fmb-1829-10-26-01
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London, 26. Oktober 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
6 beschr. S.; Adresse.
Julius Schubring
Sammlung Dr. Rudolf Elvers, Berlin (bis Anfang 2011).
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Können wir denn nicht Deinen Brief mit diesem hier zusammen als ein Gespräch betrachten? So ein Gespräch, das man etwa in der Dämmrung hält, und wo man einen Schritt, eine Veränderung am Ende wahrnimmt, und wo man sich besser oder von Neuem kennen lernt, und wo eine neue Bekanntschaft anfängt? So ist mirs wenigstens mit Dir gegangen und darum sollten wir über den Canal herüber Brüderschaft trinken, und das wollen wir auch. Schlage mir das nicht ab, o Schubring, sondern laß es nun einmal so sein. Und wenn wir in etwas will (nichts Äußerliches nämlich) oder nicht, und im ersten Falle laß ich ihn gelten, geh er auch noch so weit von mir ab; freilich sage ich meinem Freund: folge ihm nicht, er geht den Weg den ich nicht für den rechten halte, ihn selbst aber warne ich nur, wenn er mich frägt, oder wenn ich denke mein Weg kann möglicherweise auch der seinige werden, denn das muß gar nicht immer der Fall sein. Nun hast Du sogar was Kunst betrifft, zuweilen etwas so Schneidendes, daß ich es nie billigen kann: Du hast zuweilen verdammt und erhoben mit einer Kälte, die mir nun einmal widerstrebt, denn auch im Tadeln soll einer warm sein, und lieber zerprügeln, als verspotten. Du hast große Männer im Vergleich mit Beethoven so sehr herabgesetzt, daß ich mich oft nicht des Gedankens erwehren konnte, Du möchtest vielleicht den Beethoven bei solch hartem Urtheil gar nicht so ganz capiren, denn dazu gehört viel Wärme und Unbefangenheit; und wie mit der Kunst, so geht es mit der Religion: ich spreche ungern über die Kunst mit anderen, als solchen, wo ich gewiß bin, daß sie meinen Sinn heraushören, die Worte vergessen; mit denen kann ich über Kunst sprechen, für die andern mache ich Musik, und sage: da steht es, nach dem Schlüssel habt ihr mich nicht zu fragen, er muß drin liegen, sonst hilft Euch keine Erklärung. Eben so dächte ich und in noch höherem Grade, so geht es mit der Religion: weiß ich, daß mein Freund meine Worte, (die dann immer noch einen andern Begriff haben, als den im Lexicon) schon versteht, dann kann ich mit ihm darüber reden: wo nicht, so rede ich nicht, sondern wie ich mich in der Musik gegen Fremde auf meine Partitur, so berufe ich mich hier auf das, was ich thue. So möge es auch jeder gegen mich machen, in den hohen, und höchsten Fragen, die es giebt: in gewissen Puncten treffen wir doch zusammen, haben wir auch nie drüber gesprochen. Dieses ruhige Vertrauen auf andre, und die Zuversicht, daß es in gewissen Puncten für gewisse Menschen keine Verschiedenheit des Glaubens, nur eine in den Worten geben kann (diese gewissen Menschen sind aber die, die etwas wollen) das ists, was ich unter Toleranz verstehe. Denn beruhigt mich dieses Vertrauen nicht, dann können es die Worte gewiß nicht.
Durch Deinen Brief nun, denke ich, stehen wir auf dem Punct, wo wir über alles das sprechen können, und ich danke Dir herzlich dafür. Verzeih manch Hartes, was in diesem Brief vorkommt, es ist so die letzte Schärfe, die letzte Nachweh früherer Misverständnisse, und die muß ausgesprochen seyn. Ich habe mich nie vor Dir verhüllen wollen, ich will das vor keinem Menschen; dazu mach’ ich ja Musik, und wäre ich noch so kalt und hart gewesen, so hätte die Dir es ja sagen müssen, daß mir doch weich und warm sein kann; Du hast aber diesen Schlüssel nicht ergriffen, und der erste, den Du mir darbietest, ist der Brief. Den muß ich nun festhalten, und ich hoffe, wir sind uns näher. Ich glaube auch nach dem Brief, daß Du Beethoven capirst.
London d. 26. Oct. 1829Lieber Schubring Können wir denn nicht Deinen Brief mit diesem hier zusammen als ein Gespräch betrachten? So ein Gespräch, das man etwa in der Dämmrung hält, und wo man einen Schritt, eine Veränderung am Ende wahrnimmt, und wo man sich besser oder von Neuem kennen lernt, und wo eine neue Bekanntschaft anfängt? So ist mirs wenigstens mit Dir gegangen und darum sollten wir über den Canal herüber Brüderschaft trinken, und das wollen wir auch. Schlage mir das nicht ab, o Schubring, sondern laß es nun einmal so sein. Und wenn wir in Berlin das Gespräch fortsetzen, so rede mich auch so an, vorher hoff’ ich zu Gott, brauchst Du es nicht, denn bald, bald denke ich diesen Zeilen zu folgen. Hier wäre das Schmolles – das Fiduz mündlich. Weiter sollten wir eigentlich nun nichts besprechen, denn das geht ja alles besser drüben, und wir haben viel und mancherley über Deines Briefs Ende zu sagen, aber etwas rasen muß ich doch gleich. Bist Du denn nun nicht gerade der, der zu sein Du mir vorwirfst? Versteckst Du Dich nicht mehr als ich? Hast Du je halb so zu mir geredet, wie Dein Brief spricht? Ich weiß nicht, was das mit Dir ist, und warum ich nie aus Dir klug werden soll, denn das ich Dich nicht geflissentlich verkennen wollte, brauche ich nicht zu sagen; auch gehöre ich wahrhaftig nicht zu denen, die nur solche Empfindungen bei andern voraussetzen, die sie von diesen andern ausgesprochen hören, mit denen die andern „herausplatzen“, wie Du es nennst; im Gegentheil halte ich es für ganz gleichgültig, womit sich eine Empfindung kund giebt, und ein Blick, ein Wort, ein Stillschweigen, eine Melodie, oder eine Grobheit gilt mir gleich in dem Falle. Warum aber, so muß ich nun fragen, hast Du mich gerade von alle dem gar nichts, gar nichts blicken lassen? Warum habe ich gerade das, was Du die Liebe nennst, worunter ich die warme Freude und den Genuß und die Theilnahme an allem Lebendigen um Dich hier verstehen will, nie durch irgend ein Zeichen an Dir wahrnehmen können? Dieser Brief spricht eine andre Sprache, als alles was ich von Dir bis dahin sah, denn er ist wirklich ernsthaft. Auf solchem Grund und Boden können wir uns nah kommen, da können wir über Deinen Beruf, über den meinigen, über Alles uns verständigen; nicht aber, so lange Späße, Possen, Witze, und zuweilen recht unzeitige, den Grundton angeben. Die habe ich nun eben so wohl gemacht, als Du, Du aber hast den Ton dazu angestimmt, und ich habe Dich über einer Sache immer nur entweder in dieser Art, oder in einer ausschließenden, harten, vornehmen sprechen hören, und diese letztere nenne ich Intoleranz. Von allen Sachen der Welt, von Überzeugungen, Personen, Neigungen nur spaßhaft, oberflächlich, hin und her, ohne Entschiedenheit, nur nach und nachgebend zu sprechen, dagegen gerade von dem, was drüber steht, sey es Religion, Kunst, Liebe, hart, abgeschlossen zu urtheilen – das kann ich nicht thun, und will es auch nicht gethan wissen. Gerade in diesen höheren Rücksichten will ich langsam, ruhig und vornehm gehen, weil hier Worte nie ausreichen, und ich erst wissen muß, ob ich dieselbe Sprache spreche, wie der andre; dagegen, wo die Worte allgemein übereinstimmen, da stelle ich mich gern hin, sage wie mirs um Herz ist, und stehe meinen Mann. Du sagst, ich stoße in der Kunst den Lügengeist zurück wo ich ihn treffe: das ist wahr, nur nehme ich mich entsetzlich in Acht, nicht den Lügengeist zu verwechseln, mit einem Geist, der etwas andres will, als ich: den Lügengeist aber erkenne ich daran, daß ich frage, ob einer überhaupt etwas will (nichts Äußerliches nämlich) oder nicht, und im ersten Falle laß ich ihn gelten, geh er auch noch so weit von mir ab; freilich sage ich meinem Freund: folge ihm nicht, er geht den Weg den ich nicht für den rechten halte, ihn selbst aber warne ich nur, wenn er mich frägt, oder wenn ich denke mein Weg kann möglicherweise auch der seinige werden, denn das muß gar nicht immer der Fall sein. Nun hast Du sogar was Kunst betrifft, zuweilen etwas so Schneidendes, daß ich es nie billigen kann: Du hast zuweilen verdammt und erhoben mit einer Kälte, die mir nun einmal widerstrebt, denn auch im Tadeln soll einer warm sein, und lieber zerprügeln, als verspotten. Du hast große Männer im Vergleich mit Beethoven so sehr herabgesetzt, daß ich mich oft nicht des Gedankens erwehren konnte, Du möchtest vielleicht den Beethoven bei solch hartem Urtheil gar nicht so ganz capiren, denn dazu gehört viel Wärme und Unbefangenheit; und wie mit der Kunst, so geht es mit der Religion: ich spreche ungern über die Kunst mit anderen, als solchen, wo ich gewiß bin, daß sie meinen Sinn heraushören, die Worte vergessen; mit denen kann ich über Kunst sprechen, für die andern mache ich Musik, und sage: da steht es, nach dem Schlüssel habt ihr mich nicht zu fragen, er muß drin liegen, sonst hilft Euch keine Erklärung. Eben so dächte ich und in noch höherem Grade, so geht es mit der Religion: weiß ich, daß mein Freund meine Worte, (die dann immer noch einen andern Begriff haben, als den im Lexicon) schon versteht, dann kann ich mit ihm darüber reden: wo nicht, so rede ich nicht, sondern wie ich mich in der Musik gegen Fremde auf meine Partitur, so berufe ich mich hier auf das, was ich thue. So möge es auch jeder gegen mich machen, in den hohen, und höchsten Fragen, die es giebt: in gewissen Puncten treffen wir doch zusammen, haben wir auch nie drüber gesprochen. Dieses ruhige Vertrauen auf andre, und die Zuversicht, daß es in gewissen Puncten für gewisse Menschen keine Verschiedenheit des Glaubens, nur eine in den Worten geben kann (diese gewissen Menschen sind aber die, die etwas wollen) das ists, was ich unter Toleranz verstehe. Denn beruhigt mich dieses Vertrauen nicht, dann können es die Worte gewiß nicht. Durch Deinen Brief nun, denke ich, stehen wir auf dem Punct, wo wir über alles das sprechen können, und ich danke Dir herzlich dafür. Verzeih manch Hartes, was in diesem Brief vorkommt, es ist so die letzte Schärfe, die letzte Nachweh früherer Misverständnisse, und die muß ausgesprochen seyn. Ich habe mich nie vor Dir verhüllen wollen, ich will das vor keinem Menschen; dazu mach’ ich ja Musik, und wäre ich noch so kalt und hart gewesen, so hätte die Dir es ja sagen müssen, daß mir doch weich und warm sein kann; Du hast aber diesen Schlüssel nicht ergriffen, und der erste, den Du mir darbietest, ist der Brief. Den muß ich nun festhalten, und ich hoffe, wir sind uns näher. Ich glaube auch nach dem Brief, daß Du Beethoven capirst. Ich reiche Dir denn meine Hand, und Du schlägst ein, das weiß ich nun, und so sey mir gegrüßt. Felix MB.
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Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-10-26" xml:id="date_030ece75-418e-49dc-8e48-e12567bb242f">26. 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Weiter sollten wir eigentlich nun nichts besprechen, denn das geht ja alles besser drüben, und wir haben viel und mancherley über Deines Briefs Ende zu sagen, aber etwas rasen muß ich doch gleich. Bist Du denn nun nicht gerade der, der zu sein Du mir vorwirfst? Versteckst Du Dich nicht mehr als ich? Hast Du je halb so zu mir geredet, wie Dein Brief spricht? Ich weiß nicht, was das mit Dir ist, und warum ich nie aus Dir klug werden soll, denn das ich Dich nicht geflissentlich verkennen wollte, brauche ich nicht zu sagen; auch gehöre ich wahrhaftig nicht zu denen, die nur solche Empfindungen bei andern voraussetzen, die sie von diesen andern ausgesprochen hören, mit denen die andern „herausplatzen“, wie Du es nennst; im Gegentheil halte ich es für ganz gleichgültig, womit sich eine Empfindung kund giebt, und ein Blick, ein Wort, ein Stillschweigen, eine Melodie, oder eine Grobheit gilt mir gleich in dem Falle. Warum aber, so muß ich nun fragen, hast Du mich gerade von alle dem gar nichts, gar nichts blicken lassen? Warum habe ich gerade das, was Du die Liebe nennst, worunter ich die warme Freude und den Genuß und die Theilnahme an allem Lebendigen um Dich hier verstehen will, nie durch irgend ein Zeichen an Dir wahrnehmen können? Dieser Brief spricht eine andre Sprache, als alles was ich von Dir bis dahin sah, denn er ist wirklich ernsthaft. Auf solchem Grund und Boden können wir uns nah kommen, da können wir über Deinen Beruf, über den meinigen, über Alles uns verständigen; nicht aber, so lange Späße, Possen, Witze, und zuweilen recht unzeitige, den Grundton angeben. Die habe ich nun eben so wohl gemacht, als Du, Du aber hast den Ton dazu angestimmt, und ich habe Dich über einer Sache immer nur entweder in dieser Art, oder in einer ausschließenden, harten, vornehmen sprechen hören, und diese letztere nenne ich Intoleranz. Von allen Sachen der Welt, von Überzeugungen, Personen, Neigungen nur spaßhaft, oberflächlich, hin und her, ohne Entschiedenheit, nur nach und nachgebend zu sprechen, dagegen gerade von dem, was drüber steht, sey es Religion, Kunst, Liebe, hart, abgeschlossen zu urtheilen – das kann ich nicht thun, und will es auch nicht gethan wissen. Gerade in diesen höheren Rücksichten will ich langsam, ruhig und vornehm gehen, weil hier Worte nie ausreichen, und ich erst wissen muß, ob ich dieselbe Sprache spreche, wie der andre; dagegen, wo die Worte allgemein übereinstimmen, da stelle ich mich gern hin, sage wie mirs um Herz ist, und stehe meinen Mann. Du sagst, ich stoße in der Kunst den Lügengeist zurück wo ich ihn treffe: das ist wahr, nur nehme ich mich entsetzlich in Acht, nicht den Lügengeist zu verwechseln, mit einem Geist, der etwas andres will, als ich: den Lügengeist aber erkenne ich daran, daß ich frage, ob einer überhaupt <hi rend="underline">etwas will</hi> (nichts Äußerliches nämlich) oder nicht, und im ersten Falle laß ich ihn gelten, geh er auch noch so weit von mir ab; freilich sage ich meinem Freund: folge ihm nicht, er geht den Weg den ich nicht für den rechten halte, ihn selbst aber warne ich nur, wenn er mich frägt, oder wenn ich denke mein Weg kann möglicherweise auch der seinige werden, denn das muß gar nicht immer der Fall sein. Nun hast Du sogar was Kunst betrifft, zuweilen etwas so Schneidendes, daß ich es nie billigen kann: Du hast zuweilen verdammt und erhoben mit einer Kälte, die mir nun einmal widerstrebt, denn auch im Tadeln soll einer warm sein, und lieber zerprügeln, als verspotten. Du hast große Männer im Vergleich mit Beethoven so sehr herabgesetzt, daß ich mich oft nicht des Gedankens erwehren konnte, Du möchtest vielleicht den Beethoven bei solch hartem Urtheil gar nicht so ganz capiren, denn dazu gehört viel Wärme und Unbefangenheit; und wie mit der Kunst, so geht es mit der Religion: ich spreche ungern über die Kunst mit anderen, als solchen, wo ich gewiß bin, daß sie meinen Sinn heraushören, die Worte vergessen; mit <hi rend="underline">denen</hi> kann ich über Kunst sprechen, für die andern mache ich Musik, und sage: da steht es, nach dem Schlüssel habt ihr mich nicht zu fragen, er muß drin liegen, sonst hilft Euch keine Erklärung. 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