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fmb-1829-10-02-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Klingemann an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin<lb></lb>London, 2. Oktober 1829 Morgen ist der Hochzeittag meiner Schwester, und heut höre ich doch weder Glockenläuten noch eine frohe Orgel, und sehe keine bunten Prachtkleider, denn ich bin so sehr fern. – Und meine Gedanken sind nicht feyerlich Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 1, 225

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Christian Lambour, Quellen zur Biographie von Fanny Hensel, geb. Mendelssohn Bartholdy, in: Mendelssohn Studien 6 (1986), S. 101-104. - - - - Privatbesitz - Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Klingemann an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin; London, 2. Oktober 1829 Morgen ist der Hochzeittag meiner Schwester, und heut höre ich doch weder Glockenläuten noch eine frohe Orgel, und sehe keine bunten Prachtkleider, denn ich bin so sehr fern. – Und meine Gedanken sind nicht feyerlich und hoch bewegt,

-

Felix Mendelssohn Bartholdy, Carl Klingemann

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Autograph, Privatbesitz (unzugänglich).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

2. Oktober 1829 Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) London Großbritannien Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy Berlin Deutschland deutsch
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) London 2 Oct. 29.

Morgen ist der Hochzeittag meiner SchwesterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847), und heut höre ich doch weder Glockenläuten noch eine frohe Orgel, und sehe keine bunten Prachtkleider, denn ich bin so sehr fern. – Und meine Gedanken sind nicht feyerlich und hoch bewegt, sondern sie sind bitter und müde. Ich sehne mich fort von hier; fort, fort und weit fort, und kann es doch noch nicht, das macht mich bitter und müde. Seit sechs Jahren hab ich mir den Hochzeittag meiner SchwesterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847) ausgemalt; seit meiner Entfernung von Euch frug ich mich wenn ich nachdenkend war, wo mich der Tag treffen würde, wie er mich bewegen würde. Morgen ist der Tag, und übermorgen wird er vorbey sein, und dann schlinge sich doch eine Reihe von SegensAugenblicken aus dem heitersten Himmel, und machen Euch so glücklich, als wie Ihr mein Leben macht. Aber heut und morgen sieht alles wüst aus um mich, denn weit fort möchte ich sein.

Ich werde Euch wohl früher wiedersehen, als ich glaubte, und das kommt davon her, daß ich hier länger bleiben muß, als ich glaubte; und frühestens Ende dieses Monats erlaubt mir KindKind, Carl Maximilian (1801-1831) von hier abzureisen und meine Holländ. Absichten zerfallen damit von selbst. Ihr müßt Euch mich nämlich noch immer so wie vor 8 Tagen, nämlich mit ungekrümmten Beine auf dem Sopha denken, die Sache zieht sich sehr in die Länge, ich glaubte als ich das letztemal an Euch schrieb, heut würde ich hüpfen, wie ein Lamm. Indeß war die Contusion, die ich beim Fallen erhielt, doch ziemlich bedeutend, und verursachte auf der entgegengesetzten Seite von der besprochnen Fleischwunde, die sehr gesund nur etwas langsam zuheilt, eine Entzündung derer Theile, die zunächst unter der Haut pp. Was Teufel weiß ichs, wie sies nennen; Klingem. wirds berichten, der ist ein halber Wundarzt geworden, denn er weicht nicht von meinem Zimmer, und ist mein Glück und mein Trost; ich glaube, er würde mich päppeln wenn ich nicht von selbst heillos fräße. Nun also, die Sache ist lang, lang und lang, indessen ohne Bedeutung und Gefahr; erfordert von meiner Seite nur Geduld und Langeweile, und von des DoctorsKind, Carl Maximilian (1801-1831) Seite Brodumschläge und einige Bataillon Blutigel; (6 pence kostet das Stück, überhaupt VatersMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Kasse!!) Die haben sich nun in den vorigen Tagen sattgesogen, und ich bin matt und lese schlechte Romane; lasse mir übrigens nichts abgehn (denn GoldschmidtGoldschmidt (Goldsmith), Adolph (Adolf, Adolphus) (1798-1879) hat erzählt, daß VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) in Hamburg viel Geld gewonnen hat, und das muß doch verbraucht werden?) spreche Engl. auf Todschlagen, bin entsetzlich stupide und fade in allen meinen Aeußerungen; und rufe ich mir dann zuweilen zurück, morgen sey der Hochzeittag meiner SchwesterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847), so verstehe ich zwar eigentlich nicht den ganzen Umfang von solchen Gedanken, aber aus alter Gewohnheit wird mir weich und seltsam ums Herz.

Es geht die Zeit pfeilschnell, obgleich die Minuten schleichen; der Morgen verfliegt, am Mittag kommen Besuche, Klingem. ist immer bei mir und ich werde ihm nie danken können, was er mich jetzt beglückt, dann wirds wieder dämmrig, dann erscheint wieder das dicke Mädchen mit dem Essen, dann brennt das lange magre Nachtlicht wieder vor meinem Bette, und dann sehe ich wieder nach, ob der Tag bald dämmern will. Noch so und so viel magre Nachtlichter und ich bin wieder bei Euch; ich möchte, ich wäre schon da, aber die Zeit geht pfeilschnell, wie gesagt; und rauscht an mir vorüber, wie ein Traum; Menschen, Empfindungen, Wetterveränderungen alles rauscht so vorbey und wecken mich für Momente aus diesen Träumen; so weckt mich Sir GeorgesSmart, Sir George Thomas (1776-1867) Bedienter mit seines Herrn Complimenten und schönen Rebhünern, die er schickt, oder der alte AttwoodAttwood, Thomas (1765-1838) mit einer Composition die er mir schenkt, oder DanceDance, William (1755-1840) mit einer Copie eines Liedes seiner TochterDance, Sophia Louisa, oder mit 2 Torten die mir seine alte FrauDance, Mrs. schickt, weil sie mir einmal bei ihr geschmeckt haben, oder GöschenGöschen (Goschen), Wilhelm Heinrich (William Henry) (1793-1866) mit schönen Erdbeeren, und jeder thut mir Liebes und Freundliches an; das geht alles vorbey an mir, und rauscht vorüber, und so wird die Zeit bald vorüber sein. Morgen ist nun meiner Fanny Hochzeittag, und der Segen meines Herzens ruhe, ruhe auf Dir.

So seid mir denn alle gegrüßt für heut; verzeiht den dummen verstimmten Brief; ich schrieb Euch, das grad liegende Bein mache auch die Hand und den Styl steif, nicht das Herz, denn das ist mir durch den morgenden Tag so sehr bewegt, daß ich Euch nicht froher schreiben konnte, und anders wie mir ist, mag ich nicht.

Seid glücklich! Bald sehn wir uns, so Gott will, fröhlich wieder. Felix
Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862) Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)

Mein freundlicher Patient läßt mir ohngefähr eben so viel Raum wie meine officielle ExcellenzMünster-Ledenburg, Ernst Friedrich Herbert Graf zu (1766-1839) Zeit, dh. blutwenig, und ein Postscript ist doch nur dann leicht, wenn man den Brief schon geschrieben hat. Dazu hat Felix die Adresse schon geschrieben, und mir ist, als sollten nun diese Zeilen offen ins Reisewetter hinein, in dem doch eigentlich die rechten Hochzeitfeiergedichte, Trompetenstöße und unendliches Glückwünschen gehn und stehen sollten, auf Briefbogen groß wie Quadratmeilen. Fasse sich da mal Einer kurz! Ich sinne mirs noch aus, während ich, einiger neuerworbener chirurgischer Kenntnisse voll, Felixens medicinische Confessions bestätige und bestärke: die Wunde geht gut und heilt still vorwärts, aber die Erschütterung, die die andere Seite des Knies, zwischen Haut und Fleisch, etwas inflammirt hat, verhält sich zur Wunde wie Prosa zur Poesie, ist nämlich gedehnter, kann sich noch auf einige Wochen in die Länge ziehen, bis Blutigel und Brodumschläge alle Materia peccant herausgezogen haben. Von irgend Gefahr oder Bedenklichkeit ist gar nicht die Rede, mich dauert nur der arme reiselustige Schelm, der vorher hier so munter auf und ab tobte, sich seine Zeit so schön zugeschnitten hatte, und der nun passen muß. Das mögt ihr Reformatoren nicht gern, – sagt ein gesetzter Mann meines Aussehens.

Dann wohl – unsereins hat so nen Zehrpfennig an Zeit immer vorräthig usw. aber solche lederne weise Reden haben wir so göttlich viele gehört in diesen Tagen, daß ich ganze Feuersbrunst damit auslöschen u. Erdbeben stillegen könnte. Wie es auf mich gewirkt hat, geht daraus hervor, daß ich wieder von meinem Loose anfange: „Nach dem höchsten trachtend, kommen kleine Gewinne in kleinen Ziehungen nicht in Betracht – auf 75000 £ ists abgesehen, und ein halbes Loos, von der letzten Ziehung mit gütigster Bemühung acquirirt, wird alle meine Wünsche krönen. Wovon soll ich mir sonst, falls der Krieg um sich greift, meine Leutnants Equipirung besorgen, oder wovon soll ich, falls das, wie wahrscheinlich, nicht geschehen will, und das alte Europa ja zu nüchtern wird, mich am SwanRiver in KaufürWald niederlassen, und dort sechs Örter gründen, nach meinem 5 Vor- und 1 Haupt Namen zu benennen?“ In diesem fehlt noch etwas, das Felix erklärt nicht bemerkt zu haben, daß die letzten Briefe von Haus richtig am letzten Dienstag angekommen sind. Das Hallische Musikfest mit dem Dr. SpontiniSpontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851) und übrigen Strophen ist vortrefflich! So was kommt mir vor, als ob das liebe alte Deutschland mal recht herzlich aufgähnte. An MühlenfelsMühlenfels, Ludwig von (1793-1861) soll ich bitten zu sagen, daß Felix ihm für den Fall eines möglichen Stelldichein, poste restante nach Düsseldorf schreibe. Ich bin so guten Muths bei dem Kniestück, das der gute Mensch jetzt setzt oder vielmehr liegt, daß ich mirs wohl thunlich denke, ihm im Lauf von 14 Tagen in die stage steigen zu sehen – die Dauer ist aber so unbestimmt, und vier Wochen wohl das Aeußerste. So müssen sich die Dinge auf den Kopf stellen, daß Einer den Ort zu verlassen brennt, wo ihm so gar wohl in seiner Haut gewesen ist, und daß ein Andrer seinen besten Genossen mit dem wahrsten Contentement abreisen sehen mußt. Es ist nur dumm, daß wir nicht heulende lustigere Schwärmer und Feuerkugeln in bunte Flitterwochen zu werfen haben. Ich habe doch herzlich, warm und ehrlich gratulirt, und so viel Glück gewünscht, als sich zwei liebe Wesen nur bereiten können! Wo nicht, so thue ichs hier. Der Bruder, dem ich davon noch auf den Weg geben will, holt auch wohl für mich noch nach im November. Die Zeit fliegt ja – ich bleibe

CKl.
            London 2 Oct. 29. Morgen ist der Hochzeittag meiner Schwester, und heut höre ich doch weder Glockenläuten noch eine frohe Orgel, und sehe keine bunten Prachtkleider, denn ich bin so sehr fern. – Und meine Gedanken sind nicht feyerlich und hoch bewegt, sondern sie sind bitter und müde. Ich sehne mich fort von hier; fort, fort und weit fort, und kann es doch noch nicht, das macht mich bitter und müde. Seit sechs Jahren hab ich mir den Hochzeittag meiner Schwester ausgemalt; seit meiner Entfernung von Euch frug ich mich wenn ich nachdenkend war, wo mich der Tag treffen würde, wie er mich bewegen würde. Morgen ist der Tag, und übermorgen wird er vorbey sein, und dann schlinge sich doch eine Reihe von SegensAugenblicken aus dem heitersten Himmel, und machen Euch so glücklich, als wie Ihr mein Leben macht. Aber heut und morgen sieht alles wüst aus um mich, denn weit fort möchte ich sein.
Ich werde Euch wohl früher wiedersehen, als ich glaubte, und das kommt davon her, daß ich hier länger bleiben muß, als ich glaubte; und frühestens Ende dieses Monats erlaubt mir Kind von hier abzureisen und meine Holländ. Absichten zerfallen damit von selbst. Ihr müßt Euch mich nämlich noch immer so wie vor 8 Tagen, nämlich mit ungekrümmten Beine auf dem Sopha denken, die Sache zieht sich sehr in die Länge, ich glaubte als ich das letztemal an Euch schrieb, heut würde ich hüpfen, wie ein Lamm. Indeß war die Contusion, die ich beim Fallen erhielt, doch ziemlich bedeutend, und verursachte auf der entgegengesetzten Seite von der besprochnen Fleischwunde, die sehr gesund nur etwas langsam zuheilt, eine Entzündung derer Theile, die zunächst unter der Haut pp. Was Teufel weiß ichs, wie sies nennen; Klingem. wirds berichten, der ist ein halber Wundarzt geworden, denn er weicht nicht von meinem Zimmer, und ist mein Glück und mein Trost; ich glaube, er würde mich päppeln wenn ich nicht von selbst heillos fräße. Nun also, die Sache ist lang, lang und lang, indessen ohne Bedeutung und Gefahr; erfordert von meiner Seite nur Geduld und Langeweile, und von des Doctors Seite Brodumschläge und einige Bataillon Blutigel; (6 pence kostet das Stück, überhaupt Vaters Kasse!!) Die haben sich nun in den vorigen Tagen sattgesogen, und ich bin matt und lese schlechte Romane; lasse mir übrigens nichts abgehn (denn Goldschmidt hat erzählt, daß Vater in Hamburg viel Geld gewonnen hat, und das muß doch verbraucht werden?) spreche Engl. auf Todschlagen, bin entsetzlich stupide und fade in allen meinen Aeußerungen; und rufe ich mir dann zuweilen zurück, morgen sey der Hochzeittag meiner Schwester, so verstehe ich zwar eigentlich nicht den ganzen Umfang von solchen Gedanken, aber aus alter Gewohnheit wird mir weich und seltsam ums Herz.
Es geht die Zeit pfeilschnell, obgleich die Minuten schleichen; der Morgen verfliegt, am Mittag kommen Besuche, Klingem. ist immer bei mir und ich werde ihm nie danken können, was er mich jetzt beglückt, dann wirds wieder dämmrig, dann erscheint wieder das dicke Mädchen mit dem Essen, dann brennt das lange magre Nachtlicht wieder vor meinem Bette, und dann sehe ich wieder nach, ob der Tag bald dämmern will. Noch so und so viel magre Nachtlichter und ich bin wieder bei Euch; ich möchte, ich wäre schon da, aber die Zeit geht pfeilschnell, wie gesagt; und rauscht an mir vorüber, wie ein Traum; Menschen, Empfindungen, Wetterveränderungen alles rauscht so vorbey und wecken mich für Momente aus diesen Träumen; so weckt mich Sir Georges Bedienter mit seines Herrn Complimenten und schönen Rebhünern, die er schickt, oder der alte Attwood mit einer Composition die er mir schenkt, oder Dance mit einer Copie eines Liedes seiner Tochter, oder mit 2 Torten die mir seine alte Frau schickt, weil sie mir einmal bei ihr geschmeckt haben, oder Göschen mit schönen Erdbeeren, und jeder thut mir Liebes und Freundliches an; das geht alles vorbey an mir, und rauscht vorüber, und so wird die Zeit bald vorüber sein. Morgen ist nun meiner Fanny Hochzeittag, und der Segen meines Herzens ruhe, ruhe auf Dir.
So seid mir denn alle gegrüßt für heut; verzeiht den dummen verstimmten Brief; ich schrieb Euch, das grad liegende Bein mache auch die Hand und den Styl steif, nicht das Herz, denn das ist mir durch den morgenden Tag so sehr bewegt, daß ich Euch nicht froher schreiben konnte, und anders wie mir ist, mag ich nicht.
Seid glücklich! Bald sehn wir uns, so Gott will, fröhlich wieder. Felix
Mein freundlicher Patient läßt mir ohngefähr eben so viel Raum wie meine officielle Excellenz Zeit, dh. blutwenig, und ein Postscript ist doch nur dann leicht, wenn man den Brief schon geschrieben hat. Dazu hat Felix die Adresse schon geschrieben, und mir ist, als sollten nun diese Zeilen offen ins Reisewetter hinein, in dem doch eigentlich die rechten Hochzeitfeiergedichte, Trompetenstöße und unendliches Glückwünschen gehn und stehen sollten, auf Briefbogen groß wie Quadratmeilen. Fasse sich da mal Einer kurz! Ich sinne mirs noch aus, während ich, einiger neuerworbener chirurgischer Kenntnisse voll, Felixens medicinische Confessions bestätige und bestärke: die Wunde geht gut und heilt still vorwärts, aber die Erschütterung, die die andere Seite des Knies, zwischen Haut und Fleisch, etwas inflammirt hat, verhält sich zur Wunde wie Prosa zur Poesie, ist nämlich gedehnter, kann sich noch auf einige Wochen in die Länge ziehen, bis Blutigel und Brodumschläge alle Materia peccant herausgezogen haben. Von irgend Gefahr oder Bedenklichkeit ist gar nicht die Rede, mich dauert nur der arme reiselustige Schelm, der vorher hier so munter auf und ab tobte, sich seine Zeit so schön zugeschnitten hatte, und der nun passen muß. Das mögt ihr Reformatoren nicht gern, – sagt ein gesetzter Mann meines Aussehens.
Dann wohl – unsereins hat so nen Zehrpfennig an Zeit immer vorräthig usw. aber solche lederne weise Reden haben wir so göttlich viele gehört in diesen Tagen, daß ich ganze Feuersbrunst damit auslöschen u. Erdbeben stillegen könnte. Wie es auf mich gewirkt hat, geht daraus hervor, daß ich wieder von meinem Loose anfange: „Nach dem höchsten trachtend, kommen kleine Gewinne in kleinen Ziehungen nicht in Betracht – auf 75000 £ ists abgesehen, und ein halbes Loos, von der letzten Ziehung mit gütigster Bemühung acquirirt, wird alle meine Wünsche krönen. Wovon soll ich mir sonst, falls der Krieg um sich greift, meine Leutnants Equipirung besorgen, oder wovon soll ich, falls das, wie wahrscheinlich, nicht geschehen will, und das alte Europa ja zu nüchtern wird, mich am SwanRiver in KaufürWald niederlassen, und dort sechs Örter gründen, nach meinem 5 Vor- und 1 Haupt Namen zu benennen?“ In diesem fehlt noch etwas, das Felix erklärt nicht bemerkt zu haben, daß die letzten Briefe von Haus richtig am letzten Dienstag angekommen sind. Das Hallische Musikfest mit dem Dr. Spontini und übrigen Strophen ist vortrefflich! So was kommt mir vor, als ob das liebe alte Deutschland mal recht herzlich aufgähnte. An Mühlenfels soll ich bitten zu sagen, daß Felix ihm für den Fall eines möglichen Stelldichein, poste restante nach Düsseldorf schreibe. Ich bin so guten Muths bei dem Kniestück, das der gute Mensch jetzt setzt oder vielmehr liegt, daß ich mirs wohl thunlich denke, ihm im Lauf von 14 Tagen in die stage steigen zu sehen – die Dauer ist aber so unbestimmt, und vier Wochen wohl das Aeußerste. So müssen sich die Dinge auf den Kopf stellen, daß Einer den Ort zu verlassen brennt, wo ihm so gar wohl in seiner Haut gewesen ist, und daß ein Andrer seinen besten Genossen mit dem wahrsten Contentement abreisen sehen mußt. Es ist nur dumm, daß wir nicht heulende lustigere Schwärmer und Feuerkugeln in bunte Flitterwochen zu werfen haben. Ich habe doch herzlich, warm und ehrlich gratulirt, und so viel Glück gewünscht, als sich zwei liebe Wesen nur bereiten können! Wo nicht, so thue ichs hier. Der Bruder, dem ich davon noch auf den Weg geben will, holt auch wohl für mich noch nach im November. Die Zeit fliegt ja – ich bleibe
CKl.          
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-10-02" xml:id="date_69212167-6343-4eb1-a0f6-ee2dad96cc29">2. Oktober 1829</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0112434" resp="author" xml:id="persName_0957494f-28ad-4098-af12-b2dbf8f8c5ff">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</persName> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_2be5577a-a6b6-412f-961a-0ae6e35d9072">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><persName key="PSN0112434" resp="writer">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_25afb4aa-55a1-4641-b24d-ec57967317a8"> <settlement key="STM0100126">London</settlement> <country>Großbritannien</country></placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113241" resp="receiver" xml:id="persName_2af7aa8a-1e4a-4c01-96a3-99951b19f1b9">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_7346a9c7-2ec1-45c0-a34d-4849e1dcea23"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country></placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_228d00f9-edf4-4228-a8a9-f9771499f611"> <docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <dateline rend="right">London <date cert="high" when="1829-10-02" xml:id="date_33d7f00f-a51d-4915-8aca-78f67d7a1e4e">2 Oct. 29</date>.</dateline> <p style="paragraph_without_indent">Morgen ist der Hochzeittag meiner <persName xml:id="persName_30beb100-23ac-451e-9d45-1c7333ec5960">Schwester<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>, und heut höre ich doch weder Glockenläuten noch eine frohe Orgel, und sehe keine bunten Prachtkleider, denn ich bin so sehr fern. – Und meine Gedanken sind nicht feyerlich und hoch bewegt, sondern sie sind bitter und müde. Ich sehne mich fort von hier; fort, fort und weit fort, und kann es doch noch nicht, das macht mich bitter und müde. Seit sechs Jahren hab ich mir den Hochzeittag meiner <persName xml:id="persName_44217f8e-c658-4de5-b8c8-fbf0cf2876bf">Schwester<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> ausgemalt; seit meiner Entfernung von Euch frug ich mich wenn ich nachdenkend war, wo mich der Tag treffen würde, wie er mich bewegen würde. Morgen ist der Tag, und übermorgen wird er vorbey sein, und dann schlinge sich doch eine Reihe von SegensAugenblicken aus dem heitersten Himmel, und machen Euch so glücklich, als wie Ihr mein Leben macht. Aber heut und morgen sieht alles wüst aus um mich, denn weit fort möchte ich sein.</p> <p>Ich werde Euch wohl früher wiedersehen, als ich glaubte, und das kommt davon her, daß ich hier länger bleiben muß, als ich glaubte; und frühestens Ende dieses Monats erlaubt mir <persName xml:id="persName_28290888-0ac1-4996-9392-37180ad87b62">Kind<name key="PSN0112378" style="hidden">Kind, Carl Maximilian (1801-1831)</name></persName> von hier abzureisen und meine Holländ. Absichten zerfallen damit von selbst. Ihr müßt Euch mich nämlich noch immer so wie vor 8 Tagen, nämlich mit ungekrümmten Beine auf dem Sopha denken, die Sache zieht sich sehr in die Länge, ich glaubte als ich das letztemal an Euch schrieb, heut würde ich hüpfen, wie ein Lamm. Indeß war die Contusion, die ich beim Fallen erhielt, doch ziemlich bedeutend, und verursachte auf der entgegengesetzten Seite von der besprochnen Fleischwunde, die sehr gesund nur etwas langsam zuheilt, eine Entzündung derer Theile, die zunächst unter der Haut pp. Was Teufel weiß ichs, wie sies nennen; Klingem. wirds berichten, der ist ein halber Wundarzt geworden, denn er weicht nicht von meinem Zimmer, und ist mein Glück und mein Trost; ich glaube, er würde mich päppeln wenn ich nicht von selbst heillos fräße. Nun also, die Sache ist lang, lang und lang, indessen ohne Bedeutung und Gefahr; erfordert von meiner Seite nur Geduld und Langeweile, und von des <persName xml:id="persName_046f3930-60f0-49ce-95c3-d532dab686f4">Doctors<name key="PSN0112378" style="hidden">Kind, Carl Maximilian (1801-1831)</name></persName> Seite Brodumschläge und einige Bataillon Blutigel; (6 pence kostet das Stück, überhaupt <persName xml:id="persName_5d9cc8ce-4e7d-4696-bcf1-e14a809f00d5">Vaters<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> Kasse!!) Die haben sich nun in den vorigen Tagen sattgesogen, und ich bin matt und lese schlechte Romane; lasse mir übrigens nichts abgehn (denn <persName xml:id="persName_d875e2f4-d143-4ffb-ba45-b7b21c1cba61">Goldschmidt<name key="PSN0111441" style="hidden">Goldschmidt (Goldsmith), Adolph (Adolf, Adolphus) (1798-1879)</name></persName> hat erzählt, daß <persName xml:id="persName_81ca28db-a0bc-4fe6-89cd-ed19dff7bf50">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> in Hamburg viel Geld gewonnen hat, und das muß doch verbraucht werden?) spreche Engl. auf Todschlagen, bin entsetzlich stupide und fade in allen meinen Aeußerungen; und rufe ich mir dann zuweilen zurück, morgen sey der Hochzeittag meiner <persName xml:id="persName_1fc06fde-8e6e-4404-bbd4-fcddfd0c7b68">Schwester<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName>, so verstehe ich zwar eigentlich nicht den ganzen Umfang von solchen Gedanken, aber aus alter Gewohnheit wird mir weich und seltsam ums Herz.</p> <p>Es geht die Zeit pfeilschnell, obgleich die Minuten schleichen; der Morgen verfliegt, am Mittag kommen Besuche, Klingem. ist immer bei mir und ich werde ihm nie danken können, was er mich jetzt beglückt, dann wirds wieder dämmrig, dann erscheint wieder das dicke Mädchen mit dem Essen, dann brennt das lange magre Nachtlicht wieder vor meinem Bette, und dann sehe ich wieder nach, ob der Tag bald dämmern will. Noch so und so viel magre Nachtlichter und ich bin wieder bei Euch; ich möchte, ich wäre schon da, aber die Zeit geht pfeilschnell, wie gesagt; und rauscht an mir vorüber, wie ein Traum; Menschen, Empfindungen, Wetterveränderungen alles rauscht so vorbey und wecken mich für Momente aus diesen Träumen; so weckt mich <persName xml:id="persName_d296267e-a5e5-41b3-b2b3-4550d8fc1b14">Sir Georges<name key="PSN0114944" style="hidden">Smart, Sir George Thomas (1776-1867)</name></persName> Bedienter mit seines Herrn Complimenten und schönen Rebhünern, die er schickt, oder der alte <persName xml:id="persName_e6e526f8-4271-4eea-8241-fe35016c21b9">Attwood<name key="PSN0109576" style="hidden">Attwood, Thomas (1765-1838)</name></persName> mit einer Composition die er mir schenkt, oder <persName xml:id="persName_b4af03e9-8d74-4561-8d35-8637bc2e8717">Dance<name key="PSN0110546" style="hidden">Dance, William (1755-1840)</name></persName> mit einer Copie eines Liedes <persName xml:id="persName_25f2d775-8955-412d-8974-6f4fa547787f">seiner Tochter<name key="PSN0110545" style="hidden">Dance, Sophia Louisa</name></persName>, oder mit 2 Torten die mir <persName xml:id="persName_7d14ea30-a300-4fb0-ba84-fc8e8ff161f0">seine alte Frau<name key="PSN0110544" style="hidden">Dance, Mrs.</name></persName> schickt, weil sie mir einmal bei ihr geschmeckt haben, oder <persName xml:id="persName_8c68b60f-a77f-4b2b-be8e-8764831a24ec">Göschen<name key="PSN0111482" style="hidden">Göschen (Goschen), Wilhelm Heinrich (William Henry) (1793-1866)</name></persName> mit schönen Erdbeeren, und jeder thut mir Liebes und Freundliches an; das geht alles vorbey an mir, und rauscht vorüber, und so wird die Zeit bald vorüber sein. Morgen ist nun meiner Fanny Hochzeittag, und der Segen meines Herzens ruhe, ruhe auf Dir.</p> <p>So seid mir denn alle gegrüßt für heut; verzeiht den dummen verstimmten Brief; ich schrieb Euch, das grad liegende Bein mache auch die Hand und den Styl steif, nicht das Herz, denn das ist mir durch den morgenden Tag so sehr bewegt, daß ich Euch nicht froher schreiben konnte, und anders wie mir ist, mag ich nicht.</p> <closer rend="left" xml:id="closer_0c5305bc-aa55-447e-b8c7-6b0860fdb8ae">Seid glücklich! Bald sehn wir uns, so Gott will, fröhlich wieder.</closer> <signed rend="right">Felix</signed> </div> <div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_f25e1550-ef82-44d3-ad59-42c1a28cdc07"> <docAuthor key="PSN0112434" resp="author" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0112434" resp="writer" style="hidden">Klingemann, Ernst Georg Carl Christoph Konrad (1798-1862)</docAuthor> <p style="paragraph_without_indent">Mein freundlicher Patient läßt mir ohngefähr eben so viel Raum wie meine <persName xml:id="persName_38a74dce-a424-4ca5-ae1c-6710e139e0c4">officielle Excellenz<name key="PSN0113521" style="hidden">Münster-Ledenburg, Ernst Friedrich Herbert Graf zu (1766-1839)</name></persName> Zeit, dh. blutwenig, und ein Postscript ist doch nur dann leicht, wenn man den Brief schon geschrieben hat. Dazu hat Felix die Adresse schon geschrieben, und mir ist, als sollten nun diese Zeilen offen ins Reisewetter hinein, in dem doch eigentlich die rechten Hochzeitfeiergedichte, Trompetenstöße und unendliches Glückwünschen gehn und stehen sollten, auf Briefbogen groß wie Quadratmeilen. Fasse sich da mal Einer kurz! Ich sinne mirs noch aus, während ich, einiger neuerworbener chirurgischer Kenntnisse voll, Felixens medicinische Confessions bestätige und bestärke: die Wunde geht gut und heilt still vorwärts, aber die Erschütterung, die die andere Seite des Knies, zwischen Haut und Fleisch, etwas inflammirt hat, verhält sich zur Wunde wie Prosa zur Poesie, ist nämlich gedehnter, kann sich noch auf einige Wochen in die Länge ziehen, bis Blutigel und Brodumschläge alle Materia peccant herausgezogen haben. Von irgend Gefahr oder Bedenklichkeit ist gar nicht die Rede, mich dauert nur der arme reiselustige Schelm, der vorher hier so munter auf und ab tobte, sich seine Zeit so schön zugeschnitten hatte, und der nun passen muß. Das mögt ihr Reformatoren nicht gern, – sagt ein gesetzter Mann meines Aussehens.</p> <p>Dann wohl – unsereins hat so nen Zehrpfennig an Zeit immer vorräthig usw. aber solche lederne weise Reden haben wir so göttlich viele gehört in diesen Tagen, daß ich ganze Feuersbrunst damit auslöschen u. Erdbeben stillegen könnte. Wie es auf mich gewirkt hat, geht daraus hervor, daß ich wieder von meinem Loose anfange: „Nach dem höchsten trachtend, kommen kleine Gewinne in kleinen Ziehungen nicht in Betracht – auf 75000 £ ists abgesehen, und ein halbes Loos, von der letzten Ziehung mit gütigster Bemühung acquirirt, wird alle meine Wünsche krönen. Wovon soll ich mir sonst, falls der Krieg um sich greift, meine Leutnants Equipirung besorgen, oder wovon soll ich, falls das, wie wahrscheinlich, nicht geschehen will, und das alte Europa ja zu nüchtern wird, mich am SwanRiver in KaufürWald niederlassen, und dort sechs Örter gründen, nach meinem 5 Vor- und 1 Haupt Namen zu benennen?“ In diesem fehlt noch etwas, das Felix erklärt nicht bemerkt zu haben, daß die letzten Briefe von Haus richtig am letzten Dienstag angekommen sind. Das Hallische Musikfest mit dem <persName xml:id="persName_8b7bda4c-c3a6-451b-897d-95f1b04a1e6a">Dr. Spontini<name key="PSN0115037" style="hidden">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name></persName> und übrigen Strophen ist vortrefflich! So was kommt mir vor, als ob das liebe alte Deutschland mal recht herzlich aufgähnte. An <persName xml:id="persName_c512fc5e-c897-4d13-aa00-29a1b1a4f53a">Mühlenfels<name key="PSN0113471" style="hidden">Mühlenfels, Ludwig von (1793-1861)</name></persName> soll ich bitten zu sagen, daß Felix ihm für den Fall eines möglichen Stelldichein, poste restante nach Düsseldorf schreibe. Ich bin so guten Muths bei dem Kniestück, das der gute Mensch jetzt setzt oder vielmehr liegt, daß ich mirs wohl thunlich denke, ihm im Lauf von 14 Tagen in die stage steigen zu sehen – die Dauer ist aber so unbestimmt, und vier Wochen wohl das Aeußerste. So müssen sich die Dinge auf den Kopf stellen, daß Einer den Ort zu verlassen brennt, wo ihm so gar wohl in seiner Haut gewesen ist, und daß ein Andrer seinen besten Genossen mit dem wahrsten Contentement abreisen sehen mußt. Es ist nur dumm, daß wir nicht heulende lustigere Schwärmer und Feuerkugeln in bunte Flitterwochen zu werfen haben. Ich habe doch herzlich, warm und ehrlich gratulirt, und so viel Glück gewünscht, als sich zwei liebe Wesen nur bereiten können! Wo nicht, so thue ichs hier. Der Bruder, dem ich davon noch auf den Weg geben will, holt auch wohl für mich noch nach im November. <seg type="closer" xml:id="seg_b57ff853-4cfb-4f99-8bfe-9202ee90ec30">Die Zeit fliegt ja – ich bleibe </seg></p> <signed rend="right">CKl.</signed> </div> </body> </text></TEI>