fmb-1831-03-05-02
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Rom, 5. März 1831
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
6 beschr. S.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
wenn ich es wage, von hier aus an Sie zu schreiben, so ist es nur, weil Sie von mir über jeden Hauptpunct meiner Reise Bericht verlangt haben; da kann ich es denn nicht unterlassen, Einiges von all den Eindrücken, wie sie sich hier täglich erneuern, an Sie zu schreiben. Vergönnen Sie mir über so Vieles, was zwischen diesem und meinem vorigen Briefe liegt, ganz schweigen zu dürfen.
Die Wirkung, die dies himmlische Land vom ersten Augenblick an auf mich gemacht hat, kann ich nicht beschreiben. Man hatte mir von dem überraschenden, schlagenden Effect erzählt, den Italien hervorbringen sollte, und das erwartete ich denn auch, wie ich aber aus den öden einförmigen Felsreihen, die nach Klagenfurt und Villach hin die Grenze bilden zum erstenmale in die Lombardische Ebene fuhr, wo die Sonne wieder warm schien und wo alles so reich und voll in der Natur war, da wurde mir nur ganz wohl und behaglich zu Muthe und als sey ich da eigentlich zu Hause. Überrascht war ich nicht, und was man mir wie einen Effect vorgestellt hatte, wirkte so mild und allmälig wohlthuend, daß ich mich durch und durch erquickt fühlte. Je mehr Neues ich seitdem gesehen habe, desto mehr hat sich mir dies beruhigte Gefühl erneuert, je weniger plötzlich und grell die Eindrücke waren, desto tiefer gingen sie. Die ganze heitre Fahrt von Udine bis Venedig durch die Ebne zwischen den Bäumen mit Weinlaub, den Landhäusern, und den Gärten hob die Idee der Fremde mir ganz auf. In Venedig traf sichs sonderbar, daß ich keinen Menschen kennen lernte, keine Briefe von Hause während meines ganzen Aufenthalts erhielt, und wie ich mich dort so ganz allein fühlte, so machten die Gestalten der drei großen Bilder von
Die Bewegungen der ganzen Welt haben sich nun auch bis hieher ausgebreitet, und eine so lebhafte, bunte Zeit, wie dieser Winter, habe ich nie erlebt. Der
Nach der heiligen Woche denke ich dann nach Neapel und Sicilien zu gehen, und so steht mir der größte Genuß noch bevor, so glückliche Stunden ich auch schon in Italien erlebt habe; wie ich meine Reise dann weiter richte, weiß ich noch nicht, es ist so schwer jetzt etwas ein Paar Tage voraus zu bestimmen, geschweige denn Monate.
Ew. Excellenz wenn ich es wage, von hier aus an Sie zu schreiben, so ist es nur, weil Sie von mir über jeden Hauptpunct meiner Reise Bericht verlangt haben; da kann ich es denn nicht unterlassen, Einiges von all den Eindrücken, wie sie sich hier täglich erneuern, an Sie zu schreiben. Vergönnen Sie mir über so Vieles, was zwischen diesem und meinem vorigen Briefe liegt, ganz schweigen zu dürfen. Die Wirkung, die dies himmlische Land vom ersten Augenblick an auf mich gemacht hat, kann ich nicht beschreiben. Man hatte mir von dem überraschenden, schlagenden Effect erzählt, den Italien hervorbringen sollte, und das erwartete ich denn auch, wie ich aber aus den öden einförmigen Felsreihen, die nach Klagenfurt und Villach hin die Grenze bilden zum erstenmale in die Lombardische Ebene fuhr, wo die Sonne wieder warm schien und wo alles so reich und voll in der Natur war, da wurde mir nur ganz wohl und behaglich zu Muthe und als sey ich da eigentlich zu Hause. Überrascht war ich nicht, und was man mir wie einen Effect vorgestellt hatte, wirkte so mild und allmälig wohlthuend, daß ich mich durch und durch erquickt fühlte. Je mehr Neues ich seitdem gesehen habe, desto mehr hat sich mir dies beruhigte Gefühl erneuert, je weniger plötzlich und grell die Eindrücke waren, desto tiefer gingen sie. Die ganze heitre Fahrt von Udine bis Venedig durch die Ebne zwischen den Bäumen mit Weinlaub, den Landhäusern, und den Gärten hob die Idee der Fremde mir ganz auf. In Venedig traf sichs sonderbar, daß ich keinen Menschen kennen lernte, keine Briefe von Hause während meines ganzen Aufenthalts erhielt, und wie ich mich dort so ganz allein fühlte, so machten die Gestalten der drei großen Bilder von Titian mir einen unvergeßlichen Eindruck; die Grablegung haben Ew. Excellenz dort wohl gesehen, aber die Praesentation und die Himmelfahrt der Maria nicht, die letztere ist erst vor 10 Jahren vom Staub und Kerzenrauch befreit, und gleichsam entdeckt worden, aber eben weil das Bild der Luft nicht ausgesetzt war, soll es seinen alten Glanz behalten haben, und wirklich ist eine Farbenglut drin, wie ich sie nie geahndet hatte. Wenn in der Praesentation, wo die kleine Maria so unbefangen die große Treppe zu den Hohenpriestern hinaufsteigt, und selbst von dem Heiligenschein, der sie umgiebt nichts zu ahnden scheint, wenn da alles so natürlich und unschuldig hingestellt ist, als könne die ganze Begebenheit eben jetzt vor unsern Augen vorgehen, so ist die Himmelfahrt ein Wunderbild, wo alle Wolken sich aufgethan haben, und wo die Engel mit Brausen und Klingen die Maria umgeben und ihr zujauchzen, während es auf der Erde unter den Jüngern toll und wild zugeht; und die Maria sieht mit einem Blick hinauf, der nur ein einzigesmal hat gemalt werden können, und den alle Nachahmungen und Kupferstiche so verdrehen oder vergröbern. Schon damals ging es mir, wie seitdem oft hier: ich hielt es für Recht der wirklichen Musik nachzugehen, und besuchte Kirchenmusiken, Opern, u. s. w., da war es aber leer und klanglos, während vor diesen Bildern, und in der freien Luft, auf dem Wasser alles Ton und Klang wie die schönste Musik war. Es ist ein zu großes Misverhältniß zwischen solchen Werken, wo der höchste Ernst und die volle Begeisterung geschaffen haben, und einer Musik, die sich nur auf eine zufällige Convenienz gründet, und wo sichs nur um Zeitvertreib handelt; fänden die Leute rechtes Vergnügen dabey, so möcht’ es gut sein, aber auch das ist nicht einmal der Fall. Ich habe viel Musiker hier kennen gelernt, und keinen drunter den seine Kunst mehr interessirte, als irgend ein andrer Erwerb, und der aus Drang und mit Ernst dafür lebte. Nur den Director der päpstlichen Capelle Don Giuseppe Baini muß ich ausnehmen, denn der componirt fleißig, hält was auf sich und seinen Chor und geht seinen eignen Weg, aber da er einer der beliebtesten Beichtväter dabey ist, nur des Abends einige Stunden der Musik widmen kann, und daher von dem was seit 100 Jahren in den andern Ländern für die Musik geschehen ist, wenig oder gar nichts weiß, ist er stehn geblieben, sucht die andern fest zu halten, soviel es geht, und bringt die Sache nicht weiter. Er hält es für unerlaubt ein Instrument in seinem Zimmer zu haben, und drauf zu spielen, aber dessenungeachtet werden wir sehr gut mit einander fertig, und er ist sehr interessant und in seiner Art liebenswürdig; auch ist die päpstliche Capelle das einzige Institut für Kirchenmusik, das sich hier findet; sie singen würdige Sachen (meist von Palestrina und seinen Zeitgenossen) und es ist Gemeingeist und Zusammenhalten unter ihnen, leider fangen die Soprane und Alte an die Stimmen zu verlieren, Knaben oder Frauen dürfen dort nicht mitsingen, neue Castraten kommen, wie sie sagen, zum Unglück nicht hinzu, da klingt es denn mitunter ziemlich unrein; aber immer ist es doch würdige Musik, wie sie in die Kirche gehört und macht einen bestimmten ernsten Eindruck. In den andern Kirchen sind sie ganz rasend: ich habe wirklich selbst bey der Erhebung der Hostie die Ouvertüre aus dem Barbier von Sevilla und einandermal eine Arie aus Aschenbrödel auf der Orgel spielen hören, von den Opernarien, die die Nonnen produciren gar nicht erst zu sprechen; der Unsinn ist zu arg, denn es klingt nicht einmal recht lustig. Mit den Theatern sahe es auch betrübt aus; als prima donna assoluta war eine Sängerinn aus Berlin, Mlle. Carl engagirt, sie hatte dort lange die untergeordnetste Rolle gespielt, fiel auch gleich beim erstenmale complett durch, man mußte an ihre Stelle eine andre nehmen, die es eben auch nicht besser machte, die Leute langweilten sich, es war kein Leben und keine Lust im Theater zu spüren; man sagt allgemein, es sey in dieser Hinsicht in Neapel und Mailand besser, und man müsse in Rom nie eine gute Oper suchen: so muß ich es denn erwarten. Es ist kein Wunder, daß die jungen, fremden Musiker hier verzweifeln; so lange aber die Gegend, die Gallerien, das Forum und noch so einiges hier bleibt, da giebt es doch für jeden Menschen, Musiker oder nicht, Unvergeßliches genug zu erleben. Und sieht man zu, wie täglich noch neue Beweise des alten, mächtigen Lebens erscheinen, und wie Alles das so sicher und unverloren da steht, so hat man wohl drüber zu denken sein Lebelang. Ich werde mich stets des Eindrucks erinnern, den mir die Auffindung eines alten Gebäudes auf dem Forum gemacht hat, sie waren bei den Aufgrabungen auf Mauerwerk gestoßen, von dem bisher niemand etwas geahndet hatte; das kam nun so plötzlich wieder ans Licht, erwies sich so nach und nach in seiner alten Ordnung und Zweckmäßigkeit, und hob sich so sauber und fast zierlich aus der Erde wieder hervor – es machte mir ein wunderliches Gefühl. Die Alterthumsforscher sind nun fleißig drüber her, und streiten sich, und benennen es, und bisjetzt heißt es eine Nebenkloake der Cloaca maxima, die vom Tempel des Jupiter tonans bis zur Cl. maxima geleitet habe. Wo sie anfängt weiß man noch nicht, was bisjetzt davon zu Tage liegt ist zwischen dem Bogen des Septimius Severus und den Säulen des Tempels der Concordia, den Ruinen des Jupitertempels gegenüber, ich glaube, es soll etwas drüber geschrieben werden, sobald sie weiter ausgegraben ist. Dort gehe ich denn fast täglich spazieren, und suche mir was Neues unter dem Alten, Unvergänglichen, und komme ich dann einmal wieder auf eine von den Gallerien, so ist es gar ein prächtiger Genuß. Da berührt aber leider die Gegenwart zuweilen unangenehm, weil die jungen Deutschen Maler gar so handwerksplump und ungerührt ihre ewigen Meister betrachten. Ohne den geringsten Respect fahren sie drüber her, und behandeln sie wie ihres Gleichen, und wenn sie mit ihren furchtbaren Schnurrbärten, ihren Bullenbeißern, Sturmhüten, langen Locken, die Tabackspfeifen im Munde zusammenkommen, so ist für die einen der Titian ein guter Colorist, sonst wenig, für die andern der Raphael viel zu affectirt und weichlich, Leute wie Guido oder Domenichino dürfen gar nicht genannt werden. So steht auf dem Vatikan ein Bild von Titian, welches zur Zeit, als Ew. Excellenz sich in Rom aufhielt, im Quirinal war; das behandeln sie alle mit der größten Geringschätzung, und weil es auf den ersten Blick etwas geheimnißvoll aussieht, so heißt es nun das seyen blos unnütz zusammengestellte Figuren ohne Gegenstand, daß sich aber Titian nicht wohl an ein großes Werk ohne Bedeutung machen könne, und daß es ihm nicht möglich gewesen sey heilige Bilder ohne Gedanken hinzustellen, das vergessen sie ganz. Noch dazu ist es mir immer, als könne ich eine sehr ernste und tiefe Bedeutung darin sehen, denn es kam mir gleich das erstemal vor, als solle es eine Belohnung der Märtyrer sein, und je öfter ich es nachher angesehen habe, desto klarer hat mir das geschienen: alle die Heiligen unten sind so unbefriedigt und düster, einige blicken ganz starr vor sich hin, der eine sieht sehnsüchtig fast weinend zum Himmel hinauf, und doch kann er nicht sehen, was uns nur gezeigt wird, wie die Maria mit dem Kinde schon über ihnen schwebt, wie das Christkind schon die Kränze über ihren Häuptern hält, und wie die Engel noch neue Kränze darreichen; da oben ist alles Freude und Heiterkeit, unten noch Ungewißheit und Streben und Finsterniß, und keiner weiß von seiner Belohnung; endlich schwebt noch über Allem der heil. Geist, und bestrahlt mit seinem Glanze wieder die Gruppe der Maria – das scheint mir doch ein ganz bestimmter Gegenstand zu sein. Hört man aber, wie standhaft es die Maler läugnen, so möchte man lieber an sich selbst oder gar am Titian irre werden, wäre nicht auf dem Capitol gerade jetzt eine Ausstellung für die Gemälde der Neueren eröffnet: da sieht man dann leider weß Geistes Kind sie sind: die Heiligen sehen so mager aus, die Madonnen so kümmerlich, selbst die Landschaft so steif. Doch von den Franzosen giebt es wunderhübsche, lebendige Bilder da, z. B. ein Ernteabend von Robert, wo er den Pachtherrn mit seiner ganzen Familie festlich geputzt auf einem von zwei Büffeln gezognen Wagen dargestellt hat, wie er seine Befehle ertheilt, wie die Schnitterinnen ihm ihre Arbeit zeigen, andre schon Feierabend machen und nach einem Dudelsack tanzen, das Ganze in der Pontinischen Ebne mit den blauen Bergen in weiter Ferne, von der Abendsonne recht warm beleuchtet; so macht es den heitersten Festtagseindruck. Auch von Horace Vernet, dem Director der Französischen Akademie sind zwei wunderschöne Portraits da: das eine der General Gouvion St. Cyres, den er in der Nacht vor seinem Zelt von einem Licht keck beleuchtet vorgestellt hat, und um ihn her die bivouaquirenden Soldaten, auf der Erde liegend; das andre eine Römerinn, Mde. Vanutelli, wie sie am Clavier sitzt und sich mitten im Spielen umwendet nach ihrem kleinen Kind, das eine braune italiänische Amme ihr eben auf dem Arme bringt. Sonst giebt es viel tolles Zeug da: der eine hat eine Anecdote gemalt, die man sich im Catalog erst mit der pointe erzählen lassen muß, der andre eine Mordgeschichte, einer eine Pest, der andre ein Paar Aussätzige; alle möglichen Verbrechen und Krankheiten sind auf das Lebhafteste dargestellt, als ob man in der Wirklichkeit nicht schon genug daran hätte. Die Bewegungen der ganzen Welt haben sich nun auch bis hieher ausgebreitet, und eine so lebhafte, bunte Zeit, wie dieser Winter, habe ich nie erlebt. Der Papst starb kurz nach meiner Ankunft, da sah ich all’ die großen Ceremonien in Sct. Peter um seinen Catafalk, dann zogen die Cardinäle ins Conclave, und nach 50 Tagen, während derer man keinen Carnaval und keinen Papst zu bekommen meinte, kamen plötzlich eines Morgens die Kanonenschüsse, man stürzte aufs Quirinal, hörte wie er angekündigt wurde, dann kam die Ceremonie des ersten Fußkusses, dann wurde er zum Bischof geweiht, in der Loggia von Sct. Peter gekrönt, gab dem Volk von da aus den Seegen, Abends war Beleuchtung der Peterskuppel und Girandola von der Engelsburg, und den folgenden Tag fing gar der Carnaval an; das tolle Zeug machte mir prächtigen Spas, ich trieb mich die ganze Zeit auf dem Corso umher, ließ mich von den Masken necken, von den Bekannten mit Confetti werfen, warf wieder so gut ich konnte, am giovedi grasso stieg die Narrheit am höchsten, es gab viele, lustige Masken, entsetzliches Gedränge, und von allen Seiten Geschrei und Jubel. Als ich am folgenden Carnavalstage in den Corso komme, wohlgerüstet und alle Taschen voll Confetti, finde ich die ganze Straße schwarz von Männern, nirgends eine Maske, keine Dame, kein Wagen, kein Militair, lauter furchtsame, ernsthafte Gesichter, es sah unheimlich aus. An der Straßenecke war das Edict des Papstes, welches bei schwerer Strafe alle Lustbarkeiten verbot, Soldaten mit geladnen Gewehren stellten sich auf allen Plätzen auf, so wandelte sich das lustige Schauspiel sehr schnell um und gegen Abend war kein Mensch mehr auf den Straßen zu sehn. Man hatte von den Unruhen in Bologna und in der ganzen Umgegend Nachricht erhalten, und fürchtete nun für Rom ein Gleiches, es kam auch Abends zu Thätlichkeiten, einige junge Leute wollten dem Militair trotzen, es wurde gefeuert, einige verwundet und die Unruhstifter nach der Engelsburg gebracht. Seitdem erscheinen nun fast täglich neue Edicte, die immer strenger und drohender lauten, je bedenklicher die Nachrichten von Außen her werden, und je mehr Städte dort sich zur neuen Ordnung der Dinge wenden: es sind größere Aushebungen gemacht, bei einem bestimmten Zeichen müssen alle Bürger zu den Waffen greifen, man hat Gewehre an die Trasteveriner vertheilt, alle Fremden sollen sich bei ihren Gesandten melden und ausweisen, die Gastwirthe Listen ihrer Gäste einreichen und eine Art Nationalgarde ist errichtet, die Bürger hängen eine große Patrontasche mit weißen Riemen über ihren gewöhnlichen Frack oder Überrock, nehmen die Flinte in den Arm, und beziehen so abwechselnd die Wache; eine ungeheure Menschenmenge steht immer davor, und sie freuen sich wenn sie ihre Verwandten und Bekannten nun auf einmal als Schildwachen auf dem Posten stehn sehn können. Zugleich sind einige Abgaben bedeutend erleichtert, und die Ketten des heil. Petrus in San Pietro in vincoli, zwei wunderthätige Marienbilder und der Kopf des heil. Paulus öffentlich ausgestellt und alle Gläubigen aufgefordert worden, dahin zu gehn, und für Wiederherstellung der Ruhe zu beten. Die Engländer haben schaarenweis die Stadt verlassen, um der Revolution aus dem Wege zu reisen, da aber zugleicher Zeit mehrere Couriere angefallen worden waren, so gab es viel Unschlüssigkeit und bange Gesichter. Die Deutschen Maler haben sich sämmtlich ihre Schnurrbärte abgeschoren weil sie behaupten die Wuth des Pöbels werde sich zuerst gegen sie kehren, und keiner geht nach Ave Maria aus dem Hause. Horace Vernet hat seine französischen Pensionairs auf den Posten gestellt, will sich von der Villa Medicis herab tüchtig vertheidigen im Fall eines Angriffs, und ist so recht in seinem Element, wenn es bivouacs, Schildwachen, Kugelgießen, und sonstiges Soldatenwesen giebt. Die Römer selbst aber sehen mir nach nichts weniger, als nach einer Revolution aus: die untern Classen sind mit dem Papst sehr zufrieden, namentlich haben ihm die Trasteveriner die größten Beweise ihrer Anhänglichkeit gegeben, Deputationen geschickt, und ihm, als er neulich ausfuhr, die Pferde ausgespannt und seinen Wagen unter Jubelgeschrei selbst gezogen, worüber sich der arme Mann Anfangs so erschreckte, daß er den folgenden Tag zur Ader lassen mußte, und sich in einem Edict zwar sehr bedankte, aber doch dergleichen für die Zukunft verbat; die Mittelklassen haben entsetzliche Furcht, keiner verläßt sein Haus gern Abends, die Läden werden geschlossen, die Hausthüren verrammelt und erst nach langem Capituliren geöffnet – da weiß ich denn eigentlich nicht, wer die Revolution hier machen sollte, und bis jetzt hat auch wirklich nichts davon verlautet. Währenddessen habe ich also Zeit ruhig in der Fasten hier zu arbeiten und fleißig zu componiren, was mich seit einigen Wochen fast ausschließlich beschäftigt, ist die Musik zu dem Gedicht von Ew. Excellenz, welches die erste Walpurgisnacht heißt; ich will es mit Orchesterbegleitung als eine Art großer Cantate componiren, und der heitre Frühlingsanfang, dann die Hexerey und der Teufelsspuk, und die feierlichen Opferchöre mitten durch könnten zur schönsten Musik Gelegenheit geben. Ich weiß nicht, ob mirs gelingen wird, aber ich fühle, wie groß die Aufgabe ist, und mit welcher Sammlung und Ehrfurcht ich sie angreifen muß. Nach der heiligen Woche denke ich dann nach Neapel und Sicilien zu gehen, und so steht mir der größte Genuß noch bevor, so glückliche Stunden ich auch schon in Italien erlebt habe; wie ich meine Reise dann weiter richte, weiß ich noch nicht, es ist so schwer jetzt etwas ein Paar Tage voraus zu bestimmen, geschweige denn Monate. Nun habe ich Ew. Excellenz zu bitten, dies lange Schreiben nachsichtigst entschuldigen zu wollen, und die unbegränzte Ehrfurcht zu genehmigenmit der ich bin Ew. Excellenz ergebensterFelix Mendelssohn Bartholdy. Rom d. 5 März 1831
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In Venedig traf sichs sonderbar, daß ich keinen Menschen kennen lernte, keine Briefe von Hause während meines ganzen Aufenthalts erhielt, und wie ich mich dort so ganz allein fühlte, so machten die Gestalten der drei großen Bilder von <persName xml:id="persName_78da418b-a1ea-4754-873c-cb0075030272">Titian<name key="PSN0115347" style="hidden">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name></persName> mir einen unvergeßlichen Eindruck; die <title xml:id="title_897b7370-2c07-4037-8b54-08037c0aa8bf">Grablegung<name key="PSN0115347" style="hidden" type="author">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name><name key="CRT0111087" style="hidden" type="art">Grablegung Christi</name></title> haben Ew. Excellenz dort wohl gesehen, aber die Praesentation und die <title xml:id="title_e9d12f5c-f218-4a13-acb2-2bc29f163d2b">Himmelfahrt der Maria<name key="PSN0115347" style="hidden" type="author">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name><name key="CRT0111092" style="hidden" type="art">Mariä Himmelfahrt</name></title> nicht, die letztere ist erst vor 10 Jahren vom Staub und Kerzenrauch befreit, und gleichsam entdeckt worden, aber eben weil das Bild der Luft nicht ausgesetzt war, soll es seinen alten Glanz behalten haben, und wirklich ist eine Farbenglut drin, wie ich sie nie geahndet hatte. Wenn in der Praesentation, wo die <title xml:id="title_77401964-68f6-4f74-ad54-b61af87280eb">kleine Maria<name key="PSN0115347" style="hidden" type="author">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name><name key="CRT0111093" style="hidden" type="art">Tempelgang Mariä</name></title> so unbefangen die große Treppe zu den Hohenpriestern hinaufsteigt, und selbst von dem Heiligenschein, der sie umgiebt nichts zu ahnden scheint, wenn da alles so natürlich und unschuldig hingestellt ist, als könne die ganze Begebenheit eben jetzt vor unsern Augen vorgehen, so ist die Himmelfahrt ein Wunderbild, wo alle Wolken sich aufgethan haben, und wo die Engel mit Brausen und Klingen die Maria umgeben und ihr zujauchzen, während es auf der Erde unter den Jüngern toll und wild zugeht; und die Maria sieht mit einem Blick hinauf, der nur ein einzigesmal hat gemalt werden können, und den alle Nachahmungen und Kupferstiche so verdrehen oder vergröbern. Schon damals ging es mir, wie seitdem oft hier: ich hielt es für Recht der wirklichen Musik nachzugehen, und besuchte Kirchenmusiken, Opern, u. s. w., da war es aber leer und klanglos, während vor diesen Bildern, und in der freien Luft, auf dem Wasser alles Ton und Klang wie die schönste Musik war. Es ist ein zu großes Misverhältniß zwischen solchen Werken, wo der höchste Ernst und die volle Begeisterung geschaffen haben, und einer Musik, die sich nur auf eine zufällige Convenienz gründet, und wo sichs nur um Zeitvertreib handelt; fänden die Leute rechtes Vergnügen dabey, so möcht’ es gut sein, aber auch das ist nicht einmal der Fall. Ich habe viel Musiker hier kennen gelernt, und keinen drunter den seine Kunst mehr interessirte, als irgend ein andrer Erwerb, und der aus Drang und mit Ernst dafür lebte. Nur den Director der <placeName xml:id="placeName_159d27b9-5237-41d5-845d-2c1e3cfd9354">päpstlichen Capelle<name key="NST0100258" style="hidden" subtype="" type="institution">Cappella Musicale Pontificia »Sistina«</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> <persName xml:id="persName_e05eddb4-1be4-487c-a8e1-203e4360feb4">Don Giuseppe Baini<name key="PSN0109643" style="hidden">Baini, Giuseppe Giacobbe Baldassar(r)e (1775-1844)</name></persName> muß ich ausnehmen, denn der componirt fleißig, hält was auf sich und seinen Chor und geht seinen eignen Weg, aber da er einer der beliebtesten Beichtväter dabey ist, nur des Abends einige Stunden der Musik widmen kann, und daher von dem was seit 100 Jahren in den andern Ländern für die Musik geschehen ist, wenig oder gar nichts weiß, ist er stehn geblieben, sucht die andern fest zu halten, soviel es geht, und bringt die Sache nicht weiter. Er hält es für unerlaubt ein Instrument in seinem Zimmer zu haben, und drauf zu spielen, aber dessenungeachtet werden wir sehr gut mit einander fertig, und er ist sehr interessant und in seiner Art liebenswürdig; auch ist die <placeName xml:id="placeName_b6b10199-8af8-4588-9bd4-2af9b2ac71a5">päpstliche Capelle<name key="NST0100258" style="hidden" subtype="" type="institution">Cappella Musicale Pontificia »Sistina«</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> das einzige Institut für Kirchenmusik, das sich hier findet; sie singen würdige Sachen (meist von <persName xml:id="persName_5e1561b8-5244-468d-934a-cc0888dd4abe">Palestrina<name key="PSN0113727" style="hidden">Palestrina, Giovanni Pierluigi da (?-1594)</name></persName> und seinen Zeitgenossen) und es ist Gemeingeist und Zusammenhalten unter ihnen, leider fangen die Soprane und Alte an die Stimmen zu verlieren, Knaben oder Frauen dürfen dort nicht mitsingen, neue Castraten kommen, wie sie sagen, zum Unglück nicht hinzu, da klingt es denn mitunter ziemlich unrein; aber immer ist es doch würdige Musik, wie sie in die Kirche gehört und macht einen bestimmten ernsten Eindruck. In den andern Kirchen sind sie ganz rasend: ich habe wirklich selbst bey der Erhebung der Hostie die Ouvertüre aus dem <title xml:id="title_2b6bb2e4-4e0a-430a-8b9b-00af2950685c">Barbier von Sevilla<name key="PSN0114299" style="hidden" type="author">Rossini, Gioachino Antonio (1792-1868)</name><name key="CRT0110573" style="hidden" type="music">Il barbiere di Siviglia ossia L’inutile precauzione</name></title> und einandermal eine <title xml:id="title_4b1f4224-39ca-4d62-abe4-eb2f0b9adae4">Arie aus Aschenbrödel<name key="PSN0114299" style="hidden" type="author">Rossini, Gioachino Antonio (1792-1868)</name><name key="CRT0110575" style="hidden" type="music">La Cenerentola ossia La bontà in trionfo</name></title> auf der Orgel spielen hören, von den Opernarien, die die Nonnen produciren gar nicht erst zu sprechen; der Unsinn ist zu arg, denn es klingt nicht einmal recht lustig. Mit den Theatern sahe es auch betrübt aus; als prima donna assoluta war eine Sängerinn aus Berlin, <persName xml:id="persName_54758ab9-bf81-4724-be94-214d334876a7">Mlle. Carl<name key="PSN0110283" style="hidden">Carl, Henriette Bertha (1805-1890)</name></persName> engagirt, sie hatte dort lange die untergeordnetste Rolle gespielt, fiel auch gleich beim erstenmale complett durch, man mußte an ihre Stelle eine andre nehmen, die es eben auch nicht besser machte, die Leute langweilten sich, es war kein Leben und keine Lust im Theater zu spüren; man sagt allgemein, es sey in dieser Hinsicht in Neapel und Mailand besser, und man müsse in Rom nie eine gute Oper suchen: so muß ich es denn erwarten. Es ist kein Wunder, daß die jungen, fremden Musiker hier verzweifeln; so lange aber die Gegend, die Gallerien, das <placeName xml:id="placeName_6a37251a-b180-47cf-869d-341f7be6120c">Forum<name key="SGH0100283" style="hidden" subtype="" type="sight">Forum Romanum</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> und noch so einiges hier bleibt, da giebt es doch für jeden Menschen, Musiker oder nicht, Unvergeßliches genug zu erleben. Und sieht man zu, wie täglich noch neue Beweise des alten, mächtigen Lebens erscheinen, und wie Alles das so sicher und unverloren da steht, so hat man wohl drüber zu denken sein Lebelang. Ich werde mich stets des Eindrucks erinnern, den mir die Auffindung eines alten Gebäudes auf dem <placeName xml:id="placeName_d50eb31a-9bde-4887-8511-ae06300325d5">Forum<name key="SGH0100283" style="hidden" subtype="" type="sight">Forum Romanum</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> gemacht hat, sie waren bei den Aufgrabungen auf Mauerwerk gestoßen, von dem bisher niemand etwas geahndet hatte; das kam nun so plötzlich wieder ans Licht, erwies sich so nach und nach in seiner alten Ordnung und Zweckmäßigkeit, und hob sich so sauber und fast zierlich aus der Erde wieder hervor – es machte mir ein wunderliches Gefühl. Die Alterthumsforscher sind nun fleißig drüber her, und streiten sich, und benennen es, und bisjetzt heißt es eine Nebenkloake der Cloaca maxima, die vom Tempel des Jupiter tonans bis zur Cl. maxima geleitet habe. Wo sie anfängt weiß man noch nicht, was bisjetzt davon zu Tage liegt ist zwischen dem Bogen des <persName xml:id="persName_addb6d83-e8ff-4f11-b9cb-9a02c257b207">Septimius Severus<name key="PSN0114867" style="hidden">Septimius Severus, Lucius (146-211)</name></persName> und den Säulen des Tempels der Concordia, den Ruinen des Jupitertempels gegenüber, ich glaube, es soll etwas drüber geschrieben werden, sobald sie weiter ausgegraben ist. Dort gehe ich denn fast täglich spazieren, und suche mir was Neues unter dem Alten, Unvergänglichen, und komme ich dann einmal wieder auf eine von den Gallerien, so ist es gar ein prächtiger Genuß. Da berührt aber leider die Gegenwart zuweilen unangenehm, weil die jungen Deutschen Maler gar so handwerksplump und ungerührt ihre ewigen Meister betrachten. Ohne den geringsten Respect fahren sie drüber her, und behandeln sie wie ihres Gleichen, und wenn sie mit ihren furchtbaren Schnurrbärten, ihren Bullenbeißern, Sturmhüten, langen Locken, die Tabackspfeifen im Munde zusammenkommen, so ist für die einen der <persName xml:id="persName_776d1cec-b7f5-4e07-8ea2-0bfb15e479b2">Titian<name key="PSN0115347" style="hidden">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name></persName> ein guter Colorist, sonst wenig, für die andern der <persName xml:id="persName_862d3f8d-93fb-4a44-a200-2964229a60c4">Raphael<name key="PSN0114060" style="hidden">Raffael (eigtl. Raffaello Santi) (1483-1520)</name></persName> viel zu affectirt und weichlich, Leute wie <persName xml:id="persName_76338223-64a8-4f94-a9cc-b2768dc973f4">Guido<name key="PSN0114139" style="hidden">Reni, Guido (1575-1642)</name></persName> oder <persName xml:id="persName_4466c3ee-4cc5-4f8b-b71f-e5d05487e6e9">Domenichino<name key="PSN0110702" style="hidden">Domenichino (eigtl. Domenico Zampieri) (1581-1641)</name></persName> dürfen gar nicht genannt werden. So steht auf dem <placeName xml:id="placeName_60fecdab-cb98-4bfa-8f5d-95b55a122c0b">Vatikan<name key="SGH0100256" style="hidden" subtype="" type="sight">Palazzo Vaticano</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> ein <title xml:id="title_206d055a-e2f9-4d86-8532-7f4484f650e1">Bild von Titian<name key="PSN0115347" style="hidden" type="author">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name><name key="CRT0111091" style="hidden" type="art">Madonna mit Kind und Heiligen</name></title>, welches zur Zeit, als Ew. Excellenz sich in Rom aufhielt, im <placeName xml:id="placeName_65621984-ef7f-442b-8553-135272da14e0">Quirinal<name key="SGH0100254" style="hidden" subtype="" type="sight">Palazzo Quirinale</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> war; das behandeln sie alle mit der größten Geringschätzung, und weil es auf den ersten Blick etwas geheimnißvoll aussieht, so heißt es nun das seyen blos unnütz zusammengestellte Figuren ohne Gegenstand, daß sich aber <persName xml:id="persName_d89503c8-7553-4cea-8b64-2a9278bd31cf">Titian<name key="PSN0115347" style="hidden">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name></persName> nicht wohl an ein großes Werk ohne Bedeutung machen könne, und daß es ihm nicht möglich gewesen sey heilige Bilder ohne Gedanken hinzustellen, das vergessen sie ganz. Noch dazu ist es mir immer, als könne ich eine sehr ernste und tiefe Bedeutung darin sehen, denn es kam mir gleich das erstemal vor, als solle es eine Belohnung der Märtyrer sein, und je öfter ich es nachher angesehen habe, desto klarer hat mir das geschienen: alle die Heiligen unten sind so unbefriedigt und düster, einige blicken ganz starr vor sich hin, der eine sieht sehnsüchtig fast weinend zum Himmel hinauf, und doch kann er nicht sehen, was uns nur gezeigt wird, wie die Maria mit dem Kinde schon über ihnen schwebt, wie das Christkind schon die Kränze über ihren Häuptern hält, und wie die Engel noch neue Kränze darreichen; da oben ist alles Freude und Heiterkeit, unten noch Ungewißheit und Streben und Finsterniß, und keiner weiß von seiner Belohnung; endlich schwebt noch über Allem der heil. Geist, und bestrahlt mit seinem Glanze wieder die <title xml:id="title_134cfa6d-ea63-4b89-a711-82899ace4958">Gruppe der Maria<name key="PSN0115347" style="hidden" type="author">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name><name key="CRT0111091" style="hidden" type="art">Madonna mit Kind und Heiligen</name></title> – das scheint mir doch ein ganz bestimmter Gegenstand zu sein. Hört man aber, wie standhaft es die Maler läugnen, so möchte man lieber an sich selbst oder gar am <persName xml:id="persName_709fe8f4-e16f-410c-a040-9eed98e994f3">Titian<name key="PSN0115347" style="hidden">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name></persName> irre werden, wäre nicht auf dem <placeName xml:id="placeName_9cf0fd4b-e56e-4e41-8f57-08f842ba0d54">Capitol<name key="SGH0100252" style="hidden" subtype="" type="sight">Kapitol</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> gerade jetzt eine <placeName xml:id="placeName_ff55d3a1-9cf9-426a-a1e4-bc5d1e8ac7f2">Ausstellung<name key="NST0100282" style="hidden" subtype="" type="institution">Società degli Amatori e Cultori di Belle Arti</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> für die Gemälde der Neueren eröffnet: da sieht man dann leider weß Geistes Kind sie sind: die Heiligen sehen so mager aus, die Madonnen so kümmerlich, selbst die Landschaft so steif. Doch von den Franzosen giebt es wunderhübsche, lebendige Bilder da, z. B. ein <title xml:id="title_fbb5aa7b-58b7-424a-8b49-d312a7757cd9">Ernteabend von Robert<name key="PSN0114234" style="hidden" type="author">Robert, Louis Léopold (1794-1835)</name><name key="CRT0110531" style="hidden" type="art">L’arrivée des moissonneurs dans les marais pontins</name></title>, wo er den Pachtherrn mit seiner ganzen Familie festlich geputzt auf einem von zwei Büffeln gezognen Wagen dargestellt hat, wie er seine Befehle ertheilt, wie die Schnitterinnen ihm ihre Arbeit zeigen, andre schon Feierabend machen und nach einem Dudelsack tanzen, das Ganze in der Pontinischen Ebne mit den blauen Bergen in weiter Ferne, von der Abendsonne recht warm beleuchtet; so macht es den heitersten Festtagseindruck. Auch von <persName xml:id="persName_009e9200-8867-450b-a169-018ad6afc1e3">Horace Vernet<name key="PSN0115495" style="hidden">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name></persName>, dem Director der <placeName xml:id="placeName_ef92fabd-9464-460c-a330-695b8ad949dc">Französischen Akademie<name key="NST0100284" style="hidden" subtype="" type="institution">Académie française (Académie de France à Rome)</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> sind zwei wunderschöne Portraits da: das eine der <persName xml:id="persName_dda1f5df-6f17-4805-a6a0-e615aa8349b6">General Gouvion<name key="PSN0111495" style="hidden">Gouvion Saint-Cyr, Laurent (1764-1830)</name></persName> <title xml:id="title_8fd071d8-16dd-404b-bc05-c6b706357903">St. Cyres<name key="PSN0115495" style="hidden" type="author">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name><name key="CRT0111187" style="hidden" type="music">General Gouvion St. Cyre</name></title>, den er in der Nacht vor seinem Zelt von einem Licht keck beleuchtet vorgestellt hat, und um ihn her die bivouaquirenden Soldaten, auf der Erde liegend; das andre eine Römerinn, <title xml:id="title_65567fdf-e8de-4973-bbf5-f0eed496c67e">Mde. Vanutelli<name key="PSN0115495" style="hidden" type="author">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name><name key="CRT0111184" style="hidden" type="art">Chiara Vannutelli</name></title>, wie sie am Clavier sitzt und sich mitten im Spielen umwendet nach ihrem kleinen Kind, das eine braune italiänische Amme ihr eben auf dem Arme bringt. Sonst giebt es viel tolles Zeug da: der eine hat eine Anecdote gemalt, die man sich im Catalog erst mit der pointe erzählen lassen muß, der andre eine Mordgeschichte, einer eine Pest, der andre ein Paar Aussätzige; alle möglichen Verbrechen und Krankheiten sind auf das Lebhafteste dargestellt, als ob man in der Wirklichkeit nicht schon genug daran hätte. </p><p>Die Bewegungen der ganzen Welt haben sich nun auch bis hieher ausgebreitet, und eine so lebhafte, bunte Zeit, wie dieser Winter, habe ich nie erlebt. Der <persName xml:id="persName_e3fceea3-e84f-41aa-bf32-7a6cb6a7f60e">Papst<name key="PSN0113892" style="hidden">Pius VIII. (eigtl. Francesco Saverio Graf Castiglioni) (1761-1830)</name></persName> starb kurz nach meiner Ankunft, da sah ich all’ die großen Ceremonien in <placeName xml:id="placeName_1f736eae-99b4-4df9-b8fa-d215f50a8a24">Sct. Peter<name key="SGH0100229" style="hidden" subtype="" type="sight">San Pietro in Vaticano (Petersdom)</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> um seinen Catafalk, dann zogen die Cardinäle ins Conclave, und nach 50 Tagen, während derer man keinen Carnaval und keinen Papst zu bekommen meinte, kamen plötzlich eines Morgens die Kanonenschüsse, man stürzte aufs <placeName xml:id="placeName_10e8547e-7e26-4f49-be17-1db5b67aff2d">Quirinal<name key="SGH0100254" style="hidden" subtype="" type="sight">Palazzo Quirinale</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, hörte <persName xml:id="persName_eaaf03cc-35c2-41c2-b311-4ed4c94d7597">wie er angekündigt wurde<name key="PSN0113892" style="hidden">Pius VIII. (eigtl. Francesco Saverio Graf Castiglioni) (1761-1830)</name></persName>, dann kam die Ceremonie des ersten Fußkusses, dann wurde er zum Bischof geweiht, in der Loggia von <placeName xml:id="placeName_bba305f5-7f5c-4907-8fef-817ef264366d">Sct. Peter<name key="SGH0100229" style="hidden" subtype="" type="sight">San Pietro in Vaticano (Petersdom)</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> gekrönt, gab dem Volk von da aus den Seegen, Abends war <placeName xml:id="placeName_2660f0af-d528-49b4-bfbc-56c94acad79d">Beleuchtung der Peterskuppel<name key="SGH0100229" style="hidden" subtype="" type="sight">San Pietro in Vaticano (Petersdom)</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> und Girandola von der <placeName xml:id="placeName_cad4c7d2-0ec9-45d6-ac67-f5124f1c7848">Engelsburg<name key="SGH0100267" style="hidden" subtype="" type="sight">Engelsburg</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName>, und den folgenden Tag fing gar der Carnaval an; das tolle Zeug machte mir prächtigen Spas, ich trieb mich die ganze Zeit auf dem Corso umher, ließ mich von den Masken necken, von den Bekannten mit Confetti werfen, warf wieder so gut ich konnte, am giovedi grasso stieg die Narrheit am höchsten, es gab viele, lustige Masken, entsetzliches Gedränge, und von allen Seiten Geschrei und Jubel. Als ich am folgenden Carnavalstage in den Corso komme, wohlgerüstet und alle Taschen voll Confetti, finde ich die ganze Straße schwarz von Männern, nirgends eine Maske, keine Dame, kein Wagen, kein Militair, lauter furchtsame, ernsthafte Gesichter, es sah unheimlich aus. An der Straßenecke war das Edict des <persName xml:id="persName_cb7e74f2-1c1a-4b60-83b0-fd642a373613">Papstes<name key="PSN0111521" style="hidden">Gregor XVI. (eigtl. Bartolomeo Alberto [Mauro] Cappellari) (1765-1846)</name></persName>, welches bei schwerer Strafe alle Lustbarkeiten verbot, Soldaten mit geladnen Gewehren stellten sich auf allen Plätzen auf, so wandelte sich das lustige Schauspiel sehr schnell um und gegen Abend war kein Mensch mehr auf den Straßen zu sehn. Man hatte von den Unruhen in Bologna und in der ganzen Umgegend Nachricht erhalten, und fürchtete nun für Rom ein Gleiches, es kam auch Abends zu Thätlichkeiten, einige junge Leute wollten dem Militair trotzen, es wurde gefeuert, einige verwundet und die Unruhstifter nach der <placeName xml:id="placeName_f76e8c45-611d-4a51-a166-c47bdb382c1a">Engelsburg<name key="SGH0100267" style="hidden" subtype="" type="sight">Engelsburg</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> gebracht. Seitdem erscheinen nun fast täglich neue Edicte, die immer strenger und drohender lauten, je bedenklicher die Nachrichten von Außen her werden, und je mehr Städte dort sich zur neuen Ordnung der Dinge wenden: es sind größere Aushebungen gemacht, bei einem bestimmten Zeichen müssen alle Bürger zu den Waffen greifen, man hat Gewehre an die Trasteveriner vertheilt, alle Fremden sollen sich bei ihren Gesandten melden und ausweisen, die Gastwirthe Listen ihrer Gäste einreichen und eine Art Nationalgarde ist errichtet, die Bürger hängen eine große Patrontasche mit weißen Riemen über ihren gewöhnlichen Frack oder Überrock, nehmen die Flinte in den Arm, und beziehen so abwechselnd die Wache; eine ungeheure Menschenmenge steht immer davor, und sie freuen sich wenn sie ihre Verwandten und Bekannten nun auf einmal als Schildwachen auf dem Posten stehn sehn können. Zugleich sind einige Abgaben bedeutend erleichtert, und die Ketten des <persName xml:id="persName_dfbf53a1-ff57-47c5-8d15-cb14a8f12fcb">heil. Petrus<name key="PSN0113835" style="hidden">Petrus (lat., der Fels)</name></persName> in San Pietro in vincoli, zwei wunderthätige Marienbilder und der Kopf des <persName xml:id="persName_ddc04366-2aca-414f-b35e-46dc4b293ccf">heil. Paulus<name key="PSN0113774" style="hidden">Paulus von Tarsus (hebr. Saulus)</name></persName> öffentlich ausgestellt und alle Gläubigen aufgefordert worden, dahin zu gehn, und für Wiederherstellung der Ruhe zu beten. Die Engländer haben schaarenweis die Stadt verlassen, um der Revolution aus dem Wege zu reisen, da aber zugleicher Zeit mehrere Couriere angefallen worden waren, so gab es viel Unschlüssigkeit und bange Gesichter. Die Deutschen Maler haben sich sämmtlich ihre Schnurrbärte abgeschoren weil sie behaupten die Wuth des Pöbels werde sich zuerst gegen sie kehren, und keiner geht nach Ave Maria aus dem Hause. <persName xml:id="persName_f93233a6-a912-47fd-a607-9ec7a853aaa3">Horace Vernet<name key="PSN0115495" style="hidden">Vernet, Emile Jean Horace (1789-1863)</name></persName> hat seine französischen Pensionairs auf den Posten gestellt, will sich von der <placeName xml:id="placeName_2131f0de-0ce2-4212-a596-b2b002008f0a">Villa Medicis<name key="SGH0100273" style="hidden" subtype="" type="sight">Villa Medici</name><settlement key="STM0100177" style="hidden" type="">Rom</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> herab tüchtig vertheidigen im Fall eines Angriffs, und ist so recht in seinem Element, wenn es bivouacs, Schildwachen, Kugelgießen, und sonstiges Soldatenwesen giebt. Die Römer selbst aber sehen mir nach nichts weniger, als nach einer Revolution aus: die untern Classen sind mit dem <persName xml:id="persName_43b1cbeb-c77d-466b-9069-8ed6ec5e943a">Papst<name key="PSN0111521" style="hidden">Gregor XVI. (eigtl. Bartolomeo Alberto [Mauro] Cappellari) (1765-1846)</name></persName> sehr zufrieden, namentlich haben ihm die Trasteveriner die größten Beweise ihrer Anhänglichkeit gegeben, Deputationen geschickt, und ihm, als er neulich ausfuhr, die Pferde ausgespannt und seinen Wagen unter Jubelgeschrei selbst gezogen, worüber sich der arme Mann Anfangs so erschreckte, daß er den folgenden Tag zur Ader lassen mußte, und sich in einem Edict zwar sehr bedankte, aber doch dergleichen für die Zukunft verbat; die Mittelklassen haben entsetzliche Furcht, keiner verläßt sein Haus gern Abends, die Läden werden geschlossen, die Hausthüren verrammelt und erst nach langem Capituliren geöffnet – da weiß ich denn eigentlich nicht, wer die Revolution hier machen sollte, und bis jetzt hat auch wirklich nichts davon verlautet. Währenddessen habe ich also Zeit ruhig in der Fasten hier zu arbeiten und fleißig zu componiren, was mich seit einigen Wochen fast ausschließlich beschäftigt, ist die Musik zu dem Gedicht von Ew. Excellenz, welches <title xml:id="title_6a6cad96-3fe1-49a6-9155-7d9a3f8bb118">die erste Walpurgisnacht<name key="PSN0111422" style="hidden" type="author">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name><name key="CRT0108812" style="hidden" type="literature">Die erste Walpurgisnacht</name></title> heißt; ich will <title xml:id="title_a70fdace-6666-4ef2-a532-0b082a5f93fc">es mit Orchesterbegleitung als eine Art großer Cantate<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_lq1zyuai-kdri-hmax-2kr5-g9prqhuvhusm"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="secular_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="large-scale_sacred_secular_works" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100172" style="hidden">Die erste Walpurgisnacht, Ballade für Solostimmen, gemischten Chor und Orchester, [1830] bis 13. Februar 1832; Herbst 1840 bis Dezember 1842; 15. Juli 1843<idno type="MWV">D 3</idno><idno type="op">60</idno></name></title> componiren, und der heitre Frühlingsanfang, dann die Hexerey und der Teufelsspuk, und die feierlichen Opferchöre mitten durch könnten zur schönsten Musik Gelegenheit geben. Ich weiß nicht, ob mirs gelingen wird, aber ich fühle, wie groß die Aufgabe ist, und mit welcher Sammlung und Ehrfurcht ich sie angreifen muß.</p><p>Nach der heiligen Woche denke ich dann nach Neapel und Sicilien zu gehen, und so steht mir der größte Genuß noch bevor, so glückliche Stunden ich auch schon in Italien erlebt habe; wie ich meine Reise dann weiter richte, weiß ich noch nicht, es ist so schwer jetzt etwas ein Paar Tage voraus zu bestimmen, geschweige denn Monate.</p><closer rend="left" xml:id="closer_ead2ef98-53e8-470e-b0ae-c1132b9ab181">Nun habe ich Ew. Excellenz zu bitten, dies lange Schreiben nachsichtigst entschuldigen zu wollen, und die unbegränzte Ehrfurcht zu genehmigen</closer><closer rend="left" xml:id="closer_b17d43f3-8ef4-46b8-a796-b3d5d23ec511">mit der ich bin </closer><closer rend="right" xml:id="closer_d5b04b5d-2864-47bc-ac45-c9ac064ce4ed">Ew. Excellenz </closer><closer rend="right" xml:id="closer_4d314f0a-0a91-4027-a32c-baf0f168481e">ergebenster</closer><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed><dateline rend="left">Rom d. <date cert="high" when="1831-03-05" xml:id="date_445e0a19-c6b6-4e21-8d09-7c85f5403236">5 März 1831</date></dateline></div></body> </text></TEI>