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fmb-1831-05-17-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy <lb></lb>Neapel, 17. Mai 1831 Sonnabend den 14ten Mai um 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann er möge nun umwenden; wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Paestum, und das war der südlichste Punct auf meiner Jugendreise. Der Wagen Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 2, 426

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 13, fol. 59-60. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy; Neapel, 17. Mai 1831 Sonnabend den 14ten Mai um 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann er möge nun umwenden; wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Paestum, und das war der südlichste Punct auf meiner Jugendreise. Der Wagen

4 beschr. S.; Adresse, mehrere Poststempel.

Felix Mendelssohn Bartholdy

Green Books

Mendelssohn, Reisebriefe, S.145-147 (Teildruck). Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 148-152 (Teildruck).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

17. Mai 1831 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Neapel Italien Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy Berlin Deutschland deutsch
À Mr. Mr. A. Mendelssohn Bartholdy Berlin Prusse
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Neapel den 17 Mai. 31.Ihr Lieben

Sonnabend den 14ten Mai um 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann er möge nun umwenden; wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Paestum, und das war der südlichste Punct auf meiner Jugendreise. Der Wagen kehrte sich um, nach Norden zu, und seitdem nähere ich mich wieder Euch, wenn ich weiterreise. Es war ungefähr ein Jahr, daß ich mit VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) nach Dessau und Leipzig abgereis’t war, und so stimmt es auch in der Zeit; es war die Hälfte. Ich habe das Jahr für mich benutzt, bin an Eindrücken und Erfahrungen sehr viel reicher, war auch fleißig in Rom und hier, aber Aeußerliches ist nichts geschehen, und im Anfange des nächsten so lange ich in Italien bin, wird es wohl auch dabey bleiben; darum ist mir die Zeit nicht weniger lieb, als andre wo ich äußerlich und in der Meinung der Leute vorwärts kam, denn das hängt doch immer zusammen: habe ich was Rechtes erlebt, so wird es schon auch nach Außen wirken, und ich will gewiß keine Gelegenheit dazu vorüber lassen. Hoffentlich wird die auch noch vor Ende dieser Reise ein Paar Mal kommen, deshalb kann ich die Monate die mir noch für Italien bleiben, fortfahren die Natur und den blauen Himmel zu genießen, ohne an was Anders zu denken; nur da ist jetzt die Kunst von Italien, da und in Monumenten; aber da bleibt sie auch ewig, und da wird unser eins zu lernen und zu bewundern finden, so lange der Vesuv stehen bleibt, und so lange die milde Luft und das Meer und die Bäume nicht vergehen: Trotz dessen bin ich Stock-Musiker genug, um mich recht herzlich wieder einmal nach einem Orchester oder einem vollen Chor zu sehnen, es ist doch auch Klang drin, und solchen giebts hier nicht; das ist unsre Sache jetzt geworden, und wenn man so lange ganz ohne dies Element hat sein müssen, so fehlt es einem sehr. OrchesterPhilharmonische GesellschaftNeapelItalien und Chor sind hier, wie in einer untergeordneten Mittelstadt bei uns, nur noch roher und unsicherer: Der erste Violinist schlägt durch die ganze Oper hindurch die vier Viertel des Taktes auf einen blechernen Leuchter, so daß man es zuweilen mehr hört, als die Stimmen (es klingt etwa, wie obligate Castagnetten, nur stärker) und trotz dessen sind Orchester und Sänger nie zusammen: bei jedem kleinen Instrumental Solo kommen altmodische Verzierungen und besonders ein schlechter Ton zum Vorschein, das Ganze ist ohne den geringsten Geist, ohne Feuer und Lust. Die Sänger sind die schlechtesten Italiänischen, die ich bis jetzt irgendwo gehört habe, Italien ausgenommen, denn wenn man eine Idee von Italiänischem Gesang haben will, muß man nach London oder Paris gehen, selbst die Dresdner Gesellschaft die ich in Leipzig voriges Jahr hörte, ist besser als irgend eine hier. Es ist ja auch natürlich: beim grenzenlosen Elend das man hier überall sieht, wo soll da ein Boden zur Erhaltung eines Theaters, das jetzt doch einmal große Mittel braucht, sich finden? Und die Zeit wo jeder Italiäner geborner Musiker war, wenn sie jemals gewesen, ist lange vorbey: sie behandeln es, wie jeden Modeartikel, kalt, gleichgültig, nur mit dem Interesse des äußerlichen Anstandes, und da ist es nicht zu verwundern, wenn jedes einzelne Talent wie es aufkeimt, gleich in die Fremde geht, wo es besser anerkannt, besser an seinen Platz gestellt wird, und wo es Gelegenheit findet was Ordentliches, Herzstärkendes zu hören und zu lernen. Der einzige TamburiniTamburini, Antonio (1800-1876) hier ist recht gut; man hat ihn aber längst schon in Wien, in Paris und ich glaube auch in London gehört, und jetzt, wo er anfängt seinen Retour zu fühlen, geht er nach Italien zurück. Auch daß die Italiäner die Gesangskunst allein besitzen sollen, kann ich nicht begreifen; denn was ich von Ital. Sängern und Sängerinnen Kunstreiches gehört habe, das kann die SontagSontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854) auch, und in noch höherem Grade, sie hat es zwar, wie sie sagt, meist von der FodorFodor-Mainvielle, Joséphine (1789-1870) gelernt, aber warum sollte denn nun eine andre Deutsche es nicht von der SontagSontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854) lernen können? Und die MalibranMalibran, María Felicità (1808-1836) ist eine Spanierinn. Diese Glorie vom „Lande der Musik“ kann Italien nicht behalten, in der That hat es sie schon verloren und wird es auch vielleicht bald in der Meinung der Leute, obwohl das letztere zufällig ist. Ich war neulich in einer Gesellschaft Musiker, wo man von einer neuen Oper eines Neapolitaners Coccia<name key="PSN0110429" style="hidden" type="author">Coccia, Carlo (1782-1873)</name><name key="CRT0108455" style="hidden" type="music">Edoardo Stuart in Scozia</name> sprach und wissen wollte ob sie gut sey? Wahrscheinlich ist sie gut, sagte einer der Musiker, denn CocciaCoccia, Carlo (1782-1873) war lange in England, hat da studirt und es haben dort auch einige seiner Sachen gefallen. Das war mir auffallend: man würde in England grade so von Italien gesprochen haben. Aber quo me rapis? – Ich wollte eigentlich gar keinen musikalischen Brief schreiben, die Feder ist wieder übergegangen, und nun will ich es gleich einholen. Erstlich Geschäfte. Dich, liebe MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842), bitte ich an MechettiMechetti, Pietro (1777-1850) wegen meiner Exemplare nicht zu schreiben, ich habe mir welche bedungen, aber da ich mit ihm noch in Verbindung stehe, finde ich schon Gelegenheit ihn selbst daran zu erinnern, daß er sie nach Berlin schicken soll. Italiänisch spreche ich so, so; da es aber bekanntlich die weichste Sprache ist, so mögt Ihr rathen, wie die Lichtputze auf Neapolitanisch heißt? lo smoccolatojo wäre gar nichts, das ist Römisch: sie heißt lu smitsch; (ich kann es nicht [richtig schre]iben) und „komm her“ heißt „venneka“. „Nein“ heißt gar nicht, sondern man kratzt sich unter dem Kinn, das gilt statt jeder Verneinung, und das letzte sprech ich sehr gut aus, gar nicht wie ein Fremder. Dir, lieber VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835), dank’ ich sehr für Dein Wort über Fanny TarnowTarnow, Franziska (Fanny) Christiane Johanna Friederike (1779-1862), sie ist ein infames Schätzchen, ich habe ganz allein im Zimmer laut darüber lachen müssen. Bitte, laß mich wissen, ob die Herzoginn von DessauAnhalt-Dessau, Friederike Wilhelmina Louise Amalia Herzogin von (1796-1850) Dir das Geld geschickt hat (50 piastres Römisch) ich habe endlich gestern nach wiederholtem Schreiben von Fräulein v. RathRath, Fräulein von eine Antwort und einen Dank der HerzoginnAnhalt-Dessau, Friederike Wilhelmina Louise Amalia Herzogin von (1796-1850) erhalten: ihre Antwort ist aber so unglaublich abgeschmackt und corrupt dumm abgefaßt, daß ich wirklich nicht weiß, ob es Ernst oder eine Beleidigung sein soll. Moral: Du sollst nichts für Herzoginnen besorgen, wenn Du nicht mußt; alias: für Große ist nicht gut Kirschen kaufen; alias: was Deines Amts nicht ist, davon laß Deinen Vorwitz; mein Amt ist aber nicht, Hofdame sein, ich habe die schönsten Vorsätze und Sprüche mir seit gestern vorgehalten. Unter anderm ganz tollen Zeug kommt folgender Satz im Briefe der RathRath, Fräulein von vor „Einem Meister der Töne wie Sie – einem Beschwörer des finstersten Geistes, unserm kleinen Helden gebührt stets der Preis, und jede Mahnung nehmen wir dankbar an.“ Ich werde an SchubringSchubring, Karl Julius (1806-1889) hierüber eine Epistel erlassen, vielleicht auch an sie selbst, wenn ich hinreichend maliciös bleibe. Noch bitte ich Dich um Verzeihung, daß ich Dir die versprochne Berechnung des Geldes, das ich im vorigen Jahre gebraucht nicht zugeschickt habe; ich habe in Rom das Büchelchen, worin die Ausgaben der Reise bis Rom standen, unter andern Sachen und mit meiner Musik bei BunsenBunsen, Christian Carl Josias (seit 1858) Freiherr von (1791-1860) gelassen, und weiß es nicht genau aus dem Kopfe, von Rom aus schreibe ich es dann sogleich! Ich habe von ValentiniValentini, Vincenzo (1751-1842) zur Reise nach Neapel am 9ten April 120 scudi genommen, und er hat mir vor einigen Tagen noch 83 scudi 4 orilini (100 ducati) nachgeschickt, ich bin nämlich entschlossen noch etwa 14 Tage hier zu bleiben, oder vielmehr in der Umgegend, um die Reise nach den Inseln, die dann doch über alle Erwartung schön sind, noch einmal mit größrer Muße zu machen, etwas zu zeichnen, in Amalfi, dem Hauptpunct einige Tage zu bleiben; es ändert meinen Plan nicht, im Gegentheil habe ich ihn nun auch mit der Zeit ungefähr bestimmt: ich denke Freitag nach Ischia zu gehen, Montag nach Capri und so fort bis Amalfi; Ende dieses Monats bin ich, so Gott will, in Rom, sehe da das Blumenfest am 11ten, bin Ende Juni in Genua (über Bologna etc.) bleibe dort und in Nizza etwa 14 Tage bis 3 Wochen, wo ich mich in der See herumtreibe, bin Ende July in Mayland und behalte also für die Seeen, und die Schweiz noch 2 Monate übrig. Dann ist Ende September, und da ich erst Ende November in Paris sein muß, so bleiben mir noch 2 Monate übrig, die ich auf München zum Theil verwenden, und mit dem andern Theil anfangen will, was Du dann bestimmen wirst. Daß ich am Ende meiner Reise wieder nach London will, ist mir nun ganz sicher, ich werde dort arbeiten und aufführen, und mache jetzt schon manche Pläne dazu: eine Oper ist die Hauptsache, aber vielleicht bekomme ich nebenbey auch Auftrag zu einem Oratorium für die Herbstfeste, und Instrumentalsachen fürs philharmonicPhilharmonic SocietyLondonGroßbritannien bringe ich mit. Nun ist PaulMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874) schon da, ich bin sehr gespannt auf seine Briefe. So Gott will aber sehe ich ihn da; London wird mir immer lieber, je mehr andre Städte ich sehe. Euch, lieben SchwesternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847), sage ich heut nichts, schicke aber in den nächsten Tagen einen kleinen prosaischen Aufsatz, der Euch sehr zugeeignet ist. Erschreckt nicht, ich dichte nicht, das Ding heißt und ist nur: ein Tagebuch der Spazierfahrt nach Amalfi im Mai; dedicirt den beiden OtternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847). Und so lebt mir wohl.

F
            Neapel den 17 Mai. 31. Ihr Lieben
Sonnabend den 14ten Mai um 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann er möge nun umwenden; wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Paestum, und das war der südlichste Punct auf meiner Jugendreise. Der Wagen kehrte sich um, nach Norden zu, und seitdem nähere ich mich wieder Euch, wenn ich weiterreise. Es war ungefähr ein Jahr, daß ich mit Vater nach Dessau und Leipzig abgereis’t war, und so stimmt es auch in der Zeit; es war die Hälfte. Ich habe das Jahr für mich benutzt, bin an Eindrücken und Erfahrungen sehr viel reicher, war auch fleißig in Rom und hier, aber Aeußerliches ist nichts geschehen, und im Anfange des nächsten so lange ich in Italien bin, wird es wohl auch dabey bleiben; darum ist mir die Zeit nicht weniger lieb, als andre wo ich äußerlich und in der Meinung der Leute vorwärts kam, denn das hängt doch immer zusammen: habe ich was Rechtes erlebt, so wird es schon auch nach Außen wirken, und ich will gewiß keine Gelegenheit dazu vorüber lassen. Hoffentlich wird die auch noch vor Ende dieser Reise ein Paar Mal kommen, deshalb kann ich die Monate die mir noch für Italien bleiben, fortfahren die Natur und den blauen Himmel zu genießen, ohne an was Anders zu denken; nur da ist jetzt die Kunst von Italien, da und in Monumenten; aber da bleibt sie auch ewig, und da wird unser eins zu lernen und zu bewundern finden, so lange der Vesuv stehen bleibt, und so lange die milde Luft und das Meer und die Bäume nicht vergehen: Trotz dessen bin ich Stock-Musiker genug, um mich recht herzlich wieder einmal nach einem Orchester oder einem vollen Chor zu sehnen, es ist doch auch Klang drin, und solchen giebts hier nicht; das ist unsre Sache jetzt geworden, und wenn man so lange ganz ohne dies Element hat sein müssen, so fehlt es einem sehr. Orchester und Chor sind hier, wie in einer untergeordneten Mittelstadt bei uns, nur noch roher und unsicherer: Der erste Violinist schlägt durch die ganze Oper hindurch die vier Viertel des Taktes auf einen blechernen Leuchter, so daß man es zuweilen mehr hört, als die Stimmen (es klingt etwa, wie obligate Castagnetten, nur stärker) und trotz dessen sind Orchester und Sänger nie zusammen: bei jedem kleinen Instrumental Solo kommen altmodische Verzierungen und besonders ein schlechter Ton zum Vorschein, das Ganze ist ohne den geringsten Geist, ohne Feuer und Lust. Die Sänger sind die schlechtesten Italiänischen, die ich bis jetzt irgendwo gehört habe, Italien ausgenommen, denn wenn man eine Idee von Italiänischem Gesang haben will, muß man nach London oder Paris gehen, selbst die Dresdner Gesellschaft die ich in Leipzig voriges Jahr hörte, ist besser als irgend eine hier. Es ist ja auch natürlich: beim grenzenlosen Elend das man hier überall sieht, wo soll da ein Boden zur Erhaltung eines Theaters, das jetzt doch einmal große Mittel braucht, sich finden? Und die Zeit wo jeder Italiäner geborner Musiker war, wenn sie jemals gewesen, ist lange vorbey: sie behandeln es, wie jeden Modeartikel, kalt, gleichgültig, nur mit dem Interesse des äußerlichen Anstandes, und da ist es nicht zu verwundern, wenn jedes einzelne Talent wie es aufkeimt, gleich in die Fremde geht, wo es besser anerkannt, besser an seinen Platz gestellt wird, und wo es Gelegenheit findet was Ordentliches, Herzstärkendes zu hören und zu lernen. Der einzige Tamburini hier ist recht gut; man hat ihn aber längst schon in Wien, in Paris und ich glaube auch in London gehört, und jetzt, wo er anfängt seinen Retour zu fühlen, geht er nach Italien zurück. Auch daß die Italiäner die Gesangskunst allein besitzen sollen, kann ich nicht begreifen; denn was ich von Ital. Sängern und Sängerinnen Kunstreiches gehört habe, das kann die Sontag auch, und in noch höherem Grade, sie hat es zwar, wie sie sagt, meist von der Fodor gelernt, aber warum sollte denn nun eine andre Deutsche es nicht von der Sontag lernen können? Und die Malibran ist eine Spanierinn. Diese Glorie vom „Lande der Musik“ kann Italien nicht behalten, in der That hat es sie schon verloren und wird es auch vielleicht bald in der Meinung der Leute, obwohl das letztere zufällig ist. Ich war neulich in einer Gesellschaft Musiker, wo man von einer neuen Oper eines Neapolitaners Coccia sprach und wissen wollte ob sie gut sey? Wahrscheinlich ist sie gut, sagte einer der Musiker, denn Coccia war lange in England, hat da studirt und es haben dort auch einige seiner Sachen gefallen. Das war mir auffallend: man würde in England grade so von Italien gesprochen haben. Aber quo me rapis? – Ich wollte eigentlich gar keinen musikalischen Brief schreiben, die Feder ist wieder übergegangen, und nun will ich es gleich einholen. Erstlich Geschäfte. Dich, liebe Mutter, bitte ich an Mechetti wegen meiner Exemplare nicht zu schreiben, ich habe mir welche bedungen, aber da ich mit ihm noch in Verbindung stehe, finde ich schon Gelegenheit ihn selbst daran zu erinnern, daß er sie nach Berlin schicken soll. Italiänisch spreche ich so, so; da es aber bekanntlich die weichste Sprache ist, so mögt Ihr rathen, wie die Lichtputze auf Neapolitanisch heißt? lo smoccolatojo wäre gar nichts, das ist Römisch: sie heißt lu smitsch; (ich kann es nicht richtig schreiben) und „komm her“ heißt „venneka“. „Nein“ heißt gar nicht, sondern man kratzt sich unter dem Kinn, das gilt statt jeder Verneinung, und das letzte sprech ich sehr gut aus, gar nicht wie ein Fremder. Dir, lieber Vater, dank’ ich sehr für Dein Wort über Fanny Tarnow, sie ist ein infames Schätzchen, ich habe ganz allein im Zimmer laut darüber lachen müssen. Bitte, laß mich wissen, ob die Herzoginn von Dessau Dir das Geld geschickt hat (50 piastres Römisch) ich habe endlich gestern nach wiederholtem Schreiben von Fräulein v. Rath eine Antwort und einen Dank der Herzoginn erhalten: ihre Antwort ist aber so unglaublich abgeschmackt und corrupt dumm abgefaßt, daß ich wirklich nicht weiß, ob es Ernst oder eine Beleidigung sein soll. Moral: Du sollst nichts für Herzoginnen besorgen, wenn Du nicht mußt; alias: für Große ist nicht gut Kirschen kaufen; alias: was Deines Amts nicht ist, davon laß Deinen Vorwitz; mein Amt ist aber nicht, Hofdame sein, ich habe die schönsten Vorsätze und Sprüche mir seit gestern vorgehalten. Unter anderm ganz tollen Zeug kommt folgender Satz im Briefe der Rath vor „Einem Meister der Töne wie Sie – einem Beschwörer des finstersten Geistes, unserm kleinen Helden gebührt stets der Preis, und jede Mahnung nehmen wir dankbar an. “ Ich werde an Schubring hierüber eine Epistel erlassen, vielleicht auch an sie selbst, wenn ich hinreichend maliciös bleibe. Noch bitte ich Dich um Verzeihung, daß ich Dir die versprochne Berechnung des Geldes, das ich im vorigen Jahre gebraucht nicht zugeschickt habe; ich habe in Rom das Büchelchen, worin die Ausgaben der Reise bis Rom standen, unter andern Sachen und mit meiner Musik bei Bunsen gelassen, und weiß es nicht genau aus dem Kopfe, von Rom aus schreibe ich es dann sogleich! Ich habe von Valentini zur Reise nach Neapel am 9ten April 120 scudi genommen, und er hat mir vor einigen Tagen noch 83 scudi 4 orilini (100 ducati) nachgeschickt, ich bin nämlich entschlossen noch etwa 14 Tage hier zu bleiben, oder vielmehr in der Umgegend, um die Reise nach den Inseln, die dann doch über alle Erwartung schön sind, noch einmal mit größrer Muße zu machen, etwas zu zeichnen, in Amalfi, dem Hauptpunct einige Tage zu bleiben; es ändert meinen Plan nicht, im Gegentheil habe ich ihn nun auch mit der Zeit ungefähr bestimmt: ich denke Freitag nach Ischia zu gehen, Montag nach Capri und so fort bis Amalfi; Ende dieses Monats bin ich, so Gott will, in Rom, sehe da das Blumenfest am 11ten, bin Ende Juni in Genua (über Bologna etc. ) bleibe dort und in Nizza etwa 14 Tage bis 3 Wochen, wo ich mich in der See herumtreibe, bin Ende July in Mayland und behalte also für die Seeen, und die Schweiz noch 2 Monate übrig. Dann ist Ende September, und da ich erst Ende November in Paris sein muß, so bleiben mir noch 2 Monate übrig, die ich auf München zum Theil verwenden, und mit dem andern Theil anfangen will, was Du dann bestimmen wirst. Daß ich am Ende meiner Reise wieder nach London will, ist mir nun ganz sicher, ich werde dort arbeiten und aufführen, und mache jetzt schon manche Pläne dazu: eine Oper ist die Hauptsache, aber vielleicht bekomme ich nebenbey auch Auftrag zu einem Oratorium für die Herbstfeste, und Instrumentalsachen fürs philharmonic bringe ich mit. Nun ist Paul schon da, ich bin sehr gespannt auf seine Briefe. So Gott will aber sehe ich ihn da; London wird mir immer lieber, je mehr andre Städte ich sehe. Euch, lieben Schwestern, sage ich heut nichts, schicke aber in den nächsten Tagen einen kleinen prosaischen Aufsatz, der Euch sehr zugeeignet ist. Erschreckt nicht, ich dichte nicht, das Ding heißt und ist nur: ein Tagebuch der Spazierfahrt nach Amalfi im Mai; dedicirt den beiden Ottern. Und so lebt mir wohl.
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S.; Adresse, mehrere Poststempel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Felix Mendelssohn Bartholdy</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl></accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Mendelssohn, Reisebriefe, S.145-147 (Teildruck).</bibl> <bibl type="printed_letter">Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 148-152 (Teildruck).</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1831-05-17" xml:id="date_c48235c4-9f6c-4cb6-8a25-2144923c5757">17. Mai 1831</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_3d03d45b-f4a7-4e00-855a-1094efc8c76f">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_b4df465f-36b4-4c9c-9fa3-2b820827f304"> <settlement key="STM0100178">Neapel</settlement> <country>Italien</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113247" resp="receiver" xml:id="persName_a4917051-e6a7-4f94-bae2-1a7a6ec89634">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</persName> <persName key="PSN0113241" resp="receiver" xml:id="persName_dcc3c20b-059b-4cba-a0fb-81aac1185750">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_c639d34d-8409-4e02-9e55-404797452670"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_1f845e48-198c-42b3-9ef3-f6e856b3d26b"> <head> <address> <addrLine>À Mr.</addrLine> <addrLine>Mr. A. Mendelssohn Bartholdy</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline">Berlin</hi></addrLine> <addrLine>Prusse</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_322cba32-fb3e-458f-9813-f41f5023edb5"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Neapel den <date cert="high" when="1831-05-17" xml:id="date_3173d87e-d941-49a6-9902-8cce9f9fd475">17 Mai. 31</date>.</dateline><salute rend="left">Ihr Lieben</salute><p style="paragraph_without_indent">Sonnabend den 14<hi rend="superscript">ten</hi> Mai um 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann er möge nun umwenden; wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Paestum, und das war der südlichste Punct auf meiner Jugendreise. Der Wagen kehrte sich um, nach Norden zu, und seitdem nähere ich mich wieder Euch, wenn ich weiterreise. Es war ungefähr ein Jahr, daß ich mit <persName xml:id="persName_3843e3fc-4fb9-4dd5-8c35-dff14316ce39">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> nach Dessau und Leipzig abgereis’t war, und so stimmt es auch in der Zeit; es war die Hälfte. Ich habe das Jahr für mich benutzt, bin an Eindrücken und Erfahrungen sehr viel reicher, war auch fleißig in Rom und hier, aber Aeußerliches ist nichts geschehen, und im Anfange des nächsten so lange ich in Italien bin, wird es wohl auch dabey bleiben; darum ist mir die Zeit nicht weniger lieb, als andre wo ich äußerlich und in der Meinung der Leute vorwärts kam, denn das hängt doch immer zusammen: habe ich was Rechtes erlebt, so wird es schon auch nach Außen wirken, und ich will gewiß keine Gelegenheit dazu vorüber lassen. Hoffentlich wird die auch noch vor Ende dieser Reise ein Paar Mal kommen, deshalb kann ich die Monate die mir noch für Italien bleiben, fortfahren die Natur und den blauen Himmel zu genießen, ohne an was Anders zu denken; nur da ist jetzt die Kunst von Italien, da und in Monumenten; aber da bleibt sie auch ewig, und da wird unser eins zu lernen und zu bewundern finden, so lange der Vesuv stehen bleibt, und so lange die milde Luft und das Meer und die Bäume nicht vergehen: Trotz dessen bin ich Stock-Musiker genug, um mich recht herzlich wieder einmal nach einem Orchester oder einem vollen Chor zu sehnen, es ist doch auch Klang drin, und solchen giebts hier nicht; das ist unsre Sache jetzt geworden, und wenn man so lange ganz ohne dies Element hat sein müssen, so fehlt es einem sehr. <placeName xml:id="placeName_486f6ed1-7a7b-48e8-b2fa-58cc4d328df0">Orchester<name key="NST0100288" style="hidden" subtype="" type="institution">Philharmonische Gesellschaft</name><settlement key="STM0100178" style="hidden" type="">Neapel</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> und Chor sind hier, wie in einer untergeordneten Mittelstadt bei uns, nur noch roher und unsicherer: Der erste Violinist schlägt durch die ganze Oper hindurch die vier Viertel des Taktes auf einen blechernen Leuchter, so daß man es zuweilen mehr hört, als die Stimmen (es klingt etwa, wie obligate Castagnetten, nur stärker) und trotz dessen sind Orchester und Sänger nie zusammen: bei jedem kleinen Instrumental Solo kommen altmodische Verzierungen und besonders ein schlechter Ton zum Vorschein, das Ganze ist ohne den geringsten Geist, ohne Feuer und Lust. Die Sänger sind die schlechtesten Italiänischen, die ich bis jetzt irgendwo gehört habe, Italien ausgenommen, denn wenn man eine Idee von Italiänischem Gesang haben will, muß man nach London oder Paris gehen, selbst die Dresdner Gesellschaft die ich in Leipzig voriges Jahr hörte, ist besser als irgend eine hier. Es ist ja auch natürlich: beim grenzenlosen Elend das man hier überall sieht, wo soll da ein Boden zur Erhaltung eines Theaters, das jetzt doch einmal große Mittel braucht, sich finden? Und die Zeit wo jeder Italiäner geborner Musiker war, wenn sie jemals gewesen, ist lange vorbey: sie behandeln es, wie jeden Modeartikel, kalt, gleichgültig, nur mit dem Interesse des äußerlichen Anstandes, und da ist es nicht zu verwundern, wenn jedes einzelne Talent wie es aufkeimt, gleich in die Fremde geht, wo es besser anerkannt, besser an seinen Platz gestellt wird, und wo es Gelegenheit findet was Ordentliches, Herzstärkendes zu hören und zu lernen. Der einzige <persName xml:id="persName_ae0a72f3-1c48-42da-8e4d-e7a08e4d522a">Tamburini<name key="PSN0115241" style="hidden">Tamburini, Antonio (1800-1876)</name></persName> hier ist recht gut; man hat ihn aber längst schon in Wien, in Paris und ich glaube auch in London gehört, und jetzt, wo er anfängt seinen Retour zu fühlen, geht er nach Italien zurück. Auch daß die Italiäner die Gesangs<hi rend="underline">kunst</hi> allein besitzen sollen, kann ich nicht begreifen; denn was ich von Ital. Sängern und Sängerinnen Kunstreiches gehört habe, das kann die <persName xml:id="persName_4ba8166f-7438-4932-b066-e2bd37ec23a9">Sontag<name key="PSN0114969" style="hidden">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName> auch, und in noch höherem Grade, sie hat es zwar, wie sie sagt, meist von der <persName xml:id="persName_ecae985e-4a7b-486c-9838-7dcd3b4bd7f3">Fodor<name key="PSN0111091" style="hidden">Fodor-Mainvielle, Joséphine (1789-1870)</name></persName> gelernt, aber warum sollte denn nun eine andre Deutsche es nicht von der <persName xml:id="persName_b93f7d73-08b6-40f4-991c-3df41f184a03">Sontag<name key="PSN0114969" style="hidden">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName> lernen können? Und die <persName xml:id="persName_75b8d00f-68c3-4f6c-a70b-3a3f0087580c">Malibran<name key="PSN0113047" style="hidden">Malibran, María Felicità (1808-1836)</name></persName> ist eine Spanierinn. Diese Glorie vom „Lande der Musik“ kann Italien nicht behalten, in der <hi rend="underline">That</hi> hat es sie schon verloren und wird es auch vielleicht bald in der Meinung der Leute, obwohl das letztere zufällig ist. Ich war neulich in einer Gesellschaft Musiker, wo man von einer neuen Oper eines <title xml:id="title_4fc37b5d-eb39-4150-83c1-7ac9ee8a17f4">Neapolitaners Coccia<name key="PSN0110429" style="hidden" type="author">Coccia, Carlo (1782-1873)</name><name key="CRT0108455" style="hidden" type="music">Edoardo Stuart in Scozia</name></title> sprach und wissen wollte ob sie gut sey? Wahrscheinlich ist sie gut, sagte einer der Musiker, denn <persName xml:id="persName_ec365ad2-c54e-46c3-8b8c-108173626f52">Coccia<name key="PSN0110429" style="hidden">Coccia, Carlo (1782-1873)</name></persName> war lange in England, hat da studirt und es haben dort auch einige seiner Sachen gefallen. Das war mir auffallend: man würde in England grade so von Italien gesprochen haben. Aber quo me rapis? – Ich wollte eigentlich gar keinen musikalischen Brief schreiben, die Feder ist wieder übergegangen, und nun will ich es gleich einholen. Erstlich Geschäfte. Dich, liebe <persName xml:id="persName_1a8d8f93-e349-453a-a905-3b9cdd8c97e9">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName>, bitte ich an <persName xml:id="persName_c091a019-5848-49a6-8d33-53b2ccb48b9f">Mechetti<name key="PSN0113159" style="hidden">Mechetti, Pietro (1777-1850)</name></persName> wegen meiner Exemplare nicht zu schreiben, ich habe mir welche bedungen, aber da ich mit ihm noch in Verbindung stehe, finde ich schon Gelegenheit ihn selbst daran zu erinnern, daß er sie nach Berlin schicken soll. Italiänisch spreche ich so, so; da es aber bekanntlich die weichste Sprache ist, so mögt Ihr rathen, wie die Lichtputze auf Neapolitanisch heißt? lo smoccolatojo wäre gar nichts, das ist Römisch: sie heißt lu smitsch; (ich kann es nicht [richtig schre]iben) und „komm her“ heißt „venneka“. „Nein“ heißt gar nicht, sondern man kratzt sich unter dem Kinn, das gilt statt jeder Verneinung, und das letzte sprech ich sehr gut aus, gar nicht wie ein Fremder. Dir, lieber <persName xml:id="persName_5d5d48e8-36e5-4266-b852-14b38e207084">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName>, dank’ ich sehr für Dein Wort über <persName xml:id="persName_a2bbac3f-aec3-43ea-8bde-2ef329539992">Fanny Tarnow<name key="PSN0115245" style="hidden">Tarnow, Franziska (Fanny) Christiane Johanna Friederike (1779-1862)</name></persName>, sie ist ein infames Schätzchen, ich habe ganz allein im Zimmer laut darüber lachen müssen. Bitte, laß mich wissen, ob die <persName xml:id="persName_45ebbefd-9d72-4212-9929-2c4b9350007f">Herzoginn von Dessau<name key="PSN0109499" style="hidden">Anhalt-Dessau, Friederike Wilhelmina Louise Amalia Herzogin von (1796-1850)</name></persName> Dir das Geld geschickt hat (50 piastres Römisch) ich habe endlich gestern nach wiederholtem Schreiben von <persName xml:id="persName_739b9364-c520-4436-bec0-ce1e50dd1692">Fräulein v. Rath<name key="PSN0114077" style="hidden">Rath, Fräulein von</name></persName> eine Antwort und einen Dank der <persName xml:id="persName_76d9b8e2-1577-4d7f-91b3-fa6532158b95">Herzoginn<name key="PSN0109499" style="hidden">Anhalt-Dessau, Friederike Wilhelmina Louise Amalia Herzogin von (1796-1850)</name></persName> erhalten: ihre Antwort ist aber so unglaublich abgeschmackt und corrupt dumm abgefaßt, daß ich wirklich nicht weiß, ob es Ernst oder eine Beleidigung sein soll. Moral: Du sollst nichts für Herzoginnen besorgen, wenn Du nicht mußt; alias: für Große ist nicht gut Kirschen kaufen; alias: was Deines Amts nicht ist, davon laß Deinen Vorwitz; mein Amt ist aber nicht, Hofdame sein, ich habe die schönsten Vorsätze und Sprüche mir seit gestern vorgehalten. Unter anderm ganz tollen Zeug kommt folgender Satz im Briefe der <persName xml:id="persName_e9d5c4d2-9a89-4a9e-995c-4277c5e5c4ed">Rath<name key="PSN0114077" style="hidden">Rath, Fräulein von</name></persName> vor „Einem Meister der Töne wie Sie – einem Beschwörer des finstersten Geistes, unserm kleinen Helden gebührt stets der Preis, und jede Mahnung nehmen wir dankbar an.“ Ich werde an <persName xml:id="persName_2cdbbbcf-9cbe-456d-8d17-afe1cf834d00">Schubring<name key="PSN0114732" style="hidden">Schubring, Karl Julius (1806-1889)</name></persName> hierüber eine Epistel erlassen, vielleicht auch an sie selbst, wenn ich hinreichend maliciös bleibe. Noch bitte ich Dich um Verzeihung, daß ich Dir die versprochne Berechnung des Geldes, das ich im vorigen Jahre gebraucht nicht zugeschickt habe; ich habe in Rom das Büchelchen, worin die Ausgaben der Reise bis Rom standen, unter andern Sachen und mit meiner Musik bei <persName xml:id="persName_dd4fca6e-209e-451d-80a6-a6be04079a4b">Bunsen<name key="PSN0110195" style="hidden">Bunsen, Christian Carl Josias (seit 1858) Freiherr von (1791-1860)</name></persName> gelassen, und weiß es nicht genau aus dem Kopfe, von Rom aus schreibe ich es dann sogleich! Ich habe von <persName xml:id="persName_747c16ee-30e4-4afc-aca7-316955687428">Valentini<name key="PSN0115441" style="hidden">Valentini, Vincenzo (1751-1842)</name></persName> zur Reise nach Neapel am 9<hi rend="superscript">ten</hi> April 120 scudi genommen, und er hat mir vor einigen Tagen noch 83 scudi 4 orilini (100 ducati) nachgeschickt, ich bin nämlich entschlossen noch etwa 14 Tage hier zu bleiben, oder vielmehr in der Umgegend, um die Reise nach den Inseln, die dann doch über alle Erwartung schön sind, noch einmal mit größrer Muße zu machen, etwas zu zeichnen, in Amalfi, dem Hauptpunct einige Tage zu bleiben; es ändert meinen Plan nicht, im Gegentheil habe ich ihn nun auch mit der Zeit ungefähr bestimmt: ich denke Freitag nach Ischia zu gehen, Montag nach Capri und so fort bis Amalfi; Ende dieses Monats bin ich, so Gott will, in Rom, sehe da das Blumenfest am 11<hi rend="superscript">ten</hi>, bin Ende Juni in Genua (über Bologna etc.) bleibe dort und in Nizza etwa 14 Tage bis 3 Wochen, wo ich mich in der See herumtreibe, bin Ende July in Mayland und behalte also für die Seeen, und die Schweiz noch 2 Monate übrig. Dann ist Ende September, und da ich erst Ende November in Paris sein muß, so bleiben mir noch 2 Monate übrig, die ich auf München zum Theil verwenden, und mit dem andern Theil anfangen will, was Du dann bestimmen wirst. Daß ich am Ende meiner Reise wieder nach London will, ist mir nun ganz sicher, ich werde dort arbeiten und aufführen, und mache jetzt schon manche Pläne dazu: eine Oper ist die Hauptsache, aber vielleicht bekomme ich nebenbey auch Auftrag zu einem Oratorium für die Herbstfeste, und Instrumentalsachen fürs <placeName xml:id="placeName_fe79ab10-3443-4b78-ac72-2ea2028b39b1">philharmonic<name key="NST0100287" style="hidden" subtype="" type="institution">Philharmonic Society</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> bringe ich mit. Nun ist <persName xml:id="persName_18d79662-fc29-4afd-a644-92144289f8e8">Paul<name key="PSN0113263" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</name></persName> schon da, ich bin sehr gespannt auf seine Briefe. So Gott will aber sehe ich ihn da; London wird mir immer lieber, je mehr andre Städte ich sehe. Euch, lieben <persName xml:id="persName_cc10bbb6-542b-4a5f-9b21-e5db562200f1">Schwestern<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name><name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>, sage ich heut nichts, schicke aber in den nächsten Tagen einen kleinen prosaischen Aufsatz, der Euch sehr zugeeignet ist. Erschreckt nicht, ich dichte nicht, das Ding heißt und ist nur: ein Tagebuch der Spazierfahrt nach Amalfi im Mai; dedicirt den <persName xml:id="persName_64473a27-c515-4a89-992d-ccbb0240c7f3">beiden Ottern<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name><name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>. <seg type="closer" xml:id="seg_62ad4abf-6782-4703-87ca-e7b7796e21f8">Und so lebt mir wohl.</seg></p><signed rend="right">F</signed></div></body> </text></TEI>