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fmb-1827-09-04-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy <lb></lb>Bamberg, 4. September 1827 Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken. Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 1, 103

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

USA New York, NY US-NYp New York, NY, The New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations, Music Division *MNY++ Mendelssohn Letters Vol. I/40. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, adressiert an Abraham Mendelssohn Bartholdy; Bamberg, 4. September 1827 Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken.

4 beschr. S.; Adresse, 1 Poststempel.

Felix Mendelssohn Bartholdy

Brief fmb-1827-08-31-01 (Brief Nr. 102) Felix Mendelssohn Bartholdy an die Familie Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Urbich, 31. August 1827; heutiger Standort: US-NYp, *MNY++ Mendelssohn Letters, Vol. I/39.

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Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

4. September 1827 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Bamberg Deutschland Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy Berlin Deutschland deutsch
Herrn Herrn Stadtrath A. Mendelssohn Bartholdy. Wohlgeb Berlin. Leipziger Str. No. 3.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Bamberg in Franken, am 4 Sept. 1827.

Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken. Ich befinde mich in diesem Augenblicke so behäbig, daß ich glaube der Erzbischof von Bamberg zu seyn. – Die Stadt ist alt, voll Giebelhäusern, mit Kapellen, Klöstern, schwarzen Kirchen und ihren zackig spitzen Thürmen erfüllt, die Straßen belebt mit Verkäufern, Kaufenden, Spaziergängern, blauen Soldaten, schwarzen Geistlichen und bunten Bäuerinnen, und steigt man in die Höhe, so sieht man über die rauchigen Dächer hinweg, die Fruchtebne in dem blauen Farbenspiel der Ferne liegen. Weit hinüber schlängelt sich der Mayn an den Bergen hin, und die Regnitz, die hier durch die Stadt stürzt vereinigt sich da mit ihm. Die ganze Gegend ist ein Festtag, und so muß denn auch einem jeden festlich und feyerlich froh zu Muthe seyn. Morgen geht’s nach Nürnberg! –

Wir reisen aber wirklich nicht wie die Kaffer, d.h. ohne Besinnung, noch wie die Studenten, d.h. schmutzig. Auf’s erste entgegne ich, daß ich gestern im Kloster BanzBenediktiner-Abtei Kloster BanzStaffelsteinDeutschland wohl eine Stunde lang die Orgel gespielt habe; (HeydemannHeydemann, Albert Gustav (1808-1877) und MagnusMagnus, Rudolph Albert (1809-1859) traten schwitzend die Bälge; und der OrganistSteinruck, Georg (1785-1845) war sehr freundlich) auf’s zweite entgegne ich, daß heute unsre Sachen sehr sorgsam gewaschen wurden, und daß wir in einer Stunde ein Bad (d.h. drei) nehmen wollen. Wir haben der Wäscherinn einen Waschzettel gegeben, eine Abschrift davon selbst behalten, kurz wir sind Muster. (Wir sind auch barbirt)

Wo soll ich aber meine Erzählung anfangen? Der inliegende Brief, den ich de profundis an euch schrieb, und den ich, weil überall die Posten mir gar zu lange gingen, bis heute in der Tasche behielt, schildert Euch unsre Noth und Standhaftigkeit im Thüringer Walde. Es ist ein einförmiges, ziemlich langweiliges Gebirge, nur ein schöner Punct darin, Dorf Schwarzburg, die Wirthshäuser entsetzlich, die Leute verdrießlich faul, die Wagen schlecht, das Wetter unfreundlich. Von ErbichUrbichDeutschland aus mußten wir in einem Leiterwagen mit Stroh bepackt (Gott sey bei uns) auf Knüppeldämmen und Steinchausseen 4 Meilen in 6 Stunden fahren, und kamen so nach Rudolstadt, das nicht übel liegt. Von hier an wurde der Himmel blau, und bis heute hat sich kein Wölkchen mehr daran sehen lassen. Es ist der schönste Herbst! – Von Rudolstadt gingen wir zu Fuß nach Schwarzburg, wieder in den schmutzigen Thüringer Wald, und fuhren Abends im hellen Mondschein durch’s Gebirge nach Oberweißbach. Wir fanden auf dieser Fahrt die Gegend so lange himmlisch, bis wir alle drei fest schliefen, und hier verlor HeydemannHeydemann, Albert Gustav (1808-1877) seine Mütze und wachte mit der Frage auf: ich hatte doch etwas auf dem Kopf? In Oberweißbach ein schlechtes Wirthshaus, da die Thüre kein Schloß hatte wurde sie mit Stühlen, drei Mann hoch aufgestellt, verrammelt, das Geld unter die Kopfkissen gelegt, und die Betten waren so alt und altmodisch, daß ich die ganze Nacht von Herrn Burgemeister und einem großen Kindelbier geträumt habe. Mir wurde überhaupt in dem Nest ganz schöppenmäßig zu Muthe. Auch gab’s keinen Wagen zum Weiterfahren am andern Morgen. Wir mußten 2 Stunden gehn nach Neuhaus. Auch keinen Wagen. Zwei Stunden gehn nach Steinau. Wieder keinen. Zwei Stunden gehn bis Sonnenberg. Hier beschlossen wir zu Mittag zu essen. Da es aber Sonntag war, so fanden wir im Wirthshause nur einen Marqueur, der aussah wie Matze. Wir bestellten Bierkaltschale, und er brachte auch richtig Waschschüsseln, und da wir frugen was für Braten da sey, sagte er Gurkensalat. Endlich verschafften wir uns mit Mühe Bier, Rosinen, Zitronen, Brod und Zucker. Nun kochten wir. MagnusMagnus, Rudolph Albert (1809-1859) drückte Zitrone, HeydemannHeydemann, Albert Gustav (1808-1877) rieb Brod, ich bröckelte Zucker. Endlich wars fertig, aber da hatten sie uns solch infames, magenzerreißendes Bier gegeben, daß wir mit unserem Löwenappetite doch nur zwei Löffel davon trinken konnten, und uns dann mit Rosinenfischfang ernährten. Da es aber noch dazu theuer war, wurden wir humoristisch wüthend, und nahmen ein großes Stück Butter, warfen es in die Kalteschale, und schütteten das Salzfaß darüber aus. Dann versicherten wir den Marqueur, wir hätten von unserm Gebräu nur die Hälfte übrig gelassen. Wenn der’s getrunken hat! – – Bitt’ um Verzeihung; es war ein Studentenstreich, aber ich erinnre VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835) ans Bier in Balingen! – Nun waren aber auch alle Mühseligkeiten aus, und wir fuhren auf glatter Chausee dem rothen Sonnenuntergang entgegen nach 3 Stunden in Coburg hinein, wo der Eingang ins Frankenland ist. Ein treffliches Süddeutsches Wirthshaus. Theater. Wir sahen den ersten Act vom Concert am Hofe<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name><name key="CRT0107671" style="hidden" type="music">Le concert à la cour ou La Débutante AWV 11</name>. (Mein Auber!) Wir klatschten wüthend und brachten das Schauspielhaus in Allarm. Das Orchester ist recht gut. Daß doch alles bei uns so zersplittert seyn muß! – Im herrlichsten Mondschein gingen wir nach Hause zurück, aßen gutes Abendbrod, tranken (pardon!) eine Flasche Würzburger, denn wir wollten uns einmal gütlich thun, und schliefen bequem. Gestern früh besahen wir in Gesellschaft eines schwarz und silbern gekleideten Bergmannes aus Freiburg, der sich uns anschloß die Festung und die Stadt, freuten uns der Lage, denn Franken liegt einem da wie eine lebendige Landcarte zu den Füßen ausgebreitet, und um 11 Uhr gings hinein nach oben erwähntem Kloster BanzBenediktiner-Abtei Kloster BanzStaffelsteinDeutschland. Gott welches Land! Kommt man auf die Höhe des Klosters, so sieht man die Maynebene, etwa 3 Meilen breit, und 1 2 Meile lang, auf der einen Seite begränzt vom blauen Fichtelgebirge, auf der andern vom Thüringer Wald, drüben die Bamberger Höhen, alles mit Ortschaften bestreut, man sieht vorne einzelne Häuser, dann Dörfer mit Gärten und Klöstern, weiter hinten Gebüsche, über den Gebüschen wieder Thurmspitzen, dann Äcker, und das Fernrohr zeigt endlich noch eine neue Welt von Dörfern, Wohnorten und angebauten Plätzen. Und durch Dörfer und Städte und Klöster und Thürme windet sich der Mayn im Schlangenlaufe, bewässert die Wiesen, bereichert das Land, und wer da nicht ein Klotz ist, der muß jauchzen und glücklich seyn. BanzBenediktiner-Abtei Kloster BanzStaffelsteinDeutschland selbst ist ein ungeheures Jesuiten-Gebäude; wir wurden von einem ManneSteinruck, Georg (1785-1845) herum geführt, der sich mir als ChordirectorSteinruck, Georg (1785-1845), auf meine musikalischen Fragen, zu erkennen gab. Er zeigte mir ein altes Kirchenbuch, aus dem ich mir eine Melodie copirte. Dann führte erSteinruck, Georg (1785-1845) uns auf die Orgel, und spielte uns recht fertig vor. Ich bat ihn dann mich spielen zu lassen, und so wurde denn die cis moll Fuge von Joh. Seb.<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107918" style="hidden" type="music">Fuge cis-Moll, BWV 849/2</name>, und eine Fantasie verübt. Er war dann sehr freundlich, führte uns noch auf die Terrasse hin, und obwohl ihm HeydemannHeydemann, Albert Gustav (1808-1877) (der Cassirer) einen Kronthaler aufdringen wollte, weigerte er sich ihn zu nehmen und ging. Er heißt übrigens SteinruckSteinruck, Georg (1785-1845). Und das war die erste Bekanntschaft. Ich will auch noch mehrere machen. –

So kamen wir gestern nach Bamberg, und da ist’s schön. Heute ist Ruhe- und Reinigungstag. Eben erhalte ich Fanny’sMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847) und Rebecka’sMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858) Brief. Ich danke Euch dafür, er hat mich gar sehr erfreut; Mr. SimpsoneSimpson (Simpsone), W. sprach schön – aber nein! Daß BendemannBendemann, Familie von → Anton Heinrich B.s so lange in Düsseldorf waren, freut mich ja von Herzen – aber auch nein! Unter die LämmerMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858) kommt also die Drehkrankheit? (Incurabel, wie MagnusMagnus, Rudolph Albert (1809-1859), Dr. med., versichert.) Ich will ein Einsiedler werden. – Zum drittenmale nein. Gestern in BanzBenediktiner-Abtei Kloster BanzStaffelsteinDeutschland, als es so gar herrlich war, packte uns drei auf einmal die Sehnsucht nach den Unsrigen, und wie denn alles die Farbe der Fröhlichkeit annimmt, so ergriffen wir die Wanderstäbe und beschrieben Kreise im Sand, und beschworen euch feierlich zur Stunde in BanzBenediktiner-Abtei Kloster BanzStaffelsteinDeutschland zu erscheinen. – Wir lachten aber nicht dabey, und ihr kamt auch nicht.

Lieber VaterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835), ich zeichne viel und muß mir sogar hier noch ein zweites, kleineres Buch anschaffen,

Liebe MutterMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842), ich wasche mich viel, und sehe nicht aus wie ein Student, geschweige denn wie ein – Ygel

Liebe Fanny, ich componire, liebes Beckchen ich mache dummes Zeug, lieber Paul ich weiß, was Schiefer ist. – Und so lebt wohl. Denkt mein; wenn ich zurückkomme, so bin ich wieder frisch und hätte ich auch nur Franken gesehn.

Verwandten, Freunden und aus- und einwärtigen Gönnern widmet diese lustige AnzeigeEuer Sohn, Bruder, Vormund und GatteFelix Mendelssohn Bartholdy.Stud. phil. auf Reisen.
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)

N.S. Bestellt MarxMarx, Adolph Bernhard (1795-1866), ich würdse ihn bestehlen. Nähm’ er’s nicht übel, wär’s gut, nähm er’s übel – er wird’s übel nehmen!!* und grüßt ihn und alle.

Le Grimsel.
            Bamberg in Franken, am 4 Sept. 1827. Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken. Ich befinde mich in diesem Augenblicke so behäbig, daß ich glaube der Erzbischof von Bamberg zu seyn. – Die Stadt ist alt, voll Giebelhäusern, mit Kapellen, Klöstern, schwarzen Kirchen und ihren zackig spitzen Thürmen erfüllt, die Straßen belebt mit Verkäufern, Kaufenden, Spaziergängern, blauen Soldaten, schwarzen Geistlichen und bunten Bäuerinnen, und steigt man in die Höhe, so sieht man über die rauchigen Dächer hinweg, die Fruchtebne in dem blauen Farbenspiel der Ferne liegen. Weit hinüber schlängelt sich der Mayn an den Bergen hin, und die Regnitz, die hier durch die Stadt stürzt vereinigt sich da mit ihm. Die ganze Gegend ist ein Festtag, und so muß denn auch einem jeden festlich und feyerlich froh zu Muthe seyn. Morgen geht’s nach Nürnberg! –
Wir reisen aber wirklich nicht wie die Kaffer, d. h. ohne Besinnung, noch wie die Studenten, d. h. schmutzig. Auf’s erste entgegne ich, daß ich gestern im Kloster Banz wohl eine Stunde lang die Orgel gespielt habe; (Heydemann und Magnus traten schwitzend die Bälge; und der Organist war sehr freundlich) auf’s zweite entgegne ich, daß heute unsre Sachen sehr sorgsam gewaschen wurden, und daß wir in einer Stunde ein Bad (d. h. drei) nehmen wollen. Wir haben der Wäscherinn einen Waschzettel gegeben, eine Abschrift davon selbst behalten, kurz wir sind Muster. (Wir sind auch barbirt)
Wo soll ich aber meine Erzählung anfangen? Der inliegende Brief, den ich de profundis an euch schrieb, und den ich, weil überall die Posten mir gar zu lange gingen, bis heute in der Tasche behielt, schildert Euch unsre Noth und Standhaftigkeit im Thüringer Walde. Es ist ein einförmiges, ziemlich langweiliges Gebirge, nur ein schöner Punct darin, Dorf Schwarzburg, die Wirthshäuser entsetzlich, die Leute verdrießlich faul, die Wagen schlecht, das Wetter unfreundlich. Von Erbich aus mußten wir in einem Leiterwagen mit Stroh bepackt (Gott sey bei uns) auf Knüppeldämmen und Steinchausseen 4 Meilen in 6 Stunden fahren, und kamen so nach Rudolstadt, das nicht übel liegt. Von hier an wurde der Himmel blau, und bis heute hat sich kein Wölkchen mehr daran sehen lassen. Es ist der schönste Herbst! – Von Rudolstadt gingen wir zu Fuß nach Schwarzburg, wieder in den schmutzigen Thüringer Wald, und fuhren Abends im hellen Mondschein durch’s Gebirge nach Oberweißbach. Wir fanden auf dieser Fahrt die Gegend so lange himmlisch, bis wir alle drei fest schliefen, und hier verlor Heydemann seine Mütze und wachte mit der Frage auf: ich hatte doch etwas auf dem Kopf? In Oberweißbach ein schlechtes Wirthshaus, da die Thüre kein Schloß hatte wurde sie mit Stühlen, drei Mann hoch aufgestellt, verrammelt, das Geld unter die Kopfkissen gelegt, und die Betten waren so alt und altmodisch, daß ich die ganze Nacht von Herrn Burgemeister und einem großen Kindelbier geträumt habe. Mir wurde überhaupt in dem Nest ganz schöppenmäßig zu Muthe. Auch gab’s keinen Wagen zum Weiterfahren am andern Morgen. Wir mußten 2 Stunden gehn nach Neuhaus. Auch keinen Wagen. Zwei Stunden gehn nach Steinau. Wieder keinen. Zwei Stunden gehn bis Sonnenberg. Hier beschlossen wir zu Mittag zu essen. Da es aber Sonntag war, so fanden wir im Wirthshause nur einen Marqueur, der aussah wie Matze. Wir bestellten Bierkaltschale, und er brachte auch richtig Waschschüsseln, und da wir frugen was für Braten da sey, sagte er Gurkensalat. Endlich verschafften wir uns mit Mühe Bier, Rosinen, Zitronen, Brod und Zucker. Nun kochten wir. Magnus drückte Zitrone, Heydemann rieb Brod, ich bröckelte Zucker. Endlich wars fertig, aber da hatten sie uns solch infames, magenzerreißendes Bier gegeben, daß wir mit unserem Löwenappetite doch nur zwei Löffel davon trinken konnten, und uns dann mit Rosinenfischfang ernährten. Da es aber noch dazu theuer war, wurden wir humoristisch wüthend, und nahmen ein großes Stück Butter, warfen es in die Kalteschale, und schütteten das Salzfaß darüber aus. Dann versicherten wir den Marqueur, wir hätten von unserm Gebräu nur die Hälfte übrig gelassen. Wenn der’s getrunken hat! – – Bitt’ um Verzeihung; es war ein Studentenstreich, aber ich erinnre Vater ans Bier in Balingen! – Nun waren aber auch alle Mühseligkeiten aus, und wir fuhren auf glatter Chausee dem rothen Sonnenuntergang entgegen nach 3 Stunden in Coburg hinein, wo der Eingang ins Frankenland ist. Ein treffliches Süddeutsches Wirthshaus. Theater. Wir sahen den ersten Act vom Concert am Hofe. (Mein Auber!) Wir klatschten wüthend und brachten das Schauspielhaus in Allarm. Das Orchester ist recht gut. Daß doch alles bei uns so zersplittert seyn muß! – Im herrlichsten Mondschein gingen wir nach Hause zurück, aßen gutes Abendbrod, tranken (pardon!) eine Flasche Würzburger, denn wir wollten uns einmal gütlich thun, und schliefen bequem. Gestern früh besahen wir in Gesellschaft eines schwarz und silbern gekleideten Bergmannes aus Freiburg, der sich uns anschloß die Festung und die Stadt, freuten uns der Lage, denn Franken liegt einem da wie eine lebendige Landcarte zu den Füßen ausgebreitet, und um 11 Uhr gings hinein nach oben erwähntem Kloster Banz. Gott welches Land! Kommt man auf die Höhe des Klosters, so sieht man die Maynebene, etwa 3 Meilen breit, und 1 2 Meile lang, auf der einen Seite begränzt vom blauen Fichtelgebirge, auf der andern vom Thüringer Wald, drüben die Bamberger Höhen, alles mit Ortschaften bestreut, man sieht vorne einzelne Häuser, dann Dörfer mit Gärten und Klöstern, weiter hinten Gebüsche, über den Gebüschen wieder Thurmspitzen, dann Äcker, und das Fernrohr zeigt endlich noch eine neue Welt von Dörfern, Wohnorten und angebauten Plätzen. Und durch Dörfer und Städte und Klöster und Thürme windet sich der Mayn im Schlangenlaufe, bewässert die Wiesen, bereichert das Land, und wer da nicht ein Klotz ist, der muß jauchzen und glücklich seyn. Banz selbst ist ein ungeheures Jesuiten-Gebäude; wir wurden von einem Manne herum geführt, der sich mir als Chordirector, auf meine musikalischen Fragen, zu erkennen gab. Er zeigte mir ein altes Kirchenbuch, aus dem ich mir eine Melodie copirte. Dann führte er uns auf die Orgel, und spielte uns recht fertig vor. Ich bat ihn dann mich spielen zu lassen, und so wurde denn die cis moll Fuge von Joh. Seb., und eine Fantasie verübt. Er war dann sehr freundlich, führte uns noch auf die Terrasse hin, und obwohl ihm Heydemann (der Cassirer) einen Kronthaler aufdringen wollte, weigerte er sich ihn zu nehmen und ging. Er heißt übrigens Steinruck. Und das war die erste Bekanntschaft. Ich will auch noch mehrere machen. –
So kamen wir gestern nach Bamberg, und da ist’s schön. Heute ist Ruhe- und Reinigungstag. Eben erhalte ich Fanny’s und Rebecka’s Brief. Ich danke Euch dafür, er hat mich gar sehr erfreut; Mr. Simpsone sprach schön – aber nein! Daß Bendemanns so lange in Düsseldorf waren, freut mich ja von Herzen – aber auch nein! Unter die Lämmer kommt also die Drehkrankheit? (Incurabel, wie Magnus, Dr. med., versichert. ) Ich will ein Einsiedler werden. – Zum drittenmale nein. Gestern in Banz, als es so gar herrlich war, packte uns drei auf einmal die Sehnsucht nach den Unsrigen, und wie denn alles die Farbe der Fröhlichkeit annimmt, so ergriffen wir die Wanderstäbe und beschrieben Kreise im Sand, und beschworen euch feierlich zur Stunde in Banz zu erscheinen. – Wir lachten aber nicht dabey, und ihr kamt auch nicht.
Lieber Vater, ich zeichne viel und muß mir sogar hier noch ein zweites, kleineres Buch anschaffen,
Liebe Mutter, ich wasche mich viel, und sehe nicht aus wie ein Student, geschweige denn wie ein – Ygel
Liebe Fanny, ich componire, liebes Beckchen ich mache dummes Zeug, lieber Paul ich weiß, was Schiefer ist. – Und so lebt wohl. Denkt mein; wenn ich zurückkomme, so bin ich wieder frisch und hätte ich auch nur Franken gesehn.
Verwandten, Freunden und aus- und einwärtigen Gönnern widmet diese lustige AnzeigeEuer Sohn, Bruder, Vormund und Gatte
Felix Mendelssohn Bartholdy.
Stud. phil. auf Reisen.
N. S. Bestellt Marx, ich würdse ihn bestehlen. Nähm’ er’s nicht übel, wär’s gut, nähm er’s übel – er wird’s übel nehmen!!* und grüßt ihn und alle. Le Grimsel.          
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August 1827; heutiger Standort: US-NYp, *MNY++ Mendelssohn Letters, Vol. I/39.</bibl> </listBibl></accMat> </physDesc> <history> <provenance> <p>-</p> </provenance> </history> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1827-09-04" xml:id="date_a9ec312e-5308-4a8f-97e9-438d1bac7759">4. September 1827</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_ef56493f-1c17-4fb9-b07c-c26eefacb8aa">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_c22396c7-742a-4828-b7f8-4b84f3762431"> <settlement key="STM0100152">Bamberg</settlement> <country>Deutschland</country></placeName></correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0113247" resp="receiver" xml:id="persName_dd4cc802-de60-417a-8a7b-39789ccbe91a">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</persName> <persName key="PSN0113241" resp="receiver" xml:id="persName_a13150f1-5bfc-488c-917e-07d733cb1457">Mendelssohn Bartholdy, Familie von → Abraham Mendelssohn Bartholdy</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_7ccc16fd-12de-45f4-8124-00e476194922"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country> </placeName></correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div type="address" xml:id="div_9f61a6e7-a5a9-48e5-b269-0e0751d43c4e"> <head> <address> <addrLine>Herrn</addrLine> <addrLine>Herrn Stadtrath <hi n="1" rend="underline">A. Mendelssohn Bartholdy</hi>.</addrLine> <addrLine>Wohlgeb</addrLine> <addrLine><hi n="1" rend="underline">Berlin.</hi></addrLine> <addrLine>Leipziger Str. No. 3.</addrLine> </address> </head> </div> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_56bb6054-5c0a-4e30-a3ef-d6e9808a12d5"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><dateline rend="right">Bamberg in Franken, am <date cert="high" when="1827-09-04" xml:id="date_d5fc0367-2a18-4a7d-94a4-9874a31a5de5">4 Sept. 1827</date>.</dateline><p style="paragraph_without_indent">Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken. Ich befinde mich in diesem Augenblicke so behäbig, daß ich glaube der Erzbischof von Bamberg zu seyn. – Die Stadt ist alt, voll Giebelhäusern, mit Kapellen, Klöstern, schwarzen Kirchen und ihren zackig spitzen Thürmen erfüllt, die Straßen belebt mit Verkäufern, Kaufenden, Spaziergängern, blauen Soldaten, schwarzen Geistlichen und bunten Bäuerinnen, und steigt man in die Höhe, so sieht man über die rauchigen Dächer hinweg, die Fruchtebne in dem blauen Farbenspiel der Ferne liegen. Weit hinüber schlängelt sich der Mayn an den Bergen hin, und die Regnitz, die hier durch die Stadt stürzt vereinigt sich da mit ihm. Die ganze Gegend ist ein Festtag, und so muß denn auch einem jeden festlich und feyerlich froh zu Muthe seyn. Morgen geht’s nach Nürnberg! – </p><p>Wir reisen aber wirklich nicht wie die Kaffer, d.h. ohne Besinnung, noch wie die Studenten, d.h. schmutzig. Auf’s erste entgegne ich, daß ich gestern im <placeName xml:id="placeName_ff4614d7-b0d6-4b1d-a3bf-ed6dcfdb1131">Kloster Banz<name key="SGH0100464" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktiner-Abtei Kloster Banz</name><settlement key="STM0100463" style="hidden" type="">Staffelstein</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> wohl eine Stunde lang die Orgel gespielt habe; (<persName xml:id="persName_9d916c25-bc87-4cd2-aa9b-ef0631002f3c">Heydemann<name key="PSN0111960" style="hidden">Heydemann, Albert Gustav (1808-1877)</name></persName> und <persName xml:id="persName_45ed6818-ca36-4143-90fa-d6a0dfa8a281">Magnus<name key="PSN0113039" style="hidden">Magnus, Rudolph Albert (1809-1859)</name></persName> traten schwitzend die Bälge; und der <persName xml:id="persName_c45eb90e-b8f5-403f-bf6a-3f55c8921db5">Organist<name key="PSN0115109" style="hidden">Steinruck, Georg (1785-1845)</name></persName> war sehr freundlich) auf’s zweite entgegne ich, daß heute unsre Sachen sehr sorgsam gewaschen wurden, und daß wir in einer Stunde ein Bad (d.h. drei) nehmen wollen. Wir haben der Wäscherinn einen Waschzettel gegeben, eine Abschrift davon selbst behalten, kurz wir sind Muster. (Wir sind auch barbirt)</p><p>Wo soll ich aber meine Erzählung anfangen? Der inliegende Brief, den ich de profundis an euch schrieb, und den ich, weil überall die Posten mir gar zu lange gingen, bis heute in der Tasche behielt, schildert Euch unsre Noth und Standhaftigkeit im Thüringer Walde. Es ist ein einförmiges, ziemlich langweiliges Gebirge, nur ein schöner Punct darin, Dorf Schwarzburg, die Wirthshäuser entsetzlich, die Leute verdrießlich faul, die Wagen schlecht, das Wetter unfreundlich. Von <placeName xml:id="placeName_509d55d4-89b4-4b8c-9cce-2b5bc8f0bbbb">Erbich<settlement key="STM0100620" style="hidden" type="locality">Urbich</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> aus mußten wir in einem Leiterwagen mit Stroh bepackt (Gott sey bei uns) auf Knüppeldämmen und Steinchausseen 4 Meilen in 6 Stunden fahren, und kamen so nach Rudolstadt, das nicht übel liegt. Von hier an wurde der Himmel blau, und bis heute hat sich kein Wölkchen mehr daran sehen lassen. Es ist der schönste Herbst! – Von Rudolstadt gingen wir zu Fuß nach Schwarzburg, wieder in den schmutzigen Thüringer Wald, und fuhren Abends im hellen Mondschein durch’s Gebirge nach Oberweißbach. Wir fanden auf dieser Fahrt die Gegend so lange himmlisch, bis wir alle drei fest schliefen, und hier verlor <persName xml:id="persName_8dbd0b74-2157-4549-986f-fe288fb6f129">Heydemann<name key="PSN0111960" style="hidden">Heydemann, Albert Gustav (1808-1877)</name></persName> seine Mütze und wachte mit der Frage auf: ich hatte doch etwas auf dem Kopf? In Oberweißbach ein schlechtes Wirthshaus, da die Thüre kein Schloß hatte wurde sie mit Stühlen, drei Mann hoch aufgestellt, verrammelt, das Geld unter die Kopfkissen gelegt, und die Betten waren so alt und altmodisch, daß ich die ganze Nacht von Herrn Burgemeister und einem großen Kindelbier geträumt habe. Mir wurde überhaupt in dem Nest ganz schöppenmäßig zu Muthe. Auch gab’s keinen Wagen zum Weiterfahren am andern Morgen. Wir mußten 2 Stunden gehn nach Neuhaus. Auch keinen Wagen. Zwei Stunden gehn nach Steinau. Wieder keinen. Zwei Stunden gehn bis Sonnenberg. Hier beschlossen wir zu Mittag zu essen. Da es aber Sonntag war, so fanden wir im Wirthshause nur einen Marqueur, der aussah wie Matze. Wir bestellten Bierkaltschale, und er brachte auch richtig Waschschüsseln, und da wir frugen was für Braten da sey, sagte er Gurkensalat. Endlich verschafften wir uns mit Mühe Bier, Rosinen, Zitronen, Brod und Zucker. Nun kochten wir. <persName xml:id="persName_a344cb8b-b814-42cd-bb50-634bb94bea9b">Magnus<name key="PSN0113039" style="hidden">Magnus, Rudolph Albert (1809-1859)</name></persName> drückte Zitrone, <persName xml:id="persName_9593bdde-f4be-4ec3-a909-43bb9eb1dca1">Heydemann<name key="PSN0111960" style="hidden">Heydemann, Albert Gustav (1808-1877)</name></persName> rieb Brod, ich bröckelte Zucker. Endlich wars fertig, aber da hatten sie uns solch infames, magenzerreißendes Bier gegeben, daß wir mit unserem Löwenappetite doch nur zwei Löffel davon trinken konnten, und uns dann mit Rosinenfischfang ernährten. Da es aber noch dazu theuer war, wurden wir humoristisch wüthend, und nahmen ein großes Stück Butter, warfen es in die Kalteschale, und schütteten das Salzfaß darüber aus. Dann versicherten wir den Marqueur, wir hätten von unserm Gebräu nur die Hälfte übrig gelassen. Wenn der’s getrunken hat! – – Bitt’ um Verzeihung; es war ein Studentenstreich, aber ich erinnre <persName xml:id="persName_c1850869-8b15-46ec-9a8a-793d5f261935">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName> ans Bier in Balingen! – Nun waren aber auch alle Mühseligkeiten aus, und wir fuhren auf glatter Chausee dem rothen Sonnenuntergang entgegen nach 3 Stunden in Coburg hinein, wo der Eingang ins Frankenland ist. Ein treffliches Süddeutsches Wirthshaus. Theater. Wir sahen <title xml:id="title_0d08e2fb-335a-4950-a5ea-047d755a116f">den ersten Act vom Concert am Hofe<name key="PSN0109578" style="hidden" type="author">Auber, Daniel-François-Esprit (1782-1871)</name><name key="CRT0107671" style="hidden" type="music">Le concert à la cour ou La Débutante AWV 11</name></title>. (Mein Auber!) Wir klatschten wüthend und brachten das Schauspielhaus in Allarm. Das Orchester ist recht gut. Daß doch alles bei uns so zersplittert seyn muß! – Im herrlichsten Mondschein gingen wir nach Hause zurück, aßen gutes Abendbrod, tranken (pardon!) eine Flasche Würzburger, denn wir wollten uns einmal gütlich thun, und schliefen bequem. Gestern früh besahen wir in Gesellschaft eines schwarz und silbern gekleideten Bergmannes aus Freiburg, der sich uns anschloß die Festung und die Stadt, freuten uns der Lage, denn Franken liegt einem da wie eine lebendige Landcarte zu den Füßen ausgebreitet, und um 11 Uhr gings hinein nach oben erwähntem <placeName xml:id="placeName_b1e60eb6-f01c-404a-9f9f-b640a229b7d7">Kloster Banz<name key="SGH0100464" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktiner-Abtei Kloster Banz</name><settlement key="STM0100463" style="hidden" type="">Staffelstein</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>. Gott welches Land! Kommt man auf die Höhe des Klosters, so sieht man die Maynebene, etwa 3 Meilen breit, und <formula rend="fraction_slash"> <hi rend="supslash">1</hi> <hi rend="barslash"></hi> <hi rend="subslash">2</hi> </formula> Meile lang, auf der einen Seite begränzt vom blauen Fichtelgebirge, auf der andern vom Thüringer Wald, drüben die Bamberger Höhen, alles mit Ortschaften bestreut, man sieht vorne einzelne Häuser, dann Dörfer mit Gärten und Klöstern, weiter hinten Gebüsche, über den Gebüschen wieder Thurmspitzen, dann Äcker, und das Fernrohr zeigt endlich noch eine neue Welt von Dörfern, Wohnorten und angebauten Plätzen. Und durch Dörfer und Städte und Klöster und Thürme windet sich der Mayn im Schlangenlaufe, bewässert die Wiesen, bereichert das Land, und wer da nicht ein Klotz ist, der muß jauchzen und glücklich seyn. <placeName xml:id="placeName_e325ae96-8367-4378-a39a-eb3ab30f1739">Banz<name key="SGH0100464" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktiner-Abtei Kloster Banz</name><settlement key="STM0100463" style="hidden" type="">Staffelstein</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> selbst ist ein ungeheures Jesuiten-Gebäude; wir wurden von einem <persName xml:id="persName_1c28a59d-d215-4254-8ee6-33bcc9f70587">Manne<name key="PSN0115109" style="hidden">Steinruck, Georg (1785-1845)</name></persName> herum geführt, der sich mir als <persName xml:id="persName_9323544e-4f68-4f70-abd2-d00dced2325f">Chordirector<name key="PSN0115109" style="hidden">Steinruck, Georg (1785-1845)</name></persName>, auf meine musikalischen Fragen, zu erkennen gab. Er zeigte mir ein altes Kirchenbuch, aus dem ich mir eine Melodie copirte. Dann führte <persName xml:id="persName_f0d660f8-c4df-4b7c-b84d-1dc783831c1a">er<name key="PSN0115109" style="hidden">Steinruck, Georg (1785-1845)</name></persName> uns auf die Orgel, und spielte uns recht fertig vor. Ich bat ihn dann mich spielen zu lassen, und so wurde denn die <title xml:id="title_e2ed8ae8-72b5-4ab8-b69d-e92abcf944ba">cis moll Fuge von Joh. Seb.<name key="PSN0109617" style="hidden" type="author">Bach, Johann Sebastian (1685-1750)</name><name key="CRT0107918" style="hidden" type="music">Fuge cis-Moll, BWV 849/2</name></title>, und eine Fantasie verübt. Er war dann sehr freundlich, führte uns noch auf die Terrasse hin, und obwohl ihm <persName xml:id="persName_2ebfd40f-3b39-493b-8535-9c4b1ab0caf1">Heydemann<name key="PSN0111960" style="hidden">Heydemann, Albert Gustav (1808-1877)</name></persName> (der Cassirer) einen Kronthaler aufdringen wollte, weigerte er sich ihn zu nehmen und ging. Er heißt übrigens <persName xml:id="persName_62781f0b-eb1c-405e-93c0-d5312a6fa73b">Steinruck<name key="PSN0115109" style="hidden">Steinruck, Georg (1785-1845)</name></persName>. Und das war die erste Bekanntschaft. Ich will auch noch mehrere machen. – </p><p>So kamen wir gestern nach Bamberg, und da ist’s schön. Heute ist Ruhe- und Reinigungstag. Eben erhalte ich <persName xml:id="persName_e5150ba4-8978-40ff-a134-f8a3aef0c289">Fanny’s<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name></persName> und <persName xml:id="persName_05aa8f4a-c479-4b11-b052-3d2d5cd8ec99">Rebecka’s<name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> Brief. Ich danke Euch dafür, er hat mich gar sehr erfreut; <persName xml:id="persName_3cc61c9f-8723-445c-a27b-06ebca7843cd">Mr. Simpsone<name key="PSN0114928" style="hidden">Simpson (Simpsone), W.</name></persName> sprach schön – aber nein! Daß <persName xml:id="persName_65c2cdbd-5dd4-4ae6-8a84-41113bc9e024">Bendemann<name key="PSN0109803" style="hidden">Bendemann, Familie von → Anton Heinrich B.</name></persName>s so lange in Düsseldorf waren, freut mich ja von Herzen – aber auch nein! Unter die <persName xml:id="persName_591623af-86ae-4fd5-9707-8daecc1b10e3">Lämmer<name key="PSN0117585" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Fanny Cäcilia (1805-1847)</name><name key="PSN0117586" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Rebecka Henriette (1811-1858)</name></persName> kommt also die Drehkrankheit? (Incurabel, wie <persName xml:id="persName_0e81a9eb-614e-4f1c-a582-55c6ca010a9f">Magnus<name key="PSN0113039" style="hidden">Magnus, Rudolph Albert (1809-1859)</name></persName>, Dr. med., versichert.) Ich will ein Einsiedler werden. – Zum drittenmale nein. Gestern in <placeName xml:id="placeName_05223f09-34dd-4ba6-bbb8-55be6e62717b">Banz<name key="SGH0100464" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktiner-Abtei Kloster Banz</name><settlement key="STM0100463" style="hidden" type="">Staffelstein</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName>, als es so gar herrlich war, packte uns drei auf einmal die Sehnsucht nach den Unsrigen, und wie denn alles die Farbe der Fröhlichkeit annimmt, so ergriffen wir die Wanderstäbe und beschrieben Kreise im Sand, und beschworen euch feierlich zur Stunde in <placeName xml:id="placeName_4817ffcf-f0bb-44a0-9873-a4609ab34d8e">Banz<name key="SGH0100464" style="hidden" subtype="" type="sight">Benediktiner-Abtei Kloster Banz</name><settlement key="STM0100463" style="hidden" type="">Staffelstein</settlement><country style="hidden">Deutschland</country></placeName> zu erscheinen. – Wir lachten aber nicht dabey, und ihr kamt auch nicht.</p><p>Lieber <persName xml:id="persName_8ea4301e-6f40-4bed-afb6-ee13e1eeccbd">Vater<name key="PSN0113247" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Abraham Ernst (bis 1822: Abraham Moses) (1776-1835)</name></persName>, ich zeichne viel und muß mir sogar hier noch ein zweites, kleineres Buch anschaffen,</p><p>Liebe <persName xml:id="persName_7ab94599-7838-4e84-8966-d1e95098927b">Mutter<name key="PSN0113260" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Lea Felicia Pauline (1777-1842)</name></persName>, ich wasche mich viel, und sehe nicht aus wie ein Student, geschweige denn wie ein – Ygel</p><p><seg type="salute">Liebe Fanny</seg>, ich componire, <seg type="salute">liebes Beckchen</seg> ich mache dummes Zeug, <seg type="salute">lieber Paul</seg> ich weiß, was Schiefer ist. <seg type="closer" xml:id="seg_37783456-5a62-49f7-8ac0-80e85fccc1f5">– Und so lebt wohl. Denkt mein; wenn ich zurückkomme, so bin ich wieder frisch und hätte ich auch nur Franken gesehn.</seg></p><closer rend="left" xml:id="closer_4a6841c6-f56d-4b94-9dcb-a990489c849a">Verwandten, Freunden und aus- und einwärtigen Gönnern widmet diese lustige Anzeige</closer><signed rend="right">Euer Sohn, Bruder, Vormund und Gatte</signed><signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy.</signed><signed rend="right">Stud. phil. auf Reisen.</signed></div><div n="2" type="act_of_writing" xml:id="div_6ffba3dd-1fc2-47d9-95ff-89c4775269de"><docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor><p style="paragraph_without_indent">N.S. Bestellt <persName xml:id="persName_65a2f5b0-d632-4fa4-a2ef-2eff0f01b336">Marx<name key="PSN0113108" style="hidden">Marx, Adolph Bernhard (1795-1866)</name></persName>, ich würdse ihn bestehlen. Nähm’ er’s nicht übel, wär’s gut, nähm er’s übel – er wird’s übel nehmen!!<ref target="#fn1" type="Footnotes_reference" xml:id="fnr1">*</ref> und grüßt ihn und alle.</p></div> <div type="footnotes_area" xml:id="div_6df5150a-a7a7-4f7b-adbe-3eefc0197b19"> <note n="*" subtype="author" target="fnr1" type="footnote" xml:id="fn1">Le Grimsel.</note> </div></body> </text></TEI>