fmb-1829-05-08-01
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London, 8. Mai 1829
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.; Adresse.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Mendelssohn Bartholdy
in
Diesen Brief erhaltet ihr durch 2 Briefe vom 21sten April, so bin ich eigentlich mit der Engl. Post broullirt, und gönne ihr nichts. Bitte aber seid ihr es nicht, sondern schreibt mir wöchentlich einmal per post, ich will das Porto dafür gern bezahlen, denn ich brauche hier lange nicht die Hälfte meines ausgesetzten Geldes (da ich immer noch von den Hamburger Souvereigns lebe) und ich will lieber diese pünctlichen Nachrichten, als die auf dem Schneckenwege der Gesandtschaft, die oft die Briefe 12 bis 14 Tage gehn läßt. Leider habe ich zum Historischsein keine Zeit; was könnte ich sonst nicht wieder für Geschichten erzählen, und doch bin ich eigentlich erst wenig in Gesellschaften gewesen, und habe lauter Einladungen zu erwarten; wie bunt wird es werden, wenn die kommen! Keine Zeit habe ich aber, weil schon seit einigen Tagen ich des Morgens um 10 ausgehe, und erst nach Mitternacht wieder zu Haus komme, daher auch mein datum, ja ich habe ein Lexicon und eine Beschreibung von London, die ich nothwendig brauche, immer noch nicht kaufen können, weil ich die Bücher sonst den ganzen Tag mit mir schleppen müßte. Heut morgen z. B. wurde um 11 der Gipsabguß meines Kopfs gemacht; das ist eine fatal unheimliche Empfindung. Sie ziehn einem ein weißes Hemd an, strecken einen auf ein kleines Sopha, wie eine Leiche, aus, legen dann den Hinterkopf in das nasse kühle Gips, und nun geht ein eiskalter Strom über das ganze Gesicht und die zugemachten Augen; der Strom wird immer stärker und dicker, nach und nach wird er schwer und liegt wie Blei auf, die Fußtritte im Zimmer und die Stimmen der Sprechenden klingen ganz dumpf und wie aus ungeheurer Ferne, wird dann endlich das Gips auseinander gebrochen, so blendet das Sonnenlicht so sehr, das mir noch jetzt die Augen davon wehthun. Sie haben mir übrigens so viel Pomade in die Haare gethan, daß ich aussehe, wie ein junger Theologe oder wie nach dem Tanzen. Nach beendigter Operation mußte ich gleich nach
tenGeigen gewackelt hatte, so spielte ich heut mit, und muß mich lächerslich am ersten Pult ausgenommen haben. Der Saal war voll, und fast lauter Damen, die in die Morgenconcerte ohne die Männer gehen dürfen; die bunten Hüte und die farbigen Kleider und die netten Gesichter machten mich poetisch, ich verglich sie mit Tulpenbeeten, oder mit den Kolibris auf unserm
nicht
nicht, wer diese Dame ist, sondern nur, daß sie wunderhübsch aussieht, blond, zart, blauäugig englisch, und daß sie
London 8 Mai 29. in Klingemanns drawingroom und parlor zugleich. Diesen Brief erhaltet ihr durch Keferstein, der morgen nach Hamburg geht und ihn mitnehmen will, sonst hätte ich vielleicht bis Dinstag das Schreiben aufgeschoben; denn da ich erst einen einzigen Brief mit der Post von euch bekommen habe, und den noch dazu vor Ankunft meiner 2 Briefe vom 21sten April, so bin ich eigentlich mit der Engl. Post broullirt, und gönne ihr nichts. Bitte aber seid ihr es nicht, sondern schreibt mir wöchentlich einmal per post, ich will das Porto dafür gern bezahlen, denn ich brauche hier lange nicht die Hälfte meines ausgesetzten Geldes (da ich immer noch von den Hamburger Souvereigns lebe) und ich will lieber diese pünctlichen Nachrichten, als die auf dem Schneckenwege der Gesandtschaft, die oft die Briefe 12 bis 14 Tage gehn läßt. Leider habe ich zum Historischsein keine Zeit; was könnte ich sonst nicht wieder für Geschichten erzählen, und doch bin ich eigentlich erst wenig in Gesellschaften gewesen, und habe lauter Einladungen zu erwarten; wie bunt wird es werden, wenn die kommen! Keine Zeit habe ich aber, weil schon seit einigen Tagen ich des Morgens um 10 ausgehe, und erst nach Mitternacht wieder zu Haus komme, daher auch mein datum, ja ich habe ein Lexicon und eine Beschreibung von London, die ich nothwendig brauche, immer noch nicht kaufen können, weil ich die Bücher sonst den ganzen Tag mit mir schleppen müßte. Heut morgen z. B. wurde um 11 der Gipsabguß meines Kopfs gemacht; das ist eine fatal unheimliche Empfindung. Sie ziehn einem ein weißes Hemd an, strecken einen auf ein kleines Sopha, wie eine Leiche, aus, legen dann den Hinterkopf in das nasse kühle Gips, und nun geht ein eiskalter Strom über das ganze Gesicht und die zugemachten Augen; der Strom wird immer stärker und dicker, nach und nach wird er schwer und liegt wie Blei auf, die Fußtritte im Zimmer und die Stimmen der Sprechenden klingen ganz dumpf und wie aus ungeheurer Ferne, wird dann endlich das Gips auseinander gebrochen, so blendet das Sonnenlicht so sehr, das mir noch jetzt die Augen davon wehthun. Sie haben mir übrigens so viel Pomade in die Haare gethan, daß ich aussehe, wie ein junger Theologe oder wie nach dem Tanzen. Nach beendigter Operation mußte ich gleich nach Mr. Moscheles’ morning concert; worin seine neue Sinfonie den Anfang machte; da gestern in der Probe einiges in den Bratschen und 2ten Geigen gewackelt hatte, so spielte ich heut mit, und muß mich lächerslich am ersten Pult ausgenommen haben. Der Saal war voll, und fast lauter Damen, die in die Morgenconcerte ohne die Männer gehen dürfen; die bunten Hüte und die farbigen Kleider und die netten Gesichter machten mich poetisch, ich verglich sie mit Tulpenbeeten, oder mit den Kolibris auf unserm Museum, besonders wenn sie sich bei trivialen Stellen freundlich zunickten. Die Sontag sang, die Malibran sang, sie sangen auch zusammen, und Miss Cramer sang auch und Donzelli sang, und Sir George hielt einen speach, der göttlich war, und Moscheles spielte 4 mal, Gott! ich muß abkürzen, denn ich bin zum Essen ausgebeten und muß auch noch zu allen überstandnen Mühseligkeiten dem armen geplagten Concertgeber gratuliren, und muß auch noch einige vermischte Nachrichten mittheilen. Dazu gehört, daß ihr nächstens wieder einen ordentlichen Brief von mir bekommt; mich machen nur in dieser Zeit die vielen Concerte, (2 im Durchschnitt des Tages) ganz wild und toll, daher mein schlechtes Schreiben. Sagt Hensel ich hätte seine Briefe abgegeben aber von keiner Tante Mina ein Wort gehört; übrigens gehört Hensel mit zum „Ihr“! Neulich ritt ich im Regents Park spazieren, und hatte einen neuen Rock an. In einer kleinen Gesellschaft sang die Sontag schändliche Variationen auf „steh nur auf du Schweizerbub“ sehr niedlich, ich mache ihr nun einmal durchaus nicht die Cour; auch ist sie sehr blaß und mager, kurz etwas alt geworden, die Stimme hat auch verloren, und sie sagt allen ihren Bekannten, daß sie seit 3 Jahren verheirathet sey. Ich schwöre zu den Fahnen der Malibran, die ist sehr ernsthaft und wild, und macht keinen Spas und ziert sich nicht. Als ich neulich aufgefordert wurde zu spielen, und es abschlug, weil Moscheles schon zweimal performt und die Sontag 3 mal gesungen hatte, so erbot sich der erste mit mir die Ouvertüre aus Figaro 4händig aber auswendig zu spielen, das geschah dann; wir jagten fürchterlich warfen die Hände hoch in die Luft, und erregten großen furore, die Leute meinten, so etwas noch nie gehört zu haben. Gestern war der Marquis von Lansdowne auf meiner Stube und besuchte mich; die Schildwachen des Kriegsministers sollen künftig vor mir präsentiren. Das nächstemal beschreibe ich euch Lloyds Caffeehaus, eine große Bierbrauerey, die Aussicht auf dem Knopfe von St. Paulsthurm, die große Gemäldeausstellung, Westminster Guildhall, die gälische Musik genannt Panillion (deren Text ich mitschicke, weil er manches hübsche enthält) Rothschilds Landwohnung u. m. a. das ich schon gesehen. Fanny will mich über den Canal herüber eifersüchtig machen, und es gelingt ihr vollkommen, ich habe mich über Onkels Courmachen gräßlich geärgert; aber hier ist meine Rache an euch Fischottern! Ich schicke Euch nicht das neue Englische Lied, das mit den zarten Worten hush thee anfängt, und das ich für das Stammbuch einer wunderhübschen, jungen Dame componirt habe, und ich sage Euch nicht, wer diese Dame ist, sondern nur, daß sie wunderhübsch aussieht, blond, zart, blauäugig englisch, und daß sie Miss Marian heißt. Nun könnt ihr euch den Kopf zerbrechen, wer das ist; ihr erfahrt es nicht, misgünstige Ottern! – Mir bleibt es im allgemeinen zu Muthe, wie im Anfang; das Getümmel der Stadt läßt mich nicht zu Athem kommen, spannt mich höchlich an und benimmt mir das Heimweh; als ich aber aufs Land fuhr, im Regen, und der Frühling kam, und das Grün sich auf den Wiesen und Bäumen schön zeigte, und ich genau die Worte wußte, die jeder einzelne von Euch allen hier und da gesagt haben müßte, und ich mich ganz allein freute, da wurde mir wieder etwas ernsthaft und eng. Lebt wohl. FMB
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1829-05-08" xml:id="date_958bef30-f403-492e-a563-5a2f7f8f0238">8. 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Keine Zeit habe ich aber, weil schon seit einigen Tagen ich des Morgens um 10 ausgehe, und erst nach Mitternacht wieder zu Haus komme, daher auch mein datum, ja ich habe ein Lexicon und eine Beschreibung von London, die ich nothwendig brauche, immer noch nicht kaufen können, weil ich die Bücher sonst den ganzen Tag mit mir schleppen müßte. Heut morgen z. B. wurde um 11 der Gipsabguß meines Kopfs gemacht; das ist eine fatal unheimliche Empfindung. Sie ziehn einem ein weißes Hemd an, strecken einen auf ein kleines Sopha, wie eine Leiche, aus, legen dann den Hinterkopf in das nasse kühle Gips, und nun geht ein eiskalter Strom über das ganze Gesicht und die zugemachten Augen; der Strom wird immer stärker und dicker, nach und nach wird er schwer und liegt wie Blei auf, die Fußtritte im Zimmer und die Stimmen der Sprechenden klingen ganz dumpf und wie aus ungeheurer Ferne, wird dann endlich das Gips auseinander gebrochen, so blendet das Sonnenlicht so sehr, das mir noch jetzt die Augen davon wehthun. Sie haben mir übrigens so viel Pomade in die Haare gethan, daß ich aussehe, wie ein junger Theologe oder wie nach dem Tanzen. 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In einer kleinen Gesellschaft sang die <persName xml:id="persName_5bf097eb-fe55-4217-851f-7aa34689d436">Sontag<name key="PSN0114969" style="hidden">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName> schändliche Variationen auf <title xml:id="title_ddc5f9c1-e040-401d-95d7-45b0acf35a78">„steh nur auf du Schweizerbub“<name key="PSN0113894" style="hidden" type="author">Pixis, Johann Peter (1788-1874)</name><name key="CRT0110327" style="hidden" type="music">Der Schweizerbub. Variationen für Klavier zu vier Händen op. 114</name></title> sehr niedlich, ich mache ihr nun einmal durchaus nicht die Cour; auch ist sie sehr blaß und mager, kurz etwas alt geworden, die Stimme hat auch verloren, und sie sagt allen ihren Bekannten, daß sie seit 3 Jahren verheirathet sey. Ich schwöre zu den Fahnen der <persName xml:id="persName_daeede96-1ba1-4d7f-8988-ce9cabacc520">Malibran<name key="PSN0113047" style="hidden">Malibran, María Felicità (1808-1836)</name></persName>, die ist sehr ernsthaft und wild, und macht keinen Spas und ziert sich nicht. Als ich neulich aufgefordert wurde zu spielen, und es abschlug, weil <persName xml:id="persName_8b370a89-498f-4018-b2a6-44bb32925b96">Moscheles<name key="PSN0113441" style="hidden">Moscheles, Ignaz (Isack) (1794-1870)</name></persName> schon zweimal performt und die <persName xml:id="persName_a2644f0f-b8ab-43a3-8abc-3ab513a8cffa">Sontag<name key="PSN0114969" style="hidden">Sontag (eigtl. Sonntag), Henriette Gertrude Walpurgis (seit 1831) Freiin von Lauenstein (1806-1854)</name></persName> 3 mal gesungen hatte, so erbot sich der erste mit mir die <title xml:id="title_cb359a31-d9e0-4441-89b6-f61499d3519d">Ouvertüre aus Figaro<name key="PSN0113466" style="hidden" type="author">Mozart, Wolfgang Amadeus (1756-1791)</name><name key="CRT0110123" style="hidden" type="music">Le nozze di Figaro KV 492</name></title> 4händig aber auswendig zu spielen, das geschah dann; wir jagten fürchterlich warfen die Hände hoch in die Luft, und erregten großen furore, die Leute meinten, so etwas noch nie gehört zu haben. Gestern war der <persName xml:id="persName_448fb3d2-eddf-40f1-917e-986d1ad9bd38">Marquis von Lansdowne<name key="PSN0113838" style="hidden">Petty-Fitzmaurice, Henry (seit 1809) 3rd Marquess of Lansdowne (1780-1863)</name></persName> auf meiner Stube und besuchte mich; die Schildwachen des Kriegsministers sollen künftig vor mir präsentiren. Das nächstemal beschreibe ich euch Lloyds Caffeehaus, eine große Bierbrauerey, die Aussicht auf dem Knopfe von <placeName xml:id="placeName_7f0303b5-f27c-4ea9-bf66-94ac65e5aacd">St. Paulsthurm<name key="SGH0100307" style="hidden" subtype="" type="sight">St. Paul’s Cathedral</name><settlement key="STM0100126" style="hidden" type="">London</settlement><country style="hidden">Großbritannien</country></placeName>, die große Gemäldeausstellung, Westminster Guildhall, die gälische Musik genannt Panillion (deren Text ich mitschi[cke, wei]l er manches hübsche enthält) <persName xml:id="persName_29496d2c-fff7-42e1-89e6-901944de08ff">Rothschilds<name key="PSN0114323" style="hidden">Rothschild, Nathan Mayer (seit 1817) de, (seit 1822) Baron de (1777-1836)</name></persName> Landwohnung u.m.a. das ich schon g[esehen]. <persName xml:id="persName_2f4ab0ce-5cc8-4204-bec0-44913b5f8126">Fanny<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> will mich über den Canal herüber eifersüchtig machen, und es gelingt ihr vollkommen, ich habe mich über <persName xml:id="persName_2610b7aa-cf09-424f-8c1c-ff18c499f7b5">Onkels<name key="PSN0111899" style="hidden">Hensel, Wilhelm (1794-1861)</name></persName> Courmachen gräßlich geärgert; aber hier ist meine Rache an euch <persName xml:id="persName_f05372f7-7638-4124-8e0d-8837237c4712">Fischottern<name key="PSN0117585" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name><name key="PSN0117586" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName>! Ich schicke Euch <hi rend="underline">nicht</hi> <title xml:id="title_97e36066-8dd6-4760-ae54-474e20cf9b35">das neue Englische Lied<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_htxqsj8e-bs9u-dnzl-7391-wakxg5er1u5h"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="vocal_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="secular_vocal_music" style="hidden"></item> <item n="4" sortKey="works_for_one_voice_and_piano" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100256" style="hidden">»Hush thee«, Anfang Mai 1829<idno type="MWV">K 43</idno><idno type="op"></idno></name></title>, das mit den zarten Worten hush thee anfängt, und das ich für das Stammbuch einer wunderhübschen, jungen Dame componirt habe, und ich sage Euch <hi rend="underline">nicht</hi>, wer diese Dame ist, sondern nur, daß sie wunderhübsch aussieht, blond, zart, blauäugig englisch, und daß sie <persName xml:id="persName_62828cee-968b-4065-b6bd-a7e0c9652770">Miss Marian<name key="PSN0110488" style="hidden">Cramer, Marian</name></persName> heißt. Nun könnt ihr euch den Kopf zerbrechen, wer das ist; ihr erfahrt es nicht, misgünstige <persName xml:id="persName_152ac2ad-cb20-44d2-a2e0-96fa93d4db04">Ottern<name key="PSN0117585" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name><name key="PSN0117586" style="hidden" type="person">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName>! – Mir bleibt es im allgemeinen zu Muthe, wie im Anfang; das Getümmel der Stadt läßt mich nicht zu Athem kommen, spannt mich höchlich an und benimmt mir das Heimweh; als ich aber aufs Land fuhr, im Regen, und der Frühling kam, und das Grün sich auf den Wiesen und Bäumen schön zeigte, und ich genau die Worte wußte, die jeder einzelne von Euch allen hier und da gesagt haben müßte, und ich mich ganz allein freute, da wurde mir wieder etwas ernsthaft und eng. <seg type="closer" xml:id="seg_34bad19b-4e46-442b-b5e6-774cec967c5e">Lebt wohl. </seg></p><signed rend="right">FMB</signed></div></body> </text></TEI>