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fmb-1829-11-03-02

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Johann Gustav Droysen in Berlin <lb></lb>London, 3. November 1829 Es ist schon lange her, daß ich Dir einen Brief mit Seestudien und Wasserbildern schicken wollte, und dann blieb er doch liegen, und dann kam Dein gar zu freundlicher Brief, den ich in Holywell an Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 1,

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Gustav Droysen, Johann Gustav Droysen und Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: Deutsche Rundschau 111 (1902), S. 124-126. - - - - - - Felix Mendelssohn Bartholdy an Johann Gustav Droysen in Berlin; London, 3. November 1829 Es ist schon lange her, daß ich Dir einen Brief mit Seestudien und Wasserbildern schicken wollte, und dann blieb er doch liegen, und dann kam Dein gar zu freundlicher Brief, den ich in Holywell an einem seltsamen Abend,

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Felix Mendelssohn Bartholdy

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Hübner, Johann Gustav Droysen 1829-1851, S. 10-12. Wehmer, Briefwechsel, S. 27-31.

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

3. November 1829 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) London Großbritannien Droysen, Johann Gustav Bernhard (Pseud.: Voß) (1808-1884) Berlin Deutschland deutsch
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Lieber Johann Gustav!

Es ist schon lange her, daß ich Dir einen Brief mit Seestudien und Wasserbildern schicken wollte, und dann blieb er doch liegen, und dann kam Dein gar zu freundlicher Brief, den ich in Holywell an einem seltsamen Abend, von dem viel zu erzählen wäre, erhielt; da wollte ich nun wieder antworten, wenn ich in London wäre, und nun kam ich dahin und hatte meinen accident, und das ist die Geschichte meines Stillschweigens. Du nimmst mir’s aber nicht übel, hoffe ich, und erlaubst mir, so ruhig fortzuplaudern mit Dir, was eben mir durch den Sinn fährt, denn als Genesender bin ich jetzt daran gewöhnt, zu thun, wie ich eben Lust habe, und von meinen Umgebungen darin Nachsicht zu erfahren. Denke ich nun daran, daß ich vielleicht schon in drei Wochen auf Deinem Sopha sitzen, sehr braunes Butterbrot bekommen und von den HebridenHebridenSchottland dazu erzählen kann, so wird mir froh ums Herz. Denn ich möchte nun fort von hier, es fängt an, entsetzlich nebelig und kalt zu werden, und obwohl es mit meinem Bein so gut als möglich geht, daß ich jetzt schon einige Schritte ohne Krücken machen darf, so ist’s doch nun fast sieben Wochen her, daß ich mich nicht frei bewegt, keine Luft gerochen, keinen Gedanken gedacht habe, und das quält mich, und die braunen Ziegelhäuser langweilen mich fast. Doch ist’s ein sonderbares Ding mit diesem London. Es ist da eine Brücke, von der ich Dir schreiben wollte, und doch möchte ich’s jetzt lieber erzählen; da ich aber noch nicht auf dem Sopha sitze, so ist da eine lange, grade, hohe Brücke, zu der Du gelangst, wenn Du das ganze Westende hinter Dir hast; in diesem Westende nun lebt Alles, was zu Kunst, Wissenschaft, feinem Ton, zum Adel und Hof u. s. w. gehört; das Alles lässest Du hinter Dir und trittst auf die Brücke, wie ich das oft und gerne thue, da liegt denn links die Häusermasse in allen Farben, Größen, Bauarten wie eine Volksversammlung, überall spitze Thürme oder hohe Kirchdächer heraus guckend, und in der Ferne steigt weiter über die nahen und nächsten Thurmspitzen die blaue Kuppel von St. PaulSt. Paul’s CathedralLondonGroßbritannien herauf; den TowerTowerLondonGroßbritannien und die große Säule, die ich bei meiner Ankunft im Nebel von fern, als London zuerst sah, siehst Du nun wieder im Nebel als das Letzte von London, und ganz vorn an der Brücke steht ein schwarzer Palast; auf dem anderen Ufer rechts siehst Du nichts als hohe, braune Schornsteine und Magazine; denn das ist das Fabrikviertel, und der Rauch liegt immer schwer über den schwarzen Häusern, die sich weit über die Hügel hin ausbreiten, in jedem Hause eine Dampfmaschine; wie drüben die Kirchthürme so gucken hier die Feueressen über die Häuser überall heraus, alle Farben sind nun lebhaft bunt, fast grell, wenn dicht bei Dir, und die braunen Fabriken, die weiße Brücke, der schwarze Palast stechen scharf ab; aber gleich in der kleinsten Entfernung wird Alles blau und duftig, St. PaulSt. Paul’s CathedralLondonGroßbritannien macht den Anfang, und der TowerTowerLondonGroßbritannien und die letzte Brücke verschwinden ganz im dicken Dunst. Der Fluß nun ist auch gelb dicht bei Dir und wird gleich darauf wunderschön himmelblau; die Hauptsache aber ist, daß Du überrascht sein mußt, so oft Du hinauf trittst, weil Du einmal wie auf einem Thurm so hoch stehst und das Wasser tief, tief unter Dir hast, und ein andermal wieder volles, hohes Wasser hoch an den Brückenpfeilern siehst; denn wir haben hier Ebbe und Fluth in der Stadt. Ist’s nun Ebbe, so gleiten tief unter Dir die einzelnen Kähne so langsam nach der Seeseite zu, und die ganze Fläche ist seltsam still und ruhig, so daß sich dann St. PaulSt. Paul’s CathedralLondonGroßbritannien mit seiner Häuserheerde wunderlich ausnimmt, und in der Fluth kommen die Dampfschiffe vom Hafen herauf und fahren ins Land hinein, und auf den Straßen gibt’s frische Seefische und große Hummer; ich sah es einmal bei Nacht in der Ebbe, als über dem rechten Ufer hinter einem himmelhohen Schornstein der volle Mond aufging. O Droysen! Das ist ganz sonderlich schön und ist nirgends in der Welt so schön, glaube ich. Und gehst Du nun hinunter, eine kleine Stunde die Themse entlang, so kommst Du erst an den Hafen und an die fürchterlichen Docks; aber die will ich Dir mündlich erzählen; überhaupt ist es dumm, sich mit Beschreibungen abzugeben, aber da ich von mir jetzt nichts zu sagen habe, so muß ich wohl von den Dingen um mich reden. Eben reicht mir KlingemannKlingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) ein Stück Löschpapier, an dem wir die Federn abwischen, herüber, daß ich es lesen soll, und ich übersetze Dir es gleich, denn es ist sehr prächtig und interessant: „Mr. CanningCanning, George (1770-1827) und der Herzog WellingtonWellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852). Folgendes sind Copien von Briefen, die zwischen Herrn CanningCanning, George (1770-1827) und dem HerzogWellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852) gewechselt wurden, ehe Seine Durchlaucht abdankten. – Mr. C. an den Herzog: Mein lieber Herzog! Ich bin von Sr. MajestätGroßbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830) befehligt, ein neues Ministerium zu bilden. Es wird mir zur großen Freude gereichen, wenn Ew. Durchlaucht einwilligen wollen, ein Mitglied desselben zu werden. Ich bin [griech. Zeichen für „&“]c. – Der Herzog an Mr. C.: Lieber Herr CanningCanning, George (1770-1827)! Ehe ich auf Ihren Brief antworte, wünsche ich zu wissen, wer an der Spitze des neuen Ministeriums stehen soll, und welche meiner früheren Collegen eine Stelle darin einnehmen werden? Ich bin [griech. Zeichen für „&“]c. – Mr. C. an den Herzog: Gnädigster Herzog! Da ich Ew. DurchlauchtWellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852) angezeigt habe, daß ich Sr. MajestätGroßbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830) Befehle zur Bildung eines neuen Ministeriums empfangen habe, so wundere ich mich, daß ich gefragt werden kann, wer an der Spitze desselben stehen soll? Ich bin der Mann. Ich verbleibe [griech. Zeichen für „&“]c. – Der Herzog an Mr. C.: Mein Herr! In Erwiderung Ihres Briefes habe ich nichts zu sagen, als daß ich nicht einwilligen kann, ein Mitglied des neuen Ministeriums zu werden. Ich verbleibe [griech. Zeichen für „&“]c.“ Darauf schickte unser heutiger PremierministerWellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852) in großem Zorn seine Entlassung ein, die er sogleich bekam. Wie gefällt Dir das und mein Herr CanningCanning, George (1770-1827)? Theil’s doch MarxMarx, Adolph Bernhard (1795-1866) mit, der wird sich freuen, und verzeih mir die Politik, aber wenn Du mich des Morgens in Pantoffeln am Camin sitzen sähest, mit der Frühstückstasse vor mir und die immense Zeitung begierig entfaltend, so würdest Du meinen John Bullismus anerkennen und entschuldigen. MarxMarx, Adolph Bernhard (1795-1866) hat mir heute vor acht Tagen einen lieben Brief geschrieben und ein ganz herrliches Lied mit geschickt. Es ist mir ungemein erfreulich, daß Ihr beide was zusammen schafft, denn ich kann die Zeit kaum erwarten, wo M.Marx, Adolph Bernhard (1795-1866) mit seinen großen Sachen vortritt und all’ die Hunde und Katzen zu Schanden macht, die ihn jetzt anbellen und anmautzen und ihn in die Waden beißen und ihm das Vorwärtsgehen gern verhindern oder doch erschweren möchten, und ich denke, Du wirst nun tüchtig diese Zeit herbei fördern helfen und uns einen „Kaiser Otto“ und so fort (sagt HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831)) bringen, der seines Gleichen sucht. Wäre es nur erst so weit! Denn empörend ist’s, wie das Gesindel sich benimmt gegen den einzigen Musiker, den sie unter sich haben, und je deutlicher und ruhiger ich weiß, was er für ein Musiker ist, je mehr möchte ich, daß es ein Jeder auch so erkennte – nicht wegen Bestätigung, nur wegen äußerlichen Plaisirs und Bequemlichkeit. Nun, es wird ja kommen. Und warten habe ich überhaupt jetzt sehr gelernt. Habe seit der ganzen Zeit keines meiner großen Stücke componiren können, und auch jetzt geht es nicht, obwohl ich viel Muße habe; doch der Geist kann wahrhaftig nicht fliegen, wenn das Bein hinkt; bei dem ersten Aufenthalt ging’s äußerlich zu toll und bunt, und in Schottland auf der wüsten, rothen Haide und auf den HebridenHebridenSchottland, da hatte ich mehr zu denken, woher ein Bett und ein Stück Brot zu bekommen, als ans Aufschreiben von Compositionen. Ich warte also; vielleicht geht’s in den Winterquartieren bei Euch, es ist da gute Luft zur Musik; obwohl die Leute hier gar so lieb und freundlich mit mir sind, so war mir’s doch, da neulich Marx’sMarx, Adolph Bernhard (1795-1866) Lied kam, als sei das eine Sprache, die ich lange nicht sprechen gehört. So ist Deutschland ein curioses Land; hatte seit langer Zeit nichts davon gesehen als Widerliches: das Mitternachtsblatt, die Berliner Zeitung, einige unausstehliche rohe Studenten auf der Reise und dgl., nennt man aber den Namen, so wird das Herz Einem weich. Will mir’s doch einmal wieder beschauen. Und nun hab’ ich geplaudert mit Dir und breche nun plötzlich ab, und springe vom Sopha auf die Treppe hinunter und aus dem Hause; wir setzen es aber bald fort und dann springe ich ins Haus, die Treppe hinauf und zum Sopha hin. Laß es an Thee nicht fehlen, das Gespräch findet sich, und so leb wohl, bis auf frohes Wiedersehen. Gesagt habe ich Dir nun in diesem Briefe gar nichts, und das Beste braucht gar nicht gesagt zu werden; Du weißt es ja schon von selbst, wenn ich meinen Namen bloß schreibe. Und weiter ist denn auch nichts hinzuzufügen als

DeinFelix M. B.
            Lieber Johann Gustav!
Es ist schon lange her, daß ich Dir einen Brief mit Seestudien und Wasserbildern schicken wollte, und dann blieb er doch liegen, und dann kam Dein gar zu freundlicher Brief, den ich in Holywell an einem seltsamen Abend, von dem viel zu erzählen wäre, erhielt; da wollte ich nun wieder antworten, wenn ich in London wäre, und nun kam ich dahin und hatte meinen accident, und das ist die Geschichte meines Stillschweigens. Du nimmst mir’s aber nicht übel, hoffe ich, und erlaubst mir, so ruhig fortzuplaudern mit Dir, was eben mir durch den Sinn fährt, denn als Genesender bin ich jetzt daran gewöhnt, zu thun, wie ich eben Lust habe, und von meinen Umgebungen darin Nachsicht zu erfahren. Denke ich nun daran, daß ich vielleicht schon in drei Wochen auf Deinem Sopha sitzen, sehr braunes Butterbrot bekommen und von den Hebriden dazu erzählen kann, so wird mir froh ums Herz. Denn ich möchte nun fort von hier, es fängt an, entsetzlich nebelig und kalt zu werden, und obwohl es mit meinem Bein so gut als möglich geht, daß ich jetzt schon einige Schritte ohne Krücken machen darf, so ist’s doch nun fast sieben Wochen her, daß ich mich nicht frei bewegt, keine Luft gerochen, keinen Gedanken gedacht habe, und das quält mich, und die braunen Ziegelhäuser langweilen mich fast. Doch ist’s ein sonderbares Ding mit diesem London. Es ist da eine Brücke, von der ich Dir schreiben wollte, und doch möchte ich’s jetzt lieber erzählen; da ich aber noch nicht auf dem Sopha sitze, so ist da eine lange, grade, hohe Brücke, zu der Du gelangst, wenn Du das ganze Westende hinter Dir hast; in diesem Westende nun lebt Alles, was zu Kunst, Wissenschaft, feinem Ton, zum Adel und Hof u. s. w. gehört; das Alles lässest Du hinter Dir und trittst auf die Brücke, wie ich das oft und gerne thue, da liegt denn links die Häusermasse in allen Farben, Größen, Bauarten wie eine Volksversammlung, überall spitze Thürme oder hohe Kirchdächer heraus guckend, und in der Ferne steigt weiter über die nahen und nächsten Thurmspitzen die blaue Kuppel von St. Paul herauf; den Tower und die große Säule, die ich bei meiner Ankunft im Nebel von fern, als London zuerst sah, siehst Du nun wieder im Nebel als das Letzte von London, und ganz vorn an der Brücke steht ein schwarzer Palast; auf dem anderen Ufer rechts siehst Du nichts als hohe, braune Schornsteine und Magazine; denn das ist das Fabrikviertel, und der Rauch liegt immer schwer über den schwarzen Häusern, die sich weit über die Hügel hin ausbreiten, in jedem Hause eine Dampfmaschine; wie drüben die Kirchthürme so gucken hier die Feueressen über die Häuser überall heraus, alle Farben sind nun lebhaft bunt, fast grell, wenn dicht bei Dir, und die braunen Fabriken, die weiße Brücke, der schwarze Palast stechen scharf ab; aber gleich in der kleinsten Entfernung wird Alles blau und duftig, St. Paul macht den Anfang, und der Tower und die letzte Brücke verschwinden ganz im dicken Dunst. Der Fluß nun ist auch gelb dicht bei Dir und wird gleich darauf wunderschön himmelblau; die Hauptsache aber ist, daß Du überrascht sein mußt, so oft Du hinauf trittst, weil Du einmal wie auf einem Thurm so hoch stehst und das Wasser tief, tief unter Dir hast, und ein andermal wieder volles, hohes Wasser hoch an den Brückenpfeilern siehst; denn wir haben hier Ebbe und Fluth in der Stadt. Ist’s nun Ebbe, so gleiten tief unter Dir die einzelnen Kähne so langsam nach der Seeseite zu, und die ganze Fläche ist seltsam still und ruhig, so daß sich dann St. Paul mit seiner Häuserheerde wunderlich ausnimmt, und in der Fluth kommen die Dampfschiffe vom Hafen herauf und fahren ins Land hinein, und auf den Straßen gibt’s frische Seefische und große Hummer; ich sah es einmal bei Nacht in der Ebbe, als über dem rechten Ufer hinter einem himmelhohen Schornstein der volle Mond aufging. O Droysen! Das ist ganz sonderlich schön und ist nirgends in der Welt so schön, glaube ich. Und gehst Du nun hinunter, eine kleine Stunde die Themse entlang, so kommst Du erst an den Hafen und an die fürchterlichen Docks; aber die will ich Dir mündlich erzählen; überhaupt ist es dumm, sich mit Beschreibungen abzugeben, aber da ich von mir jetzt nichts zu sagen habe, so muß ich wohl von den Dingen um mich reden. Eben reicht mir Klingemann ein Stück Löschpapier, an dem wir die Federn abwischen, herüber, daß ich es lesen soll, und ich übersetze Dir es gleich, denn es ist sehr prächtig und interessant: „Mr. Canning und der Herzog Wellington. Folgendes sind Copien von Briefen, die zwischen Herrn Canning und dem Herzog gewechselt wurden, ehe Seine Durchlaucht abdankten. – Mr. C. an den Herzog: Mein lieber Herzog! Ich bin von Sr. Majestät befehligt, ein neues Ministerium zu bilden. Es wird mir zur großen Freude gereichen, wenn Ew. Durchlaucht einwilligen wollen, ein Mitglied desselben zu werden. Ich bin griech. Zeichen für „&“c. – Der Herzog an Mr. C. : Lieber Herr Canning! Ehe ich auf Ihren Brief antworte, wünsche ich zu wissen, wer an der Spitze des neuen Ministeriums stehen soll, und welche meiner früheren Collegen eine Stelle darin einnehmen werden? Ich bin griech. Zeichen für „&“c. – Mr. C. an den Herzog: Gnädigster Herzog! Da ich Ew. Durchlaucht angezeigt habe, daß ich Sr. Majestät Befehle zur Bildung eines neuen Ministeriums empfangen habe, so wundere ich mich, daß ich gefragt werden kann, wer an der Spitze desselben stehen soll? Ich bin der Mann. Ich verbleibe griech. Zeichen für „&“c. – Der Herzog an Mr. C. : Mein Herr! In Erwiderung Ihres Briefes habe ich nichts zu sagen, als daß ich nicht einwilligen kann, ein Mitglied des neuen Ministeriums zu werden. Ich verbleibe griech. Zeichen für „&“c. “ Darauf schickte unser heutiger Premierminister in großem Zorn seine Entlassung ein, die er sogleich bekam. Wie gefällt Dir das und mein Herr Canning? Theil’s doch Marx mit, der wird sich freuen, und verzeih mir die Politik, aber wenn Du mich des Morgens in Pantoffeln am Camin sitzen sähest, mit der Frühstückstasse vor mir und die immense Zeitung begierig entfaltend, so würdest Du meinen John Bullismus anerkennen und entschuldigen. Marx hat mir heute vor acht Tagen einen lieben Brief geschrieben und ein ganz herrliches Lied mit geschickt. Es ist mir ungemein erfreulich, daß Ihr beide was zusammen schafft, denn ich kann die Zeit kaum erwarten, wo M. mit seinen großen Sachen vortritt und all’ die Hunde und Katzen zu Schanden macht, die ihn jetzt anbellen und anmautzen und ihn in die Waden beißen und ihm das Vorwärtsgehen gern verhindern oder doch erschweren möchten, und ich denke, Du wirst nun tüchtig diese Zeit herbei fördern helfen und uns einen „Kaiser Otto“ und so fort (sagt Hegel) bringen, der seines Gleichen sucht. Wäre es nur erst so weit! Denn empörend ist’s, wie das Gesindel sich benimmt gegen den einzigen Musiker, den sie unter sich haben, und je deutlicher und ruhiger ich weiß, was er für ein Musiker ist, je mehr möchte ich, daß es ein Jeder auch so erkennte – nicht wegen Bestätigung, nur wegen äußerlichen Plaisirs und Bequemlichkeit. Nun, es wird ja kommen. Und warten habe ich überhaupt jetzt sehr gelernt. Habe seit der ganzen Zeit keines meiner großen Stücke componiren können, und auch jetzt geht es nicht, obwohl ich viel Muße habe; doch der Geist kann wahrhaftig nicht fliegen, wenn das Bein hinkt; bei dem ersten Aufenthalt ging’s äußerlich zu toll und bunt, und in Schottland auf der wüsten, rothen Haide und auf den Hebriden, da hatte ich mehr zu denken, woher ein Bett und ein Stück Brot zu bekommen, als ans Aufschreiben von Compositionen. Ich warte also; vielleicht geht’s in den Winterquartieren bei Euch, es ist da gute Luft zur Musik; obwohl die Leute hier gar so lieb und freundlich mit mir sind, so war mir’s doch, da neulich Marx’s Lied kam, als sei das eine Sprache, die ich lange nicht sprechen gehört. So ist Deutschland ein curioses Land; hatte seit langer Zeit nichts davon gesehen als Widerliches: das Mitternachtsblatt, die Berliner Zeitung, einige unausstehliche rohe Studenten auf der Reise und dgl., nennt man aber den Namen, so wird das Herz Einem weich. Will mir’s doch einmal wieder beschauen. Und nun hab’ ich geplaudert mit Dir und breche nun plötzlich ab, und springe vom Sopha auf die Treppe hinunter und aus dem Hause; wir setzen es aber bald fort und dann springe ich ins Haus, die Treppe hinauf und zum Sopha hin. Laß es an Thee nicht fehlen, das Gespräch findet sich, und so leb wohl, bis auf frohes Wiedersehen. Gesagt habe ich Dir nun in diesem Briefe gar nichts, und das Beste braucht gar nicht gesagt zu werden; Du weißt es ja schon von selbst, wenn ich meinen Namen bloß schreibe. Und weiter ist denn auch nichts hinzuzufügen als
Dein
Felix M. B.          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-11-03" xml:id="date_1c9ae4ff-f555-4782-ad05-b03fde5694e3">3. November 1829</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_adb21e54-3975-448a-afc8-1c29be0cac02">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_de82f0f6-eec3-4bbd-86cb-20680fbe8578"> <settlement key="STM0100126">London</settlement> <country>Großbritannien</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0110751" resp="receiver" xml:id="persName_2c4695f3-ca3d-4d63-b830-179a0a1ab141">Droysen, Johann Gustav Bernhard (Pseud.: Voß) (1808-1884)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_6b38f135-680e-4a8a-aca1-59164dbc8258"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_9eaeb66e-3125-4b8d-a2c2-0f24b3ab1165"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><salute rend="left">Lieber Johann Gustav!</salute><p style="paragraph_without_indent">Es ist schon lange her, daß ich Dir einen Brief mit Seestudien und Wasserbildern schicken wollte, und dann blieb er doch liegen, und dann kam Dein gar zu freundlicher Brief, den ich in Holywell an einem seltsamen Abend, von dem viel zu erzählen wäre, erhielt; da wollte ich nun wieder antworten, wenn ich in London wäre, und nun kam ich dahin und hatte meinen accident, und das ist die Geschichte meines Stillschweigens. Du nimmst mir’s aber nicht übel, hoffe ich, und erlaubst mir, so ruhig fortzuplaudern mit Dir, was eben mir durch den Sinn fährt, denn als Genesender bin ich jetzt daran gewöhnt, zu thun, wie ich eben Lust habe, und von meinen Umgebungen darin Nachsicht zu erfahren. Denke ich nun daran, daß ich vielleicht schon in drei Wochen auf Deinem Sopha sitzen, sehr braunes Butterbrot bekommen und von den <placeName xml:id="placeName_7d59d77d-4f67-41d9-b7d6-1f78fcf8d67e">Hebriden<settlement key="STM0100485" style="hidden" type="">Hebriden</settlement><country style="hidden">Schottland</country></placeName> dazu erzählen kann, so wird mir froh ums Herz. Denn ich möchte nun fort von hier, es fängt an, entsetzlich nebelig und kalt zu werden, und obwohl es mit meinem Bein so gut als möglich geht, daß ich jetzt schon einige Schritte ohne Krücken machen darf, so ist’s doch nun fast sieben Wochen her, daß ich mich nicht frei bewegt, keine Luft gerochen, keinen Gedanken gedacht habe, und das quält mich, und die braunen Ziegelhäuser langweilen mich fast. Doch ist’s ein sonderbares Ding mit diesem London. Es ist da eine Brücke, von der ich Dir schreiben wollte, und doch möchte ich’s jetzt lieber erzählen; da ich aber noch nicht auf dem Sopha sitze, so ist da eine lange, grade, hohe Brücke, zu der Du gelangst, wenn Du das ganze Westende hinter Dir hast; in diesem Westende nun lebt Alles, was zu Kunst, Wissenschaft, feinem Ton, zum Adel und Hof u. s. w. gehört; das Alles lässest Du hinter Dir und trittst auf die Brücke, wie ich das oft und gerne thue, da liegt denn links die Häusermasse in allen Farben, Größen, Bauarten wie eine Volksversammlung, überall spitze Thürme oder hohe Kirchdächer heraus guckend, und in der Ferne steigt weiter über die nahen und nächsten Thurmspitzen die blaue Kuppel von <placeName xml:id="placeName_3896f6da-d36b-4abb-a4c3-65b38b4ce8de">St. Paul<name key="SGH0100307" style="hidden" subtype="" type="sight">St. Paul’s Cathedral</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> herauf; den <placeName xml:id="placeName_2c2679b7-a358-46f6-9a2f-1007094d065f">Tower<name key="SGH0100486" style="hidden" subtype="" type="sight">Tower</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> und die große Säule, die ich bei meiner Ankunft im Nebel von fern, als London zuerst sah, siehst Du nun wieder im Nebel als das Letzte von London, und ganz vorn an der Brücke steht ein schwarzer Palast; auf dem anderen Ufer rechts siehst Du nichts als hohe, braune Schornsteine und Magazine; denn das ist das Fabrikviertel, und der Rauch liegt immer schwer über den schwarzen Häusern, die sich weit über die Hügel hin ausbreiten, in jedem Hause eine Dampfmaschine; wie drüben die Kirchthürme so gucken hier die Feueressen über die Häuser überall heraus, alle Farben sind nun lebhaft bunt, fast grell, wenn dicht bei Dir, und die braunen Fabriken, die weiße Brücke, der schwarze Palast stechen scharf ab; aber gleich in der kleinsten Entfernung wird Alles blau und duftig, <placeName xml:id="placeName_16c26f78-20ca-421c-9b7b-d345226a440e">St. Paul<name key="SGH0100307" style="hidden" subtype="" type="sight">St. Paul’s Cathedral</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> macht den Anfang, und der <placeName xml:id="placeName_13610759-20a7-460f-a5d2-d410e53ec1ac">Tower<name key="SGH0100486" style="hidden" subtype="" type="sight">Tower</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> und die letzte Brücke verschwinden ganz im dicken Dunst. Der Fluß nun ist auch gelb dicht bei Dir und wird gleich darauf wunderschön himmelblau; die Hauptsache aber ist, daß Du überrascht sein mußt, so oft Du hinauf trittst, weil Du einmal wie auf einem Thurm so hoch stehst und das Wasser tief, tief unter Dir hast, und ein andermal wieder volles, hohes Wasser hoch an den Brückenpfeilern siehst; denn wir haben hier Ebbe und Fluth in der Stadt. Ist’s nun Ebbe, so gleiten tief unter Dir die einzelnen Kähne so langsam nach der Seeseite zu, und die ganze Fläche ist seltsam still und ruhig, so daß sich dann <placeName xml:id="placeName_cb99a28c-4e80-4f23-89be-7afd6f40ac0d">St. Paul<name key="SGH0100307" style="hidden" subtype="" type="sight">St. Paul’s Cathedral</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName> mit seiner Häuserheerde wunderlich ausnimmt, und in der Fluth kommen die Dampfschiffe vom Hafen herauf und fahren ins Land hinein, und auf den Straßen gibt’s frische Seefische und große Hummer; ich sah es einmal bei Nacht in der Ebbe, als über dem rechten Ufer hinter einem himmelhohen Schornstein der volle Mond aufging. O Droysen! Das ist ganz sonderlich schön und ist nirgends in der Welt so schön, glaube ich. Und gehst Du nun hinunter, eine kleine Stunde die Themse entlang, so kommst Du erst an den Hafen und an die <hi rend="underline">fürchterlichen</hi> Docks; aber die will ich Dir mündlich erzählen; überhaupt ist es dumm, sich mit Beschreibungen abzugeben, aber da ich von mir jetzt nichts zu sagen habe, so muß ich wohl von den Dingen um mich reden. Eben reicht mir <persName xml:id="persName_f1138b9d-48cf-4868-8ba0-e2caa90ba384">Klingemann<name key="PSN0112434" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</name></persName> ein Stück Löschpapier, an dem wir die Federn abwischen, herüber, daß ich es lesen soll, und ich übersetze Dir es gleich, denn es ist sehr prächtig und interessant: „<persName xml:id="persName_8d8d87c9-4f96-4d09-af87-8883a114e70f">Mr. Canning<name key="PSN0110268" style="hidden">Canning, George (1770-1827)</name></persName> und der <persName xml:id="persName_ea2baaec-cc3a-44fa-ac84-6047c951a3aa">Herzog Wellington<name key="PSN0115692" style="hidden">Wellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852)</name></persName>. Folgendes sind Copien von Briefen, die zwischen <persName xml:id="persName_f56861b7-fa39-4b41-b4d7-a549282a191d">Herrn Canning<name key="PSN0110268" style="hidden">Canning, George (1770-1827)</name></persName> und dem <persName xml:id="persName_35ab7a7c-2779-4f7f-94c9-453e635b5576">Herzog<name key="PSN0115692" style="hidden">Wellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852)</name></persName> gewechselt wurden, ehe Seine Durchlaucht abdankten. – <hi rend="underline">Mr. C. an den Herzog:</hi> Mein lieber Herzog! Ich bin von <persName xml:id="persName_a27e4d74-8331-49ff-b06b-03b5567b2392">Sr. Majestät<name key="PSN0111577" style="hidden">Großbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830)</name></persName> befehligt, ein neues Ministerium zu bilden. Es wird mir zur großen Freude gereichen, wenn Ew. Durchlaucht einwilligen wollen, ein Mitglied desselben zu werden. Ich bin [griech. Zeichen für „&amp;“]c. – <hi rend="underline">Der Herzog an Mr. C.:</hi> Lieber <persName xml:id="persName_71c8c0d4-7992-4304-ab94-1d17c4b21154">Herr Canning<name key="PSN0110268" style="hidden">Canning, George (1770-1827)</name></persName>! Ehe ich auf Ihren Brief antworte, wünsche ich zu wissen, wer an der Spitze des neuen Ministeriums stehen soll, und welche meiner früheren Collegen eine Stelle darin einnehmen werden? Ich bin [griech. Zeichen für „&amp;“]c. – <hi rend="underline">Mr. C. an den Herzog:</hi> Gnädigster Herzog! Da ich <persName xml:id="persName_5fd2f3c0-9465-44f1-821b-85fce51acb2c">Ew. Durchlaucht<name key="PSN0115692" style="hidden">Wellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852)</name></persName> angezeigt habe, daß ich <persName xml:id="persName_617ebb08-4b66-4a98-892f-cf7e8f2b5ceb">Sr. Majestät<name key="PSN0111577" style="hidden">Großbritannien, Irland und Hannover, Georg IV. August Friedrich von (1762-1830)</name></persName> Befehle zur Bildung eines neuen Ministeriums empfangen habe, so wundere ich mich, daß ich gefragt werden kann, wer an der Spitze desselben stehen soll? Ich bin der Mann. Ich verbleibe [griech. Zeichen für „&amp;“]c. – <hi rend="underline">Der Herzog an Mr. C.:</hi> Mein Herr! In Erwiderung Ihres Briefes habe ich nichts zu sagen, als daß ich nicht einwilligen kann, ein Mitglied des neuen Ministeriums zu werden. Ich verbleibe [griech. Zeichen für „&amp;“]c.“ Darauf schickte unser heutiger <persName xml:id="persName_a59e4f46-25b9-4139-a561-2c72cb0f4966">Premierminister<name key="PSN0115692" style="hidden">Wellesley, Arthur (seit 1814) 1st Duke of Wellington (1769-1852)</name></persName> in großem Zorn seine Entlassung ein, die er sogleich bekam. Wie gefällt Dir das und mein <persName xml:id="persName_b2844065-d74b-44f2-ac38-bf07dbf3696d">Herr Canning<name key="PSN0110268" style="hidden">Canning, George (1770-1827)</name></persName>? Theil’s doch <persName xml:id="persName_71e31939-8baa-40f2-9b54-cacabfead2b6">Marx<name key="PSN0113108" style="hidden">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName> mit, der wird sich freuen, und verzeih mir die Politik, aber wenn Du mich des Morgens in Pantoffeln am Camin sitzen sähest, mit der Frühstückstasse vor mir und die immense Zeitung begierig entfaltend, so würdest Du meinen John Bullismus anerkennen und entschuldigen. <persName xml:id="persName_a642a890-8670-402e-bb39-f5922b5a3853">Marx<name key="PSN0113108" style="hidden">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName> hat mir heute vor acht Tagen einen lieben Brief geschrieben und ein ganz herrliches Lied mit geschickt. Es ist mir ungemein erfreulich, daß Ihr beide was zusammen schafft, denn ich kann die Zeit kaum erwarten, wo <persName xml:id="persName_9812f1aa-73e6-4423-8586-49e1128e2ea8">M.<name key="PSN0113108" style="hidden">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName> mit seinen großen Sachen vortritt und all’ die Hunde und Katzen zu Schanden macht, die ihn jetzt anbellen und anmautzen und ihn in die Waden beißen und ihm das Vorwärtsgehen gern verhindern oder doch erschweren möchten, und ich denke, Du wirst nun tüchtig diese Zeit herbei fördern helfen und uns einen „Kaiser Otto“ und so fort (sagt <persName xml:id="persName_64576671-efa4-4bf3-992d-bcf8429f6abf">Hegel<name key="PSN0111804" style="hidden">Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831)</name></persName>) bringen, der seines Gleichen sucht. Wäre es nur erst so weit! Denn empörend ist’s, wie das Gesindel sich benimmt gegen den einzigen Musiker, den sie unter sich haben, und je deutlicher und ruhiger ich weiß, was er für ein Musiker ist, je mehr möchte ich, daß es ein Jeder auch so erkennte – nicht wegen Bestätigung, nur wegen äußerlichen Plaisirs und Bequemlichkeit. Nun, es wird ja kommen. Und warten habe ich überhaupt jetzt sehr gelernt. Habe seit der ganzen Zeit keines meiner großen Stücke componiren können, und auch jetzt geht es nicht, obwohl ich viel Muße habe; doch der Geist kann wahrhaftig nicht fliegen, wenn das Bein hinkt; bei dem ersten Aufenthalt ging’s äußerlich zu toll und bunt, und in Schottland auf der wüsten, rothen Haide und auf den <placeName xml:id="placeName_16f164c6-056d-4c5d-858d-abbcebdfbe48">Hebriden<settlement key="STM0100485" style="hidden" type="">Hebriden</settlement><country style="hidden">Schottland</country></placeName>, da hatte ich mehr zu denken, woher ein Bett und ein Stück Brot zu bekommen, als ans Aufschreiben von Compositionen. Ich warte also; vielleicht geht’s in den Winterquartieren bei Euch, es ist da gute Luft zur Musik; obwohl die Leute hier gar so lieb und freundlich mit mir sind, so war mir’s doch, da neulich <persName xml:id="persName_57781637-03fc-4bdb-a388-80eb0989105b">Marx’s<name key="PSN0113108" style="hidden">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName> Lied kam, als sei das eine Sprache, die ich lange nicht sprechen gehört. So ist Deutschland ein curioses Land; hatte seit langer Zeit nichts davon gesehen als Widerliches: das Mitternachtsblatt, die Berliner Zeitung, einige unausstehliche rohe Studenten auf der Reise und dgl., nennt man aber den Namen, so wird das Herz Einem weich. Will mir’s doch einmal wieder beschauen. Und nun hab’ ich geplaudert mit Dir und breche nun plötzlich ab, und springe vom Sopha auf die Treppe hinunter und aus dem Hause; wir setzen es aber bald fort und dann springe ich ins Haus, die Treppe hinauf und zum Sopha hin. Laß es an Thee nicht fehlen, das Gespräch findet sich, und so leb wohl, bis auf frohes Wiedersehen. Gesagt habe ich Dir nun in diesem Briefe gar nichts, und das Beste braucht gar nicht gesagt zu werden; Du weißt es ja schon von selbst, wenn ich meinen Namen bloß schreibe. Und weiter ist denn auch nichts hinzuzufügen als </p><signed rend="right">Dein</signed><signed rend="right">Felix M. B.</signed></div></body> </text></TEI>