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fmb-1831-08-28-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy <lb></lb>Engelberg, 23. bis Luzern, 28. August 1831 Das Herz ist mir so voll, da muß ich es Euch sagen. Eben habe ich mich hier im reizendsten Thal an Schillers Wilhelm Tell wieder gemacht, und nur eben die erste halbe Scene gelesen – Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 2, 454

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 13, fol. 85-86. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy; Engelberg, 23. bis Luzern, 28. August 1831 Das Herz ist mir so voll, da muß ich es Euch sagen. Eben habe ich mich hier im reizendsten Thal an Schillers Wilhelm Tell wieder gemacht, und nur eben die erste halbe Scene gelesen –

4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.

Felix Mendelssohn Bartholdy

Green Books

Mendelssohn, Reisebriefe, S. 244-252 (Teildruck). Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 223-231 (Teildruck). Mendelssohn, Schweizer Reise 1831, S. 45-55 (Teildruck).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

23., 24. und 28. August 1831 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Engelberg Schweiz Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy Berlin Deutschland deutsch
Herrn Herrn A. Mendelssohn Bartholdy. Wohlgeb. Berlin Leipziger Straße no. 3.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Engelberg d. 23 Aug. 31.

Das Herz ist mir so voll, da muß ich es Euch sagen. Eben habe ich mich hier im reizendsten Thal an Schillers Wilhelm Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name> wieder gemacht, und nur eben die erste halbe Scene gelesen – es ist doch keine Kunst, wie unsre; weiß Gott, wie es kommt, aber ich denke, daß einen solchen Anfang kein andres Volk verstehen, geschweige gar machen kann. Das nenn ich ein Gedicht, und einen Anfang, erst die klaren hellen Verse, in denen der spiegelglatte See und Alles klingt und dann das unbedeutende langsame Schweizergeschwätz und dann der Baumgarten mitten hinein – es ist gar zu himmlisch schön. Was ist denn da nicht frisch, nicht kräftig, nicht hinreißend? So ein Musikwerk giebt es aber noch nicht. Und doch muß einmal auch so etwas Vollkommnes gemacht werden. Dann ist es auch gar zu schön, daß er sich die ganze Schweiz selbst erschaffen hat, sie niemals selbst gesehn hat, es ist Alles so treu und so ergreifend wahr: Leben, Leute, Natur und Landschaft. Ich schreibe aber confus und will auch lieber aufhören, jetzt bin ich gar zu tief im Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name>, will ihn auch gleich auslesen. Freilich kann ich nicht läugnen, daß mir schon sehr froh wurde, als mir der alte Wirth hier im einsamen hohen Dorfe aus dem Kloster das Buch mit den wohlbekannten Schriftzügen und den vertrauten Namen brachte, aber der Anfang hat doch alle meine Erwartung übertroffen. Es sind auch über 4 Jahre seit ich es nicht gelesen; ich will nachher ins Kloster hinüber, und mich an der OrgelBenediktinerklosterEngelbergSchweiz etwas austoben. – Nachmittag. Wundert Euch nicht darüber, sondern les’t nur die erste Scene noch einmal durch, da werdet Ihr es begreiflich finden. Solche Stellen wie die, wo alle Hirten und Jäger rufen: rett ihn, rett ihn, rett ihn! oder das Ende des Grütli, wie da noch die Sonne aufgehn muß, die können wahrhaftig nur einem Deutschen, und zwar nur eben dem Hrn. v. SchillerSchiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805) eingefallen sein; und das ganze Stück wimmelt von solchen Zügen, laßt mich nur noch den nennen, wie beim Stauffacher am Ende der 2ten Scene Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name> mit dem geretteten Baumgarten kommt und den ganzen bewegten Auftritt so ruhig und sicher schließt; das ist neben der Schönheit des Gedankens so ganz und gar schweizerisch. Dann der Anfang des Grütli<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name>. Die Sinfonie<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_gunhvp7f-0x2x-g7ut-0jmb-j2rdxl56svhi"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100950" style="hidden">Sinfonie für Orchester, 23. August 1831<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name>, die das Orchester am Ende spielen soll, habe ich heut früh componirt, weil auf der kleinen Orgel nichts Rechtes zu machen war. Überhaupt sind mir eine Menge Sachen und Pläne eingefallen – es giebt ungeheuer viel zu thun in der Welt, und ich will fleißig sein. GoethesGoethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832) Wort das er zu mir sagte: SchillerSchiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805) hätte jährlich 2 große Trauerspiele liefern können hatte mir schon immer mit seinem handwerksmäßigen Ausdrucke besondern Respect eingeflößt. Aber heut morgen ist es mir erst recht klar geworden, wie viel es eigentlich zu bedeuten hat und ich habe eingesehen, daß man sich zusammennehmen muß. – Selbst die Irrthümer drin sind liebenswürdig und es ist etwas Großes darin; und so gewiß mir alle Bertha<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name> und Rudenz und der alte Attinghausen als große Schwächen erscheinen, so kann man doch sehen wie er sich was dabey gedacht hat und wie er es eben so hat machen müssen, und es ist tröstlich, daß sich so ein großer Mann auch einmal tüchtig versehen hat. Ich habe einen sehr frohen Morgen dadurch gehabt, und es hat mich in die Stimmung gesetzt, wo man sich solch einen Mann ins Leben zurückwünscht, um sich bei ihm einmal bedanken zu können, und wo man sich sehnt, auch einmal was zu machen, das einen Andern später in solche Stimmung versetzen könne.

Ihr werdet nicht begreifen, wie ich dazu komme mich hier in Engelberg ordentlich niederzulassen. Es ging so zu. Seit Unterseeen hatte ich keinen Ruhetag gemacht und wollte daher einen Tag in Meyringen bleiben, ließ mich aber durch das schöne Wetter des Morgens verlocken hieher zu gehen; auf den Bergen überfiel mich wieder der gewöhnliche Regen und Sturm, und so kam ich hier ziemlich ermüdet an. Nun ist hier das netteste Wirthshaus, das man sich denken kann: reinlich, ordentlich, sehr klein und bäuerisch, ein alter weißhaariger Wirth, das hölzerne Haus steht abwärts vom Wege auf einer Wiese allein, die Leute sind so freundlich und doch gemächlich, als ob man zu Hause wäre – auch diese Art Annehmlichkeit kann man nur bei deutschredenden Leuten finden, glaub’ ich, wenigstens ist sie mir sonst nirgend vorgekommen, und wenn auch die andern Völker das nicht vermissen oder kaum gerne mögen, so bin ich eben aus Hamburg und fühle mich gar wohl und heimisch dabey. So ist es denn kein Wunder, daß ich heut meinen Ruhetag hier gemacht habe, bey den ehrlichen, alten Leuten. Meine Stube ist von allen Seiten voll Fenster, die die Aussicht aufs Thal haben, von oben bis unten mit zierlichem Holz getäfelt, einige bunte Sittensprüche und ein Crucifix hängen an der Wand, ein dicker grüner Ofen mit einer Bank die herumgeht, zwei hohe Betten. Wenn ich in meinem Bett liege, habe ich folgende Aussicht:

Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.

Hier sind nun wieder die Gebäude misrathen und auch die Berge, aber ich denke es Euch in meinem Buche<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_tlyiwwpa-x5zo-d4rw-djtf-dhlzsovtaxaq"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100857" style="hidden">Zeichenalbum Italien, Schweiz 1831: GB-Ob, M.D.M. d. 3<idno type="MWV">ZB 10</idno><idno type="op"></idno></name> besser zu zeigen, wenn morgen erträgliches Wetter ist. Das Thal wird mir wohl eins der liebsten aus der ganzen Schweiz werden, noch hab’ ich die gewaltigen Berge nicht gesehen, von denen es eingeschlossen wird, sie waren den ganzen Tag mit Nebel bedeckt, aber die wunderlieblichen Wiesen, die vielen Bäche, die Häuser, und der Fuß der Gebirge, soviel man davon sehn konnte, sind über Alles schön. Namentlich ist das Grün in Unterwalden schöner, als in irgend einem andern Canton, und es ist auch unter den Schweizern seiner Matten wegen berühmt. Schon die Reise von Sarnen aus, war reizend und fortwährend habe ich es bedauert, daß Du, lieber VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835), nicht über den Brunig gegangen bist, es würde Dein Lieblingspunct geworden sein, schönre, größre Bäume und ein fruchtbareres Land habe ich nie gesehen, als da; auch ist der Weg so wenig beschwerlich, als ginge man nur in einem großen Garten spazieren, die Abhänge sind mit langen schlanken Buchen bewachsen, die Steine ganz mit Moos und Kräutern verdeckt, Quellen, Bäche, kleine Seen, Häuser, auf der einen Seite der Blick auf Unterwalden mit seinen grünen Wiesen, dann nach ein Paar Minuten das große Haslithal mit den Schneebergen und den Wasserfällen von den Felswänden, und immer ist der Weg von dicken gewaltigen Bäumen beschattet. Gestern früh ließ ich mich nun, wie gesagt, durch den Sonnenschein verleiten durchs Genthelthal aufs Joch zu gehen. Das Genthelthal, voll Wiesen und Wasserfällen ist sehr schön und still, aber auf dem Joch überfiel uns wieder das schreckliche Wetter, wir mußten wieder durch den Schnee, und die Partie wurde ein Paarmal unangenehm. Doch kamen wir bald aus Regen und Schnee heraus und da gab es einen himmlischen Moment, als sich die Wolken hoben und wir noch darin standen und weit unter uns wie durch einen schwarzen Schleier das grüne Engelberger Thal durch die Nebel erscheinen sahen. Da ging es denn schnell hinunter, wir hörten bald die helle Klosterglocke ave maria läuten, sahen dann das weiße Gebäude in den Wiesen liegen, und kamen nach einer 9 stündigen Reise hier an. Wie dann so ein freundliches Wirthshaus gut thut, und wie der Milchreis schmeckt, und wie lange man den nächsten Morgen schläft laßt mich verschweigen. Heut war wieder den ganzen Tag trauriges Wetter, man holte mir Wilhelm Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name> aus der Klosterbibliothek, und den Rest wißt Ihr. – Es ist mir noch aufgefallen, wie sehr er namentlich den Rudenz verfehlt hat, denn der ganze Character ist zu schwach und ohne alles Motiv, und es ist ordentlich, als habe er ihn absichtlich recht schlecht darstellen wollen: Die Worte, die er in der Scene mit dem Apfel spricht, würden ihn heben, aber da war die Scene mit Bertha vorher und nun hilft das nichts, wie er sich nach dem Tode Attinghausens mit den Schweizern vereinigt, will man denken er sey umgewandelt, aber gleich platzt er mit der Nachricht heraus, seine Bertha sey ihm geraubt, da ist es freilich wieder sein Verdienst nicht. Mir ist eingefallen, wenn er die tüchtigen Worte gegen den Geßler ganz so spräche, ohne daß die Scene mit Bertha vorhergegangen wäre, und wenn dann daraus sich im folgenden Act solch eine Scene entspänne, so wäre der Character gewiß viel besser, und auch die Erklärungsscene wäre nicht so blos theatralisch, wie jetzt. Das ist nun so recht das Ei mit der Henne, aber ich möchte einmal Eure Meinung hierüber hören. Einen Gelehrten darf man über dergleichen nicht sprechen, die Herren sind gar zu dumm. Wenn ich aber in diesen Tagen einen der neueren jungen Dichter begegne, die auf SchillerSchiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805) sehr hinabsehen und ihn nur theilweise billigen, so ist es sein Unglück, denn ich will ihn todt treten. Es ist nebenbei die schreiendste Undankbarkeit, von solchen Jungen; sie haben ihn aber wahrscheinlich gar nicht gelesen, und sprechen es blos nach. – Nun gute Nacht, morgen muß ich früh aufstehen, denn im Kloster ist großer Festtag und feierlicher Gottesdienst und da muß ich die OrgelBenediktinerklosterEngelbergSchweiz dazu spielen. Die Mönche hörten heut früh zu, als ich ein wenig phantasirte, das hat ihnen gefallen und so haben sie mich eingeladen morgen früh den Feiertag ein- und auszuorgeln. Der pater OrganistTanner, Plazidus (1797-1866) hat mir auch ein Thema gegeben, um drauf zu phantasiren, das ist besser, als es irgend einem Organisten in Italien je einfallen könnte: Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe. nun will ich sehen, ob mir morgen etwas drauf einfallen wird. Ein Paar neue Orgelstücke<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_i5bhcnsj-6230-66hp-5p6p-ioxweiq2ystc"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100951" style="hidden">Orgelstücke, [August 1831]; verschollene oder nicht notierte kompositorische Entwürfe<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name> von mir habe ich heut Nachmittag noch da in der Kirche gespielt, sie klangen ziemlich gut. Als ich Abends beim Kloster vorbey kam wurde die Kirche geschlossen, und kaum waren die Thüren zu, so fingen die Mönche in der dunkeln Kirche mit Macht die Nocturnen zu singen an. Sie intonirten das tiefe h. Es klang prächtig, und man konnte es noch weit im Thale hören. Das Engelberger Thal ist wunderbar und soll nicht vergessen werden.

Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

Engelberg d. 24 Aug. Das war wieder ein Tag! Das herrlichste, heiterste Wetter, blauer Himmel wie ich ihn seit Chamouny nicht gesehen, Feiertag im Dorfe und auf allen Bergen. Wenn man so nach langem Nebel und Ungemach wieder einmal Morgens am Fenster die ganze reine Bergkette mit allen Spitzen sieht, das thut sehr wohl. Sie sind nach dem Regen bekanntlich am schönsten, aber heut sahen sie so klar aus, als seien sie aus dem Ei geschält. Das Thal giebt keinem der Schweiz etwas nach, komme ich je wieder hieher, so soll es mein Hauptpunct sein, es ist noch lieblicher und breiter und freier, als Chamouni und luftiger als Interlaken. Die Spannörter sind unglaubliche Zacken und der runde mit Schnee belastete Titlis, der den Fuß in den Wiesen hat, und die Urner Felsen aus der Ferne sind auch nicht übel. Jetzt ist noch dazu Vollmond; das Thal ist geschmückt. Ich habe den ganzen Tag nichts gethan, als gezeichnet<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_kkgjpzg3-f95w-3wwe-d02m-spu3yq3vomay"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100871" style="hidden">Engelberg, 2 Skizzen, 24. August 1831; fol. 35r und 36r<idno type="MWV">ZB 10/35-36</idno><idno type="op"></idno></name><list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_s5nzr8cz-kymg-qchy-qoec-namjoojgddk3"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100871" style="hidden">Engelberg, 2 Skizzen, 24. August 1831; fol. 35r und 36r<idno type="MWV">ZB 10/35-36</idno><idno type="op"></idno></name> und Orgel gespielt. Heut früh versah ich meinen Organistendienst, da war es prächtig. Die OrgelBenediktinerklosterEngelbergSchweiz ist gleich beim Hochaltar, neben den Chorstühlen für die patres. So nahm ich denn meinen Platz mitten unter den Mönchen, der wahre Saul unter den Propheten, neben mir strich ein böser Benedictiner den Contrabaß, einige andre Geige, einer der Honoratioren geigte vor, der pater praeceptor stand vor mir, sang Solo und dirigirte mit einem armdicken langen Prügel, die Eleven des Klosters machten den Chor in ihren schwarzen Kutten, ein alter reducirter Landmann spielte auf einer alten reducirten Hoboe mit, und ganz in der Ferne saßen zwei und tuteten still in große Trompeten mit grünen Quasten. Und mit alle dem war das Ding sehr erfreulich, man mußte die Leute lieb haben, denn sie hatten Eifer, und arbeiteten alle so gut sie konnten. Es wurde eine Messe von Emmerich<name key="PSN0110902" style="hidden" type="author">Emmerich, Wolfgang Joseph (1772-1839)</name><name key="CRT0108677" style="hidden" type="music">Missa solemnis op. 3</name> gegeben, jeder Ton hatte seinen Zopf und seinen Puder; ich spielte treulich den Generalbaß aus meiner bezifferten Stimme, setzte von Zeit zu Zeit dicke Blaseinstrumente zu, wenn ich mich langweilte, machte auch die Responsorien, phantasirte auf das gegebne Thema, mußte am Ende auf Begehren des Prälats einen Marsch spielen, so hart es mir auf der OrgelBenediktinerklosterEngelbergSchweiz ankam und wurde ehrenvoll entlassen. Heut Nachmittag mußte ich den Mönchen wieder allein vorspielen, sie gaben mir die hübschesten Themas von der Welt, unter andern das Credo<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name>: Da ist mir heut eine Phantasie drauf gelungen; es ist die erste in meinem Leben, die ich gerne aufgeschrieben haben möchte, aber ich weiß nur noch den Gang davon, und bitte um Erlaubniß eine Stelle davon, die ich nicht vergessen möchte, Fanny’nHensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) hier mitzutheilen. Es kamen nämlich nach und nach immer mehr Contrathemas gegen den Canto fermo, erst punctirte Noten, dann Triolen, zuletzt schnelle Sechzehntheil aus denen sich dann das Credo immer wieder herausarbeiten mußte; ganz am Ende wurden aber die 1 16 sehr toll, und es kamen arpeggios über die ganze Orgel, in g moll, dann nahm ich in langen Noten (zu den fortwährenden Arpeggios) das Thema im Pedal, so daß es mit a schloß, auf dem a machte ich nun einen Orgelpunct in arpeggios, und da fiel es mir auf einmal ein, die arpeggios mit der linken Hand allein zu machen, so daß die rechte ganz oben wieder mit a das Credo<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name> einsetzte, ungefähr so Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.auf der letzten Note kam dann ein Halt und eine Pause, und dann schloß es. Ich wollte, Du hättest es gehört, ich glaube, es würde Dir gefallen haben. Dann mußten die Mönche ins Complet und wir nahmen recht herzlichen Abschied, sie wollten mir Empfehlungsbriefe für einige andre Orte in Unterwalden mitgeben, aber ich verbat es, weil ich morgen früh nach Luzern denke, und von da in 5 – 6 Tagen schon aus der Schweiz sein will. Ich gehe aber oestlich und nicht westlich, wie ich neulich schrieb. Von Lucern aus dann das Ende dieses Briefs und des Spazierganges; so Gott will finde ich dort gute Nachrichten von Euch.

Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

Luzern den 28 Aug. Lieber VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)! Ich adressire dieses Tagebuch an Dich, weil ich Dir nun bestimmt meinen Reiseplan mittheilen kann. Der Cordon der an der OesterreichischBayrischen Grenze gezogen wird, hat mich meinen Weg ändern machen, denn obwohl ich nicht gewiß weiß, ob er sich auf Tyrol auch erstreckt, so ist es doch wahrscheinlich, und ich gebe lieber den schönen Weg über Inspruck auf. Morgen denke ich also von hier fortzugehen, und über den Rigi, Einsiedlen, Wesen, und Appenzell nach Lindau, wo ich spätestens den 5ten Sept. einz[utreffen denke.] Dort werde ich mich wohl wieder einen Tag lang ausruhen, weiß auch noch nicht, welchen Weg ich von da aus nach München nehme, ob zu Wagen über Augsburg oder zu Fuß den näheren durchs Gebirge. Auf jeden Fall aber bin ich, so Gott will, nicht später als den 10ten Sept. in München, und denke dort wenigstens 3 Wochen zu bleiben, weil ich, wo möglich die Sache mit der Oper durchzusetzen suchen will, wenn die jetzigen unangenehmen Umstände nicht, wie ich fürchte, dem TheaterKönigliches Hof- und NationaltheaterMünchenDeutschland dort sehr geschadet haben, weil ich auch vielleicht noch anderes dort zu thun finden werde; so daß ich also vor Ende September nicht von München wegzugehen denke. Weiter setze ich kein Wort hinzu; Du weißt, was ich wünsche und hoffe. Lebt mir alle wohl und denkt meiner; vom Rigi aus und von der weiteren Reise hört Ihr wieder von mir. Lebt wohl

F.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

N. S. Liebe MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842), indem ich Deine Zeilen vom 12ten lese, die ich gestern erhielt, fällt mir Deine Frage über VernetVernet, Emile Jean Horace (1789-1863) auf; verzeih daß ich so lange nicht geantwortet; mein Bild<name key="PSN0115495" style="hidden" type="author">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name><name key="CRT0111186" style="hidden" type="art">Felix Mendelssohn Bartholdy (Ölgemälde 1831)</name> liegt in München bei meinen Sachen, weil er durchaus wollte, ich soll es zusammenrollen lassen und selbst mitnehmen; von dort aus schicke ich es Euch sogleich. Du schreibst, ich sey vom schönsten Wetter begünstigt, und ich habe seit ich in der Schweiz war nur drei Tage ohne Regen gehabt. Doch hat sich es seit einigen Tagen aufgeheitert, und ich habe Hoffnung zu schönem Herbstwetter. Die Berge sind wunderbar. Die Post geht sogleich, drum bin ich eilig; mein Reiseplan ist erst seit einer halben Stunde gemacht, weil ich die Zeitungen erwartete. Auch das Format entschuldigt. Es ist Engelberger Brief

            Engelberg d. 23 Aug. 31. Das Herz ist mir so voll, da muß ich es Euch sagen. Eben habe ich mich hier im reizendsten Thal an Schillers Wilhelm Tell wieder gemacht, und nur eben die erste halbe Scene gelesen – es ist doch keine Kunst, wie unsre; weiß Gott, wie es kommt, aber ich denke, daß einen solchen Anfang kein andres Volk verstehen, geschweige gar machen kann. Das nenn ich ein Gedicht, und einen Anfang, erst die klaren hellen Verse, in denen der spiegelglatte See und Alles klingt und dann das unbedeutende langsame Schweizergeschwätz und dann der Baumgarten mitten hinein – es ist gar zu himmlisch schön. Was ist denn da nicht frisch, nicht kräftig, nicht hinreißend? So ein Musikwerk giebt es aber noch nicht. Und doch muß einmal auch so etwas Vollkommnes gemacht werden. Dann ist es auch gar zu schön, daß er sich die ganze Schweiz selbst erschaffen hat, sie niemals selbst gesehn hat, es ist Alles so treu und so ergreifend wahr: Leben, Leute, Natur und Landschaft. Ich schreibe aber confus und will auch lieber aufhören, jetzt bin ich gar zu tief im Tell, will ihn auch gleich auslesen. Freilich kann ich nicht läugnen, daß mir schon sehr froh wurde, als mir der alte Wirth hier im einsamen hohen Dorfe aus dem Kloster das Buch mit den wohlbekannten Schriftzügen und den vertrauten Namen brachte, aber der Anfang hat doch alle meine Erwartung übertroffen. Es sind auch über 4 Jahre seit ich es nicht gelesen; ich will nachher ins Kloster hinüber, und mich an der Orgel etwas austoben. – Nachmittag. Wundert Euch nicht darüber, sondern les’t nur die erste Scene noch einmal durch, da werdet Ihr es begreiflich finden. Solche Stellen wie die, wo alle Hirten und Jäger rufen: rett ihn, rett ihn, rett ihn! oder das Ende des Grütli, wie da noch die Sonne aufgehn muß, die können wahrhaftig nur einem Deutschen, und zwar nur eben dem Hrn. v. Schiller eingefallen sein; und das ganze Stück wimmelt von solchen Zügen, laßt mich nur noch den nennen, wie beim Stauffacher am Ende der 2ten Scene Tell mit dem geretteten Baumgarten kommt und den ganzen bewegten Auftritt so ruhig und sicher schließt; das ist neben der Schönheit des Gedankens so ganz und gar schweizerisch. Dann der Anfang des Grütli. Die Sinfonie, die das Orchester am Ende spielen soll, habe ich heut früh componirt, weil auf der kleinen Orgel nichts Rechtes zu machen war. Überhaupt sind mir eine Menge Sachen und Pläne eingefallen – es giebt ungeheuer viel zu thun in der Welt, und ich will fleißig sein. Goethes Wort das er zu mir sagte: Schiller hätte jährlich 2 große Trauerspiele liefern können hatte mir schon immer mit seinem handwerksmäßigen Ausdrucke besondern Respect eingeflößt. Aber heut morgen ist es mir erst recht klar geworden, wie viel es eigentlich zu bedeuten hat und ich habe eingesehen, daß man sich zusammennehmen muß. – Selbst die Irrthümer drin sind liebenswürdig und es ist etwas Großes darin; und so gewiß mir alle Bertha und Rudenz und der alte Attinghausen als große Schwächen erscheinen, so kann man doch sehen wie er sich was dabey gedacht hat und wie er es eben so hat machen müssen, und es ist tröstlich, daß sich so ein großer Mann auch einmal tüchtig versehen hat. Ich habe einen sehr frohen Morgen dadurch gehabt, und es hat mich in die Stimmung gesetzt, wo man sich solch einen Mann ins Leben zurückwünscht, um sich bei ihm einmal bedanken zu können, und wo man sich sehnt, auch einmal was zu machen, das einen Andern später in solche Stimmung versetzen könne.
Ihr werdet nicht begreifen, wie ich dazu komme mich hier in Engelberg ordentlich niederzulassen. Es ging so zu. Seit Unterseeen hatte ich keinen Ruhetag gemacht und wollte daher einen Tag in Meyringen bleiben, ließ mich aber durch das schöne Wetter des Morgens verlocken hieher zu gehen; auf den Bergen überfiel mich wieder der gewöhnliche Regen und Sturm, und so kam ich hier ziemlich ermüdet an. Nun ist hier das netteste Wirthshaus, das man sich denken kann: reinlich, ordentlich, sehr klein und bäuerisch, ein alter weißhaariger Wirth, das hölzerne Haus steht abwärts vom Wege auf einer Wiese allein, die Leute sind so freundlich und doch gemächlich, als ob man zu Hause wäre – auch diese Art Annehmlichkeit kann man nur bei deutschredenden Leuten finden, glaub’ ich, wenigstens ist sie mir sonst nirgend vorgekommen, und wenn auch die andern Völker das nicht vermissen oder kaum gerne mögen, so bin ich eben aus Hamburg und fühle mich gar wohl und heimisch dabey. So ist es denn kein Wunder, daß ich heut meinen Ruhetag hier gemacht habe, bey den ehrlichen, alten Leuten. Meine Stube ist von allen Seiten voll Fenster, die die Aussicht aufs Thal haben, von oben bis unten mit zierlichem Holz getäfelt, einige bunte Sittensprüche und ein Crucifix hängen an der Wand, ein dicker grüner Ofen mit einer Bank die herumgeht, zwei hohe Betten. Wenn ich in meinem Bett liege, habe ich folgende Aussicht:
Hier sind nun wieder die Gebäude misrathen und auch die Berge, aber ich denke es Euch in meinem Buche besser zu zeigen, wenn morgen erträgliches Wetter ist. Das Thal wird mir wohl eins der liebsten aus der ganzen Schweiz werden, noch hab’ ich die gewaltigen Berge nicht gesehen, von denen es eingeschlossen wird, sie waren den ganzen Tag mit Nebel bedeckt, aber die wunderlieblichen Wiesen, die vielen Bäche, die Häuser, und der Fuß der Gebirge, soviel man davon sehn konnte, sind über Alles schön. Namentlich ist das Grün in Unterwalden schöner, als in irgend einem andern Canton, und es ist auch unter den Schweizern seiner Matten wegen berühmt. Schon die Reise von Sarnen aus, war reizend und fortwährend habe ich es bedauert, daß Du, lieber Vater, nicht über den Brunig gegangen bist, es würde Dein Lieblingspunct geworden sein, schönre, größre Bäume und ein fruchtbareres Land habe ich nie gesehen, als da; auch ist der Weg so wenig beschwerlich, als ginge man nur in einem großen Garten spazieren, die Abhänge sind mit langen schlanken Buchen bewachsen, die Steine ganz mit Moos und Kräutern verdeckt, Quellen, Bäche, kleine Seen, Häuser, auf der einen Seite der Blick auf Unterwalden mit seinen grünen Wiesen, dann nach ein Paar Minuten das große Haslithal mit den Schneebergen und den Wasserfällen von den Felswänden, und immer ist der Weg von dicken gewaltigen Bäumen beschattet. Gestern früh ließ ich mich nun, wie gesagt, durch den Sonnenschein verleiten durchs Genthelthal aufs Joch zu gehen. Das Genthelthal, voll Wiesen und Wasserfällen ist sehr schön und still, aber auf dem Joch überfiel uns wieder das schreckliche Wetter, wir mußten wieder durch den Schnee, und die Partie wurde ein Paarmal unangenehm. Doch kamen wir bald aus Regen und Schnee heraus und da gab es einen himmlischen Moment, als sich die Wolken hoben und wir noch darin standen und weit unter uns wie durch einen schwarzen Schleier das grüne Engelberger Thal durch die Nebel erscheinen sahen. Da ging es denn schnell hinunter, wir hörten bald die helle Klosterglocke ave maria läuten, sahen dann das weiße Gebäude in den Wiesen liegen, und kamen nach einer 9 stündigen Reise hier an. Wie dann so ein freundliches Wirthshaus gut thut, und wie der Milchreis schmeckt, und wie lange man den nächsten Morgen schläft laßt mich verschweigen. Heut war wieder den ganzen Tag trauriges Wetter, man holte mir Wilhelm Tell aus der Klosterbibliothek, und den Rest wißt Ihr. – Es ist mir noch aufgefallen, wie sehr er namentlich den Rudenz verfehlt hat, denn der ganze Character ist zu schwach und ohne alles Motiv, und es ist ordentlich, als habe er ihn absichtlich recht schlecht darstellen wollen: Die Worte, die er in der Scene mit dem Apfel spricht, würden ihn heben, aber da war die Scene mit Bertha vorher und nun hilft das nichts, wie er sich nach dem Tode Attinghausens mit den Schweizern vereinigt, will man denken er sey umgewandelt, aber gleich platzt er mit der Nachricht heraus, seine Bertha sey ihm geraubt, da ist es freilich wieder sein Verdienst nicht. Mir ist eingefallen, wenn er die tüchtigen Worte gegen den Geßler ganz so spräche, ohne daß die Scene mit Bertha vorhergegangen wäre, und wenn dann daraus sich im folgenden Act solch eine Scene entspänne, so wäre der Character gewiß viel besser, und auch die Erklärungsscene wäre nicht so blos theatralisch, wie jetzt. Das ist nun so recht das Ei mit der Henne, aber ich möchte einmal Eure Meinung hierüber hören. Einen Gelehrten darf man über dergleichen nicht sprechen, die Herren sind gar zu dumm. Wenn ich aber in diesen Tagen einen der neueren jungen Dichter begegne, die auf Schiller sehr hinabsehen und ihn nur theilweise billigen, so ist es sein Unglück, denn ich will ihn todt treten. Es ist nebenbei die schreiendste Undankbarkeit, von solchen Jungen; sie haben ihn aber wahrscheinlich gar nicht gelesen, und sprechen es blos nach. – Nun gute Nacht, morgen muß ich früh aufstehen, denn im Kloster ist großer Festtag und feierlicher Gottesdienst und da muß ich die Orgel dazu spielen. Die Mönche hörten heut früh zu, als ich ein wenig phantasirte, das hat ihnen gefallen und so haben sie mich eingeladen morgen früh den Feiertag ein- und auszuorgeln. Der pater Organist hat mir auch ein Thema gegeben, um drauf zu phantasiren, das ist besser, als es irgend einem Organisten in Italien je einfallen könnte: nun will ich sehen, ob mir morgen etwas drauf einfallen wird. Ein Paar neue Orgelstücke von mir habe ich heut Nachmittag noch da in der Kirche gespielt, sie klangen ziemlich gut. Als ich Abends beim Kloster vorbey kam wurde die Kirche geschlossen, und kaum waren die Thüren zu, so fingen die Mönche in der dunkeln Kirche mit Macht die Nocturnen zu singen an. Sie intonirten das tiefe h. Es klang prächtig, und man konnte es noch weit im Thale hören. Das Engelberger Thal ist wunderbar und soll nicht vergessen werden.
Engelberg d. 24 Aug. Das war wieder ein Tag! Das herrlichste, heiterste Wetter, blauer Himmel wie ich ihn seit Chamouny nicht gesehen, Feiertag im Dorfe und auf allen Bergen. Wenn man so nach langem Nebel und Ungemach wieder einmal Morgens am Fenster die ganze reine Bergkette mit allen Spitzen sieht, das thut sehr wohl. Sie sind nach dem Regen bekanntlich am schönsten, aber heut sahen sie so klar aus, als seien sie aus dem Ei geschält. Das Thal giebt keinem der Schweiz etwas nach, komme ich je wieder hieher, so soll es mein Hauptpunct sein, es ist noch lieblicher und breiter und freier, als Chamouni und luftiger als Interlaken. Die Spannörter sind unglaubliche Zacken und der runde mit Schnee belastete Titlis, der den Fuß in den Wiesen hat, und die Urner Felsen aus der Ferne sind auch nicht übel. Jetzt ist noch dazu Vollmond; das Thal ist geschmückt. Ich habe den ganzen Tag nichts gethan, als gezeichnet und Orgel gespielt. Heut früh versah ich meinen Organistendienst, da war es prächtig. Die Orgel ist gleich beim Hochaltar, neben den Chorstühlen für die patres. So nahm ich denn meinen Platz mitten unter den Mönchen, der wahre Saul unter den Propheten, neben mir strich ein böser Benedictiner den Contrabaß, einige andre Geige, einer der Honoratioren geigte vor, der pater praeceptor stand vor mir, sang Solo und dirigirte mit einem armdicken langen Prügel, die Eleven des Klosters machten den Chor in ihren schwarzen Kutten, ein alter reducirter Landmann spielte auf einer alten reducirten Hoboe mit, und ganz in der Ferne saßen zwei und tuteten still in große Trompeten mit grünen Quasten. Und mit alle dem war das Ding sehr erfreulich, man mußte die Leute lieb haben, denn sie hatten Eifer, und arbeiteten alle so gut sie konnten. Es wurde eine Messe von Emmerich gegeben, jeder Ton hatte seinen Zopf und seinen Puder; ich spielte treulich den Generalbaß aus meiner bezifferten Stimme, setzte von Zeit zu Zeit dicke Blaseinstrumente zu, wenn ich mich langweilte, machte auch die Responsorien, phantasirte auf das gegebne Thema, mußte am Ende auf Begehren des Prälats einen Marsch spielen, so hart es mir auf der Orgel ankam und wurde ehrenvoll entlassen. Heut Nachmittag mußte ich den Mönchen wieder allein vorspielen, sie gaben mir die hübschesten Themas von der Welt, unter andern das Credo: Da ist mir heut eine Phantasie drauf gelungen; es ist die erste in meinem Leben, die ich gerne aufgeschrieben haben möchte, aber ich weiß nur noch den Gang davon, und bitte um Erlaubniß eine Stelle davon, die ich nicht vergessen möchte, Fanny’n hier mitzutheilen. Es kamen nämlich nach und nach immer mehr Contrathemas gegen den Canto fermo, erst punctirte Noten, dann Triolen, zuletzt schnelle Sechzehntheil aus denen sich dann das Credo immer wieder herausarbeiten mußte; ganz am Ende wurden aber die 1 16 sehr toll, und es kamen arpeggios über die ganze Orgel, in g moll, dann nahm ich in langen Noten (zu den fortwährenden Arpeggios) das Thema im Pedal, so daß es mit a schloß, auf dem a machte ich nun einen Orgelpunct in arpeggios, und da fiel es mir auf einmal ein, die arpeggios mit der linken Hand allein zu machen, so daß die rechte ganz oben wieder mit a das Credo einsetzte, ungefähr so auf der letzten Note kam dann ein Halt und eine Pause, und dann schloß es. Ich wollte, Du hättest es gehört, ich glaube, es würde Dir gefallen haben. Dann mußten die Mönche ins Complet und wir nahmen recht herzlichen Abschied, sie wollten mir Empfehlungsbriefe für einige andre Orte in Unterwalden mitgeben, aber ich verbat es, weil ich morgen früh nach Luzern denke, und von da in 5 – 6 Tagen schon aus der Schweiz sein will. Ich gehe aber oestlich und nicht westlich, wie ich neulich schrieb. Von Lucern aus dann das Ende dieses Briefs und des Spazierganges; so Gott will finde ich dort gute Nachrichten von Euch.
Luzern den 28 Aug. Lieber Vater! Ich adressire dieses Tagebuch an Dich, weil ich Dir nun bestimmt meinen Reiseplan mittheilen kann. Der Cordon der an der OesterreichischBayrischen Grenze gezogen wird, hat mich meinen Weg ändern machen, denn obwohl ich nicht gewiß weiß, ob er sich auf Tyrol auch erstreckt, so ist es doch wahrscheinlich, und ich gebe lieber den schönen Weg über Inspruck auf. Morgen denke ich also von hier fortzugehen, und über den Rigi, Einsiedlen, Wesen, und Appenzell nach Lindau, wo ich spätestens den 5ten Sept. einzutreffen denke.  Dort werde ich mich wohl wieder einen Tag lang ausruhen, weiß auch noch nicht, welchen Weg ich von da aus nach München nehme, ob zu Wagen über Augsburg oder zu Fuß den näheren durchs Gebirge. Auf jeden Fall aber bin ich, so Gott will, nicht später als den 10ten Sept. in München, und denke dort wenigstens 3 Wochen zu bleiben, weil ich, wo möglich die Sache mit der Oper durchzusetzen suchen will, wenn die jetzigen unangenehmen Umstände nicht, wie ich fürchte, dem Theater dort sehr geschadet haben, weil ich auch vielleicht noch anderes dort zu thun finden werde; so daß ich also vor Ende September nicht von München wegzugehen denke. Weiter setze ich kein Wort hinzu; Du weißt, was ich wünsche und hoffe. Lebt mir alle wohl und denkt meiner; vom Rigi aus und von der weiteren Reise hört Ihr wieder von mir. Lebt wohl
F.
N. S. Liebe Mutter, indem ich Deine Zeilen vom 12ten lese, die ich gestern erhielt, fällt mir Deine Frage über Vernet auf; verzeih daß ich so lange nicht geantwortet; mein Bild liegt in München bei meinen Sachen, weil er durchaus wollte, ich soll es zusammenrollen lassen und selbst mitnehmen; von dort aus schicke ich es Euch sogleich. Du schreibst, ich sey vom schönsten Wetter begünstigt, und ich habe seit ich in der Schweiz war nur drei Tage ohne Regen gehabt. Doch hat sich es seit einigen Tagen aufgeheitert, und ich habe Hoffnung zu schönem Herbstwetter. Die Berge sind wunderbar. Die Post geht sogleich, drum bin ich eilig; mein Reiseplan ist erst seit einer halben Stunde gemacht, weil ich die Zeitungen erwartete. Auch das Format entschuldigt. Es ist Engelberger Brief          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. 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Es sind auch über 4 Jahre seit ich es nicht gelesen; ich will nachher ins <placeName xml:id="placeName_31fc63f9-ac53-4dd6-a3de-e8e8e5d89e64">Kloster hinüber, und mich an der Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> etwas austoben. – <hi rend="underline">Nachmittag</hi>. Wundert Euch nicht darüber, sondern les’t nur die erste Scene noch einmal durch, da werdet Ihr es begreiflich finden. Solche Stellen wie die, wo alle Hirten und Jäger rufen: rett ihn, rett ihn, rett ihn! oder das Ende des Grütli, wie da noch die Sonne aufgehn muß, die können wahrhaftig nur einem Deutschen, und zwar nur eben dem <persName xml:id="persName_8caf2427-c1d9-4593-8a8e-5bf160c58e20">Hrn. v. Schiller<name key="PSN0114545" style="hidden">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name></persName> eingefallen sein; und das ganze Stück wimmelt von solchen Zügen, laßt mich nur noch den nennen, wie beim Stauffacher am Ende der 2<hi rend="superscript">ten </hi>Scene <title xml:id="title_8efb44d2-96db-4b7c-8b30-7900df098205">Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title> mit dem geretteten Baumgarten kommt und den ganzen bewegten Auftritt so ruhig und sicher schließt; das ist neben der Schönheit des Gedankens so ganz und gar schweizerisch. Dann der <title xml:id="title_650713b5-9e03-4df5-b51f-5723dd998a36">Anfang des Grütli<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title>. <title xml:id="title_82b9fe43-3aa5-4b80-a776-d957c10db7fd">Die Sinfonie<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_gunhvp7f-0x2x-g7ut-0jmb-j2rdxl56svhi"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100950" style="hidden">Sinfonie für Orchester, 23. August 1831<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name></title>, die das Orchester am Ende spielen soll, habe ich heut früh componirt, weil auf der kleinen Orgel nichts Rechtes zu machen war. Überhaupt sind mir eine Menge Sachen und Pläne eingefallen – es giebt ungeheuer viel zu thun in der Welt, und ich will fleißig sein. <persName xml:id="persName_539dcd86-2662-4a3b-8e9c-7bd906f61591">Goethes<name key="PSN0111422" style="hidden">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> Wort das er zu mir sagte: <persName xml:id="persName_34870787-7457-4c52-8887-67a6bb40f21e">Schiller<name key="PSN0114545" style="hidden">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name></persName> hätte jährlich 2 große Trauerspiele <hi rend="underline">liefern können </hi>hatte mir schon immer mit seinem handwerksmäßigen Ausdrucke besondern Respect eingeflößt. Aber heut morgen ist es mir erst recht klar geworden, wie viel es eigentlich zu bedeuten hat und ich habe eingesehen, daß man sich zusammennehmen muß. – Selbst die Irrthümer drin sind liebenswürdig und es ist etwas Großes darin; und so gewiß mir <title xml:id="title_11166b08-3b64-453b-92b9-2890b7d7fb1b">alle Bertha<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title> und Rudenz und der alte Attinghausen als große Schwächen erscheinen, so kann man doch sehen wie er sich was dabey gedacht hat und wie <hi rend="underline">er </hi>es eben so hat machen müssen, und es ist tröstlich, daß sich so ein großer Mann auch einmal tüchtig versehen hat. Ich habe einen sehr frohen Morgen dadurch gehabt, und es hat mich in die Stimmung gesetzt, wo man sich solch einen Mann ins Leben zurückwünscht, um sich bei ihm einmal bedanken zu können, und wo man sich sehnt, auch einmal was zu machen, das einen Andern später in solche Stimmung versetzen könne. </p><p>Ihr werdet nicht begreifen, wie ich dazu komme mich hier in Engelberg ordentlich niederzulassen. Es ging so zu. Seit Unterseeen hatte ich keinen Ruhetag gemacht und wollte daher einen Tag in Meyringen bleiben, ließ mich aber durch das schöne Wetter des Morgens verlocken hieher zu gehen; auf den Bergen überfiel mich wieder der gewöhnliche Regen und Sturm, und so kam ich hier ziemlich ermüdet an. Nun ist hier das netteste Wirthshaus, das man sich denken kann: reinlich, ordentlich, sehr klein und bäuerisch, ein alter weißhaariger Wirth, das hölzerne Haus steht abwärts vom Wege auf einer Wiese allein, die Leute sind so freundlich und doch gemächlich, als ob man zu Hause wäre – auch diese Art Annehmlichkeit kann man nur bei deutschredenden Leuten finden, glaub’ ich, wenigstens ist sie mir sonst nirgend vorgekommen, und wenn auch die andern Völker das nicht vermissen oder kaum gerne mögen, so bin ich eben aus Hamburg und fühle mich gar wohl und heimisch dabey. So ist es denn kein Wunder, daß ich heut meinen Ruhetag hier gemacht habe, bey den ehrlichen, alten Leuten. Meine Stube ist von allen Seiten voll Fenster, die die Aussicht aufs Thal haben, von oben bis unten mit zierlichem Holz getäfelt, einige bunte Sittensprüche und ein Crucifix hängen an der Wand, ein dicker grüner Ofen mit einer Bank die herumgeht, zwei hohe Betten. Wenn ich in meinem Bett liege, habe ich folgende Aussicht:</p><note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_f8b8e329-0d06-12cd9-28921-77b259e92f43" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note><p style="paragraph_without_indent">Hier sind nun wieder die Gebäude misrathen und auch die Berge, aber ich denke es Euch <title xml:id="title_828b7c54-fac2-4d03-9461-e53fbc60f523">in meinem Buche<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_tlyiwwpa-x5zo-d4rw-djtf-dhlzsovtaxaq"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100857" style="hidden">Zeichenalbum Italien, Schweiz 1831: GB-Ob, M.D.M. d. 3<idno type="MWV">ZB 10</idno><idno type="op"></idno></name></title> besser zu zeigen, wenn morgen erträgliches Wetter ist. Das Thal wird mir wohl eins der liebsten aus der ganzen Schweiz werden, noch hab’ ich die gewaltigen Berge nicht gesehen, von denen es eingeschlossen wird, sie waren den ganzen Tag mit Nebel bedeckt, aber die wunderlieblichen Wiesen, die vielen Bäche, die Häuser, und der Fuß der Gebirge, soviel man davon sehn konnte, sind über Alles schön. Namentlich ist das Grün in Unterwalden schöner, als in irgend einem andern Canton, und es ist auch unter den Schweizern seiner Matten wegen berühmt. Schon die Reise von Sarnen aus, war reizend und fortwährend habe ich es bedauert, daß Du, lieber <persName xml:id="persName_f68f9cff-a38c-4844-913e-4e03f424fc96">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName>, nicht über den Brunig gegangen bist, es würde Dein Lieblingspunct geworden sein, schönre, größre Bäume und ein fruchtbareres Land habe ich nie gesehen, als da; auch ist der Weg so wenig beschwerlich, als ginge man nur in einem großen Garten spazieren, die Abhänge sind mit langen schlanken Buchen bewachsen, die Steine ganz mit Moos und Kräutern verdeckt, Quellen, Bäche, kleine Seen, Häuser, auf der einen Seite der Blick auf Unterwalden mit seinen grünen Wiesen, dann nach ein Paar Minuten das große Haslithal mit den Schneebergen und den Wasserfällen von den Felswänden, und immer ist der Weg von dicken gewaltigen Bäumen beschattet. Gestern früh ließ ich mich nun, wie gesagt, durch den Sonnenschein verleiten durchs Genthelthal aufs Joch zu gehen. Das Genthelthal, voll Wiesen und Wasserfällen ist sehr schön und still, aber auf dem Joch überfiel uns wieder das schreckliche Wetter, wir mußten wieder durch den Schnee, und die Partie wurde ein Paarmal unangenehm. Doch kamen wir bald aus Regen und Schnee heraus und da gab es einen himmlischen Moment, als sich die Wolken hoben und wir noch darin standen und weit unter uns wie durch einen schwarzen Schleier das grüne Engelberger Thal durch die Nebel erscheinen sahen. Da ging es denn schnell hinunter, wir hörten bald die helle Klosterglocke ave maria läuten, sahen dann das weiße Gebäude in den Wiesen liegen, und kamen nach einer 9 stündigen Reise hier an. Wie dann so ein freundliches Wirthshaus gut thut, und wie der Milchreis schmeckt, und wie lange man den nächsten Morgen schläft laßt mich verschweigen. Heut war wieder den ganzen Tag trauriges Wetter, man holte mir <title xml:id="title_ef2dca08-92aa-458e-8f40-947c5f1ffb6a">Wilhelm Tell<name key="PSN0114545" style="hidden" type="author">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name><name key="CRT0110678" style="hidden" type="dramatic_work">Wilhelm Tell</name></title> aus der Klosterbibliothek, und den Rest wißt Ihr. – Es ist mir noch aufgefallen, wie sehr er namentlich den Rudenz verfehlt hat, denn der ganze Character ist zu schwach und ohne alles Motiv, und es ist ordentlich, als habe er ihn absichtlich recht schlecht darstellen wollen: Die Worte, die er in der Scene mit dem Apfel spricht, würden ihn heben, aber da war die Scene mit Bertha vorher und nun hilft das nichts, wie er sich nach dem Tode Attinghausens mit den Schweizern vereinigt, will man denken er sey umgewandelt, aber gleich platzt er mit der Nachricht heraus, seine Bertha sey ihm geraubt, da ist es freilich wieder sein Verdienst nicht. Mir ist eingefallen, wenn er die tüchtigen Worte gegen den Geßler ganz so spräche, <hi rend="underline">ohne</hi> daß die Scene mit Bertha vorhergegangen wäre, und wenn dann daraus sich im folgenden Act solch eine Scene entspänne, so wäre der Character gewiß viel besser, und auch die Erklärungsscene wäre nicht so blos theatralisch, wie jetzt. Das ist nun so recht das Ei mit der Henne, aber ich möchte einmal Eure Meinung hierüber hören. Einen Gelehrten darf man über dergleichen nicht sprechen, die Herren sind gar zu dumm. Wenn ich aber in diesen Tagen einen der neueren jungen Dichter begegne, die auf <persName xml:id="persName_acdbd534-7ed7-4be8-bcac-9b5a1798290e">Schiller<name key="PSN0114545" style="hidden">Schiller, Johann Christoph Friedrich (seit 1802) von (1759-1805)</name></persName> sehr hinabsehen und ihn nur theilweise billigen, so ist es sein Unglück, denn ich will ihn todt treten. Es ist nebenbei die schreiendste Undankbarkeit, von solchen Jungen; sie haben ihn aber wahrscheinlich gar nicht gelesen, und sprechen es blos nach. – Nun gute Nacht, morgen muß ich früh aufstehen, denn im Kloster ist großer Festtag und feierlicher Gottesdienst und da muß ich die <placeName xml:id="placeName_de2faf2f-3528-4287-a149-da89ba9a287a">Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> dazu spielen. Die Mönche hörten heut früh zu, als ich ein wenig phantasirte, das hat ihnen gefallen und so haben sie mich eingeladen morgen früh den Feiertag ein- und auszuorgeln. Der <persName xml:id="persName_978f26be-723c-4166-b408-b9f858dba63d">pater Organist<name key="PSN0115243" style="hidden">Tanner, Plazidus (1797-1866)</name></persName> hat mir auch ein Thema gegeben, um drauf zu phantasiren, das ist besser, als es irgend einem Organisten in Italien je einfallen könnte: <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_25b868bf-af73-18cb7-aae7a-8e017695eb89" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note> nun will ich sehen, ob mir morgen etwas drauf einfallen wird. <title xml:id="title_3f0f866c-6ad3-4cb3-a2e3-2208895d0ff5">Ein Paar neue Orgelstücke<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_i5bhcnsj-6230-66hp-5p6p-ioxweiq2ystc"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="unidentified_and_unspecified_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100951" style="hidden">Orgelstücke, [August 1831]; verschollene oder nicht notierte kompositorische Entwürfe<idno type="MWV"></idno><idno type="op"></idno></name></title> von mir habe ich heut Nachmittag noch da in der Kirche gespielt, sie klangen ziemlich gut. Als ich Abends beim Kloster vorbey kam wurde die Kirche geschlossen, und kaum waren die Thüren zu, so fingen die Mönche in der dunkeln Kirche mit Macht die Nocturnen zu singen an. Sie intonirten das tiefe h. Es klang prächtig, und man konnte es noch weit im Thale hören. Das Engelberger Thal ist wunderbar und soll nicht vergessen werden. </p></div><div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_50433462-4e27-4030-b006-eb64dcfe1158"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><p><seg type="inline">Engelberg d. <date cert="high" when="1831-08-24" xml:id="date_deec1bea-9c96-4c90-bdce-c55f8c0e7006">24 Aug.</date></seg> Das war wieder ein Tag! Das herrlichste, heiterste Wetter, blauer Himmel wie ich ihn seit Chamouny nicht gesehen, Feiertag im Dorfe und auf allen Bergen. Wenn man so nach langem Nebel und Ungemach wieder einmal Morgens am Fenster die ganze reine Bergkette mit allen Spitzen sieht, das thut sehr wohl. Sie sind nach dem Regen bekanntlich am schönsten, aber heut sahen sie so klar aus, als seien sie aus dem Ei geschält. Das Thal giebt keinem der Schweiz etwas nach, komme ich je wieder hieher, so soll es mein Hauptpunct sein, es ist noch lieblicher und breiter und freier, als Chamouni und luftiger als Interlaken. Die Spannörter sind unglaubliche Zacken und der runde mit Schnee belastete Titlis, der den Fuß in den Wiesen hat, und die Urner Felsen aus der Ferne sind auch nicht übel. Jetzt ist noch dazu Vollmond; das Thal ist geschmückt. Ich habe den ganzen Tag <title xml:id="title_5b111ead-cd8f-462c-914d-616561774fed">nichts gethan, als gezeichnet<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_kkgjpzg3-f95w-3wwe-d02m-spu3yq3vomay"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100871" style="hidden">Engelberg, 2 Skizzen, 24. August 1831; fol. 35r und 36r<idno type="MWV">ZB 10/35-36</idno><idno type="op"></idno></name><list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_s5nzr8cz-kymg-qchy-qoec-namjoojgddk3"> <item n="1" sortKey="art" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="drawing_albums_and_collection_sources_with_drawings" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="drawing_albums" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100871" style="hidden">Engelberg, 2 Skizzen, 24. August 1831; fol. 35r und 36r<idno type="MWV">ZB 10/35-36</idno><idno type="op"></idno></name></title> und Orgel gespielt. Heut früh versah ich meinen Organistendienst, da war es prächtig. Die <placeName xml:id="placeName_7d8a457d-556c-4a5b-88f1-1c279ef052f1">Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> ist gleich beim Hochaltar, neben den Chorstühlen für die patres. So nahm ich denn meinen Platz mitten unter den Mönchen, der wahre Saul unter den Propheten, neben mir strich ein böser Benedictiner den Contrabaß, einige andre Geige, einer der Honoratioren geigte vor, der pater praeceptor stand vor mir, sang Solo und dirigirte mit einem armdicken langen Prügel, die Eleven des Klosters machten den Chor in ihren schwarzen Kutten, ein alter reducirter Landmann spielte auf einer alten reducirten Hoboe mit, und ganz in der Ferne saßen zwei und tuteten still in große Trompeten mit grünen Quasten. Und mit alle dem war das Ding sehr erfreulich, man mußte die Leute lieb haben, denn sie hatten Eifer, und arbeiteten alle so gut sie konnten. Es wurde eine <title xml:id="title_db9a8588-c3b4-4fe7-9135-e258899e5b1f">Messe von Emmerich<name key="PSN0110902" style="hidden" type="author">Emmerich, Wolfgang Joseph (1772-1839)</name><name key="CRT0108677" style="hidden" type="music">Missa solemnis op. 3</name></title> gegeben, jeder Ton hatte seinen Zopf und seinen Puder; ich spielte treulich den Generalbaß aus meiner bezifferten Stimme, setzte von Zeit zu Zeit dicke Blaseinstrumente zu, wenn ich mich langweilte, machte auch die Responsorien, phantasirte auf das gegebne Thema, mußte am Ende auf Begehren des Prälats einen Marsch spielen, so hart es mir auf der <placeName xml:id="placeName_eaa8acc5-7446-40c4-9d1c-02a72bbbf340">Orgel<name key="SGH0100376" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktinerkloster</name><settlement key="STM0100182" style="hidden" type="">Engelberg</settlement><country style="hidden">Schweiz</country></placeName> ankam und wurde ehrenvoll entlassen. Heut Nachmittag mußte ich den Mönchen wieder allein vorspielen, sie gaben mir die hübschesten Themas von der Welt, unter andern das <title xml:id="title_2709841f-7ce0-4a76-a170-1c5e7cb69c36">Credo<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name></title>: Da ist mir heut eine Phantasie drauf gelungen; es ist die erste in meinem Leben, die ich gerne aufgeschrieben haben möchte, aber ich weiß nur noch den Gang davon, und bitte um Erlaubniß eine Stelle davon, die ich nicht vergessen möchte, <persName xml:id="persName_336208fa-b387-4aef-bed4-9a91d253f73f">Fanny’n<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> hier mitzutheilen. Es kamen nämlich nach und nach immer mehr Contrathemas gegen den Canto fermo, erst punctirte Noten, dann Triolen, zuletzt schnelle Sechzehntheil aus denen sich dann das Credo immer wieder herausarbeiten mußte; ganz am Ende wurden aber die <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">1</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">16</hi> </formula> sehr toll, und es kamen arpeggios über die ganze Orgel, in g moll, dann nahm ich in langen Noten (zu den fortwährenden Arpeggios) das Thema im Pedal, so daß es mit a schloß, auf dem a machte ich nun einen Orgelpunct in arpeggios, und da fiel es mir auf einmal ein, die arpeggios mit der linken Hand allein zu machen, so daß die rechte ganz oben wieder mit a das <title xml:id="title_ee3aed8e-06db-4c34-944f-ac7323869fc3">Credo<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107802" style="hidden" type="music">Messe h-Moll, BWV 232</name></title> einsetzte, ungefähr so <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_a7a60afd-c0f8-c7268-aa8c9-c2bc28af3a61" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note>auf der letzten Note kam dann ein Halt und eine Pause, und dann schloß es. Ich wollte, Du hättest es gehört, ich glaube, es würde Dir gefallen haben. Dann mußten die Mönche ins Complet und wir nahmen recht herzlichen Abschied, sie wollten mir Empfehlungsbriefe für einige andre Orte in Unterwalden mitgeben, aber ich verbat es, weil ich morgen früh nach Luzern denke, und von da in 5 – 6 Tagen schon aus der Schweiz sein will. Ich gehe aber oestlich und nicht westlich, wie ich neulich schrieb. Von Lucern aus dann das Ende dieses Briefs und des Spazierganges; so Gott will finde ich dort gute Nachrichten von Euch.</p></div><div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_93f066d5-3dd2-4efa-b51d-a6af047dfb6a"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><p><seg type="inline">Luzern den <date cert="high" when-custom="1831-08-28" xml:id="date_053ef02a-2753-4a6d-bf5f-a773f180c53a">28 Aug.</date></seg> Lieber <persName xml:id="persName_b0fb57af-95ec-46df-a42e-196fdf575daf">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName>! Ich adressire dieses Tagebuch an Dich, weil ich Dir nun bestimmt meinen Reiseplan mittheilen kann. Der Cordon der an der OesterreichischBayrischen Grenze gezogen wird, hat mich meinen Weg ändern machen, denn obwohl ich nicht gewiß weiß, ob er sich auf Tyrol auch erstreckt, so ist es doch wahrscheinlich, und ich gebe lieber den schönen Weg über Inspruck auf. Morgen denke ich also von hier fortzugehen, und über den Rigi, Einsiedlen, Wesen, und Appenzell nach Lindau, wo ich spätestens den 5<hi rend="superscript">ten</hi> Sept. einz[utreffen denke.] Dort werde ich mich wohl wieder einen Tag lang ausruhen, weiß auch noch nicht, welchen Weg ich von da aus nach München nehme, ob zu Wagen über Augsburg oder zu Fuß den näheren durchs Gebirge. Auf jeden Fall aber bin ich, so Gott will, nicht später als den 10<hi rend="superscript">ten</hi> Sept. in München, und denke dort wenigstens 3 Wochen zu bleiben, weil ich, wo möglich die Sache mit der Oper durchzusetzen suchen will, wenn die jetzigen unangenehmen Umstände nicht, wie ich fürchte, dem <placeName xml:id="placeName_ff1bca0c-b74c-4cae-bbfe-7b3c06447047">Theater<name key="NST0100393" style="hidden" subtype="" type="institution">Königliches Hof- und Nationaltheater</name><settlement key="STM0100169" style="hidden" type="">München</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> dort sehr geschadet haben, weil ich auch vielleicht noch anderes dort zu thun finden werde; so daß ich also vor Ende September nicht von München wegzugehen denke. Weiter setze ich kein Wort hinzu; Du weißt, was ich wünsche und hoffe. <seg type="closer" xml:id="seg_0e2114ca-5a90-491d-bf8e-7f5788040b12">Lebt mir alle wohl und denkt meiner; vom Rigi aus und von der weiteren Reise hört Ihr wieder von mir. Lebt wohl</seg></p><signed rend="right">F.</signed></div><div n="4" type="act_of_writing" xml:id="div_1cbed1e7-10f8-4d47-9b56-2933393ed27b"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><p style="paragraph_without_indent">N. S. Liebe <persName xml:id="persName_f292d8fa-9924-4367-9e07-f551986f3a7d">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName>, indem ich Deine Zeilen vom 12<hi rend="superscript">ten</hi> lese, die ich gestern erhielt, fällt mir Deine Frage über <persName xml:id="persName_7daaef10-7ff4-4c3b-83ce-b3570a9e73dc">Vernet<name key="PSN0115495" style="hidden">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name></persName> auf; verzeih daß ich so lange nicht geantwortet; <title xml:id="title_19df5499-30bc-479e-a1fa-774e60a1fbc1">mein Bild<name key="PSN0115495" style="hidden" type="author">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name><name key="CRT0111186" style="hidden" type="art">Felix Mendelssohn Bartholdy (Ölgemälde 1831)</name></title> liegt in München bei meinen Sachen, weil er durchaus wollte, ich soll es zusammenrollen lassen und selbst mitnehmen; von dort aus schicke ich es Euch sogleich. Du schreibst, ich sey vom schönsten Wetter begünstigt, und ich habe seit ich in der Schweiz war nur drei Tage ohne Regen gehabt. Doch hat sich es seit einigen Tagen aufgeheitert, und ich habe Hoffnung zu schönem Herbstwetter. Die Berge sind wunderbar. Die Post geht sogleich, drum bin ich eilig; mein Reiseplan ist erst seit einer halben Stunde gemacht, weil ich die Zeitungen erwartete. Auch das Format entschuldigt. Es ist Engelberger Brief</p></div></body></text></TEI>