fmb-1830-10-12-01
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Venedig, 12. Oktober 1830
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel, Zusatz von fremder Hand: »Franco«,
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Du hast mir erlaubt Dir von Zeit zu Zeit von mir Nachricht zu geben, liebe Cousine, und obwohl ich mir vorgesetzt hatte nicht gleich von dieser Erlaubniß Gebrauch zu machen, um Dir nicht Furcht vor einer Correspondenz und vor einer großen Menge langweiliger Briefe einzujagen, so kann ich es doch jetzt eben nicht unterlassen Dir zu schreiben, weil mir gerade Deine Freundlichkeit und die heiteren Tage, die ich mit Dir und den Deinigen genossen und alles Liebe und Gute was Ihr mir erzeigt, so recht lebhaft vor Augen tritt. Es soll nicht eine Danksagung sein, wie man sie nur gar zu oft empfangen und auch wohl gar machen muß – als gelte es eine Schuld abzutragen und als sey die Sache dann ins Gleiche gebracht –, nicht solch ein gewöhnlicher Dank für freundliche Aufnahme, wie er Dir alltäglich sein muß: sondern sagen möchte ich Dir können, wie es mich ganz innerlich beglückt hat, und wie ich wohl stündlich daran denken muß, welch frohe Zeit ich Dir verdanke. Es sieht gar wild und unstät jetzt in der Welt aus, und es kann keiner wissen wie der nächste Tag ihm Alles verändern oder zerstören mag; darum preise ich mich selbst doppelt glücklich wenn ich auf alle Freude zurücksehe, die mir schon zu Theil geworden ist, und fühle mich doppelt dankbar gegen die, die sie mir gewährten, und es mag nun in der Folge kommen wie es wolle so werde ich an diese ganze froheste Zeit meines Lebens mit Heiterkeit zurückdenken. Darin sind mir nun die Tage mit Euch in Baden ein HauptLichtpunct, und für diese Erinnerung möchte ich Dir gern danken. – Ich weiß nicht, ob Du aus dem Allen sehen kannst, wie ich es eigentlich meine; die Ferne, der Ausdruck und die Schrift machen Alles so kalt: sey Du es aber nicht gegen mich, oder wenn ich so sagen darf: werde es nicht – das ist es, worum ich Dich bitten wollte.
Ich komme eben vom Markusplatze zurück, wo ich die Zeitungen mit den wilden Ereignissen in den Niederlanden gelesen habe; das, und der Mangel an
ten abreisen und den 16ten hier eintreffen wolle; hoffentlich sehe ich ihn also noch hier, denn ich habe mir vorgenommen bis zum 17ten Abends ihn zu erwarten. Dann gehe ich nach Bologna und über Florenz schnell nach Rom, wo ich den 24ten zu sein gedenke. – Nun bitte ich Dich noch, mir
Venedig d. 12 Okt. 1830. Du hast mir erlaubt Dir von Zeit zu Zeit von mir Nachricht zu geben, liebe Cousine, und obwohl ich mir vorgesetzt hatte nicht gleich von dieser Erlaubniß Gebrauch zu machen, um Dir nicht Furcht vor einer Correspondenz und vor einer großen Menge langweiliger Briefe einzujagen, so kann ich es doch jetzt eben nicht unterlassen Dir zu schreiben, weil mir gerade Deine Freundlichkeit und die heiteren Tage, die ich mit Dir und den Deinigen genossen und alles Liebe und Gute was Ihr mir erzeigt, so recht lebhaft vor Augen tritt. Es soll nicht eine Danksagung sein, wie man sie nur gar zu oft empfangen und auch wohl gar machen muß – als gelte es eine Schuld abzutragen und als sey die Sache dann ins Gleiche gebracht –, nicht solch ein gewöhnlicher Dank für freundliche Aufnahme, wie er Dir alltäglich sein muß: sondern sagen möchte ich Dir können, wie es mich ganz innerlich beglückt hat, und wie ich wohl stündlich daran denken muß, welch frohe Zeit ich Dir verdanke. Es sieht gar wild und unstät jetzt in der Welt aus, und es kann keiner wissen wie der nächste Tag ihm Alles verändern oder zerstören mag; darum preise ich mich selbst doppelt glücklich wenn ich auf alle Freude zurücksehe, die mir schon zu Theil geworden ist, und fühle mich doppelt dankbar gegen die, die sie mir gewährten, und es mag nun in der Folge kommen wie es wolle so werde ich an diese ganze froheste Zeit meines Lebens mit Heiterkeit zurückdenken. Darin sind mir nun die Tage mit Euch in Baden ein HauptLichtpunct, und für diese Erinnerung möchte ich Dir gern danken. – Ich weiß nicht, ob Du aus dem Allen sehen kannst, wie ich es eigentlich meine; die Ferne, der Ausdruck und die Schrift machen Alles so kalt: sey Du es aber nicht gegen mich, oder wenn ich so sagen darf: werde es nicht – das ist es, worum ich Dich bitten wollte. Ich komme eben vom Markusplatze zurück, wo ich die Zeitungen mit den wilden Ereignissen in den Niederlanden gelesen habe; das, und der Mangel an Briefen von Hause, die mir nun schon seit beinahe 4 Wochen fehlen, machte mich so ein wenig an Vergangenheit und Zukunft denken, und daher schrieb ich Dir, was ich sonst wohl lieber verschwiegen hätte. Denn geschrieben nimmt sich doch einmal Alles wie Phrasen aus, und die hasse ich; glaube nur nicht, daß bei meinem folgenden Briefe (und der steht Dir unabänderlich bevor, sobald ich Rubini in Bologna gehört habe) ich wieder so viel von mir selbst sprechen will. Davon so bald nichts mehr und nun noch ein wenig von der Gegenwart. Die ist freilich so reich und bunt, daß ich nicht weiß wo ich die Sinne hernehmen soll, um Alles genugsam in mich aufzunehmen, vielweniger wie es sich alles in Worte kleiden läßt. Jeder Tag hat mir etwas Neues, Großes gebracht; und wenn mir der ganze Eindruck des Landes, das ich mir frappirend, phantastisch gedacht hatte, ganz anders und viel schöner in seiner ruhigen, behaglichen Wärme erschienen ist: so sind auch die Kunstwerke die ich bisjetzt gesehen habe, weit über alle meine Erwartungen. Eine liebliche Schönheit, die dem Auge viel Freude machte, vollendete Formen und all’ solche Äußerlichkeiten glaubte ich zu finden, und das ist es auch, was die Reisebücher und Beschreiber von den Italiänischen Malern zu rühmen wissen: aber diese Kraft, diese innerliche Wahrheit, und wie man sieht, daß sie aus begeistert andächtigem Herzen haben malen müssen – davon wissen die Beschreiber nichts zu sagen und ich ahndete es nicht. Was für ein Künstler Titian war und wie er alles Lebensglück genossen und wieder dargestellt hat, konnte ich mir nach seinen Bildern in Paris schon denken: aber hier sieht man, wie er Alles Göttliche und Überirdische auch gekannt und wiedergegeben hat. Es sind Bilder, vor denen man Umgebungen und Betrachtungen und sich selbst vergißt, deren Gegenstand man nicht ansieht, sondern mit erlebt. Ich habe seine drei Hauptwerke nun jeden Tag gesehen und immer ist mir der Eindruck, als würde ich auf einmal Zeuge von dem was da gemalt ist. Wenn man bei der Darstellung der Maria sich ordentlich mit dem kleinen, netten Mädchen, das so allein auf der großen Treppe vor dem alten Priester stehen muß, ein wenig ängstigt, und sich mit dem Volk über den Heiligenschein wundert, der sie umgiebt, oder auch einmal nur neugierig hinsieht: und wenn die Himmelfahrt einen mit in alle Wolken hebt, daß man den Lärm und das Jauchzen und die helle Musik der Engel hört – so ist in der Grablegung eine schmerzliche Ruhe und eine Abgeschlossenheit, und auf allen Gesichtern eine Empfindung der Trauer, wie ich es nie auf Bildern gesehen habe. Das ist es, was ich mir bei einer Kunst denke und von ihr fordern möchte: sie nimmt jeden in ihr Reich mit sich fort, und zeigt dem einen Menschen des andern innerste Gedanken und Empfindungen, und macht ihm klar, wie es in seiner Seele aussieht. Worte können das nicht so schlagend, wie Farben oder Musik. Ein Rondo von Herz oder Czerny thut es aber freilich auch nicht, das ist mir auch der einzige Maaßstab, ob mir etwas gefallen kann, oder nicht. Regeln sind nur für den der es macht, nicht für den, der’s genießt. – Auch der erste Anblick des Landes Italien ist mir ganz das Gegentheil von dem gewesen, wie es mein Dr. Neigebaur, kön. Preuß. OberLandsGerichtsrath sehr poetisch beschreibt: der Mann ist enthusiasmirt, hüpft vor Freude und sieht einen dunkeln, tiefblauen Himmel über sich; von alle dem ist mir nichts widerfahren, die Gegend an der Grenze und mehrere Stationen danach ist sehr öde und einförmig, und erst nach und nach je mehr das Land sich ausbreitet und in die Ebne zerfließt, fängt man an zu merken, daß es dem Süden zugeht, und daß eine andre Gegend sich aufthut. Mir wurde dabey prächtig behaglich zu Muthe, und die schönen Weingehänge mit reifen Trauben, die sich von Baum zu Baum schlingen, die buntgekleideten Menschen, die hübschen Mädchen mit den Rosen im Haar – das alles kam mir vor, als sey es nur mir zu Ehren, und als hielte ich meinen feierlichen Einzug, und sey eine Art Prinz. Was mich bei dieser Vornehmheit zuweilen etwas störte, war freilich die fremde Sprache mit der ich mich sehr unbeholfen benahm. Ich muß immer um meine eigentlichen Gedanken herumschleichen, in dem Kreis den mir meine Paar Italiänischen Wörter vorschreiben. Recht betrübt war es, wie ich gestern früh im Lexicon nach einem Wort für hübsch, oder für mein liebes „nett“ mit dem ich viel geneckt worden bin, suchte; ich habe mir leggiadro zugelegt, aber es thut es nicht recht. Der Brief ist aber entsetzlich lang geworden; was wirst Du sagen? und wirst Du ihn ganz durchlesen? – Wenn Du ihn nicht durchläsest, so wär es kein Unglück, aber wenn Du nichts darauf sagtest –. Nun hab ich noch schließlich eine Bitte; ob Du nämlich so gütig sein willst an Arnstein & Eskeles mitzutheilen, daß ich sie ersuchen ließe, mir Briefe oder was sonst für mich eintreffen möchte nach Rom entweder poste restante oder an den Kön. Preuß. Minister-Residenten Geh: Rath Bunsen adressirt zu schicken; Du würdest mich sehr dadurch verbinden, weil es möglich wäre, daß irgend etwas für mich an sie gesandt würde. Ehe ich Rom verlasse melde ich Dir es auf jeden Fall, und bitte Dich wieder, es an Deny zu sagen; doch geschieht dies wohl vor dem Frühjahr, so Gott will, nicht. Nun denke ich, wenn Du nach der Stadt gezogen bist und ehe das eigentliche glänzende Winterleben bei Euch anfängt, wär’ es doch gar zu schön, wenn Du mir einmal auch nur ein Paar Zeilen schriebest, und mich wieder mit Euch und Euern Umgebungen, die ich mir so lange nur immer in Baden denken kann, vertraut machtest. Du hast es versprochen, und weißt, wie es mich erfreuen würde. Adolph war so freundlich mir zu schreiben, daß er Montag d. 11ten abreisen und den 16ten hier eintreffen wolle; hoffentlich sehe ich ihn also noch hier, denn ich habe mir vorgenommen bis zum 17ten Abends ihn zu erwarten. Dann gehe ich nach Bologna und über Florenz schnell nach Rom, wo ich den 24ten zu sein gedenke. – Nun bitte ich Dich noch, mir Flora tausendmal zu grüßen und mich der Frau v: Weyrother aufs Angelegentlichste zu empfehlen; wenn sie mir die Erlaubniß zu schreiben im Ernst gegeben hat, so fasse ich mir ein Herz und thu es. – Es geht mir wieder, wie Abends spät bei Euch, ich kann kein Ende finden und bleibe zu lange. Auf Wiedersehen denn. Dein Felix MB.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-10-12" xml:id="date_d8b4fa58-f9a1-40e4-9c6c-1045730262a5">12. 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Es soll nicht eine Danksagung sein, wie man sie nur gar zu oft empfangen und auch wohl gar machen muß – als gelte es eine Schuld abzutragen und als sey die Sache dann ins Gleiche gebracht –, nicht solch ein gewöhnlicher Dank für freundliche Aufnahme, wie er Dir alltäglich sein muß: sondern sagen möchte ich Dir können, wie es mich ganz innerlich beglückt hat, und wie ich wohl stündlich daran denken muß, welch frohe Zeit ich Dir verdanke. Es sieht gar wild und unstät jetzt in der Welt aus, und es kann keiner wissen wie der nächste Tag ihm Alles verändern oder zerstören mag; darum preise ich mich selbst doppelt glücklich wenn ich auf alle Freude zurücksehe, die mir schon zu Theil geworden ist, und fühle mich doppelt dankbar gegen die, die sie mir gewährten, und es mag nun in der Folge kommen wie es wolle so werde ich an diese ganze froheste Zeit meines Lebens mit Heiterkeit zurückdenken. Darin sind mir nun die Tage mit Euch in Baden ein HauptLichtpunct, und für diese Erinnerung möchte ich Dir gern danken. – Ich weiß nicht, ob Du aus dem Allen sehen kannst, wie ich es eigentlich meine; die Ferne, der Ausdruck und die Schrift machen Alles so kalt: sey Du es aber nicht gegen mich, oder wenn ich so sagen darf: werde es nicht – das ist es, worum ich Dich bitten wollte.</p><p>Ich komme eben vom Markusplatze zurück, wo ich die Zeitungen mit den wilden Ereignissen in den Niederlanden gelesen habe; das, und der Mangel an <persName xml:id="persName_9bdd5488-9314-4467-9b67-0a1acbdb21b4">Briefen von Hause<name key="PSN0113241" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</name></persName>, die mir nun schon seit beinahe 4 Wochen fehlen, machte mich so ein wenig an Vergangenheit und Zukunft denken, und daher schrieb ich Dir, was ich sonst wohl lieber verschwiegen hätte. 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Eine liebliche Schönheit, die dem Auge viel Freude machte, vollendete Formen und all’ solche Äußerlichkeiten glaubte ich zu finden, und das ist es auch, was die Reisebücher und Beschreiber von den Italiänischen Malern zu rühmen wissen: aber diese Kraft, diese innerliche Wahrheit, und wie man sieht, daß sie aus begeistert andächtigem Herzen haben malen müssen – davon wissen die Beschreiber nichts zu sagen und ich ahndete es nicht. Was für ein Künstler <persName xml:id="persName_c6ad74be-b98d-49e1-bb4b-91a90ad49a83">Titian<name key="PSN0115347" style="hidden">Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio)</name></persName> war und wie er alles Lebensglück genossen und wieder dargestellt hat, konnte ich mir nach seinen Bildern in Paris schon denken: aber hier sieht man, wie er Alles Göttliche und Überirdische auch gekannt und wiedergegeben hat. Es sind Bilder, vor denen man Umgebungen und Betrachtungen und sich selbst vergißt, deren Gegenstand man nicht ansieht, sondern mit erlebt. 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Ich muß immer um meine eigentlichen Gedanken herumschleichen, in dem Kreis den mir meine Paar Italiänischen Wörter vorschreiben. Recht betrübt war es, wie ich gestern früh im Lexicon nach einem Wort für hübsch, oder für mein liebes „nett“ mit dem ich viel geneckt worden bin, suchte; ich habe mir leggiadro zugelegt, aber es thut es nicht recht. Der Brief ist aber entsetzlich lang geworden; was wirst Du sagen? und wirst Du ihn ganz durchlesen? – Wenn Du ihn nicht durchläsest, so wär es kein Unglück, aber wenn Du nichts darauf sagtest –. Nun hab ich noch schließlich eine Bitte; ob Du nämlich so gütig sein willst an <persName xml:id="persName_7ff4868a-50f8-4f18-930d-f948d68a0211">Arnstein & Eskeles<name key="PSN0109544" style="hidden">Arnstein & Eskeles, Bankhaus in Wien</name></persName> mitzutheilen, daß ich sie ersuchen ließe, mir Briefe oder was sonst für mich eintreffen möchte nach Rom entweder poste restante oder an den <persName xml:id="persName_b837768a-884c-44ef-9284-a4a7a4e72627">Kön. Preuß. Minister-Residenten Geh: Rath Bunsen<name key="PSN0110195" style="hidden">Bunsen, Christian Carl Josias (seit 1858) Freiherr von (1791-1860)</name></persName> adressirt zu schicken; Du würdest mich sehr dadurch verbinden, weil es möglich wäre, daß irgend etwas für mich an sie gesandt würde. Ehe ich Rom verlasse melde ich Dir es auf jeden Fall, und bitte Dich wieder, es an <persName xml:id="persName_670fd54a-9705-44bb-bf4a-9e163f6c0ed3">Deny<name key="PSN0110950" style="hidden" type="person">Eskeles, (Denis) Daniel Bernhard Freiherr von (1803-1876)</name></persName> zu sagen; doch geschieht dies wohl vor dem Frühjahr, so Gott will, nicht. Nun denke ich, wenn Du nach der Stadt gezogen bist und ehe das eigentliche glänzende Winterleben bei Euch anfängt, wär’ es doch gar zu schön, wenn Du mir einmal auch nur ein Paar Zeilen schriebest, und mich wieder mit Euch und Euern Umgebungen, die ich mir so lange nur immer in Baden denken kann, vertraut machtest. Du hast es versprochen, und weißt, wie es mich erfreuen würde. </p><p><persName xml:id="persName_b71a2f81-db63-481d-9a97-3a8c67a901f5">Adolph<name key="PSN0113800" style="hidden">Pereira-Arnstein, Adolf (Adolph) Freiherr von (1805-1846)</name></persName> war so freundlich mir zu schreiben, daß er Montag d. 11<hi rend="superscript">ten </hi>abreisen und den 16<hi rend="superscript">ten</hi> hier eintreffen wolle; hoffentlich sehe ich ihn also noch hier, denn ich habe mir vorgenommen bis zum 17<hi rend="superscript">ten</hi> Abends ihn zu erwarten. Dann gehe ich nach Bologna und über Florenz schnell nach Rom, wo ich den 24<hi rend="superscript">ten</hi> zu sein gedenke. – Nun bitte ich Dich noch, mir <persName xml:id="persName_65c491ca-e2c6-4a8a-8c56-c74cdf147848">Flora<name key="PSN0113802" style="hidden">Pereira-Arnstein, Florentina (Flora) Freiin von (1814-1882)</name></persName> tausendmal zu grüßen und mich der <persName xml:id="persName_c32967a9-1393-42e1-a3d2-09e7a27a5324">Frau v: Weyrother<name key="PSN0115746" style="hidden">Weyrother, Elise von</name></persName> aufs Angelegentlichste zu empfehlen; wenn sie mir die Erlaubniß zu schreiben im Ernst gegeben hat, so fasse ich mir ein Herz und thu es. – Es geht mir wieder, wie Abends spät bei Euch, ich kann kein Ende finden und bleibe zu lange. <seg type="closer" xml:id="seg_c2672c28-5770-470b-aae8-33e784e15c39">Auf Wiedersehen denn.</seg></p><signed rend="right">Dein</signed><signed rend="right">Felix MB.</signed></div></body> </text></TEI>