fmb-1829-05-10-01
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London, 9. und 10. Mai 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
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Lea Mendelssohn Bartholdy
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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Heut ist d. 1. warme Frühlingstag in L.; und so wenig die lebhafteste Einbildungskraft die Gletscher d. Schweiz sich vorstellen kann ohne sie zu kennen, eben so wenig d. 1. Frühlingstag in L., die rauchigen Häuser haben sich geöffnet und die Menschen strömen v. allen Seiten herbei. Dennoch will ich Dir jetzt schreiben; mir ist gerade so wohl und leicht und fröhlich und doch sehr einsam; vielleicht kommt auch d. Br. zu Deinem Geburtstage an; dann möge er Dir Glück, Heiterkeit und fortdauernde Kraft bringen, und Dich erinnern daß auch in großer Ferne mein innerlichstes Herz immer bei Dir ist und bei Euch allen, und daß ich die großen Schauspiele um mich herum wie ein Panorama genieße und daß mir bei dem Gedanken an Dich und Euch alle mitten im tollen Treiben sehr ruhig und gar nicht traurig, nur sehr wirr zu Muthe wird. – Heut ist es nun himmlisch schön. Eben war ich in einer langen Straße die sehr nett ist; auf d. 1. Seite stehen abwechselnd hohe, braune Häuser (aus Ziegelsteinen, mit Schildern und koloßal. Buchstab. himmelhohen Schornsteinen und elegant. Läden) und herzogl. Palläste, auf d. andern Seite ein zierliches eisernes Gitter, in der Ferne steht 1 Triumphbogen. Auf d. Straße zwischen d. Gitt. und d. Häusern ist eben d. tollste Lärm; die Stutzer galopiren, die alten Lords reiten langsam, die Kinder traben auf Füllen umher; prächt. équipagen mit Goldgeschirr und sammtnen Bedienten warten auf einen Kohlenwagen, der mit seinen Elephantenpferden den Durchgang sperrt; daneben schmutzige Miethswagen in langer Reihe; Bettler und Pöbel gehen neben den Gräfinnen die schön sind und sehr englischkalt aussehen und denen gepuderte Lakaien mit Atlashosen folgen; ein Kerl läutet mit einer großen Glocke Briefe aus; ein andrer singt eine neue Arie und hält die Hand hohl um sogleich die Pfennige zu empfangen; (ein aufrichtiger Künstler) einer spielt d. schottisch. Dudelsack; die meisten Herren führen an jedem Arm eine Dame; aus d. Kutschen gucken gedrängt viele Gesichter heraus, 6 Postwagen mit aufgethürmten Menschen auf dem Verdeck jagen nach einander herein, die Läden wimmeln, das ist die Straße. Durch das eiserne Gitter siehst Du aber auf eine weite grüne einsame Wiese, auf der die bunten Kühe weiden und wiederkäuen, und hin und wieder steht ein Baum, in weiter Ferne werden sie dichter und zum Gehölz; am Horizont ragen in die blaue Luft die weißen Thürme v. Westminster drüber hinaus; der Nebel der die Straßen bis jetzt dick einhüllte, ist heut zum Duft geworden, der die ganze Ferne himmelblau färbt und die Wolken oben gehn eben so munter spatzieren wie die Menschen unten. In der Mitte d. geputzten Herren die eigentl. ambulante Modekupfer sind, geht einer sehr bedächtig und vergnügt; derselbe bin ich. An den Straßenecken steht mit dicken schwarzen Buchstaben auf d. weißen Mauer „Piccadilly, so heißt d. Straße wenn Dich einer fragt; da war ich nun vor 1 2
und wird auch so getrieben, erneuert sich wie sie und ist, wie sie, Gegenstand d. conversation. – Könntest Du d. heut. Tag sehen! ich sitze am offnen Fenster, das Kaminfeuer brennt noch, ein dicker Duft strömt herein; meine Freunde erwarte ich um mit ihnen über die Wiesen spatzieren zu gehen; es ist Sonntag und die Kirchenglocken neben mir läuten hell. Nimm Deine stärkste Fantasie zusammen und denk Dir d. Frühling um einen Punkt schöner! Es geht nicht! Gott sende Dir heut so viel Wärme und Heiterkeit wie ich hier habe. Die Blumenmänner schreien entsetzl. unten, meine
Lond. 9. MaiLieber Marx! Heut ist d. 1. warme Frühlingstag in L. ; und so wenig die lebhafteste Einbildungskraft die Gletscher d. Schweiz sich vorstellen kann ohne sie zu kennen, eben so wenig d. 1. Frühlingstag in L., die rauchigen Häuser haben sich geöffnet und die Menschen strömen v. allen Seiten herbei. Dennoch will ich Dir jetzt schreiben; mir ist gerade so wohl und leicht und fröhlich und doch sehr einsam; vielleicht kommt auch d. Br. zu Deinem Geburtstage an; dann möge er Dir Glück, Heiterkeit und fortdauernde Kraft bringen, und Dich erinnern daß auch in großer Ferne mein innerlichstes Herz immer bei Dir ist und bei Euch allen, und daß ich die großen Schauspiele um mich herum wie ein Panorama genieße und daß mir bei dem Gedanken an Dich und Euch alle mitten im tollen Treiben sehr ruhig und gar nicht traurig, nur sehr wirr zu Muthe wird. – Heut ist es nun himmlisch schön. Eben war ich in einer langen Straße die sehr nett ist; auf d. 1. Seite stehen abwechselnd hohe, braune Häuser (aus Ziegelsteinen, mit Schildern und koloßal. Buchstab. himmelhohen Schornsteinen und elegant. Läden) und herzogl. Palläste, auf d. andern Seite ein zierliches eisernes Gitter, in der Ferne steht 1 Triumphbogen. Auf d. Straße zwischen d. Gitt. und d. Häusern ist eben d. tollste Lärm; die Stutzer galopiren, die alten Lords reiten langsam, die Kinder traben auf Füllen umher; prächt. équipagen mit Goldgeschirr und sammtnen Bedienten warten auf einen Kohlenwagen, der mit seinen Elephantenpferden den Durchgang sperrt; daneben schmutzige Miethswagen in langer Reihe; Bettler und Pöbel gehen neben den Gräfinnen die schön sind und sehr englischkalt aussehen und denen gepuderte Lakaien mit Atlashosen folgen; ein Kerl läutet mit einer großen Glocke Briefe aus; ein andrer singt eine neue Arie und hält die Hand hohl um sogleich die Pfennige zu empfangen; (ein aufrichtiger Künstler) einer spielt d. schottisch. Dudelsack; die meisten Herren führen an jedem Arm eine Dame; aus d. Kutschen gucken gedrängt viele Gesichter heraus, 6 Postwagen mit aufgethürmten Menschen auf dem Verdeck jagen nach einander herein, die Läden wimmeln, das ist die Straße. Durch das eiserne Gitter siehst Du aber auf eine weite grüne einsame Wiese, auf der die bunten Kühe weiden und wiederkäuen, und hin und wieder steht ein Baum, in weiter Ferne werden sie dichter und zum Gehölz; am Horizont ragen in die blaue Luft die weißen Thürme v. Westminster drüber hinaus; der Nebel der die Straßen bis jetzt dick einhüllte, ist heut zum Duft geworden, der die ganze Ferne himmelblau färbt und die Wolken oben gehn eben so munter spatzieren wie die Menschen unten. In der Mitte d. geputzten Herren die eigentl. ambulante Modekupfer sind, geht einer sehr bedächtig und vergnügt; derselbe bin ich. An den Straßenecken steht mit dicken schwarzen Buchstaben auf d. weißen Mauer „Piccadilly, so heißt d. Straße wenn Dich einer fragt; da war ich nun vor 1 2 Stunde und habe nie Schöneres gesehen. Wenn Du Dir nun denkst, daß ich heut Morgen auf St. Catharinendocks war und v. da zu Wasser die Themse herauf L. durchschnitt (eine Beschreibung die ich Droysen schicke, weil der ein Waßermann ist) und daß Piccad. nur 1 Straße im Diplomat. Theil des Westendes, eines Viertels v. L. ist, und daß das Westende immer todt und unbelebt gegen d. city genannt wird, so erstaune sehr. Ich thue es aus Leibeskräften. – Mit der Musik ist es wenig hier; v. Klingem. der Dich herzl. grüßt und mir kriegst Du nächstens 1 ausführl. Br. darüber. Die Musiker sind schlimmer als bei uns, denn es ist mehr Konkurrenz und das macht sie nicht wie die Handwerker, beßer, sondern mißtrauischer und intriganter. Im Allgemeinen ist alles da was durch äußre Mittel, Einstudiren, Geld, Berechnung u. dergl. hervorgebracht werden kann; so z. B. gute Stellung des Orchesters, Egalität und Kraft in d. Saiteninstrum., sehr viel Geigen, gutes präcises Blech; alles Geistige fehlt; es ist kein Vorgeiger da, keine zarte Oboe, Clarinette od. Fagott, alles roh und plump; keine Lebhaftigkeit, sondern nur Schnelligkeit, kein Respekt vor dem Kunstwerk, mit einem Wort, kein Direktor; Sir George den Fanny Dir beschreiben mag, ist wirkl. d. Beste und Feurigste, wiewohl er sich pudert; sie beten Beeth. an und kürzen ihn, sie beten Moz. an und langweilen sich dabei, sie beten Haydn an und hetzen ihn zu Tode. Die Musik ist Modesache d. 10. und wird auch so getrieben, erneuert sich wie sie und ist, wie sie, Gegenstand d. conversation. – Könntest Du d. heut. Tag sehen! ich sitze am offnen Fenster, das Kaminfeuer brennt noch, ein dicker Duft strömt herein; meine Freunde erwarte ich um mit ihnen über die Wiesen spatzieren zu gehen; es ist Sonntag und die Kirchenglocken neben mir läuten hell. Nimm Deine stärkste Fantasie zusammen und denk Dir d. Frühling um einen Punkt schöner! Es geht nicht! Gott sende Dir heut so viel Wärme und Heiterkeit wie ich hier habe. Die Blumenmänner schreien entsetzl. unten, meine Wirthsleute haben mir Goldlacksträuße in mein Zimmer gestellt. Nun muß ich Thee trinken zum Frühstück. Schreib bald, leb wohl.
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Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-05-09" xml:id="date_47c16abd-dff9-4456-9009-3c656cfafe28">9.</date> und <date cert="high" when="1829-05-10" xml:id="date_9bb44f9d-d70f-4fec-b6a0-b05bb7905f2f">10. 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Eben war ich in einer langen Straße die sehr nett ist; auf d. 1. Seite stehen abwechselnd hohe, braune Häuser (aus Ziegelsteinen, mit Schildern und koloßal. Buchstab. himmelhohen Schornsteinen und elegant. Läden) und herzogl. Palläste, auf d. andern Seite ein zierliches eisernes Gitter, in der Ferne steht 1 Triumphbogen. Auf d. Straße zwischen d. Gitt. und d. Häusern ist eben d. tollste Lärm; die Stutzer galopiren, die alten Lords reiten langsam, die Kinder traben auf Füllen umher; prächt. équipagen mit Goldgeschirr und sammtnen Bedienten warten auf einen Kohlenwagen, der mit seinen Elephantenpferden den Durchgang sperrt; daneben schmutzige Miethswagen in langer Reihe; Bettler und Pöbel gehen neben den Gräfinnen die schön sind und sehr englischkalt aussehen und denen gepuderte Lakaien mit Atlashosen folgen; ein Kerl läutet mit einer großen Glocke Briefe aus; ein andrer singt eine neue Arie und hält die Hand hohl um sogleich die Pfennige zu empfangen; (ein aufrichtiger Künstler) einer spielt d. schottisch. Dudelsack; die meisten Herren führen an jedem Arm eine Dame; aus d. Kutschen gucken gedrängt viele Gesichter heraus, 6 Postwagen mit aufgethürmten Menschen auf dem Verdeck jagen nach einander herein, die Läden wimmeln, das ist die Straße. Durch das eiserne Gitter siehst Du aber auf eine weite grüne einsame Wiese, auf der die bunten Kühe weiden und wiederkäuen, und hin und wieder steht ein Baum, in weiter Ferne werden sie dichter und zum Gehölz; am Horizont ragen in die blaue Luft die weißen Thürme v. Westminster drüber hinaus; der Nebel der die Straßen bis jetzt dick einhüllte, ist heut zum Duft geworden, der die ganze Ferne himmelblau färbt und die Wolken oben gehn eben so munter spatzieren wie die Menschen unten. In der Mitte d. geputzten Herren die eigentl. ambulante Modekupfer sind, geht einer sehr bedächtig und vergnügt; derselbe bin ich. An den Straßenecken steht mit dicken schwarzen Buchstaben auf d. weißen Mauer „Piccadilly, so heißt d. Straße wenn Dich einer fragt; da war ich nun vor <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">1</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">2</hi></formula> Stunde und habe nie Schöneres gesehen. 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