fmb-1829-11-06-01
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London, 6. November 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse. – Mehrfache Textverluste durch Siegelabriss.
Felix Mendelssohn Bartholdy, Carl Klingemann
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Eben komme ich von der ersten Spazierfahrt zurück, die ich mit Klingemann gemacht; es ist nun einmal ein liebes Ding um Luft und Sonne. Sie haben mich müde und matt gemacht und doch fühle ich, wie ich erquickt bin, und mir ist gesünder, als je zu Muthe. Schon als ich die Treppe so recht langsam hinunterstieg und sich die Hausthüre wieder einmal vor mir aufthat, und die Wirthsleute aus ihren Zimmern traten und mir gratulirten, und der Fuhrmann mir seinen Arm zum Einsteigen bot: wurde mir weich und wohl; als es aber nun um die Ecke ging, und die Sonne mich so warm beschien und der Himmel mir den Gefallen that tiefblau zu sein, da fühlte ich die Gesundheit zum erstenmale in meinem Leben, denn ich hatte sie früher nie auf so lange Zeit entbehrt. Wir fuhren nach Waterloo Place, die ganze Regent Street und Portland Place hinunter, dann über die New Road nach Glocester Place, Portman Sqre in den Hyde Park und durch Picadilly nach Hause. London war unbeschreiblich schön; wie die rothen und braunen Schornsteine sich scharf vom dunkelblauen Himmel abschnitten und alle Farben so stechend glänzten (mich haben hier oft rothe oder gelbe Tücher geblendet und mir ordentlich weh gethan an den Augen) wie die bunten Läden schimmerten, und der blaue Duft aus jedem Querwege mir so dick entgegenquoll und allen Hintergrund einhüllte, und wie statt der grünen, beweglichen Blätter auf den Sträuchen die ich mir aus meinem gig heraus damals anguckte, nun rothe Ruthen steif dastanden und nur der Rasen noch grün war, und wie schön der Hügel in Piccadilly von dem Sonnenschein bestrahlt wurde, und wie lebendig mir alles vorkam – das gab einen seltsamen, aber sehr wohlthuenden Eindruck, und ich fühle die Kraft der wiederkehrenden Gesundheit. Zu Hause kommend fand ich einen freundlich lieben Brief vom alten te Woche, und fünfe davon habe ich fortwährend im Bett auf dem Rücken gelegen, und obwohl seit 3 Wochen sogar alle Bedenklichkeit verschwunden ist und obwohl ich seit 8 Tagen sichtlich fortschreite, so daß ich jetzt schon ohne Krücken gehe, ordentlich auf dem Stuhl sitze, mich fast ganz allein anziehen kann, und manches musikalische Zeug wieder in den Kopf bekomme: so geht es doch fortwährend noch sehr langsam und Schritt vor Schritt (in allen Sinnen), das Knie ist noch matt und steif, die Wunde immer noch nicht geschlossen, und ich fürchte daß noch 14 Tage hingehen mögen, ehe ich abreisen kann. Mehr aber hoffentlich auch nicht; dieser Brief soll, denke ich, der vorletzte sein. Auch werde ich mir keinen Wagen zu kaufen haben, sondern mit den Schnellposten, die alle Tage gehen, die Reise bis Cöln machen, in Brüssel, Achen, und wo ich sonst mag, mich ausruhen und die nächste Post (denn täglich gehn welche) erwarten, und so bequem nach Cöln kommen. Wie ichs von da aus einrichte, weiß ich noch nicht, doch hat es dann keine Schwierigkeit mehr, auch meint ten Woche bin ich in eine faule Apathie gerathen, die alle Gränzen übersteigt: ich könnte jetzt den ganzen Tag auf dem Sopha sitzen, und nichts thun, vor 1 2 ten Jahrhunderts:
tenauch beendigt:
Eilig – Posttag – Zeit – Kürze – Ewigkeit – Genesung – Frühling – Festzüge u s w. Sollten aus diesen und mehreren anderen Wörtern voller Sinn liebenswürdige einsichtigste Personen nicht etwas Zusammenhängendes zusammenzimmern können, das nachher den verlegenen Schreiber selber wieder erstaunt und perplex machte? Was schreibe ich denn überhaupt? Bin ich etwa genesen, gehend, fahrend, athmend durch Straßen und Plätze des neuen Babels nach langem Zuhauseseyn, weiß ich wie das thut? Kaum – und es ist doch die Hauptsache. Man mögte ein Staatsverbrechen begehen, um das zu erfahren – ein Barbar, ohne großes Gefühl, ist man so schon. Deswegen gehe ich unter die Doktoren nächstens, und arbeite an meiner Unsterblichkeit durch Anderer Sterblichkeit, – ich habe in den letzten Zeiten meine Vocation entdeckt, etwa eben so früh, wie jener fallende Oestreichische Officier seine Verwechselung von Sardellen und Kapern. Doch wozu das? Die Zeiten sind jetzt göttlich, ein auserlesener Deutscher componirt mit seinen Füßen ein AndanteTempo, und genießt dabei die Stubenfreuden als hätte er blos das Podagra – die Sehnsucht nach der Heimath fällt uns dazwischen wie ein Tropfen BalsamEssenz in Trinkwasser um es zu haben, Ungeduld, schädlich hemmende, ist seit Wochen abgeschafft, und Abends und Morgens und zu verschiedenen Tageszeiten divertiren sich andere auserlesene Deutsche hier, und formiren eine Gesellschaft, die verdiente auf die Nachwelt zu kommen, wär es auch nur in Stein. Dank dem Himmel, daß wir so weit sind! Und Entschuldigung uns, namentlich mir, wenn Sie aus unseren Krankenberichten weniger Moll vernommen haben, als wir vielleicht grade tractirten – die Wahrheit habe ich nie verhehlt, aber zuweilen die Stimmung, – und ich denke man darf sich in der, in solchen Dingen und Momenten, nicht gehen lassen, weil sie von Stunde zu Stunde wechselt und Sie 8 Tage später mit etwas geplagt worden wären, was wir längst vergessen und worüber wir glücklich hinaus. – O Verzeihung aber, jüngere und reich spendende Familienmitglieder, wenn ich unordentlich geworden bin und zerstreut, so daß ich undankbar scheine und Antworten aufschiebe, ja unterschlage, die nach allem Recht der Wiedervergeltung göttlich und frohlockend seyn müßten! Ich bin ja gleichsam verreißt und in vielem Sinne abwesend, hab darum aber gewiß Unrecht! Sitze ich aber mal wieder allein, und schließe ich wie eine Auster, meine Schalen gegen vielerlei Winter und Mangel an Sonnenschein recht dicht zusammen, so kann mirs innerlich werden und es kann Heimweh kommen und somit Spaß und ich werde unermeßlich antworten und schreiben, klagen, erzählen und lügen. Denn es ist heraus, daß einige Neuere das stark an sich haben. Soviel aber noch:
N. S. Eben hat Klingem. mir seine Nachschrift vorgelesen, und da er drin der Hochzeit von
Ich schweige, aber ich räche mich! –
Ernst Georg Carl Chr. Conr Kl.
London d. 6 Nov. 1829. Eben komme ich von der ersten Spazierfahrt zurück, die ich mit Klingemann gemacht; es ist nun einmal ein liebes Ding um Luft und Sonne. Sie haben mich müde und matt gemacht und doch fühle ich, wie ich erquickt bin, und mir ist gesünder, als je zu Muthe. Schon als ich die Treppe so recht langsam hinunterstieg und sich die Hausthüre wieder einmal vor mir aufthat, und die Wirthsleute aus ihren Zimmern traten und mir gratulirten, und der Fuhrmann mir seinen Arm zum Einsteigen bot: wurde mir weich und wohl; als es aber nun um die Ecke ging, und die Sonne mich so warm beschien und der Himmel mir den Gefallen that tiefblau zu sein, da fühlte ich die Gesundheit zum erstenmale in meinem Leben, denn ich hatte sie früher nie auf so lange Zeit entbehrt. Wir fuhren nach Waterloo Place, die ganze Regent Street und Portland Place hinunter, dann über die New Road nach Glocester Place, Portman Sqre in den Hyde Park und durch Picadilly nach Hause. London war unbeschreiblich schön; wie die rothen und braunen Schornsteine sich scharf vom dunkelblauen Himmel abschnitten und alle Farben so stechend glänzten (mich haben hier oft rothe oder gelbe Tücher geblendet und mir ordentlich weh gethan an den Augen) wie die bunten Läden schimmerten, und der blaue Duft aus jedem Querwege mir so dick entgegenquoll und allen Hintergrund einhüllte, und wie statt der grünen, beweglichen Blätter auf den Sträuchen die ich mir aus meinem gig heraus damals anguckte, nun rothe Ruthen steif dastanden und nur der Rasen noch grün war, und wie schön der Hügel in Piccadilly von dem Sonnenschein bestrahlt wurde, und wie lebendig mir alles vorkam – das gab einen seltsamen, aber sehr wohlthuenden Eindruck, und ich fühle die Kraft der wiederkehrenden Gesundheit. Zu Hause kommend fand ich einen freundlich lieben Brief vom alten Horsley, der mir mehrere seiner Compositionen zum Geschenk macht, um mir wie er sich ausdrückt, vielleicht eine langweilige Stunde auf meinem Sopha zu vertreiben. Ich nehme viel liebe Erinnerungen von der Stadt mit, und wenn ich auf der stage (oder vielmehr in derselben, denn ich bin ein gebranntes Kind) hinausfahren werde, so sehe ich wohl manchmal noch zurück, und denke an die Freude die ich hier gehabt. Denn es thut einem doch gar zu wohl, wenn die Leute freundlich sind und was auf einen halten, und es gereicht mir zum innigsten Vergnügen mit Aufrichtigkeit mir sagen zu können, daß sie es hier thun; mein Aufenthalt ist also nicht umsonst gewesen, und die Zeit wird mir immer lieb bleiben, wenn ich an sie zurückdenke. – Um so mehr thut es mir leid daß ich 2 ganze Monate aus solchem Jahr verlieren mußte, denn so lange wird es bald, es geht jetzt in die 8te Woche, und fünfe davon habe ich fortwährend im Bett auf dem Rücken gelegen, und obwohl seit 3 Wochen sogar alle Bedenklichkeit verschwunden ist und obwohl ich seit 8 Tagen sichtlich fortschreite, so daß ich jetzt schon ohne Krücken gehe, ordentlich auf dem Stuhl sitze, mich fast ganz allein anziehen kann, und manches musikalische Zeug wieder in den Kopf bekomme: so geht es doch fortwährend noch sehr langsam und Schritt vor Schritt (in allen Sinnen), das Knie ist noch matt und steif, die Wunde immer noch nicht geschlossen, und ich fürchte daß noch 14 Tage hingehen mögen, ehe ich abreisen kann. Mehr aber hoffentlich auch nicht; dieser Brief soll, denke ich, der vorletzte sein. Auch werde ich mir keinen Wagen zu kaufen haben, sondern mit den Schnellposten, die alle Tage gehen, die Reise bis Cöln machen, in Brüssel, Achen, und wo ich sonst mag, mich ausruhen und die nächste Post (denn täglich gehn welche) erwarten, und so bequem nach Cöln kommen. Wie ichs von da aus einrichte, weiß ich noch nicht, doch hat es dann keine Schwierigkeit mehr, auch meint Kind: ich könne bis dahin gewiß so viel Nächte durchreisen, als ich wolle, und Lawrence: ich könne die ganze Reise zu Fuß machen. In dem Brief vom 27 Oct. den ich erst heut über Hamb. empfing stichelt Fanny auf meine Ungeduld; das ist wieder fehlgeschossen, denn seit der 3ten Woche bin ich in eine faule Apathie gerathen, die alle Gränzen übersteigt: ich könnte jetzt den ganzen Tag auf dem Sopha sitzen, und nichts thun, vor 1 2 12 stehe ich selten auf, neulich saß ich eine halbe Stunde lang in der Dämmrung allein, sah ins Feuer und dachte an gar nichts, (ein Unternehmen bei dem ich sonst unfehlbar eingeschlafen wäre, hier blieb ich aber wach und bequem dabey) ; ich lese das ganze Ende des 18ten Jahrhunderts: Kotzebue, Iffland, Meißner, Engel etc. kurz wenn ich nur noch aus einer langen Pfeife rauchte, und eine Nachtmütze aufhätte so könnte man mich mit meinen Krücken im Hintergrunde recht gut für einen rüstigen alten Onkel halten, der das Zipperlein hat. Daß ich in meinen Briefen nach Hause wüthete, kam aus so vielen Gründen daß ich keinen davon anzuführen brauche; in den ersten aber nur daher, daß mir es sehr sauer wurde, immer selbst zu schreiben. – (Eben schickt Lady Mollar frische Dutch Heringe – Mr. Mendelssohns best thanks and compliments) Rosen hat an Vater schreiben wollen, ich habe ihn gebeten den Brief lieber „an Alle“ zu richten; der Adresse nach scheint er aber nicht gefolgt zu haben. Die Edinburger Freundlichkeit von Hogarth, der einen langen Brief an Klingemann geschrieben, um sich meinetwegen ausführlich zu erkundigen und Euch laut John Thompsons Berichten zu preisen, hat Rosen sehr gefallen und er wird Euch wohl auch davon gesprochen haben; es ist sehr nett und theilnehmend von den lieben Leuten. Die Professoren sind fast alle Abend hier; Rosen auch meist zum Frühstück; er ist ganz ausgelassen und wild; so hat er uns z. B. abgemerkt, daß wir seinen knock kennen und also ihn immer erwarten wenn er kommt; seitdem klopft er nun einmal wie ein Bedienter, dann wie das Milchweib, heut früh wie der Briefträger, und neulich ließ er sich gar als Graf Redern melden. Als er aber letzt im Ernst behauptete die Korinthen, die ich im Pudding äße, wären getrocknete Johannisbeeren: so wettete ich natürlich dagegen, und gewann ein diner, das in den nächsten Tagen ich hoffentlich bei ihm werde einnehmen können. – Ihr seht, wie Unbedeutendes ich Euch erzählen muß, aber es giebt nichts andres, daher entschuldigt auch wenn ich Dinstags nur wenig oder gar nicht schreibe. Ich erlebe nicht genug um 2 Briefe wöchentlich zu füllen, daß das Händelsche Manuscr. fertig copirt ist interessirt Euch wenig. Über das Concert, in dem ich als hinkender Bote erscheinen soll und meine Lieder ist noch nichts Näheres bestimmt, und nun ist der Posttag am 6ten auch beendigt: Einen frohen glücklichen Abend Euch Allen. F. Eilig – Posttag – Zeit – Kürze – Ewigkeit – Genesung – Frühling – Festzüge u s w. Sollten aus diesen und mehreren anderen Wörtern voller Sinn liebenswürdige einsichtigste Personen nicht etwas Zusammenhängendes zusammenzimmern können, das nachher den verlegenen Schreiber selber wieder erstaunt und perplex machte? Was schreibe ich denn überhaupt? Bin ich etwa genesen, gehend, fahrend, athmend durch Straßen und Plätze des neuen Babels nach langem Zuhauseseyn, weiß ich wie das thut? Kaum – und es ist doch die Hauptsache. Man mögte ein Staatsverbrechen begehen, um das zu erfahren – ein Barbar, ohne großes Gefühl, ist man so schon. Deswegen gehe ich unter die Doktoren nächstens, und arbeite an meiner Unsterblichkeit durch Anderer Sterblichkeit, – ich habe in den letzten Zeiten meine Vocation entdeckt, etwa eben so früh, wie jener fallende Oestreichische Officier seine Verwechselung von Sardellen und Kapern. Doch wozu das? Die Zeiten sind jetzt göttlich, ein auserlesener Deutscher componirt mit seinen Füßen ein AndanteTempo, und genießt dabei die Stubenfreuden als hätte er blos das Podagra – die Sehnsucht nach der Heimath fällt uns dazwischen wie ein Tropfen BalsamEssenz in Trinkwasser um es zu haben, Ungeduld, schädlich hemmende, ist seit Wochen abgeschafft, und Abends und Morgens und zu verschiedenen Tageszeiten divertiren sich andere auserlesene Deutsche hier, und formiren eine Gesellschaft, die verdiente auf die Nachwelt zu kommen, wär es auch nur in Stein. Dank dem Himmel, daß wir so weit sind! Und Entschuldigung uns, namentlich mir, wenn Sie aus unseren Krankenberichten weniger Moll vernommen haben, als wir vielleicht grade tractirten – die Wahrheit habe ich nie verhehlt, aber zuweilen die Stimmung, – und ich denke man darf sich in der, in solchen Dingen und Momenten, nicht gehen lassen, weil sie von Stunde zu Stunde wechselt und Sie 8 Tage später mit etwas geplagt worden wären, was wir längst vergessen und worüber wir glücklich hinaus. – O Verzeihung aber, jüngere und reich spendende Familienmitglieder, wenn ich unordentlich geworden bin und zerstreut, so daß ich undankbar scheine und Antworten aufschiebe, ja unterschlage, die nach allem Recht der Wiedervergeltung göttlich und frohlockend seyn müßten! Ich bin ja gleichsam verreißt und in vielem Sinne abwesend, hab darum aber gewiß Unrecht! Sitze ich aber mal wieder allein, und schließe ich wie eine Auster, meine Schalen gegen vielerlei Winter und Mangel an Sonnenschein recht dicht zusammen, so kann mirs innerlich werden und es kann Heimweh kommen und somit Spaß und ich werde unermeßlich antworten und schreiben, klagen, erzählen und lügen. Denn es ist heraus, daß einige Neuere das stark an sich haben. Soviel aber noch: London ist eine große Stadt, – am ersten Tage, wo ich jene Vermählung erfuhr, wunderte ich mich 12 mal todt und wieder lebendig – schlief darauf fest, – und sagte anderen Tages blos: how odd! Am dritten Tage kams mir ganz natürlich vor, und ich wunderte mich nicht mehr, daß die Stillen und Simpeln öfter Recht behalten, wie wir klugen Leute es glauben, denn die gütige Vorsehung gleichts gern aus. Aber der Stadt Berlin hab ichs Vergnügen gern gegönnt – gönne Sie (die Stadt) mir das, zu verbleiben Ihr stetiger CKl. N. S. Eben hat Klingem. mir seine Nachschrift vorgelesen, und da er drin der Hochzeit von Schlippenb. erwähnt, so hab ich ihm gleich danach eröffnet, was ich heut Morgen durch Euch erfuhr: die große Lüge. Er lächelt sich todt, und schwört blutige Rache; zum Glück ist die Schwester nicht in der Stadt; sonst hätts Unheil gegeben. Klingem. läßt sich vernehmen, wie folgt: Felix Mendelssohn Bartholdy Ich schweige, aber ich räche mich! – Ernst Georg Carl Chr. Conr Kl. Carl Klingemann
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London war unbeschreiblich schön; wie die rothen und braunen Schornsteine sich scharf vom dunkelblauen Himmel abschnitten und alle Farben so stechend glänzten (mich haben hier oft rothe oder gelbe Tücher geblendet und mir ordentlich weh gethan an den Augen) wie die bunten Läden schimmerten, und der blaue Duft aus jedem Querwege mir so dick entgegenquoll und allen Hintergrund einhüllte, und wie statt der grünen, beweglichen Blätter auf den Sträuchen die ich mir aus meinem gig heraus damals anguckte, nun rothe Ruthen steif dastanden und nur der Rasen noch grün war, und wie schön der Hügel in Piccadilly von dem Sonnenschein bestrahlt wurde, und wie lebendig mir alles vorkam – das gab einen seltsamen, aber sehr wohlthuenden Eindruck, und ich fühle die Kraft der wiederkehrenden Gesundheit. Zu Hause kommend fand ich einen freundlich lieben Brief vom alten <persName xml:id="persName_6a689c65-4896-4a39-b891-d0dfa53ae469">Horsley<name key="PSN0112109" style="hidden">Horsley, William (1774-1858)</name></persName>, der mir mehrere seiner Compositionen zum Geschenk macht, um mir wie er sich ausdrückt, vielleicht eine langweilige Stunde auf meinem Sopha zu vertreiben. Ich nehme viel liebe Erinnerungen von der Stadt mit, und wenn ich auf der stage (oder vielmehr in derselben, denn ich bin ein gebranntes Kind) hinausfahren werde, so sehe ich wohl manchmal noch zurück, und denke an die Freude die ich hier gehabt. Denn es thut einem doch gar zu wohl, wenn die Leute freundlich sind und was auf einen halten, und es gereicht mir zum innigsten Vergnügen mit Aufrichtigkeit mir sagen zu können, daß sie es hier thun; mein Aufenthalt ist also nicht umsonst gewesen, und die Zeit wird mir immer lieb bleiben, wenn ich an sie zurückdenke. – Um so mehr thut es mir leid daß ich 2 ganze Monate aus solchem Jahr verlieren mußte, denn so lange wird es bald, es geht jetzt in die 8<hi rend="superscript">te</hi> Woche, und fünfe davon habe ich fortwährend im Bett auf dem Rücken gelegen, und obwohl seit 3 Wochen sogar alle Bedenklichkeit verschwunden ist und obwohl ich seit 8 Tagen sichtlich fortschreite, so daß ich jetzt schon ohne Krücken gehe, ordentlich auf dem Stuhl sitze, mich fast ganz allein anziehen kann, und manches musikalische Zeug wieder in den Kopf bekomme: so geht es doch fortwährend noch sehr langsam und Schritt vor Schritt (in allen Sinnen), das Knie ist noch matt und steif, die Wunde immer noch nicht geschlossen, und ich fürchte daß noch 14 Tage hingehen mögen, ehe ich abreisen kann. Mehr aber hoffentlich auch nicht; dieser Brief soll, denke ich, der vorletzte sein. Auch werde ich mir keinen Wagen zu kaufen haben, sondern mit den Schnellposten, die alle Tage gehen, die Reise bis Cöln machen, in Brüssel, Achen, und wo ich sonst mag, mich ausruhen und die nächste Post (denn täglich gehn welche) erwarten, und so bequem nach Cöln kommen. Wie ichs von da aus einrichte, weiß ich noch nicht, doch hat es dann keine Schwierigkeit mehr, auch meint <persName xml:id="persName_2702e201-f326-417f-a348-7053969f4307">Kind<name key="PSN0112378" style="hidden">Kind, Carl Maximilian (1801-1831)</name></persName>: ich könne bis dahin gewiß so viel Nächte durchreisen, als ich wolle, und <persName xml:id="persName_d6b22415-1b71-41e2-b6df-a3f3d82d1f46">Lawrence<name key="PSN0112724" style="hidden">Lawrence, Sir William (seit 1867) 1st Baronet (1783-1867)</name></persName>: ich könne die ganze Reise zu Fuß machen. In dem Brief vom 27 Oct. den ich erst heut über Hamb. empfing stichelt <persName xml:id="persName_9245afcf-af1d-4f13-b76f-710c6e9c6ba1">Fanny<name key="PSN0111893" style="hidden">Hensel, Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> auf meine Ungeduld; das ist wieder fehlgeschossen, denn seit der 3<hi rend="superscript">ten</hi> Woche bin ich in eine faule Apathie gerathen, die alle Gränzen übersteigt: ich könnte jetzt den ganzen Tag auf dem Sopha sitzen, und nichts thun, vor <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">1</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">2</hi> </formula> 12 stehe ich selten auf, neulich saß ich eine halbe Stunde lang in der Dämmrung allein, sah ins Feuer und dachte an gar nichts, (ein Unternehmen bei dem ich sonst unfehlbar eingeschlafen wäre, hier blieb ich aber wach und bequem dabey); ich lese das ganze Ende des 18<hi rend="superscript">ten</hi> Jahrhunderts: <persName xml:id="persName_57f5edea-ee9b-4799-8511-298f9b0a93c5">Kotzebue<name key="PSN0112511" style="hidden">Kotzebue, August Friedrich Ferdinand (seit 1785) von (1761-1819)</name></persName>, <persName xml:id="persName_fe5e994f-5972-4d57-a5a2-3077700488fd">Iffland<name key="PSN0112166" style="hidden">Iffland, August Wilhelm (1759-1814)</name></persName>, <persName xml:id="persName_35b91909-1e54-40e7-970a-de1a1eca9211">Meißner<name key="PSN0113193" style="hidden">Meißner, August Gottlieb (1753-1807)</name></persName>, <persName xml:id="persName_6467f941-9e13-4c1c-920a-eee371daff9f">Engel<name key="PSN0110908" style="hidden">Engel, Johann Jakob (1741-1802)</name></persName> etc. kurz wenn ich nur noch aus einer langen Pfeife rauchte, und eine Nachtmütze aufhätte so könnte man mich mit meinen Krücken im Hintergrunde recht gut für einen rüstigen alten Onkel halten, der das Zipperlein hat. Daß ich in meinen Briefen nach Hause wüthete, kam aus so vielen Gründen daß ich keinen davon anzuführen brauche; in den ersten aber nur daher, daß mir es sehr sauer wurde, immer selbst zu schreiben. – (Eben schickt <persName xml:id="persName_99431f9d-2690-4e74-9865-586aa93d998e">Lady Mollar<name key="PSN0113384" style="hidden">Möller (Mollar), Lady</name></persName> frische Dutch Heringe – Mr. Mendelssohns best thanks and compliments) <persName xml:id="persName_b229a9be-fcce-4dee-b48c-5ce1c37f8d7b">Rosen<name key="PSN0114283" style="hidden">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name></persName> hat an Vater schreiben wollen, ich habe ihn gebeten den Brief lieber „an Alle“ zu richten; der Adresse nach scheint er aber nicht gefolgt zu haben. Die Edinburger Freundlichkeit von <persName xml:id="persName_a68a8ed8-62ca-4d1e-9105-b1a2c4e91ac3">Hogarth<name key="PSN0112048" style="hidden">Hogarth, George (1783-1870)</name></persName>, der einen langen B[rief] an Klingemann geschrieben, um sich meinetwegen ausführlich zu erkundige[n und Euc]h laut John <persName xml:id="persName_cd6ab000-7645-424e-a5de-b82385b31c23">Thompsons<name key="PSN0115318" style="hidden">Thomson, John (1805-1841)</name></persName> Berichten zu preisen, hat <persName xml:id="persName_e317b1c9-ae16-4a5d-b25f-f558853fc2af">Rosen<name key="PSN0114283" style="hidden">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name></persName> sehr gefallen und er wird Euch wohl auch davon gesprochen haben; es ist sehr nett und theilnehmend von den lieben Leuten. Die <persName xml:id="persName_a3b039b4-3bdc-4d52-b603-db486b506778">Professoren<name key="PSN0113471" style="hidden">Mühlenfels, Ludwig von (1793-1861)</name><name key="PSN0114283" style="hidden">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name></persName> sind fast alle Abend hier; <persName xml:id="persName_07e05266-3bb7-4793-ae0e-5ea23dfec024">Rosen<name key="PSN0114283" style="hidden">Rosen (bis 1817: Ballhorn), Friedrich August (1805-1837)</name></persName> auch meist zum Frühstück; er ist ganz ausgelassen und wild; so hat er uns z. B. abgemerkt, daß wir seinen knock kennen und also ihn immer erwarten wenn er kommt; seitdem klopft er nun einmal wie ein Bedienter, dann wie das Milchweib, heut früh wie der Briefträger, und neulich ließ er sich gar als <persName xml:id="persName_61c84ed9-de28-4c73-8380-e1c1f8faeea4">Graf Redern<name key="PSN0114097" style="hidden">Redern, Heinrich Alexander Graf von (1804-1888)</name></persName> melden. Als er aber letzt im Ernst behauptete die Korinthen, die ich im Pudding äße, wären getrocknete Johannisbeeren: so wettete ich natürlich dagegen, und gewann ein diner, das in den nächsten Tagen ich hoffentlich bei ihm werde einnehmen können. – Ihr seht, wie Unbedeutendes ich Euch erzählen muß, aber es giebt nichts andres, daher entschuldigt auch wenn ich Dinstags nur wenig oder gar nicht schreibe. Ich erlebe nicht genug um 2 Briefe wöchentlich zu füllen, daß <title xml:id="title_5ca27bba-227d-4579-b402-6da6931fb0f3">das Händelsche Manuscr.<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name><name key="CRT0108976" style="hidden" type="music">Dixit Dominus Domino meo HWV 232</name></title> fertig copirt ist interessirt Euch wenig. Über das Concert, in dem ich als hinkender Bote erscheinen soll und meine Lieder ist noch nichts Näheres bestimmt, und nun ist der Posttag am 6<hi rend="superscript">ten</hi> auch beendigt: <seg type="closer" xml:id="seg_3c543b7d-bef7-468e-b8ac-6ec003fcda5e">Einen frohen glücklichen Abend Euch Allen. </seg></p> <signed rend="right">F.</signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_7b131f23-f82c-4ee2-804b-1590c4bb3aae"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Eilig – Posttag – Zeit – Kürze – Ewigkeit – Genesung – Frühling – Festzüge u s w. Sollten aus diesen und mehreren anderen Wörtern voller Sinn liebenswürdige einsichtigste Personen nicht etwas Zusammenhängendes zusammenzimmern können, das nachher den verlegenen Schreiber selber wieder erstaunt und perplex machte? Was schreibe ich denn überhaupt? Bin ich etwa genesen, gehend, fahrend, athmend durch Straßen und Plätze des neuen Babels nach langem Zuhauseseyn, weiß ich wie das thut? Kaum – und es ist doch die Hauptsache. Man mögte ein Staatsverbrechen begehen, um das zu erfahren – ein Barbar, ohne großes Gefühl, ist man so schon. Deswegen gehe ich unter die Doktoren nächstens, und arbeite an meiner Unsterblichkeit durch Anderer Sterblichkeit, – ich habe in den letzten Zeiten meine Vocation entdeckt, etwa eben so früh, wie jener fallende Oestreichische Officier seine Verwechselung von Sardellen und Kapern. Doch wozu das? Die Zeiten sind jetzt göttlich, ein auserlesener Deutscher componirt mit seinen Füßen ein AndanteTempo, und genießt dabei die Stubenfreuden als hätte er blos das Podagra – die Sehnsucht nach der Heimath fällt uns dazwischen wie ein Tropfen BalsamEssenz in Trinkwasser um es zu haben, Ungeduld, schädlich hemmende, ist seit Wochen abgeschafft, und Abends und Morgens und zu verschiedenen Tageszeiten divertiren sich andere auserlesene Deutsche hier, und formiren eine Gesellschaft, die verdiente auf die Nachwelt zu kommen, wär es auch nur in Stein. Dank dem Himmel, daß wir so weit sind! Und Entschuldigung uns, namentlich mir, wenn Sie aus unseren Krankenberichten weniger Moll vernommen haben, als wir vielleicht grade tractirten – die Wahrheit habe ich nie verhehlt, aber zuweilen die Stimmung, – und ich denke man darf sich in der, in solchen Dingen und Momenten, nicht gehen lassen, weil sie von Stunde zu Stunde wechselt und Sie 8 Tage später mit etwas geplagt worden wären, was wir längst vergessen und worüber wir glücklich hinaus. – O Verzeihung aber, jüngere und reich spendende Familienmitglieder, wenn ich unordentlich geworden bin und zerstreut, so daß ich undankbar scheine und Antworten aufschiebe, ja unterschlage, die nach allem Recht der Wiedervergeltung göttlich und frohlockend seyn müßten! Ich bin ja gleichsam verreißt und in vielem Sinne abwesend, hab darum aber gewiß Unrecht! Sitze ich aber mal wieder allein, und schließe ich wie eine Auster, meine Schalen gegen vielerlei Winter und Mangel an Sonnenschein recht dicht zusammen, so kann mirs innerlich werden und es kann Heimweh kommen und somit Spaß und ich werde unermeßlich antworten und schreiben, klagen, erzählen und lügen. Denn es ist heraus, daß einige Neuere das stark an sich haben. Soviel aber noch: <placeName xml:id="placeName_21e40cb7-8d06-4b03-9dda-1ee58c211070">London<settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> ist eine große Stadt, – am ersten Tage, wo ich jene Vermählung erfuhr, wunderte ich mich 12 mal todt und wieder lebendig – schlief darauf fest, – und sagte anderen Tages blos: how odd! Am dritten Tage kams mir ganz natürlich vor, und ich wunderte mich nicht mehr, daß die Stillen und Simpeln öfter Recht behalten, wie wir klugen Leute es glauben, denn die gütige Vorsehung gleichts gern aus. Aber der Stadt Berlin hab ichs Vergnügen gern gegönnt – gönne Sie (die Stadt) mir das, zu verbleiben </p> <signed rend="right">Ihr stetiger</signed> <signed rend="right">CKl.</signed> </div> <div n="3" type="act_of_writing" xml:id="div_9835f196-96ac-4f14-aacb-ce1dbd42bc89"> <docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">N. S. Eben hat Klingem. mir seine Nachschrift vorgelesen, und da er drin der Hochzeit von <persName xml:id="persName_6deb0188-824a-477a-b1dc-813cdba37631">Schlippenb.<name key="PSN0114590" style="hidden">Schlippenbach, Albert Ernst Ludwig Karl Graf von (1800-1886)</name></persName> erwähnt, so hab ich ihm gleich danach eröffnet, was ich heut Morgen durch Euch erfuhr: die große Lüge. Er lächelt sich todt, und schwört blutige Rache; zum Glück ist die <persName xml:id="persName_8665df57-2542-4157-b689-7f01183bea64">Schwester<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> nicht in der Stadt; sonst hätts Unheil gegeben. Klingem. läßt sich vernehmen, wie folgt:</p> <signed rend="right"><add resp="UT" type="editors_addition">Felix Mendelssohn Bartholdy</add></signed> </div> <div n="4" type="act_of_writing" xml:id="div_95bd38d6-9ea6-486b-a69e-fb7310c82640"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <p style="paragraph_centered">Ich schweige, aber ich räche mich! –</p> <p style="paragraph_centered">Ernst Georg Carl Chr. Conr Kl.</p> <signed rend="right"><add resp="UT" type="editors_addition">Carl Klingemann</add></signed> </div> </body> </text></TEI>