fmb-1830-06-11-01
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München, 11. Juni 1830
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Mendelssohn Bartholdy
o3.
Du glaubst nicht, wie mir zu Muthe wurde, als ich ein Paar Stunden nach dem Abgange meines vorigen Briefes zu
München d. 11 Juny 1830. Lieber Vater Du glaubst nicht, wie mir zu Muthe wurde, als ich ein Paar Stunden nach dem Abgange meines vorigen Briefes zu Kerstorf ging und da Deinen Brief vom 29 v. M. bekam; ich hatte mich eben beklagt, gar nichts von Dir zu hören, und Dich gebeten mir nur das Datum und einen Gruß dazu zu schreiben; da kamen Deine Zeilen gleich wie eine Antwort darauf, und was mir eben leid gethan hatte, dafür hattest Du nun schon vor einer Woche gesorgt; mir war ganz wunderlich, und ich möchte Dich nun so recht herzlich um Verzeihung bitten, daß ich mir das erst forderte, was Du mir schon längst gegeben hattest, und daß ich so lange schwieg, weil ich erst von München aus schreiben wollte, und fürchtete, Du würdest über die zugegebnen Tage in Weimar zürnen; vergieb mir das Alles, wie schon so Vieles, und glaube mir, daß ich selbst wohl immer am besten weiß wie und warum ich Unrecht hatte; wenn es denn nur nicht schon geschehen wäre. – Auch wollte ich Dir danken, daß Du von mir glaubst, ich hätte den ernsten Willen das auszubilden, was mir anvertraut sey; den hab’ ich ganz gewiß, und wenn mir auch zuweilen bang wird und ich nicht weiß wo der kürzeste und entscheidendste Weg sich finden mag, so soll es doch nicht an mir liegen, wenn ich nicht vorwärts gehe, und so lange mir wohl sein soll, so lange muß ich arbeiten um weiterzukommen. Nur daß Du im Anfange sagst, wie glücklich ich sey, und nachher meinst, es sey mit Dir in allen Stücken das Gegentheil, das hat mich sehr betrübt gemacht; und wenn Du mein Gefühl so lustig und unbesorgt in die Welt hinein zu fahren schön und glücklich nennst, wie muß dann das Deinige dabey sein, da Du Dir sagen mußt wie ich das Alles nur durch Dich erhalte; und wie Du es eben bist, der mir dies ganze Glück zu genießen giebt; ich hatte gedacht, das müsse Dich ganz vergnügt machen, wenn Du an meine Freude dächtest (denn das ich wohl weiß, wem ich sie zu danken habe hast Du doch nicht bezweifelt) und wenn ich dann so im Ganzen mir überlegte, wie Du eigentlich da ständest; und Alles um Dich herum durch Deine Thätigkeit glücklich sähest, und ein Leben unter den Deinigen führtest, wie sichs der Kühnste kaum wünschen könnte, und wie Du Dich trotz dessen so oft nicht zufrieden und wohl dabey fühltest – so schwebte mir es oft auf der Zunge, wenn Du mit mir sprachst, Dich darum zu fragen, und ich that es nicht, weil ich fürchtete, es möge Dir nicht passen; jetzt aber konnte ich mich’s nicht enthalten, denn Dein Anfang führte mir es gar zu sehr vor die Augen. Aber Du nimmst mir es doch nicht übel, und weißt doch, daß es wohl dumm klingen mag, was ich schreibe, aber nicht so gemeint ist? Du hast mir auch hier wieder eins der angenehmsten Häuser eröffnet durch Deinen Brief an Kerstorf; er sowohl als sein Bruder Pappenheimer (der Dich aufs Angelegentlichste grüßt und sich aller specialia unsres Hauses genau erinnert) haben mich mit herzlicher Freundlichkeit aufgenommen, wie ich denn überhaupt hier über alle meine Erwartung gut empfangen worden bin: Stieler wird mich auf den Gallerien in der Glyptothek und bey den Malern herumführen, Bärmann hat mir mein Quartier gesucht führt mich täglich zu neuen Musikern ein, geht mit mir spazieren, ins Theater, etc., Montgelas und Küster (Humboldts Briefe) laden mich zu diner’s und Abendgesellschaften ein, kurz ich werde die Wochen hier sehr angenehm und zu meinem großen Nutzen verleben. An Musik wirds wohl nicht fehlen, denn vorgestern Abend, wo bei Kerstorf große soirée war, habe ich meinen entrée in die musikal: Welt gemacht, und glaube nicht bisjetzt vor einem so empfänglichen Publikum gespielt zu haben. Die Leute waren seelencontent und die Damen benahmen sich höchst aimable, so daß ich oft mir heimlich wünschte, Du möchtest dabey gewesen sein, denn ich weiß Du hättest prächtig Dich über sie und mich moquirt und mich in einige Lesen gejagt, hättest Dich aber doch damit gefreut. Ich spielte erst Hummels Doppelsonate mit Delphine Schauroth, daran Du Dich noch aus Paris erinnern wirst, die aber jetzt auch 19 Jahr und wunderhübsch geworden ist und ihr Talent sehr ausgebildet hat, dann kam Mr. Vogt de Paris mit seiner Hoboe, die aber im Zimmer ein Bischen quekte, dann Gesang, dann hinkte mein Concertstück von Weber unvermeidlich herbey; das machte ihnen dann Spas und die Leute erkundigten sich stark nach meinem schwachen Gesundheitszustand, den ich natürlich interessant darstellte; dann kam wieder Gesang und entsetzliche Hitze, dann kam Abendessen; als das aber schon da war, vereinigten sich die Damen, mich um was von meiner Composition zu bitten; und da ich das wegen der schrecklichen Schwüle und weil ich sehr müde war abschlug, so wollte mir die Ministerinn Schenk mit einigen ihrer Freundinnen im vollen Ernst zu Füßen fallen, da entsetzte ich mich und spielte ein Adagio und Scherzo von mir, das ich aus einer alten Étude zugeschnitten habe für vorkommende Fälle. – Im Ganzen, muß ich Dir gestehen, will mir der Ton hier nicht recht zusagen, namentlich in einigen Häusern, wo mich Heinr. Beer (der mir übrigens einen ungeheuern Baumkuchen geschickt hat für den ich ihm auch morgen meinen Dankbrief schreibe) empfohlen hat. Es scheint fast überall eine gewisse oberflächliche Leichtfertigkeit Mode zu sein, die zwar im Augenblick ganz nett sein mag, einen aber hinterher doch sehr empört; es ist als ob sie gern Franzosen sein wollten, und es ginge nicht recht damit. Gestern bei einem diner bei Herrn Strasburger, wo auch der berühmte Oberst Heidegger aß und Possen machte, benahmen sich sämmtliche Männer, und zwar alte in Amt und Würden, so ungenirt – um nicht zu sagen gemein – daß mir es schon zuwider gewesen wäre bei einer bloßen Männergesellschaft, und daß es mir in Gegenwart der Damen unerträglich war, obwohl den Damen gar nicht. So sagte mir auch neulich bei der Musik kein Herr, wie es ihm gefallen habe, sondern alle, wie es die Damen entzücke, und wie ich ihnen ihre Eroberungen wegnähme, u. s. w. Ich mag das nicht, und es wird mir dann so unbehaglich; denn sie möchten denken, was sie wollen, aber immer fort davon zu sprechen und zu conversiren ist nicht hübsch. Indeß will ich nichts gesagt haben; denn es ist wohl mißlich nach 8 Tagen urtheilen zu wollen; vielleicht irre ich mich, und rufe alles zurück. – Mit dem Gelde ists bis jetzt nicht so gut gegangen, wie in England anfangs; da ich auf Schnellposten rechnete und nirgends welche fand außer von Nürnberg aus, so mußte ich die Reise meist mit Extrapost machen, und die 30 Louis Reisegeld, die Du mir gegeben hast, sind verbraucht. Ich habe mir hier von Kerstorf 20 L. geben lassen, und werde mit denen wohl noch einen ganzen Theil der Wiener Reise bestreiten können; ich wohne hübsch und billig, 11 fl. monatlich kostet mein Zimmer, und ich will nun ordentlich meine Ausgaben aufschreiben. À propos in Bamberg mußte ich mir Geld borgen, weil meines nur knapp ausreichte, ging zu dem mir unbekannten Hr. v. Welling und fand in ihm, einen alten Bekannten von Dir, der Dich tausendmal grüßen läßt, und mich durchaus in Bamberg ein Paar Tage halten wollte. Alle Deine Freunde hier sprechen immer und mit lebhaftestem Antheil von Dir und grüßen Dich herzlichst. – Vergiß, was ich versehen habe und bleibe freundlich Deinem Felix.
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1830-06-11" xml:id="date_43aa513b-6585-4e77-a526-548426169bc5">11. 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Nur daß Du im Anfange sagst, wie glücklich ich sey, und nachher meinst, es sey mit Dir in allen Stücken das Gegentheil, das hat mich sehr betrübt gemacht; und wenn Du mein Gefühl so lustig und unbesorgt in die Welt hinein zu fahren schön und glücklich nennst, wie muß dann das Deinige dabey sein, da Du Dir sagen mußt wie ich das Alles nur durch Dich erhalte; und wie Du es eben bist, der mir dies ganze Glück zu genießen giebt; ich hatte gedacht, das müsse Dich ganz vergnügt machen, wenn Du an meine Freude dächtest (denn das ich wohl weiß, wem ich sie zu danken habe hast Du doch nicht bezweifelt) und wenn ich dann so im Ganzen mir überlegte, wie Du eigentlich da ständest; und Alles um Dich herum durch Deine Thätigkeit glücklich sähest, und ein Leben unter den Deinigen führtest, wie sichs der Kühnste kaum wünschen könnte, und wie Du Dich trotz dessen so oft nicht zufrieden und wohl dabey fühltest – so schwebte mir es oft auf der Zunge, wenn Du mit mir sprachst, Dich darum zu fragen, und ich that es nicht, weil ich fürchtete, es möge Dir nicht passen; jetzt aber konnte ich mich’s nicht enthalten, denn Dein Anfang führte mir es gar zu sehr vor die Augen. 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Gestern bei einem diner bei <persName xml:id="persName_c295e752-30c0-4df8-8040-d8fd6c0456ad">Herrn Strasburger<name key="PSN0118778" style="hidden">Bellile (Bellisle), Adolph (?-1838)</name></persName>, wo auch der berühmte <persName xml:id="persName_91dcde75-5138-4cc0-9917-6f513197b059">Oberst Heidegger<name key="PSN0111808" style="hidden">Heideck (gen. Heidegger), Karl Wilhelm (seit 1844) Freiherr von (1788-1861)</name></persName> aß und Possen machte, benahmen sich sämmtliche Männer, und zwar alte in Amt und Würden, so ungenirt – um nicht zu sagen gemein – daß mir es schon zuwider gewesen wäre bei einer bloßen Männergesellschaft, und daß es mir in Gegenwart der Damen unerträglich war, obwohl den Damen gar nicht. So sagte mir auch neulich bei der Musik kein Herr, wie es ihm gefallen habe, sondern alle, wie es die Damen entzücke, und wie ich ihnen ihre Eroberungen wegnähme, u. s. w. Ich mag das nicht, und es wird mir dann so unbehaglich; denn sie möchten denken, was sie wollen, aber immer fort davon zu sprechen und zu conversiren ist nicht hübsch. Indeß will ich nichts gesagt haben; denn es ist wohl mißlich nach 8 Tagen urtheilen zu wollen; vielleicht irre ich mich, und rufe alles zurück. – Mit dem Gelde ists bis jetzt nicht so gut gegangen, wie in England anfangs; da ich auf Schnellposten rechnete und nirgends welche fand außer von Nürnberg aus, so mußte ich die Reise meist mit Extrapost machen, und die 30 Louis Reisegeld, die Du mir gegeben hast, sind verbraucht. Ich habe mir hier von <persName xml:id="persName_951f3a16-941d-4e00-9053-37e28ac2ea76">Kerstorf<name key="PSN0112360" style="hidden">Kerstorf, Heinrich Sigmund Friedrich (bis 1816 Heymann Salomon Pappenheimer) Edler von (1769-1832)</name></persName> 20 L. geben lassen, und werde mit denen wohl noch einen ganzen Theil der Wiener Reise bestreiten können; ich wohne hübsch und billig, 11 fl. monatlich kostet mein Zimmer, und ich will nun ordentlich meine Ausgaben aufschreiben. À propos in Bamberg mußte ich mir Geld borgen, weil meines nur knapp ausreichte, ging zu dem mir unbekannten <persName xml:id="persName_6c01ee79-01ec-4ad9-8de4-0ff378da8a94">Hr. v. Welling<name key="PSN0115694" style="hidden">Welling, Freiherr von</name></persName> und fand in ihm, einen alten Bekannten von Dir, der Dich tausendmal grüßen läßt, und mich durchaus in Bamberg ein Paar Tage halten wollte. Alle <seg type="closer" xml:id="seg_366ed908-0a76-43d9-945b-889c2236ee3a">Deine Freunde hier sprechen immer und mit lebhaftestem Antheil von Dir und grüßen Dich herzlichst. – Vergiß, was ich versehen habe und bleibe freundlich Deinem</seg></p><signed rend="right">Felix.</signed></div></body> </text></TEI>