fmb-1831-07-04-02
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Genua, 4. Juli 1831
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
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Unbekannt
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Sie haben so lange nichts von sich hören lassen, da muß ich Ihnen wieder schreiben. Daß Sie, der pünktlichste Correspondent, nicht ohne Grund so lange schweigen, kann ich mir denken, aber nicht begreifen was der Grund sey? Hoffentlich nur kein unangenehmer, Sie und die Ihrigen sind doch wohl? und sind nicht böse auf mich? oder haben Sie am Ende meinen Brief gar nicht erhalten? Das kann ich mir gar nicht denken, kurz ich zerbreche mir den Kopf und finde nichts heraus. Bitte lassen Sie mich bald wissen wie es Ihnen allen geht, was Sie treiben, wie Sie leben, namentlich ob Sie Wien verlassen, und wohin Sie sich wenden werden, das möcht ich gern wissen, weil es sich dann vielleicht einrichten ließe, daß wir uns begegneten, was ich mir vom ganzen Herzen wünsche. Sie glauben nicht, wie ich täglich mit Dankbarkeit an die Tage denke, die ich bey Ihnen im Bücherzimmer mit 4 Fenstern wohnte. Sie haben mir eine sehr frohe Zeit gemacht, und so lange mir die Erinnerung daran bleibt, so lange werd’ ichs Ihnen danken. Das möcht’ ich nun aber gar zu gern einmal wieder mündlich thun, und möchte wieder einmal einen ordentlichen Menschen sehen, eine ordentliche Stimme hören, und ordentlich Musik machen können. Hier im kalten Italien gibt es dergleichen nicht. Bewunderung und Verehrung hat man vollauf von den Menschen aber keine Freude. Sie sind herabgesunken, oder vielmehr, sie sinken täglich, und es ist ein Jammer mit anzusehen. Daß sie keine Wahrheit und keinen Heldensinn haben, wußt’ ich schon längst; man hatte es mir aus Sachsen geschrieben. Aber der grelle Widerspruch eines warmen blühenden phantastisch schönen Landes über alle Länder, mit kalten, trocknen, nämlich philisterhaften Menschen unter allen andern Völkern, den hätt’ ich mir nicht so arg gedacht. Wenn man mit einem kleinen Jungen spricht, oder Kinder nur ansieht, und da noch das alte Feuer, den alten Geist und die Lebendigkeit hervorsprühen sieht, und dann die älteren denen alle Richtung und Gesinnung fehlt, die so durch und durch sittlich, also auch geistig verdorben sind – man möchte zuweilen traurig darüber werden, und dann sehen Berge, Bäume, Meer und Inseln so blühend darüber herein, und bleiben so heiter und so schön, trotz allem Elend um sie herum; es ist ein sonderbares Bild. Das erklärt auch, warum es ehemals das Land der Kunst war, die Zeit ist längst vorüber, und ob sie wieder kommt, weiß keiner von uns. Sollten Sie aber wohl denken, daß ich eine unglaubliche Sehnsucht nach irgend einem gesunden Ton, einem schönen Klang habe? Was das Volk hier singt, ist so entsetzlich barbarisch, die Stimmen so unrein und gemein roh, daß man gewiß denkt, hier komme ein Betrunkener der taumelt; bis man merkt, der Mann sey ganz nüchtern, und singe eine der berühmten Barcarolen. Sie sind mir kaum lieber als die
Genua d. 4 July 31. Lieber Freund Hauser! Sie haben so lange nichts von sich hören lassen, da muß ich Ihnen wieder schreiben. Daß Sie, der pünktlichste Correspondent, nicht ohne Grund so lange schweigen, kann ich mir denken, aber nicht begreifen was der Grund sey? Hoffentlich nur kein unangenehmer, Sie und die Ihrigen sind doch wohl? und sind nicht böse auf mich? oder haben Sie am Ende meinen Brief gar nicht erhalten? Das kann ich mir gar nicht denken, kurz ich zerbreche mir den Kopf und finde nichts heraus. Bitte lassen Sie mich bald wissen wie es Ihnen allen geht, was Sie treiben, wie Sie leben, namentlich ob Sie Wien verlassen, und wohin Sie sich wenden werden, das möcht ich gern wissen, weil es sich dann vielleicht einrichten ließe, daß wir uns begegneten, was ich mir vom ganzen Herzen wünsche. Sie glauben nicht, wie ich täglich mit Dankbarkeit an die Tage denke, die ich bey Ihnen im Bücherzimmer mit 4 Fenstern wohnte. Sie haben mir eine sehr frohe Zeit gemacht, und so lange mir die Erinnerung daran bleibt, so lange werd’ ichs Ihnen danken. Das möcht’ ich nun aber gar zu gern einmal wieder mündlich thun, und möchte wieder einmal einen ordentlichen Menschen sehen, eine ordentliche Stimme hören, und ordentlich Musik machen können. Hier im kalten Italien gibt es dergleichen nicht. Bewunderung und Verehrung hat man vollauf von den Menschen aber keine Freude. Sie sind herabgesunken, oder vielmehr, sie sinken täglich, und es ist ein Jammer mit anzusehen. Daß sie keine Wahrheit und keinen Heldensinn haben, wußt’ ich schon längst; man hatte es mir aus Sachsen geschrieben. Aber der grelle Widerspruch eines warmen blühenden phantastisch schönen Landes über alle Länder, mit kalten, trocknen, nämlich philisterhaften Menschen unter allen andern Völkern, den hätt’ ich mir nicht so arg gedacht. Wenn man mit einem kleinen Jungen spricht, oder Kinder nur ansieht, und da noch das alte Feuer, den alten Geist und die Lebendigkeit hervorsprühen sieht, und dann die älteren denen alle Richtung und Gesinnung fehlt, die so durch und durch sittlich, also auch geistig verdorben sind – man möchte zuweilen traurig darüber werden, und dann sehen Berge, Bäume, Meer und Inseln so blühend darüber herein, und bleiben so heiter und so schön, trotz allem Elend um sie herum; es ist ein sonderbares Bild. Das erklärt auch, warum es ehemals das Land der Kunst war, die Zeit ist längst vorüber, und ob sie wieder kommt, weiß keiner von uns. Sollten Sie aber wohl denken, daß ich eine unglaubliche Sehnsucht nach irgend einem gesunden Ton, einem schönen Klang habe? Was das Volk hier singt, ist so entsetzlich barbarisch, die Stimmen so unrein und gemein roh, daß man gewiß denkt, hier komme ein Betrunkener der taumelt; bis man merkt, der Mann sey ganz nüchtern, und singe eine der berühmten Barcarolen. Sie sind mir kaum lieber als die aus der Stummen. Àpropos, auf dem Berliner Hoftheater machen sie den Vesuv so verflucht treu, daß es mir Portici ganz verdorben hat. Ich dachte immer der dicke Berg vor mir sey nur Leinwand und Lappen, und ich säße nicht im Calessino, sondern im Sperrsitz und neben mir nicht mein Kutscher sondern was Schlimmeres: J. P. Schmidt. À propos, in der neuesten Auberschen Oper, die le Philtre heißt, und in einem französischen Städtchen spielt, singt der Maire eine Barcarole. Gott sey Dank, ich bin noch sehr grimmig, wenn ich an all den Unfug denke. Des Scheltens ist es aber nun wohl genug, sonst denken Sie am Ende gar ich sitze als Brummbär hier in Genua, und sehe den Hafen mit mürrischem Gesicht an. Und das geht doch nicht, denn er ist gar zu heiter und lieblich mit dem hellen Leuchtthurm, und der Menge knarrender Schiffe, an denen geklopft und gehämmert wird, und mit den kleinen Gondeln dazwischen, und ganz hinten der blaue Meerstreif. Die Reise von Florenz hieher ist das Allerschönste, das man sich denken kann, die Gegenden liegen vor einem, wie die Erscheinungen und wechseln und erneuen sich unaufhörlich. Morgen will ich nun nach Mailand, und dann durch die Schweitz nach München, wo ich ein Paar Wochen bleiben, und mich nach Arbeit umsehen will. Dann soll es nach Paris, und endlich wieder nach dem rauchigen London gehen, wo mein Bruder jetzt ist, und viele liebe Freunde. Mittlerweile aber wäre es doch gar zu hübsch, wenn wir uns wieder irgendwo treffen könnten. Ich hätte Ihnen noch mancherley Neues zu zeigen, und viel für Ihre Stimme, was Sie sehr schön singen würden – die Walpurgisnacht von Göthe, die mir einmal an Ihrem Clavier einfiel, dehnt sich mir immer breiter aus; in Mailand denk ich es fertig zu machen, es wird eine Art Amphibie. Außerdem sollte und möchte ich wenigstens zwey Sinfonien die ich im Kopfe habe, ein ClavierConcert, u. a. schreiben; aber Abends bin ich müde, Mittags bin ich hungrig, und in der Zwischenzeit reise ich per Vetturin, da geht es freylich nicht. Verzeihen Sie den halben Bogen, den Sie excommunicirt haben; ich reise aber morgen ganz früh, und wollte weiter nichts, als Sie recht dringend bitten, mir ein Lebenszeichen zu geben, und mir wieder einen Brief zukommen zu lassen. Meine Adresse ist: Mailand an Mirabaud et Comp., das hoffe ich bald von Ihrer Hand geschrieben zu sehen, und Nachricht von Ihnen allen. Meine herzlichsten Grüße und Wünsche Ihrer lieben Frau und meinen Freunden Moritz und dem Kleinen, wo wir uns wieder treffen, da reiten wir wieder zusammen. Und dann bekomme ich wieder ein süßes Gericht, und dann spiele ich Ihnen wieder meine Lieder vor, die Sie gern hören, und ein paar neue dazu, und ist es wieder hübsch und frohe Zeit. Bis dahin und auch dann mit Gott. Felix MB.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1831-07-04" xml:id="date_fc5d2e85-f11b-4e6d-a7f3-af887b817db7">4. 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Das möcht’ ich nun aber gar zu gern einmal wieder mündlich thun, und möchte wieder einmal einen ordentlichen Menschen sehen, eine ordentliche Stimme hören, und ordentlich Musik machen können. Hier im kalten Italien gibt es dergleichen nicht. Bewunderung und Verehrung hat man vollauf von den Menschen aber keine Freude. Sie sind herabgesunken, oder vielmehr, sie sinken täglich, und es ist ein Jammer mit anzusehen. Daß sie keine Wahrheit und keinen Heldensinn haben, wußt’ ich schon längst; man hatte es mir aus Sachsen geschrieben. Aber der grelle Widerspruch eines warmen blühenden phantastisch schönen Landes über alle Länder, mit kalten, trocknen, nämlich philisterhaften Menschen unter allen andern Völkern, den hätt’ ich mir nicht so arg gedacht. Wenn man mit einem kleinen Jungen spricht, oder Kinder nur ansieht, und da noch das alte Feuer, den alten Geist und die Lebendigkeit hervorsprühen sieht, und dann die älteren denen alle Richtung und Gesinnung fehlt, die so durch und durch sittlich, also auch geistig verdorben sind – man möchte zuweilen traurig darüber werden, und dann sehen Berge, Bäume, Meer und Inseln so blühend darüber herein, und bleiben so heiter und so schön, trotz allem Elend um sie herum; es ist ein sonderbares Bild. Das erklärt auch, warum es ehemals das Land der Kunst war, die Zeit ist längst vorüber, und ob sie wieder kommt, weiß keiner von uns. Sollten Sie aber wohl denken, daß ich eine unglaubliche Sehnsucht nach irgend einem gesunden Ton, einem schönen Klang habe? Was das Volk hier singt, ist so entsetzlich barbarisch, die Stimmen so unrein und gemein roh, daß man gewiß denkt, hier komme ein Betrunkener der taumelt; bis man merkt, der Mann sey ganz nüchtern, und singe eine der berühmten Barcarolen. 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Die Reise von Florenz hieher ist das Allerschönste, das man sich denken kann, die Gegenden liegen vor einem, wie die Erscheinungen und wechseln und erneuen sich unaufhörlich. Morgen will ich nun nach Mailand, und dann durch die Schweitz nach München, wo ich ein Paar Wochen bleiben, und mich nach Arbeit umsehen will. Dann soll es nach Paris, und endlich wieder nach dem rauchigen London gehen, wo <persName xml:id="persName_31814bb7-d246-4cfd-a603-cd35fdbf9a71">mein Bruder<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName> jetzt ist, und viele liebe Freunde. Mittlerweile aber wäre es doch gar zu hübsch, wenn wir uns wieder irgendwo treffen könnten. 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März 1833; [Juni 1834 bis Anfang 1835]<idno type="MWV">N 16</idno><idno type="op">90</idno></name></title> die ich im Kopfe habe, ein <title xml:id="title_036e6540-eb17-4850-aaf8-57c4ee12f3c6">ClavierConcert<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_7baibsga-0zvj-ishk-kxu8-4kvzofwqocgm"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="instrumental_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="orchestral_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="concerts_and_concertante_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100349" style="hidden">Konzert Nr. 1 g-Moll für Klavier und Orchester bzw. Streichorchester, [November 1830 bis Oktober 1831]<idno type="MWV">O 7</idno><idno type="op">25</idno></name></title>, u.a. schreiben; aber Abends bin ich müde, Mittags bin ich hungrig, und in der Zwischenzeit reise ich per Vetturin, da geht es freylich nicht. Verzeihen Sie den halben Bogen, den Sie excommunicirt haben; ich reise aber morgen ganz früh, und wollte weiter nichts, als Sie recht dringend bitten, mir ein Lebenszeichen zu geben, und mir wieder einen Brief zukommen zu lassen. Meine Adresse ist: Mailand an <persName xml:id="persName_94269631-59d1-4bc4-925d-39690ac1a6cf">Mirabaud et Comp.<name key="PSN0113360" style="hidden">Mirabaud & Co., Bankhaus in Mailand</name></persName>, das hoffe ich bald von Ihrer Hand geschrieben zu sehen, und Nachricht von Ihnen allen. Meine herzlichsten Grüße und Wünsche <persName xml:id="persName_50373e05-ab98-4202-80fe-aea026a21967">Ihrer lieben Frau<name key="PSN0111777" style="hidden">Hauser, Luise Georgine Henriette (1796-1867)</name></persName> und meinen Freunden <persName xml:id="persName_bef429ed-df48-42dc-9623-e12c03df1e23">Moritz<name key="PSN0111778" style="hidden">Hauser, Moritz Heinrich (1826-1857)</name></persName> und dem <persName xml:id="persName_bace3c93-9b94-4029-a58f-a3575016d5ae">Kleinen<name key="PSN0111776" style="hidden">Hauser, Joseph Paul (auch: Michael Carl Joseph) (1828-1903)</name></persName>, wo wir uns wieder treffen, da reiten wir wieder zusammen. Und dann bekomme ich wieder ein süßes Gericht, und dann spiele ich Ihnen wieder meine Lieder vor, die Sie gern hören, und ein paar neue dazu, und ist es wieder hübsch und frohe Zeit. <seg type="closer" xml:id="seg_8026aaaa-bcf9-4ef5-a3ce-44a265f97ee7">Bis dahin und auch dann mit Gott.</seg></p><signed rend="right">Felix MB.</signed></div></body> </text></TEI>