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fmb-1824-01-16-01

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Friedrich Voigts in Hannover<lb></lb>Berlin, 16. Januar 1824 Wie sehr danke ich Ihnen, mein Herr, daß Sie die große Güte haben wollen mir Ihren Texts zur Composition zu geben. Nach allem was ich bis jetzt davon kenne, wird er ohne Zweifel ganz ausgezeichnet Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online (FMB-C) noch nicht ermittelt noch nicht ermittelt Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Transkription: FMB-C Edition: FMB-C Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe (FMB-C). Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Humboldt-Universität zu Berlin
Am Kupfergraben 5 10117 Berlin Deutschland
http://www.mendelssohn-online.com Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Bd. 1, 34

Maschinenlesbare Übertragung der vollständigen Korrespondenz Felix Mendelssohn Bartholdys (FMB-C)

Deutschland Berlin D-B Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Musikabteilung MA Depos. MG 26. Autograph Felix Mendelssohn Bartholdy an Friedrich Voigts in Hannover; Berlin, 16. Januar 1824 Wie sehr danke ich Ihnen, mein Herr, daß Sie die große Güte haben wollen mir Ihren Texts zur Composition zu geben. Nach allem was ich bis jetzt davon kenne, wird er ohne Zweifel ganz ausgezeichnet

10 beschr. S.

Felix Mendelssohn Bartholdy

-

Rudolf Elvers, »Nichts ist so schwer gut zu componiren als Strophen«. Zur Entstehungsgeschichte des Librettos von Felix Mendelssohns Oper »Die Hochzeit des Camacho«, Berlin und Basel 1976, S. 7-11 (mit Faksimile).

Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.

Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept, Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.

16. Januar 1824 Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)counter-resetMendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Berlin Deutschland Voigts, Friedrich (1792-1861) Hannover Deutschland deutsch
Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847) Berlin d. 16 Jan. 1824.

Wie sehr danke ich Ihnen, mein Herr, daß Sie die große Güte haben wollen mir Ihren Texts<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name> zur Composition<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_buqhsowh-hdhn-na9e-9i3x-dxy7aj7hbqg7"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100324" style="hidden">Die Hochzeit des Camacho, Komische Oper in zwei Akten, 11. Juni 1824 bis 10. August 1825; [1826/1827]<idno type="MWV">L 5</idno><idno type="op">10</idno></name> zu geben. Nach allem was ich bis jetzt davon kenne, wird er ohne Zweifel ganz ausgezeichnet werden. Seyn Sie versichert, daß ich mir alle Mühe geben will, ihn so gut zu componiren, als in meinen Kräften steht. Mehr – kann ich freilich nicht leisten, aber ein Schelm, der mehr gibt, als er hat.

Was mich besonders an dem vorliegenden Plane erfreut ist die Originalität die darin herrscht, und daß Sie z. B. aus der Quiteria nicht solche schmachtende Dame gemacht haben, wie sie in allen Opern vorkommen. Warum soll denn ein Text, wie der andre, eine Situation wie die andre seyn? Warum soll man einen Normalcharacter für alle Liebhaber alle Tyrannen etc. haben? Warum soll der Zuschauer, wenn er die prima donna erscheinen sieht, schon wissen, was sie vorbringen wird? Nein, ich bin ganz Ihrer Meinung, daß nur durch Originalität und neue Situationen und Charactere das einer Oper so nöthige Interesse bewirkt werden kann.

Sie waren so gütig mir zu erlauben, Ihnen einige Bemerkungen über Ihren Plan mitzutheilen, und ich bin so frei, diese Erlaubniß zu benutzen.

Es scheint aus einigen Stellen im Plane hervorzugehen, daß Sie die Musikstücke gern in Strophen eintheilen. Bei Romanzen ist dies gewiß wohl angewendet. Doch bei größern Stücken Duetten, Terzetten u. s. w. halte ich es nicht für rathsam. Erstlich, weil es etwas veraltet ist, dann weil nichts so schwer gut zu componiren ist, als Strophen, und endlich weil sie die Handlung sehr unterbrechen, indem der Componist gezwungen ist, doch wenigstens alle Verse zu componiren, da er hingegen in einer Strophe oder in wenigen Versen völlige Freiheit sich auszudehnen hat, ohne dabei an die Länge des Gedichts gebunden zu sein. Ja auch in den größern Arien werde ich Sie bitten keine Strophen zu machen, sondern lieber ein freies ganz regelloses Versmaß zu brauchen. Wenn es Ihnen möglich ist, so erfüllen Sie doch diese Bitte, denn ich versichere Sie, daß nichts so unangenehm zu componiren ist, als Strophen.

Was den Vivaldo betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung; nur wird es schwer sein, eine gehörige Exposition seines Standes zu machen, damit der Zuschauer nicht den Intriguenführer in ihm merke.

Machen Sie doch ja keinen zu kurzen Dialog zwischen den Musikstücken. Sänger, Orchester, und Zuhörer müssen sich verpusten können. Ich halte ein Paar Worte zwischen den Gesangstücken für höchst nothwendig.

Das Duett worin Vivaldo und Basilio ihre Damen preisen, scheint mir nicht nöthig und der Inhalt desselben nicht neu. Ich würde das Musikstück erst da anfangen wo Lucinde auftritt, so daß dann auch das Gespräch der beiden Männer länger werden könnte.

Die Lästerschule<name key="PSN0112792" style="hidden" type="author">Leonhardi, Johann</name><name key="CRT0109707" style="hidden" type="dramatic_work">Die Lästerschule (dt. Übersetzung von → Richard Brinsley Sheridans Komödie The School for Scandal)</name> scheint mir, würde die Handlung unnöthiger weise sehr aufhalten. Auch bin ich der Meinung, daß Carrasco No. 2 nicht in aller Leute Gegenwart singe. Er könnte ja mit der trauernden Tochter aus der Thüre kommen, um der Caravane entgegen zu gehn, und ihr nun alle ihre Pflichten vorhalten. Schon die väterliche Eitelkeit erlaubt ihm nicht dies vor so vielen Leuten zu thun. Überhaupt bin ich nicht dafür, des Carrasco Partie ganz niedrig komisch zu halten, er bleibt doch immer Vater der Quiteria, und als solcher darf er dem Publicum nicht verächtlich gemacht werden.

Das nun folgende Musikstück ist sehr schön. Doch muß auf jeden Fall die ganze Masse von dem Solo der Quiteria „Laßt mich, o laßt mich etc“ bis zum Abgang des Chors ein Stück sein, in welchem die Contraste der Wuth des Carrasco, das Phlegma des Sancho u. s. w. sich kräftig herausheben werden. Doch muß zwischen diesem Stück und dem Duett von Basilio und Lucinde der Dialog nicht fehlen damit der Zuhörer sich nach einer so großen Catastrophe etwas ausruhen kann. Vivaldo muß erst nach Schluß des Duetts auftreten, damit auch hier kein Gespräch fehle.

Ihre Idee mit der Höhle des Montesinos<name key="PSN0110339" style="hidden" type="author">Cervantes Saavedra, Miguel de (1547-1616)</name><name key="CRT0108352" style="hidden" type="literature">Don Quixote</name> und dem ersten Auftritt des Don Quixote gefällt mir ganz außerordentlich, und ich werde Sie bitten die Verse die im Plan zu der Arie des Basilio stehen, beizubehalten weil ich schon eine Idee zu der Composition dazu habe. (Ich meine diese: Lasset euch winden etc. und Noch hab ich ja mein Schwert etc.)

Nun muß aber wieder Dialog sein, zwischen dieser Arie, und dem folgenden Gesang. Basilio könnte Sancho und D. Quix. kommen sehn, sein Erschrecken und Sanchos Sprichwörter könnten komische Quiproquo’s geben, und mitten drin könnte der bisher schweigende Don Quixote in sein Recit. ausbrechen. – Das Finale ohne die Fechtscene scheint mir das bessere zu sein, nur wäre folgende Aenderung nothwendig: Erst die Romanze der Quiteria; dann ein Gespräch zwischen Vivaldo und Lucinde welches statt des Duetts ist. Denn sonst fehlte zwischen Romanze und Duett von Viv. und Luc. und dem der beiden Männer alles Gespräch; auch weiß ich nicht welcher Lärm Viv. und Luc. bewegen könnte abzugehn, da nur Quit. auf dem Altan erscheint. So ist es aber der Lärm des Carr. und Cam. der sie erschreckt. Nun No 8. Dann Gespräch. Luc. und Quit. treten auf den Altan. Vivaldo kommt, erzählt, Basilio sei wahnsinnig und nun Finale. Quit. klagend, Luc. beruhigend. Carr. der sich auf Enkel freut, Camacho. nur einzelne Worte. Viv. spottend. Alles dies kommt erst einzeln dann aber zusammen, und gibt einen Teufelslärm. Plötzlich kommt nun noch Sancho, mit dem Chor, will erzählen, wird nicht gehört; es sei Hochzeit, heißt es, und nun ein jubelnder Chor, der durch einzelne Klageaccente der Quiteria unterbrochen wird. So wird sich das Finale gewiß gut ausnehmen, und leicht componiren lassen.

Das Einzige, was mir nun noch am 1sten Acte nicht gefiele, wäre daß Basilio’s Fliehen in die Höhle nicht motivirt genug ist, und daß der Zuschauer merken wird, daß dies blos des D. Quixote’s willen geschehen sei. Wenn man dies Fliehen mehr in’s Stück eingreifen ließe, damit es nothwendig wird, wenn z. B. Vivaldo dem Cam. und Carr. sagt, Bas. sei wahnsinnig und habe sein Haus verlassen niemand wisse wohin er sei? wenn er diese Idee dem Basilio schon früher mitgetheilt hätte; oder wenn Bas. um sich recht ungestört zu verkleiden sich in die Höhle zurückzöge, oder wenn ihn eine größere Verlegenheit dazu zwänge, so wäre diesem (sehr leicht zu hebenden) Übel abgeholfen. Ein Paar Worte werden hinreichend sein.

Ihre Idee mit dem Canon, der den 2ten Act beginnt, ist trefflich, und sehr musicalisch; ich freue mich sehr darauf, ihn recht bald ganz zu sehen. Ihr Trinklied ist ganz wunderhübsch. Doch hab’ ich auch darin (ich Unverschämter!) etwas mir auszubitten. Mir hat nämlich die Idee, daß sich ein Bauer nach dem andern um ihn versammelt, bis ein Chor gebildet ist, der plötzlich fortissime losbrüllt, gefallen, und ich möchte diesen aus dem Himmel fallenden Chor nicht gern verlieren. Wie wär’s wenn sie den Chor, der doch eigentlich nur das wiederholt, was Sancho gesagt hat, bis auf die Letzt aufsparten, so daß er mit „Vivat, des Wirthes schöne Braut“ einstimmt? Sancho finge dann das Trinklied gemächlich an, würde durch das Zapfen, während des Ritornells immer fideler, und dieser Steigerung setzte der einstimmige Chor die Krone auf, deren Glanz durch das Springen und Taumeln des ganzen Personals noch erhöht wird. Gewähren Sie mir doch diese Bitte.

Sanchos Lob der Quiteria möchte wohl im Gespräch besser sein. Denn zwischen seinem Trinklied und dem Festspiel darf der Dialog ja nicht zu kurz sein, doch auch das kleinste Musikstück würde aufhalten. Er könnte diese Lobpreisung ja in Knittelversen machen, wie ich überhaupt dafür bin, den Sancho oft in Knittelversen reden zu lassen.

Den Priester auftreten zu lassen, wäre freilich gut, doch wird es auf den wenigsten Bühnen Deutschlands geduldet; ja man hat in einem zum Drama umgeschmolznen Epos (Hermann und Dorothea<name key="PSN0115356" style="hidden" type="author">Töpfer, Carl Friedrich Gustav (1792-1871)</name><name key="CRT0111098" style="hidden" type="literature">Johann Wolfgang von Goethe, Hermann und Dorothea (Bearbeitung)</name>) den Pfarrer zu einem Rector machen müssen, wahrscheinlich nur darum, weil es nicht erlaubt ist, den Geistlichen auf die Bühne zu bringen. Und wenn dies hier geschieht, wie wird es dann erst in Oestreich sein?

Was das Übrige betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung. Nur muß D. Quixote in dem Augenblick erscheinen, in dem schon des Basilio Anhänger zurückgedrängt werden, um nun der Sache eine andere Wendung zu geben, und um ein nothwendiger Hebel zu Basilio’s Glücke zu werden. Denn er darf doch nicht bloße Nebenfigur sein, sondern auch er muß in’s Stück eingreifen. Und so würde sich dann das Finale sehr gut machen; doch sind Vivaldo und Lucinde nicht zu vergessen. Auch ist hier der Ort wo Camacho’s eingestreute Wörter ein herrlichen Effekt hervorbringen werden.

Nun muß ich Sie nur vor allem bitten mir meine Kühnheit, Ihnen Bemerkungen zu machen, zu verzeihen. Beim vollendetsten Kunstwerke wird immer noch einer oder der andre etwas zu tadeln haben. Das was er bekrittelt, wird der andre als erhabenste Schönheit preisen. Doch wird man selten einen Tadel finden, der ganz ohne Grund ist; und da ich nun einmal von Ihnen die gütige Erlaubniß dazu erhalten habe, und auch wünsche eine Musik<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_jdchymwt-ygfg-jkve-l5mt-no7lpec6gast"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100324" style="hidden">Die Hochzeit des Camacho, Komische Oper in zwei Akten, 11. Juni 1824 bis 10. August 1825; [1826/1827]<idno type="MWV">L 5</idno><idno type="op">10</idno></name> zu machen, die Ihrem Text<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name> doch wenigstens nachstrebt, so war ich so frei Ihnen die Stellen zu bemerken, die mich nicht so ganz ansprechen. Wollten Sie darauf Rücksicht nehmen, so wird es mich sehr erfreuen. Ich danke Ihnen sehr, für die große Mühe die Sie sich bis jetzt schon damit gegeben haben. Hierbei schicke ich Ihnen auch Ihren Plan<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name> wieder.

Ich hoffe bald etwas von Ihnen zu hören und zu sehen. Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, so denken Sie doch an diese Oper, und vergessen Sie nicht Ihren ergebnen Felix Mendelssohn Bartholdy
            Berlin d. 16 Jan. 1824. Wie sehr danke ich Ihnen, mein Herr, daß Sie die große Güte haben wollen mir Ihren Texts zur Composition zu geben. Nach allem was ich bis jetzt davon kenne, wird er ohne Zweifel ganz ausgezeichnet werden. Seyn Sie versichert, daß ich mir alle Mühe geben will, ihn so gut zu componiren, als in meinen Kräften steht. Mehr – kann ich freilich nicht leisten, aber ein Schelm, der mehr gibt, als er hat.
Was mich besonders an dem vorliegenden Plane erfreut ist die Originalität die darin herrscht, und daß Sie z. B. aus der Quiteria nicht solche schmachtende Dame gemacht haben, wie sie in allen Opern vorkommen. Warum soll denn ein Text, wie der andre, eine Situation wie die andre seyn? Warum soll man einen Normalcharacter für alle Liebhaber alle Tyrannen etc. haben? Warum soll der Zuschauer, wenn er die prima donna erscheinen sieht, schon wissen, was sie vorbringen wird? Nein, ich bin ganz Ihrer Meinung, daß nur durch Originalität und neue Situationen und Charactere das einer Oper so nöthige Interesse bewirkt werden kann.
Sie waren so gütig mir zu erlauben, Ihnen einige Bemerkungen über Ihren Plan mitzutheilen, und ich bin so frei, diese Erlaubniß zu benutzen.
Es scheint aus einigen Stellen im Plane hervorzugehen, daß Sie die Musikstücke gern in Strophen eintheilen. Bei Romanzen ist dies gewiß wohl angewendet. Doch bei größern Stücken Duetten, Terzetten u. s. w. halte ich es nicht für rathsam. Erstlich, weil es etwas veraltet ist, dann weil nichts so schwer gut zu componiren ist, als Strophen, und endlich weil sie die Handlung sehr unterbrechen, indem der Componist gezwungen ist, doch wenigstens alle Verse zu componiren, da er hingegen in einer Strophe oder in wenigen Versen völlige Freiheit sich auszudehnen hat, ohne dabei an die Länge des Gedichts gebunden zu sein. Ja auch in den größern Arien werde ich Sie bitten keine Strophen zu machen, sondern lieber ein freies ganz regelloses Versmaß zu brauchen. Wenn es Ihnen möglich ist, so erfüllen Sie doch diese Bitte, denn ich versichere Sie, daß nichts so unangenehm zu componiren ist, als Strophen.
Was den Vivaldo betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung; nur wird es schwer sein, eine gehörige Exposition seines Standes zu machen, damit der Zuschauer nicht den Intriguenführer in ihm merke.
Machen Sie doch ja keinen zu kurzen Dialog zwischen den Musikstücken. Sänger, Orchester, und Zuhörer müssen sich verpusten können. Ich halte ein Paar Worte zwischen den Gesangstücken für höchst nothwendig.
Das Duett worin Vivaldo und Basilio ihre Damen preisen, scheint mir nicht nöthig und der Inhalt desselben nicht neu. Ich würde das Musikstück erst da anfangen wo Lucinde auftritt, so daß dann auch das Gespräch der beiden Männer länger werden könnte.
Die Lästerschule scheint mir, würde die Handlung unnöthiger weise sehr aufhalten. Auch bin ich der Meinung, daß Carrasco No. 2 nicht in aller Leute Gegenwart singe. Er könnte ja mit der trauernden Tochter aus der Thüre kommen, um der Caravane entgegen zu gehn, und ihr nun alle ihre Pflichten vorhalten. Schon die väterliche Eitelkeit erlaubt ihm nicht dies vor so vielen Leuten zu thun. Überhaupt bin ich nicht dafür, des Carrasco Partie ganz niedrig komisch zu halten, er bleibt doch immer Vater der Quiteria, und als solcher darf er dem Publicum nicht verächtlich gemacht werden.
Das nun folgende Musikstück ist sehr schön. Doch muß auf jeden Fall die ganze Masse von dem Solo der Quiteria „Laßt mich, o laßt mich etc“ bis zum Abgang des Chors ein Stück sein, in welchem die Contraste der Wuth des Carrasco, das Phlegma des Sancho u. s. w. sich kräftig herausheben werden. Doch muß zwischen diesem Stück und dem Duett von Basilio und Lucinde der Dialog nicht fehlen damit der Zuhörer sich nach einer so großen Catastrophe etwas ausruhen kann. Vivaldo muß erst nach Schluß des Duetts auftreten, damit auch hier kein Gespräch fehle.
Ihre Idee mit der Höhle des Montesinos und dem ersten Auftritt des Don Quixote gefällt mir ganz außerordentlich, und ich werde Sie bitten die Verse die im Plan zu der Arie des Basilio stehen, beizubehalten weil ich schon eine Idee zu der Composition dazu habe. (Ich meine diese: Lasset euch winden etc. und Noch hab ich ja mein Schwert etc. )
Nun muß aber wieder Dialog sein, zwischen dieser Arie, und dem folgenden Gesang. Basilio könnte Sancho und D. Quix. kommen sehn, sein Erschrecken und Sanchos Sprichwörter könnten komische Quiproquo’s geben, und mitten drin könnte der bisher schweigende Don Quixote in sein Recit. ausbrechen. – Das Finale ohne die Fechtscene scheint mir das bessere zu sein, nur wäre folgende Aenderung nothwendig: Erst die Romanze der Quiteria; dann ein Gespräch zwischen Vivaldo und Lucinde welches statt des Duetts ist. Denn sonst fehlte zwischen Romanze und Duett von Viv. und Luc. und dem der beiden Männer alles Gespräch; auch weiß ich nicht welcher Lärm Viv. und Luc. bewegen könnte abzugehn, da nur Quit. auf dem Altan erscheint. So ist es aber der Lärm des Carr. und Cam. der sie erschreckt. Nun No 8. Dann Gespräch. Luc. und Quit. treten auf den Altan. Vivaldo kommt, erzählt, Basilio sei wahnsinnig und nun Finale. Quit. klagend, Luc. beruhigend. Carr. der sich auf Enkel freut, Camacho. nur einzelne Worte. Viv. spottend. Alles dies kommt erst einzeln dann aber zusammen, und gibt einen Teufelslärm. Plötzlich kommt nun noch Sancho, mit dem Chor, will erzählen, wird nicht gehört; es sei Hochzeit, heißt es, und nun ein jubelnder Chor, der durch einzelne Klageaccente der Quiteria unterbrochen wird. So wird sich das Finale gewiß gut ausnehmen, und leicht componiren lassen.
Das Einzige, was mir nun noch am 1sten Acte nicht gefiele, wäre daß Basilio’s Fliehen in die Höhle nicht motivirt genug ist, und daß der Zuschauer merken wird, daß dies blos des D. Quixote’s willen geschehen sei. Wenn man dies Fliehen mehr in’s Stück eingreifen ließe, damit es nothwendig wird, wenn z. B. Vivaldo dem Cam. und Carr. sagt, Bas. sei wahnsinnig und habe sein Haus verlassen niemand wisse wohin er sei? wenn er diese Idee dem Basilio schon früher mitgetheilt hätte; oder wenn Bas. um sich recht ungestört zu verkleiden sich in die Höhle zurückzöge, oder wenn ihn eine größere Verlegenheit dazu zwänge, so wäre diesem (sehr leicht zu hebenden) Übel abgeholfen. Ein Paar Worte werden hinreichend sein.
Ihre Idee mit dem Canon, der den 2ten Act beginnt, ist trefflich, und sehr musicalisch; ich freue mich sehr darauf, ihn recht bald ganz zu sehen. Ihr Trinklied ist ganz wunderhübsch. Doch hab’ ich auch darin (ich Unverschämter!) etwas mir auszubitten. Mir hat nämlich die Idee, daß sich ein Bauer nach dem andern um ihn versammelt, bis ein Chor gebildet ist, der plötzlich fortissime losbrüllt, gefallen, und ich möchte diesen aus dem Himmel fallenden Chor nicht gern verlieren. Wie wär’s wenn sie den Chor, der doch eigentlich nur das wiederholt, was Sancho gesagt hat, bis auf die Letzt aufsparten, so daß er mit „Vivat, des Wirthes schöne Braut“ einstimmt? Sancho finge dann das Trinklied gemächlich an, würde durch das Zapfen, während des Ritornells immer fideler, und dieser Steigerung setzte der einstimmige Chor die Krone auf, deren Glanz durch das Springen und Taumeln des ganzen Personals noch erhöht wird. Gewähren Sie mir doch diese Bitte.
Sanchos Lob der Quiteria möchte wohl im Gespräch besser sein. Denn zwischen seinem Trinklied und dem Festspiel darf der Dialog ja nicht zu kurz sein, doch auch das kleinste Musikstück würde aufhalten. Er könnte diese Lobpreisung ja in Knittelversen machen, wie ich überhaupt dafür bin, den Sancho oft in Knittelversen reden zu lassen.
Den Priester auftreten zu lassen, wäre freilich gut, doch wird es auf den wenigsten Bühnen Deutschlands geduldet; ja man hat in einem zum Drama umgeschmolznen Epos (Hermann und Dorothea) den Pfarrer zu einem Rector machen müssen, wahrscheinlich nur darum, weil es nicht erlaubt ist, den Geistlichen auf die Bühne zu bringen. Und wenn dies hier geschieht, wie wird es dann erst in Oestreich sein?
Was das Übrige betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung. Nur muß D. Quixote in dem Augenblick erscheinen, in dem schon des Basilio Anhänger zurückgedrängt werden, um nun der Sache eine andere Wendung zu geben, und um ein nothwendiger Hebel zu Basilio’s Glücke zu werden. Denn er darf doch nicht bloße Nebenfigur sein, sondern auch er muß in’s Stück eingreifen. Und so würde sich dann das Finale sehr gut machen; doch sind Vivaldo und Lucinde nicht zu vergessen. Auch ist hier der Ort wo Camacho’s eingestreute Wörter ein herrlichen Effekt hervorbringen werden.
Nun muß ich Sie nur vor allem bitten mir meine Kühnheit, Ihnen Bemerkungen zu machen, zu verzeihen. Beim vollendetsten Kunstwerke wird immer noch einer oder der andre etwas zu tadeln haben. Das was er bekrittelt, wird der andre als erhabenste Schönheit preisen. Doch wird man selten einen Tadel finden, der ganz ohne Grund ist; und da ich nun einmal von Ihnen die gütige Erlaubniß dazu erhalten habe, und auch wünsche eine Musik zu machen, die Ihrem Text doch wenigstens nachstrebt, so war ich so frei Ihnen die Stellen zu bemerken, die mich nicht so ganz ansprechen. Wollten Sie darauf Rücksicht nehmen, so wird es mich sehr erfreuen. Ich danke Ihnen sehr, für die große Mühe die Sie sich bis jetzt schon damit gegeben haben. Hierbei schicke ich Ihnen auch Ihren Plan wieder.
Ich hoffe bald etwas von Ihnen zu hören und zu sehen. Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, so denken Sie doch an diese Oper, und vergessen Sie nicht Ihren ergebnen
Felix Mendelssohn Bartholdy          
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Zur Entstehungsgeschichte des Librettos von Felix Mendelssohns Oper »Die Hochzeit des Camacho«, Berlin und Basel 1976, S. 7-11 (mit Faksimile).</bibl> </listBibl> </additional> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc><projectDesc><p>Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C: Digitale Edition der vollständigen Korrespondenz Hin- und Gegenbriefe Felix Mendelssohn Bartholdys auf XML-TEI-Basis.</p></projectDesc><editorialDecl><p>Die Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence Online-Ausgabe FMB-C ediert die Gesamtkorrespondenz des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 in Form einer digitalen, wissenschaftlich-kritischen Online-Ausgabe. Sie bietet neben der diplomatischen Wiedergabe der rund 6.000 Briefe Mendelssohns erstmals auch eine Gesamtausgabe der über 7.200 Briefe an den Komponisten sowie einen textkritischen, inhalts- und kontexterschließenden Kommentar aller Briefe. Sie wird ergänzt durch eine Personen- und Werkdatenbank, eine Lebenschronologie Mendelssohns, zahlreicher Register der Briefe, Werke, Orte und Körperschaften sowie weitere Verzeichnisse. Philologisches Konzept,  Philologische FMB-C-Editionsrichtlinien: Uta Wald, Dr. Ulrich Taschow. Digitales Konzept, Digitale FMB-C-Editionsrichtlinien: Dr. Ulrich Taschow. Technische Konzeption der Felix Mendelssohn Bartholdy Correspondence FMB-C Ausgabe und Webdesign: Dr. Ulrich Taschow.</p></editorialDecl></encodingDesc> <profileDesc> <creation> <date cert="high" when="1824-01-16" xml:id="date_5a8cd479-bb08-40b4-8cfe-1cd238260ae7">16. Januar 1824</date></creation> <correspDesc> <correspAction type="sent"> <persName key="PSN0000001" resp="author" xml:id="persName_3356bbf6-a89c-440a-ab2d-9bf92753926b">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName><note>counter-reset</note><persName key="PSN0000001" resp="writer">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</persName> <placeName type="writing_place" xml:id="placeName_551f9996-0e77-4abc-9b0e-48a9fb91596e"> <settlement key="STM0100101">Berlin</settlement> <country>Deutschland</country></placeName> </correspAction> <correspAction type="received"> <persName key="PSN0115547" resp="receiver" xml:id="persName_cd75cd41-d2e0-4cb2-84e8-963e935a4f46">Voigts, Friedrich (1792-1861)</persName> <placeName type="receiving_place" xml:id="placeName_d4df6f5f-a128-4694-98c5-44aa36ca4988"> <settlement key="STM0100118">Hannover</settlement> <country>Deutschland</country></placeName> </correspAction> </correspDesc> <langUsage> <language ident="de">deutsch</language> </langUsage> </profileDesc> <revisionDesc status="draft">  </revisionDesc> </teiHeader> <text type="letter"> <body> <div n="1" type="act_of_writing" xml:id="div_bf6853ed-22d6-4ac4-9372-ab37f65f2387"> <docAuthor key="PSN0000001" resp="author" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <docAuthor key="PSN0000001" resp="writer" style="hidden">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</docAuthor> <dateline rend="right">Berlin d. <date cert="high" when="1824-01-16" xml:id="date_f3e5c22d-e4fa-4ee8-b444-674882753ab1">16 Jan. 1824</date>.</dateline> <p style="paragraph_without_indent">Wie sehr danke ich Ihnen, <seg type="salute">mein Herr</seg>, daß Sie die große Güte haben wollen mir <title xml:id="title_edffa1c9-39fc-4815-a2c6-74bf429a6d03">Ihren Texts<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name></title> zur <title xml:id="title_1c6d2cb6-8fc1-4437-9712-4bf7a5f6ba54">Composition<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_buqhsowh-hdhn-na9e-9i3x-dxy7aj7hbqg7"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100324" style="hidden">Die Hochzeit des Camacho, Komische Oper in zwei Akten, 11. Juni 1824 bis 10. August 1825; [1826/1827]<idno type="MWV">L 5</idno><idno type="op">10</idno></name></title> zu geben. Nach allem was ich bis jetzt davon kenne, wird er ohne Zweifel ganz ausgezeichnet werden. Seyn Sie versichert, daß ich mir alle Mühe geben will, ihn so gut zu componiren, als in meinen Kräften steht. Mehr – kann ich freilich nicht leisten, aber ein Schelm, der mehr gibt, als er hat. </p> <p>Was mich besonders an dem vorliegenden Plane erfreut ist die Originalität die darin herrscht, und daß Sie z. B. aus der Quiteria nicht solche schmachtende Dame gemacht haben, wie sie in allen Opern vorkommen. Warum soll denn ein Text, wie der andre, eine Situation wie die andre seyn? Warum soll man einen Normalcharacter für alle Liebhaber alle Tyrannen etc. haben? Warum soll der Zuschauer, wenn er die prima donna erscheinen sieht, schon wissen, was sie vorbringen wird? Nein, ich bin ganz Ihrer Meinung, daß nur durch Originalität und neue Situationen und Charactere das einer Oper so nöthige Interesse bewirkt werden kann.</p> <p>Sie waren so gütig mir zu erlauben, Ihnen einige Bemerkungen über Ihren Plan mitzutheilen, und ich bin so frei, diese Erlaubniß zu benutzen.</p> <p>Es scheint aus einigen Stellen im Plane hervorzugehen, daß Sie die Musikstücke gern in Strophen eintheilen. Bei Romanzen ist dies gewiß wohl angewendet. Doch bei größern Stücken Duetten, Terzetten u. s. w. halte ich es nicht für rathsam. Erstlich, weil es etwas veraltet ist, dann weil nichts so schwer gut zu componiren ist, als Strophen, und endlich weil sie die Handlung sehr unterbrechen, indem der Componist gezwungen ist, doch wenigstens alle Verse zu componiren, da er hingegen in <hi rend="underline">einer</hi> Strophe oder in wenigen Versen völlige Freiheit sich auszudehnen hat, ohne dabei an die Länge des Gedichts gebunden zu sein. Ja auch in den größern <hi rend="underline">Arien</hi> werde ich Sie bitten keine Strophen zu machen, sondern lieber ein freies ganz regelloses Versmaß zu brauchen. Wenn es Ihnen möglich ist, so erfüllen Sie doch diese Bitte, denn ich versichere Sie, daß nichts so unangenehm zu componiren ist, als Strophen.</p> <p>Was den Vivaldo betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung; nur wird es schwer sein, eine gehörige Exposition seines Standes zu machen, damit der Zuschauer nicht den Intriguenführer in ihm merke.</p> <p>Machen Sie doch ja keinen zu kurzen Dialog zwischen den Musikstücken. Sänger, Orchester, und Zuhörer müssen sich verpusten können. Ich halte ein Paar Worte zwischen den Gesangstücken für höchst nothwendig.</p> <p>Das Duett worin Vivaldo und Basilio ihre Damen preisen, scheint mir nicht nöthig und der Inhalt desselben nicht neu. Ich würde das Musikstück erst da anfangen wo Lucinde <hi rend="underline">auftritt</hi>, so daß dann auch das Gespräch der beiden Männer länger werden könnte.</p> <p>Die <title xml:id="title_280aebdc-9b33-434d-bc2c-fd9ec4b33f9e">Lästerschule<name key="PSN0112792" style="hidden" type="author">Leonhardi, Johann</name><name key="CRT0109707" style="hidden" type="dramatic_work">Die Lästerschule (dt. Übersetzung von → Richard Brinsley Sheridans Komödie The School for Scandal)</name></title> scheint mir, würde die Handlung unnöthiger weise sehr aufhalten. Auch bin ich der Meinung, daß Carrasco No. 2 nicht in aller Leute Gegenwart singe. Er könnte ja mit der trauernden Tochter aus der Thüre kommen, um der Caravane entgegen zu gehn, und ihr nun alle ihre Pflichten vorhalten. Schon die väterliche Eitelkeit erlaubt ihm nicht dies vor so vielen Leuten zu thun. Überhaupt bin ich nicht dafür, des Carrasco Partie ganz niedrig komisch zu halten, er bleibt doch immer Vater der Quiteria, und als solcher darf er dem Publicum nicht verächtlich gemacht werden. </p> <p>Das nun folgende Musikstück ist sehr schön. Doch muß auf jeden Fall die ganze Masse von dem Solo der Quiteria „Laßt mich, o laßt mich etc“ bis zum Abgang des Chors <hi rend="underline">ein</hi> Stück sein, in welchem die Contraste der Wuth des Carrasco, das Phlegma des Sancho u. s. w. sich kräftig herausheben werden. Doch muß zwischen diesem Stück und dem Duett von Basilio und Lucinde der Dialog nicht fehlen damit der Zuhörer sich nach einer so großen Catastrophe etwas ausruhen kann. Vivaldo muß erst <hi rend="underline">nach</hi> Schluß des Duetts auftreten, damit auch hier kein Gespräch fehle.</p> <p>Ihre Idee mit der <title xml:id="title_dbd0447e-4df1-4b0c-a49d-e833e076652a">Höhle des Montesinos<name key="PSN0110339" style="hidden" type="author">Cervantes Saavedra, Miguel de (1547-1616)</name><name key="CRT0108352" style="hidden" type="literature">Don Quixote</name></title> und dem ersten Auftritt des Don Quixote gefällt mir ganz außerordentlich, und ich werde Sie bitten die Verse die im Plan zu der Arie des Basilio stehen, beizubehalten weil ich schon eine Idee zu der Composition dazu habe. (Ich meine diese: Lasset euch winden etc. und Noch hab ich ja mein Schwert etc.)</p> <p>Nun muß aber wieder Dialog sein, zwischen dieser Arie, und dem folgenden Gesang. Basilio könnte Sancho und D. Quix. kommen sehn, sein Erschrecken und Sanchos Sprichwörter könnten komische Quiproquo’s geben, und mitten drin könnte der bisher schweigende Don Quixote in sein Recit. ausbrechen. – Das Finale <hi rend="underline">ohne die Fechtscene</hi> scheint mir das bessere zu sein, nur wäre folgende Aenderung nothwendig: Erst die Romanze der Quiteria; dann ein <hi rend="underline">Gespräch</hi> zwischen Vivaldo und Lucinde welches statt des Duetts ist. Denn sonst fehlte zwischen Romanze und Duett von Viv. und Luc. und dem der beiden Männer alles Gespräch; auch weiß ich nicht welcher Lärm Viv. und Luc. bewegen könnte abzugehn, da nur Quit. auf dem Altan erscheint. <hi rend="underline">So</hi> ist es aber der Lärm des Carr. und Cam. der sie erschreckt. Nun No 8. Dann Gespräch. Luc. und Quit. treten auf den Altan. Vivaldo kommt, erzählt, Basilio sei wahnsinnig und nun <hi rend="underline">Finale</hi>. Quit. klagend, <hi rend="underline">Luc.</hi> beruhigend. <hi rend="underline">Carr.</hi> der sich auf Enkel freut, <hi rend="underline">Camacho</hi>. nur einzelne Worte. <hi rend="underline">Viv.</hi> spottend. Alles dies kommt erst einzeln dann aber zusammen, und gibt einen Teufelslärm. Plötzlich kommt nun noch Sancho, <hi rend="underline">mit dem Chor</hi>, will erzählen, wird nicht gehört; es sei Hochzeit, heißt es, und nun ein jubelnder Chor, der durch einzelne Klageaccente der Quiteria unterbrochen wird. So wird sich das Finale gewiß gut ausnehmen, und leicht componiren lassen.</p> <p>Das Einzige, was mir nun noch am 1<hi rend="superscript">sten</hi> Acte nicht gefiele, wäre daß Basilio’s Fliehen in die Höhle nicht motivirt genug ist, und daß der Zuschauer merken wird, daß dies blos des D. Quixote’s willen geschehen sei. Wenn man dies Fliehen mehr in’s Stück eingreifen ließe, damit es <hi rend="underline">nothwendig</hi> wird, wenn z. B. Vivaldo dem Cam. und Carr. sagt, Bas. sei wahnsinnig und habe sein Haus verlassen niemand wisse wohin er sei? wenn er diese Idee dem Basilio schon früher mitgetheilt hätte; oder wenn Bas. um sich recht ungestört zu verkleiden sich in die Höhle zurückzöge, oder wenn ihn eine größere Verlegenheit dazu zwänge, so wäre diesem (sehr leicht zu hebenden) Übel abgeholfen. Ein Paar Worte werden hinreichend sein. </p> <p>Ihre Idee mit dem Canon, der den 2<hi rend="superscript">ten</hi> Act beginnt, ist trefflich, und sehr musicalisch; ich freue mich sehr darauf, ihn recht bald ganz zu sehen. Ihr Trinklied ist ganz wunderhübsch. Doch hab’ ich auch darin (ich Unverschämter!) etwas mir auszubitten. Mir hat nämlich die Idee, daß sich ein Bauer nach dem andern um ihn versammelt, bis ein Chor gebildet ist, der plötzlich fortissime losbrüllt, gefallen, und ich möchte diesen aus dem Himmel fallenden Chor nicht gern verlieren. Wie wär’s wenn sie den Chor, der doch eigentlich nur das wiederholt, was Sancho gesagt hat, bis auf die Letzt aufsparten, so daß er mit „Vivat, des Wirthes schöne Braut“ einstimmt? Sancho finge dann das Trinklied gemächlich an, würde durch das Zapfen, während des Ritornells immer fideler, und dieser Steigerung setzte der einstimmige Chor die Krone auf, deren Glanz durch das Springen und Taumeln des ganzen Personals noch erhöht wird. Gewähren Sie mir doch diese Bitte.</p> <p>Sanchos Lob der Quiteria möchte wohl im Gespräch besser sein. Denn zwischen seinem Trinklied und dem Festspiel darf der Dialog ja nicht zu kurz sein, doch auch das kleinste Musikstück würde aufhalten. Er könnte diese Lobpreisung ja in Knittelversen machen, wie ich überhaupt dafür bin, den Sancho oft in Knittelversen reden zu lassen.</p> <p>Den <hi rend="underline">Priester</hi> auftreten zu lassen, wäre freilich gut, doch wird es auf den wenigsten Bühnen Deutschlands geduldet; ja man hat in einem <title xml:id="title_be18a243-f484-48d2-8af7-d418431d8f57">zum Drama umgeschmolznen Epos (Hermann und Dorothea<name key="PSN0115356" style="hidden" type="author">Töpfer, Carl Friedrich Gustav (1792-1871)</name><name key="CRT0111098" style="hidden" type="literature">Johann Wolfgang von Goethe, Hermann und Dorothea (Bearbeitung)</name></title>) den Pfarrer zu einem Rector machen müssen, wahrscheinlich nur darum, weil es nicht erlaubt ist, den Geistlichen auf die Bühne zu bringen. Und wenn dies hier geschieht, wie wird es dann erst in Oestreich sein?</p> <p>Was das Übrige betrifft, so bin ich ganz Ihrer Meinung. Nur muß D. Quixote in dem Augenblick erscheinen, in dem schon des Basilio Anhänger zurückgedrängt werden, um nun der Sache eine andere Wendung zu geben, und um ein <hi rend="underline">nothwendiger</hi> Hebel zu Basilio’s Glücke zu werden. Denn er darf doch nicht bloße Nebenfigur sein, sondern auch <hi rend="underline">er</hi> muß in’s Stück eingreifen. Und so würde sich dann das Finale sehr gut machen; doch sind Vivaldo und Lucinde nicht zu vergessen. Auch ist hier der Ort wo Camacho’s eingestreute Wörter ein herrlichen Effekt hervorbringen werden.</p> <p>Nun muß ich Sie nur vor allem bitten mir meine Kühnheit, Ihnen Bemerkungen zu machen, zu verzeihen. Beim vollendetsten Kunstwerke wird immer noch einer oder der andre etwas zu tadeln haben. Das was er bekrittelt, wird der andre als erhabenste Schönheit preisen. Doch wird man selten einen Tadel finden, der ganz ohne Grund ist; und da ich nun einmal von Ihnen die gütige Erlaubniß dazu erhalten habe, und auch wünsche <title xml:id="title_ef6ca58e-dab2-4a99-9d8b-659ed39b8547">eine Musik<list style="hidden" type="fmb_works_directory" xml:id="title_jdchymwt-ygfg-jkve-l5mt-no7lpec6gast"> <item n="1" sortKey="musical_works" style="hidden"></item> <item n="2" sortKey="stage_music" style="hidden"></item> <item n="3" sortKey="singspiels_and_operas" style="hidden"></item></list><name key="PSN0000001" style="hidden" type="author">Mendelssohn Bartholdy (bis 1816: Mendelssohn), Jacob Ludwig Felix (1809-1847)</name><name key="PRC0100324" style="hidden">Die Hochzeit des Camacho, Komische Oper in zwei Akten, 11. Juni 1824 bis 10. August 1825; [1826/1827]<idno type="MWV">L 5</idno><idno type="op">10</idno></name></title> zu machen, die <title xml:id="title_0449e9be-afa5-4bac-92ed-65f6a1ae4ad7">Ihrem Text<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name></title> doch wenigstens nachstrebt, so war ich so frei Ihnen die Stellen zu bemerken, die mich nicht so ganz ansprechen. Wollten Sie darauf Rücksicht nehmen, so wird es mich sehr erfreuen. Ich danke Ihnen sehr, für die große Mühe die Sie sich bis jetzt schon damit gegeben haben. Hierbei schicke ich Ihnen auch <title xml:id="title_3e11cd6c-bc44-48af-9375-c9a8965eeab5">Ihren Plan<name key="PSN0115547" style="hidden" type="author">Voigts, Friedrich (1792-1861)</name><name key="CRT0111222" style="hidden" type="dramatic_work">Die Hochzeit des Camacho (Libretto)</name></title> wieder.</p> <closer rend="left" xml:id="closer_591320b1-9c4f-4916-8669-1669b8656b8f">Ich hoffe bald etwas von Ihnen zu hören und zu sehen. Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, so denken Sie doch an diese Oper, und vergessen Sie nicht </closer> <signed rend="right">Ihren ergebnen</signed> <signed rend="right">Felix Mendelssohn Bartholdy</signed> </div> </body> </text></TEI>