fmb-1829-05-19-02
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London, 19. Mai 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse.
Felix Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Dies soll eigentlich gar nicht für einen Brief gelten, denn um Dir ordentlich zu schreiben fehlt mir jetzt die Zeit; da ich heut um 4 nach dem Unterhause muß, wo sie
London 19 May 29. Lieber Devrient Dies soll eigentlich gar nicht für einen Brief gelten, denn um Dir ordentlich zu schreiben fehlt mir jetzt die Zeit; da ich heut um 4 nach dem Unterhause muß, wo sie Hrn. O’connell peinigen wollen, und nachher noch in zwei Gesellschaften gehe (Deine Frau wird gleich finden, daß ich Hensel copire, aber ich halt’s für meine Schuldigkeit, alles mitzunehmen) . Es soll nur eine Danksagung sein, dafür daß Du der einzige bist, der mir bisjetzt geschrieben, und mich dadurch innerlich erfreut hat, und eine Bitte mir recht oft so ein Paar Worte zukommen zu lassen, es findet sich ja mancher müßige Augenblick, etwa in den Zwischenacten; ich dächte mir einen Brief, datirt: Alcidor, in der Zeit, wo sonst Bücher gelesen werden, oder: Agnes v. Hohenstoff, während die Milder eine Arie singt. Kurz schreib nur wieder und bald. – Ich lebe hier glücklich und froh, sobald ich Musik und Musiker um mich herum ignoriren kann, und das geht zum Glück leicht; wollte ich meine Meinung über ihre Musik ihnen sagen, so hielten sie mich für grob, und wollte ich von Musik überhaupt sprechen, so hielten sie mich für ganz toll. Da schenke ich es ihnen lieber, und gehe umher, und sehe mir die wunderschöne Stadt und das Leben auf den Straßen an; oder fahre auf dem Wasser zwischen den Brücken, Kauffartheischiffen und Kirchthürmen, oder gehe aufs Land, wo der Frühling mit seinem prächtigen Grün und seinen Blüten schon gekommen ist, und rührend schön duftet, oder kaufe mir von einem alten schreienden Weib im Gedränge Maiblumen; darin ist wohl etwas mehr Musik, als in allen den Concerten, deren ich eins gestern überstand, eines morgen aushalten werde, und eines Freitag leiden muß. – Es scheint, daß die Passionseindrücke verwischt oder verdorben sind; das thut mir leid; so war die ganze Sache nur ein Versuch, was man leisten kann, und wir müssen denn mit dem Resultate und mit der Hoffnung zufrieden sein; daß Du aber nicht nach dem Musikfeste gehn kannst, thut mir Leid in Deine Seele hinein, Du würdest Dich und andre sehr erfreut haben. Hol manchen Schurken der Teufel, hier laufen auch viele ungehängt herum, womit ich nicht die Taschendiebe meine. – Sonderbar war mirs neulich, als ich den Messias hörte, wie so alle Noten dieselben waren, und jeder Eintritt auf Deutsch ebenso war, wie auf Englisch, und wie dieselbe Musik dieselbe Sprache überall spricht; und doch rief’s aus jeder Note deutlich heraus, daß es Engländer wären, die sie spielten, und daß ihnen wenig daran läge. Der Buchstabe war da, aber der Geist fehlte, und da der erste tödtet, so war überall das Leben fort. Über die Singerey der Engländer schreibe ich nichts, sondern copire sie Dir im December, und sehe Dich vom Stuhl fallen vor Lachen; Du mußt einen englischen Sänger auf’s Theater bringen. Auch die Italiänischen Sänger gefallen mir nicht recht; der gefeierte Donzelli singt überall zu hoch, und schreit gräßlich; dagegen ist die Malibran nie genug zu preisen. Es giebt Stimmen, deren bloßer Ton einen zum Weinen stimmt, solche hat sie, und singt damit sehr ernsthaft und feurig und zart, und kann auch spielen. Du solltest sie sehen! Bauer hat mir durch seinen Brief an Mühlenfels, der ihm nächstens antwortet, den größten Gefallen gethan. M. ist ein herrlicher Mensch, den ich trotz der kurzen Zeit unsrer Bekanntschaft sehr liebgewonnen habe. Eben geht der verfluchte Veluti vor meinem Fenster vorbey; er ist ein erbärmlicher, jämmerlicher Kerl, dessen Gesang mich so anekelte, daß ich in der Nacht davon träumte. Er sang ein Duett mit der Sontag, die ein Concert für die Danziger giebt, worin ich mich auszeichnen will durch Passagen, so Gott will. – Verzeih den schlechten Brief, ich wurde von Visiten unterbrochen und zerstreut. Leb wohl, grüß Frau und Kinder von mir; genieß den Frühling, und sei froh; wir werden wohl noch mit einander Musik machen; denn die Kunst hält jetzt still (im doppelten Sinn) und an uns soll es nicht fehlen. Einstweilen ist es heller, heitrer Frühling. Das ist auch gut. F.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-05-19" xml:id="date_91ac35fb-d7a9-4be0-9814-bae0f3cb73b7">19. 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Hohenstoff<name key="PSN0115037" style="hidden" type="author">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name><name key="CRT0110963" style="hidden" type="music">Agnes von Hohenstaufen</name></title>, während die <persName xml:id="persName_93bc1ac3-c84d-4245-984e-836f525827c9">Milder<name key="PSN0113344" style="hidden">Milder-Hauptmann, Pauline Anna (1785-1838)</name></persName> eine Arie singt. Kurz schreib nur wieder und bald. – Ich lebe hier glücklich und froh, sobald ich Musik und Musiker um mich herum ignoriren kann, und das geht zum Glück leicht; wollte ich meine Meinung über ihre Musik ihnen sagen, so hielten sie mich für grob, und wollte ich von Musik überhaupt sprechen, so hielten sie mich für ganz toll. Da schenke ich es ihnen lieber, und gehe umher, und sehe mir die wunderschöne Stadt und das Leben auf den Straßen an; oder fahre auf dem Wasser zwischen den Brücken, Kauffartheischiffen und Kirchthürmen, oder gehe aufs Land, wo der Frühling mit seinem prächtigen Grün und seinen Blüten schon gekommen ist, und rührend schön duftet, oder kaufe mir von einem alten schreienden Weib im Gedränge Maiblumen; darin ist wohl etwas mehr Musik, als in allen den Concerten, deren ich eins gestern überstand, eines morgen aushalten werde, und eines Freitag leiden muß. – Es scheint, daß die <title xml:id="title_0e6a1484-8c0c-4af2-a2f6-9c0600aa5261">Passionseindrücke<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107794" style="hidden" type="music">Matthäus-Passion BWV 244</name></title> verwischt oder verdorben sind; das thut mir leid; so war die ganze Sache nur ein Versuch, was man leisten kann, und wir müssen denn mit dem Resultate und mit der Hoffnung zufrieden sein; daß Du aber nicht nach dem Musikfeste gehn kannst, thut mir Leid in Deine Seele hinein, Du würdest Dich und andre sehr erfreut haben. Hol manchen Schurken der Teufel, hier laufen auch viele ungehängt herum, womit ich nicht die Taschendiebe meine. – Sonderbar war mirs neulich, als ich den <title xml:id="title_94cc95be-15ea-4843-9d33-2deea6883fab">Messias<name key="PSN0111693" style="hidden" type="author">Händel, Georg Friedrich (1685-1759)</name><name key="CRT0108996" style="hidden" type="music">Messiah HWV 56</name></title> hörte, wie so alle Noten dieselben waren, und jeder Eintritt auf Deutsch ebenso war, wie auf Englisch, und wie dieselbe Musik dieselbe Sprache überall spricht; und doch rief’s aus jeder Note deutlich heraus, daß es Engländer wären, die sie spielten, und daß ihnen wenig daran läge. Der Buchstabe war da, aber der Geist fehlte, und da der erste tödtet, so war überall das Leben fort. Über die Singerey der Engländer schreibe ich nichts, sondern copire sie Dir im December, und sehe Dich vom Stuhl fallen vor Lachen; Du mußt einen englischen Sänger auf’s Theater bringen. Auch die Italiänischen Sänger gefallen mir nicht recht; der gefeierte <persName xml:id="persName_69816ce7-0f4d-430e-9827-72739bed3e9c">Donzelli<name key="PSN0110708" style="hidden">Donzelli, Domenico (1790-1873)</name></persName> singt überall zu hoch, und schreit gräßlich; dagegen ist die <persName xml:id="persName_43f74c73-c55b-41b6-b1a7-952b31a37199">Malibran<name key="PSN0113047" style="hidden">Malibran, María Felicità (1808-1836)</name></persName> nie genug zu preisen. Es giebt Stimmen, deren bloßer Ton einen zum Weinen stimmt, solche hat sie, und singt damit sehr ernsthaft und feurig und zart, und kann auch spielen. 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Eben geht der verfluchte <persName xml:id="persName_4708ef34-8ef7-4eea-9a93-1c992fff5221">Veluti<name key="PSN0115475" style="hidden">Velluti, Giovanni Battista (1781-1861)</name></persName> vor meinem Fenster vorbey; er ist ein erbärmlicher, jämmerlicher Kerl, dessen Gesang mich so anekelte, daß ich in der Nacht davon träumte. Er sang ein Duett mit der <persName xml:id="persName_184c4e97-39cf-4e1c-b0d6-8b750b655b12">Sontag<name key="PSN0114969" style="hidden">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName>, die ein Concert für die Danziger giebt, worin ich mich auszeichnen will durch Passagen, so Gott will. – Verzeih den schlechten Brief, ich wurde von Visiten unterbrochen und zerstreut. Leb wohl, grüß <persName xml:id="persName_26963b34-9ee2-45c5-b20e-25e43110c5d1">Frau und Kinder<name key="PSN0110624" style="hidden">Devrient, Familie von → Philipp Eduard D.</name></persName> von mir; genieß den Frühling, und sei froh; wir werden wohl noch mit einander Musik machen; denn die Kunst hält jetzt still (im doppelten Sinn) und an uns soll es nicht fehlen. Einstweilen ist es heller, heitrer Frühling. Das ist auch gut. <seg type="signed">F. </seg></p></div></body> </text></TEI>