fmb-1830-10-30-02
Hilfe zum Zitier-Tool
Um wichtige Textpassagen (Zitate) zu speichern und auf diese via Hyperlink zu verweisen, markieren Sie bitte den gewünschten Textbereich.
Daraufhin erscheint ein Fenster, in welchem Sie die ausgewählte Textpassage inkl. des Hyperlinks zur weiteren Verwendung in die Zwischenablage kopieren können.
Florenz, 30. Oktober 1830
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
Green Books
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
o3.«
Wenn ich Dir auch nicht gerade heute besonders Glück wünschen will, denn ich thue das immer, und freue mich an jedem Tage über Gutes was Dir geschieht, so wird einem doch an solchem alten bekannten Datum, wo man zusammen Morgens Chocolade trank und Abends Gesellschaft hatte, etwas weich zu Muthe, wenn man statt aller solcher Vergnügen im Gasthaus allein frühstückt und die Zeitung dazu lies’t, die jetzt immer trüb und wild aussieht, und nur in Gedanken am frohen Tage Theil nehmen kann. Darum möchte ich Dir denn heut besonders gern nahe sein, und Dir sagen wie ich Dir von Außen Fortdauer und innerlich Vorschreiten wünsche, und wie ich mich so herzlich freue, daß alle kleine Misstimmungen, die wir bis vor 3 Jahren etwa zuweilen gegen einander hatten, seit einem Morgen, wo wir uns gräßlich zankten und ich Dich vom Stuhl warf, worauf Du mich kratztest, worauf ich Dich verklagte, worauf Du mich nicht leiden konntest, worauf ich mich sehr ärgerte (Du erinnerst Dich doch) – gänzlich verschwunden sind und auch wohl für immer. Es ist mir vorgekommen, als wären wir seitdem einander viel näher getreten, und als hätten sich in uns beiden die Ungleichheiten der Laune nach und nach mehr zurückdrängen lassen; darum habe ich mich am Gange Deiner Ausbildung und Deiner Arbeiten so sehr gefreut, darum kann ich wohl hoffen, daß Dein lebhaftes Interesse und Dein warmer Antheil an allen Dingen nicht blos vorübergehend war und nicht wieder zwischen uns irgend eine Verdrießlichkeit aufkommen wird; und wenn ich es dahin bringen kann Dich nicht mehr entsetzlich anzuschnauzen, wenn Du zu spät das Blatt umkehrst, und Du es über Dich gewinnst zuweilen „zu Hause“ zu sein, wenn ich es gerade möchte und nicht so oft auszugehen, wie während Du im Bette lagst und die Masern hattest, so bin ich überzeugt davon. Die Sachen sind aber nicht sehr schwer, und ich bin also überzeugt davon. – Auch hätte ich alles das nicht gesagt, indeß können wir einander nicht oft schreiben und da ist es gut, wenn wir uns wieder einmal die Hand geben, und zu einander einen ordentlichen Wunsch sagen, etwa: Guten Morgen. Mir ist auch ordentlich feierlich zu Muthe, und wenn ich auch heute Abend statt mit Euch zu sein, und Dir ein bischen Cour wegzuschnappen, im Wagen sitze und nach Rom fahre, so möchte ich doch gern ein wenig über die Alpen kucken können und den Abend mit Dir zubringen und mich an Deiner Lustigkeit freuen. Denn daß heut eine Masse junger Leute zusammen sind bilde ich mir nun einmal ein, und würde es sehr übel nehmen, wenn es nicht der Fall wäre; Du würdest dann um mich zu befriedigen die Gesellschaft am 30 November nachgeben müssen und mir einen Stuhl, und eine Tasse Thee mit unermeßlichem Napfkuchen hinsetzen, um meinen zürnenden Geist zu befriedigen; ich hoffe aber ein Besseres. Ihr könntet heut etwa im Garten spielen, denn nach dem gestrigen warmen Regen ist es heut so behaglich lau in der Luft daß ich hier am offnen Fenster sitze und schreibe; freilich ist es auch nicht übel, daß die Leute mit den zierlichsten Blumenkörben auf allen Straßen umhergehen, um die frischen Veilchen, Rosen und Nelken anzubieten; vorgestern war ich müde von allen Bildern, Statuen, Vasen und Museen, beschloß also um 12 bis Sonnenuntergang spazieren zu gehen, kaufte mir einen Strauß von Tazetten und Heliotrop und stieg nun so zwischen den Weinbergen den Hügel hinauf. Es war einer der heitersten Spaziergänge, die ich gemacht habe; es muß einem erquickt und frisch zu Muthe werden wenn man die ganze Natur um sich her so sieht, und mir gingen tausend frohe Gedanken im Kopfe herum; da ging ich dann erst nach einem Lustschloß, das Bellosguardo heißt, wo man ganz Florenz mit dem weiten Thal vor sich hat, und wo ich mich über die reiche Stadt und die dicken Thürme und Palläste sehr freute, aber am meisten über die unzähligen weißen Landhäuser, die alle Berge und alle Hügel so weit das Auge reicht bedecken, als ob sich die Stadt bis über die Gebirge in die Ferne hin ausbreitete, und wenn ich das Fernglas nahm und in den blauen Duft längs des Thales hinsah, so war alles immer noch mit weißen Landhäusern und hellen Puncten dicht besäet und fühlte mich in solchem unabsehbar weiten Kreise von Wohnungen sehr heimisch und wohl, dann ging ich weit über die Hügel nach dem höchsten Platz, den ich sah, auf dem ein Thurm stand, und als ich hinkam fand ich die Leute im ganzen Gebäude beschäftigt Wein zu machen, Trauben zu trocknen, Fässer zu flicken; es war 2 31 3kleine (französ.) Flaschen an
Florenz, d. 30 Okt. 30. Mein lieber Paul Wenn ich Dir auch nicht gerade heute besonders Glück wünschen will, denn ich thue das immer, und freue mich an jedem Tage über Gutes was Dir geschieht, so wird einem doch an solchem alten bekannten Datum, wo man zusammen Morgens Chocolade trank und Abends Gesellschaft hatte, etwas weich zu Muthe, wenn man statt aller solcher Vergnügen im Gasthaus allein frühstückt und die Zeitung dazu lies’t, die jetzt immer trüb und wild aussieht, und nur in Gedanken am frohen Tage Theil nehmen kann. Darum möchte ich Dir denn heut besonders gern nahe sein, und Dir sagen wie ich Dir von Außen Fortdauer und innerlich Vorschreiten wünsche, und wie ich mich so herzlich freue, daß alle kleine Misstimmungen, die wir bis vor 3 Jahren etwa zuweilen gegen einander hatten, seit einem Morgen, wo wir uns gräßlich zankten und ich Dich vom Stuhl warf, worauf Du mich kratztest, worauf ich Dich verklagte, worauf Du mich nicht leiden konntest, worauf ich mich sehr ärgerte (Du erinnerst Dich doch) – gänzlich verschwunden sind und auch wohl für immer. Es ist mir vorgekommen, als wären wir seitdem einander viel näher getreten, und als hätten sich in uns beiden die Ungleichheiten der Laune nach und nach mehr zurückdrängen lassen; darum habe ich mich am Gange Deiner Ausbildung und Deiner Arbeiten so sehr gefreut, darum kann ich wohl hoffen, daß Dein lebhaftes Interesse und Dein warmer Antheil an allen Dingen nicht blos vorübergehend war und nicht wieder zwischen uns irgend eine Verdrießlichkeit aufkommen wird; und wenn ich es dahin bringen kann Dich nicht mehr entsetzlich anzuschnauzen, wenn Du zu spät das Blatt umkehrst, und Du es über Dich gewinnst zuweilen „zu Hause“ zu sein, wenn ich es gerade möchte und nicht so oft auszugehen, wie während Du im Bette lagst und die Masern hattest, so bin ich überzeugt davon. Die Sachen sind aber nicht sehr schwer, und ich bin also überzeugt davon. – Auch hätte ich alles das nicht gesagt, indeß können wir einander nicht oft schreiben und da ist es gut, wenn wir uns wieder einmal die Hand geben, und zu einander einen ordentlichen Wunsch sagen, etwa: Guten Morgen. Mir ist auch ordentlich feierlich zu Muthe, und wenn ich auch heute Abend statt mit Euch zu sein, und Dir ein bischen Cour wegzuschnappen, im Wagen sitze und nach Rom fahre, so möchte ich doch gern ein wenig über die Alpen kucken können und den Abend mit Dir zubringen und mich an Deiner Lustigkeit freuen. Denn daß heut eine Masse junger Leute zusammen sind bilde ich mir nun einmal ein, und würde es sehr übel nehmen, wenn es nicht der Fall wäre; Du würdest dann um mich zu befriedigen die Gesellschaft am 30 November nachgeben müssen und mir einen Stuhl, und eine Tasse Thee mit unermeßlichem Napfkuchen hinsetzen, um meinen zürnenden Geist zu befriedigen; ich hoffe aber ein Besseres. Ihr könntet heut etwa im Garten spielen, denn nach dem gestrigen warmen Regen ist es heut so behaglich lau in der Luft daß ich hier am offnen Fenster sitze und schreibe; freilich ist es auch nicht übel, daß die Leute mit den zierlichsten Blumenkörben auf allen Straßen umhergehen, um die frischen Veilchen, Rosen und Nelken anzubieten; vorgestern war ich müde von allen Bildern, Statuen, Vasen und Museen, beschloß also um 12 bis Sonnenuntergang spazieren zu gehen, kaufte mir einen Strauß von Tazetten und Heliotrop und stieg nun so zwischen den Weinbergen den Hügel hinauf. Es war einer der heitersten Spaziergänge, die ich gemacht habe; es muß einem erquickt und frisch zu Muthe werden wenn man die ganze Natur um sich her so sieht, und mir gingen tausend frohe Gedanken im Kopfe herum; da ging ich dann erst nach einem Lustschloß, das Bellosguardo heißt, wo man ganz Florenz mit dem weiten Thal vor sich hat, und wo ich mich über die reiche Stadt und die dicken Thürme und Palläste sehr freute, aber am meisten über die unzähligen weißen Landhäuser, die alle Berge und alle Hügel so weit das Auge reicht bedecken, als ob sich die Stadt bis über die Gebirge in die Ferne hin ausbreitete, und wenn ich das Fernglas nahm und in den blauen Duft längs des Thales hinsah, so war alles immer noch mit weißen Landhäusern und hellen Puncten dicht besäet und fühlte mich in solchem unabsehbar weiten Kreise von Wohnungen sehr heimisch und wohl, dann ging ich weit über die Hügel nach dem höchsten Platz, den ich sah, auf dem ein Thurm stand, und als ich hinkam fand ich die Leute im ganzen Gebäude beschäftigt Wein zu machen, Trauben zu trocknen, Fässer zu flicken; es war Galileis Thurm, wo er seine Beobachtungen und Entdeckungen zu machen pflegte; von oben herunter gab es wieder die weiteste Aussicht, und das Mädchen, das mich auf das Thurmdach führte erzählte mir in ihrem Dialect eine Masse Geschichten, die ich wenig verstand, schenkte mir nachher von ihren süßen, trocknen Weintrauben, die ich mit Virtuosität fresse, und so ging ich weiter, nach einem andern Thurm, den ich liegen sah, konnte aber nicht recht hinfinden, suchte gehend auf meiner Carte, und stieß so auf einen andern, der auch gehend auf seiner Carte suchte; der Unterschied zwischen uns war nur daß er ein alter Franzose war und eine grüne Brille trug, und mich anredete: è questo S. Miniato al Monte, Signor? und mit großer Festigkeit antwortete ich: Si, Sgnr., und es fand sich, daß ich Recht hatte; zugleich fiel mir Anna Fränkel sehr ein, die mir dies Kloster empfohlen hat und es ist auch allerdings wunderschön; bedenke nun, daß ich von da nach dem Garten Boboli ging und die Sonne untergehen sah und daß ich dann den schönsten Mondschein Abends hatte, so wirst Du natürlich finden, daß mich der Spaziergang erfrischt hat. Von den Bildern hier schreibe ich einandermal, denn es ist spät geworden ich muß noch von der Gallerie Pitti und der großen Gallerie Abschied nehmen, und mir meine Venus noch einmal ansehen, von der man vor Damen freilich nicht sprechen darf, die aber dennoch göttlich schön ist. Um 5 geht der Courier ab, und so Gott will bin ich übermorgen früh in Rom. Von da aus dann das Weitere. Erlaube mir nun aber eine kleine Episode an Vater einzuschalten: – Lieber Vater! Ich habe mir die Freiheit genommen, Dir ein Geschenk zu machen; wenn Du es aber nur nicht übel nimmst, denn es hat leider noch einen Haken. Der hiesige Wein ist nämlich das herrlichste, was ich bisjetzt genossen habe, und da Schadow nun von hier eine Kiste verschickt, so hat er mich beredet auch etwas davon nach Hause zu senden und hat mir Alles besorgt. Nun ist mir nachher aber eingefallen, daß Dich der Wein am Ende mehr kosten wird, als mich, und obwohl Martens mich versichert es würde nicht theuer sein, so habe ich doch einige Furcht, und bitte Dich also nicht böse zu sein, wenn die Kiste ankommt. Hast Du sie aufgemacht und den Wein gekostet, so bin ich nicht bange mehr, denn dann wirst Du mich loben; es ist der edelste Wein, den ich kenne, und ich glaube, daß er gerade Dir sehr schmecken und auch gut thun wird, denn er soll den Magen stärken. 2 3 ist Aleatico, und 1 3 der Ausbruch davon, sogenannter Vino santo. Hoffentlich kommt er Dir aber nicht theuer also bitte sey nicht böse, und wenn er angekommen ist, so bitt’ ich Dich, einen Theil davon, etwa 8 – 10 kleine (französ. ) Flaschen an Zelter, und 5 kleine (ebenfalls französ. ) an Ritz zu geben. Ich lege an beide ein paar Zeilen mit in die Kiste. Und nun noch ein Paar Worte an Euch Alle: schreibt mir viel und oft nach Rom, und laßt mich von Allem wissen. Lebt sehr wohl und seyd gesund. Und Du, lieber Paul, sey froh heute, und denk einmal nach Italien, wie ich nach Deutschland zu Dir denke, und Alles Glückliche Dir wünsche. Dein Felix.
<TEI xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 ../../../fmbc_framework/xsd/fmb-c.xsd" xml:id="fmb-1830-10-30-02" xml:space="default"> <teiHeader xml:lang="de"> <fileDesc> <titleStmt> <title key="fmb-1830-10-30-02" xml:id="title_981294a8-9e0b-440e-bf2e-52c31cbc32a0">Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy und Abraham Mendelssohn Bartholdy in Berlin <lb></lb>Florenz, 30. Oktober 1830</title> <title level="s" type="incipit" xml:id="title_188e295e-2bc6-48f2-99df-b4e6b883e615">Wenn ich Dir auch nicht gerade heute besonders Glück wünschen will, denn ich thue das immer, und freue mich an jedem Tage über Gutes was Dir geschieht, so wird einem doch an solchem alten bekannten</title> <title level="s" type="sub" xml:id="title_6dff5c66-52c3-4e3f-a0ec-c8c12642e1d6">Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C)</title> <title key="not_yet_determined" type="precursor">noch nicht ermittelt</title> <title key="not_yet_determined" type="successor">noch nicht ermittelt</title> <author key="PSN0000001">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</author><respStmt><resp resp="writer"></resp><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName></respStmt><respStmt resp="transcription"> <resp resp="transcription">Transkription: </resp> <name resp="transcription">FMB-C</name> </respStmt> <respStmt resp="edition"> <resp resp="edition">Edition: </resp> <name resp="edition">FMB-C</name> </respStmt> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin</publisher> <address> <street>Am Kupfergraben 5</street> <placeName> <settlement>10117 Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName> </address> <idno type="URI">http://www.mendelssohn-online.com</idno> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/">Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)</licence> </availability> <idno type="MSB">Bd. 2, 363</idno></publicationStmt> <seriesStmt> <p>Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)</p> </seriesStmt> <sourceDesc source="edition_template_manuscript" xml:id="sourceDesc_83e5ecb6-e542-48d2-abb9-f599e4d71140"> <msDesc> <msIdentifier> <country>Großbritannien</country> <settlement>Oxford</settlement> <institution key="RISM">GB-Ob</institution> <repository>Oxford, Bodleian Library</repository> <collection>Music Section</collection> <idno type="signatur">M.D.M. d. 13, fol. 15-16.</idno> </msIdentifier> <msContents> <msItem> <idno type="autograph">Autograph</idno> <title key="fmb-1830-10-30-02" type="letter" xml:id="title_e195c3c3-91b8-488e-98b8-ed661778b397">Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy und Abraham Mendelssohn Bartholdy in Berlin; Florenz, 30. Oktober 1830</title> <incipit>Wenn ich Dir auch nicht gerade heute besonders Glück wünschen will, denn ich thue das immer, und freue mich an jedem Tage über Gutes was Dir geschieht, so wird einem doch an solchem alten bekannten</incipit> </msItem> </msContents> <physDesc> <p>4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel.</p> <handDesc hands="1"> <p>Felix Mendelssohn Bartholdy</p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl></accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="copy_from_foreign_hand">Teilabschrift von Carl Mendelssohn Bartholdy, D-LEsm, Musik- und Theatergeschichte, MT/2011/417 (bis Anfang 2011: Berlin, Dr. Rudolf Elvers).</bibl> <bibl type="printed_letter">Mendelssohn, Reisebriefe, S. 43-45 (Teildruck).</bibl> <bibl type="printed_letter">Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 57-61.</bibl> <bibl type="printed_letter">Elvers, Briefe, S. 123-127.</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-10-30" xml:id="date_9ab32899-0ecf-473c-8d43-1b171a1cc10f">30. Oktober 1830</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_4820d8d7-2f46-4f3e-b61e-f73e38aa56f9">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_3cd7bebc-d958-49e0-9053-53bc140491ac"> <settlement key="STM0100174">Florenz</settlement> <country>Italien</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113247" resp="receiver" xml:id="persName_4356cd94-ee2d-4548-9c8b-3bb0bd0c638d">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</persName> <persName key="PSN0113263" resp="receiver" xml:id="persName_49bd2ec1-8bed-4b0b-9bd7-69fb297aae52">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_7d421df5-57f9-408f-a32d-6989869e89f8"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft"> </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_a7609a18-913d-4c63-b32e-637ac1a66577"> <head> <address> <addrLine>À Mr.</addrLine> <addrLine>Mr. Paul Mendelssohn Bartholdy.</addrLine> <addrLine>Berlin.</addrLine> <addrLine>Leipziger Str. n<hi rend="superscript">o</hi> 3.«</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_4327d03b-8878-48cf-a8f2-b20a8b1fedb5"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Florenz, d. <date cert="high" when="1830-10-30" xml:id="date_96f9a71b-393e-474d-822a-f18a19b074cc">30 Okt. 30</date>.</dateline><salute rend="left">Mein lieber Paul</salute><p style="paragraph_without_indent">Wenn ich Dir auch nicht gerade heute besonders Glück wünschen will, denn ich thue das immer, und freue mich an jedem Tage über Gutes was Dir geschieht, so wird einem doch an solchem alten bekannten Datum, wo man zusammen Morgens Chocolade trank und Abends Gesellschaft hatte, etwas weich zu Muthe, wenn man statt aller solcher Vergnügen im Gasthaus allein frühstückt und die Zeitung dazu lies’t, die jetzt immer trüb und wild aussieht, und nur in Gedanken am frohen Tage Theil nehmen kann. Darum möchte ich Dir denn heut besonders gern nahe sein, und Dir sagen wie ich Dir von Außen Fortdauer und innerlich Vorschreiten wünsche, und wie ich mich so herzlich freue, daß alle kleine Misstimmungen, die wir bis vor 3 Jahren etwa zuweilen gegen einander hatten, seit einem Morgen, wo wir uns gräßlich zankten und ich Dich vom Stuhl warf, worauf Du mich kratztest, worauf ich Dich verklagte, worauf Du mich nicht leiden konntest, worauf ich mich sehr ärgerte (Du erinnerst Dich doch) – gänzlich verschwunden sind und auch wohl für immer. Es ist mir vorgekommen, als wären wir seitdem einander viel näher getreten, und als hätten sich in uns beiden die Ungleichheiten der Laune nach und nach mehr zurückdrängen lassen; darum habe ich mich am Gange Deiner Ausbildung und Deiner Arbeiten so sehr gefreut, darum kann ich wohl hoffen, daß Dein lebhaftes Interesse und Dein warmer Antheil an allen Dingen nicht blos vorübergehend war und nicht wieder zwischen uns irgend eine Verdrießlichkeit aufkommen wird; und wenn ich es dahin bringen kann Dich nicht mehr entsetzlich anzuschnauzen, wenn Du zu spät das Blatt umkehrst, und Du es über Dich gewinnst zuweilen „zu Hause“ zu sein, wenn ich es gerade möchte und nicht so oft auszugehen, wie während Du im Bette lagst und die Masern hattest, so bin ich überzeugt davon. Die Sachen sind aber nicht sehr schwer, und ich bin also überzeugt davon. – Auch hätte ich alles das nicht gesagt, indeß können wir einander nicht oft schreiben und da ist es gut, wenn wir uns wieder einmal die Hand geben, und zu einander einen ordentlichen Wunsch sagen, etwa: Guten Morgen. Mir ist auch ordentlich feierlich zu Muthe, und wenn ich auch heute Abend statt mit Euch zu sein, und Dir ein bischen Cour wegzuschnappen, im Wagen sitze und nach Rom fahre, so möchte ich doch gern ein wenig über die Alpen kucken können und den Abend mit Dir zubringen und mich an Deiner Lustigkeit freuen. Denn daß heut eine Masse junger Leute zusammen sind bilde ich mir nun einmal ein, und würde es sehr übel nehmen, wenn es nicht der Fall wäre; Du würdest dann um mich zu befriedigen die Gesellschaft am 30 November nachgeben müssen und mir einen Stuhl, und eine Tasse Thee mit unermeßlichem Napfkuchen hinsetzen, um meinen zürnenden Geist zu befriedigen; ich hoffe aber ein Besseres. Ihr könntet heut etwa im Garten spielen, denn nach dem gestrigen warmen Regen ist es heut so behaglich lau in der Luft daß ich hier am offnen Fenster sitze und schreibe; freilich ist es auch nicht übel, daß die Leute mit den zierlichsten Blumenkörben auf allen Straßen umhergehen, um die frischen Veilchen, Rosen und Nelken anzubieten; vorgestern war ich müde von allen Bildern, Statuen, Vasen und Museen, beschloß also um 12 bis Sonnenuntergang spazieren zu gehen, kaufte mir einen Strauß von Tazetten und Heliotrop und stieg nun so zwischen den Weinbergen den Hügel hinauf. Es war einer der heitersten Spaziergänge, die ich gemacht habe; es muß einem erquickt und frisch zu Muthe werden wenn man die ganze Natur um sich her so sieht, und mir gingen tausend frohe Gedanken im Kopfe herum; da ging ich dann erst nach einem Lustschloß, das Bellosguardo heißt, wo man ganz Florenz mit dem weiten Thal vor sich hat, und wo ich mich über die reiche Stadt und die dicken Thürme und Palläste sehr freute, aber am meisten über die unzähligen weißen Landhäuser, die alle Berge und alle Hügel so weit das Auge reicht bedecken, als ob sich die Stadt bis über die Gebirge in die Ferne hin ausbreitete, und wenn ich das Fernglas nahm und in den blauen Duft längs des Thales hinsah, so war alles immer noch mit weißen Landhäusern und hellen Puncten dicht besäet und fühlte mich in solchem unabsehbar weiten Kreise von Wohnungen sehr heimisch und wohl, dann ging ich weit über die Hügel nach dem höchsten Platz, den ich sah, auf dem ein Thurm stand, und als ich hinkam fand ich die Leute im ganzen Gebäude beschäftigt Wein zu machen, Trauben zu trocknen, Fässer zu flicken; es war <persName xml:id="persName_1e52dc5b-18a9-4e15-9c60-db174127298b">Galileis<name key="PSN0111272" style="hidden">Galilei, Galileo (1564-1642)</name></persName> Thurm, wo er seine Beobachtungen und Entdeckungen zu machen pflegte; von oben herunter gab es wieder die weiteste Aussicht, und das Mädchen, das mich auf das Thurmdach führte erzählte mir in ihrem Dialect eine Masse Geschichten, die ich wenig verstand, schenkte mir nachher von ihren süßen, trocknen Weintrauben, die ich mit Virtuosität fresse, und so ging ich weiter, nach einem andern Thurm, den ich liegen sah, konnte aber nicht recht hinfinden, suchte gehend auf meiner Carte, und stieß so auf einen andern, der auch gehend auf seiner Carte suchte; der Unterschied zwischen uns war nur daß er ein alter Franzose war und eine grüne Brille trug, und mich anredete: è questo S. Miniato al Monte, Signor? und mit großer Festigkeit antwortete ich: Si, Sgnr., und es fand sich, daß ich Recht hatte; zugleich fiel mir Anna <persName xml:id="persName_489f08ff-577f-40c5-be74-78a28036c003">Fränkel<name key="PSN0111140" style="hidden">Fränkel, Anna Rosa (1812-?)</name></persName> sehr ein, die mir dies Kloster empfohlen hat und es ist auch allerdings wunderschön; bedenke nun, daß ich von da nach dem <placeName xml:id="placeName_3ac5d6d3-288e-498b-9363-254500deaf9d">Garten Boboli<name key="SGH0100251" style="hidden" subtype="" type="sight">Boboli-Gärten</name><settlement key="STM0100174" style="hidden" type="">Florenz</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> ging und die Sonne untergehen sah und daß ich dann den schönsten Mondschein Abends hatte, so wirst Du natürlich finden, daß mich der Spaziergang erfrischt hat. Von den Bildern hier schreibe ich einandermal, denn es ist spät geworden ich muß noch von der <placeName xml:id="placeName_f9f2c9e3-7923-409b-89cf-21c5483be11f">Gallerie Pitti<name key="NST0100250" style="hidden" subtype="" type="institution">Galleria Palatina</name><settlement key="STM0100174" style="hidden" type="">Florenz</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> und der <placeName xml:id="placeName_e2f4d0d5-439c-4c75-b0fe-603615d42c4d">großen Gallerie<name key="NST0100247" style="hidden" subtype="" type="institution">Galleria degli Uffizi</name><settlement key="STM0100174" style="hidden" type="">Florenz</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> Abschied nehmen, und mir meine <placeName xml:id="placeName_f6d540da-c908-4602-bf84-2042f9df2d99">Venus<name key="SGH0100248" style="hidden" subtype="" type="sight">Galleria degli Uffizi</name><settlement key="STM0100174" style="hidden" type="">Florenz</settlement><country style="hidden">Italien</country></placeName> noch einmal ansehen, von der man vor Damen freilich nicht sprechen darf, die aber dennoch göttlich schön ist. Um 5 geht der Courier ab, und so Gott will bin ich übermorgen früh in Rom. Von da aus dann das Weitere. Erlaube mir nun aber eine kleine Episode an <persName xml:id="persName_71262120-9a23-44b1-80c1-3c94baa2764e">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> einzuschalten: – Lieber Vater! Ich habe mir die Freiheit genommen, Dir ein Geschenk zu machen; wenn Du es aber nur nicht übel nimmst, denn es hat leider noch einen Haken. Der hiesige Wein ist nämlich das herrlichste, was ich bisjetzt genossen habe, und da <persName xml:id="persName_9c3a33e8-746d-4003-80fb-2898b5c49aff">Schadow<name key="PSN0114494" style="hidden">Schadow, Friedrich Wilhelm (seit 1843) von Godenhaus (1788-1862)</name></persName> nun von hier eine Kiste verschickt, so hat er mich beredet auch etwas davon nach Hause zu senden und hat mir Alles besorgt. Nun ist mir nachher aber eingefallen, daß Dich der Wein am Ende mehr kosten wird, als mich, und obwohl <persName xml:id="persName_727269d9-1117-4892-9d79-8b1b30c1125c">Martens<name key="PSN0113096" style="hidden">Martens, Friedrich Freiherr von (1781-1857)</name></persName> mich versichert es würde nicht theuer sein, so habe ich doch einige Furcht, und bitte Dich also nicht böse zu sein, wenn die Kiste ankommt. Hast Du sie aufgemacht und den Wein gekostet, so bin ich nicht bange mehr, denn dann wirst Du mich loben; es ist der edelste Wein, den ich kenne, und ich glaube, daß er gerade Dir sehr schmecken und auch gut thun wird, denn er soll den Magen stärken. <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">2</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">3</hi></formula> ist Aleatico, und <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">1</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">3</hi></formula> der Ausbruch davon, sogenannter Vino santo. Hoffentlich kommt er Dir aber nicht theuer also bitte sey nicht böse, und wenn er angekommen ist, so bitt’ ich Dich, einen Theil davon, etwa 8 – 10 <hi rend="underline">kleine</hi> (französ.) Flaschen an <persName xml:id="persName_2fcdcca8-c278-4ad4-a708-024564868290">Zelter<name key="PSN0115916" style="hidden">Zelter, Carl Friedrich (1758-1832)</name></persName>, und 5 kleine (ebenfalls französ.) an <persName xml:id="persName_9918d9f8-8fb1-4eb9-8d87-0a7a40a042a1">Ritz<name key="PSN0114202" style="hidden">Rietz, Eduard Theodor Ludwig (1802-1832)</name></persName> zu geben. Ich lege an beide ein paar Zeilen mit in die Kiste. Und nun noch ein Paar Worte an Euch Alle: schreibt mir viel und oft nach Rom, und laßt mich von Allem wissen. Lebt sehr wohl und seyd gesund. <seg type="closer" xml:id="seg_ddebb2db-4591-45d5-9610-23037ea21646">Und Du, lieber Paul, sey froh heute, und denk einmal nach Italien, wie ich nach Deutschland zu Dir denke, und Alles Glückliche Dir wünsche.</seg></p><signed rend="right">Dein Felix.</signed></div></body> </text></TEI>