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fmb-1830-06-16-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Johann Wolfgang von Goethe in Weimar<lb></lb>München, 16. Juni 1830 haben die Güte gehabt, mir zu erlauben von Zeit zu Zeit an Sie zu schreiben, um zu berichten, was mir Bedeutendes und Erfreuliches auf meinem Wege begegnen mag. Diese Erlaubniß macht mich nun so kühn, Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 1, 312

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Deutschland Weimar D-WRgs Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv - GSA 28/611 St. 3. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Johann Wolfgang von Goethe in Weimar; München, 16. Juni 1830 haben die Güte gehabt, mir zu erlauben von Zeit zu Zeit an Sie zu schreiben, um zu berichten, was mir Bedeutendes und Erfreuliches auf meinem Wege begegnen mag. Diese Erlaubniß macht mich nun so kühn,

3 beschr. S.

Felix Mendelssohn Bartholdy

-

autographes Konzept, GB-Ob, M.D.M. d. 28/66. Friedländer, Musikerbriefe, S. 82-85. Wolff, Meisterbriefe, S. 9-14.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

16. Juni 1830 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) München Deutschland Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832) Weimar Deutschland deutsch
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Ew. Excellenz

haben die Güte gehabt, mir zu erlauben von Zeit zu Zeit an Sie zu schreiben, um zu berichten, was mir Bedeutendes und Erfreuliches auf meinem Wege begegnen mag. Diese Erlaubniß macht mich nun so kühn, noch einmal schriftlich zu versuchen, was mir mündlich nicht möglich war, und was ich immer verschweigen mußte: ich möchte Ihnen meinen Dank sagen für die unvergeßlichen Tage, die Sie mir bei meinem Aufenthalt in Weimar geschenkt haben, und möchte aussprechen können, wie glücklich Sie mich gemacht haben. Freilich muß Ihnen solcher Dank gar zu gewohnt sein, und Sie werden es vielleicht unbescheiden finden, daß ich davon spreche; was man aber so lebhaft fühlt, möchte man doch gern in Worte zusammenfassen, und so entschuldigen Sie, was ich gesagt. Auch für die Empfehlungen, die Sie mir hieher mitgegeben haben, kann ich erst jetzt recht dankbar sein, da ich zu meiner Freude und Belehrung die Personen kennen gelernt habe, denen Sie mich dadurch zugeführt. Namentlich ist StielerStieler, Joseph Karl (1781-1858) von der höchsten Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit gegen mich; die Art, wie er mir von Ihnen und den Ihrigen sprach, die Wärme und Freude, die sich über sein ganzes Wesen verbreitete, je mehr er sich von der mit Ihnen verlebten Zeit zurückrief, nahmen mich gleich zuerst sehr für ihn ein, und seitdem habe ich ihn mit jedemmale lieber gewonnen. Er beschäftigt sich jetzt damit Ihren Fischer<name key="PSN0111422" style="hidden" type="author">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name><name key="CRT0108817" style="hidden" type="literature">Der Fischer</name> zu malen, und erzählte mir, das Bild<name key="PSN0115136" style="hidden" type="author">Stieler, Joseph Karl (1781-1858)</name><name key="CRT0110987" style="hidden" type="art">Der Fischer</name> entstehe halb aus Opposition gegen jenes<name key="PSN0112130" style="hidden" type="author">Hübner, Rudolph Julius Benno (1806-1882)</name><name key="CRT0109386" style="hidden" type="art">Der Fischerknabe und die Nixe</name>, welches auf der Berliner Ausstellung viel Aufsehen gemacht hat, und auf welchem der Gegenstand gar zu sehr in’s Sinnliche gezogen worden sey. So wahr dies ist, so weiß ich doch nicht, ob es ihm gelingen werde, das so zu vermeiden, wie er es wünscht; denn wenn das Gedicht nur von einem feuchten Weib redet, die so lieblich zu ihm singt und zu ihm spricht, so läßt er eine schöne nackte Nymphe aus den Wellen auftauchen, und der Fischer, den sie lockt, ist als ein zarter junger Knabe dargestellt. Dieser ist bisjetzt nur aufgezeichnet und auch die Nymphe nur angelegt, doch ist ihr Kopf schon jetzt sehr zierlich und reizend, so daß man sieht, daß das Bild gewiß viele Freude machen wird. Er will, sobald es beendigt ist, eine Zeichnung davon an Ew. Excellenz schicken, und sich Ihr Urtheil über seine Auffassung und sein Wiedergeben des Gedichtes<name key="PSN0111422" style="hidden" type="author">Goethe, Johann Wolfgang (seit 1782) von (1749-1832)</name><name key="CRT0108817" style="hidden" type="literature">Der Fischer</name> erbitten. Außerdem hat er wieder kürzlich ein Portrait<name key="PSN0115136" style="hidden" type="author">Stieler, Joseph Karl (1781-1858)</name><name key="CRT0110986" style="hidden" type="art">Amalie Freiin von Krüdener</name> für die Sammlung der schönen Frauen in des Königs Cabinet vollendet, und sucht fortwährend unter den Münchener Mädchen nach neuen Originalen. Er freut sich gar sehr mit diesem Auftrage und wirklich sehen ihn alle Damen mit besonders freundlichen Augen an, damit er als Paris ihnen den Schönheitspreis zuerkenne. Das läßt er sich dann wohl gern gefallen. – Des Herrn v: MartiusMartius, Karl Friedrich Philipp (seit 1820) von (1794-1868) Bekanntschaft entgeht mir leider, da er auf einige Zeit nach Gastein in’s Bad gereis’t ist, wohin ihm seine FrauMartius, Franziska (1805-1881) in diesen Tagen folgen wird.

Für die Musik ist hier ungemein viel Empfänglichkeit und sie wird vielfältig ausgeübt, doch will mir vorkommen, als mache fast Alles Eindruck, und als wirkten die Eindrücke nicht lange nach. Ganz merkwürdig ist der Unterschied zwischen einer Münchener und einer Berliner musikalischen Gesellschaft: ist in Berlin ein Musikstück geendigt, so sitzt die ganze Versammlung in tiefer Stille da, wie die Richter eines Tribunals, jeder nach einem Urtheile suchend, keiner ein Zeichen der Theilnahme oder seiner Meinung gebend, und der Spieler ist in der peinlichen Verlegenheit, nicht zu wissen ob, und in welchem Sinne er gehört worden sey. Freilich findet man dafür zuweilen, daß die Leute sich etwas dabey gedacht haben und daß sie es lange mit sich herumtragen und bewahren, wenn etwas sie ergreift. Hier hingegen giebt es nichts Lustigeres, als in Gesellschaft zu spielen; die Leute empfangen augenblicklich Eindrücke und müssen sie auch sogleich wieder aussprechen; sie fangen wohl gar mitten in einem Stück an zu klatschen oder Beifall zu rufen, und es ist nichts Seltenes, wenn man nach dem Spielen wieder aufsieht, daß man Keinen mehr an dem Platze findet, den er im Anfang eingenommen, weil sie zuweilen mitten drin auf die Finger sehn wollen und sich um’s Clavier stellen, oder irgend eine Bemerkung einem Andern mittheilen und sich deshalb neben ihn setzen u. s. f. Nur glaube ich ist zu fürchten, daß in ein Paar Tagen viel von der Lebhaftigkeit des Eindrucks verwischt ist. – Die Oper hier ist, wie man es in Deutschland sehr oft findet, mit den reichsten Mitteln ausgestattet und leistet dennoch nichts Vortreffliches damit, weil ein Geist fehlt, der über dem Ganzen schwebt und es leitet. Sie haben die SchechnerSchechner-Waagen, Nanette (Anna) (1806-1860), eine unsrer ausgezeichnetsten Sängerinnen; da man aber ihre Vorzüge bis in die Wolken erhebt und ihr ihre Mängel verschweigt, so gewöhnt sie sich nach und nach ans Manieriren. Übrigens scheint es zum guten Ton zu gehören, die Oper und überhaupt das Theater nach Kräften zu tadeln, und die Recensenten aufzumuntern, die sich durch Spotten und Kritteln ihr kümmerliches Eintagsleben zu gewinnen suchen; das entmuthigt nun die Schauspieler, sie spielen oder singen mit weniger Lust, die Erbitterung wächs’t gegenseitig, und so kommt’s daß wohl selten viel Freude da zu erwarten sein kann. Es sieht so müde und alltäglich auf dem Theater aus, statt frisch und lebendig und heiter zu sein. – Doch freue ich mich sehr der Zeit, die ich hier zubringe, und sie vergeht mir ungemein rasch, denn es lebt sich gar zu gemächlich und bequem mit den lustigen Südländern.

Ew. Excellenz muß ich nun wegen des langen Briefes um Verzeihung bitten; indeß haben Sie selbst mir erlaubt, Ihnen zu berichten wie die neue Stadt und die neuen Umgebungen mir erschienen, und so hoffe ich, daß Sie meine Ausführlichkeit entschuldigen werden.

Genehmigen Sie die Ehrfurcht mit der ich bin Ew. Excellenz ergebenster Felix Mendelssohn Bartholdy. München d. 16 Juny 1830.
            Ew. Excellenz
haben die Güte gehabt, mir zu erlauben von Zeit zu Zeit an Sie zu schreiben, um zu berichten, was mir Bedeutendes und Erfreuliches auf meinem Wege begegnen mag. Diese Erlaubniß macht mich nun so kühn, noch einmal schriftlich zu versuchen, was mir mündlich nicht möglich war, und was ich immer verschweigen mußte: ich möchte Ihnen meinen Dank sagen für die unvergeßlichen Tage, die Sie mir bei meinem Aufenthalt in Weimar geschenkt haben, und möchte aussprechen können, wie glücklich Sie mich gemacht haben. Freilich muß Ihnen solcher Dank gar zu gewohnt sein, und Sie werden es vielleicht unbescheiden finden, daß ich davon spreche; was man aber so lebhaft fühlt, möchte man doch gern in Worte zusammenfassen, und so entschuldigen Sie, was ich gesagt. Auch für die Empfehlungen, die Sie mir hieher mitgegeben haben, kann ich erst jetzt recht dankbar sein, da ich zu meiner Freude und Belehrung die Personen kennen gelernt habe, denen Sie mich dadurch zugeführt. Namentlich ist Stieler von der höchsten Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit gegen mich; die Art, wie er mir von Ihnen und den Ihrigen sprach, die Wärme und Freude, die sich über sein ganzes Wesen verbreitete, je mehr er sich von der mit Ihnen verlebten Zeit zurückrief, nahmen mich gleich zuerst sehr für ihn ein, und seitdem habe ich ihn mit jedemmale lieber gewonnen. Er beschäftigt sich jetzt damit Ihren Fischer zu malen, und erzählte mir, das Bild entstehe halb aus Opposition gegen jenes, welches auf der Berliner Ausstellung viel Aufsehen gemacht hat, und auf welchem der Gegenstand gar zu sehr in’s Sinnliche gezogen worden sey. So wahr dies ist, so weiß ich doch nicht, ob es ihm gelingen werde, das so zu vermeiden, wie er es wünscht; denn wenn das Gedicht nur von einem feuchten Weib redet, die so lieblich zu ihm singt und zu ihm spricht, so läßt er eine schöne nackte Nymphe aus den Wellen auftauchen, und der Fischer, den sie lockt, ist als ein zarter junger Knabe dargestellt. Dieser ist bisjetzt nur aufgezeichnet und auch die Nymphe nur angelegt, doch ist ihr Kopf schon jetzt sehr zierlich und reizend, so daß man sieht, daß das Bild gewiß viele Freude machen wird. Er will, sobald es beendigt ist, eine Zeichnung davon an Ew. Excellenz schicken, und sich Ihr Urtheil über seine Auffassung und sein Wiedergeben des Gedichtes erbitten. Außerdem hat er wieder kürzlich ein Portrait für die Sammlung der schönen Frauen in des Königs Cabinet vollendet, und sucht fortwährend unter den Münchener Mädchen nach neuen Originalen. Er freut sich gar sehr mit diesem Auftrage und wirklich sehen ihn alle Damen mit besonders freundlichen Augen an, damit er als Paris ihnen den Schönheitspreis zuerkenne. Das läßt er sich dann wohl gern gefallen. – Des Herrn v: Martius Bekanntschaft entgeht mir leider, da er auf einige Zeit nach Gastein in’s Bad gereis’t ist, wohin ihm seine Frau in diesen Tagen folgen wird.
Für die Musik ist hier ungemein viel Empfänglichkeit und sie wird vielfältig ausgeübt, doch will mir vorkommen, als mache fast Alles Eindruck, und als wirkten die Eindrücke nicht lange nach. Ganz merkwürdig ist der Unterschied zwischen einer Münchener und einer Berliner musikalischen Gesellschaft: ist in Berlin ein Musikstück geendigt, so sitzt die ganze Versammlung in tiefer Stille da, wie die Richter eines Tribunals, jeder nach einem Urtheile suchend, keiner ein Zeichen der Theilnahme oder seiner Meinung gebend, und der Spieler ist in der peinlichen Verlegenheit, nicht zu wissen ob, und in welchem Sinne er gehört worden sey. Freilich findet man dafür zuweilen, daß die Leute sich etwas dabey gedacht haben und daß sie es lange mit sich herumtragen und bewahren, wenn etwas sie ergreift. Hier hingegen giebt es nichts Lustigeres, als in Gesellschaft zu spielen; die Leute empfangen augenblicklich Eindrücke und müssen sie auch sogleich wieder aussprechen; sie fangen wohl gar mitten in einem Stück an zu klatschen oder Beifall zu rufen, und es ist nichts Seltenes, wenn man nach dem Spielen wieder aufsieht, daß man Keinen mehr an dem Platze findet, den er im Anfang eingenommen, weil sie zuweilen mitten drin auf die Finger sehn wollen und sich um’s Clavier stellen, oder irgend eine Bemerkung einem Andern mittheilen und sich deshalb neben ihn setzen u. s. f. Nur glaube ich ist zu fürchten, daß in ein Paar Tagen viel von der Lebhaftigkeit des Eindrucks verwischt ist. – Die Oper hier ist, wie man es in Deutschland sehr oft findet, mit den reichsten Mitteln ausgestattet und leistet dennoch nichts Vortreffliches damit, weil ein Geist fehlt, der über dem Ganzen schwebt und es leitet. Sie haben die Schechner, eine unsrer ausgezeichnetsten Sängerinnen; da man aber ihre Vorzüge bis in die Wolken erhebt und ihr ihre Mängel verschweigt, so gewöhnt sie sich nach und nach ans Manieriren. Übrigens scheint es zum guten Ton zu gehören, die Oper und überhaupt das Theater nach Kräften zu tadeln, und die Recensenten aufzumuntern, die sich durch Spotten und Kritteln ihr kümmerliches Eintagsleben zu gewinnen suchen; das entmuthigt nun die Schauspieler, sie spielen oder singen mit weniger Lust, die Erbitterung wächs’t gegenseitig, und so kommt’s daß wohl selten viel Freude da zu erwarten sein kann. Es sieht so müde und alltäglich auf dem Theater aus, statt frisch und lebendig und heiter zu sein. – Doch freue ich mich sehr der Zeit, die ich hier zubringe, und sie vergeht mir ungemein rasch, denn es lebt sich gar zu gemächlich und bequem mit den lustigen Südländern.
Ew. Excellenz muß ich nun wegen des langen Briefes um Verzeihung bitten; indeß haben Sie selbst mir erlaubt, Ihnen zu berichten wie die neue Stadt und die neuen Umgebungen mir erschienen, und so hoffe ich, daß Sie meine Ausführlichkeit entschuldigen werden.
Genehmigen Sie die Ehrfurcht mit der ich bin Ew. Excellenz
ergebenster
Felix Mendelssohn Bartholdy.
München d. 16 Juny 1830.          
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Das läßt er sich dann wohl gern gefallen. – Des <persName xml:id="persName_4a1a46ff-6d08-4ccb-baad-1e3c97c49c91">Herrn v: Martius<name key="PSN0113105" style="hidden">Martius, Karl Friedrich Philipp (seit 1820) von (1794-1868)</name></persName> Bekanntschaft entgeht mir leider, da er auf einige Zeit nach Gastein in’s Bad gereis’t ist, wohin ihm <persName xml:id="persName_ccdab7a4-b787-4124-afcf-4dd822cea248">seine Frau<name key="PSN0113104" style="hidden">Martius, Franziska (1805-1881)</name></persName> in diesen Tagen folgen wird.</p> <p>Für die Musik ist hier ungemein viel Empfänglichkeit und sie wird vielfältig ausgeübt, doch will mir vorkommen, als mache fast Alles Eindruck, und als wirkten die Eindrücke nicht lange nach. Ganz merkwürdig ist der Unterschied zwischen einer Münchener und einer Berliner musikalischen Gesellschaft: ist in Berlin ein Musikstück geendigt, so sitzt die ganze Versammlung in tiefer Stille da, wie die Richter eines Tribunals, jeder nach einem Urtheile suchend, keiner ein Zeichen der Theilnahme oder seiner Meinung gebend, und der Spieler ist in der peinlichen Verlegenheit, nicht zu wissen ob, und in welchem Sinne er gehört worden sey. Freilich findet man dafür zuweilen, daß die Leute sich etwas dabey gedacht haben und daß sie es lange mit sich herumtragen und bewahren, wenn etwas sie ergreift. Hier hingegen giebt es nichts Lustigeres, als in Gesellschaft zu spielen; die Leute empfangen augenblicklich Eindrücke und müssen sie auch sogleich wieder aussprechen; sie fangen wohl gar mitten in einem Stück an zu klatschen oder Beifall zu rufen, und es ist nichts Seltenes, wenn man nach dem Spielen wieder aufsieht, daß man Keinen mehr an dem Platze findet, den er im Anfang eingenommen, weil sie zuweilen mitten drin auf die Finger sehn wollen und sich um’s Clavier stellen, oder irgend eine Bemerkung einem Andern mittheilen und sich deshalb neben ihn setzen u. s. f. Nur glaube ich ist zu fürchten, daß in ein Paar Tagen viel von der Lebhaftigkeit des Eindrucks verwischt ist. – Die Oper hier ist, wie man es in Deutschland sehr oft findet, mit den reichsten Mitteln ausgestattet und leistet dennoch nichts Vortreffliches damit, weil ein Geist fehlt, der über dem Ganzen schwebt und es leitet. Sie haben die <persName xml:id="persName_64e10f92-086a-46d8-ad7c-44af113fd135">Schechner<name key="PSN0114518" style="hidden">Schechner-Waagen, Nanette (Anna) (1806-1860)</name></persName>, eine unsrer ausgezeichnetsten Sängerinnen; da man aber ihre Vorzüge bis in die Wolken erhebt und ihr ihre Mängel verschweigt, so gewöhnt sie sich nach und nach ans Manieriren. Übrigens scheint es zum guten Ton zu gehören, die Oper und überhaupt das Theater nach Kräften zu tadeln, und die Recensenten aufzumuntern, die sich durch Spotten und Kritteln ihr kümmerliches Eintagsleben zu gewinnen suchen; das entmuthigt nun die Schauspieler, sie spielen oder singen mit weniger Lust, die Erbitterung wächs’t gegenseitig, und so kommt’s daß wohl selten viel Freude da zu erwarten sein kann. Es sieht so müde und alltäglich auf dem Theater aus, statt frisch und lebendig und heiter zu sein. – Doch freue ich mich sehr der Zeit, die ich hier zubringe, und sie vergeht mir ungemein rasch, denn es lebt sich gar zu gemächlich und bequem mit den lustigen Südländern.</p> <p>Ew. Excellenz muß ich nun wegen des langen Briefes um Verzeihung bitten; indeß haben Sie selbst mir erlaubt, Ihnen zu berichten wie die neue Stadt und die neuen Umgebungen mir erschienen, <seg type="closer" xml:id="seg_f92e9a6c-88ff-494c-a030-4550f44f8a54">und so hoffe ich, daß Sie meine Ausführlichkeit entschuldigen werden.</seg></p> <closer rend="left" xml:id="closer_982afb9f-013b-4cab-ac18-1c2d2c021111">Genehmigen Sie die Ehrfurcht</closer> <closer rend="right" xml:id="closer_5b5b3ebb-8a5b-416a-92ee-bb9d698ab763">mit der ich bin</closer> <signed rend="right">Ew. Excellenz</signed> <signed rend="right">ergebenster</signed> <signed rend="left">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed> <dateline rend="left">München d. <date cert="high" when="1830-06-16" xml:id="date_8f42d15f-065e-448b-9a28-087bef057ec7">16 Juny 1830.</date></dateline> </div> </body> </text></TEI>