fmb-1825-03-25-01
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Paris, 23. und 25. März 1825
Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)
4 beschr. S.
Felix Mendelssohn Bartholdy
-
Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.
Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.
Wie soll ich es anfangen, am ersten Morgen, den ich in Paris erlebe, einen ordentlichen, regelmäßigen und vernünftigen Brief zu schreiben? Dazu bin ich noch viel zu verwundert, zu neugierig zu verdreht. – Da ich doch aber versprochen habe ein Tagebuch nach Berlin zu senden, so fall ich also gleich mit der Thür ins Haus, und melde, daß wir gestern, 22sten März Abends 8 Uhr in Paris eingerückt sind. Als wir die Barrière de Pantin passirt hatten, fuhren wir eine starke Viertelstunde im schärfsten Trabe der tüchtigen Pferde, durch ein neues Stadttheil von Paris, was Vater noch gar nicht gesehn hatte. Das ist der Faubourg St. Lazard. Es sieht zwar noch an manchen Stellen sehr öde und confus da aus, doch meistentheils stehn schon Häuser da. Wir kamen nun bald in die alte Stadt, und endlich auf den Boulevard. Das ist ein Leben und Treiben, ein Rasseln und Knarren, ein Schreien und eine Lustigkeit unter den Leuten; alle Läden sind mit Gas vollkommen erleuchtet, und auch auf den Straßen verbreitet dies solche Helle, daß man bequem lesen könnte. Es ist so laut und so hell da, wie etwa bei einer großen Illumination in Berlin. Im Hôtel des Princes angekommen, fanden wir, obwohl
Gestern war einmal ein thatenreicher Tag! Mir ist als wär’ es eine Woche gewesen, und ich kann euch von Allem nur kurz erzählen, sonst schreibe ich bis Mitternacht, und es ist doch erst 8 Uhr Morgens. Vor allen Dingen melde ich, daß ich nach Mutters ausdrücklicher Verordnung eben ein Bad genommen, und mich dermaßen gewaschen, gerieben und geschubbert habe, daß man sichs nicht besser denken kann. Also wird Mutter über diesen Punct beruhigt seyn. – Nun von gestern. 1 2
einGambenregister steckt, das man vermittelst der Bälge anschwellen und abnehmen lassen kann. Zwischen jedem Stück der ziemlich trocknen, doch ziemlich melodiereichen Composition, spielte er den Cantus firmus, und wollte jedesmal andre Harmonien unterlegen. Das ging nich! Es wurde immer einförmiger, und je gedrehter, je flacher. Am Ende war eine Fuge. Brrrr! Das wars Thema, und die aller künstlichste und
Paris d. 23 März 1825. Wie soll ich es anfangen, am ersten Morgen, den ich in Paris erlebe, einen ordentlichen, regelmäßigen und vernünftigen Brief zu schreiben? Dazu bin ich noch viel zu verwundert, zu neugierig zu verdreht. – Da ich doch aber versprochen habe ein Tagebuch nach Berlin zu senden, so fall ich also gleich mit der Thür ins Haus, und melde, daß wir gestern, 22sten März Abends 8 Uhr in Paris eingerückt sind. Als wir die Barrière de Pantin passirt hatten, fuhren wir eine starke Viertelstunde im schärfsten Trabe der tüchtigen Pferde, durch ein neues Stadttheil von Paris, was Vater noch gar nicht gesehn hatte. Das ist der Faubourg St. Lazard. Es sieht zwar noch an manchen Stellen sehr öde und confus da aus, doch meistentheils stehn schon Häuser da. Wir kamen nun bald in die alte Stadt, und endlich auf den Boulevard. Das ist ein Leben und Treiben, ein Rasseln und Knarren, ein Schreien und eine Lustigkeit unter den Leuten; alle Läden sind mit Gas vollkommen erleuchtet, und auch auf den Straßen verbreitet dies solche Helle, daß man bequem lesen könnte. Es ist so laut und so hell da, wie etwa bei einer großen Illumination in Berlin. Im Hôtel des Princes angekommen, fanden wir, obwohl Herr Leo Zimmer für uns bestellt hatte, nur zwei Entre Sol’s bereitet, und man übergab uns alsbald ein Zettelchen von Onkel Meyer, welcher von Mantes herübergekommen war. Wir zogen uns eilig um, besuchten Tante Jette und Hrn. Meyer und trafen beide nicht zu Hause. 25 März. Gestern war einmal ein thatenreicher Tag! Mir ist als wär’ es eine Woche gewesen, und ich kann euch von Allem nur kurz erzählen, sonst schreibe ich bis Mitternacht, und es ist doch erst 8 Uhr Morgens. Vor allen Dingen melde ich, daß ich nach Mutters ausdrücklicher Verordnung eben ein Bad genommen, und mich dermaßen gewaschen, gerieben und geschubbert habe, daß man sichs nicht besser denken kann. Also wird Mutter über diesen Punct beruhigt seyn. – Nun von gestern. Leo und Meyer besuchten uns ganz früh schon, und schienen ganz verwundert, daß ich mich ihnen nicht mehr auf den Schooß setzte, keine Stühle umwarf, kein Geschrei machte u. s. w. Wir besuchten nun Tante Jette, und trafen sie schon auf der Straße auf dem Wege zu uns. Ihr mildes, ernstes, lebhaftes und überaus gütiges Wesen machte einen nicht geringen Eindruck. Und wie geistreich spricht sie! Wie freue ich mich darauf sie euch zurückzubringen! – Wir kamen um 1 2 12 Uhr wieder zu ihr, nachdem wir Rode bei Leo gesehn hatten. Rode ist alt geworden, aber er sprüht noch immer von Feuer. Vater erzählte ihm mehreres von Ritz, und ich mußte ihm mit kalten Fingern vorspielen, und er versprach heute um 10 Uhr zu uns zu kommen, u. s. w. Wir kamen also zu Tante Jette, die mir gleich eine Menge Kuchen (die Cultur in Frankreich ist fortgeschritten) zu essen gab. Ich aß! und dann gingen wir drei zum Ritter Neukomm, bei welchem ein Stabatt mater a 3 von eigner Composition probiert wurde. Die Sänger waren zwei Knaben, (beide vortreffliche Stimmen, besonders ist die des Sopran sehr schön und weich, und ein Tenor mit schöner Stimme, welcher aber gewaltig detonirte. Alle drei sangen mit erstaunlicher Fertigkeit das Stück vom Blatt, und legten den richtigen Ausdruck hinein, der nur selten in Affectation ausartete. Neukomm (er scheint sehr gut zu unterrichten) begleitete sie auf der orgue expressive, einem neu-erfundnen Instrumente, in welchem ein Gambenregister steckt, das man vermittelst der Bälge anschwellen und abnehmen lassen kann. Zwischen jedem Stück der ziemlich trocknen, doch ziemlich melodiereichen Composition, spielte er den Cantus firmus, und wollte jedesmal andre Harmonien unterlegen. Das ging nich! Es wurde immer einförmiger, und je gedrehter, je flacher. Am Ende war eine Fuge. Brrrr! Das wars Thema, und die aller künstlichste und tiefste Stelle darin, folgende etc. in Ewigkeit. Er sollte Altkomm heißen. Nachher phantasirte er uns auch was vor. Nun ging ich zu Erard und fand ihn im Vorsaal. Ich gab meinen Brief ab, er war sehr freundlich, sagte mir er seye in einer Probe zu einem Privatconcerte begriffen, wozu er uns auf heute zu sich einlud, nöthigte mich herein, die Gesellschaft war sehr freundlich und artig gegen mich, ich sah Heinrich Romberg, Hallevi, Grasset und meinen lieben Hummel, der sobald er mich sah ausrief „I da ist ja der Felix“ und nachdem er mich geküßt gleich sagte „Aber wo sind halt die Zöpf gebliebe“ u. s. w. Man machte einen Chor von Hummel, das Graduale. Die Vermuthung, die mir ein großes Crucifix in seiner Stube zu Weimar erregt hatte, daß er streng catholisch sey, wurde durch den Anfang dieses Stücks noch bestärkt; denn der ist sehr orthodox und ernst. Doch hält sich’s nicht bis zum Ende. Als mir ein Duett aus Olimpia in die Nase stach drückte ich mich. – Zu Hause fand ich Louis Saaling, wir besuchten Fould, Mde. Valentin, Baillot, trafen sie aber nicht zu Hause, Eichthal’s trafen wir aber, und sahen auch Gustavs Geschwister, die ihm zum Sprechen ähnlich sehen, und sich sehr über manche Anekdoten freuten, die wir von ihm erzählten. Morgen essen wir bei ihnen, dann mehr. Heute morgen will der junge Eichthal kommen, mich zum Spaziergang abzuholen. Lebt wohl! Ich schließe wider meine Gewohnheit sehr kurz. Lebt wohl. Euer Felix.
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Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1825-03-23" xml:id="date_c9a297d1-e081-485d-9554-edadfc3603f1">23.</date> und <date cert="high" when="1825-03-25" xml:id="date_6b1ba4fb-456a-41a1-88a2-aa1ebf879dff">25. 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Am Ende war eine Fuge. Brrrr! <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_d7f3c46d-d631-1c26d-07900-6fdc0456d3fc" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note>Das wars Thema, und die aller künstlichste und <title xml:id="title_88b54806-618d-47c1-a592-2f987c157d6a">tiefste Stelle darin<name key="PSN0113580" style="hidden" type="author">Neukomm, Sigismund (seit 1815) Ritter von (1778-1858)</name><name key="CRT0110213" style="hidden" type="music">Stabat Mater d-Moll, NV 199</name></title>, folgende <note resp="FMBC" style="hidden" type="text_constitution" xml:id="note_2d6eb761-f80a-86e57-a5a87-0cace07650d9" xml:lang="de">Noten, Grafiken, Sonderzeichen siehe FMB-Druckausgabe.</note>etc. in Ewigkeit. Er sollte Altkomm heißen. Nachher phantasirte er uns auch was vor. Nun ging ich zu <persName xml:id="persName_d7db5640-d9cf-48ab-bc25-c78bdea84deb">Erard<name key="PSN0110925" style="hidden">Érard, Sébastien (1752-1831)</name></persName> und fand ihn im Vorsaal. Ich gab meinen Brief ab, er war sehr freundlich, sagte mir er seye in einer Probe zu einem Privatconcerte begriffen, wozu er uns auf heute zu sich einlud, nöthigte mich herein, die Gesellschaft war sehr freundlich und artig gegen mich, ich sah <persName xml:id="persName_c369626f-640d-4795-a4cf-fa11986d8ea0">Heinrich Romberg<name key="PSN0114272" style="hidden">Romberg, Bernhard Heinrich (1767-1841)</name></persName>, <persName xml:id="persName_a0177d59-d29f-4e1b-8de6-cea150e0700d">Hallevi<name key="PSN0111677" style="hidden">Halévy, Jacques François Fromental Élie (Fromentin Elias) (1799-1862)</name></persName>, <persName xml:id="persName_b17f5d3b-7779-41c1-90c9-1c83eb63f721">Grasset<name key="PSN0111510" style="hidden">Grasset, Jean Jacques (?-1839)</name></persName> und meinen lieben <persName xml:id="persName_b79f1222-bf7d-40f3-98e4-0181fb3b4584">Hummel<name key="PSN0112147" style="hidden">Hummel, Johann Nepomuk (1778-1837)</name></persName>, der sobald er mich sah ausrief „I da ist ja der Felix“ und nachdem er mich geküßt gleich sagte „Aber wo sind halt die Zöpf gebliebe“ u. s. w. <title xml:id="title_59792676-41c4-4207-ae4a-2da2356e3ee8">Man machte einen Chor<name key="PSN0112147" style="hidden" type="author">Hummel, Johann Nepomuk (1778-1837)</name><name key="CRT0109413" style="hidden" type="music">Graduale »Quod quod in orbe« für vierstimmigen Chor op. 88</name></title> von Hummel, das Graduale. Die Vermuthung, die mir ein großes Crucifix in seiner Stube zu Weimar erregt hatte, daß er streng catholisch sey, wurde durch den Anfang dieses Stücks noch bestärkt; denn der ist sehr orthodox und ernst. Doch hält sich’s nicht bis zum Ende. Als mir ein Duett aus <title xml:id="title_6c09aa4b-07a7-4f11-8dd7-676601893940">Olimpia<name key="PSN0115037" style="hidden" type="author">Spontini, Gaspare Luigi Pacifico (1774-1851)</name><name key="CRT0110969" style="hidden" type="music">Olimpie</name></title> in die Nase stach drückte ich mich. – Zu Hause fand ich <persName xml:id="persName_ff530d84-4323-4b2b-b4b1-952c9fab15e7">Louis Saaling<name key="PSN0114386" style="hidden">Saaling (vorh. Salomon), Ferdinand Louis (eigtl. Löb) (1783-1867)</name></persName>, wir besuchten <persName xml:id="persName_9ba3b8b7-0136-43b6-a635-4692ee6953c7">Fould<name key="PSN0111102" style="hidden">Fould, Beer Léon (1767-1855)</name></persName>, <persName xml:id="persName_a336194d-3b37-4a6c-a57b-a4db8be1e2f4">Mde. Valentin<name key="PSN0115445" style="hidden">Vallentin, Nanette (1784-1848)</name></persName>, <persName xml:id="persName_277bb229-7afc-4e47-994b-f4feea28cbd8">Baillot<name key="PSN0109640" style="hidden">Baillot, Pierre Marie François de Sales (1771-1842)</name></persName>, trafen sie aber nicht zu Hause, <persName xml:id="persName_015bc9bc-2d7c-4328-8e6d-2b759efcba1a">Eichthal’s<name key="PSN0110857" style="hidden">Eichthal, Familie von → Louis d’E.</name></persName> trafen wir aber, und sahen auch <persName xml:id="persName_caee9392-bda3-4208-bf6c-a71ecbd6c151">Gustavs<name key="PSN0110863" style="hidden">Eichthal (vorh. Seeligmann), Gustave (seit 1814) Baron d’ (1804-1886)</name></persName> <persName xml:id="persName_5f38a2f4-77d2-4fe3-a47d-8b322ece863d">Geschwister<name key="PSN0110860" style="hidden">Eichthal (vorh. Seeligmann), Adolphe (seit 1814) Baron d’ (1805-1895)</name><name key="PSN0110861" style="hidden">Eichthal, Anne Elisabeth Baronesse d’ (1817-1863)</name></persName>, die ihm zum Sprechen ähnlich sehen, und sich sehr über manche Anekdoten freuten, die wir von ihm erzählten. Morgen essen wir bei ihnen, dann mehr. Heute morgen will der <persName xml:id="persName_6511ec25-50fd-4242-8601-0fe90145daf0">junge Eichthal<name key="PSN0110860" style="hidden">Eichthal (vorh. Seeligmann), Adolphe (seit 1814) Baron d’ (1805-1895)</name></persName> kommen, mich zum Spaziergang abzuholen. <seg type="closer">Lebt wohl! Ich schließe wider meine Gewohnheit sehr kurz</seg>. </p> <closer rend="left" xml:id="closer_f32f9d64-6f67-47f7-bae4-10d99defb141">Lebt wohl. </closer> <signed rend="right">Euer</signed> <signed rend="right">Felix.</signed> </div> </body> </text></TEI>