fmb-1830-06-22-01
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München, 22. Juni 1830
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
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Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Zelter.
Es ist lange her, daß ich Ihnen schreiben wollte, um Ihnen wieder einmal zu danken; aber es geht mir mit den schriftlichen Danksagungen nicht gut, sie kommen mir immer so kalt und so förmlich vor, während das, was ich genossen und wofür ich mich erkenntlich zeigen möchte, so lebendig mir noch vor Augen steht. Als Sie mich vor 9 Jahren im
Oft habe ich des Vormittags dem
München d. 22. Juni 1830. Lieber Herr Professor! Es ist lange her, daß ich Ihnen schreiben wollte, um Ihnen wieder einmal zu danken; aber es geht mir mit den schriftlichen Danksagungen nicht gut, sie kommen mir immer so kalt und so förmlich vor, während das, was ich genossen und wofür ich mich erkenntlich zeigen möchte, so lebendig mir noch vor Augen steht. Als Sie mich vor 9 Jahren im Goetheschen Hause einführten, wußten Sie recht gut welch ein wichtiges Geschenk und welch ein Glück das für mich sey; ich konnte es aber nicht wissen und Ihnen nicht genug dankbar für ein Geschenk seyn, dessen Werth mir noch zu unbekannt war; jetzt aber, wo ich mich an Goethe und den Seinigen erquickt und erwärmt habe, wie noch nie, wo ich eine Reihe unvergeßlicher Tage da erlebt, wo mir jede Stunde Belehrung, Freude, Ehre von neuem gebracht hat, jetzt weiß ichs wohl zu schätzen und kann eben darum wieder nicht recht danken. Haben Sie es doch nicht des Danks wegen gethan; und so müssen Sie mir verzeihen, wenn ich davon rede, obwohl ich immer merke daß die Worte nicht so klingen wollen, wie ichs meine, und immer hinter dem rechten Sinn zurückbleiben. Nun, Sie werden es ja schon wissen, wie ichs fühle. Oft habe ich des Vormittags dem Goethe vorspielen müssen; er wollte einen Begriff davon haben, wie die Musik sich fortgebildet habe und verlangte deshalb von den verschiedenen Componisten, wie sie einander folgten, etwas zu hören. An den Beethoven wollte er nicht recht gern heran; ich konnte es ihm aber nicht ersparen, da er hören wollte, wo es jetzt „mit den Tönen sich hingewendet habe“ und spielte ihm das erste Stück der Cmoll Sinfonie, das ihm auch sehr gefiel. Über die Ouvertüre von Seb. Bach aus d dur mit den Trompeten, die ich ihm auf dem Clavier spielte, so gut ich konnte und wußte, hatte er eine große Freude; „im Anfange gehe es so pompös und vornehm zu, man sehe ordentlich die Reihe geputzter Leute die von einer großen Treppe herunterstiegen“ auch die Inventionen und vieles aus dem wohltemperirten Clavier habe ich ihm gespielt. Eines Mittags meinte er, ob ich nicht das Handwerk grüßen wolle, und zu dem Organisten Töpfer gehen, damit er mich die Orgel in der Stadtkirche sehen und hören ließe. Das that ich denn, und habe mich recht über das Instrument gefreut. Man sagte mir, daß auch Sie ein Gutachten über die Reparatur abgegeben hätten, und es ist damit besser geglückt, als mit irgend einer andern reparirten Orgel, die ich kenne. Obgleich wegen des länglich schmalen Raums, wo sie steht, die Pedalpfeife ganz hinten angebracht ist, klingt das volle Werk sehr stark und kräftig, der Ton zittert nicht im Geringsten, so daß also ganz genug Wind da sein muß, das Pedal ist in vollkommen gutem Verhältniß zum Manual, und auch an schönen sanften Stimmen verschiedner Art fehlt es nicht. Der Organist, nachdem er mir gesagt hatte, ich möge wählen, ob er mir was Gelehrtes oder was für die Leute vorspielen sollte; (denn für die Leute müsse man nur schlechte, leichte Sachen componiren) gab denn auf mein Bitten was Gelehrtes; es war aber nicht viel an dem Dinge: er modulirte hin und her bis man schwindlig wurde und es wollte nicht neu werden, er machte eine Menge Eintritte und es wollte keine Fuge werden. Als ich ihm was spielen sollte, ließ ich die d moll Toccata von Sebastian los, und meinte das sey gelehrt und zugleich auch für die Leute d. h. für gewisse; aber siehe kaum hatte ich angefangen, so schickte der Superintendent seinen Bedienten; und ließ sagen: man möchte gleich mit dem Orgelspiel aufhören, da es Wochentag sey und der Lärm ihn im Studiren störe. Über die Geschichte hat sich Goethe sehr erbaut. – Hier machen es die Musiker nun ganz, wie der Organist; sie meinen gute Musik sey allerdings eine Gottesgabe, aber nur so in abstracto, denn sobald sie etwas spielen, so ist es das dünnste, abgeschmackteste was sie nur finden können, und wenn das den Leuten dann wie natürlich nicht gefällt, so meinen sie, es läge nur daran, das es noch zu ernsthaft wäre. Selbst die besten Clavierspieler wußten hier kaum daß Mozart und Haydn auch für das Clavier geschrieben hätten; Beethoven kannten sie nur vom Hörensagen; Kalkbrenner, Field, Hummel nennen sie classische oder gelehrte Musik, und an der Tagesordnung sind Hünten, Herz, Chaulieu – Gott weiß, ob Sie sich der Namen dieser Herren nur entsinnen. Da habe ich denn nun mehreremal gespielt, und die Zuhörer so ungemein empfänglich und auffassend gefunden, daß ich mich doppelt darüber ärgerte: und neulich in einer soirée bei der Gräfinn Rechberg, die in diesen Frivolitäten den Ton angeben soll, brach ich aus. Die jungen Damen, die angemeßne Sachen recht hübsch hätten spielen können, zerbrachen sich die Finger an Herzschen Springer- und Seiltänzerkünsten und es wollte nichts verfangen; als ich denn nun aufgefordert wurde, so dachte ich: wenn ihr euch langweilt, ist’s eure Strafe, und spielte frisch die Sonate aus cis moll von Beethoven. Wie ich fertig bin, sehe ich, daß es den größten Effect gemacht hat: die Damen hatten geweint, die Herren disputirten über die Bedeutung, jetzt mußte ich den Clavierspielerinnen eine Menge Sonaten von Beethoven aufschreiben, die sie spielen sollten, am folgenden Morgen ließ die Gräfinn ihren Clavierlehrer kommen, und verlangte von ihm eine Ausgabe guter Musik, aber wirklich guter, von Mozart, Beethoven und Weber. Diese Geschichte ist . .. in München herumgekommen, und es macht den gutgesinnten Musikern . .. Spas, daß ich mich zum Prediger in der Wüsten aufgeworfen (ich hatte nämlich nachher noch der ersten Clavierspielerinn hier, einer Fräul. Schauroth, eine lange Rede gehalten, ihr vorgeworfen, daß sie nichts dazu beitrüge die großen Werke hier bekannt zu machen und daß sie den Leuten folge, statt ihren Geschmack zu leiten, und sie hatte Besserung gelobt) Seitdem spiele ich nur immer, was mir Vergnügen macht, und wenn es auch noch so ernsthaft sey und man hört mir mit Aufmerksamkeit zu. Es macht mir die größte Freude, hier viel Musik zu hören und zu machen, und wenn ich auch wenig zum Schreiben und Nachdenken komme, so regt doch dies lustige Leben Vieles an und macht frisch und heiter. Es liegt mir ein geistliches Stück im Kopfe; wenn ich dazu komme es aufzuschreiben so schicke ich es ihnen sogleich. Leben Sie wohl für heut, lieber Herr Professor nächstens ein Mehreres über die musikal: Bibliothek, die ich genau durchsehen werde, über das Theater, u. s. w. Die herzlichsten Grüße für die Ihrigen und die Wünsche für Ihr Wohl und Ihre Heiterkeit von Ihrem treuen Felix Mendelssohn Bartholdy.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-06-22" xml:id="date_62c53bed-c251-4084-ad43-d71ab9ce8c23">22. 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Haben Sie es doch nicht des Danks wegen gethan; und so müssen Sie mir verzeihen, wenn ich davon rede, obwohl ich immer merke daß die Worte nicht so klingen wollen, wie ichs meine, und immer hinter dem rechten Sinn zurückbleiben. Nun, Sie werden es ja schon wissen, wie ichs fühle.</p><p>Oft habe ich des Vormittags dem <persName xml:id="persName_2bd0156f-e6ae-4864-9190-f4617dccc896">Goethe<name key="PSN0111422" style="hidden">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name></persName> vorspielen müssen; er wollte einen Begriff davon haben, wie die Musik sich fortgebildet habe und verlangte deshalb von den verschiedenen Componisten, wie sie einander folgten, etwas zu hören. 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Als ich ihm was spielen sollte, ließ ich die <title xml:id="title_48408468-e0db-492a-acf3-15618a8ce030">d moll Toccata von Sebastian<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107907" style="hidden" type="music">Toccata d-Moll, BWV 565</name></title> los, und meinte das sey gelehrt und zugleich auch für die Leute d. h. für gewisse; aber siehe kaum hatte ich angefangen, so schickte der <persName xml:id="persName_3b6cb9c5-6de0-465b-8343-eaf26d95c361">Superintendent<name key="PSN0114266" style="hidden">Röhr, Johann Friedrich (1777-1848)</name></persName> seinen Bedienten; und ließ sagen: man möchte gleich mit dem Orgelspiel aufhören, da es Wochentag sey und der Lärm ihn im Studiren störe. 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Selbst die besten Clavierspieler wußten hier kaum daß <persName xml:id="persName_e12c4e9c-4b79-42ea-9290-7ebc115d63d9">Mozart<name key="PSN0113466" style="hidden">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name></persName> und <persName xml:id="persName_399e65a3-0519-4880-bbc2-ba7adee4ee20">Haydn<name key="PSN0111789" style="hidden">Haydn, Franz Joseph (1732-1809)</name></persName> auch für das Clavier geschrieben hätten; <persName xml:id="persName_465f2b14-f802-41cf-9e0b-77ffa40e7867">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> kannten sie nur vom Hörensagen; <persName xml:id="persName_ec0ac2da-b53d-4be2-bca4-ad5b95628be7">Kalkbrenner<name key="PSN0112301" style="hidden">Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm Michael (1785-1849)</name></persName>, <persName xml:id="persName_182f405f-26ba-40ef-bf4b-84179435e620">Field<name key="PSN0111042" style="hidden">Field, John (1782-1837)</name></persName>, <persName xml:id="persName_f8d0672f-b952-4bfc-9134-6cd98a907048">Hummel<name key="PSN0112147" style="hidden">Hummel, Johann Nepomuk (1778-1837)</name></persName> nennen sie classische oder gelehrte Musik, und an der Tagesordnung sind <persName xml:id="persName_a1aeb5d8-1f63-4d8b-a367-2a1006822828">Hünten<name key="PSN0112153" style="hidden">Hünten, Franz (François) (1792-1878)</name></persName>, <persName xml:id="persName_785a6c87-542a-401d-8a97-5303b3e19e04">Herz<name key="PSN0111939" style="hidden">Herz, Henri (Heinrich) (1803-1888)</name></persName>, <persName xml:id="persName_24184576-1297-417a-ad87-f26d0b91f7e5">Chaulieu<name key="PSN0110358" style="hidden">Chaulieu, Charles (1788-1849)</name></persName> – Gott weiß, ob Sie sich der Namen dieser Herren nur entsinnen. Da habe ich denn nun mehreremal gespielt, und die Zuhörer so ungemein empfänglich und auffassend gefunden, daß ich mich doppelt darüber ärgerte: und neulich in einer soirée bei der <persName xml:id="persName_a1122178-a98f-4092-b824-6fb0c11fa431">Gräfinn Rechberg<name key="PSN0114088" style="hidden">Rechberg-Rothenlöwen, Casimire Marie Luise Gräfin von (1787-1846)</name></persName>, die in diesen Frivolitäten den Ton angeben soll, brach ich aus. Die jungen Damen, die angemeßne Sachen recht hübsch hätten spielen können, zerbrachen sich die Finger an <persName xml:id="persName_143bf965-5a3f-45d0-9694-34016c502a98">Herzschen<name key="PSN0111939" style="hidden">Herz, Henri (Heinrich) (1803-1888)</name></persName> Springer- und Seiltänzerkünsten und es wollte nichts verfangen; als ich denn nun aufgefordert wurde, so dachte ich: wenn ihr euch langweilt, ist’s eure Strafe, und spielte frisch die <title xml:id="title_c5dfbe24-9fb4-4f58-aa59-00654856219c">Sonate aus cis moll<name key="PSN0109771" style="hidden" type="author">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name><name key="CRT0108023" style="hidden" type="music">Klaviersonate cis-Moll, op. 27/2 (»Mondschein«)</name></title> von Beethoven. Wie ich fertig bin, sehe ich, daß es den größten Effect gemacht hat: die Damen hatten geweint, die Herren disputirten über die Bedeutung, jetzt mußte ich den Clavierspielerinnen eine Menge Sonaten von <persName xml:id="persName_7951e912-79a6-472a-a5b3-88dd5682dd96">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> aufschreiben, die sie spielen sollten, am folgenden Morgen ließ die <persName xml:id="persName_1a63caf9-4de2-4e83-b681-9d92ccd84e0f">Gräfinn<name key="PSN0114088" style="hidden">Rechberg-Rothenlöwen, Casimire Marie Luise Gräfin von (1787-1846)</name></persName> ihren Clavierlehrer kommen, und verlangte von ihm eine Ausgabe guter Musik, aber wirklich guter, von <persName xml:id="persName_679a8b00-565e-43a0-8eda-2644ef6953f4">Mozart<name key="PSN0113466" style="hidden">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name></persName>, <persName xml:id="persName_ff935749-ec84-4990-9617-afa151254c52">Beethoven<name key="PSN0109771" style="hidden">Beethoven, Ludwig van (1770-1827)</name></persName> und <persName xml:id="persName_be4eef60-2154-4025-84bb-58af61a14fa0">Weber<name key="PSN0115645" style="hidden">Weber, Carl Maria Friedrich Ernst von (1786-1826)</name></persName>. Diese Geschichte ist [...] in München herumgekommen, und es macht den gutgesinnten Musikern [...] Spas, daß ich mich zum Prediger in der Wüsten aufgeworfen (ich hatte nämlich nach[her] noch der ersten Clavierspielerinn hier, einer <persName xml:id="persName_a34b1ed5-b69b-4183-a83f-2aecf84fb625">Fräul. Schauroth<name key="PSN0114515" style="hidden">Schauroth, Delphine (Adolphine) von (1814-1887)</name></persName>, eine lange Rede gehalten, ihr vorgeworfen, daß sie nichts dazu beitrüge die großen Werke hier bekannt zu machen und daß sie den Leuten folge, statt ihren Geschmack zu leiten, und sie hatte Besserung gelobt) Seitdem spiele ich nur immer, was mir Vergnügen macht, und wenn es auch noch so ernsthaft sey und man hört mir mit Aufmerksamkeit zu. Es macht mir die größte Freude, hier viel Musik zu hören und zu machen, und wenn ich auch wenig zum Schreiben und Nachdenken komme, so regt doch dies lustige Leben Vieles an und macht frisch und heiter. Es liegt mir ein <title xml:id="title_9e74ae2e-9cf9-49f7-bb55-36a70f0b3cba">geistliches Stück<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_yjp2ocbn-ekai-wdlf-evls-k2dr6lcxgc4n"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="sacred_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="sacred_vocal_works_with_smaller_instrumentation" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100129" style="hidden">Ave Maria (Offertorium) für Tenor solo, gemischten Chor a cappella bzw. mit Begleitung, 30. September 1830; 16. Oktober 1830<idno type="MWV">B 19</idno><idno type="op">23/2</idno></name></title> im Kopfe; wenn ich dazu komme es aufzuschreiben so schicke ich es ihnen sogleich. Leben Sie wohl für heut, lieber Herr Professor nächstens ein Mehreres über die <placeName xml:id="placeName_cece3b0c-33fe-4155-8176-0d3b653102f9">musikal: Bibliothek<name key="NST0100228" style="hidden" subtype="" type="institution">Königliche Hofbibliothek</name><settlement key="STM0100169" style="hidden" type="">München</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, die ich genau durchsehen werde, über das <placeName xml:id="placeName_3e7e0d39-67b6-4f68-9050-b9204117eaa3">Theater<name key="NST0100393" style="hidden" subtype="" type="institution">Königliches Hof- und Nationaltheater</name><settlement key="STM0100169" style="hidden" type="">München</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, u. s. w. <seg type="closer" xml:id="seg_5bac15dd-f296-44ae-aea0-58b8ca872ffe">Die herzlichsten Grüße für die Ihrigen und die Wünsche für Ihr Wohl und Ihre Heiterkeit von Ihrem treuen</seg></p><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed></div></body> </text></TEI>