht zu sagen. Da ich Ihnen von allen Hauptpuncten meiner Reise Bericht erstatten soll, so darf ich denn freilich die Schweiz nicht auslassen, die von jeher mein Lieblingsland gewesen ist. Die Zeit, wo ich jetzt so ganz allein zu Fuß in den Bergen umhergestreift bin, ohne jemand zu kennen, ohne an etwas zu denken, als an das was ich in jedem Augenblick Neues Herrliches sah, die ist mir wohl unvergeßlich. Ich kam aus dem Lande des heitern Himmels und der Wärme; die Schweiz hat sich dann freilich gleich anders angekündigt, ich hatte Regen und Sturm und Nebel, mußte mich sogar auf den Bergen oft beschneien lassen. Aber ich weiß nicht, wie es kam, daß mir sogar das behagte und wenn sich aus den Wolken zuweilen ein Paar schwarze Felshörner erhoben, oder ein ganzes Land im Sonnenschein mitten aus dem Nebel auftauchte, das ist wohl auch etwas Prächtiges. So habe ich mich denn durch allen Sturm nicht abhalten lassen herumzusteigen, so viel ich konnte; der Führer wollte zuweilen nicht mit, ich habe oft gar nichts gesehn, aber ich habe es doch versucht und kam dann einmal ein schöner Tag, so war die Freude doppelt. Mir ist, als bekäme ich hier noch mehr Respect vor der Natur und sey ihr noch näher gegen über, als anderswo; das Land und die Leute hängen hier eben ganz allein von ihr ab. Sie werden von den furchtbaren Überschwemmungen und Wolkenbrüchen wissen, die im Berner Oberlande gewüthet haben; ich war gerade um die Zeit dort, und da war es schauerlich zu sehen, wie Alles, was von Menschen herrührte, sogar das Festeste, so leicht und augenblicklich verschwunden war, spurlos, als wäre es nie da gewesen: Straßen, Brücken, Wiesen und Häuser; nach drei Tagen war Alles in der Natur wieder still und freundlich, als sey nichts geschehen, und die Menschen fingen wieder an ihre zerstörten Arbeiten herzustellen, so gut es anging. Ich war gerade damals allein ohne Führer unterwegs am Thuner See und seit dem Tage, wo Sie mir von Ihren Beobachtungen über Wetter und Wolken erzählten habe ich ein eignes Interesse dafür bekommen und mehr darauf gemerkt, wie es oben zugeht; da konnte ich genau sehen, wie sich nach und nach das Unwetter bildete. Es hatten sich zwei Tage lang Wolken gesammelt, und endlich am 7ten Abends brach ein starkes Gewitter los, das die ganze Nacht durch mit fortwährendem Regen anhielt, am Morgen war es aber, als wenn nicht Regen, sondern Wolken heruntergekommen wären, denn so tief habe ich niemals die Wolken liegen sehen, sie hatten sich weit und breit um den Fuß der Berge ins Thal hinein gelagert, ganz weiß und dick, und der Himmel drüber war voll schwarzem Nebel. Es regnete eine Zeitlang nicht, bis die Wolken unten anfingen sich zu bewegen und hin und her zu ziehen; da dauerte das Regnen wieder den ganzen Tag und die ganze Nacht, aber den dritten Morgen am 9ten hatten sich nun erst die eigentlichen Massen gesammelt, aus Wolken und Nebeldunst, und die ganze Breite des Horizonts und der Himmel waren davon eingenommen, wie man sonst Gewitter auf heiterm Himmel aufziehn sieht, so thürmte sich hier ein Wolkenheer übers andre und zog übers Land von der Ebne in Nord Westen in die südöstlichen Berge hinein. Man konnte das gegenüberstehende Ufer des Sees durchaus nicht erkennen, in den Zwischenräumen während eine Wolkenschicht vorüber war, regnete es nicht, und fing dann aus der nächsten in einem Moment und mit unbeschreiblicher Wuth an. Nun standen alle Fußwege voll Wasser, Quellen liefen auf den Straßen hin und her, die Bergströme ras’ten ganz toll; sie waren dunkelbraun, es sah aus als spränge im Flußbett lauter dunkle Erde über einander und wälze sich in den See, man konnte weithin die schwarzen Streifen im hellen See noch unterscheiden. Die kleineren Brücken waren alle gleich am Morgen schon mit fortgenommen, an den größern steinernen wurden die Pfeiler und Bögen eingerissen, ein Waldstrom brachte Hausgeräth und Möbel mit in den See, ohne daß man noch wußte, wo die Häuser zerstört waren; als ich in den folgenden Tagen, wo das Regnen aufhörte, ins Lauterbrunner Thal kam, so war der breite Fahrweg spurlos verschwunden, ein Geröll von Steinen, Sand und hohen Felsblöcken überdeckte eine Viertelmeile weit die Stelle, wo er gegangen sein soll. Dasselbe Unheil war an dem Tage fast im ganzen Land, auf dem Gotthard, in Unterwalden, Glarus u. s. w. Da war es dann zuweilen schwer durchzukommen, man mußte oft über die Berge, weil im Thal das Wasser keinen Platz ließ, aber auf den Bergen war es dafür dann desto schöner Die letzte Woche noch habe ich in einem Unterwaldener Kloster, Engelberg, zugebracht, mehrere 1000 Fuß über dem Meer, in der größten Einsamkeit, wo ich eine hübsche Orgel und freundliche Mönche fand. Sie hatten niemals den Namen von Seb. Bach gehört da kam es ihnen ganz curios vor, als ich ein Paar von seinen Fugen spielte; es gefiel ihnen aber doch, ich mußte am Festtag den Organistendienst versehn, die Messe begleiten und die Responsorien machen; es war das erstemal, daß ich wieder eine ordentliche Orgel unter die Hände bekam, denn in Italien habe ich keine in erträglichem Zustande gefunden, noch dazu hatten die Mönche eine hübsche Bibliothek; Politik, Fremde und Zeitungen kamen da ins Thal gar nicht hin, so habe ich eine frohe Zeit dort zugebracht. Auch das Wetter hat sich aufgeklärt und namentlich heut ist es, als wolle die ganze Natur den Tag feiern und sich freuen; es ist der heiterste blaue Himmel, die Berge haben sich mit den hellsten Farben geschmückt, die Landschaft sieht ganz festtäglich und froh aus, als ob sie wüßten was es für ein Feiertag sei. Eben komme ich aus dem Theater, dem einzigen in der ganzen Schweiz, wo sie Wilhelm Tell von Schiller geben; da jetzt nämlich die Tagessatzung hier ist, so weichen die Schweizer von ihrer Gewohnheit ab, lieber gar kein Theater zu haben, als ein schlechtes. Und weil es das einzige im Lande ist, erlauben Sie mir ein Paar Worte über die vaterländische Vorstellung zu sagen. Zehn Leute sind etwa in der ganzen Truppe vorhanden und die Bühne so groß und hoch, wie ein mäßiges Cabinet; sie wollten aber doch gern die großen Volksscenen geben; da stellten denn zwei in spitzen Hüten mit Spießen Geßlers Heer vor, zwei andre mit runden Hüten die Schweizer Landleute, alle Nebenpersonen kamen gar nicht vor, was sie Wichtiges zu sprechen hatten, ließen sie ohne Umstände weg und fuhren ruhig in den nächsten Worten ihrer Rolle fort, ohne allen Zusammenhang, wodurch zuweilen komische Sachen entstanden. Einige Schauspieler hatten nur den Sinn auswendig gelernt und brachten den augenblicklich in eigne Verse; der Ausrufer des Geßler schlug sich beim ersten Trommelschlag die Trommel vom Knopfloch los, daß sie auf die Erde fiel und konnte sie nicht wieder festmachen zur großen Freude des freiheitliebenden Publikums, das den Sklaven der Tyrannei sehr auslachte, und bei alle dem war das Stück nicht todtzumachen, und brachte seine Wirkung hervor. Wenn die wohlbekannten Namen und die Plätze, die man den Tag zuvor gesehn hatte, vorkamen, da waren sie alle selig, stießen einander an, und zeigten auf den pappenen See, den sie in der Natur viel besser sehen konnten, wenn sie aus dem Hause traten. Am meisten Vergnügen machte aber der Geßler, weil er sich sehr ungezogen betrug, und grimmig schrie und wüthete; er sah aus wie ein betrunkener Handwerker mit seinem verworrenen Bart, der rothen Nase und der schiefen Mütze; das ganze Ding war sehr Arkadisch und ursprünglich, wie die Kindheit des Schauspiels. Und wenn ich dabei nun an eine Spontinische Oper dachte, wo Alles so täuschend, ängstlich nachgeahmt ist, wo vierhundert Leute singen, um ein großes Heer vorzustellen, wo die Amboße gestimmt werden, um die Cyklopenschmiede anschaulich zu machen, wo die Decorationen alle Momente sich verändern, und eine immer mehr glänzt, als die andre – so kam mir am Ende das Luzerner Theater mit seinen höckerigen Seewellen noch natürlicher und täuschender vor; denn hier konnte die Einbildungskraft mitspielen und hatte viel zu thun, um mitzukommen, aber dort wird sie zusammengepreßt und ihr die Flügel beschnitten, mir wird immer ängstlich und fast kindisch dabei. Verzeihen mir Ew. Excellenz nur, daß ich es wage, an Sie solche Kleinigkeiten zu schreiben, aber wenn ich versuchen wollte, Ihnen zu sagen, wie mir am heutigen Tage zu Muth ist, so wäre es dasselbe, was Sie von allen Menschen, den größten und höchsten, schon so oft gehört haben, und es wäre Ihnen noch unbedeutender; da verschweige ich es lieber. Daß ich die Kühnheit gehabt habe, Ihre „erste Walpurgisnacht“ zu componiren, schrieb ich Ihnen schon von Rom aus; nun habe ich sie in Mailand fertig gemacht, es ist eine Art Cantate für Chor und Orchester geworden, länger und ausgedehnter, als ich zuerst gedacht hatte, weil die Aufgabe sich ausdehnte und größer ward und mir mehr sagte, je länger ich sie mit mir herumtrug. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank zu sagen für die himmlischen Worte; wenn der alte Druide sein Opfer bringt, und das Ganze so feierlich und unermeßlich groß wird, da braucht man gar keine Musik erst dazu zu machen, sie liegt so klar da, es klingt Alles schön ich habe mir immer schon die Verse vorgesungen, ohne daß ich dran dachte. Wenn ich in München wohin ich morgen abreise, und wo ich mich bis gegen Ende des Septembers aufhalten will einen guten Chor und die Gelegenheit dazu finde, so nehme ich mir vor, es dort aufzuführen. Das einzige, was ich hoffe ist, daß man es meiner Musik anhören mag, wie tief ich die Schönheit der Worte empfunden habe. Dürft’ ich Sie bitten an Ottilie und Ulrike meine herzlichsten Grüße und besten Wünsche zu sagen? Indem ich Sie nochmals ersuche mein heutiges Schreiben zu entschuldigen bin ich in unbegränzter EhrfurchtEw. Excellenz ergebensterFelix Mendelssohn Bartholdy. Lucern den 28sten August 1831
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1831-08-28" xml:id="date_c2849587-f6b4-4054-8705-05e1d0585da8">28. 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Die Zeit, wo ich jetzt so ganz allein zu Fuß in den Bergen umhergestreift bin, ohne jemand zu kennen, ohne an etwas zu denken, als an das was ich in jedem Augenblick Neues Herrliches sah, die ist mir wohl unvergeßlich. Ich kam aus dem Lande des heitern Himmels und der Wärme; die Schweiz hat sich dann freilich gleich anders angekündigt, ich hatte Regen und Sturm und Nebel, mußte mich sogar auf den Bergen oft beschneien lassen. Aber ich weiß nicht, wie es kam, daß mir sogar das behagte und wenn sich aus den Wolken zuweilen ein Paar schwarze Felshörner erhoben, oder ein ganzes Land im Sonnenschein mitten aus dem Nebel auftauchte, das ist wohl auch etwas Prächtiges. So habe ich mich denn durch allen Sturm nicht abhalten lassen herumzusteigen, so viel ich konnte; der <persName xml:id="persName_179aa06e-d965-431a-ba2f-cbac10e97df0">Führer<name key="PSN0113330" style="hidden">Michel, Christian (1808-1871)</name></persName> wollte zuweilen nicht mit, ich habe oft gar nichts gesehn, aber ich habe es doch versucht und kam dann einmal ein schöner Tag, so war die Freude doppelt. Mir ist, als bekäme ich hier noch mehr Respect vor der Natur und sey ihr noch näher gegen über, als anderswo; das Land und die Leute hängen hier eben ganz allein von ihr ab. Sie werden von den furchtbaren Überschwemmungen und Wolkenbrüchen wissen, die im Berner Oberlande gewüthet haben; ich war gerade um die Zeit dort, und da war es schauerlich zu sehen, wie Alles, was von Menschen herrührte, sogar das Festeste, so leicht und augenblicklich verschwunden war, spurlos, als wäre es nie da gewesen: Straßen, Brücken, Wiesen und Häuser; nach drei Tagen war Alles in der Natur wieder still und freundlich, als sey nichts geschehen, und die Menschen fingen wieder an ihre zerstörten Arbeiten herzustellen, so gut es anging. Ich war gerade damals allein ohne Führer unterwegs am Thuner See und seit dem Tage, wo Sie mir von Ihren Beobachtungen über Wetter und Wolken erzählten habe ich ein eignes Interesse dafür bekommen und mehr darauf gemerkt, wie es oben zugeht; da konnte ich genau sehen, wie sich nach und nach das Unwetter bildete. Es hatten sich zwei Tage lang Wolken gesammelt, und endlich am 7<hi rend="superscript">ten</hi> Abends brach ein starkes Gewitter los, das die ganze Nacht durch mit fortwährendem Regen anhielt, am Morgen war es aber, als wenn nicht Regen, sondern Wolken heruntergekommen wären, denn so tief habe ich niemals die Wolken liegen sehen, sie hatten sich weit und breit um den Fuß der Berge ins Thal hinein gelagert, ganz weiß und dick, und der Himmel drüber war voll schwarzem Nebel. Es regnete eine Zeitlang nicht, bis die Wolken unten anfingen sich zu bewegen und hin und her zu ziehen; da dauerte das Regnen wieder den ganzen Tag und die ganze Nacht, aber den dritten Morgen am 9<hi rend="superscript">ten</hi> hatten sich nun erst die eigentlichen Massen gesammelt, aus Wolken und Nebeldunst, und die ganze Breite des Horizonts und der Himmel waren davon eingenommen, wie man sonst Gewitter auf heiterm Himmel aufziehn sieht, so thürmte sich hier ein Wolkenheer übers andre und zog übers Land von der Ebne in Nord Westen in die südöstlichen Berge hinein. Man konnte das gegenüberstehende Ufer des Sees durchaus nicht erkennen, in den Zwischenräumen während eine Wolkenschicht vorüber war, regnete es nicht, und fing dann aus der nächsten in einem Moment und mit unbeschreiblicher Wuth an. Nun standen alle Fußwege voll Wasser, Quellen liefen auf den Straßen hin und her, die Bergströme ras’ten ganz toll; sie waren dunkelbraun, es sah aus als spränge im Flußbett lauter dunkle Erde über einander und wälze sich in den See, man konnte weithin die schwarzen Streifen im hellen See noch unterscheiden. Die kleineren Brücken waren alle gleich am Morgen schon mit fortgenommen, an den größern steinernen wurden die Pfeiler und Bögen eingerissen, ein Waldstrom brachte Hausgeräth und Möbel mit in den See, ohne daß man noch wußte, wo die Häuser zerstört waren; als ich in den folgenden Tagen, wo das Regnen aufhörte, ins Lauterbrunner Thal kam, so war der breite Fahrweg spurlos verschwunden, ein Geröll von Steinen, Sand und hohen Felsblöcken überdeckte eine Viertelmeile weit die Stelle, wo er gegangen sein soll. Dasselbe Unheil war an dem Tage fast im ganzen Land, auf dem Gotthard, in Unterwalden, Glarus u. s. w. Da war es dann zuweilen schwer durchzukommen, man mußte oft über die Berge, weil im Thal das Wasser keinen Platz ließ, aber auf den Bergen war es dafür dann desto schöner Die letzte Woche noch habe ich in einem Unterwaldener Kloster, Engelberg, zugebracht, mehrere 1000 Fuß über dem Meer, in der größten Einsamkeit, wo ich eine <placeName xml:id="placeName_b5530f85-6624-426f-b79e-158925573c02">hübsche Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> und freundliche Mönche fand. Sie hatten niemals den Namen von <persName xml:id="persName_646144b4-246e-4eb2-b62e-2a32fd3c24a3">Seb. Bach<name key="PSN0109617" style="hidden">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name></persName> gehört da kam es ihnen ganz curios vor, als ich ein Paar von seinen Fugen spielte; es gefiel ihnen aber doch, ich mußte am Festtag den Organistendienst versehn, die Messe begleiten und die Responsorien machen; es war das erstemal, daß ich wieder eine <placeName xml:id="placeName_02a8ca36-1bd0-4d1d-9a3d-d6776ca38e3d">ordentliche Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> unter die Hände bekam, denn in Italien habe ich keine in erträglichem Zustande gefunden, noch dazu hatten die Mönche eine hübsche Bibliothek; Politik, Fremde und Zeitungen kamen da ins Thal gar nicht hin, so habe ich eine frohe Zeit dort zugebracht. Auch das Wetter hat sich aufgeklärt und namentlich heut ist es, als wolle die ganze Natur den Tag feiern und sich freuen; es ist der heiterste blaue Himmel, die Berge haben sich mit den hellsten Farben geschmückt, die Landschaft sieht ganz festtäglich und froh aus, als ob sie wüßten was es für ein Feiertag sei. </p><p>Eben komme ich aus dem <placeName xml:id="placeName_0faadbfd-0d26-4736-aef6-575fee5758de">Theater<name key="NST0100378" style="hidden" subtype="" type="institution">Theater</name><settlement key="STM0100377" style="hidden" type="">Luzern</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName>, dem einzigen in der ganzen Schweiz, wo sie <title xml:id="title_7f14743f-5ac2-41fc-9288-d003e70374e0">Wilhelm Tell von Schiller<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title> geben; da jetzt nämlich die Tagessatzung hier ist, so weichen die Schweizer von ihrer Gewohnheit ab, lieber gar kein Theater zu haben, als ein schlechtes. Und weil es das einzige im Lande ist, erlauben Sie mir ein Paar Worte über die vaterländische Vorstellung zu sagen. Zehn Leute sind etwa in der ganzen Truppe vorhanden und die Bühne so groß und hoch, wie ein mäßiges Cabinet; sie wollten aber doch gern die großen Volksscenen geben; da stellten denn zwei in spitzen Hüten mit Spießen Geßlers Heer vor, zwei andre mit runden Hüten die Schweizer Landleute, alle Nebenpersonen kamen gar nicht vor, was sie Wichtiges zu sprechen hatten, ließen sie ohne Umstände weg und fuhren ruhig in den nächsten Worten ihrer Rolle fort, ohne allen Zusammenhang, wodurch zuweilen komische Sachen entstanden. Einige Schauspieler hatten nur den Sinn auswendig gelernt und brachten den augenblicklich in eigne Verse; der Ausrufer des Geßler schlug sich beim ersten Trommelschlag die Trommel vom Knopfloch los, daß sie auf die Erde fiel und konnte sie nicht wieder festmachen zur großen Freude des freiheitliebenden Publikums, das den Sklaven der Tyrannei sehr auslachte, und bei alle dem war das Stück nicht todtzumachen, und brachte seine Wirkung hervor. Wenn die wohlbekannten Namen und die Plätze, die man den Tag zuvor gesehn hatte, vorkamen, da waren sie alle selig, stießen einander an, und zeigten auf den pappenen See, den sie in der Natur viel besser sehen konnten, wenn sie aus dem Hause traten. Am meisten Vergnügen machte aber der <title xml:id="title_d339d527-8dfe-48d5-b2b9-318b65003436">Geßler<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title>, weil er sich sehr ungezogen betrug, und grimmig schrie und wüthete; er sah aus wie ein betrunkener Handwerker mit seinem verworrenen Bart, der rothen Nase und der schiefen Mütze; das ganze Ding war sehr Arkadisch und ursprünglich, wie die Kindheit des Schauspiels. Und wenn ich dabei nun an eine <title xml:id="title_c55253ce-1800-45b9-a731-6b5372f04593">Spontinische Oper<name key="PSN0115037" style="hidden" type="author">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name><name key="CRT0110964" style="hidden" type="music">Alcidor</name></title> dachte, wo Alles so täuschend, ängstlich nachgeahmt ist, wo vierhundert Leute singen, um ein großes Heer vorzustellen, wo die Amboße gestimmt werden, um die Cyklopenschmiede anschaulich zu machen, wo die Decorationen alle Momente sich verändern, und eine immer mehr glänzt, als die andre – so kam mir am Ende das <placeName xml:id="placeName_15e1647c-f802-4a39-9816-c3019d29d7cb">Luzerner Theater<name key="NST0100378" style="hidden" subtype="" type="institution">Theater</name><settlement key="STM0100377" style="hidden" type="">Luzern</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> mit seinen höckerigen Seewellen noch natürlicher und täuschender vor; denn hier konnte die Einbildungskraft mitspielen und hatte viel zu thun, um mitzukommen, aber dort wird sie zusammengepreßt und ihr die Flügel beschnitten, mir wird immer ängstlich und fast kindisch dabei.</p><p>Verzeihen mir Ew. Excellenz nur, daß ich es wage, an Sie solche Kleinigkeiten zu schreiben, aber wenn ich versuchen wollte, Ihnen zu sagen, wie mir am heutigen Tage zu Muth ist, so wäre es dasselbe, was Sie von allen Menschen, den größten und höchsten, schon so oft gehört haben, und es wäre Ihnen noch unbedeutender; da verschweige ich es lieber.</p><p>Daß ich die Kühnheit gehabt habe, <title xml:id="title_270731b1-b244-4f19-99cc-2df4257c1af1">Ihre „erste Walpurgisnacht“<name key="PSN0111422" style="hidden" type="author">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name><name key="CRT0108812" style="hidden" type="literature">Die erste Walpurgisnacht</name></title> <title xml:id="title_aeec740e-5d70-4699-a223-bec54f5f6f0b">zu componiren<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_ejiic5aq-9sxu-vlha-v1dr-m1kgviafuced"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="secular_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_secular_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100172" style="hidden">Die erste Walpurgisnacht, Ballade für Solostimmen, gemischten Chor und Orchester, [1830] bis 13. Februar 1832; Herbst 1840 bis Dezember 1842; 15. Juli 1843<idno type="MWV">D 3</idno><idno type="op">60</idno></name></title>, schrieb ich Ihnen schon von Rom aus; nun habe ich sie in Mailand fertig gemacht, es ist eine Art Cantate für Chor und Orchester geworden, länger und ausgedehnter, als ich zuerst gedacht hatte, weil die Aufgabe sich ausdehnte und größer ward und mir mehr sagte, je länger ich sie mit mir herumtrug. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank zu sagen für die himmlischen Worte; wenn der alte Druide sein Opfer bringt, und das Ganze so feierlich und unermeßlich groß wird, da braucht man gar keine Musik erst dazu zu machen, sie liegt so klar da, es klingt Alles schön ich habe mir immer schon die Verse vorgesungen, ohne daß ich dran dachte. Wenn ich in München wohin ich morgen abreise, und wo ich mich bis gegen Ende des Septembers aufhalten will einen guten Chor und die Gelegenheit dazu finde, so nehme ich mir vor, es dort aufzuführen. Das einzige, was ich hoffe ist, daß man es meiner Musik anhören mag, wie tief ich die Schönheit der Worte empfunden habe.</p><p>Dürft’ ich Sie bitten an <persName xml:id="persName_cbcbaada-0345-4fef-81a8-ca18e85b0a1e">Ottilie<name key="PSN0111425" style="hidden">Goethe, Ottilie Wilhelmine Ernestine Henriette von (1796-1872)</name></persName> und <persName xml:id="persName_4689131e-8096-4eef-8d95-057eb13383b1">Ulrike<name key="PSN0113923" style="hidden">Pogwisch, Ulrike Henriette Adele Eleonore Freiin von (1798-1875)</name></persName> meine herzlichsten Grüße und besten Wünsche zu sagen? Indem ich Sie nochmals ersuche mein heutiges Schreiben zu entschuldigen bin ich </p><closer rend="right" xml:id="closer_23095627-914d-424e-8012-cad2082f42ef">in unbegränzter Ehrfurcht</closer><closer rend="right" xml:id="closer_f34c160e-e7dc-42b7-bd19-a67f7623211c">Ew. Excellenz </closer><closer rend="right" xml:id="closer_e124e4ad-d4d6-46fe-ae5d-277484b17bbf">ergebenster</closer><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed><dateline rend="left">Lucern den <date cert="high" when="1831-08-28" xml:id="date_d88b1503-523f-45de-8177-0cdafce89284">28<hi rend="superscript">sten</hi> August 1831</date></dateline></div></body> </text></TEI>