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fmb-1830-09-28-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin <lb></lb>Pressburg, 27. und 28. September 1830 Glockengeläut, Trommeln und Musik, Wagen an Wagen, hin und herlaufende Menschen, überall buntes Gewühl – so sieht es eben um mich herum jetzt aus, denn morgen ist die Krönung des Königs, auf die seit gestern Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 2, 348

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Großbritannien Oxford GB-Ob Oxford, Bodleian Library Music Section M.D.M. d. 13, fol. 9-10. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy in Berlin; Pressburg, 27. und 28. September 1830 Glockengeläut, Trommeln und Musik, Wagen an Wagen, hin und herlaufende Menschen, überall buntes Gewühl – so sieht es eben um mich herum jetzt aus, denn morgen ist die Krönung des Königs, auf die seit gestern

4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel, Vermerk von fremder Hand auf der Adressenseite: »Arnstein & Eskeles«.

Paul Mendelssohn Bartholdy

Green Books

Mendelssohn, Reisebriefe, S. 21-25. Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 37-41.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

27. und 28. September 1830 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Pressburg Ungarn Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874) Berlin Deutschland deutsch
Herrn Herrn Paul Mendelssohn Bartholdy Wohlgeboren. Berlin (Leipziger Straße no. 3.)
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Presburg 27 Sept 30Herr Bruder!

Glockengeläut, Trommeln und Musik, Wagen an Wagen, hin und herlaufende Menschen, überall buntes Gewühl – so sieht es eben um mich herum jetzt aus, denn morgen ist die Krönung des KönigsÖsterreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875), auf die seit gestern die ganze Stadt wartet, und den Himmel um Heiterkeit und Aufklärung seinerseits bittet, da die große Ceremonie, die gestern sein sollte, des anhaltenden furchtbaren Regens wegen hat verschoben werden müssen. Nun ist es seit heut Nachmittag blau und schön, der Mond scheint ruhig auf die tobende Stadt und morgen mit dem frühesten leistet der KronprinzÖsterreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875) seinen Eid (als König von Ungarn) auf dem großen Marktplatz, dann geht er mit dem ganzen Zug von Bischöfen und Großen des Reichs in die Kirche, und reitet dann endlich auf den Königsberg, der hier vor meinem Fenster liegt um da am Ufer der Donau mit seinem Schwert in die vier Weltgegenden hin zu hauen, und so Besitz von dem neuen Königthum zu nehmen. Ich habe durch diese kleine Reise ein ganzes Land mehr kennen gelernt, denn Ungarn mit seinen Magnaten, seinen Obergespann, dem orientalischen Luxus und der Barbarey daneben ist hier zu sehen, und die Straßen bieten einen Anblick der mir ganz unerwartet und neu ist. Man findet sich wirklich dem Orient hier näher: Die fürchterlich stupiden Bauern oder Sklaven, die Zigeuner mit ihren Haufen, die mit Gold und Edelsteinen überladnen Bedienten und Wagen der Großen (denn sie selbst sieht man nur höchstens durch die heraufgezognen Wagenfenster) dann der sonderbar kecke Nationalzug, die gelbe Farbe, die langen Schnurrbärte, die fremde weiche Sprache – alles das macht den buntesten Eindruck von der Welt. Gestern früh durchzog ich allein die Straßen, da ritt erst eine lange Reihe lustigen Militairs auf ihren lebhaften kleinen Pferden, hinterdrein kam ein Zigeunertrupp und musicirte, dazwischen Wiener Elegants mit Brillen und Handschuhen im Gespräch mit einem Capuzinermönch, dann ein Paar von jenen kleinen barbarischen Bauern in langen weißen Röcken, den Hut tief im Gesicht, die schwarzen glatten Haare rund herum gleich abgeschnitten, mit rothbrauner Haut, sehr trägem Gang, und einem unbeschreiblichen Ausdruck von Gleichgültigkeit und wilder Stupidität, dann ein Paar scharfe feine Alumnen der Theologie in ihren langen blauen Röcken Arm in Arm gehend; Ungarische Besitzer in der schwarzblauen Nationaltracht, Hofbediente, ankommende über und über schmutzige Reisewagen, ich folgte der Menge wie sie sich langsam bergan bewegte, und kam so endlich auf das verfallne Schloß, von wo aus man die ganze Stadt und die Donau weithin übersieht; überall von den alten weißen Mauern und oben von den Thürmen und Balcons sahen Menschen herunter, in jeder Ecke standen Jungen und schmierten ihre Namen den Wänden für die Nachwelt an, in einem kleinen Gemache (vielleicht war es sonst eine Kapelle oder irgend ein Schlafzimmer) wurde jetzt ein ganzer Ochs gebraten, und drehte sich am Spies und das Volk jauchzte dazu, eine große Reihe Kanonen steht vor dem Schloß um bei der Krönung gehörig loszudonnern, unten in der Donau die hier ganz toll wüthet und pfeilschnell durch die Schiffbrücke stürzt, lag das neue Dampfboot, das mit Fremden beladen eben angekommen war, dazu die Aussicht weit ins ebne buschige Land hinein, auf die Wiesen, die von der Donau überschwemmt sind, auf die von Menschen wimmelnden Dämme und Straßen, auf die Berge, die mit Ungarischem Wein von oben bis unten bepflanzt sind – das Alles ist fern und fremd genug. Und dazu der hübsche Gegensatz mit den freundlichsten liebsten Leuten zusammenzuwohnen, ihnen während des unsanften Wetters recht sanft Cour zu machen, und mit ihnen das Neue doppelt überraschend zu finden – es waren wirklich wieder von den Glückstagen, lieber Herr Bruder, die der gütige Himmel mir gar so oft und so reich schenkt. Denn daß ich mit CatharinePereira-Arnstein, Katharina Theresia Freifrau von (1806-1843) und Flora PereiraPereira-Arnstein, Florentina (Flora) Freiin von (1814-1882) gern überall zusammen bin, weiß die ganze Welt; läßt sich also draußen auch noch der KönigÖsterreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875) von Ungarn für uns krönen, so sehe ichs mit vielem Behagen an, und freue mich meines Lebens.

Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

d. 28sten um 1. Der KönigÖsterreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875) wäre unter die Haube gebracht. Es ist himmlisch schön gewesen. Was soll ich Dir viel beschreiben? In einer Stunde fahren wir alle nach Wien zurück, und von da gehe ich so weiter. Unter meinem Fenster ist Mordlärm und die Bürgergarde läuft zusammen, aber nur um vivat zu schreien. Ich habe mich allein unter dem Volk drängen lassen, während unsre Damen von den Fenstern aus Alles sahen, und der Eindruck dieser unglaublich glänzenden Pracht ist mir unvergeßlich. Auf dem großen Platz der barmherzigen Brüder drängte sich das Volk, wie toll, denn dort mußte er den Eid leisten auf einer mit Tuch behangenen Tribüne, und das Tuch durfte mein Pöbel nachher abreißen, und sich darin kleiden, auch war in der Nähe ein Springbrunnen von rothem und weißen Ungarwein; die Grenadiere konnten die andringenden Leute nicht abhalten, ein unglücklicher Fiaker der einen Augenblick stillhielt, war im Moment mit Menschen bedeckt, die auf die Speichen der Räder, aufs Verdeck, auf den Bock sprangen, und ihn wie die Ameisen überdeckten, so daß der Kutscher, ohne ein Mörder zu werden, nicht weiter fahren durfte und ruhig Alles abwartete; als der Zug kam, den man mit entblößtem Kopf erwartet, konnte ich meinen Hut nur mit äußerster Mühe abnehmen und in die Höhe halten, da wußte aber ein alter Ungar hinter mir, dem das die Aussicht versperrte, gleich Rath, packte ohne Umstände zu, und quetschte in einem Griff den armen Huth so matsch, daß er kaum so groß wurde, wie eine Mütze; dann schrien sie, als ob sie am Spieß stäcken und rissen sich um das Tuch, kurz sie waren Pöbel; aber meine Ungarn! Die Kerle sehen aus, als ob sie zur Noblesse und zum Nichtsthun geboren, und darüber sehr melancholisch wären, und reiten wie die Teufel; als der Zug vom Hügel herunter ging kamen erst die gestickten Hofbedienten, die Trompeter und Pauker, die Herolde u. dgl. Gesinde, und dann sprengte auf einmal in furchtbaren Sätzen plein carrière ein toller Graf die Straße herunter, das Pferd ist mit Gold gezäumt, er selbst mit Diamanten echten Reiherfedern und Sammt Stickerey überdeckt (er hat nämlich seinen Prachtanzug noch nicht an, weil er recht wild reiten muß, Graf SandorSándor de Szlavnicza, Móric Graf (1805-1878) heißt der Wütherich) der hat einen elfenbeinernen Scepter in der Hand, und sticht sein Pferd damit, dann bäumt sichs jedesmal und macht einen gewaltigen Satz; hat der nun ausgetobt so kommt ein Zug von etwa 60 andern Magnaten; alle mit derselben phantastischen Pracht, alle mit den schönen farbigen Turbans, den lustigen Schnurrbärten, und den dunkeln Augen; der eine reitet einen Schimmel den er mit einem goldnen Netze behängt hat, der andre einen Grauen, mit Diamanten auf allen Zügeln, ein andrer einen Rappen mit purpurnen Zeuge, einer trägt himmelblau von Kopf bis zu den Füßen überall mit Gold dick gestickt und einen weißen Turban, und weißen langen Dolman, ein andrer ganz in Goldstoff mit purpurnem Dolman, so ist einer immer bunter, reicher, als der andre, und alle reiten so keck, ungenirt, und fanfaronmäßig daher, daß es eine Lust ist; und nun erst die Ungarische Garde, den EsterhazyEsterházy von Galántha, Nikolaus (Miklós) II. Fürst (1765-1833) an der Spitze, der blendend von Brillanten und Perlenstickerey ist; wie ist es zu erzählen? Man muß den Glanz gesehen haben, wie der Zug sich auf dem breiten Platze ausdehnte und stillstand, und wie alle die Edelsteine, und die bunten Farben, und die hohen goldnen Bischofsmützen, und die Crucifixe im hellsten Sonnenschein blitzten, wie tausend Sterne – zu beschreiben ist es nicht.

Nun denn, morgen soll es, so Gott will weiter gehen; da hast Du einen Brief Herr Bruder, schreib auch einmal bald an mich, und laß viel wissen wie Dir das Leben geht; Ihr habt ja in Berlin auch einen Aufstand und zwar von Schneidergesellen gehabt, was ist es denn damit? Und sind die Stocks gefallen deshalb? Bitte sage an DevrientDevrient, Philipp Eduard (1801-1877) daß ich ein Flegel sey; weil ich noch immer nicht auf seinen lieben Brief geantwortet hätte und ihm noch nicht für die Zeichnung<name key="PSN0110637" style="hidden" type="author">Devrient, Philipp Eduard (1801-1877)</name><name key="CRT0108541" style="hidden" type="art">Garten der Devrients (Zeichnung 1830)</name>, die gar zu hübsch ist, gedankt, daß ich schon seit 14 Tagen immer an ihn schriebe und morgen den Brief aus Wien abschicken will, so wie eine Antwort an L. HeydemannHeydemann, Ludwig Eduard (Louis) (1805-1874), wegen des Flügels, des Einbrod’sEinbrodt (Einbrod), Paul Peter Petrowitsch (Petrovič) (1802-1840) u. v. a.

Euch aber liebe ElternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835), und Euch GeschwisternMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847) sage ich nun noch einmal Lebewohl aus Deutschland, ich habe viel frohe Tage noch zuletzt erlebt mit allen Verwandten, und daß ich ein Vorurtheil gegen sie habe, kann mir niemand vorwerfen; jetzt soll es von Ungarn nach Italien gehen, von da schreibe ich mehr und ruhiger. Sey froh, lieber Paul, und gehe frisch vorwärts; freue Dich an allem Frohen und denk an Deinen Bruder, der sich in der Welt herumtreibt. Lebwohl Dein

Felix MB.
            Presburg 27 Sept 30Herr Bruder!
Glockengeläut, Trommeln und Musik, Wagen an Wagen, hin und herlaufende Menschen, überall buntes Gewühl – so sieht es eben um mich herum jetzt aus, denn morgen ist die Krönung des Königs, auf die seit gestern die ganze Stadt wartet, und den Himmel um Heiterkeit und Aufklärung seinerseits bittet, da die große Ceremonie, die gestern sein sollte, des anhaltenden furchtbaren Regens wegen hat verschoben werden müssen. Nun ist es seit heut Nachmittag blau und schön, der Mond scheint ruhig auf die tobende Stadt und morgen mit dem frühesten leistet der Kronprinz seinen Eid (als König von Ungarn) auf dem großen Marktplatz, dann geht er mit dem ganzen Zug von Bischöfen und Großen des Reichs in die Kirche, und reitet dann endlich auf den Königsberg, der hier vor meinem Fenster liegt um da am Ufer der Donau mit seinem Schwert in die vier Weltgegenden hin zu hauen, und so Besitz von dem neuen Königthum zu nehmen. Ich habe durch diese kleine Reise ein ganzes Land mehr kennen gelernt, denn Ungarn mit seinen Magnaten, seinen Obergespann, dem orientalischen Luxus und der Barbarey daneben ist hier zu sehen, und die Straßen bieten einen Anblick der mir ganz unerwartet und neu ist. Man findet sich wirklich dem Orient hier näher: Die fürchterlich stupiden Bauern oder Sklaven, die Zigeuner mit ihren Haufen, die mit Gold und Edelsteinen überladnen Bedienten und Wagen der Großen (denn sie selbst sieht man nur höchstens durch die heraufgezognen Wagenfenster) dann der sonderbar kecke Nationalzug, die gelbe Farbe, die langen Schnurrbärte, die fremde weiche Sprache – alles das macht den buntesten Eindruck von der Welt. Gestern früh durchzog ich allein die Straßen, da ritt erst eine lange Reihe lustigen Militairs auf ihren lebhaften kleinen Pferden, hinterdrein kam ein Zigeunertrupp und musicirte, dazwischen Wiener Elegants mit Brillen und Handschuhen im Gespräch mit einem Capuzinermönch, dann ein Paar von jenen kleinen barbarischen Bauern in langen weißen Röcken, den Hut tief im Gesicht, die schwarzen glatten Haare rund herum gleich abgeschnitten, mit rothbrauner Haut, sehr trägem Gang, und einem unbeschreiblichen Ausdruck von Gleichgültigkeit und wilder Stupidität, dann ein Paar scharfe feine Alumnen der Theologie in ihren langen blauen Röcken Arm in Arm gehend; Ungarische Besitzer in der schwarzblauen Nationaltracht, Hofbediente, ankommende über und über schmutzige Reisewagen, ich folgte der Menge wie sie sich langsam bergan bewegte, und kam so endlich auf das verfallne Schloß, von wo aus man die ganze Stadt und die Donau weithin übersieht; überall von den alten weißen Mauern und oben von den Thürmen und Balcons sahen Menschen herunter, in jeder Ecke standen Jungen und schmierten ihre Namen den Wänden für die Nachwelt an, in einem kleinen Gemache (vielleicht war es sonst eine Kapelle oder irgend ein Schlafzimmer) wurde jetzt ein ganzer Ochs gebraten, und drehte sich am Spies und das Volk jauchzte dazu, eine große Reihe Kanonen steht vor dem Schloß um bei der Krönung gehörig loszudonnern, unten in der Donau die hier ganz toll wüthet und pfeilschnell durch die Schiffbrücke stürzt, lag das neue Dampfboot, das mit Fremden beladen eben angekommen war, dazu die Aussicht weit ins ebne buschige Land hinein, auf die Wiesen, die von der Donau überschwemmt sind, auf die von Menschen wimmelnden Dämme und Straßen, auf die Berge, die mit Ungarischem Wein von oben bis unten bepflanzt sind – das Alles ist fern und fremd genug. Und dazu der hübsche Gegensatz mit den freundlichsten liebsten Leuten zusammenzuwohnen, ihnen während des unsanften Wetters recht sanft Cour zu machen, und mit ihnen das Neue doppelt überraschend zu finden – es waren wirklich wieder von den Glückstagen, lieber Herr Bruder, die der gütige Himmel mir gar so oft und so reich schenkt. Denn daß ich mit Catharine und Flora Pereira gern überall zusammen bin, weiß die ganze Welt; läßt sich also draußen auch noch der König von Ungarn für uns krönen, so sehe ichs mit vielem Behagen an, und freue mich meines Lebens.
d. 28sten um 1. Der König wäre unter die Haube gebracht. Es ist himmlisch schön gewesen. Was soll ich Dir viel beschreiben? In einer Stunde fahren wir alle nach Wien zurück, und von da gehe ich so weiter. Unter meinem Fenster ist Mordlärm und die Bürgergarde läuft zusammen, aber nur um vivat zu schreien. Ich habe mich allein unter dem Volk drängen lassen, während unsre Damen von den Fenstern aus Alles sahen, und der Eindruck dieser unglaublich glänzenden Pracht ist mir unvergeßlich. Auf dem großen Platz der barmherzigen Brüder drängte sich das Volk, wie toll, denn dort mußte er den Eid leisten auf einer mit Tuch behangenen Tribüne, und das Tuch durfte mein Pöbel nachher abreißen, und sich darin kleiden, auch war in der Nähe ein Springbrunnen von rothem und weißen Ungarwein; die Grenadiere konnten die andringenden Leute nicht abhalten, ein unglücklicher Fiaker der einen Augenblick stillhielt, war im Moment mit Menschen bedeckt, die auf die Speichen der Räder, aufs Verdeck, auf den Bock sprangen, und ihn wie die Ameisen überdeckten, so daß der Kutscher, ohne ein Mörder zu werden, nicht weiter fahren durfte und ruhig Alles abwartete; als der Zug kam, den man mit entblößtem Kopf erwartet, konnte ich meinen Hut nur mit äußerster Mühe abnehmen und in die Höhe halten, da wußte aber ein alter Ungar hinter mir, dem das die Aussicht versperrte, gleich Rath, packte ohne Umstände zu, und quetschte in einem Griff den armen Huth so matsch, daß er kaum so groß wurde, wie eine Mütze; dann schrien sie, als ob sie am Spieß stäcken und rissen sich um das Tuch, kurz sie waren Pöbel; aber meine Ungarn! Die Kerle sehen aus, als ob sie zur Noblesse und zum Nichtsthun geboren, und darüber sehr melancholisch wären, und reiten wie die Teufel; als der Zug vom Hügel herunter ging kamen erst die gestickten Hofbedienten, die Trompeter und Pauker, die Herolde u. dgl. Gesinde, und dann sprengte auf einmal in furchtbaren Sätzen plein carrière ein toller Graf die Straße herunter, das Pferd ist mit Gold gezäumt, er selbst mit Diamanten echten Reiherfedern und Sammt Stickerey überdeckt (er hat nämlich seinen Prachtanzug noch nicht an, weil er recht wild reiten muß, Graf Sandor heißt der Wütherich) der hat einen elfenbeinernen Scepter in der Hand, und sticht sein Pferd damit, dann bäumt sichs jedesmal und macht einen gewaltigen Satz; hat der nun ausgetobt so kommt ein Zug von etwa 60 andern Magnaten; alle mit derselben phantastischen Pracht, alle mit den schönen farbigen Turbans, den lustigen Schnurrbärten, und den dunkeln Augen; der eine reitet einen Schimmel den er mit einem goldnen Netze behängt hat, der andre einen Grauen, mit Diamanten auf allen Zügeln, ein andrer einen Rappen mit purpurnen Zeuge, einer trägt himmelblau von Kopf bis zu den Füßen überall mit Gold dick gestickt und einen weißen Turban, und weißen langen Dolman, ein andrer ganz in Goldstoff mit purpurnem Dolman, so ist einer immer bunter, reicher, als der andre, und alle reiten so keck, ungenirt, und fanfaronmäßig daher, daß es eine Lust ist; und nun erst die Ungarische Garde, den Esterhazy an der Spitze, der blendend von Brillanten und Perlenstickerey ist; wie ist es zu erzählen? Man muß den Glanz gesehen haben, wie der Zug sich auf dem breiten Platze ausdehnte und stillstand, und wie alle die Edelsteine, und die bunten Farben, und die hohen goldnen Bischofsmützen, und die Crucifixe im hellsten Sonnenschein blitzten, wie tausend Sterne – zu beschreiben ist es nicht.
Nun denn, morgen soll es, so Gott will weiter gehen; da hast Du einen Brief Herr Bruder, schreib auch einmal bald an mich, und laß viel wissen wie Dir das Leben geht; Ihr habt ja in Berlin auch einen Aufstand und zwar von Schneidergesellen gehabt, was ist es denn damit? Und sind die Stocks gefallen deshalb? Bitte sage an Devrient daß ich ein Flegel sey; weil ich noch immer nicht auf seinen lieben Brief geantwortet hätte und ihm noch nicht für die Zeichnung, die gar zu hübsch ist, gedankt, daß ich schon seit 14 Tagen immer an ihn schriebe und morgen den Brief aus Wien abschicken will, so wie eine Antwort an L. Heydemann, wegen des Flügels, des Einbrod’s u. v. a.
Euch aber liebe Eltern, und Euch Geschwistern sage ich nun noch einmal Lebewohl aus Deutschland, ich habe viel frohe Tage noch zuletzt erlebt mit allen Verwandten, und daß ich ein Vorurtheil gegen sie habe, kann mir niemand vorwerfen; jetzt soll es von Ungarn nach Italien gehen, von da schreibe ich mehr und ruhiger. Sey froh, lieber Paul, und gehe frisch vorwärts; freue Dich an allem Frohen und denk an Deinen Bruder, der sich in der Welt herumtreibt. Lebwohl Dein
Felix MB.          
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S.; Adresse, 1 Poststempel, Vermerk von fremder Hand auf der Adressenseite: »Arnstein &amp; Eskeles«.</p> <handDesc hands="1"> <p>Paul Mendelssohn Bartholdy </p> </handDesc> <accMat> <listBibl> <bibl type="none"></bibl> </listBibl></accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>Green Books</p> </provenance> </history> <additional> <listBibl> <bibl type="printed_letter">Mendelssohn, Reisebriefe, S. 21-25.</bibl> <bibl type="printed_letter">Sutermeister, Briefe einer Reise, S. 37-41.</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-09-27" xml:id="date_f43a875d-3017-4bf3-b71e-5702132e64da">27.</date> und <date cert="high" when="1830-09-28" xml:id="date_7ffe4c82-cae2-42b2-8fa7-d24fa4e85269">28. September 1830</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_cf7562b6-8d16-47c2-a877-cc159f5a1933">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_c87c23b5-3d20-4d5a-bdc7-d9230319660c"> <settlement key="STM0100650">Pressburg</settlement> <country>Ungarn</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113263" resp="receiver" xml:id="persName_07a9cca8-58d6-425c-9af8-5113cf8822fb">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Paul Hermann (1812-1874)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_1e98a010-93f6-4ac8-bf24-2c0ef663157a"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_1e067310-b82a-46ea-8012-a9c90392645f"> <head> <address> <addrLine>Herrn</addrLine> <addrLine>Herrn Paul Mendelssohn Bartholdy</addrLine> <addrLine>Wohlgeboren.</addrLine> <addrLine>Berlin</addrLine> <addrLine>(Leipziger Straße no. 3.)</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_f463db55-418a-4c1e-94b5-66ed08c8e67b"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Presburg <date cert="high" when="1830-09-27" xml:id="date_7759361f-e34e-435f-b1a7-6964dee62bdb">27 Sept 30</date></dateline><salute rend="left">Herr Bruder!</salute><p style="paragraph_without_indent">Glockengeläut, Trommeln und Musik, Wagen an Wagen, hin und herlaufende Menschen, überall buntes Gewühl – so sieht es eben um mich herum jetzt aus, denn morgen ist die Krönung des <persName xml:id="persName_a45dc50c-e427-4aac-a6c1-81e60e2525dd">Königs<name key="PSN0113696" style="hidden">Österreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875)</name></persName>, auf die seit gestern die ganze Stadt wartet, und den Himmel um Heiterkeit und Aufklärung seinerseits bittet, da die große Ceremonie, die gestern sein sollte, des anhaltenden furchtbaren Regens wegen hat verschoben werden müssen. Nun ist es seit heut Nachmittag blau und schön, der Mond scheint ruhig auf die tobende Stadt und morgen mit dem frühesten leistet der <persName xml:id="persName_952a5a12-6c54-406b-8f4c-36e6b90c074c">Kronprinz<name key="PSN0113696" style="hidden">Österreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875)</name></persName> seinen Eid (als König von Ungarn) auf dem großen Marktplatz, dann geht er mit dem ganzen Zug von Bischöfen und Großen des Reichs in die Kirche, und reitet dann endlich auf den Königsberg, der hier vor meinem Fenster liegt um da am Ufer der Donau mit seinem Schwert in die vier Weltgegenden hin zu hauen, und so Besitz von dem neuen Königthum zu nehmen. Ich habe durch diese kleine Reise ein ganzes Land mehr kennen gelernt, denn Ungarn mit seinen Magnaten, seinen Obergespann, dem orientalischen Luxus und der Barbarey daneben ist hier zu sehen, und die Straßen bieten einen Anblick der mir ganz unerwartet und neu ist. Man findet sich wirklich dem Orient hier näher: Die fürchterlich stupiden Bauern oder Sklaven, die Zigeuner mit ihren Haufen, die mit Gold und Edelsteinen überladnen Bedienten und Wagen der Großen (denn sie selbst sieht man nur höchstens durch die heraufgezognen Wagenfenster) dann der sonderbar kecke Nationalzug, die gelbe Farbe, die langen Schnurrbärte, die fremde weiche Sprache – alles das macht den buntesten Eindruck von der Welt. Gestern früh durchzog ich allein die Straßen, da ritt erst eine lange Reihe lustigen Militairs auf ihren lebhaften kleinen Pferden, hinterdrein kam ein Zigeunertrupp und musicirte, dazwischen Wiener Elegants mit Brillen und Handschuhen im Gespräch mit einem Capuzinermönch, dann ein Paar von jenen kleinen barbarischen Bauern in langen weißen Röcken, den Hut tief im Gesicht, die schwarzen glatten Haare rund herum gleich abgeschnitten, mit rothbrauner Haut, sehr trägem Gang, und einem unbeschreiblichen Ausdruck von Gleichgültigkeit und wilder Stupidität, dann ein Paar scharfe feine Alumnen der Theologie in ihren langen blauen Röcken Arm in Arm gehend; Ungarische Besitzer in der schwarzblauen Nationaltracht, Hofbediente, ankommende über und über schmutzige Reisewagen, ich folgte der Menge wie sie sich langsam bergan bewegte, und kam so endlich auf das verfallne Schloß, von wo aus man die ganze Stadt und die Donau weithin übersieht; überall von den alten weißen Mauern und oben von den Thürmen und Balcons sahen Menschen herunter, in jeder Ecke standen Jungen und schmierten ihre Namen den Wänden für die Nachwelt an, in einem kleinen Gemache (vielleicht war es sonst eine Kapelle oder irgend ein Schlafzimmer) wurde jetzt ein ganzer Ochs gebraten, und drehte sich am Spies und das Volk jauchzte dazu, eine große Reihe Kanonen steht vor dem Schloß um bei der Krönung gehörig loszudonnern, unten in der Donau die hier ganz toll wüthet und pfeilschnell durch die Schiffbrücke stürzt, lag das neue Dampfboot, das mit Fremden beladen eben angekommen war, dazu die Aussicht weit ins ebne buschige Land hinein, auf die Wiesen, die von der Donau überschwemmt sind, auf die von Menschen wimmelnden Dämme und Straßen, auf die Berge, die mit Ungarischem Wein von oben bis unten bepflanzt sind – das Alles ist fern und fremd genug. Und dazu der hübsche Gegensatz mit den freundlichsten liebsten Leuten zusammenzuwohnen, ihnen während des unsanften Wetters recht sanft Cour zu machen, und mit ihnen das Neue doppelt überraschend zu finden – es waren wirklich wieder von den Glückstagen, lieber Herr Bruder, die der gütige Himmel mir gar so oft und so reich schenkt. Denn daß ich mit <persName xml:id="persName_e080d589-5805-444e-bb9f-714d12cd1639">Catharine<name key="PSN0113805" style="hidden">Pereira-Arnstein, Katharina Theresia Freifrau von (1806-1843)</name></persName> und <persName xml:id="persName_4781a59b-32a2-4256-8774-b741b0646474">Flora Pereira<name key="PSN0113802" style="hidden">Pereira-Arnstein, Florentina (Flora) Freiin von (1814-1882)</name></persName> gern überall zusammen bin, weiß die ganze Welt; läßt sich also draußen auch noch der <persName xml:id="persName_045e63d8-f6e2-4d1e-aa5f-e599deb701d7">König<name key="PSN0113696" style="hidden">Österreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875)</name></persName> von Ungarn für uns krönen, so sehe ichs mit vielem Behagen an, und freue mich meines Lebens.</p></div><div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_19cc4f4a-d4ac-489c-8c66-e0322abe0ac7"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><p><date cert="high" when="1830-09-28" xml:id="date_e751b734-4c4a-4a41-9253-ed34aa6a9d6c"><seg type="inline">d. 28</seg><hi rend="superscript">sten</hi><seg type="inline"> um 1.</seg></date> Der <persName xml:id="persName_6210cf0a-a882-455c-9d8b-45f08e3f410d">König<name key="PSN0113696" style="hidden">Österreich, Ferdinand Karl Leopold Joseph Franz Marcellin von (1793-1875)</name></persName> wäre unter die Haube gebracht. Es ist himmlisch schön gewesen. Was soll ich Dir viel beschreiben? In einer Stunde fahren wir alle nach Wien zurück, und von da gehe ich so weiter. Unter meinem Fenster ist Mordlärm und die Bürgergarde läuft zusammen, aber nur um vivat zu schreien. Ich habe mich allein unter dem Volk drängen lassen, während unsre Damen von den Fenstern aus Alles sahen, und der Eindruck dieser unglaublich glänzenden Pracht ist mir unvergeßlich. Auf dem großen Platz der barmherzigen Brüder drängte sich das Volk, wie toll, denn dort mußte er den Eid leisten auf einer mit Tuch behangenen Tribüne, und das Tuch durfte mein Pöbel nachher abreißen, und sich darin kleiden, auch war in der Nähe ein Springbrunnen von rothem und weißen Ungarwein; die Grenadiere konnten die andringenden Leute nicht abhalten, ein unglücklicher Fiaker der einen Augenblick stillhielt, war im Moment mit Menschen bedeckt, die auf die Speichen der Räder, aufs Verdeck, auf den Bock sprangen, und ihn wie die Ameisen überdeckten, so daß der Kutscher, ohne ein Mörder zu werden, nicht weiter fahren durfte und ruhig Alles abwartete; als der Zug kam, den man mit entblößtem Kopf erwartet, konnte ich meinen Hut nur mit äußerster Mühe abnehmen und in die Höhe halten, da wußte aber ein alter Ungar hinter mir, dem das die Aussicht versperrte, gleich Rath, packte ohne Umstände zu, und quetschte in einem Griff den armen Huth so matsch, daß er kaum so groß wurde, wie eine Mütze; dann schrien sie, als ob sie am Spieß stäcken und rissen sich um das Tuch, kurz sie waren Pöbel; aber meine Ungarn! Die Kerle sehen aus, als ob sie zur Noblesse und zum Nichtsthun geboren, und darüber sehr melancholisch wären, und reiten wie die Teufel; als der Zug vom Hügel herunter ging kamen erst die gestickten Hofbedienten, die Trompeter und Pauker, die Herolde u. dgl. Gesinde, und dann sprengte auf einmal in furchtbaren Sätzen plein carrière ein toller Graf die Straße herunter, das Pferd ist mit Gold gezäumt, er selbst mit Diamanten echten Reiherfedern und Sammt Stickerey überdeckt (er hat nämlich seinen Prachtanzug noch <hi rend="underline">nicht</hi> an, weil er recht wild reiten muß, <persName xml:id="persName_2ecdada2-131f-4877-9d82-488399ac8c5e">Graf Sandor<name key="PSN0114457" style="hidden">Sándor de Szlavnicza, Móric Graf (1805-1878)</name></persName> heißt der Wütherich) der hat einen elfenbeinernen Scepter in der Hand, und sticht sein Pferd damit, dann bäumt sichs jedesmal und macht einen gewaltigen Satz; hat der nun ausgetobt so kommt ein Zug von etwa 60 andern Magnaten; alle mit derselben phantastischen Pracht, alle mit den schönen farbigen Turbans, den lustigen Schnurrbärten, und den dunkeln Augen; der eine reitet einen Schimmel den er mit einem goldnen Netze behängt hat, der andre einen Grauen, mit Diamanten auf allen Zügeln, ein andrer einen Rappen mit purpurnen Zeuge, einer trägt himmelblau von Kopf bis zu den Füßen überall mit Gold dick gestickt und einen weißen Turban, und weißen langen Dolman, ein andrer ganz in Goldstoff mit purpurnem Dolman, so ist einer immer bunter, reicher, als der andre, und alle reiten so keck, ungenirt, und fanfaronmäßig daher, daß es eine Lust ist; und nun erst die Ungarische Garde, den <persName xml:id="persName_06794ebb-b83d-4ffe-b456-38ab85b04c3f">Esterhazy<name key="PSN0110959" style="hidden">Esterházy von Galántha, Nikolaus (Miklós) II. Fürst (1765-1833)</name></persName> an der Spitze, der blendend von Brillanten und Perlenstickerey ist; wie ist es zu erzählen? Man muß den Glanz gesehen haben, wie der Zug sich auf dem breiten Platze ausdehnte und stillstand, und wie alle die Edelsteine, und die bunten Farben, und die hohen goldnen Bischofsmützen, und die Crucifixe im hellsten Sonnenschein blitzten, wie tausend Sterne – zu beschreiben ist es nicht.</p><p>Nun denn, morgen soll es, so Gott will weiter gehen; da hast Du einen Brief Herr Bruder, schreib auch einmal bald an mich, und laß viel wissen wie Dir das Leben geht; Ihr habt ja in Berlin auch einen Aufstand und zwar von Schneidergesellen gehabt, was ist es denn damit? Und sind die Stocks gefallen deshalb? Bitte sage an <persName xml:id="persName_3162c431-760d-4392-aec2-dafcb755fa34">Devrient<name key="PSN0110637" style="hidden">Devrient, Philipp Eduard (1801-1877)</name></persName> daß ich ein Flegel sey; weil ich noch immer nicht auf seinen lieben Brief geantwortet hätte und ihm noch nicht für die <title xml:id="title_1f49165f-054a-4e0b-8451-967a7d050f78">Zeichnung<name key="PSN0110637" style="hidden" type="author">Devrient, Philipp Eduard (1801-1877)</name><name key="CRT0108541" style="hidden" type="art">Garten der Devrients (Zeichnung 1830)</name></title>, die gar zu hübsch ist, gedankt, daß ich schon seit 14 Tagen immer an ihn schriebe und morgen den Brief aus Wien abschicken will, so wie eine Antwort an <persName xml:id="persName_debc4e22-7711-4c32-a66d-ffaeb66697b6">L. Heydemann<name key="PSN0111961" style="hidden">Heydemann, Ludwig Eduard (Louis) (1805-1874)</name></persName>, wegen des Flügels, des <persName xml:id="persName_a457ed45-7b9f-4cef-8be8-d0dfbf7d45ef">Einbrod’s<name key="PSN0110873" style="hidden">Einbrodt (Einbrod), Paul Peter Petrowitsch (Petrovič) (1802-1840)</name></persName> u. v. a.</p><p>Euch aber liebe <persName xml:id="persName_fe7ff57f-1ec3-497c-97fd-1e32ca7f0521">Eltern<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name><name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName>, und Euch <persName xml:id="persName_96dd0695-d056-4cae-8b9b-a103e405772b">Geschwistern<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name><name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> sage ich nun noch einmal Lebewohl aus Deutschland, ich habe viel frohe Tage noch zuletzt erlebt mit allen Verwandten, und daß ich ein Vorurtheil gegen sie habe, kann mir niemand vorwerfen; jetzt soll es von Ungarn nach Italien gehen, von da schreibe ich mehr und ruhiger. <seg type="closer" xml:id="seg_78fffb0b-d8a4-4c74-a752-52100cb87010">Sey froh, lieber Paul, und gehe frisch vorwärts; freue Dich an allem Frohen und denk an Deinen Bruder, der sich in der Welt herumtreibt. Lebwohl Dein</seg></p><signed rend="right">Felix MB.</signed></div></body> </text></TEI>